Die Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden ist ein neues Forschungsthema im Spannungsfeld von Corporate-Governance- und kommunikationswissenschaftlicher Forschung. Ein zentrales Ziel der Arbeit ist es daher, das Phänomen der ARV-Kommunikation aus diesen beiden Forschungstraditionen konzeptionell zu erschließen, um ein Verständnis von Rahmenbedingungen, Anforderungen und Aufgaben zu erhalten.

Aufsichtsratsvorsitzende konnten als relevante Kommunikatoren für (börsennotierte) Unternehmen etabliert werden. Unterschiedliche Anspruchsgruppen der ARV-Kommunikation konnten theoretisch hergeleitet sowie deren Anforderungen empirisch untersucht werden. Aufgrund der formal-strukturellen Position des Aufsichtsrats müssen die Strukturen und das Management der Kommunikation jedoch anders aufstellt werden als im bisherigen Verständnis der Kommunikationsmanagement-Forschung. Eine zentrale Voraussetzung ist dabei eine definierte Verantwortlichkeit innerhalb der Kommunikationsfunktionen für das Kommunikationsmanagement der ARV-Kommunikation geben sollte. Die ARV-Kommunikation wurde im Rahmen der Arbeit sowohl aus externer als auch interner Perspektive untersucht. Die Kernaussagen der Studie werden anhand der Forschungsfragen in Abschnitt 9.1 noch einmal rekapituliert.

Die Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden hat in der bisherigen Forschung kaum Beachtung gefunden. Die Corporate-Governance-Forschung betrachtet zwar die Funktionen des Gremiums, hat bisher die kommunikative Rolle von Aufsichtsratsvorsitzenden ausgeblendet. Die kommunikationswissenschaftliche Forschung hat wiederum Aufsichtsratsvorsitzende als relevante Kommunikatoren für (börsennotierte) Unternehmen nicht beachtet. Daher wird in Abschnitt 9.2 die Relevanz der ARV-Kommunikation für die Corporate-Governance- sowie die kommunikationswissenschaftliche Forschung zusammengefasst.

Da die ARV-Kommunikation ein empirisches Phänomen darstellt, das sich weiter dynamisch verändert, werden in Abschnitt 9.3 die Erkenntnisse für die Praxis verdichtet dargestellt. Abschließend werden auf Basis einer kritischen Reflexion die Grenzen sowie Ansatzpunkte für weitere Forschung aufgezeigt (Abschnitt 9.4).

9.1 Kernaussagen

Die Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden wurde in dieser Arbeit aus zwei Perspektiven zu betrachtet: Aus der externen Perspektive, indem die Anforderungen an die Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden analysiert wurden, sowie internen Perspektiven, indem die Strukturen der Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden innerhalb der Unternehmen konzeptualisiert und die Bandbreite der internen und externen Maßnahmen dargestellt wurden, um darauf basierend die Kommunikation innerhalb des Kommunikationsmanagements zu verorten.

In diesem Kapitel sollen anhand von sechs Kernaussagen die wichtigsten Ergebnisse der Arbeit rekapituliert und auf die Forschungsfragen zurückbezogen werden. Als Erstes werden die Erkenntnisse aus externer Perspektive vorgestellt, die im Rahmen der institutionellen Analyse die Strukturmomente und damit Rahmenbedingungen aufschlüsseln sollen, auf die die Akteure weitgehend unbewusst zurückgreifen. Um die Anforderungen an die ARV-Kommunikation zu identifizieren, wurden zwei methodische Schritte durchgeführt. Mithilfe einer Inhaltsanalyse von Medienberichten und Analystenreports, hinsichtlich der Äußerungen von Aufsichtsratsvorsitzenden sowie Anlässe und Themen der Berichterstattung, wurden die Diskurse in der gesellschaftspolitischen Öffentlichkeit und Kapitalmarktöffentlichkeit aufgezeigt. Auf dieser Basis kann gezeigt werden, wie die öffentlichen Äußerungen von Aufsichtsratsvorsitzenden von den wichtigen Intermediären in den beiden relevanten Öffentlichkeitsarenen rezipiert werden. Schließlich können aus der Relevanz dieser Themen Anforderungen an die ARV-Kommunikation entstehen.

Rezeption der öffentlichen Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden

Aufgrund einer zunehmenden öffentlichen Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden wurde zunächst analysiert, wie in den Jahren 2016 und 2017 in deutschen Tages- und Wirtschaftsmedien sowie Analystenreports über Aufsichtsratsvorsitzende berichtet wurde (Forschungsfrage 1).

  1. I.

    Die Thematisierung von Aufgaben des Aufsichtsrats in der medialen Berichterstattung basiert sowohl auf den Publizitätspflichten der Unternehmen als auch zunehmend freiwilligen Äußerungen von Aufsichtsratsvorsitzenden. In Analystenreports finden Aufsichtsratsthemen selten Einklang.

Die Berichterstattung in den Tages- und Wirtschaftsmedien thematisiert die operativen und strategischen Entwicklungen von Unternehmen, dazu gehören auch Themen, die in den Aufgabenbereich des Aufsichtsrats fallen. Die öffentliche Aufmerksamkeit hinsichtlich der Tätigkeiten und Entscheidungskompetenzen des Gremiums ist jedoch unterschiedlich stark ausgeprägt: So sind etwa Personal- und Vergütungsthemen deutlich häufiger ein Thema als etwa die Abschlussprüfung. Die Erkenntnisse zeigen, dass sich ein Großteil der Medienberichterstattung (60,3 %) auf die Regelkommunikation des Aufsichtsrats sowie auf Äußerungen von Aufsichtsratsvorsitzenden als kollektiven Sprecher im Rahmen der Publizitätspflichten (42,3 %) bezieht. Die Publizitätspflichten des Aufsichtsratsgremiums werden demnach nicht nur den Kapitalmarktakteuren, sondern auch von den Medien beider Öffentlichkeitsarenen rezipiert. Durch die Vermittlerrolle der Medien können sich aufsichtsratsrelevante Themen auch bei der breiteren Öffentlichkeit durchsetzen, wodurch sich öffentliche Meinungen zu Themen, wie z. B. Vorstandsvergütung, bilden können. Daher sollten sich die Kommunikationsfunktionen der Unternehmen bei der Vorbereitung der Publizitätspflichten des Aufsichtsrats darüber bewusst sein, dass sie, z. B. durch Zitate von Aufsichtsratsvorsitzenden in Pressemitteilungen, auch dessen mediales Profil beeinflussen bzw. schärfen.

Deutlich seltener basiert die Medienberichterstattung bisher auf freiwilligen Äußerungen von Aufsichtsratsvorsitzenden (16,1 %), etwa bei Interviews, oder auf einer personalisierten Berichterstattung über Aufsichtsratsvorsitzende (20,7 %). Darüber hinaus äußern sich Aufsichtsratsvorsitzende bisher nur in wenigen Fällen als individuelle Sprecher bzw. Privatpersonen zu Anlässen außerhalb des Unternehmenskontexts (2,2 %). Aus den Erkenntnissen der Medienanalyse kann abgeleitet werden, dass eine Personalisierung von Aufsichtsratsvorsitzenden bisher selten stattfindet.

Weiterhin zeigen die Erkenntnisse, dass aufsichtsratsspezifische Themen sowie freiwillige Äußerungen von Aufsichtsratsvorsitzenden bisher nur selten in Analystenreports aufgenommen werden. Dies könnte damit zusammenhängen, dass die Publizitätspflichten des Aufsichtsrats nur bedingt einen Anlass für Analysten bieten, einen Analystenreport zu verfassen oder die zugrunde liegenden Bewertungsmodelle anzupassen. Gleichzeitig zeigt sich aber auch die Rolle der Medien als Multiplikator, da Äußerungen von Aufsichtsratsvorsitzenden in Medien in einzelnen Fällen in Analystenreports aufgenommen wurden.

Zusammenfassend lässt sich daher festhalten, dass es ein relevantes Interesse der Intermediären an Corporate-Governance-Themen gibt, die im Aufgabenbereich des Aufsichtsrats liegen. Um damit einhergehende Informationsbedürfnisse konkret beschreiben zu können, wurden anschließend Experteninterviews mit den Anspruchsgruppen der ARV-Kommunikation geführt, die basierend auf den theoretischen Ausführungen sowie der Medienanalyse identifiziert wurden.

Erwartungen der Anspruchsgruppen an die Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden

Im zweiten methodischen Schritt wurden die Erwartungen der Anspruchsgruppen aus der Kapitalmarkt- und gesellschaftspolitischen Öffentlichkeit an die Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden untersucht (Forschungsfrage 2).

  1. II.

    Die Erwartungen der Anspruchsgruppen an die Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden richten sich vor allem auf umfangreiche und aktuelle Informationen hinsichtlich der Aufsichtsratstätigkeit. Bei einem Dialog mit Aufsichtsratsvorsitzenden erwarten die befragten Investoren ihre Positionen zu Corporate-Governance-Themen einbringen zu können, aber auch einen persönlichen Eindruck von der Person zu erhalten. Allen Anspruchsgruppen ist es wichtig, dass ihre spezifischen Interessenlagen und Perspektiven erkannt und in der ARV-Kommunikation berücksichtigt werden.

Die befragten Experten können ihre Erwartungen an die Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden klar formulieren: Sie wünschen sich umfangreiche und aktuelle Informationen in Bezug auf die Arbeit und Entscheidungsfindung im Aufsichtsratsgremium. Diese Transparenzanforderungen können bisher zum großen Teil durch die Publizitätspflichten abgedeckt werden. Der jährliche Aufsichtsratsbericht als umfassende Informationsgrundlage fasst die Arbeit jedoch rückblickend zusammen, daher wünschen sich die Stakeholder zukünftig aktuellere, aber nicht weiter spezifizierte, Kommunikationsmaßnahmen. Insgesamt liegen die Erwartungen der Stakeholder an die Kommunikation in normalen, aber auch in Sondersituationen für das Unternehmen nicht weit auseinander.

Aus den Expertengesprächen zeigt sich vielmehr die Erwartung, dass die Unternehmensakteure die unterschiedlichen Interessenlagen und Perspektiven der Stakeholder kennen und entsprechend berücksichtigen. Insbesondere die befragten Investoren sehen den Dialog mit Aufsichtsratsvorsitzenden als legitime Anforderung an, da diese die gewählten Vertreter ihrer Interessen seien. In den Gesprächen möchten sie sowohl ihre Positionen zu Corporate-Governance-Themen einbringen als auch einen persönlichen Eindruck der Personen erhalten, um Anlageentscheidungen gegenüber ihren Anlegern rechtfertigen zu können. Diese Erkenntnisse müssen insofern in Kontext gesetzt werden, da es sich bei den befragten Investoren um Personen handelt, die sich bereits medial zum Thema Investorendialog geäußert haben und dem Dialog daher ggf. interessierter gegenüberstehen als andere Anleger.

Die Erwartung der befragten Vertreter von Stimmrechtsberatungen liegt darin, faktische Fragen zu klären, wobei ihre Analysearbeit ausschließlich auf öffentlich verfügbaren Informationen beruhe. Trotzdem erhoffen sie sich Hintergrundinformationen aus diesen Gesprächen ebenso wie ihre Corporate-Governance-Prinzipien mitteilen zu können.

Weiterhin sind Aufsichtsratsvorsitzende schon lange Quellen für die mediale Berichterstattung. Daher hoffen die befragten Journalisten bei einer freiwilligen Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden auf Informationen, etwa in Interviews oder Hintergrundgesprächen, um Situationen besser einordnen zu können. Gleichzeitig erwarten sie, dass Aufsichtsratsvorsitzende die Spielregeln in Mediengesprächen kennen und verstehen, wie Journalisten handeln.

Die Anforderungen der Anspruchsgruppen an die Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden verändern sich in Sondersituationen. Dabei steigt insbesondere der Orientierungsbedarf aller befragten Stakeholder in einer Krise und damit die Erwartung an eine punktuelle freiwillige Kommunikation.

Durch die Kombination der beiden Analysen konnte gezeigt werden, wie die Rezeption der öffentlichen Äußerungen von Aufsichtsratsvorsitzenden sowie die Erwartungen der Anspruchsgruppen zu Anforderungen an die ARV-Kommunikation werden. Diese Anforderungen können als (unerkannte) Handlungsbedingungen einen Einfluss auf die Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden nehmen.

Strukturen und Maßnahmen der Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden

Anschließend wurden im Rahmen der strategischen Analyse aus interner Perspektive die Handlungen der Unternehmensakteure verstehend rekonstruiert. Das Ziel dabei war es, die Strukturen der Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden innerhalb der Unternehmen zu konzeptualisieren sowie die internen und externen Kommunikationsmaßnahmen darzustellen, um auf dieser Basis die ARV-Kommunikation innerhalb des Kommunikationsmanagements zu verorten. Dafür wurden Experteninterviews mit Aufsichtsratsvorsitzenden geführt, sowie mit Verantwortlichen für Investor Relations und Public Relations aus den jeweiligen Unternehmen.

Zunächst sollte damit die Forschungsfrage 3 zu den Strukturen und Maßnahmen der Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden beantwortet werden. Mithilfe eines theoretisch hergeleiteten strukturationstheoretischen Analyserahmen wurden die Strukturen der ARV-Kommunikation konzeptualisiert. Ergänzend dazu wurden die theoretisch hergeleiteten Kommunikationsmaßnahmen innerhalb der Unternehmensöffentlichkeit sowie mit externen Anspruchsgruppen empirisch überprüft. So konnte gezeigt werden, mit welchen Anspruchsgruppen wie oft und in welcher Form eine Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden stattfindet.

  1. III.

    In den Unternehmen sind die Strukturelemente bedeutsam, die Aufsichtsratsvorsitzenden den Zugang zu Informationen ermöglichen. Das Aktiengesetz und die Anregung zum Investorendialog im DCGK stellen die Normen dar, auf die sich die kommunikativen Handlungen der Akteure meist beziehen. Eine Modifizierung von Strukturen ist insbesondere durch die Einschätzung zur Relevanz von Kommunikation und der personellen Unterstützung der Investor-Relations- & Public-Relations-Abteilung bedingt – diese führen jedoch nicht zwangsläufig zu einer aktiveren externen Kommunikation.

Die formal-strukturelle Position des Aufsichtsrats im Unternehmen bedingt die Aufgaben und das Handeln der Akteure. Sie nimmt damit Einfluss auf die Strukturen der Kommunikation, z. B. bezüglich der Entscheidungskompetenz zu aufsichtsratsrelevanten Themen. Während das Aktiengesetz als stabile und eher limitierende Norm wahrgenommen wird, stellt die Anregung zum Investorendialog im DCGK diejenige Norm dar, auf die sich die Erwartungen der externen Anspruchsgruppen, allen voran der Investoren, beziehen. Vor diesem Hintergrund haben sich Strukturen langsam verändert – und werden sich bei steigenden Anforderungen weiter verändern.

Der Vorteil von Giddens (1997) inspirierter Organisationstheorie ist es, dass Stabilität und Wandel prinzipiell gleichberechtigt auftreten können. So lassen sich in Bezug auf die Strukturen der Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden keine schnellen Veränderungen, sondern eher eine Trägheit und schrittweise Modifikation identifizieren. Als Ausgangspunkt konnten vor allem unternehmerische Sondersituationen identifiziert werden, in denen einzelne Aufsichtsratsvorsitzende ihre Kommunikation veränderten. Dies hat zu einem Wandel in dem jeweiligen Unternehmen aber auch in den Anforderungen der Anspruchsgruppen geführt.

Der Zugang zu Informationen stellt für Aufsichtsratsvorsitzende die zentrale allokative Ressource für ihre Arbeit sowie Kommunikation dar. Neben den aktienrechtlich geregelten Berichtspflichten haben sich z. B. Briefings nach den Quartalszahlen etabliert, die explizit auf die Wahrnehmung der externen Stakeholder zielen. Diese Entwicklung kann als Teil einer generellen Professionalisierung der Aufsichtsratstätigkeit gewertet werden, wobei Kommunikation eine wichtige Grundlage darstellt.

Eine Modifikation von Strukturen ist vor allem durch die Einschätzung zur Relevanz von Kommunikation bedingt, die als Interpretationsmuster das Handeln der Akteure rationalisiert. Für ein gemeinsames Verständnis und eine professionelle Unterstützung und Beratung ist dabei die personelle Unterstützung der IR- und PR-Abteilung relevant. Ein etablierter Austausch mit den Kommunikationsfunktionen führt jedoch nicht zwingend zu einer aktiveren externen Kommunikation.

  1. IV.

    Die Publizitätspflichten des Aufsichtsrats werden bereits seit langem im Rahmen der Regelkommunikation umgesetzt. Der Investorendialog befindet sich in einem dynamischen Entwicklungsprozess, betrifft jedoch bisher nur einen Teil der Unternehmen – wobei alle Unternehmen über einen Modus Operandi nachdenken. Darüber hinaus finden freiwillige Kommunikationsmaßnahmen von Aufsichtsratsvorsitzenden insbesondere mit Medien, wie Interviews oder Hintergrundgespräche, aber auch ein persönlicher Dialog mit Stimmrechtsberatern sowie Politikern statt. Innerhalb der Unternehmen nutzen Aufsichtsratsvorsitzende vor allem persönliche formelle oder informelle Gespräche.

Innerhalb des Unternehmens stehen der Austausch mit dem Vorstand und die Informationsversorgung des Aufsichtsrats, als Grundlage der Aufsichtsratsarbeit, im Vordergrund. Darüber hinaus beruht ein Dialog mit internen Anspruchsgruppen, insbesondere den Führungskräften, auf persönlichen formellen und informellen Gesprächen. Die Art und Weise sowie die Frequenz und Intensität der Kommunikation obliegt dabei den Aufsichtsratsvorsitzenden, dem persönlichen Kommunikationsstil und in Bezug auf die Strukturen, vor allem der Beziehung zum Vorstand sowie der Einschätzung zur Relevanz von Kommunikation.

Bei den Publizitätspflichten des Aufsichtsrats handelt sich vor allem meist um schriftliche, einseitig nach außen gerichtete Kommunikationsmaßnahmen, die bereits seit langem im Rahmen der Regelkommunikation von Unternehmen umgesetzt werden.

In Bezug auf die externe ARV-Kommunikation mit dem Kapitalmarkt hat die Anregung zum Investorendialog im DCGK einen nachweisbaren Impuls gegeben, da sich alle befragten Unternehmen dieser neuen Norm bewusst sind. Auch die Unternehmen, bei denen es noch zu keinen Anfragen von Investoren gekommen ist, haben sich grundsätzlich Gedanken dazu gemacht, wie sie damit umgehen würden. In den Unternehmen, in denen bereits Gespräche geführt werden, versuchen die IR-Verantwortlichen entsprechende Abläufe zu etablieren. Zusammenfassend kann daher festgehalten werden, dass Unternehmensakteure in Bezug auf die Kommunikation mit Investoren einen Modus Operandi definieren.

Fragen von Stimmrechtsberatern, auch in Bezug auf aufsichtsratsrelevante Themen, werden von der IR-Abteilung beantwortet, nur in einzelnen Fällen kam es bisher auch zu einem Dialog mit Aufsichtsratsvorsitzenden. Die Tatsache, dass die Arbeit von Stimmrechtsberatern auf öffentlichen Informationen basiert, rationalisiert das Handeln der Unternehmensakteure.

Anhand der gesellschaftspolitischen Öffentlichkeit zeigt sich die Grenze zwischen der Pflichtkommunikation des Aufsichtsrats auf der einen Seite und einer freiwilligen Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden auf der anderen Seite. Aus Sicht der Experten sei das tatsächliche Interesse der Medien an einem Austausch mit Aufsichtsratsvorsitzenden abhängig vom Unternehmen sowie der Situation. Bei der Umsetzung und Bewertung einer freiwilligen Kommunikation mit den Medien zeigen sich erhebliche Unterschiede zwischen den befragten Unternehmen. So gibt es Unternehmen, bei denen es keine Medienaktivitäten von Aufsichtsratsvorsitzenden gibt, während andere Unternehmen unterschiedliche Maßnahmen, wie Interviews oder Hintergrundgespräche, zu bestimmten Themen einsetzen. Darüber hinaus lässt sich feststellen, dass die Beziehungen von Aufsichtsratsvorsitzenden mit Journalisten ebenfalls einen ermöglichenden Einfluss auf die Durchführung der freiwilligen ARV-Kommunikation haben.

Auch die Nutzung von persönlichen Social-Media-Kanälen durch Aufsichtsratsvorsitzenden wurde in den Gesprächen thematisiert. Bei den meisten Aufsichtsratsvorsitzenden ist dies zwar noch nicht der Fall, kann aber zukünftig eine Herausforderung darstellen, wenn Personen, die Social-Media-Kanäle bereits in ihrer Vorstandszeit intensiv nutzen, in ein Aufsichtsratsmandat wechseln.

Darüber hinaus wurde in den Expertengesprächen thematisiert, dass es in einigen Fällen auch zu einem Dialog von Aufsichtsratsvorsitzenden mit Politikern bzw. Regulierungsbehörden gekommen ist. Dabei handelte es sich entweder um einen Antrittsbesuch des Aufsichtsratsvorsitzenden oder um eine Sondersituation, wobei der CEO stets Teil dieser persönlichen Gespräche war.

Die Bandbreite und Intensität der Kommunikationsmaßnahmen von Aufsichtsratsvorsitzenden kann in Sondersituationen, insbesondere in Krisen, sowohl intern (Austausch mit dem Vorstand, Mitarbeiterversammlungen) als auch extern (Investorengespräche, Interviews, Hintergrundgespräche) zunehmen. Dabei ist für alle Experten jedoch wichtig, dass die Kommunikation zeitlich begrenzt ist und sich auf die Aufgaben des Aufsichtsrats bezieht – entsprechend hält die strukturelle Veränderung auch nur für den entsprechenden Zeitraum an.

Kommunikationsmanagement der Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden

Die Kenntnis über die Strukturen und die Maßnahmen der Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden bilden die Basis dafür, die Verortung der Kommunikation im Kommunikationsmanagement beschreiben und diskutieren zu können.

Die formal-strukturelle Position des Aufsichtsrats stellt eine Herausforderung dafür dar, wie die ARV-Kommunikation im Kommunikationsmanagement verortet wird. Die theoretischen Ausführungen zum Kommunikationsmanagement haben gezeigt, dass die Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden anders charakterisiert werden muss, da sich die Ziele nicht wie im bisherigen Verständnis der Kommunikationsmanagement-Forschung aus der Unternehmensstrategie ableiten lassen. Zudem handelt es sich um einen neuen und relevanten Kommunikator für das Unternehmen, dessen Publizitätspflichten zwar bereits seit dem Langem im Rahmen der Regelkommunikation umgesetzt werden, es jedoch nur in wenigen Fällen eine klare Verantwortlichkeit innerhalb der Kommunikationsfunktionen für diese sowie die freiwillige Kommunikation gibt. Zunächst wurde daher diskutiert, wer für das Kommunikationsmanagement der ARV-Kommunikation verantwortlich sein sollte.

  1. V.

    Die Investor-Relations- und Public-Relations-Abteilungen nehmen zwar bereits eine ermöglichende und beratende Rolle bei der Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden ein, in nur wenigen Fällen gibt es bislang jedoch klare Verantwortlichkeiten oder dezidierte Kapazitäten für die ARV-Kommunikation. Für eine professionelle Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden ist es notwendig, dass es eine klare Verantwortlichkeit für dessen Kommunikationsmanagement gibt. Davon profitieren einerseits die Aufsichtsratsvorsitzenden durch die personelle Unterstützung, andererseits aber auch die Kommunikationsverantwortlichen, indem sie dadurch eine bessere Kommunikation zu aufsichtsratsrelevanten Themen umsetzen können.

Die Publizitätspflichten des Aufsichtsrats werden bereits seit langem im Rahmen der Regelkommunikation des Unternehmens umgesetzt. Darüber hinaus wurden in den PR-Abteilungen in einigen Fällen feste Ansprechpartner für die Aufsichtsratsvorsitzenden definiert, wodurch sich ein vertrauensvolles Verhältnis mit einer intensiveren beratenden Funktion etabliert hat. Dem gegenüber scheint die IR-Abteilung bisher eher eine unterstützende Rolle einzunehmen, obwohl beim Investorendialog ebenfalls eine Beratung innerhalb der einzelnen Planungsschritte stattfindet.

Insgesamt zeigen die Experteninterviews, dass in nur wenigen Fällen auch entsprechend organisationale Strukturen und Berichtslinien für die ARV-Kommunikation etabliert wurden. Dies stellt ein Governance-Problem dar, da es zu Interessenkonflikten zwischen dem Aufsichtsrat und Vorstand, an den die Kommunikationsfunktionen üblicherweise berichten, kommen könnte. Es braucht daher eigene Kommunikationsverantwortliche bzw. Sprecher für die ARV-Kommunikation oder mindestens feste Ansprechpartner in den Kommunikationsfunktionen mit dezidierten Kapazitäten für die ARV-Kommunikation. Die Verantwortlichen müssten eine entsprechende Unabhängigkeit innerhalb der Abteilung haben, da es Themen geben kann, die mit den Kollegen bis zur Veröffentlichung nicht geteilt werden können. Solch ein Vorgehen ist bei Sondersituationen, wie Übernahmen, in der Praxis üblich.

Durch einen direkten Austausch bzw. Zusammenarbeit kann es ein systematisches Kommunikationsmanagement für die ARV-Kommunikation geben, wobei die Kommunikationsverantwortlichen für die interne Abstimmung mit den Kommunikationsfunktionen und ggf. dem Vorstand zuständig sind. Die Kommunikationsverantwortlichen profitieren insofern, da sie einen Einblick in die Argumentation der Aufsichtsratsvorsitzenden zu aufsichtsratsspezifischen Themen erhalten und dieses Wissen für die weitere Kommunikation nutzbar machen können.

  1. VI.

    Das Kommunikationsmanagement für die Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden steht noch am Anfang. Sowohl die Analyse, Planung als auch Evaluation der Kommunikation sind inkonsistent und lückenhaft. Die Herstellung von Transparenz sowie die Beziehungspflege mit internen und externen Anspruchsgruppen stellen die zentralen Ziele für die Kommunikation dar. Eine Kommunikationsordnung für den Aufsichtsrat kann eine Grundlage für das Kommunikationsmanagement darstellen.

Aufgrund der fehlenden Organisation und Verantwortlichkeit für die ARV-Kommunikation in den Kommunikationsfunktionen sind bislang weder Analyse, Planung noch Evaluation für die Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden etabliert.

Abgeleitet aus der Aufsichtsratstätigkeit sind Transparenz und Beziehungspflege mit internen und externen Anspruchsgruppen die zentralen Kommunikationsziele für die Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden (Abschnitt 5.2). Diese Ziele konnten im Rahmen der empirischen Analyse bestätigt sowie weitere Ziele identifiziert werden. In Bezug auf interne Anspruchsgruppen sind dies z. B., Fachfragen zu klären sowie einen persönlichen Eindruck vom Führungspersonal für die Nachfolgeregelung und bezüglich der Unternehmenskultur zu erhalten. Hinsichtlich der externen ARV-Kommunikation soll zudem erreicht werden, dass das Unternehmen als gut geführt wahrgenommen werden, da sich dies positiv auf die Unternehmensreputation auswirke.

Für die Entwicklung eines Kommunikationsmanagements wurde daher in Abschnitt 8.2.4 die Einführung einer Kommunikationsordnung für den Aufsichtsrat vorgeschlagen. Dies würde eine strukturbildende Grundlage darstellen, die die Kommunikation des Gremiums mit Investoren und weiteren Stakeholdern umfassend regelt. Daraus abgeleitet könnten die Verantwortlichen für die ARV-Kommunikation ein Kommunikationsmanagement aufbauen.

9.2 Relevanz für die Forschung

Die Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden ist ein interdisziplinäres Forschungsthema an der Schnittstelle von Corporate-Governance-Forschung und Kommunikationswissenschaft. Ein zentrales Ziel war es daher, das Phänomen der ARV-Kommunikation aus diesen beiden Forschungstraditionen konzeptionell zu erschließen, um ein Verständnis von Rahmenbedingungen, Anforderungen und Aufgaben zu erhalten. Im Folgenden soll nun der wissenschaftliche Ertrag der vorliegenden Arbeit für beide Forschungstraditionen beschrieben werden.

In der wirtschafts- und rechtswissenschaftlichen Corporate-Governance-Forschung zum Aufsichtsrat stehen Themen der Zusammensetzung, Vergütung und Informationsversorgung im Mittelpunkt (Grundei & Zaumseil, 2012; Hommelhoff et al., 2009; Metten, 2010; Welge & Eulerich, 2014). Seit der Aufnahme des Investorendialogs in den DCGK haben sich zudem einzelne Dissertationen aus juristischer Sicht mit der Zulässigkeit des Dialogs beschäftigt (Landsittel, 2019; Reutershahn, 2019).

Die vorliegende Arbeit erweitert erstmalig den Diskurs um die umfassende Betrachtung der internen und externen Kommunikation des Aufsichtsrats(vorsitzenden). Dafür werden zunächst theoretisch die verschiedenen Anspruchsgruppen der ARV-Kommunikation, neben den Anteilseignern, abgeleitet und etabliert. Zudem wird sowohl theoretisch als auch empirisch gezeigt, dass die Kommunikation des Aufsichtsratsgremiums im Allgemeinen und von Aufsichtsratsvorsitzenden im Speziellen nicht nur aus gesetzlichen Pflichten besteht, sondern auch aus den formellen und informellen Kommunikationsprozessen zwischen den Akteuren im Gremium, dem Vorstand, Führungskräften und Kommunikationsverantwortlichen sowie den externen Stakeholdern in verschiedenen Öffentlichkeitsarenen. Die rechtswissenschaftlich geprägte Diskussion zu einer Kommunikationsordnung für den Aufsichtsrat wird schließlich um die kommunikationswissenschaftlichen Erkenntnisse der Arbeit erweitert. Aufgrund der gewählten Perspektive des Kommunikationsmanagements sind die Erkenntnisse zur Kommunikation, hinsichtlich der Management-Prozesse und Strukturen, leicht anschlussfähig an die Managementforschung innerhalb der Wirtschaftswissenschaften.

Da sich das Forschungsthema in einem dynamischen Wandlungsprozess befindet, bietet das erarbeitete Analyseraster zukünftiger Forschung ein Instrumentarium, um die weitere Modifikation von Strukturen der Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden zu bestimmen. Darauf basierend könnten auch andere Strukturen innerhalb, wie etwa das Zusammenspiel von Vorstandsvorsitzenden und Aufsichtsratsvorsitzenden, oder außerhalb der Unternehmen analysiert werden. Zudem bietet es Ansatzpunkte, um die Erkenntnisse zu den Strukturen auch auf andere Corporate-Governance-Systeme zu übertragen.

Für die kommunikationswissenschaftliche Forschung ist die vorliegende Arbeit in zweierlei Hinsicht relevant. Einerseits für die Kommunikatorforschung als zentrales Teilgebiet der Kommunikationswissenschaften, die sich zunächst vor allem mit Journalisten beschäftigte (Löffelholz, 1997; Pürer, 1997), den Blick dann aber auf PR-Kommunikatoren (Bentele, 1997) und schließlich auf Kommunikationsmanager erweiterte (Falkheimer et al., 2016; Grunig et al., 2002). Der Wandel der (sozialen) Medien bringt heute weitere neue Kommunikatoren, wie etwa Influencer, hervor (Schach & Lommatzsch, 2018). In Bezug auf Unternehmensmitglieder hat sich in den vergangenen Jahren vor allem die CEO-Kommunikation als Teildisziplin etabliert (Deekeling & Arndt, 2014; Sandhu & Zielmann, 2010; Zerfaß et al., 2016; Zerfaß & Sandhu, 2006) und auch der Finanzvorstand wird als Akteur der Kapitalmarkkommunikation angesehen (Hoffmann et al., 2020). Aus diesem strategisch-instrumentellen Verständnis werden mit dieser Arbeit auch Aufsichtsratsvorsitzende als wichtige Kommunikatoren im Rahmen der Kommunikation von Unternehmen eingeführt. Anhand der Systematisierung von Szyszka (2008) sind Aufsichtsratsvorsitzende als Akteure der sekundären Unternehmensführung formelle Organisationskommunikatoren. Nach der Systematisierung von Bentele (1997) können Aufsichtsratsvorsitzende sowohl als Fachkommunikatoren, funktionale Kommunikatoren sowie personale und korporative Kommunikatoren angesehen werden. Anhand der vorgeschlagenen Einordnung (Abschnitt 4.3.3) können Aufsichtsratsvorsitzende im Rahmen der Kommunikatorforschung zukünftig weitergehend betrachtet werden.

Die Forschung zu Kommunikationsmanagement und der Wertschöpfung von Kommunikation für Unternehmen entwickelt sich stetig weiter (Gregory, 2018; Hallahan, 2013; Zerfaß, 2014; Zerfaß & Volk, 2020). Auch hier kann die vorliegende Arbeit anschließen und neue Impulse setzen.

Erstens problematisiert die Arbeit das Kommunikationsmanagement in Bezug auf diejenigen Akteure, deren Handeln nicht den unternehmerischen Zwängen unterliegt. Aufsichtsratsvorsitzende sind per Definition zwar Teil des Unternehmens, jedoch setzt der Aufsichtsrat als Teil der Corporate Governance die Rahmenbedingungen für das Handeln des Vorstands. Dementsprechend wurde argumentiert, dass Kommunikationsziele bzw. der Wertbeitrag der Kommunikation nicht, wie im bisherigen Verständnis der Forschung, aus den Unternehmenszielen abgeleitet werden können (Abschnitt 5.2). Vielmehr beziehen sie sich auf die inhärenten Aufgaben des Gremiums, sodass Transparenz und Beziehungspflege als zentrale Ziele der Aufsichtsratskommunikation definiert werden konnten. Die Integration dieser Ziele mit den Zielen der Kommunikationsfunktionen konnte für die Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden skizziert werden.

Weiterhin wurde aufgezeigt, dass bei einem neuen relevanten Kommunikator für das Unternehmen zunächst definiert werden muss, wer überhaupt für das Kommunikationsmanagement zuständig ist. In der bisherigen Forschung konnten neue Kommunikatoren, Themen oder Kanäle in das bestehende Kommunikationsmanagement integriert werden. Die ARV-Kommunikation stellt jedoch eine besondere Herausforderung dar, daher ist es notwendig die Aufbauorganisation anzupassen, um mögliche Interessenkonflikte zwischen Vorstand und Aufsichtsrat zu vermeiden.

Dabei werden auch die Grenzen des Kommunikationsmanagements problematisiert: Die bisherige Forschung fokussiert meist auf die Corporate-Communications-Abteilung, während es nur wenige Studien zum Kommunikationsmanagement der Investor-Relations-Abteilung gibt (Hoffmann & Tietz, 2018). Die Erkenntnisse der Arbeit zeigen, dass Kommunikationsmanagement, gerade in Hinblick auf die Akteure der Unternehmensführung, aber von beiden Abteilungen durchgeführt und entsprechend abgestimmt sein sollte. Aufsichtsratsvorsitzende benötigen strategisch-beratende und operativ-unterstützende Kommunikationsexperten an ihrer Seite, die ihr Handeln miteinander abstimmen. Auf dieser Basis wurde schließlich aufgezeigt, dass die Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden noch nicht in das Kommunikationsmanagement eingebunden ist und präsentiert Ansatzpunkte, wie dies geschehen kann.

Zusammenfassend konnte mit der vorliegenden Arbeit verdeutlichen werden, welche Herausforderungen sich für die Kommunikationsmanagement-Forschung ergeben, wenn ein neuer Kommunikator hinzukommt – und dies gibt gleichzeitig Impulse für die Weiterentwicklung der Forschungsstränge.

9.3 Erkenntnisse für die Praxis

Die Arbeit steht in der Tradition von Studien, die gleichzeitig kommunikationswissenschaftliche Grundlagenforschung als auch Erkenntnisse für die Kommunikationspraxis als möglich erachten (Stehle, 2015, S. 38; Zerfaß, 2010, S. 23). Daher sollen im Folgenden die umfangreich dargestellten empirischen Ergebnisse für die Kommunikationspraxis verdichtet werden. Dieser Teil richtet sich damit sowohl an Aufsichtsratsvorsitzende als auch Verantwortliche für Investor Relations und Public Relations, die sich Gedanken zur grundsätzlichen Ausrichtung der Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden machen.

Dafür werden (1) die Erkenntnisse zu den Strukturen für die Verantwortlichen der IR- und PR-Abteilungen pointiert aufbereitet. Dabei wird hervorgehoben, welche Ressourcen als Mindestanforderung in den Kommunikationsabteilungen bereitstehen sollten sowie welche Aspekte vor allem von den Aufsichtsratsvorsitzenden abhängen. Zudem wird kurz dargestellt, welche Punkte bei einem Wechsel im Aufsichtsratsvorsitz bedacht bzw. in einem Gespräch mit dem Aufsichtsratsvorsitzenden thematisiert werden sollten, um die internen Strukturen modifizieren zu können.

Darüber hinaus werden (2) Erfolgsfaktoren für die Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden zusammengefasst. In den Interviews wurden sowohl die Unternehmensexperten als auch die Vertreter der Anspruchsgruppen gefragt, was eine erfolgreiche ARV-Kommunikation für sie ausmacht. Diese Aussagen werden mit den theoretischen und empirischen Erkenntnissen zu zehn Erfolgsfaktoren kondensiert zusammengeführt.

Schließlich wird (3) ein kurzer Ausblick auf Entwicklungen hinsichtlich der Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden gegeben, die seit der empirischen Erhebung dieser Arbeit beobachtet werden konnten. Dazu gehört insbesondere die Nutzung von Social-Media-Kanälen durch Aufsichtsratsvorsitzende bzw. die Einbindung dieser Aktivitäten durch die Unternehmenskommunikation.

Überprüfung der Strukturen der Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden

Die mediale Rezeption der Äußerungen von Aufsichtsratsvorsitzenden bezieht sich schwerpunktmäßig auf die externe Kommunikation im Rahmen von Hauptversammlungen und bei Interviews (Abschnitt 7.1.1). Dabei werden die Vielfalt der internen Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden und vor allem die zugrunde liegenden Strukturen nicht berücksichtigt.

Für die Verantwortlichen der Investor-Relations- und Public-Relations-Abteilungen ist jedoch insbesondere die Betrachtung der Strukturen sinnvoll. Alle Handlungen der Akteure basieren auf den Strukturen, die sich gleichzeitig rekursiv durch die Handlungen verändern. Daher wäre eine umfassende Situationsanalyse der internen Strukturen sowie externen Einflussfaktoren auf die Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden sinnvoll.

Eine zentrale Erkenntnis der Arbeit ist, dass es klare Verantwortlichkeiten innerhalb der Kommunikationsfunktionen für die ARV-Kommunikation braucht. Sie zeigen auch, dass aus der personellen Unterstützung der Kommunikationsfunktionen nicht zwingend eine aktivere externe Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden entsteht, vielmehr können die Aufsichtsratsvorsitzende besser informierte Entscheidungen bezüglich einer Kommunikation fällen. Für eine professionelle ARV-Kommunikation sowie die Verortung der Kommunikation im Kommunikationsmanagement braucht es daher klare Verantwortlichkeiten – auch um interne Interessenkonflikte vorzubeugen. Daher werden zwei Optionen für die Verantwortlichkeit für die ARV-Kommunikation vorgeschlagen (Abschnitt 8.2.1):

  • Feste Ansprechpartner in Kommunikationsfunktionen mit dezidierten Kapazitäten für die ARV-Kommunikation

  • Eigene Sprecher für die ARV-Kommunikation

Dabei ist in Bezug auf die Aufbauorganisation zu klären, an wen die Verantwortlichen berichten bzw. wie der Akteur im Organigramm des Unternehmens zu verorten ist.

Sobald dies definiert wurde, sollte ein Blick auf die Zusammenarbeit des Verantwortlichen mit den Kommunikationsfunktionen geworfen werden. So werden die Publizitätspflichten bereits seit langem im Rahmen der Regelkommunikation umgesetzt. Dieses Vorgehen kann, unter der Einbeziehung des ARV-Kommunikationsverantwortlichen, weiterhin sinnvoll sein, jedoch sollte überprüft werden, ob noch Verbesserungspotenzial besteht. Zudem sollten die grundsätzlichen Möglichkeiten und Abläufe in Bezug auf den Investorendialog ebenso geklärt werden wie die Frage, wie mit Anfragen von anderen Stakeholdern umgegangen wird. Die Aspekte zur Überprüfung der organisatorischen Aufstellung der Kommunikationsfunktionen finden sich in Tabelle 9.1.

Tabelle 9.1 Punkte zur Überprüfung der Verantwortlichkeit und organisatorischen Aufstellung der Kommunikationsfunktionen

Die Analyse der Strukturen der ARV-Kommunikation hat gezeigt, dass einige Ressourcen tausch- und übereigenbar sind, da sie an das Amt von Aufsichtsratsvorsitzenden gebunden sind. Dazu gehören u. a. der Zugang zu Informationen oder die Entscheidungskompetenz. Neben der gesetzlich festgehaltenen Informationsversorgung des Aufsichtsratsgremiums durch den Vorstand, zeigen die Erkenntnisse, dass auch die beiden Kommunikationsfunktionen zu einer optimalen Informationsbasis für den Aufsichtsratsvorsitzenden beitragen (Abschnitt 8.1.1).

Zur Analyse der Strukturen sollte daher, in Abstimmung mit dem Vorstand und sofern vorhanden dem Aufsichtsratsbüro, das Informationsangebot der Kommunikationsfunktionen an den Aufsichtsrat überprüft werden (Tabelle 9.2):

Tabelle 9.2 Punkte zur Überprüfung des Informationsangebots durch die Kommunikationsfunktionen

Eine Analyse des Informationsangebots lohnt sich sowohl in Bezug auf die bestehenden Strukturen als auch bei einem Wechsel im Aufsichtsratsvorsitz, der ggf. mit erweiterten Informationsbedürfnissen des neuen Aufsichtsratsvorsitzenden einhergeht.

Schließlich gibt es Ressourcen, die an den Akteur gebunden sind, wie das Image und die Glaubwürdigkeit von Aufsichtsratsvorsitzenden in der Öffentlichkeit, die Fähigkeit zur Öffentlichkeitsmobilisierung und die Beziehungen zu Stakeholdern. Die Strukturelemente können von den Aufsichtsratsvorsitzenden im bestehenden Amt genutzt werden, aber auch in ein neues Amt eingebracht werden. Daher ist es gerade bei einem Wechsel des Aufsichtsratsvorsitzes interessant, sich gemeinsam in Bezug auf die Einschätzung zur Relevanz von Kommunikation (Interpretationsmuster) auszutauschen, um darauf basierend Entscheidungen hinsichtlich einer freiwilligen ARV-Kommunikation rationalisieren zu können.

Erfolgsfaktoren

In den Interviews wurden sowohl die Unternehmensexperten als auch die Anspruchsgruppen nach ihren Empfehlungen für eine erfolgreiche Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden gefragt. Die Aussagen dazu werden in diesem Kapitel mit den empirischen Erkenntnissen in Bezug auf die Anforderungen, Strukturen, Maßnahmen und des Kommunikationsmanagements miteinander verbunden und zu zehn Erfolgsfaktoren aus praktischer Sicht abstrahiert.

  1. (1)

    Bewusstsein für steigende Aufmerksamkeit von Corporate-Governance-Themen

    Verschiedene Entwicklungen haben dazu geführt, dass Corporate-Governance-Themen sowohl am Kapitalmarkt als auch in der medialen Öffentlichkeit eine steigende Aufmerksamkeit erhalten. Der Aufsichtsrat ist im dualistischen System der Unternehmensführung sowohl Repräsentant als auch Adressat guter Corporate Governance. Aufsichtsratsvorsitzende müssen sich dieser Aufmerksamkeit bewusst sein. Ob es zu einer freiwilligen Kommunikation außerhalb der Publizitätspflichten kommt, hängt von den unternehmerischen Rahmenbedingungen und Anforderungen der Anspruchsgruppen ab. Eine strikte Verweigerung gegenüber einem Austausch, insbesondere in Bezug auf den Investorendialog, ist heute jedoch nicht mehr zeitgemäß.

  2. (2)

    Definition und Einführung einer Kommunikationsordnung des Aufsichtsratsgremiums

    Das Aktiengesetz definiert Publizitätspflichten des Aufsichtsrats und die Aufgabentrennung von Vorstand und Aufsichtsrat. Darüber hinaus sollte sich ein modernes, professionelles Überwachungsgremium grundsätzlich mit seiner Kommunikation auseinandersetzen. Im Sinne der Selbstorganisation des Gremiums könnte eine Kommunikationsordnung als strukturbildendes formales Element eingeführt werden, die die Kommunikation des Gremiums mit Investoren und weiteren Anspruchsgruppen sowie die dafür notwendigen Ressourcen umfassend regelt (Abschnitt 8.2.4).

  3. (3)

    Klare Verantwortlichkeiten bzw. Kapazitäten für die ARV-Kommunikation in den Kommunikationsfunktionen

    Klare Verantwortlichkeiten bzw. dezidierte Kapazitäten von Kommunikationsverantwortlichen für die ARV-Kommunikation sind die Grundlage für eine professionelle ARV-Kommunikation sowie dessen Verortung im Kommunikationsmanagement. Den Kommunikationsverantwortlichen kommt dann sowohl eine ermöglichende als auch beratende Rolle zu, die auch die Abstimmung mit der weiteren Unternehmenskommunikation sicherstellen.

  4. (4)

    Einbindung der ARV-Kommunikation in ein Kommunikationsmanagement

    Seit langem werden die Publizitätspflichten des Aufsichtsrats als Teil der Regelkommunikation von Unternehmen umgesetzt, sind jedoch nicht Teil eines Kommunikationsmanagements. Durch die Definition eines Kommunikationsverantwortlichen für die ARV-Kommunikation trägt ein Akteur die Verantwortung dafür, die Publizitätspflichten als auch die freiwillige Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden im Kommunikationsmanagement zu verorten. Basierend auf einer Situationsanalyse können sowohl Strukturen als auch die Anforderungen an die Kommunikation betrachtet und Rückschlüsse für Planung, Umsetzung und Evaluation der Kommunikation gezogen werden. Transparenz hinsichtlich der Überwachungstätigkeit sowie die Beziehungspflege mit internen und externen Anspruchsgruppen stellen dabei wichtige Ziele der ARV-Kommunikation dar.

  5. (5)

    Interne Kommunikation ist mehr als Informationsversorgung

    Die Kommunikation im Aufsichtsratsgremium und mit dem Vorstand wird als zentrale Aufgabe von Aufsichtsratsvorsitzenden angesehen. Die Arbeit des Aufsichtsrats basiert auf der Informationsversorgung durch den Vorstand. Durch die Rolle als Sparringspartner und Sounding Board des Vorstands setzt das Gremium die Rahmenbedingungen für das Handeln und in diesem Zusammenhang einen positiven Beitrag für die Unternehmensentwicklung. Interne Kommunikation bietet aber weitere Ansatzpunkte: Indem Führungskräfte ihre Bereiche in Aufsichtsratssitzungen repräsentieren, können fachspezifische Fragen geklärt und Talente für die Nachfolgeregelung identifiziert werden. Durch informelle Formate, wie Abendessen, kann aber auch die Wertschätzung des Gremiums an die Führungskräfte vermittelt werden, gleichzeitig erhalten die Aufsichtsräte einen Einblick in die Unternehmenskultur.

  6. (6)

    Sicherstellung von Transparenz und Aktualität der Publizitätspflichten

    Die Anforderungen der Anspruchsgruppen an die Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden können zum großen Teil durch die Publizitätspflichten des Unternehmens abgedeckt werden. Der Aufsichtsratsbericht und die Investor-Relations-Website sind dabei die zentralen Instrumente der Aufsichtsratskommunikation. Daher ist wichtig, dass Corporate-Governance-Informationen stets transparent, umfangreich und aktuell aufbereitet sind. Der Investorendialog nach DCGK stellt dabei eine Herausforderung dar: Wann und in welchem Umfang informiert das Unternehmen die weiteren Investoren über die Gespräche? Ob dies im jährlichen Aufsichtsratsbericht ausreichend ist oder sich die Anforderungen an die Nachinformation verändern, sollte beobachtet werden.

  7. (7)

    Definition und Weiterentwicklung des Modus Operandi für den Investorendialog

    Die Handlungsmuster der Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden zeigen, dass alle Unternehmen einen Modus Operandi für den Investorendialog nach dem DCGK definieren – auch diejenige, die bisher keine Anfragen von Investoren erhalten haben. Es ist sinnvoll, Grundsätze für den Dialog ebenso wie interne Abläufe und Prozesse zu definieren. Dabei ist es jedoch auch wichtig, die Anforderungen der Kapitalmarktakteure zu kennen: Schon heute wünschen sich Investoren einen stärker strukturierten Dialog, z. B. anhand einer Präsentation, um die Schwerpunkte der Aufsichtsratstätigkeit besser zu verstehen.

  8. (8)

    Auch Aufsichtsratsvorsitzende brauchen Vorbereitung

    Die Entscheidungskompetenz des Aufsichtsrats ist eine wesentliche Voraussetzung, um Vertrauen auf der Sachebene zu erreichen. Kommunikative bzw. Vermittlungskompetenz beinhaltet auch das Eingehen auf die Erwartungshaltungen und Spezifika der Anspruchsgruppen. Auch erfahrene Aufsichtsratsvorsitzende profitieren davon, wenn sie durch die Kommunikationsverantwortlichen einen Einblick in die aktuellen Anforderungen und Einschätzungen der Stakeholder erhalten.

  9. (9)

    Beziehungen mit Anspruchsgruppen durch Listening pflegen

    Aufsichtsratsvorsitzende haben Entscheidungskompetenzen und sollten daher im Dialog mit Anspruchsgruppen ihre Äußerungen sorgfältig wählen. Das Ziel von Beziehungsaufbau und-pflege wird in der bisherigen medialen und akademischen Diskussion zur Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden noch nicht betrachtet. Dabei ist es eine wichtige Erwartung von allen befragten Stakeholdern, durch einen Dialog nicht nur Informationen zu erhalten, sondern auch dem Gremium die jeweils eigene Perspektive auf Corporate-Governance-Themen mitzuteilen und die handelnden Akteure einschätzen zu können. Aus vorherigen Positionen bringen Aufsichtsratsvorsitzende bereits Beziehungen zu Stakeholdern mit, durch Zuhören und Nachfragen bei relevanten Stakeholdern kann das Aufsichtsratsgremium neue, ungefilterte Impulse für seine Arbeit erhalten.

  10. (10)

    Authentizität als Kernvoraussetzung für die Kommunikation

    In jedem Expertengespräch wurde auf den Einfluss der Persönlichkeit von Aufsichtsratsvorsitzenden auf deren Kommunikation verwiesen. Die Sprecherrolle gehört zur Aufgabe von Aufsichtsratsvorsitzenden dazu und wird in Zukunft sowohl intern als auch extern an Relevanz gewinnen. Unabhängig vom Kommunikationsstil geht es inhaltlich um die Vermittlung von Corporate-Governance-Informationen. Daher ist es wichtig, sowohl in den Publizitätspflichten als auch im freiwilligen Dialog mit den Anspruchsgruppen authentisch zu bleiben. Denn eine authentische Kommunikation kann zu einer Zuschreibung von Glaubwürdigkeit und Vertrauen in den Akteur, aber auch das Unternehmen führen.

Anhand dieser Erfolgsfaktoren können sowohl Aufsichtsratsvorsitzende als auch Kommunikationsverantwortliche in den Unternehmen die Kommunikation analysieren und diskutieren. Sie schaffen einen Mehrwert für die interne Diskussion der Strukturen und Maßnahmen.

Ausblick: Social-Media-Kanäle als zukünftige Herausforderung

Die Nutzung von persönlichen Social-Media-Accounts durch Vorstandsvorsitzende stellt für die Kommunikationspraxis eine neue Entwicklung und Herausforderung dar. So nutzen einige CEOs sowie anderen Vorstandsmitglieder z. B. den Kurznachrichtendienst Twitter, um sowohl unternehmensrelevante Themen zu kommunizieren, aber auch um sich zu gesellschaftspolitischen Themen zu äußern. Die Akteure nutzen dabei selbst den Account und die Kommunikationsabteilungen entscheiden von Fall zu Fall, ob sie sich bei Kommentaren einmischen, falls Korrekturen notwendig erscheinen (Neuen, 2018).

In Abschnitt 8.1.2.3 wurde gezeigt, dass auch wenige Aufsichtsratsvorsitzende bereits persönlich Social-Media-Kanäle nutzen. Seit der Durchführung der Interviews konnten vermehrt freiwillige Äußerungen über Social Media von Aufsichtsratsvorsitzenden identifiziert werden, entweder im Rahmen der Social-Media-Aktivitäten der Unternehmen, z. B. durch eine Kommentierung der Hauptversammlung (Deutsche Börse AG, 2020b), oder auf persönlichen Social-Media-Kanälen, in denen die Kommunikation des Unternehmens zur Hauptversammlung (Hagemann Snabe, 2020b) oder Quartalszahlen (Hagemann Snabe, 2020a) geteilt und kommentiert wurde.

Diese Entwicklung zeigt, dass die Nutzung von Social Media zukünftig eine steigende Bedeutung und damit eine Herausforderung für das Kommunikationsmanagement darstellt. Die Nutzung von Social Media kann eine autoritative Ressource (Fähigkeit zur Öffentlichkeitsmobilisierung) von Aufsichtsratsvorsitzenden darstellen. Bisher gibt es jedoch keine systematische Beobachtung der Social-Media-Aktivitäten der Aufsichtsratsmitglieder des Unternehmens. Demnach ist unklar, inwiefern die Stakeholder diese Äußerungen rezipieren und sich daraus ggf. neue Anforderungen an die Kommunikation ergeben.

Die Kommunikationsverantwortlichen sollten sich zukünftig nicht nur mit den verschiedenen Social-Media-Kanälen des Unternehmens und der Vorstandsmitglieder auseinandersetzen. Auch die Nutzung der Kanäle durch Aufsichtsratsvorsitzende sowie ggf. Aufsichtsratsmitglieder stellt eine Herausforderung dar, die einmal grundsätzlich besprochen werden sollte. Dabei geht es nicht um eine personelle Unterstützung, sondern um eine beratende Rolle in Hinblick auf Themen des Unternehmens, die Wahrnehmung der Stakeholder, ein gemeinsames Verständnis der Relevanz etc., da diese Aspekte schließlich wieder zu Veränderungen in den internen Strukturen führen können.

9.4 Limitationen und Desiderate

Der Aufsichtsrat ist ein Teil des dualistischen Systems der Unternehmensführung, das neben Deutschland auch in Österreich, den Niederlanden, einer Minderheit der französischen Unternehmen sowie in einigen osteuropäischen Staaten angewendet wird. Es wurde gezeigt, dass die institutionelle Trennung von Führung und Kontrolle eines Unternehmens einen Gegensatz zum monistischen Corporate-Governance-System darstellt, die Anspruchsgruppen ihre Anforderungen an Transparenz und Dialog jedoch unabhängig von den Systemen stellen. Abschließend soll daher diskutiert werden, auf welche Bereiche sich die gewonnenen Erkenntnisse übertragen sowie welche Desiderate sich aus dieser Arbeit ergeben.

In Abschnitt 6.4 wurden bereits die Gütekriterien von qualitativer Forschung und deren Anwendung im Rahmen dieser Arbeit erörtert. Die Meinungen, welchen Gültigkeitsbereich qualitative Forschung hat, gehen jedoch weit auseinander. Lewis & Ritchie (2003) schlagen drei miteinander verbundene, aber separat analysierbare Arten der Generalisierbarkeit von qualitativer Forschung vor:

Bei der „representational generalization“ (Lewis & Ritchie, 2003, S. 265) stellt sich die Frage, ob die Ergebnisse auf die gesamte Fallpopulation ausgedehnt werden können. Dies umfasst (1) ob die Phänomene bei den ausgewählten Fällen auch in der Grundgesamtheit zu finden sind und (2) ob andere oder zusätzliche Phänomene in der Grundgesamtheit auftreten, aber nicht im Sample.

Aufgrund der fehlenden wissenschaftlichen Erkenntnisse im Forschungsfeld wurde im Rahmen der institutionellen Analyse zunächst eine Inhaltsanalyse von Medienberichterstattung und Analystenreports durchgeführt. Dabei konnten in Abschnitt 7.1.2 fünf ereignisbezogene Typen der Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden in der Grundgesamtheit identifiziert werden. Diese Typen repräsentieren typische Fälle in der Grundgesamtheit und wurden für die Fallauswahl der Experteninterviews genutzt. Die Auswahl der Fälle basiert demnach auf einer möglichst großen Bandbreite an Merkmalen.

Zudem kann davon ausgegangen werden, dass die Rahmenbedingungen für das Phänomen der Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden bei DAX- und MDAX-Unternehmen relativ konstant sind. Dies betrifft u. a. die Publizitätspflichten, die aus der Börsennotierung resultieren, die Aktionärsstrukturen, die mediale Aufmerksamkeit sowie die Professionalität des Kommunikationsmanagements. Unterschiede oder zusätzliche Einflussfaktoren bspw. anhand von einer Branchenzugehörigkeit waren nicht zu erwarten und in den Ergebnissen nicht erkennbar. Eine gute Generalisierbarkeit konnte dabei durch eine Bandbreite an untersuchten Ausprägungen sowie Einflussfaktoren sichergestellt werden.

Im Rahmen der „inferential generalization“ (Lewis & Ritchie, 2003, S. 264) wird betrachtet, ob eine Generalisierung auf Fälle möglich ist, die nicht zur Grundgesamtheit zählen. Dies wären z. B. Unternehmen mit einem monistischen System der Unternehmensführung, kleineren börsennotierten Unternehmen oder Unternehmen, die nicht börsennotiert sind. In diesen Fällen führen unterschiedliche Gründen dazu, dass nicht von den gleichen Rahmenbedingungen ausgegangen werden kann, was die Generalisierung der Ergebnisse erschwert.

Bei Unternehmen mit einem one-tier-board sind wie in Abschnitt 3.1 beschrieben, die Leitungs- und Kontrollaufgabe im Board of Directors institutionell nicht getrennt. Dementsprechend unterscheiden sich die internen Strukturen im Direktorium und für die Kommunikation im Unternehmen. Dennoch kann davon ausgegangen werden, dass die äußeren Rahmenbedingungen, die öffentliche Aufmerksamkeit und die Anforderungen der Stakeholder an die Kommunikation, vergleichbar sind. Weder in der Corporate-Governance- noch in der kommunikationswissenschaftlichen Forschung wurde die Kommunikation des Chairman of the Board beim monistischen System der Unternehmensführung systematisch untersucht. Die vorliegenden Erkenntnisse können demnach nicht auf diese Unternehmen generalisiert werden, bieten aber gleichzeitig Ansatzpunkte für die Kommunikation in diesem Corporate-Governance-System. Dies wäre insofern relevant, da eine Annäherung des dualistischen Modells an das monistische System erwartet wird (Witt, 2000).

Bei kleineren börsennotierten Unternehmen kann davon ausgegangen werden, dass sie weniger mediale Aufmerksamkeit erhalten und möglicherweise über weniger professionelle Kommunikationsfunktionen verfügen als bspw. DAX-Unternehmen. Dennoch könnten die Erkenntnisse in Bezug auf die Strukturen auf diese Unternehmen angewandt werden.

Weiterhin gibt es Aufsichtsrats- und Beiratsgremien bei nichtbörsennotierten Unternehmen. Hier unterscheiden sich die Rahmenbedingungen insofern, da die Publizitätspflichten aus der Börsennotierung nicht gegeben sind. Demnach ist die gesetzlich vorgeschriebene Publizität stark zurückgestellt, dennoch kann es zu einer Bandbreite an internen und externen Kommunikationsmaßnahmen kommen. Die vorliegenden Erkenntnisse können auf diese Beispiele ebenfalls nicht übertragen werden, bieten aber analytische Ansatzpunkte.

Die Kriterien für die Auswahl der Grundgesamtheit sowie des Samplings der Unternehmensvertreter wurden in Abschnitt 6.3 dargestellt und erörtert. Sollten Inferenzschlüsse auf andere Unternehmensformen vorgenommen werden, sollten diese bis zu ihrer Bestätigung oder Widerlegung lediglich in Form von Hypothesen vorgenommen werden (Lewis & Ritchie, 2003, S. 269). Schließlich stellt die „theoretical generalization“ (Lewis & Ritchie, 2003, S. 267) die breiteste Form der Anwendung des Gültigkeitsbereichs dar. Sie liegt vor, wenn die Erkenntnisse zur Entwicklung oder Verfeinerung der bestehenden theoretischen Konzepte dienen. Im Rahmen der Arbeit wurden die Strukturen und Grundlagen der Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden konsequent aus der Strukturationstheorie sowie den Theorien zu Kommunikationsmanagement, Kommunikatorforschung und Corporate Governance abgeleitet. So sollte die Anschlussfähigkeit an bestehende sozialwissenschaftliche und insbesondere kommunikationswissenschaftliche Theorien gewährleistet warden.

Desiderate und Ausblick

Die Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden ist ein interdisziplinäres empirisches Phänomen, sodass zukünftig von einer stärkeren Verbindung der juristischen und wirtschaftswissenschaftlichen Corporate-Governance- und kommunikationswissenschaftlichen Ansätzen ausgegangen werden kann. Die Forschungsperspektiven werden anhand des Analyserahmens, des Kommunikationsmanagements und dem Forschungsprojekt übergreifend dargestellt.

Diese Arbeit wurde konsequent aus der strukturationstheoretischen Perspektive konzeptioniert und umgesetzt. Der Analyserahmen der Dualität der Strukturen bietet die Ausgangsbasis, spezifische Aspekte der Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden tiefergehend zu analysieren. So könnten bspw. die Strukturen und das Verhältnis von Vorstandsvorsitzenden und Aufsichtsratsvorsitzenden detaillierter betrachtet werden, da diese einen bedeutenden Einfluss auf die Kommunikation nehmen. Auch der Einfluss der Persönlichkeit von Aufsichtsratsvorsitzenden auf die Strukturen könnte weitergehend untersucht werden. Darüber hinaus bietet der Analyserahmen auch Ansatzpunkte, um die bisher wissenschaftlich nicht untersuchte Kommunikation des Chairman of the Board im monistischen System der Unternehmensführung zu betrachten. Dabei müsste der Analyserahmen entsprechend auf die dabei vorliegenden formalen Strukturen übertragen werden.

Die vorliegenden Ergebnisse beschreiben sowohl die Relevanz der internen Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden als auch das neue Phänomen des Investorendialogs und der freiwilligen öffentlichen Kommunikation. In Bezug auf die interne Kommunikation wären die Anforderungen der internen Anspruchsgruppen, also Vorstände, Führungskräfte aber auch Mitarbeitende, von Interesse. Da sich die Erwartungen der externen Anspruchsgruppen insbesondere bei Sondersituationen, wie Krisen, verändern, könnte dies ein Ansatzpunkt darstellen, um die Erwartungen von internen Stakeholdern an die ARV-Kommunikation zu betrachten.

Im Rahmen der Ergebnisse wurde auch deutlich, dass es einen Austausch mit politischen Stakeholdern gibt. Dabei handelt es sich um eine personelle, nicht öffentliche Kommunikation, die an der Schnittstelle zur politischen Kommunikationsforschung weiter beachtet werden könnte. Auch hier scheinen es insbesondere Sondersituationen, wie Krisen oder Übernahmen, zu sein, die ein Anlass für den Dialog sind. Insgesamt bieten Sondersituationen, aufgrund der dargestellten Relevanz und höheren Intensität, zukünftig einen Anlass für die fallbezogene Beschäftigung mit der Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden.

Für die Forschung zum Kommunikationsmanagement konnte aufgezeigt werden, dass Verantwortlichkeiten geschaffen und Prozesse entsprechend angepasst werden müssen, wenn sich ein neuer Kommunikator etabliert. Da das Kommunikationsmanagement für Aufsichtsratsvorsitzende noch am Anfang steht, wäre es interessant die Umsetzung zu einem späteren Zeitpunkt erneut zu betrachten. Dabei wären zwei Aspekte besonders hervorzuheben: Erstens die Frage, inwiefern eine konkrete Verantwortlichkeit für die ARV-Kommunikation zu einer (besseren) Verortung im Kommunikationsmanagement führt. Dabei wäre es interessant zu sehen, wie die Kommunikationsfunktionen sich aufgrund eines neuen Kommunikators hinsichtlich Strukturen, Prozesse etc. verändern. In dieser Arbeit wird auf den Aufsichtsratsvorsitzenden als Kommunikator fokussiert, weitergehend könnte diese Perspektive auch auf die Kommunikationsverantwortlichen übertragen werden. Zweitens könnte ein detaillierter Blick auf die Inhalte der Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden geworfen werden. Die Analyse der Medienberichte und Analystenreports bietet erste Ansatzpunkte aus der Rezeptionsperspektive.

Die Rolle des (neuen) Kommunikators von Aufsichtsratsvorsitzenden kann darüber hinaus aus weiteren Perspektiven betrachtet werden. Einerseits wäre es interessant einen Blick auf die systematische Gestaltung dieser Rolle und eventuellen Personalisierungstendenzen zu werfen. Andererseits könnte die Position aus Sicht des viel rezipierten Polyphonie-Ansatzes von Christensen, Morsing & Cheney (2008) betrachtet werden, der davon ausgeht, dass nicht alle Einzelstimmen, die aus einer Organisation kommen, gleich sein können und müssen. Vielmehr ergeben sich aus einer Vielstimmigkeit Chancen für das Unternehmen. Nicht nur Kommunikationsexperten, sondern alle Führungskräfte und Mitarbeitende des Unternehmens werden dabei als Kommunikatoren des Unternehmens angesehen. Ziel einer polyphonen Kommunikation ist es, Vielfalt zu ermöglichen und gleichzeitig Einheitlichkeit anzustreben. Daher könnte betrachtet werden, wie sich die Kommunikation des Unternehmens durch den Aufsichtsratsvorsitzenden verändert.

Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass das empirische Phänomen der Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden vielfältige Ansatzpunkte für theoretische als auch empirische Forschungsarbeiten für beide zugrunde liegenden Forschungstraditionen bereithält.