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Konzeptioneller Teil: Das theoretische Begreifen von Macht und Magie in deutschen Masseninszenierungen

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Macht und Magie

Part of the book series: Kritische Sozialpsychologie ((KRISO))

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Zusammenfassung

Im theoretischen Teil wird zunächst Freuds Massenpsychologie reformuliert. Sein Konzept der libidinösen Bindung der Masse an den idealisierten Führer, der das Ichideal beherrscht, wird im Rekurs auf das Autoritarismuskonzept der Frankfurter Schule ergänzt. Das bedeutet, dass die Masse auch mit Angst auf den autoritären Führer reagiert, sich mit ihm identifiziert, ihn ins Über-Ich introjiziert und die Aggression gegen ihn gegen dessen Feinde verschiebt. Sodann werden die Fallrekonstruktionen des empirischen Teils miteinander verglichen. Während nationalsozialistische, neonazistische und rechtspopulistische Führer das Volk als Demagogen aufhetzen, stellen die neokonservativen Akteure und Akteurinnen Amtsinhaber dar, die Ängste beruhigen und das politische Alltagsgeschäft erledigen. Gemeinsam ist den Demagogen wie den Amtsinhabern und -inhaberinnen, durch magische Worte und Aktionen die herrschenden Machtverhältnisse gegen sozialen Wandel zu festigen.

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Notes

  1. 1.

    Elias Canetti hat zu Recht kritisiert, dass Freud die Masse nur theoretisch beschreibt, sie aber nicht szenisch-konkret in ihrer Affektivität erfasst. Über diesem Mangel in Freuds Analyse entgeht Canetti allerdings die Stärke der psychoanalytischen Rekonstruktion der Massenbildung. Vergleiche zum Für und Wider von Canettis Argumentation König, Lacher (2021).

  2. 2.

    An dieser Stelle zeigt sich einmal mehr, dass Freud die psychische Genese des Menschen über die männliche Entwicklung konzeptualisiert hat. Ich bleibe nahe an Freuds Text, indem ich bei der Analyse der Faszination für den Führer, in der die Liebe zum Vater wieder auflebt, im generischen Maskulinum bleibe. Ich halte allerdings das generische Maskulinum nicht als ausreichend für die ›allgemeine‹, geschlechter-unabhängige Entwicklung. Vielmehr denke ich, dass eine geschlechtertheoretische Reflexion dieser Psychogenese der Masse mehr erfordert, als einfach immer nur beide oder alle Geschlechter zu nennen. Denn Freuds Massenpsychologie und Ich-Analyse ist nicht nur in einen patriarchalen Sprachkontext eingebunden. Vielmehr ist auch die Analyse des Materials in diese patriarchalen Geschlechterverhältnisse eingespannt. Dies muss genauer analysiert werden. Daher ist es – gerade in den damaligen wie auch in den bestehenden gesellschaftlichen Geschlechterverhältnissen – nicht dasselbe, ob die Vateridealisierung auf einen Führer oder die Vater- bzw. Mutteridealisierung auf eine:n Führer:in übertragen wird. Nur aus diesem Grunde bleibe ich hier bei der von Freud analysierten männlichen Form und supplementiere sie nicht automatisch mit weiblichen oder diversen Formen, deren Eingespanntheit in gesellschaftliche Geschlechterverhältnisse der Begründer der Psychoanalyse nicht analysiert hat.

  3. 3.

    Zur eingehenden Darstellung von Lorenzers sozialisationstheoretischem Verständnis der Triebtheorie vergleiche H.-D. König (2014), S. 69–91.

  4. 4.

    Auch bei Lorenzer zeigt sich eine geschlechtertheoretische Leerstelle, weil Interaktionen mit dem Vater sehr früh eine Rolle spielen, wenngleich der intrauterine Beginn der Interaktionen wie auch die vergeschlechtlichte Leiblichkeit geschlechtertheoretische Implikationen bergen, die Lorenzer ignoriert hat. Julia König (2014) hat sich in ihrer geschlechtskritischen Lorenzer-Lektüre eingehend mit diesen Problemen auseinandergesetzt.

  5. 5.

    Zur Kritik des in der Psychoanalyse und in der Sozialpsychologie beliebten Konzeptes des Todestriebes vergleiche König 2014, S. 41 ff.

  6. 6.

    Vergleiche hierzu König 2014, S. 44 ff.

  7. 7.

    Das wird auch deutlich, wenn man sich vergegenwärtigt, wie Freud über die christliche Religion spricht: Wenn man fokussiert, dass es sich um »eine Religion der Liebe« handele, in der alle Gläubigen von »der gleichen Liebe Christi« erfasst werden, dann spricht Freud (1921) zu Recht von den libidinösen Bindungen in dieser Massenbildung. Wenn er aber von der »Grausamkeit und Intoleranz gegen die nicht dazugehörigen« redet (S. 107), dann schildert er umgangssprachlich, was sich triebtheoretisch in die Worte fassen lässt, dass die religiöse Massenbildung auch durch die Aggression gegen die Nichtgläubigen zustande kommt. Nicht anders redet Freud über den Sozialismus. Wie er zu Recht beschreibt, dass diese Masse durch libidinöse Bindungen zusammengehalten wird, so macht der Umstand, dass diese Bewegung »dieselbe Intoleranz gegen Außenstehende« (ebd., S. 108) wie die Religion aufweise, darauf aufmerksam, dass auch diese Massenbildung auf der Grundlage einer Unterdrückung und Verschiebung aggressiver Triebe gegen Andersgläubige zustande kommt.

  8. 8.

    »Er [der Führer] braucht oft nur die typischen Eigenschaften dieser Individuen in besonders scharfer und reiner Ausprägung zu besitzen und den Eindruck größerer Kraft und libidinöser Freiheit zu machen, so kommt ihm das Bedürfnis nach einem starken Oberhaupt entgegen und bekleidet ihn mit der Übermacht, auf die er sonst vielleicht keinen Anspruch hätte« (Adorno 1951, S. 50).

  9. 9.

    In seinem Geleitwort zu dessen Buch schreibt Freud, dass Nunberg »die vollständigste und gewissenhafteste Darstellung einer psychoanalytischen Theorie der neurotischen Vorgänge« verfasst hat, »die wir derzeit besitzen (S. 9).

  10. 10.

    Zur Unterscheidung des diskursiven Symbolismus der Sprache vom präsentativen Symbolismus der auf die Wirkungskraft von Bildern setzenden Rituale, Mythen und Kunstwerke vergleiche König 2019, S. 16–26.

  11. 11.

    Ein illustratives Beispiel für die mimetische Nachahmung der Natur durch magische Praktiken stellt der von Freud (19121913) beschriebene »Regen- und Fruchtbarkeitszauber« dar (S. 99):

    »Man erzeugt den Regen auf magischem Wege, indem man ihn imitiert, etwa auch noch die ihn erzeugenden Wolken oder den Sturm nachahmt« (ebd.). So sieht es bei den japanischen Ainos so aus, »als ob man ›regnen spielen‹ wollte. […] Die Fruchtbarkeit des Bodens sicherte man sich […] auf magische Weise, indem man ihm das Schauspiel eines menschlichen Geschlechtsverkehrs zeigte. So pflegen […] in manchen Teilen Javas zur Zeit des Herannahens der Reisblüte Bauer und Bäuerin sich nachts auf die Felder zu begeben, um durch das Beispiel, das sie ihm geben, den Reis zur Fruchtbarkeit anzuregen« (ebd.).

  12. 12.

    »Da sie alles mit den Augen des Organisators sehen«, sind diese Autoritären »prädisponiert für totalitäre Lösungen. Ihr Ziel ist eher die Konstruktion von Gaskammern als das Pogrom« (Adorno 1950, S. 335).

  13. 13.

    In dem antisemitischen Hetzblatt Der Stürmer entwarf Julius Streicher das Bild des hässlichen Juden, dem als ›hemmungslosen Triebtäter‹ die Frauen und Kinder der sittsamen Arier zum Opfer fallen würden.

  14. 14.

    Welche Bedeutung dieser Facette des latenten Sinns beizumessen ist, offenbart die Begründung der Universität Haifa für die Verleihung der Ehrendoktorwürde an Merkel. Wie ihr »Führungsstil als Kanzlerin […] auf den Prinzipien von Gleichheit, Freiheit und Menschenrechten basiere«, so sei sie »ein Vorbild für Frauen auf der ganzen Welt« (Frankfurter Allgemeine Zeitung 2018).

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König, HD. (2022). Konzeptioneller Teil: Das theoretische Begreifen von Macht und Magie in deutschen Masseninszenierungen. In: Macht und Magie. Kritische Sozialpsychologie. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-37584-3_4

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