Verschiedene Wissenschaftsdisziplinen, wie die Rechts- oder Wirtschaftswissenschaft, beschäftigen sich schon seit langem mit dem Aufsichtsratsgremium, dabei wurde kommunikative Aspekte der Tätigkeit jedoch vernachlässigt. Zudem haben die weiteren theoretischen Ausführungen gezeigt, dass die Kommunikation des Gremiums und im speziellen von Aufsichtsratsvorsitzenden auch in der Kommunikationswissenschaft bisher keine Beachtung gefunden hat.

Die Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden soll nicht nur beschrieben, sondern erklärt werden. Aus diesem Grund bietet sich ein rekonstruktives VorgehenFootnote 1 an. Es werden qualitative Erhebungs- und Auswertungsmethoden herangezogen, die sich innerhalb der deskriptiv-hermeneutischen Denktradition bewegen (Mayring, 2016, S. 13–14).

Nomothetische bzw. quantitative Verfahren streben vor allem die Generalisierung auf einer zahlenmäßig breiten Basis an, um dann deduktiv auf weitere Fälle schließen zu können. Die quantitative Sozialforschung strebt demnach auf Häufigkeitsverteilung zielende und statistische Repräsentativität an. Dagegen geht die qualitative Sozialforschung idiografisch bzw. individualisierend vor, d. h., komplexe Phänomene sollen in Bezug auf ihre Entwicklung, Komplexität und ihren Kontext erfasst werden, um sie in seiner ganzen Breite beschreiben und erklären zu können (Brosius, Haas & Koschel, 2016, S. 4; Przyborski & Wohlrab-Sahr, 2014, S. 369 f.). Mayring (2016, S. 19–24) beschreibt die fünf Postulate der qualitativen Sozialforschung wie folgt:

  1. (1)

    Ausgangspunkt und Ziel der Forschung seien stets Menschen bzw. Subjekte;

  2. (2)

    am Anfang jeder Analyse stehe eine genaue und umfassende Beschreibung (Deskription) des Gegenstandsbereichs;

  3. (3)

    der Untersuchungsgegenstand muss durch Interpretationen erschlossen werden können

  4. (4)

    und möglichst im natürlichen, alltäglichen Umfeld untersucht werden,

  5. (5)

    schließlich lässt sich die Verallgemeinerbarkeit der Ergebnisse nicht automatisch über bestimmte Verfahren herstellen, sondern muss stets einzeln schrittweise begründet werden.

Da sich die Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden im Wandel befindet und bislang noch nicht untersucht wurde, ist die Wahl des methodischen Vorgehens relevant, um den Untersuchungsgegenstand umfassend analysieren zu können. Dabei spielt u. a. die zugrunde liegende theoretische Perspektive der Strukturationstheorie eine Rolle, wie im Folgenden erläutert wird.

FormalPara Methodische Implikationen der Strukturationstheorie

Im Rahmen der Strukturationstheorie fordert Giddens auch eine methodische Neuorientierung der Sozialwissenschaften (Giddens, 1997, S. 342–412). Strukturen und Handlungen bedingen sich wechselseitig und sind nur analytisch voneinander zu trennen. Der Fokus liegt auf den sozialen Praktiken als überindividuelle, raumzeitlich verfestigte Handlungsmuster. Diese Betrachtung erlaubt sowohl einen theoretischen als auch einen methodischen Spagat (Walgenbach, 2006, S. 406). Ausgehend von der doppelten Hermeneutik, verstanden als gegenseitige Durchdringung des sozialwissenschaftlichen und lebensweltlichen Bezugsrahmens (Giddens, 1997, S. 338), muss zunächst ein Zugang zum Forschungsgegenstand geschaffen werden – also zur sozialen Praxis der Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden, die untersucht werden soll. Daran anschließend gibt Giddens zwei sich ergänzende und wechselseitig in Bezug stehende methodische Vorgehensweisen vor: die institutionelle Analyse und die Analyse des strategischen Verhaltens (Giddens, 1997, S. 342). Kießling ordnet die beiden Analysemethoden den sozialwissenschaftlichen Grundpositionen zu: die institutionelle Analyse sei erklärend orientiert, während in der strategischen Analyse die verstehende Perspektive eingenommen wird. Auf beiden Ebenen ist der Gegenstand derselbe – die rekursiv reproduzierten sozialen Praktiken der ARV-Kommunikation (Kießling, 1988a, S. 153, 165).

In der institutionellen Analyse „werden die Strukturmomente als fortwährend reproduzierte Aspekte sozialer Systeme behandelt“ (Giddens, 1997, S. 342). Ziel ist es dabei, die strukturellen Momente aufzuschlüsseln, auf die die handelnden Akteure weitgehend unbewusst zurückgreifen. Dabei handelt es sich einerseits um die Rezeption der ARV-Kommunikation durch die Vermittler der gesellschaftspolitischen Öffentlichkeit und Kapitalmarktöffentlichkeit in Medien- und Analystenberichten sowie andererseits um die Erwartungen der Anspruchsgruppen an die ARV-Kommunikation. Die Rezeption und die Erwartungen konstituieren die Anforderungen an die Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden. In dieser Perspektive erscheinen soziale Praktiken fixiert, sodass Ordnungsmuster dargestellt werden können. Die Strukturanalyse führt nach Giddens zur „Generierung theoretisch gehaltvollen, dem Laienwissen überlegenen, sozialwissenschaftlichen Wissen“ (Walgenbach, 2006, S. 416 f.).

Im Rahmen der strategischen Analyse werden wiederum die Handlungen der sozialen Akteure verstehend rekonstruiert. In dieser Arbeit handelt es sich dabei um die Akteure innerhalb der Unternehmen, also Aufsichtsratsvorsitzenden sowie IR- und PR-Verantwortliche, die das Kommunikationsmanagement verantworten. Auf dieser lebensweltlichen Ebene setzt die Untersuchung an typischen Handlungsmustern der sozialen Praktiken der ARV-Kommunikation an. Ziel ist es auch, den Prozess der Strukturation sozialer Systeme und die Struktur sozialer Systeme zu thematisieren (Walgenbach, 2006, S. 416). So kann entweder die Stabilität oder allmähliche Aktualisierung, Verschiebung und Umdeutung der Struktur der ARV-Kommunikation identifiziert werden. Diese Analyse kommt jedoch nicht über das Alltagswissen hinaus, um Akteure auf die nichtintendierten Folgen ihres Handelns aufmerksam zu machen. Die strategische Analyse aus der Akteurs-Perspektive der Unternehmen wird daher um eine Analyse aus der Beobachter-Perspektive der Anspruchsgruppen ergänzt.

Die Unterscheidung zwischen der institutionellen und der strategischen Analyse bleibt bei Giddens aufgrund der fehlenden Anwendungsbeispiele insgesamt vage. Auch die Reihenfolge der Methoden bleibt unklar, da nach Giddens keine klare Trennung zwischen den beiden Perspektiven vorgenommen werden soll, sondern vielmehr durch den Blick auf die Dualität der Struktur abzurunden sei (Giddens, 1997, S. 288). Nach Kießling (1988a, S. 163–168) kann vermutet werden, dass zunächst die Struktur systematisch historisch rekonstruiert werden sollte, um Aussagen über die darauf zurückgreifenden Handlungen der Akteure treffen zu können.

FormalPara Methodische Schritte in dieser Arbeit

Anlehnend an die Unterscheidung von Giddens wird im Rahmen dieser Arbeit eine institutionelle und strategische Analyse durchgeführt (Abbildung 6.1), um einen umfassenden Blick auf die Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden werfen zu können. Die institutionelle Analyse umfasst zwei methodische Schritte, um die Anforderungen an die Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden in Deutschland aus externer Perspektive aufzeigen zu können. Dabei handelt es sich erstens um eine Inhaltsanalyse der Medienberichterstattung sowie von Analystenreports (Abschnitt 6.2.1). Diese repräsentieren die Diskurse in Bezug auf Aufsichtsratsvorsitzende von börsennotierten Unternehmen in der gesellschaftspolitischen Öffentlichkeit sowie der Kapitalmarktöffentlichkeit. Ergänzend dazu werden qualitative Experteninterviews mit den Intermediären der beiden Kommunikationsarenen durchgeführt (Abschnitt 6.2.2), um deren Erwartungen an die Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden beschreiben zu können. Konkret handelt es sich dabei um Wirtschaftsjournalisten und den Vorsitzenden der DCGK-Kommission für die gesellschaftspolitische Öffentlichkeit. Für die Kapitalmarktöffentlichkeit sind es Vertreter von institutionellen Investoren, Aktionärsschützer, Stimmrechtsberater und Wirtschaftsjournalisten.

In der strategischen Analyse werden aus interner Perspektive schließlich die Akteure selbst, also Aufsichtsratsvorsitzende ebenso wie Investor Relations- und Public-Relations-Verantwortliche, in qualitativen Experteninterviews zu ihren Handlungen befragt (Abschnitt 6.3).

Abbildung 6.1
figure 1

(Eigene Darstellung)

Methodische Schritte

Zunächst sollen in Abschnitt 6.1 die in dieser Arbeit genutzten Methoden allgemein vorgestellt werden. Mithilfe der Inhaltsanalyse werden sowohl Daten für die institutionelle Analyse erhoben als auch die Experteninterviews aus institutioneller und strategischer Analyse ausgewertet (Abschnitt 6.1.1). Daneben stellen qualitative Experteninterviews die zentrale Erhebungsmethode der institutionellen und strategischen Analyse dar (Abschnitt 6.1.2). Nachdem die Bedeutung und zentralen Elemente der beiden Methoden vorgestellt wurden, können die Schritte der Erhebung und Auswertung für beide methodischen Schritte detailliert vorgestellt werden.

6.1 Methoden

Um die Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden aus der internen und externen Perspektive untersuchen zu können, sind verschiedene Methoden der Datenerhebung notwendig. Die in dieser Arbeit angewandten sozialwissenschaftlichen Methoden werden in diesem Kapitel zunächst allgemein dargestellt, um ihre Bedeutung und grundsätzliche Vorgehensweise zu verstehen. Dies ist aus zwei Gründen sinnvoll: Erstens dient die Inhaltsanalyse, die in Abschnitt 6.1.1 vorgestellt wird, sowohl der systematischen Aufbereitung der Medienberichterstattung und Analystenreports im Rahmen der institutionellen Analyse als auch als Auswertungsverfahren für die Experteninterviews aus externer und interner Perspektive. Zweitens werden Experteninterviews als Erhebungsmethode sowohl bei der institutionellen Analyse der Anforderungen aus der externen Perspektive als auch der strategischen Analyse der ARV-Kommunikation aus interner Unternehmensperspektive genutzt.

Nach Flick (2017, S. 155) müssen im Forschungsprozess Auswahlentscheidungen auf drei verschiedenen Ebenen gefällt werden:

  • Bei der Erhebung der Daten (Fallauswahl, Fallgruppenauswahl)

  • Bei der Interpretation (Auswahl des Materials sowie Auswahl im Material)

  • Bei der Darstellung von Ergebnissen (Präsentation des Materials)

Zunächst werden die Methode der Inhaltsanalyse (Abschnitt 6.1.1) und der leitfadengestützten Experteninterviews (Abschnitt 6.1.2) beschrieben, bevor in Abschnitt 6.2 und 6.3 die jeweils spezifischen Entscheidungen und Details für die Untersuchung der ARV-Kommunikation detailliert vorgestellt werden.

6.1.1 Inhaltsanalyse

Die Inhaltsanalyse ist eine „empirische Methode zur systematischen, intersubjektiv nachvollziehbaren Beschreibung inhaltlicher und formaler Merkmale von Mitteilungen“ (Früh, 2017, S. 29) und verfolgt dabei einen formal-deskriptiven als auch diagnostischen Ansatz. Die Definition enthält sich zunächst der expliziten Unterscheidung von quantitativer und qualitativer Inhaltsanalyse.

Typische Einsatzgebiete der Inhaltsanalyse sind die Medieninhaltsforschung, aber auch die Kommunikatorforschung, wenn z. B. die Äußerungen öffentlicher Redner, wie Aufsichtsratsvorsitzende, analysiert werden sollen (Pürer, 2014, S. 567). Auch bei der Forschung zum Kommunikationsmanagement wird mithilfe von Inhaltsanalysen die „mediale Repräsentation(en) von Issues anhand Positionen, Deutungsmuster, Resonanz, Themenkarrieren etc.“ (Raupp & Wimmer, 2013, S. 307) dargestellt. Diese veröffentlichte Kommunikation hat aus methodisch-operationaler Perspektive den Vorteil, dass sie aufgrund ihrer Fixiertheit leicht(er) zu erfassen ist. Bei der Inhaltsanalyse wird systematisch, regel- und theoriegeleitet vorgegangen, mit dem Ziel „Rückschlüsse auf bestimmte Aspekte der Kommunikation zu ziehen“ (Mayring, 2015, S. 13).

Die Unterscheidung zwischen quantitativer und qualitativer Inhaltsanalyse ist für den Forschungsprozess und das Erkenntnisinteresse nicht unerheblich. Das formale Unterscheidungskriterium ist, dass die quantitative Analyse die Kommunikationsinhalte anhand bestimmter Merkmale untersucht und quantifiziert, während die qualitative Analyse die definierten Merkmale inhaltlich untersucht (Mayring, 2015, S. 17; Pürer, 2014, S. 570). Es ist aber auch eine Kombination denkbar, sodass neben einer umfangreichen quantitativen Inhaltsanalyse zu einem bestimmten Thema ein Teil des Materials qualitativ hinsichtlich seiner Argumentationsstrukturen untersucht wird. Mayring (2015, S. 20 ff.) plädiert für die Überwindung des quantitativen und qualitativen Gegensatzes und argumentiert, dass am Anfang des wissenschaftlichen Vorgehens stets ein qualitativer Schritt stehe, indem definiert werde, was untersucht werden solle und wie das Analyseinstrument aufgesetzt werde. Dann erst würde die qualitative und/oder quantitative Inhaltsanalyse folgen, wobei jedoch auch die Ergebnisse quantitativer Analysen stets wieder zum (qualitativen) Ausgangspunkt zurückgeführt werden müssten.

Der Vorteil von Inhaltsanalysen als nichtreaktives Verfahren liegt darin, dass sie prinzipiell zeitunabhängig analysiert werden können (Brosius et al., 2016, S. 151). Das heißt, es kann analysiert werden, inwiefern sich die Berichterstattung zu Aufsichtsratsvorsitzenden ggf. im Zeitverlauf geändert hat. Zudem sind die Daten im Vergleich zu Experteninterviews frei von möglichen Störvariablen wie Tendenzen zu positiver Selbstdarstellung der Befragten oder Interviewer-Effekten.

Die Inhaltsanalyse wird in dieser Arbeit einerseits dafür genutzt, im Rahmen der institutionellen Analyse die Medienberichterstattung und Analystenreports zu Aufsichtsratsvorsitzenden zu untersuchen (Abschnitt 6.2.1). Andererseits werden mithilfe der Inhaltsanalyse die Interviews mit den internen und externen Experten ausgewertet.

Abbildung 6.2 zeigt ein allgemeines inhaltsanalytisches Ablaufmodell, das im Folgenden kurz beschrieben wird. Der genaue Ablauf der Inhaltsanalyse der Medienberichterstattung und Analystenreports wird auf dieser Basis in Abschnitt 6.2.1 und für die Experteninterviews in Abschnitt 6.2.2 bzw. 6.3 vorgestellt.

Abbildung 6.2
figure 2

Allgemeines inhaltsanalytisches Ablaufmodell (Mayring, 2015, S. 62)

Zunächst müssen vor der Auswertung des Materials mehrere Fragen geklärt werden. In den ersten drei Schritten wird das Ausgangsmaterial für die Inhaltsanalyse beschrieben. Dabei wird zunächst das Material für die Analyse festgelegt; in vielen Fällen wird z. B. aus einer großen Materialmenge eine Stichprobe gezogen. Anschließend sollte genau beschrieben werden, von wem und unter welchen Bedingungen das Material entstanden ist. Auf dieser Basis können dann die formalen Charakteristika des Materials vorgestellt werden, also in welcher Form das Material vorliegt.

Anschließend wird die Fragestellung der Analyse erörtert, da für die Inhaltsanalyse eine spezifische Fragestellung notwendig ist. Bei der Richtung der Analyse wird dabei festgelegt, ob bspw. etwas über den Autor oder die Wirkung des Textes ausgesagt werden soll. Bei einer Dokumentenanalyse soll z. B. etwas über den Gegenstand ausgesagt werden. Die Inhaltsanalyse „zeichnet sich durch zwei Merkmale aus: die Regelgeleitetheit […] und die Theoriegeleitetheit der Interpretation“ (Mayring, 2015. S. 59). Das heißt, dass die Analyse auf einer theoretisch begründeten inhaltlichen Fragestellung basieren sollte.

Im nächsten Schritt sind dann die speziellen Analysetechniken festzulegen. Mayring (2015, S. 67) unterscheidet zwischen drei Grundformen der Analysetechnik(en), die sich noch weiter ausdifferenzieren lassen:

  • Ziel der Zusammenfassung ist es, das Material so zu reduzieren, dass nur die wesentlichen Inhalte erhalten bleiben,

  • Ziel der Explikation ist es, zu einzelnen relevanten Textteilen zusätzliches Material zu finden, um die betreffende Textstelle erläutern bzw. erklären zu können,

  • Ziel der Strukturierung ist es, bestimmte Aspekte aus dem Material herauszufiltern bzw. es anhand bestimmter Kriterien einschätzen zu können.

In dieser Arbeit werden unterschiedliche strukturierende Analysetechniken durchgeführt, die jeweils noch detaillierter vorgestellt werden.

Die Struktur wird in Form eines Kategoriensystems an das Material herangetragen (Mayring, 2015, S. 97). Die Kategorienbildung kann sowohl deduktiv als auch induktiv erfolgen, auch eine Mischform ist möglich (Kuckartz, 2018, S. 64–73; Mayring, 2015, S. 68). Beim deduktiven Vorgehen werden Kategorien aus den theoretischen Vorüberlegungen abgeleitet und vorab festgelegt. Das induktive Vorgehen unterstützt die prinzipielle Offenheit der Methode, indem während der Untersuchung Kategorien aus dem Material heraus entwickelt und überprüft werden. Die Kategorienentwicklung kann als Herzstück der qualitativen Inhaltsanalyse bezeichnet werden:

„Bei einer interpretativen Analyse großer Mengen qualitativen Textmaterials hängt die Güte der Auswertung und ihrer Ergebnisse nämlich entscheidend von der Sorgfalt ab, mit der das Material kodiert wurde, sowie von dem dabei entwickelten und verwendeten Kategorienschema“ (Kelle & Kluge, 2010, S. 59).

Im Anschluss werden die Analyseeinheiten definiert, dazu gehört die Kodiereinheit, die Kontexteinheit und die Auswertungseinheit. Die Kodiereinheit legt fest, „welches der kleinste Materialbestandteil ist, der ausgewertet werden darf, was der minimale Textteil ist, der unter eine Kategorie fallen darf“ (Mayring, 2015, S. 59). In dieser Arbeit wird ein Satz als Kodiereinheit festgelegt. Die Kontexteinheit definiert wiederum den größten Textbestandteil, der unter eine Kategorie fallen darf. In dieser Arbeit wird dies als die Anzahl von Absätzen festgelegt, die sich dem Antwortimpuls des Experten zuordnen lässt. Die Auswertungseinheit legt schließlich fest, welche Textteile nacheinander ausgewertet werden, in dieser Arbeit erfolgt dies sequenziell in den Transkripten.

Schließlich wird die Analyse mithilfe des Kategoriensystems anhand des spezifischen Ablaufmodells der Inhaltsanalyse durchgeführt. Dabei gilt es die Kategorien anhand der Theorie und des Materials zu überprüfen, ggf. anzupassen und dann das Material erneut zu überprüfen. Dann folgt die Zusammenstellung der Ergebnisse und Interpretation in Bezug auf die theoriegeleitete Fragestellung. Abschließend ist die Anwendung von inhaltsanalytischen Gütekriterien von zentraler Bedeutung, dies wird in Abschnitt 6.4 gezeigt.

Nachdem die Inhaltsanalyse als Methode der empirischen Sozialforschung generell eingeführt wurde, folgt nun die Beschreibung von qualitativen Experteninterviews als Erhebungsmethode. Auf dieser Basis können im weiteren Verlauf die konkreten Details zur Umsetzung der Methoden in dieser Arbeit dargestellt werden.

6.1.2 Qualitative Experteninterviews

Um die Anforderungen an die ARV-Kommunikation, aber auch die Handlungen der Akteure, umfassend untersuchen zu können, werden in Rahmen dieser Arbeit qualitative Experteninterviews als Erhebungsmethode genutzt. Die Methode soll im Folgenden generell eingeführt werden, bevor die Details der Umsetzung im Rahmen dieser Arbeit erläutert werden.

Eine Methode der qualitativen Sozialforschung ist das qualitative Interview, dessen Aufgabe darin besteht „Handlungen, Beobachtungen und Wissen der Interviewpartner“ (Gläser & Laudel, 2010, S. 40 f.) zu erfahren und zu verstehen. Das qualitative Interview spielt bei der sprachlichen Erfassung von Bedeutungsmustern eine große Rolle, da der Befragte seine Wirklichkeitsdefinitionen artikulieren kann (Lamnek & Krell, 2016, S. 330).

Das Experteninterview ist eine Sonderform des qualitativen Interviews, das in den vergangenen Jahren auch in der methodischen LiteraturFootnote 2 stärker beachtet wird. Es unterscheidet sich von anderen Interviewverfahren, was insbesondere zusammenhängt

„mit dem Status und der gesellschaftlichen Funktion von ‚Experten‘, mit der daraus resultierenden spezifischen Beziehung zwischen dem Interviewer und dem Experten sowie mit den Besonderheiten des ‚Expertenwissens‘“ (Przyborski & Wohlrab-Sahr, 2014, S. 118).

Bezogen auf die Zielsetzung und theoretische Perspektive der vorliegenden Untersuchung, können Experteninterviews aus dem folgenden Grunde als geeignete Methode angesehen werden:

„Nimmt man die Giddenssche Unterscheidung von praktischem und diskursivem Bewusstsein auf, so lässt sich diese Form des Expertenwissens, das sich auf habitualisierte Formen des Problemmanagements bezieht, zwischen beiden Polen verorten. Es ist kein völlig vorreflexives Wissen (…), nicht vergleichbar dem grammatikalischen Regelwissen, das die meisten zwar intuitiv beherrschen, aber nur in Teilen explizieren können; es ist aber auch kein Wissen, das die Experten ohne weiteres einfach ‚abspulen‘ können. Sie können über Entscheidungsfälle berichten, auch Prinzipien benennen, nach denen sie verfahren; die überindividuellen, handlungs- bzw. funktionsbereichsspezifischen Muster des Expertenwissens müssen jedoch auf der Basis dieser Daten rekonstruiert werden“ (Meuser & Nagel, 2009a, S. 51).

Die Verwendung des Expertenbegriffs ist in der Methodenliteratur bislang wenig systematisch diskutiert worden. Gläser & Laudel (2010, S. 10) benennen in einer breiten Definition, Experten als „Menschen, die ein besonderes Wissen über soziale Sachverhalte besitzen.“ Meuser & Nagel (2013, S. 460–463) zeigen verschiedene Zugänge zum Expertenbegriff auf und fassen abschließend zusammen, dass der Expertenstatus in Abhängigkeit vom jeweiligen Forschungsinteresse bestimmt werden kann, was jedoch notwendigerweise vorab auf einer meist institutionell-organisatorisch abgesicherten Zuschreibung basieren sollte. Interessant ist in diesem Zusammenhang noch die Definition des Expertenbegriffs von Bogner & Menz (2009) in der darauf verwiesen wird, dass das Wissen der Experten in bestimmten organisationalen Funktionskontexten hegemonial sei, was ausdrückt, dass dadurch die Handlungsbedingungen anderer Akteure in dem Umfeld mit strukturiert würden.

Im Rahmen von Experteninterviews können dann drei verschiedene Formen des Expertenwissens bereitgestellt werden (Przyborski & Wohlrab-Sahr, 2014, S. 121):

  1. (1)

    Wissen über Abläufe, Regeln und Mechanismen in den institutionalisierten Zusammenhängen, die sie repräsentieren,

  2. (2)

    Deutungswissen in Bezug auf eine bestimmte Diskursarena,

  3. (3)

    Kontextwissen über andere im Fokus der Untersuchung stehende Bereiche.

Bogner & Menz (2009, S. 65) differenzieren zwischen explorativen, systematisierenden und theoriegenerierenden Experteninterviews, wobei sich die Rolle des Experten dabei deutlich unterscheidet. Beim explorativen, wie systematisierenden Experteninterview sei der Experte in erster Linie ein Ratgeber bzw. Inhaber von spezifischen Informationen, die dem Forscher sonst nicht zugänglich gewesen wären. Beim theoriegenerierenden Experteninterview verändert sich die Rolle des Experten:

„In diesem Fall dient der Experte nicht mehr nur als Katalysator des Forschungsprozesses bzw. zur Gewinnung sachdienlicher Information und Aufklärung. (…) Ausgehend von der Vergleichbarkeit der Expertenäußerungen, die methodisch im Leitfaden und empirisch durch die gemeinsame organisatorisch-institutionelle Anbindung der Experten gesichert ist, wird eine theoretisch gehaltvolle Konzeptualisierung von (impliziten) Wissensbeständen, Weltbildern und Routinen angestrebt, welche die Experten in ihrer Tätigkeit entwickeln und die konstitutiv sind für das Funktionieren von sozialen Systemen“ (Bogner & Menz, 2009, S. 66).

Der Standardisierungsgrad der Interviewtechnik, der von voll standardisierten Interviews bis zu offenen, narrativen Interviews reichen kann, ist eine zentrale Frage der qualitativen Sozialforschung (Brosius et al., 2016, S. 104–108). Meuser & Nagel (2009a, S. 51) argumentieren, dass bei der Rekonstruktion von handlungsorientiertem Wissen im Rahmen von standardisierten Befragungen allenfalls das Wissen auf der Ebene des diskursiven Bewusstseins erfasst werden könne, und plädieren daher für die Notwendigkeit eines thematischen Leitfadens. Auch Gläser & Laudel (2010, S. 42, 111) charakterisieren das Experteninterview als halb-standardisierte Methode der qualitativen Sozialforschung, bei der meist ein Leitfaden zugrunde liegt – was sich basierend auf einer Durchsicht der Methodenliteratur von Meuser & Nagel (2013, S. 459) bestätigen lässt. Auch narrative Interviews wären denkbar, jedoch wird dies im Rahmen dieser Arbeit als methodisch nicht hilfreich erachtet, da nicht die Biografie des Experten im Vordergrund steht, sondern die „auf einen bestimmten Funktionskontext bezogenen Strategien des Handelns und Kriterien des Entscheidens“ (Meuser & Nagel, 2009a, S. 52). Im Rahmen dieser Arbeit werden teilstrukturierte Interviews geführt, die jedoch Narrationen zulassen sollen:

„Diese [Narrationen] erweisen sich, wenn der Inhalt der Erzählung eine Episode aus dem beruflichen Handlungsfeld ist, durchaus als Schlüsselstellen für die Rekonstruktion von handlungsleitenden Orientierungen. Methodisch gewendet heißt dies, durch die Interviewführung Narrationen herauszufordern. Erzählungen geben Aufschluss über Aspekte des Expertenhandelns, die dem Experten selbst nicht voll bewusst sind, die ihm vielmehr erst im Laufe der Erzählung Schritt für Schritt bewusst werden“ (Meuser & Nagel, 2009a, S. 52 f.).

Das Prinzip der Offenheit dieser Methode erlaubt es daher, den Experten mit seiner Situationsdefinition, Strukturierung des Untersuchungsgegenstands und Bewertung zu erfassen (Lamnek & Krell, 2016, S. 690).

Dem Leitfaden wie auch dem Interviewer kommt bei Experteninterviews also eine wichtige Rolle zu. Bogner & Menz (2009, S. 88 ff.) unterschieden sechs Typen von Zuschreibungen, wie der Experte den Interviewer wahrnehmen könne: (1) als Co-Experten, (2) Experte einer anderen Wissenskultur, (3) Laie, (4) Autorität, (5) Komplize und (6) potenzieller Kritiker. Die Rolle als Autorität und potenzieller Kritiker sei nicht empfehlenswert, während die anderen Rollen abhängig von der Gesprächssituation vorteilhaft sein können. Die Wahrnehmung als Co-Experte setze bspw. Fachwissen voraus. Die Wahrnehmung des Interviewers als Komplize sei nur möglich, wenn ein hohes Vertrauen aufgrund persönlicher Bekanntschaft oder eines geteilten Erfahrungshintergrunds bestehe. Die Wahrnehmung als Laie wiederum könne förderlich für Narrationen sein, werden jedoch vor allem Interviewern mit niedrigeren formalen Status zugeschrieben.

Trinczek (2009) zeigt anhand von Studien die Besonderheiten der Gesprächsführung mit Mitgliedern der Unternehmensführung auf. Daraufhin wird argumentiert, dass die Kommunikation mit Managern zwangsläufig anders erfolgen müsse, da sich diese an der in ihrem beruflichen Kontext üblichen argumentativ-diskursiven Gesprächsweise orientieren würden. Eine diskursive Interviewstruktur entspreche jedoch nur begrenzt den Standards qualitativer Sozialforschung:

„Hier wird bekanntlich mit Nachdruck betont, dass sich die Interviewperson im Gespräch neutral-unterstützend verhalten sollte, um nicht Gefahr zu laufen, den Prozess der Entfaltung der subjektiven Relevanzstrukturen des Befragten zu beeinflussen. Ganz im Gegensatz hierzu muss ein Experteninterview mit Managern angesichts der (…) ‚vorgängigen Regeln der alltagsweltlichen Kommunikation‘ in diesem spezifischen Forschungsfeld zwangsläufig argumentativ-diskursiv angelegt sein“ (Trinczek, 2009, S. 234).

Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass basierend auf dem Erkenntnisinteresse leitfadengestützte qualitative Experteninterviews im Rahmen dieser Arbeit durchgeführt werden. Abbildung 6.3 zeigt den Ablauf von leitfadengestützten Experteninterviews, der im Folgenden allgemein beschrieben wird. Die Details für die Experteninterviews mit den Stakeholdern finden sich in Abschnitt 6.2.2 sowie in Abschnitt 6.3 für die Gespräche mit den Unternehmensvertretern.

Abbildung 6.3
figure 3

(Eigene Darstellung)

Ablauf von leitfadengestützten Experteninterviews

Fallauswahl

Während bei der quantitativen Forschung Repräsentativität angestrebt wird und dabei vor allem die Güte der Stichprobe ausschlaggebend ist, steht man bei der Auswahl der Fälle in der qualitativen Sozialforschung vor dem analogen Problem, wie sichergestellt werden kann, dass die für die Fragestellung und das Untersuchungsfeld relevanten Fälle in die Studie einbezogen werden (Kelle & Kluge, 2010, S. 42). Es steht also die Relevanz der untersuchten Subjekte im Vordergrund. Da Experteninterviews häufig mit der Intention durchgeführt werden, Erkenntnisse zu gewinnen, die über den untersuchten Fall hinausreichen, ist die Auswahl der Personen von besonderer Bedeutung. In der quantitativen Sozialforschung werden dafür Zufallsstichproben bemüht, dies ist jedoch bei diesem qualitativen Vorgehen ungeeignet. Stattdessen muss eine bewusste, durch Kriterien gesteuerte Auswahl und Kontrastierung von Fällen erfolgen. Dabei können drei Strategien differenziert werden, nach denen Fälle nach bestimmten Kriterien systematisch ausgewählt werden (Kelle & Kluge, 2010, S. 43 ff.; Przyborski & Wohlrab-Sahr, 2014, S. 181 ff.):

  • Fallkontrastierung anhand von Gegenbeispielen, indem eine Hypothese durch die systematische Suche nach empirischen Gegenevidenzen weiterentwickelt bzw. modifiziert wird.

  • Das theoretical sampling, wobei Kriterien für die Auswahl des nächsten Falls im Forschungsprozess basierend auf dem jeweils erreichten Kenntnisstand schrittweise erweitert und ergänzt werden.

  • Die Konstruktion mehr oder weniger elaborierter qualitativer Stichprobenpläne (deduktives Stichprobensampling), die vor der Untersuchung anhand bestimmter Merkmale festgelegt werden.

Bei der vorliegenden Untersuchung wird eine Auswahl anhand vorab festgelegter Kriterien durchgeführt. Sie basiert auf Kriterien aus der Fragestellung, theoretischen Vorüberlegungen und den Ergebnissen der Inhaltsanalyse der Medienberichterstattung und Analystenreports. Die Fallauswahl der externen Anspruchsgruppen wird in Abschnitt 6.2.2 und die der Unternehmensakteure in Abschnitt 6.3 detailliert erläutert.

Solch ein deduktives Stichprobensampling birgt Vor- und Nachteile (Merkens, 1997, S. 98): Der Vorteil besteht darin, dass aufgrund der bekannten Kriterien gezielt Personen für Interviews ausgewählt werden können, sodass eine maximale Breite an relevanten Informationen erwartet werden kann (Varianzmaximierung). Nachteile können entstehen, da die Zusammensetzung der Stichprobe stark vom theoretischen Vorwissen abhängt und eine fehlende Berücksichtigung von möglicherweise relevanten Kriterien dazu führen könnte, dass der maximale Rahmen an möglichen Informationen nicht erreicht wird. Als Gütekriterium kann die innere Repräsentation der Stichprobe angesehen werden, „wenn einerseits der Kern des Feldes in der Stichprobe gut vertreten ist und andererseits auch die abweichenden Vertreter hinreichend in die Stichprobe aufgenommen worden sind“ (Merkens, 1997, S. 100). Die Stichprobe sollte demnach typische und ebenso maximal unterschiedliche Fälle umfassen.

Erstellung und Tests der Leitfäden

Der Leitfaden für das Experteninterview dient dazu, das Gespräch thematisch zu strukturieren. Dieser soll sowohl eine inhaltliche Fokussierung als auch eine selbstläufige Schilderung der Handlungen gewährleisten, d. h. es sollte ausreichend Raum für freie Erzählungen mit eigenen Relevanzsetzungen geben (Liebold & Trinczek, 2009, S. 35).

Przyborski & Wohlrab-Sahr (2014, S. 121–125) schlagen sechs Phasen für den Ablauf eines Expertengesprächs vor: (1) Vorgespräch, (2) Gelegenheit zur Selbstpräsentation des Experten, (3) Stimulierung einer selbstläufigen Sachverhaltsdarstellung, (4) Aufforderung zur beispielhaften und ergänzenden Detaillierung, (5) Aufforderung zur spezifischen Sachverhaltsdarstellung, sowie (6) Aufforderung zur Theoretisierung. Die Schritte eins bis drei sollten durch die Fragen des Leitfadens gewährleistet werden, während die Schritte vier bis sechs flexibel im Gesprächsverlauf Anwendung finden.

Für den Leitfaden werden daher zunächst thematische Blöcke aus den theoretischen Ausführungen abgeleitet, um das Untersuchungsfeld umfassend erfassen zu können. In dieser Arbeit entstanden verschiedene Versionen, deren Ablauf sich leicht unterscheidet und deren Fragen auf die jeweilige Perspektive des Experten angepasst wurden. Die inhaltlichen Ebenen des Leitfadens finden sich für die Interviews mit den Stakeholdern in Abschnitt 6.2.2 sowie die der Unternehmensakteure in Abschnitt 6.3. Im Vorfeld der Interviews wurden Pretests mit den verschiedenen Versionen der entworfenen Leitfäden durchgeführt.

Kontaktaufnahme und Durchführung der Experteninterviews

Anschließend wurden die Experten für ein Gespräch zum Forschungsprojekt angefragt. Während des Vorgesprächs wurde über das Ziel des Forschungsprojekts informiert, Fragen der Anonymität und des Datenschutzes besprochen sowie ein Einverständnis für die Tonbandaufzeichnung eingeholt (Gläser & Laudel, 2010, S. 144). Nach allen Leitfragen wurde das Interview mit der offenen Frage beendet, ob aus Sicht des Interviewpartners weitere Aspekte des Themas noch nicht berücksichtigt wurden (Gläser & Laudel, 2010, S. 149). Die Details zur Durchführung der Interviews mit den Stakeholdern finden sich in Abschnitt 6.2.2 sowie in Abschnitt 6.3 in Bezug auf die Unternehmensakteure.

Datenaufbereitung und -auswertung

Eine wichtige Entscheidung bei der Datenaufbereitung ist die Transkriptionsgenauigkeit. Dabei ist nach Liebold & Trinczek (2009, S. 41) ein Volltranskript wünschenswert. Es hat den Vorteil, dass es alle Informationen umfasst, die für die Interpretation genutzt werden können, bringt jedoch einen hohen zeitlichen Aufwand mit sich. Für alle Aufzeichnungen wurden dieselben Transkriptionsregeln angewandt; sie sind in Abschnitt 6.2.2 für die Stakeholder-Gespräche sowie in Abschnitt 6.3 für die Interviews mit den Unternehmensakteuren zu finden.

Bei der Auswertung sind nicht die Einzelfälle, sondern die übergreifenden sozialen Erwartungen an die bzw. Handlungen der ARV-Kommunikation das Ziel der Analyse.

„Anders als bei der einzelfallinteressierten Interpretation orientiert sich die Auswertung von Experteninterviews an thematischen Einheiten, an inhaltlich zusammengehörigen, über die Texte verstreuten Passagen – nicht an der Sequenzialität von Äußerungen je Interview“ (Meuser & Nagel, 2009b, S. 476).

Die Aussagen der Experten erhalten demnach ihre Bedeutung aus dem Kontext ihrer institutionellen Handlungsbedingungen, während die Vergleichbarkeit durch die leitfadenorientierte Interviewführung gewährleistet wird.

Die Experteninterviews mit den Anspruchsgruppen und den Unternehmensvertretern werden mithilfe einer qualitativen Inhaltsanalyse ausgewertet. Wie in Abschnitt 6.1.1 dargestellt, kann nach Mayring (2015, S. 67) zwischen drei Grundformen der Analysetechnik (Zusammenfassung, Explikation, Strukturierung) der qualitativen Inhaltsanalyse unterschieden werden. Ziel einer strukturierenden Auswertung ist es, bestimmte Strukturen aus dem Material herauszufiltern. Dabei können vier Typen der strukturierenden Inhaltsanalyse unterschieden werden: formale, inhaltliche, typisierende und skalierende Strukturierung (Mayring, 2015, S. 99). Für die Analyse der Interviews wurde eine inhaltliche Strukturierung gewählt, um „bestimmte Themen, Inhalte, Aspekte aus dem Material herauszufiltern und zusammenzufassen“ (Mayring, 2015, S. 103).

Die Codierung und Auswertung der Daten erfolgt dann idealtypisch (Kuckartz, 2018, S. 100–121; Mayring, 2015, S. 97–103): Die Transkripte der Interviews stellen die Analyseeinheiten dar. Aus der Theorie werden Kategorien abgeleitet und als Kategoriensystem zusammengestellt. Anschließend wird mithilfe eines ersten, ausschnittweisen Materialdurchgangs überprüft, ob die Kategorien greifen und eine eindeutige Zuordnung anhand der Definitionen, Ankerbeispiele und Kodierregeln möglich ist. Die Details zum Kategoriensystem sowie der Auswertung finden sich in Abschnitt 6.2.2 für die Gespräche mit den Anspruchsgruppen sowie in Abschnitt 6.3 für die Unternehmensvertreter.

6.2 Institutionelle Analyse der Anforderungen an die ARV-Kommunikation

Im Rahmen dieser Arbeit soll die Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden erstmalig umfassend untersucht werden. Dafür sollen aus externer Perspektive die Anforderungen an die ARV-Kommunikation analysiert werden. Mithilfe dieser institutionellen Analyse sollen die externen Strukturen rekonstruiert werden, auf die die Unternehmensakteure bei der ARV-Kommunikation weitgehend unbewusst zurückgreifen. Die Anforderungen sollen mithilfe von zwei methodischen Schnitten analysiert werden.

Erstens werden mithilfe einer Inhaltsanalyse der Medienberichterstattung sowie von Analystenreports über Aufsichtsratsvorsitzende von börsennotierten Unternehmen, die Diskurse in der gesellschaftspolitischen Öffentlichkeit sowie der Kapitalmarktöffentlichkeit aufgezeigt (Abschnitt 6.2.1). Auf dieser Basis kann dargestellt werden, wie die Äußerungen von Aufsichtsratsvorsitzenden von den wichtigen Intermediären in den beiden relevanten Öffentlichkeitsarenen rezipiert werden und welche Bedeutung Corporate-Governance-Themen damit beigemessen wird.

Basierend auf den theoretischen Ausführungen zu den Anspruchsgruppen der ARV-Kommunikation können dann mithilfe dieser Analyse konkrete Akteure innerhalb der Anspruchsgruppen identifiziert werden. Mit diesen Akteuren werden dann qualitative Experteninterviews durchgeführt (Abschnitt 6.2.2), um deren Erwartungen an die Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden beschreiben zu können. Es handelt sich dabei um die Erwartungen, die von außen an die Unternehmen und die Aufsichtsratsvorsitzenden gestellt werden. Dies geschieht in dem Bewusstsein, dass Erwartungen nicht nur exogen, sondern auch von innen kommen können. Erwartungen von Stakeholdern können jedoch zu (unerkannten) Handlungsbedingungen werden – und damit zu einer Anforderung für die ARV-Kommunikation.

Durch die Kombination der beiden Analysen soll gezeigt werden, wie die Rezeption der öffentlichen Äußerungen von Aufsichtsratsvorsitzenden und die Erwartungen der Stakeholder zu Anforderungen für die ARV-Kommunikation werden. Diese Anforderungen können als (unerkannte) Handlungsbedingungen einen Einfluss auf die Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden nehmen.

Die Kombination der Methoden hat einen weiteren Vorteil: Während bei der quantitativen Forschung die Güte der Stichprobe ausschlaggebend ist, steht die qualitative Sozialforschung vor der Herausforderung, wie sichergestellt werden kann, dass die für das Untersuchungsfeld relevanten Fälle in das Untersuchungsdesign mit einbezogen werden, um Verzerrungen zu verhindern (Kelle & Kluge, 2010, S. 42). Daher sollen die Erkenntnisse der Inhaltsanalyse als Grundlage für das Sampling der Expertengespräche dienen.

6.2.1 Inhaltsanalyse der Medienberichterstattung und Analystenreports zu Aufsichtsratsvorsitzenden

Das Ziel der vorliegenden Inhaltsanalyse der Medienberichterstattung und Analystenreports ist es aufzuzeigen, wie die Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden von DAX- und MDAX-Unternehmen in der gesellschaftspolitischen Öffentlichkeit und Kapitalmarktöffentlichkeit rezipiert wird. Aus den Diskursen in den beiden Öffentlichkeitsarenen und daraus resultierenden Informationsbedürfnissen können Anforderungen an der ARV-Kommunikation entstehen. Dabei soll die erste Forschungsfrage beantwortet werden (Abschnitt 5.5): Wie wurde in den Jahren 2016 und 2017 in deutschen Tages- und Wirtschaftsmedien und Analystenreports über Aufsichtsratsvorsitzende berichtet?

Festlegung des Materials

Am Anfang steht die Festlegung des Materials der Inhaltsanalyse. Im Rahmen dieses Methodenschritts soll die im Sinne von Gerhards & Neidhardt (1991) komplexeste Ebene von Öffentlichkeit, nämlich die massenmediale Öffentlichkeit und die darin entfalteten öffentlichen Diskurse untersucht werden. Dafür werden einerseits die medialen Diskurse in der gesellschaftspolitischen Öffentlichkeit betrachtet. Andererseits werden auch die Diskurse in der Kapitalmarktöffentlichkeit untersucht. Dies geschieht erstens durch die Analyse von relevanten Wirtschaftsmedien, die als Vermittler in der Kapitalmarktöffentlichkeit agieren. Zweitens werden Analystenreports untersucht, da Analysten als Vermittler in der Kapitalmarktöffentlichkeit unabhängig und regelmäßig die Aufmerksamkeit auf verschiedene Unternehmen und Entwicklungen lenken (Abschnitt 4.1.2). In Bezug auf die Festlegung des Materials für die Inhaltsanalyse kann demnach festgehalten werden, dass es sich um vollständige Medienartikel und Analystenreports handelt (Abschnitt 6.1.1).

Die Entstehungssituation des Materials wird im Folgenden beschrieben: Als Zeitraum wurde der 01. Januar 2016 bis 31. Dezember 2017 gewählt, mit dem Ziel mögliche Veränderungen über diesen längeren Zeitraum identifizieren zu können. Die Diskussion zum Investorendialog und die Aufnahme der Anregung im Deutschen Corporate Governance Kodex fallen ebenfalls in diesen Zeitraum. Auch die Veränderungen der Indizes und Neuwahlen in Aufsichtsratsgremien wurden dabei beachtet. Im Untersuchungszeitraum 2016–2017 kam es bei drei DAX-Unternehmen (Allianz SE, Deutsche Lufthansa AG, Vonovia SE) zu einem Wechsel des Aufsichtsratsvorsitzes. Zudem wird die Zusammensetzung der Indizes regelmäßig von der Deutschen Börse überprüft. Im Untersuchungszeitraum sind an unterschiedlichen Zeitpunkten vier Unternehmen aus dem MDAX abgestiegen (Bilfinger SE, DMG Mori AG, Kuka AG, Rhön Klinikum AG) bzw. aufgestiegen (Ceconomy SE, Grand City Properties S.A., innogy SE, Uniper SE). Alle Unternehmen bzw. Aufsichtsratsvorsitzenden wurden im Rahmen der Inhaltsanalyse mit einbezogen.

Bei der Auswahl der Medien für die Medienanalyse galt es sowohl relevante Medien aus der gesellschaftspolitischen Öffentlichkeit als auch der Kapitalmarktöffentlichkeit zu identifizieren. Wie in Abschnitt 4.1.1 dargestellt, sind vor allem die überregionalen Medien als Leitmedien in der gesellschaftspolitischen Arena anzusehen, da sie sich sowohl an die politischen und wirtschaftlichen Eliten, die Journalisten im In- und Ausland als auch die Masse ihrer Leser richten (Kepplinger, 2009, S. 18). Anhand von Kriterien der Relevanz für den öffentlichen Meinungsbildungsprozess, die u. a. Auflagenstärke, Möglichkeit einer pluralistischen Meinungsbildung (verschiedene Verlagsgruppen und politische Ausrichtungen) und Leserschaft bei Wirtschaftsentscheidern (Kepplinger, 2009, S. 19; LEA, 2019; Mast, 2012, S. 105; Wilke, 2009) beinhalten, wurden die folgenden 15 Medien ausgewählt (alphabetisch sortiert): BILD, BILD am Sonntag, Börsen-Zeitung, Der Spiegel, Die Welt, Die Zeit, Euro am Sonntag, Focus Magazin, Frankfurter Allgemeine Zeitung, Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, Handelsblatt, Manager Magazin, Süddeutsche Zeitung, Welt am Sonntag und die WirtschaftsWoche.

Auch wenn Social Media in den Arenen eine zunehmende Bedeutung zukommt, repräsentieren die traditionellen Medien in besonderem Maße eine „legitimierte Form der veröffentlichten Meinung“ (Coombs & Holladay, 2012, S. 408), sodass die Diskurse in den Öffentlichkeitsarenen dadurch aufgezeigt werden können. Nach der jährlichen Studie Leseranalyse Entscheidungsträger in Wirtschaft und Verwaltung sind Online-Angebote für die Entscheider zwar sehr wichtig, allerdings liest weiterhin mehr als die Hälfte der in der Studie Befragten längere Texte lieber auf Papier, über ein Drittel nutzt Print und Digital gleich gern (LAE, 2019).

Für die Analyse von Analystenreports muss zunächst zwischen Buy-Side- und Sell-Side-Analysten differenziert werden (Abschnitt 4.1.2). Die Empfehlungen von Buy-Side-Analysten sind nicht öffentlich verfügbar, da sie nur für die interne Verwendung der Organisationen erstellt werden. Sie können im Rahmen dieser Arbeit nicht untersucht werden. Demgegenüber richten sich die Reports der Sell-Side-Analysten an externe Adressaten. Diese Reports sind jedoch nicht auf den Websites der jeweiligen Banken oder Analysehäusern verfügbar, können aber in, meist kostenpflichtigen, Datenbanken abgerufen werden. Die Empfehlungen in den Analystenreports können auch Eingang in die mediale Berichterstattung von Wirtschaftsmedien finden. Die Analystenreports für die vorliegende Analyse konnten mithilfe von Thomson Reuters Eikon, einer professionellen Datenbank für Markt- und Finanzdaten, identifiziert werden.

Die E-Paper der genannten 15 Medien wurden dann mit den Schlagworten Aufsichtsratsvorsitzende, Aufsichtsratsvorsitzender und Aufsichtsratschef durchsucht. Da Analystenreports zum großen Teil in englischer Sprache verfasst werden, wurden hier sowohl die deutschen Suchbegriffe als auch die entsprechende englische Übersetzung (Chairman of the Supervisory Board) genutzt. Es wurden alle Artikel zu Aufsichtsratsvorsitzenden von DAX- und MDAX-Unternehmen im Volltext extrahiert (formale Charakteristika des Materials).

Die Inhaltsanalyse wurde in zwei Abschnitten durchgeführt. Die Vollerhebung des Jahres 2016 fand vom 01.-20. Juni 2017 statt, die Daten wurden ausgewertet und für die Auswahl der Fälle für die qualitativen Interviews herangezogen. Die Artikel und Reports des Jahres 2017 wurden vom 13.-30. März 2018 erhoben, sie komplettierten und unterstützen die vorliegenden Ergebnisse.

Im Rahmen der Vollerhebung der beiden Jahren 2016 und 2017 wurden zunächst alle Treffer betrachtet. Dann wurden nur diejenigen Berichte ausgewählt, bei denen es sich um Aufsichtsratsvorsitzende von DAX- und MDAX-Unternehmen handelte und Dopplungen eliminiert.

Insgesamt wurden bei den 15 Medien zunächst 5.792 Treffer ermittelt, wovon 769 Artikel relevant für die Analyse sind. Bei der Medienberichterstattung zeigt sich, dass vor allem die finanznahen Tageszeitungen Börsen-Zeitung (188 Artikel) und Handelsblatt (143 Artikel) am häufigsten über Aufsichtsratsvorsitzende berichten.

Bei den Analystenreports ergaben sich 4.602 Treffen in der Suche, wobei jedoch nur 20 Berichte relevant für die Analyse sind, da nur in diesen Berichten Äußerungen von Aufsichtsratsvorsitzenden thematisiert wurden. In den anderen Berichten wurde der Name des Aufsichtsratsvorsitzenden lediglich in einer Übersicht zu allgemeinen Unternehmensinformationen aufgeführt. Im Vergleich zur Medienberichterstattung handelt es sich also um eine geringe Anzahl an Analystenreports, diese Tatsache muss bei der Interpretation der Daten beachtet werden. Bei den Analystenreports hebt sich aufgrund der geringen Anzahl keine der Banken als Herausgeber besonders hervor: J.P. Morgan, Kepler Cheuvreux, Jeffries und Warburg Research veröffentlichten jeweils drei Reports, in denen Aufsichtsratsvorsitzende thematisiert werden. Ausführliche Details zur deskriptiven Auswertung der Medienberichte und Analystenreports finden sich in Abschnitt 7.1.

Die identifizierten Artikel und Reports wurden anschließend inhaltlich untersucht. Dabei standen nicht im Einzelnen vertretene Positionen, Argumentationslinien oder Sprachverwendung im Vordergrund. Diese Aspekte sind für das Erkenntnisinteresse dieser Arbeit nicht relevant. Die Richtung der Analyse bezieht sich damit auf die Rezeption der öffentlichen Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden. Die Artikel und Reports wurden mithilfe eines vorab aus den theoretischen Vorüberlegungen entwickelten Kategoriensystems analysiert (Tabelle 6.1).

Tabelle 6.1 Kategorien der Inhaltsanalyse der Medienberichterstattung und Analystenreports

Die formalen Eigenschaften umfassen dabei die Zuordnung einer Nummer für jeden Artikel bzw. Report (v1), der Name des Mediums bzw. der Bank (v2) und das Erscheinungsdatum (v3). Für Medienberichte wurde darüber hinaus die journalistische Darstellungsform (v4) erhoben, um eventuelle Personalisierungstendenzen identifizieren zu können. Dann folgen Kategorien zum Unternehmen (v5) sowie der Indexzugehörigkeit (v6) um eventuelle Unterschiede darstellen zu können.

Schließlich wurden die folgenden Inhalte der Berichterstattung analysiert: Zunächst wurde der Anlass der Berichterstattung (v7) erhoben, wobei zwischen der Regelkommunikation sowie Sondersituationen unterschieden wurde. Zur Regelkommunikation des Aufsichtsrats gehören die in Abschnitt 3.2 beschriebenen Aufgaben des Aufsichtsrats, wie die Besetzung des Vorstands, Vergütung etc. Bei Sondersituationen handelt es sich um Diskontinuitäten des Geschäfts, z. B. Krisen oder Übernahmen, die auch für die Überwachungsfunktion des Aufsichtsrats besonders relevant sind. Die Probecodierungen zeigten, dass bei den Medienberichten noch Personality-Stories, also eine personalisierte Berichterstattung über Aufsichtsratsvorsitzende, und Themen außerhalb des Unternehmenskontexts als Ausprägungen ergänzt werden mussten.

Weiterhin wurde das Thema des Beitrags (v8) erhoben. Aus den Aufgaben des Aufsichtsrats (Abschnitt 3.2) wurden deduktiv verschiedene Themen abgeleitet, wie z. B. die Auswahl/Bestellung des Vorstands oder die Zusammensetzung des Aufsichtsrats. Zudem wurde induktiv am Material gearbeitet, sodass weitere Themen, wie Ermittlungen mit Bezug zum Aufsichtsrat, in den Berichten identifiziert wurden.

Aus den Überwachungsaufgaben des Aufsichtsrats ergeben sich verschiedene Publizitätspflichten (Abschnitt 5.1.2). Daher wurde analysiert, ob es sich bei der Kommunikation des jeweiligen Aufsichtsratsvorsitzenden (v9) um eine Äußerung im Rahmen der Pflichtpublizität oder eine freiwillige Kommunikation handelte. Eine freiwillige Kommunikation kann insbesondere gegenüber Medien in der gesellschaftspolitischen Öffentlichkeit angenommen werden (Abschnitt 5.1.3). Die Probecodierungen zeigten, dass in Medienberichten häufig auf Äußerungen aus sog. unternehmensnahen Kreisen Bezug genommen wurde. Das heißt, dass Journalisten Äußerungen von Personen aufnehmen, die in den Artikel jedoch nicht namentlich genannt werden. Da dies häufig der Fall war, wurde es als Kategorie ergänzt.

Abschließend wurde erhoben, über welchen Maßnahmen der ARV-Kommunikation (v10) die Äußerung erfolgte. Dafür wurden aus den Publizitätspflichten verschiedene Maßnahmen, wie z. B. Pressemitteilungen auf aufsichtsratsrelevanten Themen (Abschnitt 5.1.2) deduktiv abgeleitet. Dazu wurden zahlreiche Maßnahmen aus dem Material induktiv ergänzt.

Die Inhaltsanalyse ermöglicht somit die Strukturierung der durch die Medienberichterstattung und Analystenreports rezipierten Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden. Die Dichotomie in der Analyse zwischen der Pflichtkommunikation und freiwilligen Kommunikation ist wichtig für ein erweitertes Verständnis, da bisher vor allem die Publizitätspflichten des Aufsichtsrats in der Corporate-Governance-Forschung im Vordergrund standen, jedoch gezeigt werden soll, dass die Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden auch freiwillige Kommunikationsmaßnahmen umfasst. Eine freiwillige Kommunikation könnte aufgrund der Erwartungen der Stakeholder gefordert werden, dies wird im Rahmen der institutionellen Analyse untersucht, und damit zu einer (unerkannten) Handlungsbedingung werden. Die Dichotomie zwischen der Regelkommunikation und Sondersituationen wiederum ermöglicht einerseits eine Analyse der Kommunikationsmaßnahmen, die im Rahmen der Regelkommunikation durch das Kommunikationsmanagement des Unternehmens für Aufsichtsratsvorsitzende umgesetzt werden. Andererseits soll untersucht werden, ob es in Sondersituationen eine möglicherweise aktivere Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden gibt, da mehr Transparenz gefordert wird, was ein Interpretationsmuster darstellen könnte. Im Rahmen der Ergebnisdarstellung in Abschnitt 7.1.1 werden die beschriebenen Kategorien zunächst deskriptiv ausgewertet, d. h. quantitativ zusammengefasst und beschrieben.

Bestimmung der Analysetechnik: strukturierende qualitative Inhaltsanalyse

In der Beschreibung der Methode der Inhaltsanalyse wurden die Zusammenfassung, Explikation und Strukturierung als Grundformen der Analysetechnik eingeführt (Abschnitt 6.1.1). Ziel der Inhaltsanalyse der Medienberichterstattung und Analystenreports war es, das Material anhand bestimmter Aspekte zu strukturieren, um so die Berichterstattung zu Aufsichtsratsvorsitzenden einschätzen zu können. Die strukturierende Inhaltsanalyse lässt sich in eine formale, inhaltliche, typisierende und skalierende Strukturierung (Mayring, 2015, S. 99) differenzieren, die abhängig von den theoriegeleitet entwickelten Strukturierungsdimensionen in einzelne Kategorien untergliedert werden kann.

Das Material wurde im Rahmen der Analyse weiterhin typisierend strukturiert, indem die aus der Theorie abgeleiteten Dimensionen „Anlass der Berichterstattung“ und „Äußerungen des Aufsichtsratsvorsitzenden“ als typische Merkmale identifiziert und diese genauer beschrieben wurden (Mayring, 2015, S. 103). Das Zwischenergebnis dieser Analyse, das in Abschnitt 7.1.2 vorgestellt wird, wurde als Grundlage für die Fallauswahl der Expertengespräche mit Unternehmensvertretern herangezogen (ausführlich in Abschnitt 6.3).

6.2.2 Qualitative Experteninterviews mit Anspruchsgruppen

Nachdem mit der Inhaltsanalyse der Medienberichterstattung und Analystenreports die Rezeption der öffentlichen Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden untersucht wurde, sollen Gespräche mit den Akteuren der Anspruchsgruppen aus der gesellschaftspolitischen Öffentlichkeit und Kapitalmarktöffentlichkeit durchgeführt werden, um die Erwartungen an die Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden beschreiben zu können. Auf dieser Basis können dann die Anforderungen an die ARV-Kommunikation aufgezeigt werden, auf die sich die Unternehmensakteure als Strukturmomente beziehen. In Abschnitt 6.1.2 wurden bereits qualitative Experteninterviews als Erhebungsmethode vorgestellt, im Folgenden werden die Details zur Fallauswahl, Erstellung des Leitfadens sowie der Durchführung beschrieben. Das Ziel in diesem methodischen Schritt ist es, die zweite Forschungsfrage zu beantworten: Welche Erwartungen haben Stakeholder an die Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden?

Fallauswahl

Die Gespräche mit externen Stakeholdern werden geführt, um deren Erwartungen als Anforderungen an die Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden beschreiben zu können. Die Experten sollen demnach über eine direkte Betroffenheit zum Thema verfügen, bspw. weil sie zu einer zentralen Stakeholdergruppe der Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden gehören.

Bei der vorliegenden Untersuchung wird eine Auswahl anhand vorab festgelegter Kriterien durchgeführt (Abschnitt 6.1.2). Für die Auswahl waren daher die im theoretischen Teil der Arbeit vorgestellten Akteure der gesellschaftspolitischen Öffentlichkeit (Abschnitt 4.1.1) und Kapitalmarktöffentlichkeit (Abschnitt 4.1.2) für die Festsetzung der Kriterien relevant (Tabelle 6.2). Die Inhaltsanalyse der Medienberichterstattung und Analystenreports konnte zudem dafür genutzt werden, um Akteure zu identifizieren, die sich bereits zum Forschungsthema geäußert hatten. Insbesondere aus der Analyse der Medienberichterstattung konnten Akteure der Kapitalmarköffentlichkeit (Investoren, Stimmrechtsberater, Aktionärsschützer, Vertreter eines Kapitalmarktinteressenverbands) identifiziert werden, die sich in Artikeln, Kommentaren etc. zur Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden geäußert haben.

Tabelle 6.2 Kriterien für die Auswahl der externen Stakeholder für Experteninterviews

Als Experte aus der gesellschaftspolitischen Öffentlichkeit wurden Wirtschaftsjournalisten als zentrale Vermittler identifiziert, die bereits zu dem Thema berichtet hatten; das gleiche galt für Wirtschaftsjournalisten von Medien, die als Leitmedien in der Kapitalmarktöffentlichkeit angesehen werden können. Die deskriptiven Ergebnisse der Inhaltsanalyse zeigen, dass die Börsen-Zeitung und das Handelsblatt am häufigsten über Aufsichtsratsvorsitzende berichten (Abschnitt 6.2.1), daher wurden Journalisten von diesen Medien für die Expertengespräche mit externen Stakeholdern ausgewählt.

Für die gesellschaftspolitische Öffentlichkeit wurde zudem der Vorsitzende der Regierungskommission Deutscher Corporate Governance Kodex, die den Investorendialog in den Kodex aufgenommen hatte, als Experte angefragt. Der Kodex will schließlich „das Vertrauen der Anleger, der Kunden, der Belegschaft und der Öffentlichkeit in die Leitung und Überwachung deutscher börsennotierter Gesellschaften fördern“ (DCGK, Präambel). Zudem stellt der DCGK eine Norm für die ARV-Kommunikation dar. Die Initiative Developing Shareholder Communication (Abschnitt 5.1.2) wurde nicht explizit im Sample aufgenommen, da Vertreter der Arbeitsgruppe bereits in ihren primären Rollen als Aufsichtsratsvorsitzende, Investoren bzw. Aktionärsschützer im Rahmen dieser Arbeit interviewt werden konnten.

Für die Kapitalmarktöffentlichkeit wurden Experten für verschiedene Perspektiven und Rollen ausgewählt: Dazu gehören die Vertreter von institutionellen (deutschen und international ansässigen) Investoren als zentrale Anspruchsgruppe der ARV-Kommunikation. Weiterhin gehören Aktionärsschutzvereinigungen zu relevanten Akteuren in der Kapitalmarktöffentlichkeit, die insbesondere für Privatanleger eine wichtige Repräsentationsrolle spielen. Daher wurden die Geschäftsführer der beiden großen deutschen Aktionärsschutzvereinigungen DSW – Deutsche Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz e. V. und Schutzgemeinschaft der Kapitalanleger e. V. als Experten angefragt.

Weiterhin wurden Analysten als relevante Intermediäre in der Kapitalmarktöffentlichkeit identifiziert (Abschnitt 4.1.2). Die Erkenntnisse der Inhaltsanalyse von Analystenreports zeigen jedoch, dass Analysten nur selten über die Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden berichten (Abschnitt 6.2.1). Daher kann ihnen eine geringe Relevanz als Multiplikatoren zugeschrieben werden, sodass keine Expertengespräche mit Analysten angestrebt wurden.

Dem gegenüber wird Stimmrechtsberatern eine steigende Bedeutung als Vermittler in der Kapitalmarktöffentlichkeit zugeschrieben. Der Markt für Stimmrechtsberatung wurde zum Zeitpunkt der Erhebung der Daten maßgeblich von zwei US-amerikanischen Unternehmen (ISS und IVOX Glass Lewis) dominiert (Abschnitt 4.1.2), daher wurden Vertreter, die auf den deutschen Markt spezialisiert sind, dieser beiden Stimmrechtsberatungen angefragt.

Die Auswahl der Experten aus der Kapitalmarktöffentlichkeit erfolgte auch basierend auf Äußerungen in der analysierten Medienberichterstattung. Damit sollte sichergestellt werden, dass die Experten sachdienliche Informationen und Meinungen zum Forschungsgegenstand haben. Deren veröffentlichten Äußerungen als Medien weisen zudem darauf hin, dass sie über einen gewissen Status und damit Relevanz für die Meinungsbildung verfügen.

Erstellung der Leitfäden

Der Leitfaden dient dazu, das Interview thematisch zu strukturieren. Aus den theoretischen Erkenntnissen wurden daher thematische Blöcke abgeleitet, um das Untersuchungsfeld umfassend erfassen zu können (Tabelle 6.3). Dabei entstanden verschiedene Versionen, deren Fragen auf die jeweilige Perspektive des Experten angepasst wurden.

Der Leitfaden beginnt auf persönlicher Ebene mit den Berührungspunkten mit der ARV-Kommunikation. Das zentrale Erkenntnisinteresse in Bezug auf die Experteninterviews mit den Anspruchsgruppen sind die Erwartungen an die ARV-Kommunikation. Daher wurden zunächst verschiedene Leitfragen hinsichtlich (einer Veränderung) der Erwartungen, Erfahrungen mit anderen (internationalen) Governance-Systemen sowie Normen der ARV-Kommunikation gestellt. Anschließend folgen Leitfragen zu den verschiedenen Akteuren, wie dem CEO, weiteren Aufsichtsratsmitgliedern sowie den externen Stakeholdern der ARV-Kommunikation. Als Nächstes wurden Leitfragen zur externen Wahrnehmung des Kommunikationsmanagementprozesses gestellt, etwa zu welchen Anlässen und mit welchen Maßnahmen eine ARV-Kommunikation wahrgenommen wird sowie welche Inhalte dabei kommuniziert werden. Sofern der Vertreter der Stakeholder schon einmal ein Gespräch mit einem Aufsichtsratsvorsitzenden gesucht hat, wurden auch die Erfahrungen zum Prozess und die Gesprächsumsetzung besprochen. Schließlich endete das Gespräch mit einer abschließenden Einschätzung der Bedeutung, den Zielen und der Relevanz der (zukünftigen) ARV-Kommunikation.

Tabelle 6.3 Inhaltliche Ebenen im Interviewleitfaden mit externen Stakeholdern

Im Vorfeld der Interviews wurden Pretests mit den verschiedenen Versionen der entworfenen Leitfäden durchgeführt. Dabei wurde die Verständlichkeit sowie Reihenfolge der Fragen mit insgesamt zehn Pretestern diskutiert. Dabei handelte es sich um Vertreter aus der Praxis (siehe dazu Abschnitt 6.3), die Erfahrungen in dem Themenfeld haben, sowie Kollegen aus dem wissenschaftlichen Umfeld. Aufgrund des Pretests wurden einige Fragen sprachlich präzisiert. Weiterhin wurden aktuelle Beispiele der Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden herausgesucht, um eventuell aufkommende Verständnisschwierigkeiten klären oder Fragen anhand von Beispielen verdeutlichen zu können, ohne dabei Antworten vorwegzunehmen.

Durchführung der Experteninterviews

Die Experten wurden per E-Mail für ein Gespräch zum Forschungsprojekt angefragt, dabei wurde die Wahl zwischen einem persönlichen oder telefonischen Interview freigestellt. Insgesamt konnten neun Experteninterviews aus der Perspektive der externen Stakeholder geführt werden. Die neun Interviews haben eine Länge von 6,1 Stunden (365,14 Minuten); es wurden zwei Gespräche persönlich und sieben per Telefon geführt. Das kürzeste Interview dauerte rund 30 Minuten und das längste Interview rund 50 Minuten. Die Gespräche fanden im Zeitraum zwischen dem 11. Dezember 2017 und 26. Oktober 2018 statt.

Allen Gesprächspartnern wurde eine Anonymisierung der Interviews zugesagt. Daher werden in dieser Arbeit nur Aussagen verwendet, die absolut anonymisiert wurden und damit so verändert, dass eine Re-Identifikation der Person nicht möglich ist (Meyermann & Porzelt, 2014, S. 4). Jedem Experten wurde neben der Bezeichnung des Akteurs eine randomisierte Nummer zugewiesen, die ausschließlich den Gutachtern dieser Arbeit zur Verfügung gestellt wird. Der überwiegende Teil der Experten hat angeboten, für Rückfragen zur Verfügung zu stehen, davon musste jedoch kein Gebrauch gemacht werden. Alle Interviewpartner baten um die Zusendung der Ergebnisse. Tabelle 6.4 zeigt die Übersicht der Experten, mit ihren jeweiligen Positionen zum Zeitpunkt des Interviews, in alphabetischer Reihenfolge.

Tabelle 6.4 Übersicht der Interviewpartner aus Perspektive der externen Stakeholder (alphabetisch sortiert)

Datenaufbereitung

Alle Interviews wurden vollständig transkribiert. Dabei wurde die Transkriptionssoftware von MAXQDA eingesetzt. Zur Sicherung der Datenqualität wurden Transkriptionsregeln angewendet, die sich weitgehend an Dressing and Pehl (2018), Fuß & Karbach, (2019) und Kuckartz (2018) orientieren. Die Texte wurden wörtlich transkribiert. Anschließend erfolgte eine leichte sprachliche Glättung, z. B. hinsichtlich abgebrochener Worte oder Sätze sowie Fülllaute und -worte. Nichtverbale Äußerungen, wie Lachen oder Seufzen, wurden nur transkribiert, wenn sie einer Aussage eine andere Bedeutung geben. Zuhörersignale des jeweils nicht sprechenden Interviewpartners sowie Gesprächspausen wurden nicht transkribiert. Dieses Transkriptionssystem erscheint vor dem Hintergrund gut geeignet, da beim Auswertungsverfahren der Fokus in erster Linie auf der Analyse der inhaltlichen Ebene liegt. Die Transkripte wurden bei jedem Sprecherwechsel mit Zeitmarken versehen. Aufgrund der Sensibilität der Daten und der zugesicherten Anonymisierung sind die Transkripte nicht zur Veröffentlichung vorgesehen.

Auswertung

Grundsätzlich kann zwischen drei Grundformen der Analysetechnik differenziert werden: Zusammenfassung, Explikation und Strukturierung (Abschnitt 6.1.1). Ziel der Auswertung der Interviews mit den externen Anspruchsgruppen ist es, bestimmte Strukturen aus dem Material herauszufiltern, um die Erwartungen an die Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden beschreiben zu können. Daher wurde eine inhaltlich strukturierende Inhaltsanalyse für diesen Methodenschritt gewählt.

Zunächst wurden anhand der theoretischen Vorüberlegungen zu den Öffentlichkeitsarenen (Abschnitt 4.1.1 und 4.1.2) sowie zu den Kommunikationsmaßnahmen von Aufsichtsratsvorsitzenden (Abschnitt 5.1.2 und 5.1.3) deduktiv Kategorien gebildet. Dabei wurden sowohl die Haupt- als auch die Subkategorien entwickelt.

Die zentrale Hauptkategorie sind die „Erwartungen“ an die ARV-Kommunikation. Dabei wurden bspw. Subkategorien zu Gründen für eine veränderte Erwartungshaltung, Erfahrungen mit dem monistischen Governance-System sowie Normen der ARV-Kommunikation gebildet. Des Weiteren wurde eine Hauptkategorie zu den „Akteuren“ gebildet. Dadurch sollten unterschiedliche Blickwinkel der Stakeholder auf die Akteure Aufsichtsratsvorsitzende, Aufsichtsratsmitglieder, den Vorstand und externe Stakeholder in Bezug auf die ARV-Kommunikation gezeigt werden. Schließlich stellt die „Wahrnehmung des Kommunikationsmanagements“ die dritte Hauptkategorie dar. Subkategorien sind dabei bspw. die Regelkommunikation bzw. Sondersituationen sowie Publizitätspflichten der ARV-Kommunikation.

Zum Beginn der Auswertung repräsentiert das Kategoriensystem nur einen Rahmen mit geringem empirischem Gehalt. Das Ziel der Auswertung besteht darin, diesen Rahmen induktiv um zusätzliche Kategorien zu ergänzen (Kelle & Kluge, 2010, S. 73). Dabei wurden vor allem die Subkategorien und Ausprägungen weiter ausdifferenziert (Abbildung 6.4).

Abbildung 6.4
figure 4

(Eigene Darstellung)

Haupt- und Subkategorien im Kategoriensystem für die Inhaltsanalyse der Experteninterviews mit Stakeholdern

Nach einer leichten Überarbeitung und Ergänzung des Kategoriensystems, fand der Materialdurchlauf anhand des gesamten Materials statt, wobei die Fundstellen entsprechend bezeichnet, bearbeitet und extrahiert wurden. Das extrahierte Material wurde paraphrasiert und anschließend pro Kategorie bzw. Hauptkategorie zusammengefasst. Für die Datenauswertung wurde die Analysesoftware MAXQDA als Unterstützung eingesetzt. Die Auswertung der Inhaltsanalyse findet sich anhand der Forschungsfragen in Abschnitt 7.2.

6.3 Strategische Analyse der Strukturen, Maßnahmen und Management der ARV-Kommunikation mithilfe von qualitativen Experteninterviews mit Aufsichtsratsvorsitzenden und Kommunikationsverantwortlichen

Die Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden soll im Rahmen dieser Arbeit erstmalig umfassend beschrieben und untersucht werden. Dafür ist es notwendig, mit den Akteuren selbst zu sprechen, um ihre Handlungen verstehend zu rekonstruieren. Hier setzt die strategische Analyse an, die auf der lebensweltlichen Ebene die typischen Handlungsmuster untersucht. Als Herzstück dieser Arbeit werden daher qualitative Experteninterviews mit Aufsichtsratsvorsitzenden geführt. Sie werden durch Gespräche mit den Verantwortlichen für Investor Relations und Public Relations aus den jeweiligen Unternehmen komplementiert, da diese Expertise zum Kommunikationsmanagement haben. Basierend auf den Erkenntnissen sollen dann die dritte und vierte Forschungsfrage aus interner Unternehmensperspektive beantwortet werden: Was sind Strukturen und Maßnahmen der Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden? Wie lässt sich die Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden im Kommunikationsmanagement verorten? Im Folgenden wird der Ablauf der qualitativen Experteninterviews beschrieben.

Fallauswahl

Aus unternehmensinterner Perspektive sind drei Aspekte besonders interessant: Erstens die unternehmensinternen Strukturen der ARV-Kommunikation, zweitens anhand der Kommunikationsmaßnahmen zu zeigen, mit welchen Anspruchsgruppen, wie oft und in welcher Form die ARV-Kommunikation stattfindet und schließlich drittens wie die Kommunikation im Rahmen des Kommunikationsmanagements verortet werden kann.

Die Auswahl für die Gespräche wurde anhand vorab festgelegter Kriterien durchgeführt (Abschnitt 6.1.2). Zunächst war es von hoher Relevanz mit den beteiligten Akteuren selbst zu sprechen. Daher wurden einerseits Gespräche mit Aufsichtsratsvorsitzenden geführt, da sie Experten aufgrund ihres spezifischen Wissens und ihrer einzigartigen Erfahrungen sind.

Als Ergänzung dazu wurden auch die Vertreter der Funktionen Public bzw. Media Relations (Abschnitt 4.2.2) und Investor Relations (Abschnitt 4.2.3) mit einbezogen. Sie verfügen über Expertise zum Kommunikationsmanagement des Unternehmens und damit der internen sowie externen Kommunikation von Unternehmen mit verschiedenen Stakeholdern.

Für eine umfassende Darstellung der Strukturen und Prozesse innerhalb des Unternehmens wurden daher Aufsichtsratsvorsitzende sowie Vertreter von Public Relations und Investor Relations vom gleichen Unternehmen befragt– sie konstituieren gemeinsam jeweils einen Fall. Dabei kann es vorkommen, dass aufgrund der organisatorischen Aufstellung eine Person sowohl verantwortlich für Public Relations und Investor Relations sein kann.

Als weiteres leitendes Auswahlkriterium wurde das Ergebnis der Inhaltsanalyse herangezogen. Dabei konnte zwischen fünf ereignisbezogenen Typen der Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden differenziert werden (Abschnitt 7.1.2). Hier wurde der Anlass der Kommunikation (Regelkommunikation vs. Sondersituationen) und die Äußerung von Aufsichtsratsvorsitzenden (Äußerung im Rahmen der Publizitätspflicht vs. freiwillige Kommunikation) als typisierende Merkmale ausgewählt. Dies ist relevant, da erwartet werden kann, dass sich bspw. die Handlungen in Sondersituationen unterscheiden, da ein erhöhter Überwachungsbedarf des Aufsichtsrats besteht. Des Weiteren ist davon auszugehen, dass sich Aufsichtsratsvorsitzende bei Publizitätspflichten und einer freiwilligen Kommunikation unterschiedliche Ressourcen nutzen. Schließlich konnte im Rahmen der Inhaltsanalyse der Medienberichterstattung und Analystenreports auch eine öffentliche Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden ohne Bezug zum Unternehmen identifiziert werden. Die Nutzung dieser Typen als Kriterien für die Fallauswahl (Tabelle 6.5) lässt demnach eine maximale Breite an Informationen aus den Expertengesprächen mit den Unternehmensakteuren erwarten.

Tabelle 6.5 Kriterien für die Auswahl der Unternehmensvertreter

Erstellung der Leitfäden

Die Interviews mit den Unternehmensakteuren dienen dazu, die Strukturen der Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden sowie dessen Einbindung in das Kommunikationsmanagement zu untersuchen. Der Leitfaden dient dazu, das Interview thematisch zu strukturieren. Aus den theoretischen Erkenntnissen wurden daher thematische Blöcke abgeleitet, um den Untersuchungsgegenstand umfassend erfassen zu können (Tabelle 6.6).

Dabei entstanden verschiedene Versionen, so differenzieren sich z. B. die Leitfäden leicht zwischen denjenigen für Aufsichtsratsvorsitzende und denen für die Kommunikationsverantwortlichen. So können bspw. nur die Aufsichtsratsvorsitzenden einen Einblick in die Kommunikation innerhalb des Aufsichtsratsgremiums sowie den Vorstandsvorsitzenden geben, während die Kommunikationsverantwortlichen detaillierter Auskunft zum Kommunikationsmanagementprozess geben können.

Der Leitfaden beginnt auf persönlicher Ebene mit Erfahrungen zur ARV-Kommunikation. Danach geht es um eine Beschreibung der Organisationsstruktur, bspw. den Ressourcen der Kommunikation oder der Koordination mit dem Vorstand. Auch die Rolle der Kommunikationsfunktionen als Teil der Organisation im Kommunikationsmanagementprozess wird hier thematisiert. Anschließend werden die verschiedenen internen und externen relevanten Akteure betrachtet, die für die ARV-Kommunikation relevant sind.

Die Fragen zum Kommunikationsmanagementprozess richten sich insbesondere an die Kommunikationsverantwortlichen, da die Einbindung ein zentrales Erkenntnisinteresse in dieser Arbeit darstellt. Die Leitfragen für die Aufsichtsratsvorsitzenden unterscheiden sich hier dementsprechend leicht. Zum Prozessschritt der Planung der ARV-Kommunikation mit Blick auf Strategien und Ziele gibt es einen zusätzlichen Block im Leitfaden. Hier werden einerseits die Experten gefragt, was die Ziele der ARV-Kommunikation aus ihrer Sicht sind, andererseits werden auch die aus der Theorie abgeleiteten Ziele (Abschnitt 5.2) diskutiert.

Auch die Experten aus den Unternehmen werden gefragt, was aus ihrer Sicht die Erwartungen an die ARV-Kommunikation sind. Die Erkenntnisse sollen mit denen Aussagen aus der Expertenbefragung der Stakeholder gegenübergestellt werden, um so eventuelle unerkannte Handlungsbedingungen identifizieren zu können.

Am Ende des Leitfadens werden noch verschiedene Herausforderungen der ARV-Kommunikation diskutiert, die personen- aber auch unternehmensbezogen sind. Abschließend sollen die Unternehmensexperten die Relevanz und zukünftige Entwicklung der ARV-Kommunikation aus ihrer Sicht einschätzen.

Tabelle 6.6 Inhaltliche Ebenen im Interviewleitfaden mit Unternehmensvertretern

Im Vorfeld der Interviews wurden Pretests mit den verschiedenen Versionen der entworfenen Leitfäden durchgeführt. Dabei wurde die Verständlichkeit sowie Reihenfolge der Fragen mit insgesamt zehn Pretestern diskutiert. Dabei handelte es sich um Vertreter aus der PraxisFootnote 3, die Erfahrungen in dem Themenfeld haben, sowie Kollegen aus dem wissenschaftlichen Umfeld. Aufgrund des Pretests wurden einige Fragen sprachlich präzisiert. Weiterhin wurden aktuelle Beispiele der Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden herausgesucht, um eventuell aufkommende Verständnisschwierigkeiten klären oder Fragen anhand von Beispielen verdeutlichen zu können, ohne dabei Antworten vorwegzunehmen.

Durchführung der Experteninterviews

Die Experten wurden per E-Mail für ein Gespräch zum Forschungsprojekt angefragt, dabei wurde die Wahl zwischen einem persönlichen oder telefonischen Interview freigestellt. Insgesamt konnten 28 Interviews mit Unternehmensvertretern geführt werden. Die Interviews haben eine Länge von 20,3 Stunden (1.215,30 Minuten); es wurden elf Gespräche persönlich und 17 per Telefon geführt. Die Gespräche fanden im Zeitraum zwischen dem 11. Dezember 2017 und 26. Oktober 2018 statt. Das kürzeste Interview dauerte rund 23 Minuten und das längste Interview rund 87 Minuten.

Die positive Resonanz aus der Praxis ist umso erfreulicher, da insbesondere die Zielgruppe der Aufsichtsratsvorsitzenden im Allgemeinen als nur sehr schwer zugänglich gilt. Die hohe Kooperationsbereitschaft ist von großer Bedeutung für die Qualität der Arbeit und zeigt darüber hinaus das Interesse, das dem Thema entgegengebracht wird.

Allen Gesprächspartnern wurde eine Anonymisierung der Interviews zugesagt. Daher werden in dieser Arbeit nur Aussagen verwendet, die absolut anonymisiert wurden und damit so verändert, dass eine Re-Identifikation der Person nicht möglich ist (Meyermann & Porzelt, 2014, S. 4). Jedem Experten wurde neben der Positionsbezeichnung eine randomisierte Nummer zugewiesen, die ausschließlich den Gutachtern dieser Arbeit zur Verfügung gestellt wird. Der überwiegende Teil der Experten hat angeboten, für Rückfragen zur Verfügung zu stehen, davon musste jedoch kein Gebrauch gemacht werden. Alle Interviewpartner baten um die Zusendung der Ergebnisse.

Im Rahmen der Fallauswahl konnten einige für das Forschungsthema interessante Konstellationen rekrutiert werden, um eine maximale Breite an Informationen aus den Expertengesprächen mit den Unternehmensakteuren sicherzustellen. So sind zwei Akteure die Aufsichtsratsvorsitzenden von zwei Unternehmen, sodass eventuelle Unterschiede in der Zusammenarbeit mit den Kommunikationsfunktionen erfasst werden können. Zudem gab es bei zwei Unternehmen einen Wechsel im Aufsichtsratsvorsitz bzw. war der Wechsel zum Zeitpunkt der Gespräche bereits geplant, sodass mögliche Veränderungen dadurch analysiert werden können. Bei einem weiteren Fall handelt es sich um ein Unternehmen, das nach einer Aufspaltung erst einige Monate als eigenständiges Unternehmen an der Börse notiert war und das Aufsichtsratsgremium sich neu konstituiert hatte. Tabelle 6.7 zeigt die Übersicht der Experten, mit ihren jeweiligen Positionen zum Zeitpunkt des Interviews, die jeweils nach den Fällen sortiert sind.

Tabelle 6.7 Übersicht der Interviewpartner aus Unternehmensperspektive (sortiert nach Fällen)

In einem Fall wurde nur der Kommunikationsverantwortliche für die ARV-Kommunikation als Experte interviewt, ein Gespräch mit dem Aufsichtsratsvorsitzenden war jedoch nicht möglich. Dieser Fall wird dennoch in der Arbeit mit einbezogen, da hier eine Sonderform der organisatorischen Aufstellung der Kommunikationsfunktionen mit besonderem Interesse für das Forschungsthema vorliegt. Konkret wurde in diesem Unternehmen eine spezielle Sprecherfunktion für den Aufsichtsratsvorsitzenden etabliert, sodass zusätzliche Erkenntnisse erwartet werden können. Zudem kam es in zwei Fällen vor, dass aufgrund der Aufbauorganisation der Kommunikationsfunktionen ein Akteur sowohl für Public Relations und Investor Relations verantwortlich war.

Datenaufbereitung

Alle Interviews wurden vollständig transkribiert. Dabei wurde die Transkriptionssoftware von MAXQDA eingesetzt. Zur Sicherung der Datenqualität wurden Transkriptionsregeln angewendet, die sich weitgehend an Dressing and Pehl (2018), Fuß & Karbach, (2019) und Kuckartz (2018) orientieren. Die Texte wurden wörtlich transkribiert. Anschließend erfolgte eine leichte sprachliche Glättung, z. B. hinsichtlich abgebrochener Worte oder Sätze sowie Fülllaute und -worte. Nichtverbale Äußerungen, wie Lachen oder Seufzen, wurden nur transkribiert, wenn sie einer Aussage eine andere Bedeutung geben. Zuhörersignale des jeweils nicht sprechenden Interviewpartners sowie Gesprächspausen wurden nicht transkribiert. Dieses Transkriptionssystem erscheint vor dem Hintergrund gut geeignet, da beim Auswertungsverfahren der Fokus in erster Linie auf der Analyse der inhaltlichen Ebene liegt. Die Transkripte wurden bei jedem Sprecherwechsel mit Zeitmarken versehen. Aufgrund der Sensibilität der Daten und der zugesicherten Anonymisierung sind die Transkripte nicht zur Veröffentlichung vorgesehen.

Auswertung

Wie bereits ausgeführt, kann zwischen drei Grundformen der Analysetechnik differenziert werden: Zusammenfassung, Explikation und Strukturierung (Abschnitt 6.1.1). Ziel der Auswertung der Interviews mit den Unternehmensvertretern ist es, bestimmte Strukturen aus dem Material herauszufiltern. Aus den verschiedenen Perspektiven von Aufsichtsratsvorsitzenden und IR- und PR-Verantwortlichen sollen so die Strukturen der ARV-Kommunikation, die Bandbreite der Maßnahmen sowie die Verortung im Rahmen des Kommunikationsmanagements beschrieben werden. Daher wurde eine inhaltlich strukturierende Inhaltsanalyse für diesen Methodenschritt gewählt.

Zunächst wurden anhand der theoretischen Vorüberlegungen deduktiv Kategorien gebildet. Dabei wurden sowohl die Haupt- als auch die Subkategorien entwickelt. So wurde eine Hauptkategorie zu den Aspekten aus strukturationstheoretischer Sicht („Strukturen“) gebildet, die neben den Interpretationsmustern (z. B. Verständnis zum Auftritt des ARV nach außen), Normen (z. B. Anregung zum Investorendialog im DCGK) auch die allokativen und autoritativen Ressourcen abbilden. Mithilfe der Hauptkategorie „Akteure“ sollen die verschiedenen internen und externen Akteure und deren Relevanz differenziert werden.

Da der Verortung der ARV-Kommunikation im Rahmen des Kommunikationsmanagements ein gewichtiger Teil der Analyse zukommt, wurden drei Hauptkategorien dazu gebildet. In der Kategorie „Kommunikationsmanagement“ werden die Phasen Analyse, Organisation und Evaluation abgebildet. Eine weitere Hauptkategorie ist demnach die Phase der „Planung“, in der bspw. die Ziele der ARV-Kommunikation abgebildet werden. Zudem wurden „Kommunikationsmaßnahmen“ als eigene Hauptkategorie konzipiert, um die Bandbreite der bisher durchgeführten ARV-Kommunikation erfassen zu können.

Zum Beginn der Auswertung repräsentiert das Kategoriensystem nur einen Rahmen mit geringem empirischem Gehalt. Das Ziel der Auswertung besteht darin, den Rahmen mit zusätzlichen Kategorien induktiv zu ergänzen (Kelle & Kluge, 2010, S. 73). Dabei wurden vor allem die Subkategorien und Ausprägungen weiter ausdifferenziert (Abbildung 6.5).

Abbildung 6.5
figure 5

(Eigene Darstellung)

Haupt- und Subkategorien im Kategoriensystem für die Inhaltsanalyse der Experteninterviews mit Unternehmensvertretern

Nach einer leichten Überarbeitung und Ergänzung des Kategoriensystems, fand der Materialdurchlauf anhand des gesamten Materials statt, wobei die Fundstellen entsprechend bezeichnet, bearbeitet und extrahiert wurden. Das extrahierte Material wurde paraphrasiert und anschließend pro Kategorie zusammengefasst. Für die Datenauswertung wurde die Analysesoftware MAXQDA als Unterstützung eingesetzt. Die Darstellung der Ergebnisse erfolgt übergeordnet anhand der Forschungsfragen in Kapitel 7 und 8. Es wird keine Darstellung nach Fällen geben, um Rückbezüge auf die Unternehmen zu vermeiden.

6.4 Gütekriterien qualitativer Forschung

Wissenschaftliche und forschungsmethodische Gütekriterien dienen dazu die Transparenz, Verlässlichkeit und Aussagekraft von wissenschaftlichen Erkenntnissen sicherzustellen, sodass daran die Qualität der Ergebnisse gemessen werden kann. In der quantitativen Forschung haben sich die bekannten Gütekriterien Reliabilität, Validität und Objektivität über Jahrzehnte hinweg etabliert. Eine systematische Befassung mit dem Ziel, Gütekriterien für die qualitative Forschung zu etablieren, begann erst in den 1980er Jahren, als Umfang und Intensität dieser Forschung zugenommen hatten. Dabei dominierte jedoch der Versuch, die Kriterien der quantitativen Forschung abzuleiten und anwendbar zu machen (Strübing, Hirschauer, Ayaß, Krähnke & Scheffer, 2018, S. 84). Mittlerweile setzt sich in der Diskussion die Einsicht durch, dass diese Maßstäbe nicht einfach übernommen werden können, sondern die Maßstäbe zu Vorgehen und Ziel der Analyse passen müssen (Mayring, 2016, S. 141).

Strübing et al. (2018, S. 85) unterscheiden einerseits zwischen übergreifenden gemeinsamen Leistungsmerkmalen qualitativer Forschung, wie Offenheit und Reflexivität, und qualitätssichernden Maßnahmen auf der Ebene verfahrensspezifischer Praktiken andererseits. Mit den Maßnahmen soll sichergestellt werden, dass die Daten einen angemessenen Bezug zur Fragestellung haben und die Analysen dicht genug für die angestrebten theoretischen Aussagen sind. Weiterhin sollen so Vereinfachungen und Abkürzungen vermieden werden. Mayring (2016, S. 144–148) nennt sechs übergreifende Gütekriterien qualitativer Forschung:

  1. (1)

    Verfahrensdokumentation: Bei qualitativer Forschung sollte sich das Vorgehen spezifisch auf den Untersuchungsgegenstand beziehen, demnach werden Methoden dafür entwickelt oder modifiziert. Der Forschungsprozess sollte bis ins Detail und nachvollziehbar dokumentiert werden.

  2. (2)

    Interpretationsabsicherung mit Argumenten: Interpretationen sollten argumentativ begründet werden, d. h. das jeweilige Vorverständnis muss dargelegt und Interpretation erklärt werden. Wichtig ist dabei auch, nach alternativen Deutungen zu suchen und diese zu überprüfen.

  3. (3)

    Regelgeleitetheit: Qualitative Forschung muss zwar offen gegenüber dem Forschungsgegenstand sein, die analytischen Schritte sollten jedoch vorher festgelegt sein. Voraussetzung für ein systematisches Vorgehen ist es, den Analyseprozess in einzelne Schritte zu verlegen.

  4. (4)

    Nähe zum Gegenstand: Die Nähe zum Gegenstand ist ein Leitgedanke qualitativ-interpretativer Forschung, d. h., dass möglichst an der Alltagswelt der Akteure angeknüpft werden sollte.

  5. (5)

    Kommunikative Validierung: Darunter wird verstanden, dass die Interpretationen des Forschenden überprüft werden, indem sie den Befragten nochmals vorgelegt und mit ihnen diskutiert wird. Damit kann die Rekonstruktion subjektiver Bedeutungen abgesichert werden.

  6. (6)

    Triangulation: Unter Triangulation wird verstanden, die Fragestellung anhand unterschiedlicher Lösungswege und unterschiedlicher Daten anzugehen.

Konkreter geht Steinke (2008, S. 324) auf die Dokumentation des Forschungsprozesses ein. Um die intersubjektive Nachvollziehbarkeit zu gewährleisten, sollten die folgenden Elemente beinhaltet sein:

  • Vorverständnis des Forschenden, wobei die Rolle als Akteur, inklusive Vorannahmen, Kommunikationsstil etc. sowie als Teil der sozialen Welt methodisch reflektiert werden soll (Steinke, 2008, S. 330)

  • Darstellung der Erhebungsmethoden inklusive konkreter Angaben zur verwendeten Methode und wie diese entwickelt wurden

  • Informationen zum Erhebungskontext, in dem z. B. ein Interview stattfand, um die Glaubwürdigkeit der Äußerungen und mögliche Einflüsse des Forschenden eingeschätzt werden können

  • Transkriptionsregeln, die u. a. festhalten, welche Informationen (nicht) transkribiert wurden

  • Dokumentation der Informationsquellen

  • Kenntlichmachung, wann es sich um direkte Äußerungen bzw. sinngemäße Wiedergaben dieser Äußerungen von Interviewpartnern handelt und was Deutungen und Interpretationen des Forschenden in diesem Kontext sind.

Die Gütekriterien wurden in der umfassenden Darstellung des Forschungsablaufs sowie der Entwicklung und Anwendung der Methoden in Abschnitt 6.2.1, 6.2.2 und 6.3 beachtet und umgesetzt.

Nach Abschluss der Interviews und der Transkription wurde keine Rückkopplung mit den Interviewten gesucht, sodass in dem Sinne keine kommunikative Validierung praktiziert wurde. Bei den befragten Experten handelt es sich um Personen mit engen Terminplänen, zudem kamen im Rahmen der Transkriptionen keine Nachfragen auf, daher erschien dies aus forschungsökonomischen Gründen als nicht relevant. Um dies abzufedern, wird im Zuge der Ergebnisdarstellung stets klar gekennzeichnet, wann es sich um eine direkte Äußerung, eine sinngemäße Wiedergabe oder eine Interpretation der Forschenden handelt.

Zur Beantwortung der Forschungsfragen können unterschiedliche Perspektiven auf den Untersuchungsgegenstand eingenommen werden, dies wird als Triangulation bezeichnet. Die Triangulation kann auf Basis von

„unterschiedlichen Methoden, die angewandt werden, und/oder unterschiedlichen gewählten theoretischen Zugängen konkretisieren, wobei beides wiederum miteinander in Zusammenhang steht bzw. verknüpft werden sollte“ (Flick, 2011, S. 12).

Im Rahmen des Forschungsprojektes wurde eine methodeninterne (within-method) Triangulation vorgenommen. So werden im Rahmen der Interviewführung sowohl Fragen zu Erfahrungen in konkreten Situationen gestellt als auch solche, die sich auf allgemeine Situationen beziehen und damit ergänzende Perspektiven auf das Untersuchungsfeld eröffnen (Flick, 2011, S. 27 f.). Zudem wurden Erkenntnisse zum Untersuchungsgegenstand mithilfe verschiedener Methoden (Between-method-Triangulation) erhoben. Bei der institutionellen Analyse wurde eine Inhaltsanalyse von Medienberichten und Analystenreports als auch Experteninterviews mit externen Stakeholdern durchgeführt. Dies stellte eine Kombination von quantitativen und qualitativen Methoden als auch reaktiver und nichtreaktiver Verfahren dar (Flick, 2011, S. 84 ff.). Beide methodische Schritte verfolgen dabei demselben Ziel, die Anforderungen an die ARV-Kommunikation explizieren zu können. Im Forschungsprojekt wurden demnach beide Formen der Triangulation berücksichtigt, um die Qualität der Ergebnisse zu optimieren.