Zusammenfassung
Graffiti gilt neben Rap, Breakdance und DJing als eines der vier Kernelemente der HipHop-Kultur. Charakteristisch für Graffiti im Kontext von HipHop ist eine Verbindung von Sprache und Bild(ern), auf die auch die Eigenbezeichnung „StyleWrtiting“ verweist. Das wiederum zieht eine Simultanität von Text und Visualisierung nach sich, deren zugrundeliegenden Sinnstrukturen und ästhetische Referenzen sich nicht ausschließlich durch die Analyse kommunikativer Artefakte erfassen lassen. Die Eigenlogik von Bildern als Zeichen und Symbole erfordert eine Interpretationsleistung auf mindestens zwei Ebenen: 1) Die Wirkung visueller Artefakte und 2) die Intendiertheit dieser Effekte. Die Herausforderung für empirische Zugänge besteht darin, szenetypisches (Kontext-)Wissen und damit einhergehende semantische Referenzen der produzierenden Akteure einerseits sowie mögliche Interpretationen durch Rezipient*innen andererseits methodisch stringent zu rekonstruieren. Im vorliegenden Beitrag werden in diesem Zusammenhang Potenziale und Herausforderungen verschiedener Ansätze (Bildhermeneutische Verfahren, Dokumentarische Methode, seriell-ikonografische Analyse, Grounded Theory) diskutiert sowie ein mögliches Vorgehen anhand der Analyse eines Graffito skizziert.
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Notes
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HipHop-Definition: Hip-Hop culture is defined as a movement which is expressed through various artistic mediums which we call ‚elements‘. The main elements are known as MC´ing (Rapping), DJing, Writing (Aerosol Art), several dance forms […] and the element which holds the rest together: KNOWLEDGE. (Africa Bambaataa, zitiert nach Androutsopoulos 2003, S. 26).
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Dazu dienen häufig Bücher, die als „black books“ bezeichnet werden und Skizzen und Fotografien von Graffiti enthalten.
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Die Besonderheit von Graffiti im Vergleich zu den anderen Elementen der HipHop-Kultur besteht darin, dass „fame“ über das Produkt bzw. Werk generiert wird, der Akteur als Person jedoch anonym agiert und nur Insidern bekannt ist.
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Hier ist anzumerken, dass auch analoge Medien durch Filter und andere Bearbeitungsmöglichkeiten manipulierbar sind. Dies ist jedoch weitaus aufwändiger, zudem sind digitale Medien gegenwärtig weitaus verbreiteter, zugänglich und vergleichsweise einfacher intuitiv zu bedienen.
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Dies ist in Zusammenhang mit Graffiti von besonderer Bedeutung, da Writer*innen in aller Regel anonym bleiben wollen.
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Panofsky versteht unter Ikonografie die Beschäftigung mit dem Unterschied zwischen a) Sujet (Bildgegenstand) sowie dessen Bedeutung und b) dessen Form (1975, S. 36).
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Auf die Bedeutung des Memo-Writing, um Prozesse der Theorieentwicklung nachvollziehen zu können, haben bereits Mey und Dietrich (2016) hingewiesen.
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Als Konzeptwand wird eine Komposition verschiedener Schriftelemente und figürlicher Darstellungen verstanden.
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Jams sind soziale Anlässe der Szene in Form von Events, im Rahmen derer ihre Elemente repräsentiert werden.
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Dieses Vorgehen verweist auf Parallelen zur von Hitzler (1986) beschriebenen „Attitüde der künstlichen Dummheit“, mit der er das Verhältnis von Soziologie und Alltag charakterisiert.
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Seit dem Jahr 2010 findet sich der Verweis auf „DARE“ in den Styles der Writerin.
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Schröer-Werner, S. (2022). StyleWriting – Potenziale und Herausforderungen forschungsmethodischer Zugänge zu szenetypischen Visualisierungen. In: Eisewicht, P., Lintzen, LM. (eds) Dirty Hands. Erlebniswelten. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-37799-1_12
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