Der Aufsichtsrat ist ein Phänomen des dualistischen Systems der Unternehmensführung, das eine institutionelle Trennung der Unternehmensleitung (Vorstand) und -kontrolle (Aufsichtsrat) vorsieht. Das Vertrauen der Anleger und der Öffentlichkeit in die Unternehmensführung und -überwachung wurde in den vergangenen Jahrzehnten durch zahlreiche Unternehmensskandale in den USA (z. B. Enron, WorldCom) und Deutschland (z. B. Siemens) erschüttert. Als Reaktion darauf begann eine intensive Diskussion unter dem Schlagwort Corporate Governance, in dessen Mittelpunkt in Deutschland die Kritik am Aufsichtsrat als Überwacher und dem Vorstand als Führungsorgan von Kapitalgesellschaften stand. In Deutschland wurden zahlreiche Initiativen vom Gesetzgeber ergriffen, um eine aktive Aufsichtsratsüberwachung zu etablieren (Welge & Eulerich, 2014, S. 1 ff.). Auf der Ebene des soft law haben Verhaltenskodizes, in Deutschland der Deutsche Corporate Governance Kodex, eine wichtige Bedeutung erlangt. Aber auch die letzte Finanz- und Wirtschaftskrise in den Jahren 2009/2010 scheint die Corporate Governance nachhaltig verändert zu haben, so waren Aufsichtsräte teilweise stark in unternehmensinterne Prozesse eingebunden, um als Sparringspartner des Vorstands zu agieren (Ruhwedel, 2012, S. 187). Das Aufgabenprofil des Aufsichtsrats befindet sich damit im Wandel.

Im Rahmen der Auseinandersetzung mit Aspekten der Corporate Governance ist der Aufsichtsrat(svorsitzende) schon seit langem ein viel beachteter Untersuchungsgegenstand in den Wirtschafts- und Rechtswissenschaften (Grundei & Zaumseil, 2012; Hommelhoff, Hopt & Werder, 2009; Metten, 2010; Welge & Eulerich, 2014). Dabei ist jedoch die kommunikative Rolle der Tätigkeit bisher vernachlässigt worden.

In der kommunikationswissenschaftlichen Forschung ist der Aufsichtsrat bisher nicht betrachtet worden. Aufsichtsratsvorsitzende sind daher neue Akteure, die für die Kommunikationswissenschaft eingeführt werden sollen. Aus diesem Grund ist es notwendig, zunächst die juristischen und wirtschaftswissenschaftlichen Grundlagen zum Aufsichtsrat im Allgemeinen sowie zu Aufsichtsratsvorsitzenden im Speziellen ausführlich darzustellen. Durch die deskriptive Darstellung soll ein Verständnis für die Aufgaben und Organisation des Aufsichtsrats sowie der Tätigkeiten von Aufsichtsratsvorsitzenden etabliert werden. Auf dieser Basis können im weiteren Verlauf der Arbeit die kommunikativen Aufgaben von Aufsichtsratsvorsitzenden, aber auch relevante Ressourcen für die Kommunikation abgeleitet werden. Der Aufsichtsrat nimmt eine spezifische Rolle im dualistischen System der Unternehmensführung ein, daraus resultieren Anforderungen von externen Stakeholdern, insbesondere an eine transparente Kommunikation zu seinen Überwachungsaufgaben. Dieses Verständnis ist zentral dafür, Ziele der ARV-Kommunikation abzuleiten.

In diesem Kapitel werden dafür zunächst die theoretischen Grundlagen von Corporate Governance dargestellt, insbesondere die Principal-Agent-Theorie sowie die Stewardship-Theorie (Abschnitt 3.1). Nach einer Diskussion der unterschiedlichen Governance-Systeme (monistisch, dualistisch) wird der Fokus auf das dualistische System der Unternehmensführung gelegt. In Abschnitt 3.2 folgt eine ausführliche Darstellung des Aufsichtsrats mit seinen Aufgaben, der inneren Organisation sowie seiner Zusammensetzung. Im Anschluss wird die besondere Rolle von Aufsichtsratsvorsitzenden beleuchtet (Abschnitt 3.3). In Abschnitt 3.4 werden die Schlussfolgerungen aus den Grundlagen der juristischen und wirtschaftswissenschaftlichen Corporate-Governance-Forschung für die Arbeit rekapituliert.

3.1 Corporate Governance und Governance-Systeme

Das Thema Corporate Governance wird aus verschiedenen disziplinären Blickwinkeln theoretisch begründet und empirisch erforscht. Neue Institutionenökonomik, Rechtswissenschaft, Management, Soziologie, Politikwissenschaften und Philosophie beleuchten jeweils einen bestimmten Aspekt von Corporate Governance, sind jedoch nicht in der Lage das gesamte Spektrum der Akteure umfassend zu beschreiben und zu erklären (Welge & Eulerich, 2014, S. 9). Corporate Governance stellt damit ein umfangreiches analytisches Konzept dar, das eine Vielzahl unterschiedlicher ökonomischer Phänomene vereint. Es markiert heute eines der am meisten diskutierten Managementthemen (Werder, 2009a, S. 4). Eine Übertragung des Begriffs Corporate Governance in die deutsche Sprache ist bis heute nicht erfolgt, auch in der wissenschaftlichen Literatur hat sich die Verwendung des englischen Begriffs durchgesetzt.

Corporate Governance weist eine weitgehende Überschneidung mit dem Begriff der Unternehmensverfassung auf, was verdeutlicht, dass Fragen der Unternehmensführung in Deutschland eine lange Tradition haben (Werder, 2009a, S. 5). Die Forschung zur Unternehmensverfassung blickt jedoch primär auf den internen institutionellen Rahmen, der das richtige Gleichgewicht zwischen Gesellschaftsorganen schafft und gleichzeitig die effektivste Funktionsweise dieser Organe ermöglicht. Unter dem Begriff Corporate Governance werden hingegen auch die „Fragen der (rechtlichen und faktischen) Einbindung des Unternehmens in sein Umfeld“ (Werder, 2009a, S. 4) adressiert. In der internationalen Literatur gibt es keine allgemeingültige Definition von Corporate Governance; in der interdisziplinären Diskussion finden sich hauptsächlich ökonomische und rechtswissenschaftliche BeiträgeFootnote 1.

Hauptunterscheidungsmerkmal der verschiedenen Definitionsansätze ist, welche Gruppen bzw. Ansprüche berücksichtigt werden. Es kann zwischen dem Shareholder-Value-Ansatz und dem Stakeholder-Value-Ansatz unterschieden werden. Der Shareholder-Value-Ansatz hebt den Eigentümer (Shareholder) aus der Gruppe aller Anspruchsberechtigten hervor und stellt ihn mit seinen (finanziellen) Interessen in den Mittelpunkt der Betrachtung:

„Corporate Governance deals with the ways in which suppliers of finance to corporations assure themselves of getting a return on their investment. […] Our perspective on corporate governance is a straightforward agency perspective, sometimes referred to as separation of ownership and control“ (Shleifer & Vishny, 1997, S. 737).

Der Stakeholder-Value-Ansatz kritisiert dies und weist darauf hin, dass unterschiedliche Gruppen mit individuellen Interessen für den Erfolg des Unternehmens verantwortlich sind. Die wohl am meisten zitierte Definition eines Stakeholders stammt von Freeman (1984):

„A stakeholder of an organization is (by definition) any group or individual who can affect or is affected by the achievement of the organization’s objectives“ (Freeman, 1984, S. 46).

Neben Governance-Problemen zwischen Eigentümern und Management sollten demnach auch solche im Verhältnis zwischen Management und anderen Stakeholdern sowie zwischen verschiedenen Stakeholder-Gruppen thematisiert werden. Andere Definitionen beziehen daher die Interessen anderer Bezugsgruppen mit ein:

„Corporate Governance involves a set of relationships between a company’s management, its board, its shareholders and other stakeholders“ (OECD, 2015, S. 9).

Ressourcenorientierte Ansätze stellen das Unternehmen selbst in den Mittelpunkt und zielen auf eine effiziente Unternehmensführung und -kontrolle für die Wettbewerbsfähigkeit und Maximierung von Überschüssen:

„In essence, corporate governance is the structure that is intended (1) to make sure that the right questions get asked and (2) that checks and balances are in place to make sure that the answers reflect what is best for the creation of long-term, sustainable, renewable value“ (Monks & Minow, 2015, S. XXII).

In der Literatur wird zwischen internen und externen Corporate-Governance-Mechanismen unterschieden (Diederichs & Kißler, 2008, S. 28 ff.; Hopt, 2000, S. 782 ff.; Weber, Lentfer & Köster, 2007, S. 54). Interne Corporate-Governance-Mechanismen blicken auf die inneren Strukturen des Unternehmens, wie Machtverteilung und Kontrolle. Dabei werden Fragestellungen der funktional zweckmäßigen Gestaltung der Unternehmensverwaltung thematisiert, im deutschen dualistischen Corporate-Governance-System ist dies die Aufgabenteilung zwischen Vorstand und Aufsichtsrat (ausführlich dazu Abschnitt 3.2). Externe Corporate-Governance-Mechanismen berücksichtigen unternehmensexterne Akteure und Marktkräfte sowie deren maßregelnden Einfluss auf die Unternehmensverwaltung (Abbildung 3.1). Dazu zählen zum einen die Veröffentlichungspflichten von Unternehmensinformationen im Rahmen der Unternehmenspublizität bzw. der Abschlussprüfung. Zum anderen wird darunter die externe Überwachung durch Aktionäre sowie der Markt für Unternehmenskontrolle, also Regelungen bei Unternehmensübernahmen, verstanden (Hopt, 2000, S. 787 ff.). Diese Unterteilung ist für diese Arbeit relevant, da die ARV-Kommunikation ebenfalls aus zwei Perspektiven untersucht wird: hinsichtlich der externen Anforderungen sowie der internen Strukturen, Maßnahmen und dem Management der Kommunikation.

Abbildung 3.1
figure 1

Systematisierung des deutschen Corporate-Governance-Systems (modifiziert übernommen aus Weber et al., 2007, S. 54)

Weiterhin lassen sich vier grundlegende Gestaltungsprinzipien von Corporate-Governance-Systemen unterscheiden (Metten, 2010, S. 21 f.; Mustaghni, 2012, S. 46 f.; Werder, 2009a, S. 18 f.):

  • Gewaltenteilung: Durch die Gewaltenteilung werden Verfügungsrechte und Kompetenzen auf mehrere Akteure im Unternehmen verteilt. Ein Beispiel dafür ist die Aufteilung der Unternehmensleitungskompetenz auf Vorstand und Aufsichtsrat in deutschen Aktiengesellschaften.

  • Transparenz: Um die Informationsasymmetrien zwischen den verschiedenen Akteuren zu verringern, wird mithilfe von Offenlegungsvorschriften des Publizitäts-, Kapitalmarkt- und Arbeitsrechts die Transparenz gefördert. Eine hohe Transparenz kann zum Vertrauen in die Unternehmensleitung beitragen – daher hat es eine besondere Relevanz für die ARV-Kommunikation.

  • Motivation der Akteure: Governance-Regelungen sollen weiterhin auf die intrinsische und extrinsische Motivation der Akteure zu wertorientierten Verhalten einwirken. Dazu gehört die leistungsabhängige Vergütung ebenso wie Haftungsregelungen des Zivil- und Strafrechts.

  • Stabilität und Flexibilität des Systems: Corporate-Governance-Systeme sollen ein Mindestmaß an Stabilität aufweisen, um eine langfristige Einschätzung der agierenden Interessengruppen vornehmen zu können. Gleichzeitig muss das System eine hinreichende Flexibilität aufweisen, um auf Veränderungen der Umweltbedingungen reagieren zu können.

Zwei zentrale theoretische Zugänge zu Corporate Governance sind die Neue Institutionenökonomik sowie die Stewardship-Theorie. Sie sollen im Folgenden näher beleuchtet werden, da sie den Aufsichtsrat als Überwachungsorgan hervorheben. Auf andere Facetten der Corporate-Governance-Forschung wird im Rahmen dieser Arbeit bewusst nicht weiter eingegangen.

Principal-Agent-Theorie

Eine zentrale Fragestellung der Neuen Institutionenökonomik ist, wie das Entscheidungsverhalten von Wirtschaftsakteuren durch den Einsatz von gesetzlichen oder vertraglichen Regelungen effizient koordiniert werden kann. Dabei blickt die Analyse einerseits auf Institutionen am Markt (Principal-Agent-Theorie, Property-Rights-Theorie, Transaktionskostentheorie) sowie andererseits auf Institutionen im politischen Sektor (Neue Politische Ökonomie, Verfassungsökonomik) (Mustaghni, 2012, S. 27).

Die Principal-Agent-TheorieFootnote 2 leistet den größten Beitrag zur Erklärung der Corporate Governance und schafft eine theoretische Basis für die Funktion des Aufsichtsrats als Überwachungsorgan. Nach Pratt & Zeckhauser (1985, S. 3) hat die Principal-Agent-Theorie das Potenzial, eine Vielzahl von Beziehungen innerhalb eines Unternehmens und mit dem Wirtschaftssystem zu beschreiben und ist auf verschiedene ökonomische Beziehungen anwendbar. Jensen (1983, S. 319) differenziert zwischen einem normativen und einem positiven Theoriezweig der Agency-Forschung. In der normativen Theorie werden die entscheidungslogischen und formalanalytischen Ansätze beleuchtet, wobei es sich vor allem um die mathematische Modellierung von Verträgen handelt, die das Informationsniveau und die Risikoeinstellung der Vertragsparteien berücksichtigt. In der positiven Agency-Theorie wird demgegenüber versucht, die institutionelle Gestaltung von Auftragsbeziehungen weitestgehend ohne mathematische Modelle zu beschreiben und zu erklären (Grothe, 2006, S. 71 ff.; Jensen, 1983, S. 334 f.).

Die Grundlagen der Principal-Agent-Theorie wurden von Jensen & Meckling (1976) entwickelt. Arbeitsteilung und Kooperation sind zwei ökonomische Prinzipien, auf denen jede Unternehmung aufbaut. Bei arbeitsteiligen Beziehungen delegiert eine Partei (Principal) eine bestimmte Aufgabe an eine zweite Partei (Agent), die im Sinne des Auftraggebers eine bestimmte Tätigkeit durchführen oder eine bestimmte Entscheidung treffen soll. Sowohl Principal als auch Agent können individuelle oder korporative Akteure sein. Als zentrales Merkmal der Principal-Agent-Beziehung wird der Vertrag definiert,

„under which one or more persons (the principal(s)) engage another person (the agent) to perform some service on their behalf which involved delegating some decision making authority to the agent“ (Jensen & Meckling, 1976, S. 308).

Der Vertragsbegriff ist damit grundsätzlich weit ausgelegt und umfasst sämtliche Regelkomplexe, die geeignet sind, „die Entscheidungen des Agenten zu definieren, zu beeinflussen und zu koordinieren“ (Jost, 2001, S. 13).

Grundlage aller Agency-Probleme sind die zwischen Principal und Agent vorherrschende unterschiedliche Risiko-, Informations- und Interessenverteilung (Grothe, 2006, S. 77 ff.; Jensen & Meckling, 1976; Lentfer, 2005, S. 35 ff.). Das Handeln der Akteure ist demnach durch ihre jeweiligen spezifischen Ziele und Interessen bestimmt. Ein individuelles Streben nach Nutzenmaximierung oder opportunistisches Handeln können zu Interessengegensätzen führen, wobei vor allem der Principal aufgrund von Informationsasymmetrien benachteiligt ist. Durch die Delegation von Aufgaben können verschiedene Probleme entstehen (Jost, 2001, S. 23 ff.; Mustaghni, 2012, S. 36 ff.), die wiederum zu Agency-Kosten führen, wie u. a. Überwachungs- und Kontrollkosten des Auftraggebers (Jensen & Meckling, 1976, S. 308).

Für Aktiengesellschaften ist die Trennung von Eigentum und Kontrolle charakteristisch. Anteilseigner delegieren ihre Entscheidungsbefugnisse,

„da sie möglicherweise nicht über ein ausreichendes Fachwissen verfügen, um das Unternehmen zu leiten, oder da die gemeinschaftliche Führung durch zahlreiche Eigentümer zu große Koordinationsprobleme aufwirft“ (Metten, 2010, S. 47).

Die Trennung kann jedoch zur Folge haben, dass die Manager von Aktiengesellschaften ihre eigenen Interessen verfolgen und nicht im Sinne der Aktionäre handeln. Ein zentraler Ansatz zur Disziplinierung und Optimierung des Managerverhaltens besteht in der Anreizwirkung ergebnisabhängiger Vergütungssysteme (Metten, 2010, S. 48).

Ein weiterer organisatorischer Ansatz ist die Kontrolle der Unternehmensleitung durch ein Kontrollorgan – den Aufsichtsrat. Durch die Einführung solch eines institutionalisierten Gremiums entsteht eine zweistufige Principal-Agenten-Beziehung (Lentfer, 2005, S. 149 ff.; Metten, 2010, S. 48 ff.).

Abbildung 3.2
figure 2

Zweistufige Principal-Agent-Beziehung im deutschen Corporate-Governance-System (Welge & Eulerich, 2014, S. 19)

Auf der ersten Stufe sind die Aktionäre (Principal) – die Hauptversammlung stellt das jährliche Zusammentreffen aller Aktionäre dar – und das Aufsichtsratsgremium (Agent) (Abbildung 3.2). Auch in dieser Konstellation wird von Informationsasymmetrien und Interessenkonflikten ausgegangen. So halten die Mitglieder des Aufsichtsrats nicht notwendigerweise Eigenkapital am Unternehmen und könnten daher motiviert sein, mit dem Vorstand zu kooperieren und die Interessen der Aktionäre zu schädigen. Dies Principal-Agent-Beziehung konstituiert die Anforderungen, die Aktionäre an den Aufsichtsrat stellen, in Bezug auf ihre Funktion und daraus folgend auch einer transparenten Kommunikation, die verdeutlicht, dass diese Funktion in ihrem Sinne wahrgenommen wird.

Auf der zweiten Stufe steht der Aufsichtsrat (Principal) dem Vorstand (Agent) gegenüber. Diese Beziehung weist erhebliche Informationsasymmetrien auf, da die Mitglieder des Aufsichtsrats durch den Vorstand über aktuelle und strategische Unternehmensthemen informiert werden; eine Selektion und Manipulation dieser Informationen können eine wirkungsvolle Überwachung erschweren. Daher hängt die „Effizienz der Kontrolle durch den Aufsichtsrat von Faktoren wie seiner Zusammensetzung, der fachlichen Eignung der Mitglieder sowie der Interessenunabhängigkeit der Mitglieder ab“ (Welge & Eulerich, 2014, S. 19). Diese Tatsache ist vor allem für die interne Informationsversorgung des Aufsichtsrats relevant. Weiterhin stellt sich die Frage, wie das übergeordnete Ziel einer an den Aktionärsinteressen ausgerichteten Unternehmensführung sichergestellt werden kann (Grothe, 2006, S. 28).

Die Grundannahmen der Principal-Agent-Theorie sind in der Literatur insbesondere von der soziologischen Organisationstheorie kritisiert worden. Zentraler Kritikpunkt ist die negative Charakterisierung des Agentenverhaltens und das Menschenbild, das auf Eigeninteresse und Nutzenmaximierung ausgerichtet ist (Donaldson, 1990, S. 372 f.; Perrow, 1986). Waterman & Meier (1998) sehen die wesentliche Schwäche der Theorie in der Fixierung auf Vertragsfragen, in dessen Folge organisatorische Aspekte und soziale Beziehungen nicht berücksichtigt werden. In diesem Zusammenhang kommt Kiser (1999) zu dem Schluss, dass die Principal-Agent-Theorie eine Organisationstheorie ohne Organisation darstellt (Kiser, 1999, S. 150).

Stewardship-Theorie

Ein alternativer und in jüngerer Zeit an Bedeutung gewonnener Erklärungsansatz der Corporate Governance geht der Frage nach, wie die Beziehung zwischen Eigentümern und dem Management nach den Prinzipien von Kontrolle und Monitoring gestaltet werden kann. Dabei werden die Aspekte Kooperation und Vertrauen in den Corporate-Governance-Beziehungen hervorgehoben. Die Stewardship-Theorie wurde auf Basis der grundlegenden Beiträge von Donaldson (1990), Donaldson & Davis (1991) und Davis, Schoorman & Donaldson (1997) in den 1990er Jahren entwickelt und stellt einen modernen Ansatz zur Erklärung von Corporate Governance dar.

Anders als bei der Agency-Theorie wird die Trennung von Eigentum und Kontrolle nicht als Problem gesehen, sonders als positive und unvermeidbare Entwicklung, die ein effektives Management von komplexen Organisationen erst möglich macht (Learmount, 2002). Manager werden nicht mehr als opportunistisch, sondern vielmehr als motivierter Steward gesehen, der die Interessen des Principals verfolgt:

„Stewardship theory defines situations in which managers are not motivated by individual goals, but rather are stewards whose motives are aligned with the objectives of their principals“ (Davis et al., 1997, S. 21).

Diese Perspektive stärkt die Rolle der Agenten bzw. Stewards, da diese ihre Fähigkeiten und Kompetenzen (Wissen, Engagement, Expertise) nur sinnvoll einsetzen können, wenn sie nicht zu stark in ihren Handlungsspielräumen beschränkt werden. Daher plädieren die Vertreter der Stewardship-Theorie für Corporate-Governance-Strukturen, die dem Management einen hohen Grad an Autonomie und Vertrauen gewährleisten (Davis et al., 1997, S. 26; Donaldson & Davis, 1991, S. 52).

Der Aufsichtsrat als internes Überwachungsorgan im dualistischen System der Unternehmensführung erscheint nach der Stewardship-Theorie entbehrlich, da nach diesem Verständnis der Vorstand generell die Ziele der Aktionäre verfolgt und versucht, mögliche Informationsasymmetrien zu reduzieren (Velte, 2010, S. 287). Die Stewardship-Theorie entwickelt ein anderes Verständnis von Aufgabe und Rolle des Aufsichtsratsgremiums. Die Kontrollfunktion rückt in den Hintergrund. Der Aufsichtsrat wird als unterstützende Beratungsinstanz gesehen, der optimale Rahmenbedingungen (Empowerment und Mentoring) für den Vorstand schaffe (Donaldson & Davis, 1991, S. 51 f.; Velte, 2010, S. 287). Aufsichtsräte sollen demnach eine aktive Rolle bei der Strategieentwicklung und -implementierung einnehmen, da dies positivere ökonomische Effekte nach sich ziehe als ein rein kontrollierendes Gremium (Hillman & Dalziel, 2003).

Tabelle 3.1 zeigt die zentralen Unterschiede zwischen der Principal-Agent-Theorie und der Stewardship-Theorie.

Tabelle 3.1 Unterschiede zwischen Principal-Agent-Theorie und Stewardship-Theorie. (Quelle: Velte, 2010, S. 287)

Vor einigen Jahren stellte die Stewardship-Theorie noch eine Herausforderung für die Corporate-Governance-Forschung dar (Learmount, 2002). Mittlerweile weisen zahlreiche empirische Studien in unterschiedlichen Governance-Systemen das veränderte Verständnis der Aufsichtsgremien, weg von einem kontrollorientierten hin zu einer beratungsorientierten Rolle, nach (Welge & Eulerich, 2014, S. 25). Die Strukturationstheorie ermöglicht in beiden Ansätzen, die Handlungen der Akteure zu erklären, indem die Regeln und Ressourcen analysiert werden können.

Governance-Systeme

Schneider (2000) unterscheidet zwischen der primären und der sekundären Unternehmensführung: Die primäre Unternehmensführung ist zuständig für die Leitung und Führung, indem sie „das Recht und die Pflicht zum unmittelbaren Eingreifen in die Geschäfte des Unternehmens“ (Schneider, 2000, S. 26) sowie das Recht, „das Unternehmen nach außen hin zu vertreten“ (Schewe, 2010, S. 68) hat. Sie besitzt also die volle und alleinige Verantwortung für die tägliche Führungsarbeit. Dem gegenüber hat die sekundäre Unternehmensführung „das Recht zur Mitentscheidung und Mitverantwortung bei den grundsätzlichen Fragen der Unternehmensführung“ (Schneider, 2000, S. 27). Konkret handelt es sich dabei um die Bestellung und Überwachung der Geschäftsführung sowie der Mitwirkung bei der grundlegenden Ausrichtung der Geschäftspolitik.

Dieses theoretische Grundmodell der Unternehmensführung wird in der Praxis in unterschiedlichen Organisationsformen umgesetzt. Die formale Struktur von Leitung und Kontrolle innerhalb eines Unternehmens ist dabei ein zentrales Unterscheidungsmerkmal der Corporate-Governance-Systeme. Dabei steht insbesondere das Leitungsorgan (board) als Kernstück der internen Corporate Governance im Fokus. Es kann zwischen den zwei grundlegend verschiedenen Formen der monistischen (one-tier board) und dualistischen (two-tier board) Systeme der Unternehmensführung unterschieden werden. Dazwischen haben sich noch vielfältige Mischformen herausgebildet, wie das japanische Modell und das schweizerische ModellFootnote 3, auf die im Rahmen dieser Arbeit nicht weiter eingegangen wird.

Bezüglich der Entwicklung von Corporate-Governance-Systemen kann idealtypisch zwischen Koexistenz, Konvergenz und Konversion unterschieden werden. Bisher herrsche eine Koexistenz der Systeme, die vor allem auf nationalen Eigenheiten und Historie beruhe. Eine Konvergenz der Systeme liege vor, wenn sich verschiedene Systeme annähern und bestimmte Eigenschaften des anderen Systems übernehmen. Bei einer Systemkonversion löst das eine Corporate-Governance-Modell das andere ab (Metten, 2010, S. 210). Aktuell liege eine Koexistenz der verschiedenen Systeme vor. Witt (2000) erwartet aufgrund der Globalisierung und Veränderung an den Kapitalmärkten eine Annäherung des dualistischen Modells an das monistische System.

Monistisches System der Unternehmensführung

Im monistischen System (one-tier board) gibt es keine institutionelle Trennung zwischen der Leitungs- und Kontrollaufgabe. Die zentralen Unternehmensorgane sind die Versammlung der Anteilseigner (Shareholders’ Meeting), in dessen Kontrollkompetenz es liegt, das Direktorium (Board of Directors) zu bestellen und abzuberufen. Hinzu kommen Positionen besonders hervorgehobener Handlungsträger im Management (Officers). Es lassen sich kaum allgemeingültige Aussagen über die Einflussmöglichkeiten dieser Positionen treffen, da die konkrete Kompetenzabgrenzung weitgehend in der Satzung der Gesellschaft (Articles of Incorporation) oder deren Ergänzungen (Bylaws) verankert ist (Werder, 2015, S. 143).

Das einstufige System der Unternehmensführung ist das weltweit – insbesondere im angelsächsischen Raum – überwiegend anzutreffende Corporate-Governance-System (Böckli, 2009, S. 263). Aufgrund des unterschiedlichen Gesellschaftsrechts gibt es jedoch Unterschiede zwischen dem amerikanischen und dem britischen Modell (Zipperling, 2012, S. 37 f.), sodass es sich bei der nachfolgenden Betrachtung um das theoretische Modell der monistischen Unternehmensführung handelt, das hier nicht in all seiner Komplexität abgebildet wird.

Das Pflichtorgan der Gesellschaft ist das Board of Directors, das aus Executive und Non-Executive Directors sowie der Figur des Independent Directors besteht. Das Board of Directors übernimmt sowohl die Leitungsfunktion als auch die Kontrollfunktion des Unternehmens. Aus ihrer Mitte wählen die Board-Mitglieder den Chief Executive Officer, bei dem die Hauptverantwortung für die Leitung des Unternehmens liegt. Der CEO und die weiteren fest angestellten Executive Directors sind für die Leitung und Vertretung von Unternehmen nach außen zuständig und besetzen in Personalunion die Position eines Officers (Kuck, 2006, S. 17; Zipperling, 2012, S. 42). Im Gegensatz zum deutschen Vorstandsvorsitzenden ist der CEO im monistischen System den anderen Board-Mitgliedern hierarchisch übergeordnet (Charkham, 1994).

Die zweite nichtgeschäftsführende Gruppe sind die Non-Executive Directors, die über ihre Mitgliedschaft im Board hinaus keine Funktion innerhalb des Unternehmens wahrnehmen. Als Kontrollorgan des Managements sind sie u. a. für die Leistungsbewertung, Überwachung sowie die Bestellung und Abberufung der Executive Directors zuständig. Der oberste Non-Executive Director ist als sog. Chairman of the Board für die Leitung des Boards verantwortlich und wird ebenfalls von den Board-Mitgliedern gewählt (Kuck, 2006, S. 17; Zipperling, 2012, S. 42).

Die personelle Vereinigung der beiden Ämter Chairman und CEO ist im monistischen System möglich. Im Jahr 2016 war diese Doppelfunktion in den USA bei der Hälfte der S&P-500-Unternehmen vorzufinden (Spencer Stuart, 2016a), während es in Großbritannien nur bei einem der FTSE-150-Unternehmen der Fall war (Spencer Stuart, 2016b). Diese starke personelle Machtkonzentration wird allerdings kritisiert (Salzberger, 2004, S. 103). In diesem Zusammenhang sticht die Figur der Independent Director hervor, der den Chairman unterstützen soll und so gleichzeitig als interne Kontrolle hinsichtlich der personellen Trennung installiert wird. Unabhängigkeit wird dabei durch verschiedene Kriterien, wie das Anstellungsverhältnis, die Beziehungen zum Unternehmen, erfolgsabhängige Vergütung etc., charakterisiert (Zipperling, 2012, S. 42 f.).

Das Board of Directors nimmt eigenständig und ausschließlich sämtliche Befugnisse gegenüber den Aktionären wahr. Weiterhin fühlt es sich in der Regel vor allem dem Aktionärsinteresse verpflichtet (Baums & Scott, 2003, S. 4), was ein Grund für die nicht vorhandene institutionelle Verankerung von Arbeitnehmervertretern sein könnte.

Für die Board-interne Arbeitsteilung werden Ausschüsse (Committees) gebildet, denen bestimmte Aufgaben zugeteilt werden, die eine besondere fachliche Qualifikation erfordern und die Effizienz der Arbeit erhöhen sollen. In der Praxis sind (mehr oder weniger) einheitlich die folgenden Ausschüsse üblich: der Leitungsausschuss (Executive Committee), der Prüfungsausschuss (Audit Committee), der Vergütungsausschuss (Compensation Committee), der Finanzausschuss (Finance Committee) und der Nominierungsausschuss (Nominating Committee) (Werder, 2015, S. 144 f.). Vor allem die Besetzung des Audit Committees durch Independent Directors ist von zentraler Bedeutung für die Kontrolle des Unternehmens (Monks & Minow, 2015, S. 333 f.; Zipperling, 2012, S. 43).

Die Zusammenarbeit basiert auf einem kontinuierlichen Austausch, wobei die Gefahr besteht, dass die Grenzen zwischen den Aufgaben der Führung und Kontrolle verwischen. So können Non-Executive Directors durch bspw. eine intensive Beratung im hohen Maße an Führungsaufgaben involviert sein, obwohl sie eigentlich verpflichtet sind, die Unternehmensleitung zu kontrollieren. Diese Gratwanderung wird teilweise als Vorteil des Systems genannt, da durch eine höhere Sitzungsfrequenz und gute Einbindung der Non-Executive Directors eine bessere Überwachung gewährleistet sei (Kuck, 2006, S. 18 f.). Die korrekte und zeitgerechte Informationsversorgung der Non-Executive Directors durch den CEO bzw. die Executive Directors stellt jedoch auch in diesem System eine zentrale Herausforderung für die Wahrnehmung der Kontrollfunktion dar (Monks & Minow, 2015, S. 295 ff.).

Dualistisches System der Unternehmensführung

Das dualistische Modell (two-tier board) ist durch die institutionelle Trennung der Unternehmensleitung (Vorstand) und -kontrolle (Aufsichtsrat) gekennzeichnet. Als drittes Organ steht daneben die Hauptversammlung der Aktionäre. Dieses Modell wird neben Deutschland auch in Österreich, den Niederlanden, einer Minderheit der französischen Unternehmen sowie in einigen osteuropäischen Staaten angewendet (Lutter, 1995).

Seit der Aktienrechtsnovelle aus dem Jahr 1884 ist das dualistische System für die deutsche Aktiengesellschaft gesetzlich zwingend erforderlichFootnote 4. Bei der seit 2001 eingeführten Europäischen Aktiengesellschaft (Societas Europaea, kurz SE) kann zwischen dem monistischen und dualistischen Leitungssystem gewählt werden (Theisen & Wenz, 2005; Werder, 2015)Footnote 5.

Im AktiengesetzFootnote 6 sind die Funktionen und das Zusammenwirken der einzelnen Organe festgelegt. Während der Vorstand die Gesellschaft unter eigener Verantwortung leitet (§ 76 Abs. 1 AktG) und gerichtlich und außergerichtlich vertritt (§ 78 Abs. 1 AktG), kommt dem Aufsichtsrat als Primäraufgabe zu, die Geschäftsführung (Vorstand) zu überwachen (§ 111 Abs. 1 AktG).

In der Hauptversammlung üben die Aktionäre ihre Rechte und ihren Einfluss auf die Unternehmensführung aus (§ 118 Abs. 1 AktG). Im Wesentlichen bezieht sich das Aufgabenfeld der Hauptversammlung auf folgende Bereiche (§ 119 Abs. 1 AktG):

  • Bestellung der Aufsichtsratsmitglieder der Anteilseignerseite

  • Entscheidung über die Verwendung des Bilanzgewinns

  • Entlastung der Aufsichtsrats- und der Vorstandsmitglieder

  • Bestellung des Abschlussprüfers

  • Entscheidung über Satzungsänderungen

  • Beschlussfassung über Maßnahmen der Kapitalbeschaffung und -herabsetzung

  • Bestellung von Sonderprüfern

  • Entscheidung über eine mögliche Auflösung der Gesellschaft

Diese Kompetenzliste wird durch zahlreiche über das Aktienrecht verstreute Zuständigkeiten ergänzt (Werder, 2015, S. 92). Vor allem das in § 131 AktG normierte Auskunftsrecht der Aktionäre in der Hauptversammlung ist in diesem Zusammenhang relevant. Die Hauptversammlung tagt regelmäßig einmal im Geschäftsjahr.

Die Rechte und Pflichten des Vorstands sind im Einzelnen in den §§ 76–94 AktG geregelt. Der Vorstand leitet die Gesellschaft in eigener Verantwortung und unterliegt dabei keinerlei Weisung Dritter (§ 76 Abs. 1 AktG). Die Hauptversammlung ist in Geschäftsführungsaufgaben nur auf sein Verlangen entscheidungsbefugt (§ 119 Abs. 2 AktG) und die Geschäftsführung kann nach § 111 Abs. 4 Satz 1 AktG nicht auf den Aufsichtsrat übertragen werden. Nach § 78 Abs. 1 AktG hat der Vorstand eine Repräsentationsfunktion und vertritt die Gesellschaft gegenüber Dritten gerichtlich und außergerichtlich. Zudem hat der Vorstand nach § 90 AktG eine Informationspflicht gegenüber dem Aufsichtsrat, auf die im Folgenden noch detailliert eingegangen wird (Abschnitt 5.1.1).

Der Vorstand kann grundsätzlich aus einer oder mehreren Personen bestehen (§ 76 Abs. 2 AktG). Es gilt der Grundgedanke, dass alle Vorstandsmitglieder gemeinschaftlich für die Geschäftsführung verantwortlich sind (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AktG). Die Anzahl der Mitglieder des Vorstands werden in der Satzung festgelegt und sind meist abhängig von der Größe der Gesellschaft (Kuck, 2006, S. 22 f.; Zipperling, 2012, S. 32). Der Aufsichtsrat kann ein Mitglied zum Vorstandsvorsitzenden ernennen (§ 84 Abs. 2 AktG). Eine herausgehobene Stellung des CEOs wie im monistischen System, ist im dualistischen Leistungsmodell jedoch nicht vorgesehen (Schewe, 2010, S. 85). Vorstandsvorsitzende haben weder ein Alleinentscheidungs- noch Vetorecht, jedoch haben sie eine Repräsentationsfunktion gegenüber der Öffentlichkeit (Gerum, 2007, S. 121).

Nach dem Mitbestimmungsgesetz (§ 33 MitbestG, § 13 MontanMitbestG) muss dem Vorstand ein Arbeitsdirektor angehören, der die Aufgaben des Personalwesens übernimmt. Der Vorstand kann sich eine Geschäftsordnung geben oder der Aufsichtsrat erlässt eine Geschäftsordnung (§ 77 Abs. 2 AktG), in der die Arbeit, insbesondere die Ressortzuständigkeit und erforderliche Beschlussmehrheiten geregelt sein sollen. In der Praxis ist es üblich, dass den Vorstandsmitgliedern einzelne Ressorts nach fachlichen, örtlichen oder funktionalen Kriterien zugewiesen werden (Gerum, 2007, S. 123 ff.). Die Vorstände werden vom Aufsichtsrat für maximal fünf Jahren bestellt (§ 84 Abs. 1 Satz 1 AktG).

Nachdem die Hauptversammlung und der Vorstand als Organe im dualistischen System der Unternehmensführung skizziert wurden, soll nun ausführlich auf den Aufsichtsrat als zentrales Organ für diese Arbeit eingegangen werden.

3.2 Der Aufsichtsrat: Aufgaben, Organisation und Zusammensetzung

Der Aufsichtsrat als Gremium an sich geht im dualistischen System auf die Einführung des Allgemeinen Deutschen Handelsgesetzbuches im Jahr 1861 zurückFootnote 7. Einen gesetzlichen Pflicht-Aufsichtsrat haben alle Aktiengesellschaften, Genossenschaften sowie Gesellschaften mit beschränkter Haftung, die „der Montan-Mitbestimmung unterliegen oder Kapitalanlagegesellschaften (§ 18 KAGB) sind oder mehr als 500 (§ 1 Abs. 1 Nr. 3 DrittelbG) oder 2000 (§ 1 MitbestG) Arbeitnehmer haben“ (Lutter et al., 2014, S. 5). Die folgenden Erläuterungen beziehen sich auf den Pflicht-Aufsichtsrat von Aktiengesellschaften.

Die Aufgaben sowie Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats sind umfassend im Aktiengesetz (§§ 95 bis 116 AktG), im Handelsgesetzbuch (HGB) sowie den Mitbestimmungsgesetzen (MitbestG, DrittelbG, MontanMitbestG) geregelt. Darüber hinaus beschäftigt sich der im Jahr 2002 eingeführte Deutsche Corporate Governance KodexFootnote 8 mit der Frage nach einer verbesserten und effektiveren Überwachung der Unternehmensleitung durch den Aufsichtsrat. Die Regierungskommission überprüft regelmäßig einen eventuellen Anpassungsbedarf der im Kodex formulierten Regelungen hinsichtlich der aktuellen Gesetzgebung und Unternehmenspraxis.

Die letzte Reform des DCGK erfolgte im Jahr 2019Footnote 9, dabei ist vor allem die Struktur grundlegend geändert worden. Die Struktur des Kodex orientierte sich zuvor an den Organen der Aktiengesellschaft, nun hat dieser eine eher funktionale Gliederung. Der DCGK ist neu aufgeteilt in: (A) Leitung und Überwachung der Gesellschaft, (B) Besetzung des Vorstands, (C) Zusammensetzung des Aufsichtsrats, (D) Arbeitsweise des Aufsichtsrats, (E) Interessenkonflikte, (F) Transparenz und externe Berichterstattung sowie (G) Vergütung von Vorstand und Aufsichtsrat. Neu ist zudem, dass 25 sog. Grundsätze die neue Struktur des Kodex prägen. Diese Grundsätze spiegeln dabei „wesentliche rechtliche Vorgaben verantwortungsvoller Unternehmensführung wider und dienen hier der Information der Anleger und weiterer Stakeholder“ (DCGK 2019, Präambel Abs. 4 Satz 1). Zweitens umfasst er Empfehlungen, die durch die Verwendung des Wortes soll gekennzeichnet sind, sowie Anregungen, die mit sollte formuliert sind. Es ist eine jährlich zu veröffentlichende Entsprechenserklärung nach § 161 AktG von Vorstand und Aufsichtsrat vorgeschrieben, in der Abweichungen von den Soll-Empfehlungen zu begründen sind (comply or explain). Bei den Anregungen kann eine Abweichung ohne Begründung erfolgen. Eigentlich hatte die Kommission ein apply and explain-Vorgehen angestrebt, nach dem sich Unternehmen zu den einzelnen Grundsätzen erklären sollten. Dies wurde im Rahmen der Konsultation jedoch als zu bürokratisch ohne Mehrwert für die Stakeholder kritisiert und schließlich nicht übernommen (Linden, 2019, S. 1529).

Der DCGK ist selbst nicht gesetzlich verankert, sondern ein flexibles Instrument der freiwilligen Selbstregulierung der deutschen Wirtschaft. Die Einbindung des Kodex in das deutsche Aktienrecht erfolgt über § 161 AktG. Der Deutsche Corporate Governance Kodex verfolgt die Ziele, einerseits die deutsche Corporate-Governance-Struktur für inländische und ausländische Share- und Stakeholder transparent zu verdeutlichen (Kommunikation), sowie andererseits, Standards für gute und verantwortungsvolle Unternehmensführung und -kontrolle zu formulieren (Qualitätssicherung) (Gerum, 2007, S. 389 f.; Schewe, 2010, S. 217 f.).

Sowohl das Aktiengesetz als auch der DCGK stellen aus Sicht der Strukturationstheorie Normen dar, auf deren Basis analysiert werden kann, welche Handlungen von individuellen oder korporativen Akteuren sozial erwartet, erlaubt und erwünscht sind. Die Nichtbefolgung dieser Normen, als Teil der Regeln von Strukturen, kann von anderen Akteuren unterschiedlich stark sanktioniert werden.

Aufgaben und Funktion des Aufsichtsrats

Grundlegend lassen sich drei Funktionen des Aufsichtsrats unterscheiden: die Kontrollfunktion, Interessenausgleichsfunktion und Beratungsfunktion (Hutzschenreuter, Metten & Weigand, 2012, S. 719):

  • Kontrollfunktion: Die primäre Aufgabe des Aufsichtsrats ist nach § 111 Abs. 1 AktG die umfassende Kontrolle und Überwachung des Vorstands sowie im Rahmen der Personalhoheit die Auswahl, Bestellung und Entlassung des Vorstands (§ 84 AktG, § 31 MitbestG). Daraus lässt sich auch die Pflicht zu einer langfristigen Nachfolgeplanung ableiten (DCGK, Empfehlung B.2). Zudem entscheidet der Aufsichtsrat über die Vergütung des Vorstands (§ 87 AktG). Seit dem Gesetz zur Umsetzung der zweiten Aktionärsrechterichtlinie (ARUG II) im Jahr 2019 hat der Aufsichtsrat ein klares und verständliches Vergütungssystem für den Vorstand zu beschließen und dabei eine Maximalvergütung festzulegen. Die Hauptversammlung muss mindestens alle vier Jahre über das Vergütungssystem abstimmen und kann die Maximalvergütung herabsetzen (sog. Say on Pay). Der Beschluss ist aber nicht bindend (§ 120a Abs. 1 AktG).

    Die Prüfung des Jahresabschlusses und des Lageberichts zählen gemäß § 171 AktG zu den Aufgaben des Aufsichtsrats. Nach § 111 Abs. 4 Satz 2 AktG hat die Satzung oder der Aufsichtsrat sicherzustellen, dass vom Vorstand beabsichtigte, gewichtige Geschäfte nur mit seiner Zustimmung vorgenommen werden dürfen. Durch die Aufstellung einer Liste von zustimmungspflichtigen Geschäften wird dem Kontrollorgan eine Art Vetorecht bzw. eine sog. unternehmenspolitische Kompetenz eingeräumt, mit der er aktiv auf die Geschäftsführung einwirken kann (Gerum, 2007, S. 264; Lutter et al., 2014, S. 57 ff.). Im Rahmen seiner Organisationskompetenz gemäß § 77 Abs. 2 AktG kann der Aufsichtsrat weiterhin eine Geschäftsordnung für den Vorstand erlassen.

    In einer Krise ergibt sich eine Verdichtung der Pflichten des Aufsichtsrats, insbesondere durch eine umfassende Analyse der Krisenursachen sowie der Frage, ob der Vorstand aufgrund der Krise personell verändert werden muss (Schmittmann, 2012, S. 171 ff.).

  • Interessenausgleichsfunktion: Der Aufsichtsrat übernimmt die Vertretung der Interessen der Anteilseigner und in mitbestimmten Aufsichtsräten auch die Interessensvertretung der Mitarbeitenden. Die Repräsentanz von Arbeitnehmern im Aufsichtsrat stellt eine Besonderheit des deutschen mitbestimmten Trennungsmodells dar und erweitert die Kontrollfunktion des Aufsichtsrats um die des Interessenausgleichs. Seit der gesetzlichen Einführung der Mitbestimmung im Jahr 1976 ist der Aufsichtsrat abhängig von der Rechtsform, der Anzahl der Mitarbeitenden und der Branchenzugehörigkeit (u. a. § 1 Abs. 1 Nr. 1 DrittelbG und § 1 Abs. 1 MitbestG) sowohl mit Vertretern der Anteilseigner als auch mit Vertretern der Arbeitnehmerseite zu besetzen (Schewe, 2010, S. 230 ff.). Gleichzeitig ist der Aufsichtsrat ein unabhängiges Gremium, das nicht persönliche oder Partikularinteressen bestimmter Gruppen wahrnehmen darf – vielmehr muss sich der Aufsichtsrat mit den Interessen der unterschiedlichen Stakeholder des Unternehmens beschäftigen und diese im übergeordneten Unternehmensinteresse zusammenführen (Schneider, 1995, S. 367).

  • Beratungsfunktion: Noch vor 20 Jahren wurde die kontrollierende Aufgabe des Aufsichtsrats ausschließlich retrospektiv definiert; seitdem hat sich jedoch ein grundlegender Wandel im Funktionsverständnis des Aufsichtsrats vollzogen (Metten, 2010, S. 275). Heutzutage ist nach §§ 90, 111 AktG und durch den DCGK (Grundsatz 6) eine Beratungsfunktion des Aufsichtsrats vorgesehen. Ergänzend zu der Überwachung abgeschlossener und laufender Vorgänge, kann sich die Beratung damit auch auf grundsätzliche Fragen der künftigen Unternehmenspolitik beziehen, wie etwa der strategischen Grundausrichtung des Unternehmens oder der Erschließung eines neuen Geschäftsfelds (Gerum, 2007, S. 280 ff.). So ist bspw. die Strategieformulierung aus Sicht des Aufsichtsrats formal und inhaltlich zu überprüfen, sodass die anschließenden Phasen des Strategieprozesses kontrolliert werden können. Die präventive Ex-ante-Kontrolle ermöglicht dem Gremium eine gestaltende Einflussnahme auf die Unternehmensführung (Lutter et al., 2014, S. 32 f.).

Aus Sicht der Strukturationstheorie können diese Funktionen als Normen bewertet werden, da eine Nichteinhaltung dieser Aufgaben des Gremiums von anderen Akteuren sanktioniert werden kann. Darüber hinaus konstituieren sie aber auch Ressourcen, auf die sich die Aufsichtsratsmitglieder, aber auch andere Akteure im Unternehmen in der Interaktion beziehen. Die Entscheidungskompetenz hinsichtlich der Personalhoheit, aber auch die Beziehungen zum Vorstand im Rahmen der Beratungsfunktionen können dabei als autoritative Ressourcen verstanden werden.

Nach § 113 Abs. 1 AktG kann den Mitgliedern des Aufsichtsrats durch die Satzung oder den Hauptversammlungsbeschluss eine angemessene Vergütung der Tätigkeit gewährt werden. Die Vergütung kann sowohl feste (Festvergütung plus Zuschläge für Ausschusstätigkeiten und Sitzungsgelder) als auch variable, erfolgsorientierte Bestandteile enthalten (Lutter et al., 2014, S. 358 ff.). Die Höhe der Gesamtvergütung des Aufsichtsrats ist in den vergangenen Jahren kontinuierlich gestiegen und wird vor allem durch das erweiterte Aufgabenfeld argumentiert (Kienbaum, 2018).

Der Aufsichtsrat ist als Innenorgan ein Bestandteil der internen Corporate Governance. Seine Aufgaben beziehen sich fast ausschließlich auf das interne Geschehen der Gesellschaft (Lutter et al., 2014, S. 22). Das Gesetz erlaubt dem Aufsichtsrat nur in wenigen Ausnahmefällen den Gang in die Öffentlichkeit. So vertritt er die Gesellschaft gegenüber den Mitgliedern des Vorstands (§ 112 AktG), z. B. bei der Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen, sowie dem Abschlussprüfer (§ 111 Abs. 2 Satz 3 AktG) gerichtlich und außergerichtlich, insbesondere beim Abschluss und der Aufhebung entsprechender Verträge.

Seine Kontroll- und Überwachungsaufgabe nimmt der Aufsichtsrat auf Basis der Berichte des Vorstands gemäß § 90 AktG wahr. Zudem helfen der Prüfungsbericht des Abschlussprüfers sowie Feststellungen der internen Revision dem Aufsichtsrat, die Wirtschaftlichkeit, Rechtmäßigkeit, Ordnungsmäßigkeit und Zweckmäßigkeit der Geschäftsführungsentscheidungen zu beurteilen (Diederichs & Kißler, 2008, S. 100 ff.). Der Zugang zu Informationen stellt damit eine allokative Ressource für die Tätigkeit und damit in Bezug auf die Entscheidungen zu einer externen Kommunikation des Aufsichtsrats dar. Eine ausführliche Darstellung der Informationsversorgung des Aufsichtsrats erfolgt in Abschnitt 5.1.1.

Aufsichtsratsmitglieder, die ihre Pflichten verletzen, unterliegen verschiedenen Sanktionen. In der Praxis kann zwischen drei Arten der Haftung unterschieden werden: strafrechtliche Haftung, Haftung gegenüber Dritten, Haftung gegenüber der Gesellschaft. Zur strafrechtlichen Haftung gehören z. B. falsche Angaben (§ 399 AktG), unrichtige Darstellung (§ 400 AktG), Verletzung der Geheimhaltungsverpflichtung (§ 404 AktG) sowie Untreue (§ 266 Abs. 1 StGBFootnote 10).

Bei der Haftung gegenüber Dritten kann zwischen einer möglichen Schadensersatzhaftung gegenüber Aktionären, Kapitalanlegern, Gesellschaftsgläubigern und sonstigen Dritten unterschieden werden. Eine Haftung gegenüber Kapitalanlegern kann bspw. durch eine fehlerhafte oder unterlassene Entsprechenserklärung nach § 161 AktG entstehen (Lutter et al., 2014, S. 424). Die in der Praxis bedeutsamste Haftung ist die gegenüber der Gesellschaft. Dabei verweist § 116 Satz 1 AktG auf die Haftung der Mitglieder des Vorstands gemäß § 93 Abs. 2 AktG. Haftungsrisiken für Aufsichtsratsmitglieder sind dabei bspw. die fehlende Überwachung des Vorstands in der Unternehmenskrise, vorsätzliches oder grob fahrlässiges Unterlassen der Verhinderung von Betrugshandlungen durch den Vorstand, z. B. Verzögerung des Insolvenzantrags, oder nicht verfolgte Ansprüche auf Schadensersatz gegenüber Dritten und insbesondere gegenüber Vorstandsmitgliedern (Schmittmann, 2012, S. 174 f.). Zur Übernahme der Haftung gibt es in der Praxis sog. Directors-and-Officers-Versicherungen (D&O-Versicherungen).

Organisation des Aufsichtsrats

Für die effiziente Erfüllung seiner Überwachungsaufgaben muss sich der Aufsichtsrat eine entsprechende Binnenorganisation geben (§§ 107 ff. AktG), d. h. einerseits eine innere Ordnung anhand von besonderen Funktionsträgern (Vorsitzender, Ausschüsse) und andererseits die Organisation der Verfahrensabläufe. Soweit nicht schon die Satzung Regelungen getroffen hat, kann der Aufsichtsrat sich selbst eine Geschäftsordnung geben und darin seine Organisation regeln (Lutter et al., 2014, S. 275). Der Kodex empfiehlt eine Geschäftsordnung für den Aufsichtsrat, die auch auf der Corporate Website veröffentlicht werden soll (Empfehlung D.1). Darin sind u. a. die allgemeinen Regeln für Aufsichtsratsbeschlüsse festzuhalten. Im Regelfall gilt eine einfache Mehrheit, bei mitbestimmten Unternehmen ist der Einsatz des Doppelstimmrechts des Vorsitzenden (§ 29 Abs. 2 MitbestG) zulässig.

Vor allem die Bildung von Ausschüssen birgt ein enormes Potenzial für eine effektive und effiziente Überwachungsarbeit (Gerum, 2007, S. 207 f.; Welge & Eulerich, 2014, S. 54 ff.). Nach § 107 Abs. 3 AktG kann der Aufsichtsrat Ausschüsse bestellen, um Verhandlungen und Beschlüsse vorzubereiten oder die Ausführung seiner Beschlüsse zu überwachen. Der DCGK empfiehlt insbesondere die Einrichtung eines Prüfungsausschusses (Empfehlung D.3) und eines Nominierungsausschusses zur Vorbereitung von Aufsichtsratswahlen (Empfehlung D.5). Darüber hinaus sieht das Gesetz bei paritätisch mitbestimmten Unternehmen einen Vermittlungsausschuss vor (§ 27 Abs. 3 MitbestG). In der Praxis finden sich häufig ein Prüfungs- bzw. Bilanzausschuss, ein Finanzausschuss, ein Nominierungs- bzw. Personalausschuss und ein Aufsichtsratspräsidium (Lutter et al., 2014, S. 326 ff.; Welge & Eulerich, 2014, S. 54 ff.). Aber auch weitere thematische Ausschüsse, z. B. für Strategie, Technologie oder Sonderthemen, finden sich immer häufiger (Welge & Eulerich, 2014, S. 54 ff.). Die Arbeitsweise von Aufsichtsratsausschüssen regelt § 109 AktG. Die innere Ordnung der Ausschüsse wird wiederum in einer Geschäftsordnung festgehalten, die Details zur Teilnahme, Beschlussfassung etc. regelt (Lutter et al., 2014, S. 336 ff.).

Der Aufsichtsrat muss zwei Sitzungen im Kalenderhalbjahr abhalten (§ 110 Abs. 3 Satz 1 AktG). Jedes Mitglied ist berechtigt und verpflichtet an den Sitzungen teilzunehmen. Im Aufsichtsratsbericht sollte dabei vermerkt werden, an wie vielen Sitzungen des Aufsichtsrats und der Ausschüsse die einzelnen Teilnehmer teilgenommen haben (DCGK, Empfehlung D.8). Der Aufsichtsratsvorsitzende trifft im Rahmen der Sitzungsleitung die Entscheidung, ob Vorstandsmitglieder an den Aufsichtsratssitzungen teilnehmen sollen (Lutter et al., 2014, S. 300 f.). Grundsätzlich sollen ausschließlich Personen, die dem Aufsichtsrat angehören, an den Sitzungen teilnehmen, jedoch können Sachverständige und Auskunftspersonen zur Beratung über einzelne Tagesordnungspunkte hinzugezogen werden (§ 109 Abs. 1 AktG).

Die Empfehlung D.13 des DCGK hält fest, dass der Aufsichtsrat regelmäßig die Effizienz seiner Tätigkeit überprüfen soll. Im Mittelpunkt der Effizienzprüfung stehen die Organisation und Verfahrensabläufe, aber auch die inhaltliche Seite der Aufsichtsratsarbeit. Die Vorbereitung dieser Prüfung liegt beim Aufsichtsratsvorsitzenden, wobei es möglich ist, externe Berater hinzuzuziehen (Lutter et al., 2014, S. 277).

Einer internationalen Entwicklung folgend, werden in größeren Unternehmen Aufsichtsratsbüros eingerichtet, die teilweise an die Funktion des Corporate Secretary anlehnen. Abhängig von den Aufgaben kann das Aufsichtsratsbüro (1) den Aufsichtsrat unterstützen, (2) den Vorstand bei der Informationsvermittlung an den Aufsichtsrat unterstützen oder (3) als Bindeglied zwischen den beiden Gremien agieren (Henning, 2014, S. 164 ff.). Die Möglichkeit bei der Aufsichtsratstätigkeit auf eine personelle Unterstützung zurückgreifen zu können, kann als autoritative Ressource (als Teil der Strukturen) angesehen werden. Schließlich können auf dieser Basis, die Beziehungen zwischen Akteuren innerhalb der Organisation (um)gestaltet werden. In Bezug auf den Untersuchungsgegenstand kann dabei zwischen der personellen Unterstützung eines Aufsichtsratsbüros sowie den Kommunikationsverantwortlichen des Unternehmens unterschieden werden.

Für die sachgerechte Erledigung der Aufsichtsratsaufgaben kann es sein, dass der Aufsichtsrat sachliche und persönliche Hilfsmittel (Sachverständige, Berater etc.) hinzuziehen möchte. Jedoch müssen diese Auslagen vom Vorstand gestattet werden, auch wenn Streit darüber besteht, ob er die Rechtmäßigkeit oder die Angemessenheit der jeweiligen Zahlung überhaupt prüfen darf (Schenck, 2013, S. 59; Scherb-Da Col, 2018). Das Thema Budget für den Aufsichtsrat wird in der Literatur unterschiedlich diskutiert (Lutter et al., 2014, S. 278 ff.; Schenck, 2013, S. 59 f.). Scherb-Da Col (2018) spricht sich dafür aus, den Aufsichtsrat als eigene Kostenstelle zu betrachten, dem jährlich ein eigenes Budget zugeordnet werden sollte, das konsequenterweise von der Hauptversammlung zu bewilligen sei – dies würde jedoch angesichts der überwiegenden Meinung in Theorie und Praxis eher auf Ablehnung stoßen. Ein Budget für den Aufsichtsrat würde eine allokative Ressource darstellen, etwa um kommunikative Fragestellungen mit Experten außerhalb des Unternehmens zu erörtern.

Zusammensetzung des Aufsichtsrats

Ein Aufsichtsratsmitglied muss nur gewisse persönliche Voraussetzungen erfüllen, so muss es nach § 100 Abs. 1 AktG eine natürliche, unbeschränkt geschäftsfähige Person sein. Nach dem DCGK soll der Aufsichtsrat konkrete Ziele für seine Zusammensetzung und das Kompetenzprofil erarbeiten (Empfehlung C.1) sowie eine Altersgrenze festlegen (Empfehlung C.2). Nach § 95 AktG ist der Aufsichtsrat ein Kollegialorgan mit mindestens drei und höchstens 21 Mitgliedern. Seine genaue Zusammensetzung und Höchstzahl ergeben sich aus §§ 95, 96 AktG, dem anzuwendenden Mitbestimmungsgesetz und der Anzahl der Mitarbeitenden des Unternehmens.

Es kann zwischen drei Formen der Unternehmensmitbestimmung unterschieden werden: Montanmitbestimmung, Drittelmitbestimmung und Mitbestimmungsgesetz (Jansen, 2013; Streeck, 2004). Das Montanmitbestimmungsgesetz (MontanMitbestG) gilt für Eisen und Stahl produzierende Unternehmen sowie Unternehmen des Bergbaus mit über 1.000 Mitarbeitenden. Es sieht eine paritätische Besetzung des Aufsichtsrats vor, hat aufgrund des Niedergangs der Montanindustrie jedoch stark an Bedeutung verloren (Jansen, 2013, S. 4). Grundlage für die Drittelmitbestimmung ist das Drittelbeteiligungsgesetz (DrittelbG) und gilt für Aktiengesellschaften und andere Rechtsformen mit 500 bis 2.000 Beschäftigten (§ 1 Abs. 1 DrittelbG). Der Aufsichtsrat muss danach zu einem Drittel mit Arbeitnehmern besetzt sein (§ 4 Abs. 1 DrittelbG). Bei Unternehmen über 2.000 Arbeitnehmern (§ 1 MitbestG) wird das Mitbestimmungsgesetz (MitbestG) angewendet. Es sieht eine paritätische Besetzung des Aufsichtsrats aus Arbeitnehmern und Kapitaleignern vor, wobei die Größe des Gremiums abhängig von der Arbeitnehmerzahl ist (§ 7 Abs. 1, 2 MitbestG).

Die Mitbestimmung im dualistischen System ist ein zentrales Unterscheidungsmerkmal zum monistischen System der Unternehmensführung. Nach der Agency-Theorie ergeben sich dadurch zwei gegenläufige Effekte. Einerseits stellt die Mitbestimmung eine weitere Form der Kontrolle des Managements dar. Andererseits steigen die Agency-Kosten, da verschiedene Interessen im Gremium vertreten sind, die in Widerspruch zueinanderstehen können (Metten, 2010, S. 50). Befürworter der Mitbestimmung argumentieren, dass die Arbeitnehmervertreter im Gremium zu einer stärkeren Betriebsnähe führen und dabei zudem eine weitere, möglicherweise unabhängige, Informationsquelle für die Diskussion und Entscheidungsfindung darstellen (Jansen, 2013, S. 284). Die empirische Forschung zur ökonomischen und sozialen Effektivität und Effizienz der Mitbestimmung hat eine lange Tradition, wobei Meta-Analysen darin übereinstimmen, dass sich statistisch sowohl positive als auch negative Effekte der Mitbestimmung feststellen lassen (Gerum, 2007, S. 48 f.).

Die Wahl und Abberufung der Aufsichtsratsmitglieder unterscheiden sich dahingehend, ob es sich um Vertreter der Arbeitnehmer oder Anteilseigner handelt. Die Wahl der Arbeitnehmervertreter sind im jeweiligen Mitbestimmungsgesetz geregelt. So erfolgt bspw. die Wahl nach dem Mitbestimmungsgesetz unmittelbar durch die Belegschaft oder mittelbar durch gewählte Delegierte (§ 9 MitbestG) des betreffenden Unternehmens oder Konzerns (§ 5 MitbestG). Für die Wahl der Anteilseignervertreter ist nur die Hauptversammlung zuständig (§ 101 Abs. 1 AktG). Bestimmten Aktionären kann ein Entsenderecht eingeräumt werden, jedoch höchstens für ein Drittel der Anteilseignervertreter (§ 101 Abs. 2 Satz 4 AktG). Die Amtszeit beträgt nach dem Gesetz einheitlich für alle Aufsichtsratsmitglieder höchstens fünf Jahre (§ 102 Abs. 1 AktG).

Bei der Zusammensetzung des Aufsichtsratsgremiums ergeben sich weitere Herausforderungen. Um das sog. Overboarding, also die Häufung von Mandaten in Aufsichtsratsgremien, zu verhindern, ist nach § 100 Abs. 2 Nr. 1 AktG eine Anzahl von zehn Mandaten in gesetzlich zu bildenden Aufsichtsräten zulässig. Bei der Berechnung wird das Amt als Vorsitzender eines Aufsichtsrates doppelt angerechnet (§ 100 Abs. 2 Satz 4 AktG). Der DCGK verschärft diese Regelungen weiter und empfiehlt, dass Aufsichtsratsmitglieder künftig maximal fünf Aufsichtsratsmandate wahrnehmen sollen, wobei ein Aufsichtsratsvorsitz doppelt gezählt wird (Empfehlung C.4). Amtierende Vorstandsmitglieder von börsennotierten Gesellschaften sollen maximal zwei externe Aufsichtsratsmandate wahrnehmen, davon keinen Aufsichtsratsvorsitz (Empfehlung C.5).

Mit der sog. Cooling-Off-Period soll die Kollision zwischen den Aufgaben Leitung und Kontrolle ausgeschlossen werden. Vorstandsmitglieder sollen demnach erst nach Ablauf von zwei Jahren in den Aufsichtsrat wechseln. Nach § 100 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 AktG ist dies dennoch vorzeitig möglich, wenn die Wahl auf den Vorschlag von Aktionären mit mindestens 25 Prozent der Stimmrechte erfolgt. Die Diskussion zum Thema Cooling-Off-Phase hält an: Einerseits gibt es Stimmen (auch institutioneller Investoren) wonach ein direkter Wechsel im Einzelfall für das Unternehmen nützlich sein könne, andererseits wird angeführt, dass die Person als Aufsichtsrat schwerlich den Vorstand und Strategie kontrollieren könne, die sie als damaliges Vorstandsmitglied selbst beschlossen und verfolgt hat (Schenck, 2013, S. 137).

Auch persönliche Verflechtungen sollen vermieden werden. Darunter versteht man einerseits als Organintegrität, dass ein gesetzlicher Vertreter eines von der Gesellschaft abhängigen Unternehmens nicht im Aufsichtsrat der Obergesellschaft sein kann (§ 100 Abs. 2 Nr. 2 AktG). Umgekehrt ist es jedoch möglich und in der Praxis üblich, dass Vertreter der herrschenden Gesellschaft Aufsichtsratsmitglieder in das abhängige Unternehmen entsenden (Welge & Eulerich, 2014, S. 51 f.). Andererseits sollen Überkreuzverflechtungen vermieden werden, indem ein Vorstandsmitglied eines Unternehmens nicht in den Aufsichtsrat eines zweiten Unternehmens soll, dessen Vertreter bereits im Aufsichtsrat des ersten Unternehmens sitzen (§ 100 Abs. 2 Nr. 3 AktG). Der DCGK fordert weiterhin, dass Aufsichtsräte keine Organfunktionen oder Beratungsaufgaben bei wesentlichen Wettbewerbern ausüben sollen (Empfehlung C.12). Hier wirkt auch das Transparenzbestreben der Corporate Governance: Potenzielle Interessenkollisionen durch die Mitgliedschaft in mehreren Aufsichtsräten oder vergleichbaren Kontrollorganen müssen gem. § 125 Abs. 1 Satz 5 AktG (sowie im Jahresabschluss gem. § 285 Nr. 10 HGB) zwingend offengelegt werden. Aufsichtsratsvorsitzende haben dann die Möglichkeit der Stimmenthaltung bzw. die Erteilung des Stimmverbotes, um Konflikte zu vermeiden (Zipperling, 2012, S. 34).

Qualifikationen und Diversität

Für ein funktionsfähiges Überwachungsgremium ist die Frage der Qualifikationen von wichtiger Bedeutung. Dabei kann zwischen den Individualqualifikationen der einzelnen Mitglieder und dem Qualifikationsprofil des gesamten Gremiums unterschieden werden. Über die notwendigen Qualifikationen der Aufsichtsratsmitglieder schweigt das Aktiengesetz weitgehend; explizit ist lediglich die unbeschränkte Geschäftsfähigkeit der betreffenden (natürlichen) Person gefordert (§ 100 Abs. 1 Satz 1 AktG). Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs hat die gleichen Rechte und Pflichten der Aufsichtsratsmitglieder betont sowie das „Gebot persönlicher und eigenverantwortlicher Amtsausübung“ mit der Folge,

„daß ein Aufsichtsratsmitglied diejenigen Mindestkenntnisse und -fähigkeiten besitzen oder sich aneignen muß, die es braucht, um alle normalerweise anfallenden Geschäftsvorgänge auch ohne fremde Hilfe zu verstehen und sachgerecht beurteilen zu können“ (BGH-Urteil v. 15.11.1982, BGHZ 85, S. 293, 295).

Werder (2009b) differenziert zwischen allgemeinen und Governance-spezifischen Kompetenzen über die Aufsichtsratsmitglieder verfügen sollten. Zu den allgemeinen Kompetenzen zählen professionelle Sachkompetenz, Lösungsorientierung, Strategie- und Veränderungskompetenz. Unter Governance-spezifische Kompetenzen werden eine positive Einstellung zur Gewaltenteilung, eine Ambiguitätstoleranz für die unterschiedlichen Ansprüche der Stakeholder sowie eine Bereitschaft zu Transparenz und vertrauensbildender Kommunikation subsumiert (Werder, 2009b, S. 336 f.). In Bezug auf die Kommunikation gehe es nicht um Eloquenz, sondern darum, eine positive Einstellung zur Transparenz zu haben, um legitime Informationsansprüche zu erfüllen (Werder, 2009b, S. 338). Eine kommunikative Kompetenz kann jedoch sowohl als autoritative als auch allokative Ressource von Aufsichtsratsmitgliedern konzipiert werden.

Aufgrund der Komplexität der Überwachungsaufgabe werde von keinem Mitglied verlangt, in allen für das Unternehmen relevanten Bereichen ein Experte zu sein. Daher solle ein Kompetenzprofil für das Aufsichtsratsgremium als Ganzes erarbeitet werden (Werder, 2009b, S. 341 f.). Der DCGK enthält wesentliche Empfehlungen etwa für die Erarbeitung eines Kompetenzprofils des Gremiums sowie dessen Zusammensetzung in Bezug auf Fähigkeiten, Unabhängigkeit und Diversität (Empfehlung C.1).

So muss der Aufsichtsrat mindestens ein unabhängiges Mitglied haben, das über Fachexpertise auf dem Gebiet der Rechnungslegung oder Abschlussprüfung verfügt (§ 100 Abs. 5 AktG). Die Konkretisierung der fachlichen Anforderung an bestimmte Aufsichtsratsmitglieder, den sog. Financial Expert, hat den Zweck die Qualität und die Effizienz der Aufsichtsratsarbeit zu erhöhen (Weber-Rey, 2014). Hat der Aufsichtsrat einen Prüfungsausschuss gebildet, so hat diesem mindestens ein Financial Expert anzugehören (§ 107 Abs. 4 AktG).

Der Begriff Unabhängigkeit ist jedoch bewusst nicht explizit definiert. Ein Schwerpunkt der Überarbeitung des DCGK bilden die Empfehlungen zur Unabhängigkeit, wobei in mitbestimmten Aufsichtsräten nur noch die Unabhängigkeit der Anteilseignerseite betrachtet wird. Dies folgt zwei Überlegungen: (1) gehe es um die notwendige Distanz zur Gesellschaft und zum Vorstand; (2) solle ein kontrollierender Aktionär zwar im Aufsichtsrat angemessen vertreten sein, gleichzeitig solle aber auch noch Raum für weitere, unabhängige Mitglieder bestehen (Linden, 2019, S. 1529). Dem folgend widmet sich gleich eine ganze Reihe, von teilweise neuen Empfehlungen (C.6-C.12, DCGK) der Unabhängigkeit der Aufsichtsratsmitglieder.

Zur Diversität (englisch = Diversity) im Aufsichtsratsgremium tragen aber auch andere Kriterien bei. Das Grünbuch der Europäischen Kommission „Europäischer Corporate Governance-Rahmen“ (2011) hebt bspw. die berufliche, internationale und die geschlechtliche Diversität hervor:

„Die Vielfalt in den Profilen der Mitglieder und ihres Werdegangs ermöglicht es dem Verwaltungsrat, eine Reihe von Wertvorstellungen, Ansichten und Kompetenzen zusammenzutragen. Dadurch können die Ressourcen und der Sachverstand ausgeweitet werden. Unterschiedliche Erfahrungen mit Führungsqualitäten, nationalen oder regionalen Hintergründen bzw. geschlechterspezifische Erfahrungen können wirksam zum ‚Gruppendenken‘ beitragen und neue Ideen auf den Plan rufen. Unterschiede führen zu einer breiteren Diskussion, einer besseren Überwachung und größeren Herausforderungen auf der Verwaltungsratsebene“ (Grünbuch EU, 2011, S. 6).

Die Diversity-Kriterien, wie Geschlecht, Alter, Internationalität, Bildungshintergrund etc., müssen in einem sog. Diversity-Bericht nach § 289 f Abs. 2 Nr. 6 HGB veröffentlicht werden. Die Internationalität muss dabei im Kontext des konkreten Unternehmens stehen. Als Kriterien für die Zielbesetzung sind z. B. der Besitz einer ausländischen Staatsbürgerschaft ebenso wie nachweisbare Berufserfahrung im Ausland von nationalen Kandidaten denkbar (Mattheus, 2018, S. 4).

Auch das Thema Geschlechterquote ist mit dem Gesetz für die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern an Führungspositionen in Deutschland seit dem Januar 2016 gesetzlich verankert. Eine Säule besteht aus einer festen 30-Prozent-Quote für das jeweils unterrepräsentierte Geschlecht bei neu zu besetzenden Aufsichtsratsposten in rund 100 börsennotierten und voll mitbestimmungspflichtigen Unternehmen. Wird die Quote nicht erfüllt, dann bleiben die für das unterrepräsentierte Geschlecht vorgesehenen Plätze rechtlich unbesetzt („leerer Stuhl“) (BMFSFJ, 2017). Die zweite Säule besteht aus einer Zielgrößenverpflichtung zur Erhöhung des Frauenanteils in Aufsichtsräten, Vorständen und obersten Management-Ebenen für bestimmte börsennotierte oder mitbestimmungspflichtige Unternehmen (§§ 76 Abs. 4; 111 Abs. 5 AktG). Im Februar 2019 lag der Frauenanteil in Aufsichtsräten bei 30,2 Prozent, wobei die Arbeitgeberseite etwas häufiger von Frauen vertreten sein. Der Frauenanteil in den Vorständen der 160 deutschen börsennotierten Unternehmen lag jedoch nur bei 8,8 Prozent (Albright Stiftung, 2019, S. 5).

Das Thema Diversität und die Kompetenzen von Aufsichtsratsmitgliedern unterliegen dabei einem Wandel. Viele Unternehmen und Branchen müssen sich mit einer Disruption durch die Digitalisierung oder Themen wie Cyber Security ebenso auseinandersetzen wie mit Nachhaltigkeit, Transparenz und Corporate Purpose (Mattheus, 2018). Zukünftig wird es auch eine Anforderung an Aufsichtsratsmitglieder sein, diese Trends und Entwicklungen zu verstehen und ihre Auswirkungen auf das Unternehmen einzuschätzen (Albright Stiftung, 2019, S. 5).

Veränderte Anforderungen an den Aufsichtsrat in der Krise?

Die bisherige Beschreibung zeigt das Aufgabenfeld des Aufsichtsrats in einer normalen Unternehmenssituation. Es kann jedoch auch zu Sondersituationen für Unternehmen kommen, worunter in dem Zusammenhang Diskontinuitäten des Geschäfts verstanden werden, also z. B. Krisen, Übernahmen, Reorganisationen, etc. Auf die Publizitätspflichten im Rahmen einer Übernahme wird bspw. in Abschnitt 5.1.2 detailliert eingegangen. An dieser Stelle soll diskutiert werden, ob sich die Anforderungen an den Aufsichtsrat in einer Krise verändern. In der betriebswirtschaftlichen Forschung werden Unternehmenskrisen meist anhand der Ursache (endogen/exogen), Art (strategische Krise, Erfolgs-/Ergebniskrise, Liquiditätskrise) und Intensität der Krise (latent, Existenzbedrohung, Existenzvernichtung) differenziert (Grundei & Zaumseil, 2012, S. 166 ff.). Da für das Forschungsthema diese Differenzierungen nicht weiterführend relevant sind, wird an dieser Stelle nicht detaillierter auf die Forschungszweige eingegangen.

Der Aufsichtsrat hat in der Krise grundsätzlich keine anderen Kompetenzen als in einer normalen Unternehmenssituation. Er kann von seinem Einsichts- und Prüfrecht (§ 111 Abs. 2 Satz 1 AktG) Gebrauch machen, um sich über die Ursachen, den Umfang und die Maßnahmen zur Bewältigung der Krise zu informieren und diese zu bewerten. Weiterhin kann das Gremium zusätzliche Berichte des Vorstands einfordern (§ 90 Abs. 3 AktG) und externe Sachverständige hinzuziehen (§ 111 Abs. 2 Satz 2 AktG). Der Aufsichtsrat kann demnach auf keine weiteren Ressourcen zurückgreifen.

Im Rahmen der Personalkompetenz sollte der Aufsichtsrat prüfen, ob die Vorstandsmitglieder ihren Pflichten und Aufgaben nachkommen, die zur Überwindung der Krise geeignet sind oder abberufen werden müssen (Schilha, Theusinger, Manikowsky & Werder, 2018, S. 17). In Bezug auf die gremieninterne Organisation können zusätzliche Aufsichtsratssitzungen einberufen oder ein Sonderausschuss gebildet werden, der sich mit den Entwicklungen der Krise auseinandersetzt (Hasselbach, 2012, S. 41). Die Einbindung von Beratern gelte dabei als vertrauensbildend, da es signalisiere, dass die Krisensituation erkannt und angegangen werde (Witte, 2016, S. 1248).

Schilha et al. (2018, S. 18) beschreiben, dass sich in der Krise auch die Berichtspflichten des Aufsichtsrats gegenüber der Hauptversammlung (§ 171 Abs. 2 Satz 1 und 2 AktG) intensivieren würden, vor allem bezogen auf die genannten Prüfungsmaßnahmen. Die juristischen Einschätzungen zu einer externen Kommunikation des Aufsichtsrats in der Krise variieren jedoch stark: Einige Vertreter halten sie ausdrücklich für unzulässig (Vetter, 2014, S. 391), während andere dies aufgrund erhöhter Erwartungen als gerechtfertigt erachten (Dietlmaier, 2015).

Die Kommunikation des Aufsichtsrats in der Krise sei daher eine „kompetenzielle Gratwanderung“ (Schilha et al., 2018, S. 18), da zu prüfen sei, ob die Themen auch in seine Sachkompetenz fallen und nicht die Kompetenzen des Vorstands einschränken. Hocker (2016, S. 58) argumentiert, der Aufsichtsrat sei in der Krise „Aufklärer, Kontrolleur und auch als Entscheider gefordert. […] Es gibt allerdings keinen Grund, offensiv nach außen zu gehen. Das ist Job des Vorstands.“

3.3 Die besondere Rolle von Aufsichtsratsvorsitzenden

Die beschriebenen Aufgaben im Rahmen der Überwachung und Kontrolle des Aufsichtsrats richten sich an das Gremium als Ganzes. Der Aufsichtsrat ist jedoch verpflichtet, aus seiner Mitte einen Vorsitzenden und mindestens einen Stellvertreter zu wählen (§ 107 Abs. 1 AktG); grundsätzlich ist jedes Aufsichtsratsmitglied wählbar (Lutter et al., 2014, S. 280 f.). In der Praxis hat meist ein Vertreter der Anteilseigner den Vorsitz inne und ein Arbeitnehmervertreter ist der Stellvertretende (Schenck, 2013, S. 133), wobei die Besetzung des Aufsichtsratsvorsitzes eine Machtfrage für die Anteilseigner darstellen kann (Gerum, 2007, S. 233 ff.). Der Stellvertretende übt die Aufgaben des Vorsitzenden nur im Verhinderungsfall aus (§ 107 Abs. 1 Satz 3 AktG).

Aufsichtsratsvorsitzende sind kein eigenständiges Organ. Im Aktiengesetz sind die Aufgaben von Vorsitzenden nur an wenigen Stellen erwähnt. Bis zur Überarbeitung im Jahr 2019 enthielt der DCGK (2017) ein ganzes Kapitel zu den Aufgaben und Befugnissen von Aufsichtsratsvorsitzenden (Ziffer 5.2). In der aktuellen Version zeigt sich an einzelnen Stellen die besondere Rolle (z. B. Grundsatz 7 & 16). Die gesetzlich festgelegten Kompetenzen stehen nicht im Verhältnis zur Bedeutung von Aufsichtsratsvorsitzenden in der Praxis. Der Aufsichtsrat als Gremium ist nicht permanent aktiv, sondern handelt im Wesentlichen im Rahmen der Sitzungen. Demgegenüber stehen Aufsichtsratsvorsitzende im ständigen Kontakt mit dem Vorstand, sodass sie laufend agieren und reagieren müssen. Daher werden Erfolg oder Misserfolg der Unternehmensentwicklung häufig entscheidend von der Person des Aufsichtsratsvorsitzenden mitbestimmt (Schenck, 2013, S. 132).

Die Aufgaben vom Vorsitzenden lassen sich in drei Bereiche aufteilen (Peus, 1983, S. 16 ff.). Die wesentlichen Aufgaben liegen erstens in der Koordination und Leitung des Aufsichtsratsverfahrens. Die Vorsitzenden berufen die Sitzungen des Aufsichtsrats ein (§ 110 Abs. 1 AktG), verantworten und erstellen die Tagesordnung und stimmen diese mit dem Vorstand ab. Sie leiten die Sitzungen, koordinieren die Ausschusstätigkeit und vieles mehr (z. B. §§ 107 Abs. 2 Satz 1, 109 Abs. 2 AktG).

In mitbestimmten Unternehmen haben Vorsitzende ein Zweitstimmrecht (§§ 29 Abs. 2, 31 Abs. 4 MitbestG), wenn ein bestimmter Beschluss zweimal abgestimmt worden ist und sich dabei jeweils eine Stimmgleichheit ergeben hat. Dies kann die Macht der Arbeitnehmervertreter trotz paritätischer Besetzung des Gremiums einschränken (Schenck, 2013, S. 149 ff.).

Die Vorsitzenden sind Mitglieder des Vermittlungsausschusses (§ 27 Abs. 3 MitbestG), sollten jedoch nicht den Vorsitz des Prüfungsausschusses übernehmen (DCGK, Empfehlung D.4). Die Prüfungsausschussvorsitzenden können als zweitwichtigste Personen im Aufsichtsrat gesehen werden, da sie wesentlich zur Entlastung des Vorsitzenden beitragen können (Schenck, 2013, S. 154). Aufsichtsratsvorsitzende sind in besonderer Weise gefordert, eine offene und sachliche Diskussionskultur im Gremium zu fördern und die im DCGK empfohlene Evaluation des Aufsichtsrats (Empfehlung D.13) zu moderieren (Werder, 2009b, S. 340). In dem Zusammenhang müssen sie die Mitglieder des Aufsichtsrats zur Mitarbeit motivieren, um eine unternehmerische Beratung und kritische Überwachung sicherzustellen (Schenck, 2013, S. 133).

Zweitens übernehmen Aufsichtsratsvorsitzende die Vertretung der Gesellschaft bei der Abgabe bestimmter Handelsregistererklärungen (z. B. §§ 184 Abs. 1, 188 Abs. 1, 195 Abs. 1, 223 AktG).

Drittens repräsentieren die Vorsitzenden den Aufsichtsrat, insbesondere gegenüber dem Vorstand und der Hauptversammlung. Aufsichtsratsvorsitzende sind die allgemeinen Ansprechpartner für den Vorstand und insbesondere für die Vorstandsvorsitzenden. Der DCGK betont dabei die Beratung hinsichtlich der Strategie, Geschäftsentwicklung, Risikolage, Risikomanagement und der Compliance zwischen Aufsichtsratsvorsitzenden und Vorstand (Empfehlung D.6). Ein regelmäßiger Austausch zwischen den Vorsitzenden der beiden Gremien ist daher essenziell. Gesetzlich sind die Aufsichtsratsvorsitzenden verpflichtet, die Aufsichtsratsmitglieder spätestens in der nächsten Aufsichtsratssitzung über diese Gespräche zu unterrichten (§ 90 Abs. 5 Satz 3). Aufsichtsratsvorsitzende müssen bereit und fähig sein, einerseits ihren Einfluss auf den Vorstand in den rechtlich definierten Grenzen zu halten, andererseits ihren Informationsvorsprung nicht gegenüber den einfachen Aufsichtsratsmitgliedern manipulativ auszuspielen (Werder, 2009b, S. 340).

Neben der Repräsentation des Gremiums gehört auch die interne Informationsvermittlung zu ihren Aufgaben: Aufsichtsratsvorsitzende empfangen die Vorstandsberichte (§ 90 Abs. 1 Satz 3 AktG) und leiten sie weiter (§ 90 Abs. 5 Satz 3 AktG). Durch diese Scharnierfunktion sind sie verantwortlich für ein prosperierendes Zusammenwirken der beiden Organe. Der Deutsche Corporate Governance Kodex stärkt die Rolle von Aufsichtsratsvorsitzenden und verschärft die Rechenschaftspflicht gegenüber dem Gesamtgremium:

„Der Aufsichtsratsvorsitzende wird über wichtige Ereignisse, die für die Beurteilung der Lage und Entwicklung sowie für die Leitung des Unternehmens von wesentlicher Bedeutung sind, unverzüglich durch den Vorsitzenden bzw. Sprecher des Vorstands informiert. Der Aufsichtsratsvorsitzende hat sodann den Aufsichtsrat zu unterrichten und, falls erforderlich, eine außerordentliche Aufsichtsratssitzung einzuberufen“ (DCGK, Grundsatz 16).

In der Praxis ist die Frage ihres Handlungsspielraums insbesondere bei Mergers & Acquisitions (M&A) von Bedeutung. Wenn im kleinsten Kreis mögliche Unternehmenszukäufe, Veräußerungen oder Zusammenführungen mit anderen Unternehmen diskutiert werden, wird meist auch der Austausch mit den Aufsichtsratsvorsitzenden gesucht. Seibt (2009, S. 406 f.) argumentiert, dass eine unverzügliche Unterrichtung des gesamten Aufsichtsrats nicht immer im besten Gesellschaftsinteresse sei und daher den Aufsichtsratsvorsitzenden ein entsprechender Beurteilungs- und Handlungsspielraum eingeräumt werden könne.

In der Hauptversammlung haben Aufsichtsratsvorsitzende den Bericht des Aufsichtsrats zu erläutern (§ 176 Abs. 1 Satz 2 AktG), zumeist wird ihnen durch die Satzung auch die Leitung der Hauptversammlung übertragen. Die Sprecherkompetenz von Aufsichtsratsvorsitzenden schränkt jedoch nicht das Recht jedes Aufsichtsratsmitglieds ein, auf der Hauptversammlung das Wort zu ergreifen und die persönliche Sicht der Dinge in eigener Verantwortung vortragen zu können. Der Aufsichtsrat kann für Ausnahmefälle festlegen oder ad hoc beschließen, dass eine bestimmte Erklärung nicht vom Aufsichtsratsvorsitzenden, sondern von einem anderen Aufsichtsratsmitglied abgegeben werden soll (Theisen, 2007, S. 202).

Zusammenfassend lässt sich jedoch festhalten, dass Aufsichtsratsvorsitzende die Belange des Aufsichtsrats nach außen wahrnehmen. Demnach sind die Vorsitzenden auch zuständig für etwaige Erklärungen des Aufsichtsrats an die Öffentlichkeit. Die Entscheidung zu solchen Erklärungen liegt in ihrer Verantwortung und es bedarf keiner besonderen Ermächtigung (Lutter et al., 2014, S. 290 f.). Im Frühjahr 2017 wurde im Deutschen Corporate Governance Kodex die Anregung A.3 zum Investorendialog von Aufsichtsratsvorsitzenden aufgenommen, auf den in Abschnitt 5.1.2 noch ausführlich eingegangen wird. Dadurch verändert sich die Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden, die jedoch bereits aufgrund ihrer Funktion relevante Kommunikatoren für die Unternehmen darstellen.

3.4 Schlussfolgerung

Da der Aufsichtsrat und Aufsichtsratsvorsitzende in der kommunikationswissenschaftlichen Forschung bisher nicht betrachtet wurden, wurden zunächst die juristischen und wirtschaftswissenschaftlichen Grundlagen aus der Corporate-Governance-Forschung eingeführt, um ein Verständnis für die Aufgaben und Organisation des Aufsichtsrats sowie der Tätigkeiten von Aufsichtsratsvorsitzenden zu etablieren.

Der Aufsichtsrat ist ein Phänomen des deutschen dualistischen Systems der Unternehmensführung, dass sich durch bestimmte Strukturmomente eindeutig vom monistischen System unterscheidet. Besonders ist dabei die institutionelle Trennung der Unternehmensleitung durch den Vorstand und der Unternehmenskontrolle durch den Aufsichtsrat hervorzuheben. Der Aufsichtsrat gibt als Kontrollorgan den Rahmen für die Corporate Governance und damit auch das Handeln des Vorstands vor, während der Vorstand für die strategische und operative Führung verantwortlich ist. So wird etwa die Unternehmensstrategie vom Vorstand entwickelt und umgesetzt, während der Aufsichtsrat eine beratende Rolle bei der Strategieentwicklung einnimmt. In Abschnitt 5.2 soll daher kritisch diskutiert werden, welche Verbindungslinien zwischen Corporate Governance und Unternehmensstrategie existieren. Auf dieser Basis wird gezeigt, dass die ARV-Kommunikation eine Herausforderung für die bisherige Kommunikationsmanagement-Forschung darstellt, da Aufsichtsratsvorsitzende nicht dem strategischen Handeln des Unternehmens unterstellt sind. Daraus folgend müssen die Ziele der ARV-Kommunikation aus den in diesem Kapitel beschriebenen Funktionen des Aufsichtsratsgremiums (Hutzschenreuter et al., 2012, S. 719) abgeleitet werden. Sowohl die Principal-Agent- als auch die Stewardship-Theorie lassen sich in diesem Zusammenhang als Grundlage für die Anforderungen der Stakeholder, insbesondere der Aktionäre, heranziehen.

Weiterhin wurde gezeigt, dass der Aufsichtsrat unterschiedliche Überwachungs- und Kontrollaufgaben wahrnimmt. Dafür werden Aufsichtsratsgremien gebildet, die etwa für die Personalauswahl oder die Abschlussprüfung verantwortlich sind. Aus diesen Aufgaben ergeben sich verschiedene Publizitätspflichten, damit die Anteilseigner über die Tätigkeit des Aufsichtsrats informiert werden. Bislang ist jedoch nicht wissenschaftlich untersucht worden, inwiefern diese Aufgaben und damit Corporate-Governance-Themen in der Öffentlichkeit rezipiert werden. Die Aufmerksamkeit und Rezeption dieser Themen sind relevant für die ARV-Kommunikation, da sich daraus verschiedene Informationsbedürfnisse der Stakeholder ergeben können. Daher soll im Rahmen dieser Arbeit analysiert werden, wie die Äußerungen von Aufsichtsratsvorsitzenden in verschiedenen Öffentlichkeitsarenen rezipiert werden (Abschnitt 6.2.1).

Die Ausführungen in diesem Kapitel verdeutlichen, dass das Aktiengesetz und der Deutsche Corporate Governance Kodex als normative Regeln angesehen werden müssen, die strukturbildend auf verschiedenen Ebenen wirken. So konstituieren sie auf der individuellen Ebene die Aufgaben der einzelnen Aufsichtsratsmitglieder und insbesondere von Aufsichtsratsvorsitzenden. Auf der Organisationsebene wirken diese Normen gleich in mehrere Hinsichten strukturierend. Der in dieser Arbeit betrachtete Pflicht-Aufsichtsrat von Aktiengesellschaften besteht, abhängig von der Größe, aus Arbeitnehmer- und Anteilseignervertreter. Durch die Zusammensetzung des jeweiligen Aufsichtsratsgremiums bringen bspw. die Arbeitnehmervertreter unterschiedliche Ressourcen in ihrem Handeln im Gremium ein als die gewählten Vertreter der Anteilseigner. Gleichzeitig bedingen diese normativen Regeln auch die Zusammenarbeit von Aufsichtsrat und Vorstand. Für die ARV-Kommunikation ist dabei vor allem die Informationsversorgung relevant, da der Zugang zu Informationen eine allokative Ressource ihre Arbeit und dadurch für die Kommunikation darstellt. Die Einhaltung der Normen, insbesondere in Bezug auf die Publizitätspflichten aus der Aufsichtsratstätigkeit sowie seit der Aufnahme auch die Anregung zum Investorendialog im DCGK, haben einen Einfluss auf die Strukturen der ARV-Kommunikation.

Aus dem Aktiengesetz sowie dem DCGK lassen sich die Kommunikationsaufgaben des Aufsichtsrats(vorsitzenden) ableiten, die einerseits aus gesetzlichen Publizitätspflichten aber im Falle der Anregung zum Investorendialog im DCGK auch aus einer freiwilligen Kommunikation mit externen Anspruchsgruppen bestehen können. Aus der externen Perspektive können daraus die Anforderungen von externen Stakeholdern an die Kommunikation abgeleitet werden. So kann gezeigt werden, welche kommunikativen Handlungen von Aufsichtsratsvorsitzenden von den Anspruchsgruppen erwartet werden. Diese Normen bilden auch die Grundlage dafür, dass eine nicht erfolgte Kommunikation sanktioniert werden kann, bspw. durch das Abstimmungsverhalten auf der Hauptversammlung oder sogar den Verkauf von Aktien. Die konkreten Erwartungen an die ARV-Kommunikation sind bislang nicht wissenschaftlich untersucht worden. Daher sollen die Erwartungen von verschiedenen Stakeholdern an die ARV-Kommunikation im Rahmen dieser Arbeit analysiert werden (Abschnitt 6.2.2). Erwartungen können zu (unerkannten) Handlungsbedingungen für die ARV-Kommunikation werden und damit zu einer Anforderung.

Das Aufsichtsratsgremium im Allgemeinen und Aufsichtsratsvorsitzende im Speziellen verfügen zudem über verschiedene Ressourcen. Die Entscheidungskompetenz hinsichtlich ihrer Kontroll- und Überwachungsaufgaben ist hier hervorzuheben. Darüber hinaus ist in der Corporate-Governance-Literatur eine sich wandelnde Diskussion in Bezug auf die personelle Unterstützung sowie ein Budget (Lutter et al., 2014, S. 278 ff.; Schenck, 2013, S. 59 f., Scherb-Da Col, 2018) für den Aufsichtsrat zu erkennen. Die personelle Unterstützung durch die Kommunikationsfunktion stellt eine autoritative Ressource und ein Budget eine allokative Ressource für die ARV-Kommunikation dar.

Insgesamt kann festgestellt werden, dass sich die Corporate-Governance-Forschung zwar mit den Strukturen der Arbeit des Aufsichtsratsgremiums beschäftigt, die kommunikativen Strukturen bislang aber nicht erforscht sind. Hier braucht es eine kommunikationswissenschaftliche Betrachtung, um diese Forschungslücke schließen zu können. Ein Ziel dieser Arbeit ist es daher, einen Analyserahmen zu entwickeln, der die unternehmensinternen Strukturen der Kommunikation von Aufsichtsratsvorsitzenden abbildet sowie die Strukturen empirisch zu untersuchen.

Schließlich wurde herausgearbeitet, dass Aufsichtsratsvorsitzenden eine besondere Rolle in der Aufsichtsratsarbeit und auch in der Außendarstellung des Gremiums zukommt. Aufsichtsratsvorsitzende agieren als Sprecher für das Gremium und haben daher ein klar definiertes kommunikatives Vertretungsmandat für das Unternehmen. Im weiteren Verlauf der Arbeit sollen Aufsichtsratsvorsitzenden daher als korporativer Sprecher für das Unternehmen verortet werden und damit für die Kommunikationsforschung eingeführt werden.

Zusammenfassend wurden der Aufsichtsrat und Aufsichtsratsvorsitzende als Akteure in diesem Kapitel aus Perspektive der Corporate-Governance-Forschung konzeptionell erschlossen, um im weiteren Verlauf die Kommunikation in der Kommunikationsmanagement-Forschung verorten zu können.