Zusammenfassung
Der Beitrag befasst sich mit der frühen Geschichte des deutschen Normungsinstituts DIN im Kontext gesellschaftlicher Rahmenbedingungen sowie spezifisch organisatorischer Fragen. Bezüglich ersterer werden die Reichsgründung 1871, das deutsche Modell des korporativen Kapitalismus, ein im internationalen Vergleich hoher Industrieanteil an der nationalen Wertschöpfung und eine starke Exportorientierung, sowie das im internationalen Spitzenfeld liegende Niveau technischer Bildung und Ingenieursorganisation hervorgehoben. Zweitere liegen auf den Feldern exzellenter Ingenieurs-Vorarbeiten bei der Firmen- sowie der Verbandsnormung um 1900, einer sehr aktiven nationalen Rezeption des efficiency movement, dem Momentum des Ersten Weltkrieges bzw. der besonderen Not der Nachkriegszeit sowie der zupackenden und professionellen Führung des 1917 gegründeten Normenausschusses. Bereits in der Zwischenkriegszeit galt das DIN als vorbildliche Normungsorganisation weltweit. Obwohl während und nach der NS-Zeit international schwere Einbußen hinzunehmen waren, konnten doch Teile dieser Vorbildwirkung bis ins 21. Jahrhundert hinübergerettet werden.
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Notes
- 1.
Vgl. dazu Wölker (1992).
- 2.
Darunter versteht man Industriezweige, deren Produktinnovationen stark auf wissensgetriebene Ressourcen insbesondere aus Physik und Chemie zurückgriffen. Vgl. dazu kritisch König 1995, S. 298–303.
- 3.
1869 erstes VDI-Normalprofil-Buch, 1881 Einheitliche Lieferbedingungen für Eisen und Stahl, 1886 „Normalbedingungen“ für die Lieferung von Eisenbauwerken.
- 4.
Ähnliches wird für Japan angenommen.
- 5.
Vor allem die Einrichtung von Laboren für Elektrotechnik-Studenten (König 1995, S. 19, 23–24, 40 u. a.).
- 6.
Siehe etwa Dittmann et al. 2021, insbes. S. 78–84.
- 7.
Im 19. Jahrhundert wurde zuerst in den USA ein „System of interchangeable Parts“ realisiert (Hounshell 1984, S. 25–26).
- 8.
Das Akronym DIN stand Jahrzehnte für Deutsche Industrie-Norm und heute für DIN Deutsches Institut für Normung e. V. Obwohl zunehmend Normen und Standards auch außerhalb des engeren Gebietes der Industrie ausgearbeitet werden, wurde das Akronym beibehalten, da es gut eingeführt, ja sogar (mit Querstrich oben) zu so etwas wie einer weltweiten Marke geworden war.
- 9.
Das alliierte Embargo des Ende 1918 geschlagenen Deutschlands wurde – trotz des zivilen Elends hierzulande – von den Alliierten bis Juni 1919 aufrechterhalten, mit allen industriepolitischen Konsequenzen (Luxbacher 2020, S. 83).
- 10.
Vgl. z. B. Bericht über die vierte Sitzung am 20. Oktober 1917 (o. J.), S. 12.
- 11.
Indirekt finanzierten die Unternehmen ihre Fachleute mit ihrer Arbeitszeit.
- 12.
Vgl. dazu Schultz und Kubu 2006.
- 13.
Zur weiteren Entwicklung zur deutsch-chinesischen Zusammenarbeit in der Normung siehe den Beitrag „Deutsch-chinesische Kooperation in der Normung“ von Sybille Gabler in diesem Herausgeberband.
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Luxbacher, G. (2022). „Weiter … als die Amerikaner“ – Das DIN Deutsches Institut für Normung e. V. im gesellschaftlichen Kontext des frühen 20. Jahrhunderts. In: Freimuth, J., Kaiser, S., Schädler, M. (eds) Normungs- und Standardisierungsstrategien in China und Indien. Springer Gabler, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-38204-9_3
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Online ISBN: 978-3-658-38204-9
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