Im vorangegangenen Kapitel wurden die begrifflichen und theoretischen Grundlagen für die vorliegende Arbeit dargestellt und die mit dieser Arbeit verbundene wissenschaftliche Weiterentwicklung verdeutlicht. In dem folgenden Kapitel werden nun die ausgewählten Beiträge in das Reflektiv-Impulsiv Modell (Strack & Deutsch, 2004) eingeordnet. Dadurch soll das neurowissenschaftlich fundierte Modell anhand verschiedener methodischer Vorgehensweisen als übergeordneter Rahmen für die Beschreibung, Unterstützung und Vorhersage von Konsumentenentscheidungsprozessen im Rahmen der Consumer Decision Neuroscience geprüft werden. Diese Strukturierung der ausgewählten Beiträge innerhalb des zugrundeliegenden Modells soll die Beziehung zwischen den Beiträgen verdeutlichen. Dadurch soll der damit verbundene Erkenntnisgewinn für die übergeordneten Forschungsfragen dieser Arbeit und entsprechend für die sich entwickelnde Disziplin der Consumer Decision Neuroscience aufgezeigt werdenFootnote 1. Nachfolgend werden die Beiträge 1 bis 6 inhaltlich skizziert und in das Modell eingeordnet (Abbildung 3.1), sodass die Bezüge zum theoretischen Rahmen verdeutlicht werden und eine übersichtliche und sachgerechte Darstellung der Beiträge möglich ist (Tabelle 3.1).

Abbildung 3.1
figure 1

Einordung der Beiträge in das Reflektiv-Impulsiv Modell. Die schematische Darstellung der ausgewählten Beiträge (graue Kreise) in den übergeordneten Rahmen soll den avisierten Erkenntnisgewinn für die Beschreibung, Unterstützung und Vorhersage von Konsumentenentscheidungsprozessen im Rahmen der Consumer Decision Neuroscience verdeutlichen

Zunächst können die Beiträge grob danach differenziert werden, ob sie innerhalb des Modells den Verarbeitungsprozessen des implusiven Typs in Interaktion mit den reflektiven Verarbeitungsprozessen zugeordnet werden können (Beiträge 1, 2 und 3). Des Weiteren wird geprüft, ob die Besonderheiten des Modells, insbesondere des reflektiven Prozesstyps, im direkten Anwendungskontext genutzt werden können, um Konsumentenentscheidungen zu unterstützen (Beiträge 4.1 und 4.2) oder ob eine Vorhersage über das Konsumentenverhalten unter Berücksichtigung des Modells getroffen werden kann (Beiträge 5 und 6). Die Einordnung der Beiträge innerhalb des Modells wird in Abbildung 3.1 verdeutlicht, wobei die Position der Beiträge eine eindeutige Zuordnung innerhalb des Modells nur approximiert. Da im Reflektiv-Impulsiv Modell davon ausgegangen wird, dass manifestes Verhalten durch beide Verarbeitungsprozesstypen im Wechselspiel beeinflusst ist (Strack & Deutsch, 2004), sind die Beiträge innerhalb einer Prozesslogik zu verstehen und können nur vorbehaltlich einem Prozess dominierend zugeschrieben werden. Je nach Aufmerksamkeitsallokation und Intensität der Reize sowie der zur Verfügung stehenden kognitiven Kapazitäten dominieren impulsive oder reflektive Verarbeitungsprozesse das Verhalten (Strack & Deutsch, 2004).

In den ersten drei Beiträgen könnte insbesondere die Interaktion des impulsiven Verarbeitungsprozesstyps mit dem reflektiven Typ neurowissenschaftlich anhand von Framing EffektenFootnote 2 in unterschiedlichen Entscheidungskontexten nachgezeichnet werden, wodurch eine Identifizierung von Verarbeitungsprozessen bei Konsumentenentscheidungen ermöglicht wird. In Beitrag 1 wird die selbstbekundete und neurale Wirkungsweise von Informationsreizen untersucht, die entsprechend der Motivationstheorie des regulatorischen Fokus formuliert wurden. In Beitrag 2 wird darüber hinaus die verhaltensbezogene Wirkung von unterschiedlichen Darstellungsweisen durch visuelle Elemente in einem realen Entscheidungskontext geprüft. In Beitrag 3 wird ein Marketing Placebo im digitalen Kontext fokussiert, wobei (neuro-)physiologische Effekte von Online-Bewertungen untersucht werden.

Die ersten Beiträge fokussieren das Zusammenwirken der beiden Verarbeitungsprozesstypen, insbesondere im Hinblick auf die assoziativen Verarbeitungsprozesse. Nachfolgend können in Beitrag 4.1 und Beitrag 4.2 Erkenntnisse über die zugrundliegenden Verarbeitungsprozesse, insbesondere die Merkmale des reflektiven Verarbeitungstyps, herangezogen werden, um die effektive Unterstützung von Konsumentenentscheidungen zu ermöglichen. Dabei wird im Beitrag 4.1 ein Verbraucherinformationssystem (VIS) als alternative Möglichkeit der Informationsaufbereitung für Konsumentinnen/Konsumenten vorgestellt. Diese zunächst theoretische, literaturbasierte Ausarbeitung wird anschließend in Beitrag 4.2 prototypisch getestet, wobei der Einfluss von InvolvementFootnote 3 aufgezeigt wird.

Im Reflektiv-Impulsiv Modell wird von einem mehrdimensionalem Prozess aus zwei zugrundeliegenden Verarbeitungsprozesstypen ausgegangen, die Verhalten gemeinschaftlich determinieren. Diese Annahmen können dabei in der Informationsgewinnung oder Informationsverarbeitung herangezogen werden, um diese Erkenntnisse für die Vorhersage von Entscheidungsverhalten von Konsumentinnen/Konsumenten zu nutzen. Entsprechend können in Beitrag 5 und Beitrag 6 Indikatoren für diese Annahmen identifiziert werden, die Vorhersagen auf Populationsniveau über tatsächliches Konsumentenverhalten erlauben. In Beitrag 5 werden kognitive Entlastungseffekte für die Vorhersage von Konsumentenverhalten quantifiziert, die mit Werbeerfolg korreliert werden können. In Beitrag 6 werden verschiedene Datentypen integriert, um ein umfassendes Vorhersagemodell zum Entscheidungsverhalten von Konsumentinnen/Konsumenten auf Populationsniveau aufzustellen.

Die ausgewählten Beiträge sollen zur Erklärung von Entscheidungsprozessen bei Konsumentinnen/Konsumenten im Rahmen der Consumer Decision Neuroscience beitragen, um dem Ziel einer Unified Theory näher zu kommen. Die Integration der Beiträge in das zugrundeliegende Reflektiv-Impulsiv Modell soll im Folgenden detaillierter beschrieben werden. Dabei wird die Zielsetzung des Beitrags und das angewandte Untersuchungsdesign genannt sowie die Interpretation der Ergebnisse im Rahmen des zugrundeliegenden Modells beschrieben.

3.1 Beitrag 1

Beitrag 1 “Affecting consumers: A fMRI study on regulatory focus framed information in the field of animal welfare” ist als Konferenzartikel in den “Advances of Consumer Research” veröffentlicht. Das Ziel dieses Beitrags besteht darin, die neuralen Verarbeitungsprozesse bei der Bewertung von unterschiedlich dargestellten Informationen zu identifizieren, die nach der regulatorischen Fokus Theorie (Higgins, 1997) mit zwei motivationalen Foki – Promotions- oder Präventionsfokus – formuliert wurden. Es wurde eine neurowissenschaftliche fMRT Studie durchgeführt, bei der neurale Gehirnaktivität bemessen wurde, während Probandinnen/Probanden Informationen mit jeweils unterschiedlichen regulatorischen Foki sahen und entsprechende visuelle Elemente bewerteten. Die Ergebnisse zeigen, dass Informationen, die mit dem Fokus auf Promotion formuliert sind, im Vergleich zu Information mit Präventionsfokus eine positivere Beurteilung des Bezugsobjekts hervorrufen und mit einer erhöhten neuralen Aktivität im ventromedialen präfrontalen KortexFootnote 4 (vmPFC) assoziiert sind. Darüber hinaus konnte gezeigt werden, dass die neurale Verarbeitung von nachfolgenden neutralen Informationen durch die regulatorische Fokus Information beeinflusst wird, was aufgrund einer erhöhten Aktivität im anterioren cingulären Kortex (ACC) vermutet werden kann. Ein solcher Effekt ist jedoch nicht für selbstbekundete Beurteilungen festzustellen.

Im Hinblick auf das Reflektiv-Impulsiv Modell könnten die in diesem Beitrag dargestellten Ergebnisse die beiden Prozesstypen und deren Darstellung, Speicherung und Verarbeitung von Informationen sowie anwendungsbezogene Aspekte der motivationalen Orientierung aufzeigen. Im Rahmen des Reflektiv-Impulsiv Modell wird unterstellt, dass je nachdem, ob die Bedeutung durch den impulsiven Prozesstyp über visuelle Elemente oder durch reflektive Verarbeitungsprozesse über ein verbales Format den Stimuli zugeschrieben wurde, diese eine gegensätzliche Auswirkungen haben können (Strack & Deutsch, 2004). Da in diesem Beitrag Textelemente anhand der regulatorischen Fokus Theorie formuliert wurden, wäre von einem assoziativen Verarbeitungsprozess auszugehen, der durch den reflektiven Prozesstyp initiiert wurde (Strack & Deutsch, 2004). Ausgehend davon, würden präventionsorientierte Beschreibungen zu einer Vermeidungsorientierung und vice versa promotionsorientierte Beschreibungen zu einer Annäherungsorientierung führen. Hierbei würden durch den reflektiven Prozesstyp assoziative Cluster im impulsiven Typ entsprechend der adressierten Konzepte aktiviert, sodass eine kongruente Motivationsorientierung angestoßen wird (Strack & Deutsch, 2004). In der Studie könnte dieser hypothetische Prozess auf neuraler Ebene sowie im selbstbekundeten Bewertungsverhalten durch positivere Bewertungen und höhere Aktivität im vmPFC, die unter anderem mit subjektiver Wertbestimmung assoziiert sind (Bartra, McGuire, & Kable, 2013; Hare et al., 2009), verdeutlicht werden. Entsprechend könnte die anschließend erhöhte neurale Aktivität im ACC, die auch mit Konflikterkennung und kognitiver Dissonanz assoziiert wird (Botvinick, Cohen, & Carter, 2004; Carter & van Veen, 2007; van Veen, Krug, Schooler, & Carter, 2009), auf die veränderten Verarbeitungsprozesse aufgrund der motivationalen Orientierung hinweisen, sodass bei anschließender, erneuter Beschreibung durch die entstandene motivationale Orientierung inkongruente Verhaltensschemata abgerufen werden.

3.2 Beitrag 2

Aufbauend auf den in Beitrag 1 dargestellten Erkenntnissen werden in Beitrag 2 „Wahrnehmung der Nutztierhaltung – alles eine Frage der Kommunikation?“, welcher im “Journal of Consumer Protection and Food Safety” als Journalartikel publiziert wurde, weitere Interpretationen und daraus folgende Implikationen ausführlicher diskutiert sowie in diesem Zusammenhang visuelle Darstellungsmöglichkeiten in einer zweiten Studie mit direktem Verhaltensbezug betrachtet. Der Beitrag verfolgt somit insbesondere das Ziel, die neuralen Reaktionen gegenüber visuellen, kommunikativen Darstellungen im Kontext von Framing Effekten (Levin, Schneider, & Gaeth, 1998; Stocké, 2001) unter realitätsnahen Bedingungen zu bemessen, wenn Konsumentinnen/Konsumenten tatsächlich verhaltensrelevante Kaufentscheidungen treffen. Um dieses Ziel zu erreichen, wurde durch die zweite Studie die neurale Wirkung von visuellen, kommunikativen Maßnahmen im direkten Anwendungskontext bemessen, wobei die mobile Einsetzbarkeit der fNIRS zur Datenerhebung fokussiert und mit Ergebnissen der etablierten fMRT verglichen wurde. Die Ergebnisse zeigen, dass signifikante neurale Aktivitätsunterschiede im orbitofrontalen Kortex (OFC), für positiv-assoziierte im Vergleich zu negativ-assoziierten Kommunikationsmaßnahmen nur mittels der fNIRS zu identifizieren waren. Die mit entsprechenden Verkaufszahlen korrespondierenden Ergebnisse lassen sich jedoch nicht unter kontrollierten Bedingungen mittels fMRT replizieren. Dies verdeutlicht zum einen, dass visuelle Darstellungsmöglichkeiten je nach Kontext unterschiedlich auf neuraler Ebene verarbeitet werden und entsprechend identifizierbar sind, sodass kaufentscheidende Verarbeitungsprozesse offenbar erst in einer tatsächlichen Kaufsituation exogene Präferenzen konstruierenFootnote 5. Zum anderen wird deutlich, dass ein breiter Methodenmix aus mobilen neuralen Messmethoden und tatsächlich verhaltensbezogenen Variablen zielführend sein kann, um relevante Verarbeitungsprozesse, die gegebenenfalls nur in realitätsnahen Kontexten entstehen, identifizieren zu können.

Für die Einordung in das zugrundeliegende theoretische Reflektiv-Impulsiv Modell könnten die Ergebnisse, ähnlich wie im vorangegangenen Beitrag, auf die Existenz der beiden Prozesstypen und deren Verarbeitungsprozesse hinweisen. Dabei könnte davon ausgegangen werden, dass die Bedeutung der verarbeiteten Stimuli diesmal durch den impulsiven Prozesstyp anhand der visuellen Elemente zugeschrieben wird (Strack & Deutsch, 2004). Darüber hinaus könnten die Ergebnisse darauf hindeuten, dass Verarbeitungsprozesse in Abhängigkeit von Aufmerksamkeit, die einem Stimulus zugeteilt wird, verstärkt im reflektiven Prozesstyp verarbeitet werden (Strack & Deutsch, 2004). Der unterstellte Prozess wäre, dass die visuellen Kommunikationselemente hauptsächlich über das assoziative Netzwerk verarbeitet werden, da durch reduzierte Aufmerksamkeitsallokation der reflektive Prozesstyp nicht initiiert wird (Strack & Deutsch, 2004). In diesem Beitrag konnte gezeigt werden, dass ein neuraler Verarbeitungsunterschied im OFC für visuelle Elemente analog ihrer adressierten Interpretationsrichtung lediglich in der fNIRS Studie gezeigt werden kann. Dies könnte darauf hinweisen, dass visuelle Elemente im direkten Anwendungskontext, wie eine Kommunikationsmaßnahme am PoS, zunächst impulsiv verarbeitet werden und der Einfluss von Aufmerksamkeit, welche in der fMRT Erhebung bewusst auf diese Elemente gelenkt wurde, die Entscheidungsprozesse für verhaltensrelevante Wirkung der kommunikativen Elemente hemmen könnte.

3.3 Beitrag 3

Beitrag 3 “Online reviews as marketing placebo? First insights from NeuroIS utilising fNIRS” fokussiert im Zusammenhang von Informationsdarstellungen die Spezifizierung eines MPE im digitalen Kontext. Der Beitrag ist als Konferenzbeitrag in den “Proceedings of the European Conference on Information Systems” veröffentlicht worden. Ziel dieses Beitrages ist es zu untersuchen, ob Online-Bewertungen in der selbstbekundeten Wahrnehmung und auf neuraler Ebene einen effektiven Marketing Placebo darstellen können. Der Zielsetzung folgend, wurde in der Studie neurale Aktivität mittels fNIRS sowie das subjektiv wahrgenommene Geschmackserlebnis bemessen, während Probandinnen/Probanden kongruente oder inkongruente Online-Bewertungen über ein zu konsumierendes Produkt lesen sollten. Die Ergebnisse zeigen, dass Online-Bewertungen einen wirksamen Marketing Placebo darstellen können, der das bekundete und neurophysiologische Geschmackserlebnis beeinflusst. Dabei führen inkongruente, im Vergleich zu kongruenten, Online-Bewertungen auf Verhaltensebene zu schlechteren Geschmacksbewertungen der Produkte. Vergleicht man Wahrnehmungs- und Konsumphasen auf neuraler Ebene, zeigt sich, dass beide Typen von Online-Bewertungen zu neuraler Aktivität im medialen präfrontalen Kortex (mPFC) führen, was mit veränderten Verarbeitungsprozessen aufgrund von sozialer InformationFootnote 6 assoziiert werden könnte (De Martino, Bobadilla-Suarez, Nouguchi, Sharot, & Love, 2017). Gleichzeitig wird für inkongruente Online-Bewertungen eine verstärkte Aktivität in lateralen präfrontalen Gehirnregionen (lPFC) identifiziert, was auf erhöhte kognitive Verarbeitungsprozesse hinweisen kann (Berns, 2005; MacLeod & MacDonald, 2000).

Vor dem Hintergrund des konzeptionellen Rahmens des Reflektiv-Impulsiv Modells könnte dieser Beitrag insbesondere Hinweise für die Interaktion der beiden Verarbeitungsprozesstypen mit Fokus auf die Aktivierung des impulsiven Prozesstyps durch den reflektiven Prozesstyp geben. Letzterer ist durch das Prinzip der Kompatibilität bestrebt, Inkonsistenzen zwischen assoziativ aktivierten Elementen zu vermeiden oder zu beheben, benötigt dafür aber mehr kognitive Kapazitäten (Strack & Deutsch, 2004). Im Rahmen des Modells würde entsprechend davon ausgegangen werden, dass der reflektive Verarbeitungsprozesstyp während des Lesens einer Online-Bewertung zunächst dazu passende assoziative Cluster aktiviert. Anschließend werden durch die tatsächlichen Geschmacksreize, die inkongruent zu den gelesenen Online-Bewertungen sind, andere assoziative Cluster durch den impulsiven Prozesstyp aktiviert. Diese erkennt der reflektive Prozesstyp als Inkonsistenz zwischen den durch die Online-Bewertung assoziativ erwarteten und tatsächlich physiologisch wahrgenommenen Reizen. Um diese Inkompatibilität aufzulösen, Erwartungen anzupassen und für spätere Verarbeitungsprozesse zu korrigieren, benötigt der reflektive Prozesstyp mehr kognitive Kapazitäten (Strack & Deutsch, 2004). Diese höhere kognitive Kapazität könnte sich entsprechend durch eine erhöhte lPFC Aktivität bei inkongruenten Online-Bewertungen explizieren.

3.4 Beitrag 4

Der konzeptionelle Beitrag 4.1 „Zur Konzeption eines Verbraucherinformationssystems als Ergänzung – oder Alternative? – zum klassischen Informationslabel“ ist als Journalbeitrag im “Journal of Consumer Protection and Food Safety” publiziert worden. Ziel des Beitrages ist es, unter Berücksichtigung von Erkenntnissen über Konsumentenentscheidungsprozesse, Informationsmöglichkeiten effektiver zu gestalten, um Konsumentinnen/Konsumenten bedarfsgerechte Informationen in Entscheidungssituationen zur Verfügung zu stellen. Aufbauend auf einer umfassenden Literaturrecherche wurden Annahmen formuliert, die zunächst auf qualitativer Ebene mittels einer moderierten, leitfadengeführten Fokusgruppe untersucht wurden. Aus den Ergebnissen wurde extrahiert, dass im Konsumentenentscheidungsprozess Informationen eine situative Relevanz haben und je nach Entscheidungskontext und Involvement selektiv wahrgenommen und entsprechend benötigt werden. Auf Basis dieser Überlegungen wurde ein theoretisches Konzept eines VIS aufgestellt, welches als Ergänzung zu klassischen Informationsangeboten, wie beispielswiese mehrstufiger Labelingoptionen, den Informationsbedürfnissen von Konsumentinnen/Konsumenten effektiver entsprechen soll. Entsprechend des Informationsbedarfs kann durch das in diesem Beitrag theoretisch erarbeitete VIS die gewünschte Informationstiefe und -breite während des Konsumentenentscheidungsprozess abgerufen werden.

Diese theoretische Konzipierung des VIS wurde im Beitrag 4.2 „Besser statt mehr! Vom Daten-DIY zur ‚Verbraucherinformatik‘“ qualitativ validiert und ist als Beitrag auf der „Internationalen Tagung Wirtschaftsinformatik“ vorgestellt worden. Ziel des Beitrags 4.2 ist es, die unterstellten Annahmen über variierende Informationsbedürfnisse je nach Entscheidungskontext und Involvement zu prüfen und zu zeigen, dass das konzeptionelle und in diesem Beitrag prototypisch konzipierte VIS diesen unterschiedlichen Informationsbedürfnissen bedarfsgerechter nachkommen kann. Im Ergebnis zeigte sich, dass Probandinnen/Probanden bei erhöhtem situativen und persönlichen Involvement einen erhöhten Informationsbedarf haben, mehr Zeit im Entscheidungsprozess benötigen und der erhöhte Informationsbedarf einen positiven Einfluss auf die Nutzungsintention des VIS hat.

Das theoretisch konzipierte und prototypisch erprobte VIS könnte eine sinnvolle Informationsmöglichkeit bieten, welches den Erkenntnissen über Konsumentenentscheidungsprozesse des Reflektiv-Impulsiv Modells entspricht. In diesem Modell wird von zwei parallel agierenden Verarbeitungsprozesstypen ausgegangen, wobei reflektive Verarbeitungsprozesse insbesondere dann den Entscheidungsprozess beeinflussen, wenn Aufmerksamkeit auf spezifische Informationen gelegt wird, die Intensität externer Reize hoch ist oder anhand des Intending entsprechende Informationsreize avisiert werden (Strack & Deutsch, 2004). Davon ausgehend wird im Modell unterstellt, dass der reflektive Verarbeitungsprozess die zur Verfügung stehenden Informationen propositional verarbeitet, um eine begründete Einschätzung zu geben, die ein entsprechendes zielorientiertes Verhalten ermöglicht (Strack & Deutsch, 2004). Ein solcher Verarbeitungsprozess würde jedoch nur unter den oben beschriebenen Umständen stattfinden, sodass im Regelfall eher kognitiv entlastende, reduzierte Informationen nötig wären, um dem assoziativen Verarbeitungsprozess zu entsprechen (Strack & Deutsch, 2004). Dem folgend würde das im Beitrag dargestellte VIS eine solche flexible Informationsverfügbarkeit je nach Bedarf erlauben, sodass den im Modell unterstellten Verarbeitungsprinzipien durch die Art der Informationsbeschaffung entsprochen werden könnte. So scheint eine anwendungsbezogene Konzeptualisierung, welche auf den zugrundeliegenden Verarbeitungsprinzipien des Modells aufbaut, dabei helfen zu können, Konsumentinnen/Konsumenten bedarfsgerecht und effektiv bei Entscheidungen zu unterstützen.

3.5 Beitrag 5

Der Beitrag 5 “Measuring dlPFC signals to predict the success of merchandising elements at the Point-of-Sale – A fNIRS approach” ist als Journalbeitrag im Journal “Frontiers in Neuroscience” im Bereich Decision Neuroscience veröffentlicht worden und kann entsprechend der disziplinären Einordnung (Abschnitt 2.2) der Consumer Decision Neuroscience zugeordnet werden. Ziel dieses Beitrages ist es, die Deaktivierung des dorsolateralen präfrontalen Kortex (dlPFC) als neuralen Indikator für den Werbeerfolg visueller ElementeFootnote 7 zunächst korrelativ zu prüfen. In der Studie wurde neurale Aktivität des dlPFC mittels fNIRS quantifiziert und mit Verkaufszahlen korreliert. In der experimentellen fNIRS Studie wurden Probandinnen Werbeelemente zusammen mit dem beworbenen Produkt gezeigt, die sie betrachten sollten. Aufbauend auf Erkenntnissen zu kortikalen Entlastungseffekten, wurde die Quantifizierung neuraler Deaktivierung des dlPFC während der Betrachtung eines Werbeelements mit tatsächliche Verkaufszahlen in Verbindung gebracht. Die signifikante Korrelation zwischen reduzierter dlPFC Aktivität und Verkaufszahlen könnte darauf hinweisen, dass kortikale Entlastungseffekte eine mögliche weitere relevante neurale Signatur zur Vorhersage von tatsächlichem Konsumentenentscheidungen darstellen könnten.

Der Erfolg eines umfassenden Modells zur Erklärung von Konsumentenentscheidungsprozessen kann letztlich dadurch bestätigt werden, wenn es durch Annahmen des Modells möglich ist, tatsächliches Verhalten zu antizipieren. Entsprechend sollten es Annahmen des Reflektiv-Impulsiv Modells ermöglichen, unterstellte Verarbeitungsprozesse im Modell zu nutzen, um Verhaltenshypothesen zu entwickeln. Dieser Logik folgend könnten die dargestellten Ergebnisse im Rahmen des Reflektiv-Impulsiv Modells durch folgenden Verarbeitungsprozess begründet werden. Im Modell wird unterstellt, dass Impulsreaktionen durch den impulsiven Prozesstyp hervorgerufen werden, diese durch das Wechselspiel mit dem reflektiven System beeinflusst werden und gleichzeitig die Verarbeitung im reflektiven Prozesstyp mit einem Bedarf an kognitiven Kapazitäten verbunden ist (Strack & Deutsch, 2004). Entsprechend könnte angenommen werden, dass ein Verbrauch von kognitiven Kapazitäten mit Verarbeitungsprozessen des reflektiven Prozesstyp assoziiert ist. Je weniger Einfluss der reflektive Prozesstyp auf den gesamten Verarbeitungsprozess nimmt, desto höher die Wahrscheinlichkeit von Impulsreaktionen, da in diesen Fällen insbesondere der impulsive Prozesstyp handlungsleitend ist. Die im Beitrag quantifizierte, reduzierte dlPFC Aktivität, ein Effekt, der mit kognitiver Entlastung assoziiert ist (Deppe et al., 2005; Koenigs & Tranel, 2008; Krampe, Gier, et al., 2018), könnte entsprechend auf verminderte reflektive Verarbeitungsprozesse hinweisen, die weniger Einfluss auf impulsives Entscheidungsverhalten haben. Dadurch könnte das durch die Werbeelemente angesprochen impulsive Kaufverhalten für das beworbene Produkt begünstigt werden, was sich entsprechend in den Verkaufszahlen widerzuspiegeln scheint.

3.6 Beitrag 6

Beitrag 6 “Predicting sales of new consumer packaged products with fMRI, behavioral, survey, and market data” ist in den “Marketing Science Institute Working Paper Series” erschienen und derzeit in Begutachtung. Es wurden bereits vorläufige Ergebnisse auf den Konferenzen “42nd ISMS Marketing Science Conference 2020”, der “18th Annual Meeting of Society for Neuroeconomics 2020” sowie der “51st Annual Conference of the Association for Consumer Research 2020” vorgestellt und in diesem Rahmen veröffentlicht. Als interdisziplinäre, daten- und methodenübergreifende Studie ist es das Ziel dieses Beitrages, verschiedene Datentypen – Marktdaten, fMRT Daten, Umfragedaten und anreizkompatible Verhaltensdaten – zu nutzen, um eine erfolgreiche Vorhersage von Verkäufen für neue Produkte vor der Markteinführung zu treffen. Entsprechend wurden Markt- und Handelsdaten über Produkte mit traditionellen Umfrage- und Verhaltensdaten sowie neuralen Aktivitätsinformationen kombiniert, um den Absatz neuer Produkte vor der Markteinführung anhand verschiedener Regressionsanalysen zu prognostizieren. Um die entsprechenden Daten zu erhalten, wurden eine für die Zielgruppe repräsentative BefragungFootnote 8 online konzipiert, eine neurale Studie über die Wahrnehmung der Produkte mittels fMRT durchgeführt sowie Verkaufszahlen und weitere ökonomische Größen von einem beteiligten Handelspartner zur Verfügung gestellt. In der Befragung wurden etablierte Konstrukte zur Prognose von Kaufintentionen und Produktbewertungen gemessen. In der fMRT Studie wurden sowohl anreizkompatible Kaufintentionen, als auch neurale Aktivität während der Produktwahrnehmung, Preiswahrnehmung und Kaufentscheidung erfasst. Die Ergebnisse zeigen, dass das Hinzufügen von neuralen Daten die prädiktive Kraft der Vorhersagemodelle steigern kann, sodass Modelle die diesen Datentyp beinhalten die besten Vorhersagen ermöglichen.

Innerhalb des Reflektiv-Impulsiv Modells wird von zwei Verarbeitungsprozesstypen ausgegangen, die auf multidimensionale Weise miteinander interagieren können (Strack & Deutsch, 2004). Um Entscheidungsverhalten erfolgreich zu antizipieren, müssten entsprechend alle Prozesse umfassend betrachtet werden, da das Zusammenspiel beider Prozesstypen das Verhalten bestimmt (Strack & Deutsch, 2004). Dabei können neurowissenschaftlich fundierte Annahmen, sowohl bei der Datengewinnung als auch -verarbeitung unterstellt werden. Durch die Kombination unterschiedlichster Datentypen, von ökonomischen Kennzahlen über bekundete Einstellungen und anreizkompatiblen Bewertungen, hinzu neuralen Prozessen und letztlich tatsächlichen Verkaufszahlen, könnten in diesem Beitrag Indikatoren für verschiedene Verarbeitungsprozesse, die aus der Interaktion der beiden Prozesstypen entstehen, quantifiziert werden. Diese Kombination sollte für die Vorhersage erfolgreicher sein, da sie den zugrundeliegenden Verarbeitungsprozess umfassender abbildet, was durch die im Beitrag identifizierten Ergebnisse gezeigt werden kann. So könnten die neuralen Daten eventuell eher Indikatoren für den impulsiven Verarbeitungsprozesstyp liefern, wohingegen Befragungsdaten die reflektiven Verarbeitungsprozesse widerspiegeln könnten.

Tabelle 3.1 Zusammenfassende Darstellung der Beiträge 1 bis 6. Die Beiträge werden mit Autoren, Publikationsinformationen, Herangehensweise und Zielsetzung zusammengefasst