1 Einleitung

Die Digitalisierung der Medienbranche in Deutschland ist bereits weit fortgeschritten. ePaper haben sich schon lange im Markt etabliert, Musik wird heutzutage hauptsächlich gestreamt und speziell im Kinomarkt hat der digitale Film die analogen 35 mm-Filmrollen abgelöst. Doch für die Kinobranche waren die damit verbundenen Veränderungen, z. B. die Einführung von 3-D-Filmen, nur der erste Schritt in ein voll digitalisiertes Zeitalter.

Aktuell besteht das Geschäft der Filmdistribution aus einer digitalen Filmtechnik, die in einer primär analog arbeitenden, nicht vernetzten Wertschöpfungskette existiert. Filme, die in Spielstätten in Deutschland gezeigt werden, müssen auf Festplatten kopiert und per Kurier oder anderen Lieferdiensten an diese versendet werden. Demzufolge ist der Automatisierungsgrad in der Filmdistribution sehr gering. In Zukunft sollen eDelivery-Lösungen die Verteilung per Festplatte an die Spielstätten überflüssig machen. Diese zweite digitale Transformation eröffnet allen Marktteilnehmern die Möglichkeit, sich in diesen Prozess neu zu positionieren und ihre Kernkompetenzen klarer zu definieren.

Daher ist es für die Unternehmen von großem Wert, die digitale Transformation nicht zu verpassen, wie es beispielsweise dem Kamerahersteller Kodak widerfahren ist, der den rechtzeitigen Umstieg auf digitale Technik versäumt hat. Die frühzeitige Entwicklung neuer, innovativer Lösungen, die die neuen Gegebenheiten bestmöglich nutzen, ist der Schlüssel zum Erfolg in der digitalen Transformation.

Mit der Arnold & Richter Cine Technik AG (kurz: ARRI) wird ein Unternehmen betrachtet, welches im Verleih, der Produktion und dem Vertrieb digitaler und mechanischer Geräte zur Filmherstellung sein Kerngeschäft hat und außerdem die Marktführerschaft bei der Filmdistribution besitzt. Das Unternehmen ARRI hat zudem Erfahrungen im Umsetzen der digitalen Transformation gesammelt mit der Umstellung seines Kamera- und Masteringgeschäfts von 35 mm-Filmrollen auf digitale Filmproduktionen.

Die ARRI Media GmbH, im Folgenden als ARRI Media bezeichnet, ist eine Tochtergesellschaft von ARRI und verantwortet die Distribution von Spielfilmen. Diese Fallstudie beschäftigt sich mit der digitalen Transformation in der Filmdistribution von der Festplatte hin zum eDelivery zwischen der ARRI Media, den Filmverleihern und den Spielstätten. Dafür wurde die aktuelle Marktsituation genau analysiert, mit acht relevanten Mitarbeitern und Stakeholdern Interviews geführt und aus den technologischen Möglichkeiten der neuen Distributionsform auf ARRI Media zugeschnittene Handlungsempfehlungen abgeleitet.

1.1 Ausgangsszenario und Fragestellung

Am Weg eines Films vom Produzenten zum Besucher in den Kinos sind viele Akteure beteiligt. Ein Filmverleiher übernimmt die Vermarktung und kauft vom Filmproduzenten die Rechte des Spielfilms. In Abstimmung mit den Spielstätten bestimmt der Filmverleih unter anderem, in welchen Spielstätten der Film gezeigt werden soll, und beauftragt die ARRI Media GmbH mit der Distribution der Filmkopien, den sogenannten Digital Cinema Packages (DCP).

ARRI Media ist in der Filmdistribution in Deutschland Marktführer und versendet an nahezu alle Spielstätten in Deutschland die vom Filmverleih beauftragten DCPs. Dabei wird die Festplatte, die das DCP enthält, per Kurier an die Spielstätten geliefert. Diese Distributionsmöglichkeit ist aufgrund des günstigen Preises und der reibungslosen Belieferung weitverbreitet. Im Zuge der Digitalisierung kann die Distribution auch über eDelivery, also die Verteilung der Filme über das Internet oder über eine Satellitenverbindung, stattfinden.

Da in der Branche angenommen wird, dass eDelivery die aktuelle Distributionsart über Festplatte und Kurier früher oder später ablösen wird, beschäftigt sich diese Fallstudie mit der Frage, vor welchen Herausforderungen ARRI Media im Hinblick auf diese Veränderung steht und wie die aktuell starke Marktposition gefestigt sowie ausgebaut werden kann.

1.2 Aufbau und Struktur des Beitrags

Zuerst werden die Herangehensweise an die Fragestellung, die jeweiligen Interviewpartner und das Ziel des Fallbeispiels vorgestellt. Hierbei soll dem Leser bereits ein Überblick über die wichtigsten Stakeholder vermittelt werden. Daraufhin wird das Unternehmen ARRI vorgestellt. Neben der Entwicklung und der aktuellen Struktur stehen vor allem die Filmdistribution aus Sicht von ARRI und deren Kernkompetenzen im Vordergrund.

Anschließend wird der Prozess der Filmdistribution aufgezeigt. Hauptthema ist die Vorstellung von eDelivery-Lösungen. Im Zuge dessen werden die Funktionsweise, die Voraussetzungen für einen reibungslosen Ablauf und die Hürden, die eine gesamte Marktdurchdringung erschweren, dargestellt.

Danach wird auf die Kinobranche eingegangen. Dabei werden konkurrierende Medienangebote vorgestellt, welche als direkte Konkurrenz zum Kino dazu beitragen, dass der Kinozuschauer seltener ins Kino geht und dass die Umsätze der Kinobetreiber stagnieren. Ebenso wird die Beziehung zu den Filmverleihern beschrieben und aufgezeigt, welche Chancen sich durch eDelivery und das Nutzen eines Theatermanagementsystems (Theatre Management System – TMS) ergeben.

Daraufhin werden, ausgehend von einer Analyse des Status quo, die Chancen und Gefahren von ARRI Media bezüglich der Filmdistribution identifiziert und Worst-Case-Szenarien aufgezeigt. Ebenso werden die Optionen von ARRI Media für das weitere Vorgehen und eine Handlungsempfehlung vorgestellt.

Abschließend wird mit dem Konzept, das ARRI Fusion Network zu einer zentralen Plattform auszubauen, die Antwort auf die Fragestellung vorgestellt. Hier wird deutlich aufgezeigt, welchen Vorteil ARRI daraus ziehen und wie die gesamte Filmbranche davon profitieren kann.

2 Herangehensweise, Interviewpartner und Ziel des Kapitels

Zu Beginn der Fallstudie wurde sich ein Überblick über das Unternehmen ARRI, die Filmdistribution und den Filmmarkt generell verschafft. Für die Interviews wurde im Voraus jeweils ein Fragenkatalog erstellt und das Gespräch im Anschluss transkribiert.

Ein wesentlicher Bestandteil der Fallstudie ist das Führen von Interviews mit relevanten Stakeholdern, um aus erster Hand detaillierte Informationen zu gewinnen. Das erste Interview fand dabei bei ARRI Media selbst statt. Hier wurde über den Prozess der Filmdistribution per Festplatte gesprochen, welches Potenzial eDelivery besitzt und welche Hürden die Marktdurchdringung mit eDelivery erschweren.

Das Team interviewte einen Experten aus dem Hauptausschuss des Hauptverbands Deutscher Filmtheater (HDF) und konnte dadurch Informationen zum Tätigkeitsfeld des HDF, zur allgemeinen Bereitschaft der Kinos bezüglich eDelivery-Lösungen in Deutschland und Europa sowie zur Entwicklung des Kinomarktes gewinnen. Des Weiteren stellten sich ein kleiner und ein großer Kinobetreiber für ein Interview zur Verfügung. In diesen berichteten die Betreiber über ihre Erfahrungen mit eDelivery-Lösungen, die Beziehungen zu Filmverleihern und die Besucherzahlentwicklung ihrer Vorstellungen. Ein weiteres Interview wurde mit einem Filmverleiher geführt, mit dem unter anderem über die Beziehung zu Filmstudios, die Gestaltung des Filmprogramms und mögliche zukünftige Entwicklungen wie eDelivery gesprochen wurde. Außerdem sprach das Team mit der Filmförderungsanstalt (FFA) über Filmfinanzierungen, die Digitalisierung der Branche und generelle Anforderungen an Filme sowie Filmvorstellungen. Darüber hinaus fand ein Gespräch mit einem Anbieter von Theatermanagementsystemen statt, bei dem sich über die Bedeutung eines TMS und seine Erweiterungsmöglichkeit ausgetauscht wurde. Abschließend wurde ein Interview mit einem Mitarbeiter von ARRI Media geführt, in welchem das ARRI Fusion Network behandelt wurde.

Ziel des Fallbeispiels ist es, einen Überblick über die Filmdistribution mit den Interessen aller Akteure zu erhalten und die Bedeutung der digitalen Transformation vom Versand von Festplatten hin zu eDelivery-Lösungen zu verstehen.

3 ARRI im Wandel

Die Arnold Richter Cine Technik AG, kurz ARRI, ist eine Münchener Unternehmensgruppe der Film- und Medienbranche mit globalem Tätigkeitsfeld und beschäftigt weltweit rund 1500 Mitarbeiter. Das im Jahre 1917 gegründete Unternehmen hat seinen Hauptsitz im Münchener Stadtteil Maxvorstadt und betreibt dort unter anderem ein eigenes Kino.

Nachfolgend soll dem Leser ein Überblick über ARRI mit seinen Kernkompetenzen gegeben werden und zusätzlich die bedeutende Stellung im Prozess der Film- und Mediendistribution ersichtlich gemacht werden.

3.1 ARRI als Hidden Champion der Filmindustrie

Die Produkte und Dienstleistungen von ARRI sind weltweit hoch angesehen und daher sehr gefragt. Auch deshalb betreibt ARRI mehrere Standorte in Europa, aber auch beispielsweise in den USA, China und Australien.

Nicht umsonst bezeichnet sich ARRI als Marktführer in der Entwicklung, Herstellung und Vermarktung von Kamera- und Beleuchtungssystemen für die Film- und Fernsehindustrie. Einige der erfolgreichsten Kinofilme weltweit, wie zum Beispiel The Revenant (2015) von Regisseur Alejandro Iñárritu oder Life of Pi – Schiffbruch mit Tiger (2012) von Regisseur Ang Lee wurden mit Kameras und Beleuchtungstechniken von ARRI gedreht. Schon in Zeiten vor der Markteinführung der Kamerareihe ARRI Alexa erntete das Unternehmen viel Lob und Anerkennung weltweit. Daher gilt das Unternehmen als sogenannter „Hidden Champion“, also ein Weltmarktführer in einem Nischenmarkt. Die Erfolge von ARRI werden unter anderem auch durch 19 wissenschaftliche und technische Auszeichnungen der Academy of Motion Pictures and Sciences unterstrichen.

3.2 Die Entwicklung von ARRI

Wie das Kinoerlebnis hat sich auch ARRI in den letzten 100 Jahren häufig verändert. In den Anfangsjahren von ARRI, dessen Name sich aus den beiden Anfangsbuchstaben der Gründer Arnold und Richter zusammensetzt, verzeichnete das Unternehmen unter anderem durch Kopiermaschinen und Scheinwerfer sowie kleine, handliche Kameras und selbst produzierte Filme stetiges Wachstum.

Der Durchbruch gelang, als im Jahre 1937 mit der Veröffentlichung der ARRIFLEX-Kamera die erste Spiegelreflexkamera für 35 mm-Filme auf den Markt kam. Damit konnten Filme auf einem damals sehr hohen Niveau produziert sowie in den Kinos wiedergegeben werden und revolutionierten dadurch die Branche. Daher war es nicht überraschend, dass sich die Kamera, speziell das Model ARRIFLEX 35, zum Exportschlager entwickelte, ARRI über die Grenzen Deutschlands hinaus bekannt machte und 1966 mit einem technischen Oscar ausgezeichnet wurde. Die Kamerareihe ARRIFLEX wurde über die Jahre weiter optimiert und mehrere unterschiedliche Modelle für verschiedenste Einsatzgebiete lanciert. Außerdem entwickelte sich die Postproduktion von Filmen als lukratives Geschäft für ARRI, das bis heute Bestand hat.

Als die Digitalisierung auch die Kinobranche vor rund zehn Jahren erreichte, stand ARRI vor seiner bisher größten Veränderung. Nachdem jahrzehntelang das Geschäft mit analogen Filmen ein großer Erfolg war, bedrohte der Wandel auf digitale Technologien das Kerngeschäft von ARRI, da sich die neuen Technologien in kürzester Zeit im Markt etablierten. Um nicht vom Markt gedrängt zu werden, wurde die digitale Kamera ARRI Alexa entwickelt. Mit der digitalen Kamera konnten nun die Bedürfnisse des Marktes, wie zum Beispiel 3 D oder 4 K-Auflösung, befriedigt werden und setzen neue Standards, indem sie unter anderem auch in sehr lichtschwachen Umgebungen bestmögliche Ergebnisse erzielen. Die innovative Kamera sorgte, ähnlich wie die ARRIFLEX, für einen Durchbruch und ließen ARRI wieder zum Marktführer aufsteigen. ARRI wurde im Februar 2017 für die Entwicklung des Alexa-Digitalsystems mit einer Oscar-Plakette prämiert.

3.3 Das Kerngeschäft von ARRI

Die Kompetenzen von ARRI gehen weit über das Herstellen von Premium-Kameras hinaus. Sie bieten den Produzenten ein komplettes Supportpaket von der Entstehung eines Drehbuchs bis hin zum Versenden eines Films in das Kino. Neben Kinofilmen gibt es ein breites Angebot an Produkten und Dienstleistungen. Dafür ist das Unternehmen in sechs Teilbereiche aufgeteilt, die im Folgenden genauer beschrieben werden.

Der Bereich „Camera Systems“ verwaltet das Geschäft mit den Kameras und ihrem Zubehör. Neben der Produktion und dem Verkauf von Kameras, wie zum Beispiel der ARRI ALEXA 65, sind in diesem Bereich auch der Vertrieb von Kontrollsystemen und mechanischem Zubehör sowie Kamerastabilisierungssysteme angesiedelt. Den Vertrieb von Beleuchtungssystemen für Filmproduktionen verantwortet der Bereich „Lightning“. Die hier angebotenen Produkte, wie Scheinwerfer aller Art, sorgen dafür, dass am Set optimale Lichtverhältnisse vorliegen. ARRI produziert sowohl die Kameras als auch die Beleuchtungssysteme selbst.

Da für Produzenten der Kauf von Kamera- und Beleuchtungstechnik aus unterschiedlichsten Gründen nicht immer infrage kommt, gibt es die Möglichkeit, diese Produkte auch zu mieten. Dieses Geschäftsfeld wird vom Bereich „Rental“ verwaltet. Neben dem Zugang zu exklusiven Technologien wird das Produktionsteam vor Ort von Experten von ARRI unterstützt, um bestmögliche Ergebnisse zu erzielen.

Außerdem ist ARRI im Bereich Medizinfilmtechnik präsent. Der Bereich „Medical“ konzentriert sich dabei auf Kamerasysteme, die Ärzte bei Operationen durch hochauflösende Bilder unterstützen. Außerdem dienen die so gesammelten Filme Assistenzärzten oder Studenten als hervorragendes Weiterbildungsmaterial. Filme, die noch nicht digital produziert wurden, sind mehreren Gefahren, wie zum Beispiel Materialzerfall oder Filmschrumpfung, ausgesetzt, die die Filmrollen unlesbar machen können. Um die Vermeidung des Filmverlusts oder die Umwandlung in ein digitales Format kümmert sich der Bereich „Archiv-Technologien“.

Ein für diese Fallstudie besonders relevanter Geschäftsbereich stellt „ARRI Media“ dar. Hier werden Serviceleistungen vom Dreh bis zum digitalen Master angeboten. ARRI Media ist unter anderem für die Postproduktion, aber vor allem auch für die Distribution von Filmen zuständig. Die zuverlässige Herstellung und pünktliche Distribution der Filme in allen gängigen Formaten genießen sowohl von Filmverleihern als auch von Spielstätten größte Anerkennung.

3.4 Die Wertschöpfungskette der Filmdistribution und deren Akteure im Überblick

Bis ein Film im Kino gezeigt werden kann, sind bereits viele Akteure involviert. Nachfolgend werden diese daher mit ihren Tätigkeitsfeldern und Interessen erläutert.

Am Anfang eines Films stehen Filmproduktionsgesellschaften, die die Herstellung von Werbe- und Industriefilmen durchführen. Die bekanntesten weltweit sind die sechs US-Major Labels, wie z. B. Warner Bros. Entertainment oder Universal Pictures, während in Deutschland Constantin Film oder Bavaria Film zu den bekanntesten zählen. Viele Filmproduktionsgesellschaften erzielen durch das zusätzliche Auftreten als Filmverleih einen hohen Grad an vertikaler Integration und besitzen daher eine große Marktmacht. Mit dem Concorde Filmverleih und weiteren existieren auch Filmverleiher, die nicht gleichzeitig auch Produktionsgesellschaft sind. Ein Filmverleih ist für die Vermarktung eines Films zuständig. Das beinhaltet unter anderem die Releaseplanung, die Rechteverwertung und das Marketing. Außerdem verwaltet der Filmverleiher, über welchen Dienstleister der Film ins Kino geliefert wird, und versendet an Kinos die korrekten KDMs (Key Delivery Message) zum Entschlüsseln des Films. Das Kino bringt den Film letztendlich auf die Leinwand und sorgt dank moderner Präsentationstechnik für eine einzigartige Filmvorstellung.

Die Filmdistribution beschreibt die Verteilung des Films vom Filmverleiher zu den Spielstätten und ist daher ein zeitkritischer Prozess. ARRI Media nimmt dabei eine zentrale Stellung ein. Der Filmverleiher stellt ARRI den fertigen Film für eine Vervielfachung zur Verfügung und nimmt die Filmbestellung der Kinos entgegen. Falls der Film per Festplatte ins Kino gelangen soll, werden daraufhin die Filme in einer eigens entwickelten Kopierstation entsprechend der Anzahl der Bestellungen vervielfacht. Daher ist es sowohl für den Verleiher als auch für das Kino irrelevant, ob der Film auf den Postweg per Festplatte oder über eDelivery-Kanäle geliefert wird.

Durch die zuverlässige Distribution der Filme gelang es ARRI Media, in diesem Bereich Marktführer zu werden. Deutschlandweit wird mit 45 Verleihern eine Geschäftsbeziehung zur Filmdistribution gepflegt, für die teilweise 100 % der Aufträge von ARRI Media abgewickelt werden. Dies entspricht einem ungefähren Marktvolumen von 55 bis 60 % (vgl. Experte I). Mit der Filmdistribution erwirtschaftet ARRI rund drei Millionen Euro Umsatz (vgl. Experte I).

3.5 Vorstellung ARRI Fusion Network

Das ARRI Fusion Network ist ein webbasiertes Portal für Verleiher und Kinobetreiber und hat durch die enthaltenen Informationen ein Alleinstellungsmerkmal in der Branche (vgl. Experte I).

Verleiher können über dieses Portal auf eine Vielzahl an Tools zugreifen. Dank einer Onlinebuchungsfunktion können schnell und flexibel DCP- und KDM-Bestellungen aufgegeben und die Historie über eine Exportfunktion wiedergegeben werden. Dank eines Rechtemanagements können zudem eine fassungsbezogene Zuordnung und Freigabe der Inhalte, auch für Subdistributoren, umgesetzt werden. Neben einer Reporting-Funktion für Bestellungen und einer Tracking-Funktion für eine Sendungsverfolgung der Bestellung ist das Portal hoch verfügbar und erfüllt strenge Sicherheitsstandards.

Wie für die Verleiher, bietet das Portal auch für Kinobesitzer einen nützlichen Funktionsumfang. Das Portal beinhaltet die Möglichkeit, Stammdaten des Kinos, also Kontaktdaten oder technische Informationen, zu pflegen sowie durch eine KDM-Übersicht aktuelle KDMs herunterzuladen und einzusehen. Neben beschriebenen organisatorischen Funktionen sticht das Portal vor allem durch ein breites Angebot an Trailern und deren Verwaltung heraus. Das ARRI Fusion Network bietet für Kinos eine übersichtliche Informationsplattform für Filme, auf der über einen Download-Korb auch der einfache und schnelle, kostenlose Download von Trailern möglich ist. Sind die Trailer einmal heruntergeladen, finden sie sich im Trailer-Archiv wieder und können dort in HD mit 720p in der Trailer-Vorschau wiedergegeben werden.

Durch die Möglichkeit der Stammdatenpflege der Kinos kennt ARRI jedes Kino bis ins Detail. In der Datenbank ist zu jedem Kino, das einen Account besitzt, unter anderem eingepflegt, welcher Projektor in welchem Saal steht, wie viele Säle ein Kino besitzt, ob es bereits eDelivery-fähig ist und über welchen Netzanbieter das DCP verschickt werden soll.

Mit diesem Wissen über die Kinos und der bereits großen Reichweite bietet das ARRI Fusion Network enormes Entwicklungspotenzial, dass nicht nur Trailer, sondern ganze Spielfilme über eDelivery in die Kinos gelangen können. Dabei ist zu erwähnen, dass das ARRI Fusion Network momentan noch nicht flächendeckend eingesetzt wird. Hauptsächlich dient es ARRI Media zu internen Zwecken, externe Akteure wie Verleiher und Kinos nutzen das Portal noch nicht oft.

4 Die Filmdistribution im Wandel

4.1 Die Entwicklung der Filmindustrie und der Übergang zum digitalen Kino

Das Zeitalter der Filmindustrie begann im Jahre 1913 mit der Übertragung von Stummfilmen in die Kinos. Basierend auf den Reihenaufnahmen und Serienbildern von Eadweard Muybridge (1955), wurden Bilder vor einer Lichtquelle einzeln hintereinander angehalten und anschließend auf eine reflektierende Bildwand projiziert. Für den Zuschauer stellte dies eine Illusion einer Bewegung dar, die in Wahrheit eine schnelle Wiedergabe von Einzelbildern ist. 16 Bilder pro Sekunde wurden dabei abgespielt. Zusätzlich gab es zum Stummfilm musikalische Untermalung durch Orchester oder einen Filmerklärer, der begleitend zum Film die Handlungen kommentierte oder den Dialog vorsprach.

Begleitendes Orchester und Filmerklärer entfielen ab dem Jahre 1927, als man den Schwarz-weiß-Film auf einer Rolle mit einer zugehörigen Langspielplatte kombinierte, um Ton begleitend zum Film wiedergeben zu können. Das sogenannte Nadeltonverfahren brachte den Zuschauer näher an das Kinoerlebnis heran, jedoch war die Tonspur oftmals nicht synchron zum Bild. Der Schauspieler fing beispielsweise bereits an zu sprechen, bevor sich sein Mund dazu bewegte. Anfang der 1920er-Jahre stellte Sven Berglund das Lichttonverfahren vor. Film- und Tonspur wurden zusammen auf einer Rolle mithilfe der Umwandlung von Schallschwingungen in elektrische Spannungen, die die Lichtintensität einer Glühlampe steuerten, wiedergegeben. Durch diese Lichtintensität wurden auf dem Filmstreifen zackenförmige Ausdrücke erzeugt, die durch elektrische Spannungsschwankungen bei der Wiedergabe zurückübersetzt wurden und den entsprechenden Ton über Lautsprecher abspielten (Schröter 2014).

1941 begann in Deutschland mit dem ersten Film Frauen sind doch bessere Diplomaten der Übergang vom Schwarz-weiß-Film zum Farbfilm. Nach zahlreichen Entwicklungen der Kameratechnologie konnten mit der Technicolor IV Bilder in Blau, Gelb und Rot gleichzeitig aufgenommen werden. Die Negative vom Schwarz-weiß-Film werden durch blaue, gelbe und rote Farbauszüge verfeinert, auf klares Zelluloid gedruckt und anschließend im Kino projiziert. Die Kosten für des Verfahren waren jedoch anfangs hoch, da durch die Kombination der drei Farben das Material dreimal belichtet werden musste (Haines 1993).

Nach dem ersten Farbfilm im Jahre 1932 Flowers and Trees von Disney lief 1995 der erste Animationsfilm in den Kinos. Toy Story war eine reine Computerproduktion von Disney und Pixar mit einer Produktionszeit von vier Jahren. Die Animation erfolgte auf Sun Sparc, einer Mikroprozessarchitektur, und erforderte 800.000 h Rechenzeit, die auf 20 Workstations verteilt wurden (Jackèl 2006).

Die Kinofilme wurden auf 35 mm-Rollen auf die Leinwände übertragen. Sie waren mit Perforation ausgestattet, einer Art regelmäßiger Lochungsprägungen rechts und links von der Filmspur. Diese verhinderten Schäden beim Transport und versicherten eine stabilere Positionierung im Projektor zur Filmwiedergabe (Krömker 2005). Mit dem 35 mm-Kinofilm stieg die Anzahl der Bilder pro Sekunde von 16 auf 24. Der Übergang vom analogen Kino zum digitalen Kino erfolgte durch eine für die Kinobetreiber spezielle digitale Formatdatei für Filme, auch Digital Cinema Package (DCP) genannt. Traditionelle Filmrollen wurden im Zeitalter des Digital Cinemas von diesem digitalen Verfahren, der digitalen Festplatte mit einer DCP-Datei, ersetzt. Das DCP musste den Standards der Digital Cinema Initiative (DCI) entsprechen, um freigegeben zu werden. Die DCI ist ein Konsortium der amerikanischen Major Labels und soll das Kinoerlebnis durch hohe Bild- und Tonqualität gewährleisten. Einheitliche Formate und Bedingungen wurden geschaffen, um weltweit den Standard gleich halten zu können. In Deutschland begann ab 2005 die Digitalisierung der Kinodistribution durch DCP-Festplatten. Diese startete mit 100 Leinwänden (Castendyk 2014). Zusätzlich kamen zur digitalisierten Version ab 2009 neue Angebote wie die 3-D-Technologie hinzu. 2009 gelang dem Filmregisseur James Cameron mit Avatar der Durchbruch der 3-D-Technologie, der Startpunkt für den populären Anstieg von 3-D-Filmen. Um sich den Veränderungen der ersten sowie der zweiten Digitalisierungswelle anpassen zu können, mussten die Kinobetreiber in neues Equipment investieren, um das Kinoerlebnis für den Zuschauer zu bieten. Damit geht auch die Standardvoraussetzung für die Tonqualität einher. Durch die Einführung von Dolby Atmos soll die Tonqualität für den Kinozuschauer verbessert werden. Dazu muss der Kinosaal natürlich ein System besitzen, welches Dolby Atmos abspielen kann. Ebenso werden Projektoren benötigt, die mit 4 K-Formaten, Dolby Vision oder HDR (High Dynamic Range) kompatibel sind. Binnen kurzer Zeit hat sich das digitale Kino etabliert und sind die DCI-Standards gestiegen. Dies alles erforderte aufseiten der Kinobetreiber, innerhalb kurzer Zeit umzurüsten, beispielsweise von der 35 mm-Filmrolle auf die digitale Festplatte. Damit verbunden sind hohe Kosten und Investitionen der Kinobetreiber. Der Filmverleih soll ebenfalls für die Digitalisierung einen Beitrag beisteuern, um die digitale Kinodistribution fair zu gestalten, über die Einführung einer Virtual Print Fee. Es soll auf jedes DCP, das in die Kinos versendet wird, eine Gebühr erhoben werden, den der Filmverleih zu zahlen hat (vgl. Experte I). Das digitale Kino ermöglicht also ein verbessertes Kinoerlebnis für den Zuschauer durch hohe Ton- und Bildqualität. Auf der anderen Seite bedeutet dies hohe Umrüstungskosten und Anpassungen an die Veränderungen durch die Kinobetreiber sowie den Filmverleih.

4.2 Die Auslöser der „digitalen Transformation 1.0“

Nachteile des analogen Kinos und Auslöser der digitalen Transformation sind unter anderem die damit verbundenen Kosten für Schäden bei der Archivierung und beim Transport. Es kann zu Materialzerfall, Filmschrumpfung, Schrammen und Schimmel kommen. Das Material der 35 mm-Filmrolle ist chemischen und physikalischen Einflüssen ausgesetzt. Des Weiteren häufen sich die Kosten für die Langzeitarchivierung der Filmrollen. Die steigende Anzahl der Filmrollen führt zu einer Steigerung der Logistikkosten. da zusätzlicher Raum für deren Lagerung benötigt wird. Aufgrund der Langzeitarchivierung der traditionellen Filmrollen kommt es wiederum zu den oben genannten physischen und chemischen Schäden. Mit der DCP-Festplatte wird diesn Schäden vorgebeugt, denn der wiederstandfähige Koffer der digitalen Festplatte schützt die Filmdatei vor äußeren Krafteinwirkungen beim Transport und verhindert chemische und physikalische Reaktionen. Ein regelmäßiger Austausch der HDDs (Hard Disk Drive) kann vor Verschleiß und Verlust der Daten schützen.

Es stellt sich die Frage, ob sich die Filmrolle mit solchen Beeinträchtigungen rentiert. Zudem kommen noch Kosten für die Miete von Equipment, wie Projektoren für die Wiedergabe der analogen Technik, hinzu. Außerdem müssen die Negative der Filmrolle digitalisiert werden, sodass diese mit den modernsten Bearbeitungsprogrammen bearbeitet werden kann. Der Umstieg von Analog auf Digital, die Digitalisierung der Produktion und Postproduktion, erforderten Änderungen in der Projektion. Damit verbunden ist ein weiterer wichtiger Aspekt: die Kompatibilität der Filmdatei für die Postproduktion. Postproduktion bezeichnet die Nachbearbeitung von Effekten, Ton und Schnitt der gedrehten Filmdatei. Die Umwandlung eines 35 mm-Negativs in eine 70 mm-Kopie kostete über 12.000 US$ (Belton 2003). Die Umwandlung einer analogen in eine digitale Datei verursacht also hohe Kosten sowie zusätzlichen Aufwand. Zudem können sich Bild- und Tonqualität nach der Umwandlung verschlechtern. Von Vorteil wären deswegen einheitliche Formate und Dateien, die direkt von der Kamera auf den Computer übertragbar sind, um dort den Film bearbeiten zu können – ohne Qualitätsverlust. Die erheblich hohen Kosten und der Verlust der Bild- und Tonqualität durch Umwandlung, Archivierung und Transport waren also Auslöser der digitalen Transformation und ersetzten die traditionelle 35 mm-Filmrolle durch eine DCP-Festplatte.

4.3 Die physischen DCPs als heutiger Standard der deutschen Kinobranche

Mit der Einführung der DCP-Festplatte wird die Produktionskette der Filmindustrie digitalisiert. Diese beinhaltet die Filmaufnahme, Postproduktion, Distribution, Wiedergabe sowie Archivierung. Mit DCP wird ein Standard-Abspielformat bezeichnet, welches in einem physischen Datenträger verstaut ist. Das Format besteht aus zwei MXF (Material Exchange Format)-Dateien, jeweils für die Film- und Tonspur (Digital Cinema Mastering 2014). Die MXF-Dateien im DCP sind mit einem 128-bit AES (Advanced Encryption Standard) verschlüsselt. Dieser kann mit einer Key Delivery Message (KDM) im Kino mit dem zugehörigen Projektor entschlüsselt werden. Die KDM wird mit einem Public Key während des Masterings des DCP verschlüsselt. Sobald dieser in den Projektoren entschlüsselt worden ist, liefert er einen Private Key, womit anschließend die mit AES verschlüsselten Formate entschlüsselt und der Film auf die Leinwände übertragen werden kann (Sean J Vincent Blog 2017). Die Gültigkeit der KDM kann auf bestimmten Zeitraumes festgesetzt werden und somit den Abspiel-Zeitraum eines Spielfilms entsprechend dem Verleihvertrag für den Kinoverleiher begrenzen. In der Regel werden KDMs auf einem Zeitraum von einer Woche limitiert. Die Validität des Schlüssels läuft automatisch ab. Kopier- und Datenschutz können durch die asymmetrische Verschlüsselung der KDM gewährleistet werden. Zudem können auf dem DCP große Dateien in einer Ordnerstruktur abgelegt und mit einer hohen Geschwindigkeit abgespielt werden. Ein Kinofilm kann bis zu 250 GB groß sein. Zusätzlich kann der Film in verschiedenen Sprachfassungen und divers untertitelt auf dem DCP gespeichert werden. Das DCP bietet also dem Kinobetreiber eine effiziente Methode zur Filmwiedergabe, weshalb bereits 70 bis 90 Filmtitel per DCP pro Woche in Kinos geliefert werden (vgl. Experte I). Das physische DCP ist ein Verfahren mit einer geringen Fehlerquote, welches mit kompatiblen Projektoren und System nahezu fehlerfrei funktioniert. DCP ist digital und gleichzeitig mit der digitalen Festplatte, in der es verstaut ist, physisch für den Kinobetreiber sichtbar. Es verleiht somit eine gewisse Sicherheit und Kontrolle durch physiche Sichtbarkeit. Die DCP-Festplatte ist zu einem Standard der Kinobranche in Deutschland geworden.

4.4 Der Weg der DCPs ins Kino

Die Wertschöpfungskette, wie der Film in die Kinos gelangt, beinhaltet die Filmproduzenten, die Filmverleiher, im Kontext ARRI Media und der Kinobetreiber (Abb. 1). Die sechs großen US-amerikanischen Filmproduzenten, auch genannt Major Labels, setzen sich aus Warner Bros., Universal, Walt Disney, Paramount, 20th Century Fox und Sony zusammen. Doch auch in Deutschland werden Filme gedreht und produziert. Bekannte deutsche Filmproduzenten wie Constantin Film und Bavaria Film dominieren auf dem deutschen Markt. In Deutschland arbeitet ARRI Media mit allen Filmverleihern zusammen und vermittelt deren Filme weiter an den Kinobetreiber. Der Kinobetreiber bestellt am Montag beim Filmverleih. Kinobetreiber warten normalerweise auf die Wochenendzahlen. Sie liefern dem Kinobetreiber Einspielergebnisse der vergangenen Woche und ermöglichen somit eine Vorhersage, wie viele Zuschauer für den Film in der Folgewoche zu erwarten sind. Anschließend leitet dieser die Buchungen und die Anzahl der benötigten DCPs und KDMs am Abend des gleichen Tags weiter an ARRI Media. Die Festplatten müssen spätestens am Donnerstagabend im Kino ankommen, da Neustarts von Filmen in Deutschland gewöhnlich donnerstags erfolgen. Die Gesamtanzahl der Neustarts im Jahr 2016 lag bei knapp über 700 Filmen. Die physischen DCPs kommen durch den Fahrkurier UPS von ARRI Media zum Kinobetreiber. Die Festplatten sind Eigentum von ARRI Media und müssen nach Wiedergabe und Ablauf der Gültigkeit der KDMs vom Kinobetreiber zurückgesendet werden. Hier handelt der Kinobetreiber mit UPS eine Rahmenvereinbarung aus, aufgrund dessen er mehrere physische DCPs verschicken kann. Das heißt, der Kinobetreiber ist auch für den Rückversand zuständig. Dieser Rückversand ist auch ein Nachteil der physischen DCPs. ARRI Media haftet, wenn DCP-Festplatten beim Versand verloren gehen. Der Verleiher zahlt für eine Festplatte und ist verantwortlich für den Versand an den Kinobetreiber. Außerdem muss mit Verzögerungen auf dem Transport gerechnet werden. Wird die Festplatte nicht rechtzeitig angeliefert, kann der Kinobetreiber den Film nicht am Donnerstag abspielen. Die Anlieferung per Kurierdienst ist also zeitkritisch, der Film muss rechtzeitig ankommen und vom Kinobetreiber frühzeitig angenommen werden können, damit er pünktlich zum Start abgespielt werden kann.

Abb. 1
figure 1

Die Funktionsweise der Filmdistribution

4.5 Funktionsweise und technische Voraussetzungen von eDelivery

Der Nachteil des Rückversands der Festplatte kann mit eDelivery aufgehoben werden. Mit eDelivery bezeichnet man die Übertragung eines Films per Datenleitung zum Kinobetreiber. Jedes Kino besitzt einen Eingangsserver, also eine Leitungsverbindung mit dem Anbieter. Dorthin wird der Film gesendet und kann vom Kinobetreiber dann durch kompatible Systeme und Projektoren direkt in den Kinosaal übertragen werden. Damit muss der Kinobetreiber sich nicht um den Rückversand der digitalen Festplatten kümmern und ARRI Media braucht sich keine Sorgen um die Rückgabe der Festplatten zu machen. Bei einer Auslieferung am Montag hat ARRI Media eine Woche später 10 % der Festplatten von den Kinobetreibern zurückerhalten. Nach 14 Tagen beträgt die Quote 30 bis 40 % und nach drei Wochen hat ARRI Media erst 60 % der verschickten physischen DCPs zurückbekommen (vgl. Experte I). Um eine hohe Übertragungsrate zu ermöglichen, wird dementsprechend auch eine hohe Datenleitung vorausgesetzt. Derartige Leitungen mit so hohen Datenübertragungsraten dominieren in Deutschland noch nicht, weshalbauch die Übertragungsgeschwindigkeit gering ist. Allein mit 70Mbit/s bräuchte ein Content mit ca. 200 GB ein Zeitfenster von 48 h, um in den Kinosaal übertragen zu werden (vgl. Experte I). Ideal wäre eine Übertragungsrate von 200 Mbit/s, wie es bereits in den Niederlanden oder in der Schweiz möglich ist. Ein Glasfasernetz überträgt Daten per Lichtleiter und zeichnet sich durch hohe Übertragungsgeschwindigkeit aus. Sobald das Glasfasernetz in Deutschland ausgebaut ist und sich stabilisiert hat, würde eDelivery dem Kinobetreiber ermöglichen, sein Kinoprogramm flexibel zu gestalten. Je nach Zuschauernachfrage könnte das Kino die Filme variabel in kleinenoder in großen Kinosälen übertragen, was beim Kunden eine Art Mitsprache- und Wahlrecht bei der Auswahl des Kinoprogramms erzeugt. Ist die Leitungskapazität für eDelivery vorhanden, kann der Film jederzeit flexibel übertragen und abgespielt werden. Des Weiteren kann der Kinobetreiber Speicherplatz sparen sowie Kosten für die Lagerhaltung. All-time-favourites, also gut laufende Spielfilme, die man für besondere Anlässe als Sicherungskopie bereit zur Wiedergabe behalten will, müssen mit eDelivery nicht mehr physisch gelagert werden. eDelivery neben der Festplatte stellt eine mögliche Lösung der digitalen Transformation dar.

4.6 Hürden für die Einführung von eDelivery in Deutschland

Von den gesamten Kinohäusern in Deutschland sind momentan nur unter 35 % mit eDelivery verbunden (vgl. Experte V). Dies hängt damit zusammen, dass das Glasfasernetz in Deutschland noch nicht ausgebaut ist. Bei einer eDelivery-Übertragung muss ein Datenvolumen von durchschnittlich 200 GB pro Film durch das Glasfasernetz versendet werden. Dies kann zu einer hohen Netzauslastung führen und den Internetverkehr kurzzeitig lahmlegen. Es müssen mit den lokalen Telekommunikationsanbietern Verhandlungen bezüglich Kosten und Datenvolumen erfolgen, da heutzutage noch Beschränkungen bezüglich Übertragungsvolumina bestehen. Da die eDelivery-Technologie von der Infrastruktur abhängig ist, würde am Ende der Kabelbetreiber als Gewinner aus dieser Digitalisierung hervorgehen, weil er die Preise festsetzen kann. Er hat nämlich den Zugang zu den Glasfaserleitungen. Aufgrund dieses Exklusivrechts auf das noch nicht weit verbreitete Glasfasernetz werden die Kosten pro Monat dementsprechend auch höher sein als für die herkömmliche Internetverbindung mit 16 Mbit/s.

Selbst wenn diese Infrastruktur mit einer Glasfasertechnik von 200 Mbit/s vorhanden wäre, bedeutet dies noch nicht, dass der Film binnen kurzer Zeit im Kinosaal ankommen würde. Der Film kommt an einem Zentralserver an. Die Weiterverarbeitung von dort aus dauert voraussichtlich ungefähr eine Stunde, bis der Film im Saal angekommen ist. Ein Content mit 240 GB kann innerhalb von 3 ½ h per Satellit übertragen werden. Ideal wäre, wenn das TMS auch über Nacht arbeiten würde, sodass der Film über Nacht, wenn auch der Internetverkehr ruhiger geworden ist, laden könnte. Auf diese Weise könnten über Nacht drei bis vier Filme geladen werden (vgl. Experte I). Damit verbunden sind hohe Instandhaltungskosten und es wird Kontrolle benötigt, während der Film geladen wird. Entweder es wird zusätzliches Personal benötigt oder das TMS verfügt über eine eigene Kontrollfunktion. ARRI Media hat 2005 einen Versuch gestartet, den Film nicht auf physische Art und Weise ins Kino zu versenden. Damals wurde die Übertragung mithilfe eines Transponders mit einer Leistung von 70 Mbit/s durchgeführt. 70 Mbit/s ist im Vergleich zu der vorhandenen Glasfasertechnik in den Niederlanden mit einer Datenübertragungsrate mit 200 Mbit/s nicht viel, doch im Vergleich zur existierenden Übertragungsrate in Deutschland relativ hoch. Hierbei bestand das Problem, dass ARRI Media nicht die volle Kapazität des Satelliten für volle 24 h zur Verfügung stand, in der ARRI Media den Content übertragen konnte (vgl. Experte I). Für einen Film mit einer Größe von 200 GB wird ein Zeitfenster von 48 h vorausgesetzt. Dies war mit der vorhandenen Kapazität des Satelliten und der entsprechenden Netzwerkauslastung nicht möglich (vgl. Experte I). Auch das Risiko, den Film nicht pünktlich ins Kino zu bringen, war zu diesem Zeitpunkt zu groß. Die Kinobetreiber müssten mit dem entsprechenden Equipment ausgestattet werden, was hohe Investitionssummen bedeutet. Dazu bietet eDelivery aufgrund der geringen Bandbreite noch keine hohen Übertragungsraten. Zusätzlich zu Übertragungszeitraum und -dauer stellt sich die Frage der pünktlichen Lieferung. Wird das eDelivery-System in Zukunft zuverlässig liefern können? Zurzeit ist die Fehleranfälligkeit laut Experte VI noch zu hoch. Eine Spielstätte kann mit eDelivery beliefert werden, wenn der jeweilige Saal mit der Technik und dem Equipment ausgestattet ist. Besondere Veranstaltungen, die nicht regelmäßig stattfinden, sind dementsprechend nicht mit eDelivery zu beliefern. Das Open-Air-Kino ist ein solches Beispiel. Bei der momentanen Wiedergabe mittels DCPs muss der Film auf eine eigene physische Platte kopiert werden, die dann anschließend im Open-Air-Kino durch TMS vor Ort abgespielt wird.

Eine weitere Hürde für eDelivery in Deutschland bilden die Akteure, abgesehen von der teuren Technik, der nicht vorhandenen Infrastruktur und der damit verbundenen unzureichenden Flexibilität und Kompatibilität. Deutsche Kinobetreiber wie auch Filmverleiher zeigen noch keine große Bereitschaft, zu eDelivery zu wechseln. Das hängt mit dem aktuellen Stand der Glasfasernetztechnik zusammen, die gegenüber der digitalen Festplatte noch keine deutlichen Vorteile aufweist. Sie argumentieren, dass die Kosten dafür noch zu hoch sind, und sie können nicht nachvollziehen, für eDelivery zwischen 25 und 35 € mehr zu zahlen als für eine physische DCP-Belieferung. Nachdem der eDelivery-Anbieter Gofilex die Kinos in den Niederlanden erfolgreich an das Glasfasernetz angebunden hat, wurden die Kinos von den Major Labels aufgefordert, überall in Europa diesen Standard einzuführen. Daraufhin wurden 2500 Kinos in Europa angeschlossen, darunter 300 deutsche Kinos. 2014 verfolgte der Telekommunikationsanbieter Versatel gemeinsam mit ARRI Media ebenfalls dieses Ziel (vgl. Experte I). Die Kinos in Deutschland sollten mit 1 Gbit/s-Glasfaserleitungen verbunden werden. Dabei musste berücksichtigt werden, dass der Preis für die Glasfaser nicht den der Festplatte übersteigt. Das technische System hat funktioniert, jedoch konnten die Kosten nicht niedrig gehalten werden. Das sogenannte Cinewarp-Projekt, das ursprünglich von Versatel betreut wurde, sollte dies gewährleisten. Zu diesem Zeitpunkt besaß Versatel ca. 35 % der Glasfaserleitungen in Deutschland. Versatel startete also ein Pilotprojekt, mit dem sie die Kinos bundesweit mit ihrem internen Glasfasernetznetz verbinden wollten. Experte III investierte 70.000 € in solch eine Glasfaserleitung für sein Kinohaus. Innerhalb von zwei Monaten wurden nur wenige Filme per eDelivery übertragen, da im Rahmen des Cinewarp-Projekts noch nicht so viele Filmverleiher mitgezogen hatten. Jedoch gab Experte III zu, dass die Filme, die übertragen wurden, „wunderbar funktioniert haben“ (vgl. Experte III). Das Ganze sollte durch die FFA teilfinanziert werden, falls das Projekt erfolgreich geworden wäre. Da dies nicht geschah und die Kosten überhandnahmen, musste Versatel daraufhin die kompletten Kosten für das Cinewarp-Projekt übernehmen. Versatel hat sich anschließend aus dem Geschäft der Filmdistribution zurückgezogen. Ein weiterer eDelivery-Anbieter ist eclair. Eclair gehört zu der Gruppe Ymagis. Sie haben 600 deutsche Kinos erfolgreich mit Satellitenempfang verbunden, doch leider war das Geschäftsmodell nicht erfolgreich. Kinobetreiber haben auf Filme gewartet, aber auch hier zu wenig Content per Satellit erhalten. eDelivery-Anbieter haben also aufgrund der zu hohen Kosten für einen übertragenen Film ins Kino noch keinen durchschlagenden Erfolg in Deutschland. Daraufhin versuchte es ARRI Media 2012 mit deren Kooperationspartner Deluxe. Gemeinsam entwickelten sie Deluxe connect, ein Empfangssystem, mit dem die Kino ausgestattet werden und die Filme direkt von den amerikanischen Produzenten wie Fox, Sony in den Kinosaal gesendet werden solten. Jedoch scheiterte dieses Projekt, da pro Filmlieferung ein Preis von 75 bis 80 Britische Pfund (ca. 80 bis 88 €) gefordert wurde. Wieder spielten die Kosten eine ausschlaggebende Rolle in Sachen eDelivery (vgl. Experte I).

In Abb. 2 ist die sogenannte S-Curve mit der Performanz zwischen der physischen DCP und eDelivery dargestellt. Während die Performanz-Kurve der Festplatte aufgrund der niedrigen Kosten für die Übertragung pro Film ins Kino stark angestiegen ist, steigt die Performanz von eDelivery zu Beginn nur verhaltend an. Der Kinobetreiber ist zum momentanen Zeitpunkt nur bereit, für die eDelivery-Übertragung einen äquivalenten oder niedrigeren Preis als für die Übertragung durch die Festplatte zu zahlen. eDelivery muss jedoch dem gleichen Standard entsprechen wie das physische DCP. Das heißt, eDelivery muss die gleiche Bildauflösung und -qualität besitzen. Für den Kinobetreiber bzw. Filmverleih sollte der Aufwand, ersichtlich geringer sein, einen Film per eDelivery in den Kinosaal zu bekommen. Für diese spielen die offensichtlichen Vorteile von eDelivery vorerst noch keine große Rolle. Flexible Programmgestaltung, also eine Anpassung des Kinoprogramms an den Zuschauer, als Vorteil der digitalen Festplatte ist noch kein überzeugendes Argument. Hier ist der traditionelle Kinobetreiber noch zu sehr in den Strukturen der alten Filmdistribution verhaftet. Er ist sich noch nicht der Konsequenzen und Handlungsmaßnahmen der Digitalisierung bewusst. Digitalisierung bedeutet Automatisierung, hier Automatisierung der Filmdistribution und Flexibilität. Aufwand und Kosten spielen für den deutschen Kinobetreiber momentan eine wichtigere Rolle. Bevor er nicht die wirklichen Vorteile und Nutzen von eDelivery erkennt, wird er in der Art und Weise der Filmdistribution zu keinen großen Änderungen bereit sein. eDelivery ist zwar noch nicht genügend ausgebaut, jedoch besteht bereits eine starke Konkurrenz unter den Marktteilnehmern.

Abb. 2
figure 2

S-Curve Darstellung mit DCP-Festplatte und eDelivery

4.7 Etablierung von eDelivery in anderen Märkten

Der deutsche Kinomarkt unterscheidet sich in der eDelivery-Belieferung stark von den anderen europäischen Ländern und den Vereinigten Staaten von Amerika. In Frankreich sind mehr als 50 % der Kinos eDelivery angeschlossen, während die eDelivery-Quote in Deutschland unter 35 % liegt (vgl. Experte V). Nachfolgend werden die unterschiedlichen Merkmale der Filmdistribution von verschiedenen Ländern analysiert und mit der Filmdistribution in Deutschland verglichen, um herauszuarbeiten, wieso eDelivery dort, im Gegensatz zu Deutschland, erfolgreich ist.

Vereinigte Staaten von Amerika

In den Vereinigten Staaten von Amerika (USA) wurden 59 Mio. US-Dollar investiert, um die drei größten Kinoketten mit eDelivery auszustatten (vgl. Experte I). In den USA benötigt der Kinobetreiber nur die Domestic Version, also die englischsprachige Filmfassung, die größtenteils per Satellit übertragen wird. Die US-amerikanischen Kinos brauchen also, nicht wie in Deutschland, eine physische Festplatte mit dem DCP in verschiedenen Sprachversionen und Untertitelfassungen. Auch die meisten europäischen Länder hatten nicht das Problem, ein DCP mit einem großen Datenvolumen übertragen zu müssen, da sie nur die Originalverfassung (OV) in den Kinosälen spielten. Außerdem bestand ein Übereinkommen der sechs amerikanischen, großen Major Labels mit den drei Kinoketten. Zusammen haben sie die Glasfaser- bzw. Satellitenübertragung zu einem Preis von 85 US$ (ca. 72 €) pro Film realisiert. Verglichen mit dem Preis einer Festplatte in Deutschland für ca. 30 €, sind die US-Amerikaner also bereit, mehr für die Kinodistribution zu bezahlen.

Schweiz

Die Schweiz hat in der Glasfaserleitung einen Vorsprung vor Deutschland. Das Telekommunikationsunternehmen Swisscom ermöglicht ein Glasfasernetz mit einer Datenübertragungsrate zwischen 100 und 200 Mbit/s zu einem Preis von unter 220 Schweizer Franken (ca. 175 €) pro Monat (vgl. Experte I), was günstiger ist als in Deutschland. Schweizer Kinobetreiber müssen sich nicht um die Investition kümmern. Ihnen wird der Storage und die Software zu dem vorhandenen schnellen Glasfasernetz zur Verfügung gestellt. Regionalfilm hat beispielsweise in der Schweiz 80 % der Kinos mit Storage, also Speicherplatz, ausgestattet. In der Schweiz ist der Filmmarkt generell anders aufgebaut. Hier hat man mit 320 Kinos eine bessere Übersicht über die gesamte Filmkette als in Deutschland mit ca. 1.500 Kinos. Des Weiteren wird in der Schweiz eine Kooperation gebildet, sobald ein Problem besteht. Das bedeutet, dass alle zusammen an einer Lösung arbeiten. Dadurch, dass das Glasfasernetz beispielsweise pro Monat 109 bis 150 Schweizer Franken kostet und der Erwerb für eine Festplatte, inklusive Transportkosten, bei ungefähr 50 Schweizer Franken liegt, rentiert sich eDelivery durchaus für das Schweizer Filmhaus, denn es bekommt schließlich nicht nur eine Festplatte pro Woche geliefert, sondern bis zu zehn DCP-Festplatten. Mit der steigenden Anzahl von Filmen sinken im Vergleich dazu auch die Kosten für eDelivery. Im Gegensatz zu Deutschland hat die Schweiz eine gut funktionierende Glasfaserverbindung und die Kinobetreiber müssen nicht für die gesamte Investition in eDelivery alleine aufkommen.

Niederlande

Auch in den Niederlanden gibt es ein Konsortium, einen Zusammenschluss von Filmverleihern und Kinobetreibern, die sich den Preis für eine eDelivery-Lieferung teilen. Hier kostet die Übertragung für einen Film ins Kino 50 € (vgl. Experte I). 25 € übernimmt der Kinobetreiber, die andere Hälfte zahlt der Filmverleih. Der niederländische Anbieter Gofilex bietet seit 2014 eDelivery an. Für Gofilex ist von Vorteil, dass der Anbieter ein Monopol in der niederländischen Filmdistributionsindustrie innehat. Er besitzt ein starkes Glasfasernetzwerk mit 200 Mbit/s und über das Transatlantikkabel sind die Niederlande aus den USA mit deren Leistungen und Kapazitäten einfacher zu erreichen. Durch die Leitung können 220 Kinos in den Niederlanden mit 250 Neustarts im Jahr versorgt werden. In Deutschland möchten die Akteureder Filmdistributionsindustrie die Kosten nicht aufteilen. Jeder möchte die eigenen Ausgaben möglichst gering halten. Kein Filmverleih oder Kinobetreiber wäre bereit, 50 € für einen Film zu zahlen, geschweige denn mehr als die 30 € pro DCP-Festplatte.

Die Kosten für den deutschen Kinobetreiber und Filmverleihe sind also ein sehr wichtiger Faktor. Der deutsche Filmverleih sowie der deutsche Kinobetreiber möchten Kosten sparen. Für sie überwiegt der negative Kostengesichtspunkt die Vorteile von eDelivery. Auch der Telekommunikationsanbieter beansprucht hohe Kosten für die Glasfaserleitung, da dieser wiederum auch nicht die Kosten für den Ausbau und Installation alleine tragen will. Alle Marktteilnehmer sollten bereit sein, zusammen zu agieren, wie als Kooperation in der Schweiz oder Konsortium in den Niederlanden, um sich dem Wandel der Digitalisierung und mit den damit verbundenen Investitionen zu stellen.

4.8 Zukünftige Potenziale (Stand 2017)

Kinobetreiber könnten sich von den anderen Wettbewerbern abheben und zusätzlichen Umsatz durch spezielle Veranstaltungen generieren. Es gibt Kinohäuser, die passend zum Film die Location wählen, um das Kinoerlebnis des Zuschauers zu steigern und gegen die Marktdominanz von Streaming-Diensten wie Netflix anzukämpfen. Jedoch stellt dies keine langfristige Maßnahme bezüglich der Digitalisierung und der Verwendung von eDelivery dar. eDelivery wird laut Experte I kommen, denn er nimmt folgenderweise Stellung dazu:

„Wir können das nicht verhindern, dass jetzt die Festplatte ersetzt wird durch eDelivery.“

Die Akteure der Filmdistribution müssten sich bereits im Voraus auf diese Digitalisierung vorbereiten. Voraussetzung ist aber, dass eDelivery zu einem äquivalenten Preis mindestens mit den Standards und Funktionen der Festplatte mithalten kann, um sich vollständig auf dem Markt etablieren zu können. Die Bild- und Tonqualität darf nicht sinken und es darf keinen zusätzlichen Aufwand bei der Übertragung geben. Die Vorteile von eDelivery müssen deutlich werden und sich augenscheinlich von denen der Festplatte abheben, sodass die Bereitschaft der Kinobetreiber und Filmverleihe steigt, in die eDelivery-Technologie zu investieren. Andererseits äußerte Experte IV Folgendes:

„Meiner Meinung nach wird es jedoch immer die physische Platte als Back-up geben, da immer mal etwas mit der Leitung passieren kann.“

Bei einem Ausfall der Glasfaserleitung durch Netzüberlastung können die Filme im Notfall per physischer Platte mit Express-Lieferung in die Kinos versendet werden, denn das Equipment, beispielsweise die Projektoren zur KDM-Wiedergabe, ist in den Kinos noch vorhanden. Neben dem eDelivery wird das physische DCP also höchstwahrscheinlich als Back-up weiterbestehen.

Es gibt noch einen weiteren Bereich, in dem sich ARRI Media entwickeln könnte, um sich dem Wandel der Digitalisierung anzupassen, unabhängig von der eDelivery-Entwicklung. Es existiert heutzutage bereits das ARRI Fusion Network, durch welches ARRI Media den Überblick für seine Geschäfte behält.

5 Der Kinomarkt im Wandel

Im Folgenden soll reflektiert werden, inwiefern sich das Medienangebot und damit einhergehend auch die Mediennutzung von Endkonsumenten vor und seit der Digitalisierung verändert hat. Da dieser Wandel in der Kinobranche derzeit in vollem Gange ist, wird ein selbst verursachter negativer Kreislauf erläutert, der das Dilemma der Kinobranche veranschaulicht. Diese Entwicklungen manifestieren sich in der gesamten Wertschöpfungskette, da jeder Einzelakteur direkt oder indirekt davon betroffen ist. Aus diesem Grund suchen alle Partner nach Möglichkeiten, die eigene Rolle für die Zukunft zu festigen. Ausgehend von der Analyse der Aktivitäten in der Filmdistribution wird darauf geschlossen, dass sich Automatisierung, Integration und Kostenreduktion in den nächsten Jahren im gleichen Ausmaß wie bisher entwickeln, wenn nicht sogar deutlich verstärken werden. Allerdings können diese Ansätze die Symptome eines langfristigen Abwärtstrends nur lindern, jedoch nicht bekämpfen. TMS unterstützen bereits heute Kinobetreiber bei der Automatisierung ihrer Geschäftsabläufe und bilden die Grundlage, auf die die vorgestellte Transformation des Fusion Networks aufbaut.

5.1 Veränderung der Mediennutzung im Laufe der Zeit

Historisch betrachtet hat sich die Art des Medienkonsums immer wieder grundlegend verändert, wobei die Geschwindigkeit der Änderungen bei jedem Zyklus weiter zugenommen hat. Als „Urknall“ kann die Erfindung des Buchdrucks als Auslöser für die spätere Entwicklung von Zeitung und Pressearbeit angesehen werden, welche über Jahrhunderte neben dem mündlichen Wort den einzigen Kanal für die öffentliche Kommunikation darstellte.

Ausweitung des Medienangebots

In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts ist die breite Masse des Medienkonsums gekennzeichnet durch analoges Radio und wurde dann zunehmend durch das audiovisuelle Medium des Fernsehens abgelöst. Beim sogenannten linearen Fernsehen präsentieren große Medienkonzerne dem Kunden zeitabhängig eigene TV-Formate. Der Kunde kann zwar durch die Wahl des Kanals indirekt die Art des Angebots bestimmen. Er kann jedoch nicht zeitflexibel das passende Angebot direkt aussuchen, sondern ist an das zurzeit ausgestrahlte Programm des Senders gebunden.

Aus Marketingperspektive kann das klassische lineare Fernsehen als Single-Channel-Angebot klassifiziert werden, da primär durch einen Kanal (das Fernsehbild) mit den Kunden interagiert wird. Darüber hinaus verläuft die Interaktion nur unidirektional vom Medienkonzern oder Kabelbetreiber in Richtung des Endkunden. Einhergehend mit der Entwicklung des Internets in Richtung Web 2.0 hat auch die (gefühlte) Autonomie des Endkunden zugenommen (Noam 2017). Der Kunde kann zunehmend multidirektional Einfluss auf das Angebot nehmen. Als Paradebeispiel dient YouTube, bei dem sich eigene Inhalte von Endkunden und professioneller Content von Produzenten eine gemeinsame Plattform teilen. Im Gegensatz zum linearen Fernsehen sind diese Angebote deutlich vielfältiger und jederzeit auf jedem Endgerät verfügbar. Die Zutrittsbarrieren sind niedrig: Ein internetfähiges Gerät mit Bildschirm in fast jeder Preisklasse reicht bereits aus. Durch Personalisierung soll zudem das Engagement, die emotionale und psychologische Verbindung zwischen Content, Plattform und Endanwender, erhöht werden (Snap Inc 2017). Das Engagement soll den Benutzer animieren, für das entsprechende Angebot auch weiterhin einen kleinen monatlichen Beitrag zu entrichten oder indirekt in Form von Werbung für das Angebot zu bezahlen.

Die Videoplattform YouTube ist sowohl Medienplattform als auch Social-Media-Kanal. In der Vergangenheit hat geringwertiger Content auf der Medienplattform dazu geführt, dass diese von vielen Nutzern abgelehnt wurde. Aus diesem Grund hat YouTube zahlreiche Anstrengungen unternommen, um die Qualität des produzierten Contents zu steigern und auf ein annähernd vergleichbares Niveau mit dem TV-Angebot zu bringen. Unter anderem deshalb konnte eine breite Masse an Nutzern für die Plattform begeistert werden. Dieses Beispiel zeigt jedoch auch, dass es immer wichtig ist und sein wird, für den Endkunden interessanten Content in angemessener, professionell produzierter Qualität anzubieten. Durch die technischen Möglichkeiten wird es immer einfacher, professionellen Content zu erzeugen, sodass insbesondere Filmproduzenten vor der großen Herausforderung stehen, sich durch den Technikeinsatz von anderen Produktionen abzusetzen, um das besondere Erlebnis eines Kinofilms für den Zuschauer zu gewährleisten.

Basierend auf diesem Trend haben sich in den letzten Jahren zahlreiche Streaming-Portale etabliert, die teils eigenen und exklusiv produzierten Content über eine Plattform anbieten. Der Endnutzer entscheidet autonom, welche Inhalte er ansehen möchte, wird aber durch Empfehlungen von der Plattform beeinflusst. Durch professionell produzierte Serien soll hochwertiger Content langfristig und zeitunabhängig an den Endkunden über ein monatliches Abonnementmodell verkauft werden. Dieser Ansatz ähnelt dem traditionellen Pay-TV-Angebot nur auf den ersten Blick. Obwohl sich Pay-TV bereits früh entwickelt hat, sind die Art und Weise des Medienangebots über das Internet und die Auswertungsmöglichkeiten (Stichwort Big Data) für die Plattform bei Angeboten wie Netflix, Amazon Video oder Maxdome grundverschieden von den traditionellen Ansätzen. Beispielsweise sorgen die direkte Interaktion mit den Endkunden und das direkte Eingehen auf dessen Wünsche über Recommender-Systeme für eine deutlich höhere Kundenbindung, sodass sich reine Video-on-Demand (VOD)-Lösungen mit sehr hohen Wachstumsraten in den letzten Jahren als eigenständiges Angebot etablieren konnten (Netflix 2017).

Die Geschichte zeigt, dass Medienangebote, die sich bereits in der Breite der Bevölkerung am Markt durchgesetzt haben, nicht komplett verdrängt, sondern durch parallele Angebote für den Endkunden weiter ausgeweitet wurden. Verdrängt wurden nur die einzelnen Unternehmen, die die technische Entwicklung und neuartige Bereitstellung des Contents durch die Digitalisierung nicht mitgegangen sind. Als Paradebeispiel für diese Entwicklung kann die Musikindustrie genannt werden.

Zusammenfassend kämpft seit der Digitalisierung die gesamte Medienbranche massiv um einen kleinen Teil der täglichen Aufmerksamkeit des Endkunden. Wie hart der Kampf geführt wird, lässt sich daran erkennen, dass viele Online-Angebote von Zeitungsverlegern nicht hinter einer Paywall versteckt sind, sondern für eine eigene Leserschaft in einer eigens gegründeten Online-Redaktion extra aufbereitet werden, die über traditionelle Wege möglicherweise nicht mehr angesprochen werden kann.

Da auch traditionelle Medienangebote ihre Kunden im Internet für sich gewinnen wollen, sprechen Medienkonzerne diese via Multi-Channel-Lösung über mehrere Offline- und Online-Kanäle parallel an. Im Idealfall sind diese inhaltlich und logisch miteinander verknüpft und repräsentieren somit eine Cross-Channel- bzw. eine Omni-Channel-Lösung (vgl. Verhoef et al. 2015). Gleichzeitig versuchen die Akteure aus dem Internet, zunehmend auch Offline in den traditionellen Medien Werbung für sich zu machen. Zudem erwarten heutzutage Kunden eine nahtlose Integration von Online- und Offline-Kanälen, da sie dies von anderen Angeboten gewohnt sind. Insbesondere für Anbieter aus der Offline-Welt gilt als Mindestvoraussetzung deshalb, die eigenen IT-Systeme für den Kunden so einfach, transparent und bequem wie möglich zu gestalten, sodass dieser nicht schon durch komplizierte und schlecht zu bedienende Buchungs- und Portalsysteme vom eigentlichen Kauf bzw. Informieren über das Produkt abgeschreckt wird. Insbesondere die Kinobranche muss durch ihre dezentrale Angebotsstruktur einen besonderen Fokus auf diesen Punkt legen.

Der wesentliche Profiteur dieses Kampfes ist der Kunde, der zwischen einer Vielzahl von Angeboten auf das für ihn passende Produkt, zu meist sehr geringen Kosten, zugreifen kann. Ein breites Angebot entspricht jedoch nicht zwangsläufig auch einer hohen Qualität der Inhalte, wie der Fall YouTube gezeigt hat. Der Kunde entscheidet letztendlich, ob die Qualität des Angebots dem eigenen Anspruch genügt.

Ein Anbieter bzw. Vertreiber von Content kann in der modernen, digitalisierten Welt des 21. Jahrhunderts nur überleben, wenn er sein Angebot klar von anderen Angeboten abgrenzen kann und einen einzigartigen Mehrwert für den Kunden bietet. Zudem ist es elementar wichtig anzuerkennen, dass der Content an sich, aber auch der Vertrieb von Content nicht (mehr) alle Nutzer gleichermaßen adressieren kann und wird. Stattdessen gilt die Prämisse, potenzielle Interessenten auf möglichst vielen Wegen und Arten anzusprechen und zu begeistern, wobei jedoch nicht alle Kunden gleichermaßen begeisterungsfähig sind. Gleichzeitig darf man nicht die Augen vor der Realität verschließen und sich von der Digitalisierung abwenden. Die Zeiten der Primetime-Shows des linearen Fernsehens, bei denen die ganze Familie um 20:15 Uhr vor dem Fernseher saß und sich gemeinsam unterhalten ließ, sind definitiv vorbei.

Ein Beispiel für die zunehmende Veränderung der Mediennutzung in Deutschland zeigt Abb. 3, welche die TV- und Streaming-Nutzung nach Altersgruppen aufschlüsselt. Nicht verwunderlich ist, dass die Adaptionsrate des nicht-linearen Fernsehangebots umso höher ist, je jünger die Zuschauer sind. Jedem Programm- bzw. Contentmanager ist bewusst, dass sein eigenes Angebot sich nicht nur auf eine Zielgruppe fixieren darf, sondern dass ein ausgeglichenes Programm geboten werden muss, welches alle – insbesondere auch jüngere Publikumsschichten – anspricht. Diese Prämisse gilt auch für die Kinobranche. Anstatt sich rein an kurzfristigen Besucher- und Umsatzzahlen auszurichten und das Angebot dahin gehend zu optimieren, ist eine langfristigere Strategie basierend auf der Penetrationsrate des Contents möglicherweise ein besserer Indikator für den Erfolg. Dabei ist die Frage zu stellen, ob und wieso das Angebot eine vordefinierte Zielgruppe angesprochen hat. Die End-to-End-Messung und -Auswertung dieser Daten gestaltet sich jedoch ausgesprochen schwierig und ist flächendeckend derzeit unmöglich. Obwohl dieser Aspekt bei den Interviews nur am Rande berücksichtigt wurde, soll die ausgearbeitete Lösung durch Analytics auch dieses Thema aufgreifen.

Abb. 3
figure 3

TV- und Videonutzung in Deutschland 2016

Veränderung des Technikeinsatzes

Der Technikeinsatz ist ein zweischneidiges Schwert. Bei gesamtheitlicher Betrachtung des Medienmarktes ist der Kern der Fragestellung meist, welchen Inhalt der Nutzer über welchen Anbieter konsumiert. Die dahinterstehende Technik ist zwar entscheidend für den wirtschaftlichen Erfolg und die langfristige Weiterentwicklung des Angebots. Für den Kunden spielt sie jedoch im direkten Vergleich meist eine untergeordnete Rolle, da die technische Implementierung bewusst vom Angebot entkoppelt werden soll, sodass der Nutzer möglichst einfach und ohne technischen Sachverstand den Content über eine Vielzahl von Kanälen nutzen kann. Der richtige Technikeinsatz ist jedoch die entscheidende Voraussetzung dafür, die Vielzahl von Anforderungen des Kunden in optimaler Weise erfüllen zu können. Durch die massive Ausweitung des Medienangebots haben nicht nur die Wünsche und Erwartungen des Kunden an den Content zugenommen, sondern auch wie dieser dem Kunden präsentiert wird. Somit trägt die dahinterliegende Technik auf indirekte Art wesentlich zum Erfolg des Projektes bei, da beispielsweise Skalierbarkeit, Zuverlässigkeit, Einfachheit der Bedienung, Migrierbarkeit des Angebots auf neue Plattformen, Fehlertoleranz u. v. m. in direktem Zusammenhang mit dem Erfolg stehen. Der richtige Technikeinsatz ist somit Teil einer Lösung, niemals jedoch die Lösung an sich für den Endkunden.

Die technische Entwicklung von eDelivery in der Kinobranche ist deshalb nur ein spezifisches Distributionsproblem von ARRI Media. Auf die Entwicklung der Erlöse an der Kinokasse hat die Art der Distribution jedoch (noch) keine Auswirkungen (vgl. Experte IV).

Anbieter jeglicher Art (B2C und B2B) müssen sich auf dem Beschaffungsmarkt somit die Frage stellen, welche Technik selbst entwickelt und welche bei anderen Unternehmen zugekauft werden soll. Je nachdem, wie stark ein Angebot skaliert werden soll, stößt fast jede extern zugekaufte Lösung an ihre Grenzen, sodass die Technologie umso mehr inhouse entwickelt wird, je mehr diese mit dem Kunden interagiert und je näher sie mit der Kernfunktionalität des Angebots verbunden ist. Für die konkrete Ausgestaltung muss jedoch immer auf Einzelfallbasis entschieden werden. Als grundlegendes Schema unterscheidet das 3-Schichtenmodell aus der Wirtschaftsinformatik zwischen der Präsentationsschicht, der Datenlogikschicht und der Datenzugriffsschicht auf unterster Ebene (Krcmar 2015, S. 674). Während auf der untersten Ebene meist auf bestehende Lösungen der Kommunikationsanbieter, Content Delivery Networks und Storage-Anbieter vertraut wird, ist die Präsentationsschicht für die direkte Kommunikation mit den Endkunden verantwortlich und kann aufgrund der hohen Ansprüche und der Abgrenzbarkeit zu anderen Angeboten keinesfalls ausgelagert werden.

5.2 Die Abwärtsspirale des Kinomarktes

Bei der großen Menge an Inhalten hat es die Filmbranche als traditionell zeit- und ortsabhängiges Medium besonders schwer. Das Kino in seiner bisherigen Form kann beim Endkonsumenten insbesondere durch die Kombination aus einzigartigem Programmangebot und Programmqualität, überlegener Technik und einem besonderen Eventcharakter mit Gemeinschaftsgefühl punkten. Durch die Digitalisierung und die massive Ausweitung des Medienangebots muss das Kino bzw. die Filmindustrie die eigene Rolle in der Medienlandschaft neu definieren und präzisieren (vgl. Experte VII).

Basierend auf den Erkenntnissen aus zahlreichen Interviews, hat das Team eine in sich geschlossene Abwärtsspirale (genannt der Teufelskreis des Kinos) definiert, welche die Problematik der Kinobranche als eines von vielen konkurrierenden Angeboten anschaulich darstellt.

Der Teufelskreis des Kinos zeigt, wie externe Einflüsse und interne Entwicklungen zu einem negativen Kreislauf führen können, und betont die Notwendigkeit für Kinobetreiber, positive Impulse zu setzen, um die Abwärtsspirale aufzuhalten (siehe Abb. 4).

Abb. 4
figure 4

Der Teufelskreis des Kinos

Der Kreislauf wird initiiert durch eine massive Ausweitung von alternativen Medienformaten, die wie bereits beschrieben, um die Aufmerksamkeit der Nutzer kämpfen. Gleichzeitig steigt die Anzahl der Kinoproduktionen massiv an. Während früher in der Regel ein bis zwei Neustarts pro Woche ins Kino kamen, kann der Kunde heutzutage bis zu neun neue Filme Woche sehen (vgl. Experte IV). Dieser Effekt liegt nicht an der gesteigerten Qualität oder dem hohen Wachstum des Marktes, sondern ist klar dem grundsätzlich höheren Angebot zuzuschreiben. Die Besonderheit und Schwierigkeit des deutschen Marktes liegt auch darin, dass eine Vielzahl internationaler Produktionen, angeführt von den Major Studios in den USA, und aus anderen europäischen Ländern, gemeinsam mit bundesweiten und lokalen Filmen auf einer Leinwand gespielt werden.

Dieser Effekt führt zu einer Reizüberflutung für den Zuschauer, der heutzutage „mit einer Lupe“ (vgl. Experte IV) ins Kino gehen muss, um den richtigen Film auszusuchen. Ein umfassendes Marketing aufseiten der Filmverleiher für den einzelnen Kinofilm ist somit deutlich schwieriger geworden, da das Geschäftsrisiko für den einzelnen Kinofilm sehr hoch ist. Hohe Saisonalität und starke äußere Faktoren wie beispielsweise das Wetter wirken sich direkt auf dem Umsatz aus und sind nicht immer planbar. Aus diesen Gründen sinkt die Aufmerksamkeit für den einzelnen Kinofilm.

Eine größere Auswahl für den Endkunden klingt zunächst positiv, führt jedoch nicht zwangsläufig zu einem größeren Konsum. Im Gegenteil: Der Psychologe Barry Schwartz hat in wissenschaftlichen Untersuchungen diesen Effekt bei der Produktauswahl in Supermärkten untersucht (ein Ort, bei dem unbestritten auch eine klare Reizüberflutung für den Kunden vorliegt) und ihn als Paradox of Choice tituliert. Eine größere Freiheit bei der Wahl zwischen Alternativen führte in zahlreichen Fällen sogar zum gegenteiligen Effekt, weil der Kunde über seine eigene Entscheidung und deren Konsequenzen stärker und kritischer reflektiert. Dies kann zu einer Entscheidungsmüdigkeit führen, welche dafür sorgt, dass der Kunde prinzipiell alle Alternativen ablehnt und sich gegen den Kauf entscheidet (Schwartz 2016).

Eine größere Filmauswahl und eine geringere Aufmerksamkeit für den einzelnen Kinofilm führen zu prinzipiell sinkenden Umsätzen bei den Kinobetreibern. Sinkende Umsätze können in begrenztem Maße durch Veränderung der Ticketpreise und zusätzliche Einnahmequellen abgefedert werden. Den prinzipiellen Abwärtstrend stoppen können sie jedoch nicht. Eine typische Reaktion auf sinkende Umsätze ist eine weitere Reduktion der Kosten, um die Gewinnmargen konstant zu halten.

Seit der Digitalisierung sind die Investitionskosten aufseiten der Kinobetreiber massiv angestiegen. Ein trivialer Weg, um Kosten zu senken, liegt darin, auf weitere Investitionen so weit wie möglich zu verzichten. Dies führt jedoch dazu, dass das Kino langfristig aussterben wird, da es sich nicht mehr mit überlegenem Angebot und Service im Vergleich zum Heimkinoerlebnis absetzen kann (vgl. Experte VII). Aus diesem Grund versuchen Kinobetreiber, durch ein Bündel von Maßnahmen zu sparen: zum einen durch Automatisierung und Reduktion der Mitarbeiter, zum anderen durch gezielteres Marketing und möglicherweise auch durch möglichst lange Lebenszyklen bei Technik und dahinterliegender Infrastruktur.

Zunehmender Kostendruck führt früher oder später dazu, dass Kunden vom Kinoerlebnis nicht mehr so überzeugt sind wie früher. Im Vergleich zu anderen Freizeitaktivitäten außerhalb der eigenen vier Wände und zu anderen Medienangeboten verliert das Kinoerlebnis an Bedeutung. Dies führt dazu, dass im Freundes- und Familienkreis der Kinofilm einen geringeren Stellenwert hat und persönliche Empfehlungen (word of mouth) ausbleiben können. Durch geringere Empfehlungen sinkt die Aufmerksamkeit für den einzelnen Kinofilm abermals und der Negativkreislauf schließt sich.

5.3 Auswege aus der Abwärtsspirale im deutschen Kinomarkt

Im Folgenden soll zum einen der deutsche Kinomarkt dargestellt werden. Zum anderen sollen Möglichkeiten aufgezeigt werden, um aus der Abwärtsspirale zu entkommen. Das prinzipielle Kernproblem liegt jedoch darin, dass die beiden Faktoren, die in die Abwärtsspirale führen, persistente Entwicklungen sind, die über einen langfristigen Zeitraum Bestand haben werden. Sowohl die Anzahl alternativer Medienangebote als auch die Anzahl an Kinoproduktionen werden mit hoher Wahrscheinlichkeit weiter zunehmen. Aus diesem Grund ist die deutsche Kinobranche nicht nur auf operativer Basis, sondern auch durch strukturell langfristige Maßnahmen darauf angewiesen, ihre eigene Wettbewerbsposition zu stärken.

Der heimische Kinomarkt ist geprägt durch ein sehr ausgeglichenes Verhältnis zwischen großen und kleinen Kinos. Große Kinos (auch Multiplex-Kinos genannt) mit fünf oder mehr Leinwänden erwirtschaften mit 74 % den Löwenanteil des Umsatzes und locken auch die Mehrzahl der Kinobesucher an (70 %). Gegenüber kleineren Kinos, die zwar gemessen an der Anzahl der Standorte deutlich überwiegen, können größere Kinos leicht höhere Preise durchsetzen, sind besser ausgelastet und können dadurch die deutlich gestiegenen Investitionskosten seit Einführung des digitalen Kinos leichter tragen (Filmförderanstalt Deutschland 2017). Bei einer größeren Programmauswahl durch die steigende Anzahl an Filmtiteln bedeutet dies, dass größere Kinobetreiber über flexiblere Möglichkeit verfügen, mehr unterschiedliche Filme zu zeigen. Wie bereits vorstehend erläutert, führt diese Entwicklung jedoch nicht zu einer Zunahme der Attraktivität des Kinos.

Der Kinoumsatz durch Ticketverkäufe hat in den Jahren 2011–2016 stagniert. Obwohl sich die Anzahl der Besucher seit 2001 leicht rückläufig entwickelt hat, konnten die Kinobetreiber durch konstant steigende Ticketpreise von +2 % bis +5 % p. a. den Umsatz stabilisieren. Durch alternative Erlösarten können weitere Umsatzpotenziale gehoben werden. Dazu gehören unter anderem Concessions (Essen und Getränke erlösen 26 % der Kinoumsätze), Kinowerbung, aber auch alternative und innovative Formen wie beispielsweise das Mieten eines Kinosaals für Firmenveranstaltungen oder private Veranstaltungen (Castendyk 2014). Eine prinzipielle Trendumkehr ist jedoch auch trotz Ticketaufschläge für Techniktrends wie 3 D oder Dolby Atmos nicht zu erwarten, sodass der Kinomarkt weiter angeschlagen bleibt.

Kinos könnten jedoch dem Teufelskreis durch den vermehrten Einsatz von teurer Technik bei der Projektion und in der dahinterstehenden Infrastruktur mittelfristig entkommen. Die Mehrheit der befragten Experten ist der Meinung, dass aufgrund der stark gestiegenen Erwartungen der Kinobesucher hinsichtlich der Technik bei Bild und Ton die Investitionsbereitschaft bei den Kinobetreibern auch nach der Digitalisierung des Kinos noch sehr groß ist. Steigender Technikeinsatz für den Kinobesucher sorgt dafür, dass das Kinoerlebnis gesteigert wird, was positive Folgeeffekte nach sich ziehen kann. Für die Zukunft stellt sich die Folgefrage, ob Kinobetreiber auch die nächsten Schritte der Digitalisierung mitgehen können, da die Amortisierungszeiten der Kinotechnik stark gesunken sind. Teurere Technik wird seit der Digitalisierung des Kinos für immer kürzere Zeiträume bei Kinobetreibern eingesetzt. Dies könnte im Extremfall zu einem Kinosterben bei kleineren Betreibern in den nächsten Jahren führen (vgl. Experte IV). Auf der anderen Seite stellt sich die Frage, ob besserer Technikeinsatz die Begeisterung für das Kino neu entfachen kann. Längst nicht alle Kunden definieren Kino nur über gute Technik, und kein Kunde wird ins Kino gehen, wenn nicht auch passende Inhalte für ihn angeboten werden. Die Kinobetreiber können zwar die Auswahl des Contents beeinflussen, bei der Ausgestaltung des angebotenen Contents sind diese jedoch von den Filmproduzenten abhängig (vgl. Experte VII). Für den Kinobetreiber gibt es deshalb nur sehr begrenzt Handlungsalternativen, sodass die Gefahr einer temporären Überinvestition in moderne Technik besteht. Ein Beispiel dafür ist die zahlreiche Implementierung von eDelivery-Lösungen in das eigene Kino, ohne dass der Nutzen einer solchen Lösung ausreichend evaluiert wurde. Im Status quo hat eDelivery keinen oder maximal geringen Nutzen, da selbst bei großen Kinos kaum Filme über eDelivery ins Kino geliefert werden (vgl. Experte VIII). Dieser Trend sorgt auch dafür, dass das Team bei der vorgeschlagenen Lösung aufseiten der Kinobetreiber die Akzeptanzrate als sehr hoch und die Adaptionsgeschwindigkeit als hoch einschätzt.

Zusammenfassend gilt, dass überlegener Technikeinsatz nur ein Bestandteil einer Lösung ist. Er darf aber bei Weitem nicht der einzige Differenzierungsfaktor zu anderen Angeboten sein. Die subjektive Meinung des Autors an dieser Stelle ist, dass bei Blockbuster-Filmen in den letzten Jahren Kampf- und Actionszenen im Kino stark zugenommen haben, da diese die vorhandene Technik besser zeigen und einsetzen können, während eine gute, glaubhafte Storyline mit wahren Emotionen diese Technik nicht benötigt.

5.4 Neudefinition der Rollen von Filmverleih und Kinobetreiber

Die zunehmende Digitalisierung in der Filmindustrie stellt auch die traditionelle Aufgabenverteilung zwischen Filmverleih und Kinobetreiber auf den Prüfstand. Dieser Aspekt ist unter anderem deshalb von besonderer Bedeutung, da historisch gesehen der Vertrieb von Filmen an Kinobetreiber einen sehr hohen Stellenwert in der Wertschöpfungskette eingenommen hat. Die Kernkompetenz des Filmvertriebs besteht darin, das Filmangebot eines Verleihers mit den Kinobetreibern zu besprechen. Das Portfolio eines Verleihers besteht aus einer Mischung von 20–30 % an Titeln, die als „hochwertig“ und gut verkaufsfähig eingeschätzt werden, und weniger hochwertigen Filmen, die aktiv an die Kinos verkauft werden müssen. Die Kinobetreiber erfahren jeden Montag von den Einspielergebnissen der Filme in der Vorwoche und stimmen ihre Wünsche entsprechend dem Willen der Filmverleiher ab. Die Zusammenarbeit basiert primär auf persönlichem Kontakt und langjährigem Vertrauen, was es dem Filmverleih ermöglicht, zusätzlich weitere Filme zu verkaufen, die nicht auf der Einkaufsliste des Kinos stehen (vgl. Experte IV).

Im Rahmen der Neudefinition der Rollen kann ein Filmverleih sich heutzutage nicht mehr auf die reinen Kinoerlöse verlassen. Er führt daher eine Mischkalkulation zwischen allen Erlösarten durch, zu denen er Rechte erworben hat, und muss sich in Zukunft zunehmend auf weniger, aber hochwertigeren Content fokussieren. Auf Vertriebsseite ist es für den Verleih entscheidend, seine Filme mit den wenigen großen Kinoketten zu besprechen, da diese etwa 80 % des Umsatzes erwirtschaften. Obwohl prinzipiell alle Kunden wichtig sind, spielt es für den Verleih nur eine untergeordnete Rolle, wie viele Filme er an Klein- und Kleinstkinos verkaufen kann. Diese Entwicklung kann dazu führen, dass der Vertrieb stärker auf seinen eigenen Erfolg achten muss und nicht mehr an der Umsatzmaximierung der gesamten Wertschöpfungskette interessiert ist. Gerade kleinere Kinos berichten immer wieder von Schwierigkeiten bei der Verfügbarkeit von hochwertigen Filmen, da der Filmverleih nicht an einer großen Verbreitung, sondern an einer Optimierung seiner Release-Strategie interessiert ist (Experte II).

Die Release-Strategie eines Films legt fest, wie groß dieser in den ersten Filmwochen herausgebracht werden soll, und gilt als wichtiger Erfolgsfaktor in der Beurteilung der Attraktivität eines Films für den Kinobetreiber. Eine zu große Platzierung von Film-Kopien in der ersten Filmwoche bei Kinobetreibern führt zu einer geringen Anzahl an Zuschauern pro Filmkopie (die primäre Kennzahl, KPI, der Filmbranche), während eine zu kleine Platzierung die Umsätze schmälert (vgl. Experte IV). Aus diesem Grund wirkt sich die Release-Planung in Einzelfällen unmittelbar auf das Programmangebot der Kinobetreiber aus. Dieser Effekt ist tendenziell umso höher, je hochwertigere Filme der Verleih im Angebot hat – ein eigentlich paradoxes Phänomen angesichts der Tatsache, dass die Anzahl der Titel stark gestiegen ist. Im Rahmen der Aufgabenverteilung sollte eigentlich der Kinobetreiber am besten die Wünsche und Ansprüche seiner Kunden kennen und das Angebot uneingeschränkt darauf ausrichten können (vgl. Experte II).

5.5 Kernaufgaben der Wertschöpfungskette in der Filmdistribution

Der Filmverleih ist für die Belieferung der Kinos und die Übernahme der Kosten auf den Weg hin zu den Kinos zuständig. Dabei wendet sich der Filmverleih an das Unternehmen ARRI Media, das die Kinobetreiber dann per Festplatte oder eDelivery beliefert.

Basierend auf den Aussagen der Interviewpartner, hat das Team die Kernaufgaben von Filmverleih, ARRI Media und Kinobetreiber in Abb. 5 aufgelistet und anhand deren Sichtbarkeit für den Kinobesucher klassifiziert.

Abb. 5
figure 5

Einzelaktivitäten in der Wertschöpfungskette der Filmdistribution

Im Hinblick auf die Fokussierung auf Kernkompetenzen und im direkten Vergleich zu anderen Vertriebsformen über das Internet via VoD stellt sich zunehmend die Frage, wer diese Aktivitäten an besten und effizientesten ausführen kann. Gerade aufseiten der Filmverleiher stellt man erstaunlicherweise fest, dass deren IT-Systeme für das digitale Kino teilweise nur unzureichend angepasst sind. Außerdem erscheint der Doppelvertrieb an Kinos und an den Endkonsumenten für außenstehende Beobachter auf dem ersten Blick verwunderlich. Die Autoren plädieren dafür, dass sich das Kino in Zukunft autonomer und unabhängiger vom Vertrieb der Verleiher seine Filme aussucht, sodass die Kernkompetenz der Filmauswahl nicht mehr aufseiten des Vertriebs, sondern direkt bei den Kinobetreibern liegt. Eine bessere Lösung sorgt zudem für eine bessere Vernetzung der Partner in der Wertschöpfungskette am Vorbild von Industrie 4.0, sodass standardisierte Abläufe zwischen den Partnern automatisiert abgewickelt werden können.

Da der zunehmende Multi-Channel-Vertrieb (z. B. Pay-TV, Free-TV, VoD, DVD) seitens des Verleihs zwangsläufig die Vertriebsaktivitäten hin zu den Kinobetreibern reduziert, geht das Team davon aus, dass Verleiher zunehmend bereit sind, für geringwertigere Filme auf gezielten Vertrieb zu verzichten oder diese gar nicht mehr in ihr Portfolio aufzunehmen. Heutzutage bilden sich bereits Interessengemeinschaften für Einkaufskooperationen bei kleineren Kinobetreibern, um ihren Wünschen mehr Aussagekraft zu verleihen (vgl. Experte II). Ein gemeinsames automatisiertes Buchungs- und Abrechnungsportal könnte helfen, dass zahlreiche kleinere Kinobetreiber einfacher bei Filmverleihern ihre Wunschtitel bestellen können.

5.6 TMS und eDelivery als erste Ansätze zur Automatisierung des Kinos

Die Zeiten, in denen ausgebildete Filmvorführer dafür sorgten, dass der Blockbuster ordnungsgemäß auf die Leinwand projiziert wird, sind längst vorbei (Gennies 2013). Die Digitalisierung des Kinos von 35 mm-Filmrollen hin zur DCP-Festplatte hat nicht nur hohe Investitionskosten für Kinos verursacht, sondern auch altehrwürdige Berufsgruppen obsolet gemacht. Die Personalkosten, die ein Kinobetreiber durch diese Entwicklungen einsparen konnte, sind immens, obgleich in der Folge deutlich höhere Kosten für Technologie getätigt werden müssen.

In der heutigen Zeit zeichnet sich ein Kino durch seine vollautomatische Infrastruktur aus, mit der auf Knopfdruck ein Film inklusive Werbeblöcken und Trailer-Präsentationen abgespielt wird. Im Theater Management System (TMS) bündeln sich diverse Aufgaben zu einem einheitlichen Produkt. Die Automatisierung einzelner Geschäftsbereiche des Kinos bildet einen zentralen Grundstein der Digitalisierung, obgleich (noch) nicht alle möglichen Bereiche in einer Plattform integriert sind. Als vollumfängliches System, ähnlich einem SAP ERP-System, wird ein TMS branchenweit in der Regel (noch) nicht verstanden, vielmehr als Saalautomatisierung von der Projektion über die Leinwandsteuerung bis hin zur Beleuchtungstechnik (vgl. Experte VI).

Dennoch gibt es innovative Unternehmen, die sich durch umfängliche Automatisierungsmaßnahmen von der Konkurrenz absetzen möchten und so die Digitalisierung des Kinomarktes weiter vorantreiben. Ein gutes Beispiel ist der fränkische IT-Dienstleister Eikona Cinema Solutions GmbH, der mit seinem Atlas-TMS sämtliche Aufgaben in einem Theater Management Server vereinen möchte und bereits viele Aufgaben vereint hat.

In Abb. 6 wird deutlich, dass hier neben klassischen internen Geschäftsprozessen wie beispielsweise der Projektorensteuerung auch Kassensysteme integriert werden können und so Besucherzahlen automatisch an einem zentralen Speicherort abgelegt werden. Zudem wird deutlich, dass Eikona versucht, diverse externe Aufgaben wie Trailer- und Werbecontent in das TMS zu integrieren. Möglich wäre zusätzlich die Integration eines eDelivery-Moduls, wie Eikona es beim gescheiterten Cinewarp-Projekt bereits angedacht hatte.

Abb. 6
figure 6

Eikona Atlas als Voll automatisiertes Theater Management System

Standardisierte Systeme liefern somit einen zentralen Mehrwert und bieten zudem enormes Weiterentwicklungspotenzial. Die Integration eines eDelivery-Moduls, bei dem der Kinobetreiber auch Filmmaterial direkt aus dem TMS bestellen, empfangen und abspielen kann, erhöht den Automatisierungsgrad weiter.

Das Potenzial, das die voranschreitende Automatisierung mit sich bringt, ist unbestritten, die Weiterentwicklung des klassischen TMS hin zu einem ERP-System für die Kinobranche wird somit immer klarer (Eikona Cinema Solutions GmbH 2017).

Außerdem wird zunehmend deutlich, dass die Kombination aus eDelivery und der zunehmenden Automatisierung der Geschäftsprozesse für eine standardisierte, medienbruchfreie Weiterentwicklung des Kinos von großer Bedeutung ist.

6 Chancen und Gefahren für ARRI Media im Markt der Filmdistribution in Deutschland 2017

Durch die Digitalisierung wird eDelivery früher oder später der bevorzugte Kanal für die Übertragung von Videocontent sein. Bezugnehmend auf diese Entwicklung muss sich auch ARRI Media verändern und die starke Marktposition durch Innovation und kontinuierliche Anpassungen der Dienstleistungen an den technischen Fortschritt festigen. Die veränderten Bedingungen lassen sich als zweischneidiges Schwert bezeichnen: Sie bieten sowohl Chancen als auch Risiken. Dieser Umstand wird nachfolgend analysiert, Worst-Case-Szenarien werden aufgezeigt und Lösungsmöglichkeiten entwickelt, welche die Rolle von ARRI Media in der Zukunft sichern können.

6.1 SWOT-Analyse ARRI Media

Nachfolgend sollen als Teil einer SWOT-Analyse zunächst die Stärken und Chancen von ARRI Media aufgezeigt werden. Das Unternehmen kann aus einer starken Marktposition heraus agieren, weil es klarer Marktführer in der Filmdistribution in Deutschland ist. Des Weiteren besitzt ARRI Media eine europaweite Kostenführerschaft bei der Auslieferung von Festplatten an Kinos und hat durch seine Copystation ein eigenes System entwickelt, welches reibungsfrei den zeitkritischen Versand sicherstellt. Außerdem kooperiert ARRI Media mit allen führenden eDelivery-Anbietern und kann dadurch deren Einsatz direkt beobachten und steuern. Als weitere Kernkompetenz besitzt das Unternehmen eine einzigartige Kinodatenbank über alle Kinobetreiber in Deutschland, die nicht nur die Adresse und Ansprechpartner der Kinos, sondern auch umfangreiche Daten über die Hardware der Kinobetreiber enthält. Anbieter von Content können somit über ARRI Media jedes Kino in Deutschland erreichen und benötigen durch die Funktion als Aggregator nur einen zentralen Ansprechpartner anstatt viele verschiedene. ARRI Media hat zudem aufgrund seiner Vermittlerposition eine gewisse Stellung der Unabhängigkeit zwischen den Interessen von Filmverleih und Kinobetreiber, was für hohes Vertrauen bei den Kunden sorgt. Über den Mutterkonzern besteht zudem Kontakt zu Filmproduzenten, sodass eine Lösung aus einer Hand angeboten werden kann (vgl. Experte I).

Durch diese Unabhängigkeit verfügt ARRI Media über ein hohes Marktverständnis über die Akteure in der Wertschöpfungskette und kann, gepaart mit hohem technischen Know-how und Entwicklungskompetenz, gezielt Lösungen für mehrere Parteien der Wertschöpfungskette aufbauen und anbieten. Bereits in der Vergangenheit hat das Mutterunternehmen ARRI als agiler Weltmarktführer gezeigt, dass es sich organisatorisch dem digitalen Wandel stellen kann.

Neben den Stärken und Chancen existieren allerdings auch zahlreiche interne und externe Risiken für die Filmdistribution aufseiten von ARRI Media. Allen voran agiert das Unternehmen in einem sinkenden Gesamtmarkt, in dem insbesondere die jüngere Zielgruppe wegzufallen droht. Kinobetreiber sowie Filmproduzenten wird es ohne Zweifel in irgendeiner Form immer geben. Die Frage bleibt jedoch, wie groß der Markt in Zukunft noch sein wird und welche Altersklasse die primäre Zielgruppe für Kinos darstellt.

In diesem sinkenden Gesamtmarkt herrscht starker Kostendruck, welcher die Margen auf ein Minimum schmelzen lässt, da die Zahlungsbereitschaft der Akteure sehr gering ist. Aus diesem Grund ist die Auslieferung der Filme auf Festplatten nur profitabel, wenn eine hohe konstante Auslastung geringe Stückkosten garantiert. Bei zunehmendem Einsatz von eDelivery sinken nicht nur deren Kosten, sondern es steigen auch gleichzeitig die Stückkosten bei der Auslieferung von HDDs an. Da die Stückkosten für eDelivery in Deutschland noch deutlich über den Kosten für den Versand einer Festplatte liegen, ist diese Gefahr kurzfristig noch nicht von Relevanz. Langfristig ist jedoch ein solches Szenario durchaus denkbar. Außerdem wird erwartet, dass sich der Wertschöpfungsanteil von ARRI Media bei Partnerschaft mit externen eDelivery-Anbietern reduziert, was Auswirkungen auf die Umsätze und Margen hat.

Gleichzeitig ist es verwunderlich, dass sich in Deutschland trotz höherer Kosten zahlreiche eDelivery-Anbieter etabliert haben. Durch die starke Verflechtung mit den internationalen Muttergesellschaften besitzen sie eine hohe Marktmacht und stellen somit auch eine potenzielle Gefahr für ARRI Media dar. Für die Autoren ist es durchaus vorstellbar, dass durch die Volldigitalisierung eine zentrale Kinodatenbank obsolet wird – auch wenn ARRI versichert, dass ihre Datenbank einzigartig ist.

6.2 Worst-Case-Szenario

Die große Stärke von ARRI Media ist die Vernetzung: Die ausgezeichneten Kontakte zu 45 Verleihern in Deutschland liefern Zugang zu einer großen Anzahl an Filmen. Es ist somit nicht verwunderlich, dass das Unternehmen sich auch bei der Belieferung der Kinos mit DCP-Festplatten einen großen Marktanteil erarbeiten konnte.

Die Stellung von ARRI Media zwischen zwischen Kinobetreiber und Filmverleih lässt sich als Managed-Distribution-Anbieter beschreiben. Ein solcher Provider regelt und überwacht den gesamten Distributionsweg, den ein DCP auf dem Weg vom Verleih ins Kino durchläuft. Der Filmverleih hat mit Übergabe eines Lieferplans an ARRI Media keinen zusätzlichen Aufwand mehr und überlässt das Management dem Dienstleister. Das bedeutet auch, dass der Managed-Distribution-Anbieter dafür zuständig ist, den Kanal der Übertragung (also Festplatte oder eDelivery) zu wählen, die fristgerechte Sendung der Filmkopien an die Kinos zu garantieren sowie Support für eventuell auftretende Probleme mit versendeten DCPs beim Kinobetreiber zu bieten. Die physische Belieferung der DCPs übernehmen in der Folge andere Dienstleister, die von ARRI Media beauftragt werden. Diese vermittelnde Position zwischen den einzelnen Parteien der Wertschöpfungskette der Filmdistribution wird vor allem von den Kunden von ARRI Media, also den Verleihern, sehr geschätzt. Sie müssen dem Unternehmen lediglich mitteilen, welche Kinos mit welchen Filmen beliefert werden dürfen. Kinobetreiber erhalten über das eigens entwickelte ARRI Fusion Network einen guten Überblick über die angebotene Produktvielfalt und exklusives Trailer-Material.

Der Weg, auf dem ein Film zum Filmtheater gelangt, ist für den Verleih unerheblich. ARRI Media besitzt großes Know-how und Innovationskraft. Die hauseigene Copystation wird dazu verwendet, die in Auftrag gegebenen DCPs ausreichend oft auf Festplatten zu kopieren, die dann über Dienstleister wie UPS in das Kino geliefert werden. Zusätzlich kooperiert ARRI Media mit allen großen eDelivery-Anbietern und scheint daher bestens gerüstet für die digitale Transformation der Filmdistribution.

Dennoch liefert der sich verändernde Markt diverse Szenarien, die sich negativ auf das Geschäft von ARRI Media auswirken könnten. Im schlimmsten Fall bleibt dem Unternehmen eine kleine Randposition in der Wertschöpfungskette. Dieser Worst-Case soll in der Folge genauer analysiert und erläutert werden.

Ansatzpunkt der Problematik ist das Alleinstellungsmerkmal von ARRI Media: die einzigartige und umfangreiche Kinodatenbank. Zum aktuellen Zeitpunkt ist dies der differenzierende Faktor, der den Markteintritt neuer Akteure und Konkurrenten deutlich erschwert. Die auf dem Markt verfügbare Vielfalt an Technologie, sowohl bei Projektion und Audio als auch in der Serverarchitektur der Kinobetreiber, sorgt für große Komplexität und Unterschiede in der Kinoausstattung, oftmals auch innerhalb eines Filmtheaters. Dieses Wissen ist für die Auswahl der richtigen DCP-Versionen von großer Bedeutung. In Deutschland ist ein solcher Datenbestand einzig und allein ARRI Media vorbehalten, die sich das Wissen über einen langen Zeitraum der manuellen Datensammlung und in ständigem persönlichen Kontakt mit allen Kinos Deutschlands angeeignet haben. Hiervon profitiert nicht nur ARRI Media, sondern auch die eDelivery-Anbieter, die sich auf dem deutschen Markt durchgesetzt haben. Die Datenbank enthält auch Informationen über den Vernetzungsgrad der Kinos, es ist ARRI Media also zum Beispiel bekannt, welche deutschen Lichtspielhäuser bereits heute über die notwendige Bandbreite verfügen, um über das Internet beliefert werden zu können. Zudem besitzt ARRI Media Zugang zu einer großen Auswahl an Kinofilmen. Dies ist vor allem wichtig für eDelivery-Anbieter, welche nur dann erfolgreich sein können, wenn sie die Möglichkeit besitzen, guten Content an die Kinos zu übertragen. Es besteht zum aktuellen Zeitpunkt also eine gewisse Abhängigkeit von ARRI Media.

Das Internet der Dinge und die damit einhergehende Vernetzung von internetfähigen Geräten sowie die erwartete zunehmende Verbreitung von eDelivery sorgen jedoch für einen Wissenstransfer, der in Zukunft die Vormachtstellung von ARRI Media gefährden könnte. Einer Studie des weltweit führenden Research-und-Advisory-Unternehmens Gartner Inc. zufolge wird sich die Anzahl an weltweit vernetzten Geräten immer weiter zunehmen (Gartner 2017). Diese Entwicklung wird auch nicht vor den Toren der Kinos haltmachen, zumal die Belieferung von Videocontent über Glasfaserleitungen bereits für einen direkten Remote-Zugang zu Kinoserver, Projektor und Audioanlage sorgt. eDelivery-Anbieter können so gezielte Informationen über die technische Infrastruktur der Kinos erhalten, die das exklusive Wissen, das ARRI Media sich aufgebaut hat, obsolet werden lassen. Es besteht somit unausweichlich die Gefahr, dass es durch diese technologische Vernetzung zu einer Verschiebung des Wissensstroms hin zu den eDelivery-Anbietern kommt.

Dieses Szenario verstärkt sich unter anderem auch dadurch, dass es sich bei den Anbietern nicht um kleine oder mittelständische Unternehmen handelt, sondern um Global Player, die sich bereits international durchsetzen und in anderen Ländern eDelivery als Standard etablieren konnten. Diese Faktenlage zeigt, dass Gofilex, Ymagis und ihre Wettbewerber bereits bestens über den Markt informiert sind und sich sogar schon mit Rechteinhabern organisatorisch vernetzt haben sowie Exklusivverträge aushandeln konnten. Dies ist vor allem durch eine aggressive Preispolitik möglich, mit der sich die Global Player einen ausschlaggebenden Wettbewerbsvorteil gegenüber der Konkurrenz um ARRI Media verschaffen. Die Verträge ermöglichen privilegierte Lieferbeziehungen für einzelne Filme. Zum aktuellen Zeitpunkt befindet diese Entwicklung zwar noch in einem frühen Stadium, welches Potenzial jedoch eine Ausweitung der Vernetzung hat, ist offensichtlich: Ein Kino, das die Voraussetzungen, wie beispielsweise ein ausreichendes Glasfasernetzwerk, nicht erfüllt, könnte so in Zukunft weniger große Filmproduktionen erhalten als im Zeitalter der Festplatte. Leidtragender ist hier auch ARRI Media: Die Abhängigkeit des eDelivery-Anbieters wird aufgrund des eigenen Zugangs zu Filmmaterial abnehmen und die eigene Position in der zukünftigen Wertschöpfungskette schwächen.

Verstärken sich sowohl die technologische als auch die organisatorische Vernetzung der eDelivery-Anbieter in der Zukunft weiter, könnte das die Auswirkungen haben, die in Abb. 7 dargestellt sind. Wofür sollte ein Filmverleiher ARRI Media beauftragen, wenn er sich auch direkt an einen eDelivery-Anbieter wenden kann, der den Film genauso zuverlässig zum Endkunde liefern kann, vielleicht sogar zu günstigeren Preisen? Zwar bietet ARRI Media als Managed-Distribution-Provider Simplizität für alle beteiligten Akteure des Marktes, die Gefahr, dass ein Global Player sich dieser Aufgabe annimmt, besteht jedoch zwangsläufig.

Abb. 7
figure 7

Worst-Case-Szenario – ARRI Media als Randfigur der Filmdistribution

Die Abbildung zeigt, dass sich die Position von ARRI Media auf dem Markt der Filmdistribution vom Marktführer hin zu einer Randposition verschiebt, in der das Unternehmen – wenn überhaupt – als Dienstleister für eine Notfall-Belieferung von DCP-Festplatten verantwortlich sein wird. In zahlreichen Expertenaussagen ist angeklungen, dass die Festplatte, zumindest als Back-up-Lösung, noch lange existieren wird. Das momentane Kerngeschäft von ARRI Media wird somit nach dem Umstieg von 35 mm-Filmrollen auf DCPs und der damit verbundenen Schließung von Kopierwerken (Riedel 2015) ein weiteres Mal zu einem nebensächlichen Geschäft werden. In der Grafik ist auch die Verschiebung des aktuell exklusiven Wissens von ARRI Media hin zu den eDelivery-Anbietern zu erkennen, dargestellt als Datenbank-Symbol. Deutlich wird vor allem, dass der überwiegende Anteil der Distribution von Filmcontent über eDelivery-Anbieter abgewickelt wird (dargestellt durch dicke Pfeile).

Der dargestellte Verlauf zeigt Parallelen zur Digitalisierung des Büchermarktes um die Jahrtausendwende. „Die Kennzahlen des deutschen Buchmarktes für 2003 und 2007 zeigen, dass die Relevanz des Internet als Handelsplattform für den Buchhandel (2003: 9,07 Mrd. EUR, 2007: 9,58 Mrd. EUR) weniger ruckartig denn allmählich wuchs und insofern lange Zeit unterschätzt werden konnte“ (Schrape 2011, S. 15). Ähnliche Auswirkungen könnten sich auch auf dem Kinomarkt zeigen. Es gilt also, sich über die Auswirkungen der Digitalisierung bewusst zu werden und das durchaus disruptive Potenzial zu erkennen.

Die Abbildung zeigt einen von den Autoren dieses Beitrags entwickelten Worst-Case, der so in Zukunft eintreten könnte. Muss sich ARRI Media nun Sorgen über die Zukunft seines Kerngeschäftes machen? Wie nah ist das Worst-Case-Szenario an der Realität? Das Ziel der Analyse von potenziellen Gefahren ist es, ein Bewusstsein über mögliche Auswirkungen der digitalen Transformation der Filmdistribution zu schaffen.

Das Szenario entspricht aktuell noch nicht der Realität und scheint in absehbarer Zukunft auch nicht umsetzbar. Die Problematik des stark preisgetriebenen Marktes sowie ein unzureichendes Glasfasernetz bremsen die Geschwindigkeit der Veränderungen auf dem Markt enorm aus. Der außerordentlich günstige Preis von etwa 30 Euro/DCP-Festplatte in Deutschland lässt sich mit einer eDelivery-Lösung aufgrund der unumgänglichen Infrastrukturmaßnahmen zum aktuellen Zeitpunkt nicht umsetzen, da längst nicht jeder Standort mit 200 Mbit/s-Glasfaserleitungen angeschlossen ist, was für eine fristgerechte Belieferung über das Netzwerk aber notwendig wäre.

Wie, wann und in welchem Ausmaß ein solches Worst-Case-Szenario denkbar wäre, kann letzten Endes nicht mit Sicherheit gesagt werden, sicher ist nur, dass es näher an der Realität ist, als es auf den ersten Blick scheint. Neue Technologien, wie zum Beispiel die Entwicklung des Long-Term-Evolution (LTE)-Nachfolgers 5G, haben durchaus disruptives Potenzial und werden auch in der Politik als zukunftsweisende Innovation für die Industrie 4.0 und das Internet of Things (IoT) gesehen. Das „Ziel der Bundesregierung ist es, Deutschland als Leitmarkt für 5G-Anwendungen zu positionieren und eine schnelle und erfolgreiche Einführung der 5G-Technologie zu unterstützen“ (BVMI 2016a), was auch für den Kinomarkt eine interessante Innovation darstellen könnte. Mit 5G sollen in Zukunft Datenraten im Gigabit-Bereich der Standard sein (Warren und Dewar 2014, S. 11). Die Gigabit-Gesellschaft – und damit die infrastrukturellen Bedingungen für einen funktionierenden Einsatz von eDelivery – erreiche man laut BMVI im Jahr 2025 (BVMI 2016b).

Der Fahrplan für das infrastrukturelle Set-up ist somit gesetzt. Die Aufgabe von ARRI Media besteht darin, die Möglichkeiten der Digitalisierung und Chancen durch eDelivery langfristig für das eigene Geschäftsmodell nutzbar zu machen.

6.3 Faktoren für ein erfolgreiches Geschäftsmodell

Die Digitalisierung schreitet auch in der Kinobranche unaufhaltsam voran. Neue technologische Entwicklungen wie eDelivery und damit verbundene mögliche Veränderungen in der Wertschöpfungskette zeigen, dass sich Unternehmen wie ARRI Media verändern und stetig Interesse an neuen Geschäftsmodellen zeigen müssen.

Um auch in Zukunft die marktführende Position festigen zu können, benötigt ARRI Media ein Konzept, das sowohl neue Impulse erzeugt als auch das profitable Tagesgeschäft integriert und verbessert. Das bedeutet, dass eine Lösung sowohl mit dem Status quo der Filmdistribution – sprich DCP-Festplatten – als auch mit neuen Technologien – eDelivery – funktionsfähig ist.

Wichtiges Kriterium ist demnach die technische Skalierbarkeit. ARRI Media ist hier bereits sehr gut aufgestellt. Mit dem Fusion Network können DCP-Belieferungen sowohl per Festplatte als auch per eDelivery beauftragt werden, wobei die Kooperation mit eDelivery-Anbietern einen entscheidenden Stellenwert hat, um die eigene Position zu festigen.

Weiterhin muss ein erfolgreiches System den Gesamtmarkt ansprechen. Der Teufelskreis des Kinos zeigt, wie komplex und labil der Kinomarkt ist und welche Faktoren zu sinkenden Umsatzzahlen beitragen (siehe Abb. 4). Eine ideale Lösung sollte also dafür sorgen, dass der Gesamtmarkt einen Wandel erlebt und die Attraktivität des Kinos steigt. Umsatz wird letzten Endes am Ende der Wertschöpfungskette erzeugt, das Interesse der Kinobetreiber ist dementsprechend ein wichtiger Faktor, den eine Lösung bedienen muss.

Der Kinomarkt in Deutschland ist zudem geprägt von kleinen, ländlichen Filmtheatern mit wenigen Leinwänden, die in Koexistenz mit großen Kinoketten überleben müssen, um den Gesamtmarkt nicht weiter schrumpfen zu lassen. Entsprechend wichtig für ein erfolgreiches Geschäftsmodell ist die organisatorische Skalierbarkeit. Eine Lösung, die nur für große Kinoketten lohnenswert ist, ist demnach nicht zielführend.

Bei aller Veränderung sollte dennoch eine gewisse Konstanz in der Wertschöpfungskette aufrechterhalten werden, um ein neues Geschäftsmodell rentabel zu machen. Die Position von ARRI Mediaist klar definiert, eine disruptive Veränderung der Wertströme, getrieben durch neue Geschäftsideen aufseiten von ARRI Media, ist somit nicht wünschenswert. Es gilt, weiterhin das Tagesgeschäft aufrechtzuerhalten, dazu gehören auch die exzellenten Verbindungen zu den Filmverleihern. Diese geforderte Konstanz spiegelt sich in der Fokussierung der Lösung auf das Kerngeschäft wider. Die große Stärke von ARRI Media ist die zuverlässige Filmdistribution, die durch neue Geschäftsmodelle nicht an Bedeutung verlieren darf. Nur wenn das Kerngeschäft rentabel ist, versprechen auch neue Lösungen Erfolg.

Dennoch bedeutet Digitalisierung auch, mit neuartigen Lösungen zu experimentieren, Trends zu erkennen und Initiative in der Umsetzung zu ergreifen, um Entwicklungssprünge erfolgreich zu meistern. Die Integration von Randmodellen neben dem Kerngeschäft ist somit wichtig und sollte auf jeden Fall Teil eines erfolgreichen Lösungskonzepts sein. In einem sehr zeit- und technikgetriebenen Markt ist es durchaus denkbar, dass ursprünglich randständige Entwicklungen später entscheidend zum Gesamterfolg des Unternehmens beitragen können.

Zusammenfassend lässt sich ein hervorragendes Geschäftsmodell als innovative und zukunftssichere Lösung beschreiben, die die bestehenden Organisationsstrukturen nicht negativ beeinflusst und gleichzeitig dem Gesamtmarkt Kino neue Impulse verleiht und Möglichkeiten eröffnet.

7 Die Transformation des ARRI Fusion Networks zur zentralen Content-Plattform

7.1 Zukunftsbild des Fusion Networks

Das ARRI Fusion Network wird im Rahmen des Vorschlags der Autoren zu einer Plattform ausgebaut, die die gesamte Kinoverwertung von Filmen abdecken kann. Plattformen sind ein Phänomen, das mithilfe von IT unterschiedlichste Märkte in der jüngsten Vergangenheit stark beeinflusst hat und deshalb im Zentrum der Treiber der digitalen Transformation steht. Unter einer Plattform werden in der Forschung die „Infrastruktur und Regeln für einen Marktplatz, der Produzenten und Konsumenten zusammenbringt“ (Van Alstyne et al. 2016) verstanden. Beispiele für erfolgreiche Plattformen sind der Ridesharing-Anbieter Uber, der Fahrer an Fahrgäste vermittelt, und die mobilen Plattformen iOS von Apple bzw. Android von Google, die als Intermediäre zwischen den App-Entwicklern und den Benutzern agieren. Allen Plattformen gemeinsam ist, dass sie ein Ökosystem bilden, das aus mindestens zwei miteinander agierenden Seiten besteht sowie einem Unternehmen als Plattform-Eigentümer. Dem Plattform-Eigentümer obliegt es, die Plattform nach seinen Vorstellungen zu steuern, was mittels Governance, also den regulatorischen Mechanismen, und der Architektur, also der strukturellen Gestaltung der Funktionen der Plattform, geschieht (Tiwana 2013).

In Zukunft würden auf der Plattform des ARRI Fusion Networks auf der einen Seite die Kinobetreiber die Rolle der Konsumenten annehmen. Die andere Seite kann zusammenfassend als Content-Anbieter bezeichnet werden. Darunter fallen neben den klassischen Filmverleihern auch die Anbieter von alternativem Content. In Abb. 8 ist schematisch dargestellt, wie das ARRI Fusion Network die Seiten der Content-Anbieter und Kinobetreiber vermittelt.

Abb. 8
figure 8

Zukunftsbild des ARRI Fusion NetworkS als Plattform

ARRI kann somit in der Wertschöpfungskette der Filmdistribution eine sehr zentrale Position einnehmen und erfährt eine Bedeutung, die weit über die derzeitige Funktion von ARRI Media hinausgeht. Die in beide Richtungen abzielenden Kanten in Abb. 8 veranschaulichen, dass der Distributionsvorgang nun kein strenger Prozess mehr ist, der vom Verleiher angestoßen wird und bei dem das Kino lediglich der Empfänger ist. Vielmehr kann nun jeder Kinobetreiber auch aktiv über das Fusion Network Bestellungen für Filme aufgeben. Über die Plattform werden dabei nicht nur die Auswahl und Buchung von Filmen gesteuert, sondern auch die Abrechnung der Verleihverträge und Lizenzen abgewickelt, da die dafür benötigten Daten bereits vorliegen bzw. einfach integriert werden können. Die Bedienung und Struktur der Plattform orientieren sich dabei an den Oberflächen, die Endkunden aus dem Smart-TV oder von Streaming-Anbietern wie Netflix kennen. Vereinfacht ausgedrückt wird eine Art „iTunes für Kinofilme“ entstehen.

7.2 Integration des Fusion Networks in Theater Management Systeme

Eine fundamentale Neuerung im Zukunftsbild ist die direktere Integration des ARRI Fusion Networks in die Infrastruktur der Lichtspielhäuser. In TMS können meist alle Säle eines Betriebs zentral angesteuert werden und sind dadurch das wichtigste Werkzeug zur Steuerung der Vorführungen. Konsequenterweise sollten auch in diesem System Schnittstellen zur Bestellung von Filmen bei Verleihern existieren – diese Tätigkeit wird jedoch heute von den Kinobetreibern über herkömmliche Kommunikationskanäle wie Telefon oder E-Mail erledigt. Eine Integration des ARRI Fusion Networks in die TMS vereinfacht die Programmplanung so weit, dass sie sich vergleichbar einfach wie die Auswahl von Filmen bei Streaming-Anbietern im Home Entertainment gestaltet. Konkret heißt das, dass sich auf dem Menübildschirm des TMS eine Schaltfläche mit dem Logo des Fusion Networks befindet und sich beim Klick auf das Logo die Oberfläche des Fusion Networks mit dem Überlick über verfügbare Filme öffnet. Wie eine solche Integration aussieht, haben die Autoren in Abb. 9 am Beispiel des TMS Atlas von Eikona Cinema Solution illustriert.

Abb. 9
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Screenshot aus dem TMS „Atlas“ mit Zugang zum ARRI Fusion NETWORK

Das TMS des Anbieters Eikona eignet sich nach Ansicht des Autorenteams in besonderem Maße zur Einbindung der Fusion Network-Plattform. In einem Interview mit dem Geschäftsführer des Software-Anbieters wurde deutlich, dass bei der Entwicklung des Atlas-TMS die Integration weiterer Dienste eine große Rolle gespielt hat. So sind bereits Portale zum Download von Filmtrailern wie Trailerloop und SHARC per Schnittstelle an das Atlas-TMS angebunden. Darüber hinaus besteht auch eine Verbindung zum Werbenetzwerk der WerbeWeischer GmbH & Co. KG als führendem Vermarkter von Werbespots, sodass diese Dateien ohne Medienbruch in das TMS von Eikona geladen werden können. Die technischen Kapazitäten sowie die Erfahrung mit der Einbindung von externen Partnern wurden durch Eikona somit bereits mehrfach unter Beweis gestellt. Mit ARRI Media bestand außerdem bereits ein enger Austausch im Bereich eDelivery im Rahmen des Cinewarp-Pilotprojektes. Unter Federführung des Glasfasernetzanbieters 1&1 Versatel wurde dabei eine dedizierte Distributionslösung für Kinofilme entwickelt, bei der Eikona für die Umsetzung des Empfangsservers im Kino verantwortlich war und ARRI Media als Managed-Distribution-Anbieter den Versand der Filmdateien an die Kinos im Auftrag der Verleiher übernahm. Das Pilotprojekt wurde jedoch mangels Rentabilität eingestellt, obwohl die Übertragung großer Filmdateien reibungslos ablief. Seitens Eikona gab es in der Vergangenheit bereits den Wunsch, auch das Trailerportal des heutigen Fusion Networks in das TMS einzubinden. Über Eikona hinaus existieren einige Wettbewerber, die ebenfalls TMS anbieten, jedoch in Deutschland einen geringeren Marktanteil als Eikona haben. Diese weiteren Anbieter sollten ebenfalls an die ARRI Fusion Network-Plattform herangeführt werden, und bei positivem Business Case sollte auch die Plattform in deren Produkte integriert werden. Um Kinos ohne ein TMS der führenden Hersteller ebenfalls den Zugang zur Plattform zu ermöglichen, kann ein Webinterface mit gleichem Funktionsumfang bereitgestellt werden, wie in Abb. 9 auf der rechten Seite durch das untere Icon dargestellt ist.

7.3 Argumente für die Weiterentwicklung des Fusion Networks

Bevor die Umsatzpotenziale durch die Erweiterung des Fusion Networks beschrieben werden, sollen nachfolgend zunächst drei gewichtige Argumente erörtert werden, die für die Umsetzung der empfohlenen Strategie sprechen.

Long-Tail-Phänomen der Kinofilme

Derzeit können lange nicht alle Filme, die von Produzenten gedreht werden, wirtschaftlich in Deutschland vermarktet werden. Die von Anderson (2006) etablierte Sichtweise des „Long Tail Effects“ trifft auf den Markt der Kinofilme zu: Die wenigen erfolgreichen Filme vereinen mehr Besucher als eine große Anzahl an nicht erfolgreichen Filmen. Im Jahr 2015 erzielte nach Analyse der Autoren der erstplatzierte Film Star Wars – Das Erwachen der Macht mit neun Millionen Zuschauern dieselbe Anzahl an Ticketverkäufen wie die Summe der 50 Filme zwischen den Rängen 100 und 150 („Inside Kino“ 2015). Schematisch ist diese Verteilung in Abb. 10 dargestellt, worin die meistbesuchten 100 Filme des Jahres 2015 aufgetragen sind.

Abb. 10
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Long-tail-Phänomen für Kinofilme in Deutschland

An dieser Stelle bietet sich die Analogie zum Erfolg der Online-Handelsplattform Amazon an. Ist der Vertrieb von selten nachgefragten, sehr speziellen Buchtiteln im stationären Buchhandel durch den beschränkten Platz in Regalen nicht attraktiv, kann Amazon durch den Einsatz digitaler Technologien und die Mechanismen der Plattform mit durchschlagendem Erfolg jeden Artikel mit geringster Stückzahl profitabel anbieten. Vergleichbar zum herkömmlichen Buchhandel ist auch der Vertrieb der Filme mit nur wenigen Hunderttausend Besuchern nicht attraktiv für Filmverleiher, die mit begrenzten Ressourcen einen möglichst großen Umsatz erzielen müssen. Kumuliert stellen die vielen kleineren Kinoproduktionen jedoch einen durchaus signifikanten Wert dar, wie eingangs im Vergleich mit dem erfolgreichsten Blockbuster verdeutlicht wurde.

Diesen Wert vermag das Fusion Network von ARRI in Zukunft deutlich effizienter zu materialisieren. Der Grund dafür ist, dass die Plattform eine Disintermediation der Filmverleiher ermöglicht, das heißt Filmproduktionen ohne einen Verleiher direkt vom Produzenten an Abspielstätten zu liefern. In Abb. 8 ist deshalb auf der linken Seite auch eine Kante eingezeichnet, die direkt vom Produzenten zur zentralen Plattform führt. In Gesprächen mit Führungskräften von ARRI Media wurde deutlich, dass dieses Szenario derzeit als für die Zukunft realistisch, jedoch aufgrund der gegenwärtigen Geschäftsbeziehungen zu Verleihern als riskant und kritisch beurteilt wird. Jedoch erkannte bereits der Manager eines großen Filmverleihs, dass eine Plattform in der hier vorgeschlagenen Form eine geeignete Initiative wäre, um für sein Unternehmen unprofitable Filme zu vertreiben:

„Das ist vielleicht sogar gar keine schlechte Idee. Dass man bewusst eine Plattform aufbaut für Filme ohne großes Marketingbudget. […] Dann könnte man sagen: ‚OK, es ist uns egal. Hauptsache die Filme laufen‘. Das könnte eine Überlegung wert sein. Werde ich mal mitnehmen …“ (Experte IV).

Diese Sichtweise verdeutlicht, dass die Fusion Network-Plattform die Antwort auf die Problemstellung des Long-Tail-Phänomens bei Filmproduktionen ist. Bei ARRI Media wurde dem Team in einem Interview (Experte X) überdies berichtet, dass bereits mehrfach Filmproduzenten die direkte Distribution ohne Verleiher angefragt haben, wenn die Produzenten keinen etablierten Verleiher für ihr Projekt gewinnen konnten. Die Erweiterung des Fusion Networks in diese Richtung ist also ein konsequenter Schritt, der zunächst auf die einzeln wenig attraktiven, unabhängigen Produktionen beschränkt wird. Sobald sich das Modell der Filmvermarktung ohne Verleiher etabliert hat, können auch immer größere Produktionen möglicherweise ohne Beteiligung von Verleihern bei der Distribution abgewickelt werden.

Aufbau auf existierendem Fusion Network für Trailer

Die Plattform-Strategie kann durch ARRI Media gerade deshalb besonders gut umgesetzt werden, da die Basis des Systems bereits heute in Form des Fusion Networks zur Distribution von Filmtrailern existiert. Wie der für Systems Engineering zuständige Mitarbeiter von ARRI Media erklärte, sei die Plattform heute ein erfolgreiches System, das die Entwicklungskosten und laufenden Kosten alleine durch die Zahlungen von Filmverleihern für die Verteilung von Trailer-Dateien bereits deckt (vgl. Experte V). Einige Bestandteile der Software wie die Benutzeroberfläche, die Verwaltung der Accounts für Verleiher und Kinos sowie die Downloadfunktionalitäten können für den erweiterten Zweck der Filmplattform weiterverwendet werden. In der derzeitigen Software des Fusion Networks ist auch eine sehr umfangreiche Datenbank zu den Abspielstätten in Deutschland enthalten, in der relevante Details wie die technische Ausstattung jedes einzelnen Kinosaals aggregiert sind. Dieses Wissen wurde in den vergangenen Jahren umfangreich aufgebaut und gepflegt und ist eine Ressource, die für den Erfolg des Geschäftsmodells von ARRI Mediaelementar ist. Ein Wettbewerber mit Ambitionen, eine Filmplattform aufzubauen, müsste die Basis des Trailerportals aufwendig neu entwickeln und müsste die detaillierten Daten über die Abspielorte erst selbst erfassen, da die Daten nicht bei anderen Marktteilnehmern in dieser Granularität und Verlässlichkeit existieren. Dieser Vorsprung von ARRI Media kann also ein erfolgsentscheidender Marktvorteil sein.

Nutzung vorhandener Kompetenzen bei ARRI Media

Als Anbieter von Distributionslösungen und Entwickler des Trailerportals verfügt ARRI Media über die wichtigsten Kompetenzen, die zur Umsetzung der Filmplattform nötig sein werden. Insbesondere zwei Stärken von ARRI werden bei der Umsetzung der Plattform zum Erfolg beitragen: der hervorragende Kontakt zu allen Teilnehmergruppen der Plattform sowie die technischen Fähigkeiten zur Implementierung. Erstgenannter Punkt erschließt sich durch die Marktposition, die gleichzeitig die Unabhängigkeit von einzelnen Playern gewährleistet, bei der aber eine Präsenz der Marke ARRI bei allen relevanten Partnern bereits besteht. In Bezug auf das Know-how sind die Entwicklung der Copystation zum effizienten Beschreiben von DCP-Festplatten sowie die Implementierung des Fusion Networks mitsamt der Kinodatenbank als Beispiele hervorzuheben, die nach Aussagen des für die Entwicklung zuständigen Experten überwiegend in Eigenleistung erarbeitet wurden (vgl. Experte V). Auch mit externen Dienstleistern wurde kooperiert, sodass die Arbeitspakete zur Erweiterung des Fusion Networks sowohl intern als auch extern vergeben werden können.

7.4 Fusion Network schafft Wert für alle Parteien der Filmdistribution

In der Forschung zu Plattform-Geschäftsmodellen werden Netzwerkeffekte als eine der wichtigsten Erfolgsfaktoren, aber gleichzeitig als große Herausforderungen für den Start einer Plattform gesehen (Hagiu 2014). Netzwerkeffekte treten ein, wenn die Plattform mit jedem zusätzlichen Teilnehmer auf einer Seite für die Teilnehmer der anderen Seite attraktiver wird. Mit jedem zusätzlichen angeschlossenen Kino würde das ARRI Fusion Network also wertvoller für Filmverleiher werden, und umgekehrt haben Kinos einen größeren Anreiz, die Implementierung in ihr TMS zu beschließen, wenn eine Vielzahl von Content-Anbietern auf der Plattform Filme anbietet. Salopp formuliert wird ARRI Media zu Beginn also vor einem Henne-Ei-Problem stehen. Wie können also Teilnehmer auf beiden Seiten zu Beginn überzeugt werden?

Voraussetzung für eine rege Akzeptanz des neuen Fusion Networks sind geringe Eintrittsbarrieren, das heißt, dass ARRI Media den Content-Anbietern und den Kinoinhabern die Teilnahme an der Plattform nicht durch hohe Fixkosten oder zu hohe technische Anforderungen erschweren darf. Jedoch ist dies nur eine notwendige, nicht aber hinreichende Bedingung zur Lösung des Henne-Ei-Problems. Vielmehr sind Value Propositions für beide Seiten nötig, um die Content-Anbieter und Kinos vom Wert der Plattform zu überzeugen. Beide Seiten profitieren in vier bedeutenden Bereichen, in denen die Abwicklung des Geschäfts vereinfacht wird oder zusätzliches Umsatzpotenzial ermöglicht wird. In Abb. 11 sind die vier Ebenen Filme, Trailer, alternativer Content und Daten mit den jeweiligen Argumenten zusammengefasst.

Abb. 11
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Value Propositions für beide Seiten der Fusion Network-Plattform

Im Bereich der klassischen Filmproduktionen haben Anbieter den Vorteil der einfacheren Erreichbarkeit einer Vielzahl von Abspielstätten. Heutzutage müssen Vertriebsmitarbeiter noch mit einzelnen Kinos, Kinoketten oder Einkaufsagenturen verhandeln, wohingegen über das Fusion Network die Bestellung und Vertragsabwicklung zentralisiert umgesetzt werden können. Kinos erhalten die jeweils auf sie zugeschnittene Version des bestellten Films, da auf der Plattform die Informationen zu Tonformaten, 3-D-Ausstattung und weiterer Infrastruktur hinterlegt ist. Ebenso wird der korrekte Schlüssel mittels Key Delivery Message nach Bestellung an das Kino überliefert. Kinos werden dabei entweder über eDelivery-Anbieter mit der Filmdatei beliefert oder können im Portal der Plattform die Lieferung der Festplatte in Auftrag geben.

Für Content-Anbieter ist das neue Fusion Network im Bereich der Trailer-Distribution ebenso attraktiv wie die bisherige Lösung. Zusätzlicher Wert für die Anbieter der Trailer entsteht durch erweiterte Möglichkeiten zum Tracking von Wiedergaben. Bereits heute vereinbaren Verleiher bestimmte Kampagnen mit Kinobetreibern, die bei garantierter Wiedergabe von bestimmten Trailern verbesserte Konditionen in den Verleihverträgen enthalten. In Zukunft können über den Trailer-Bereich der Plattform detaillierte Informationen über die Anzahl und Art der abgespielten Trailer ausgewertet werden, sodass zielgerichtete Kampagnen möglich werden. Für Kinos wird die Bestellung der Kinotrailer noch einfacher, da nun kein Medienbruch mehr existiert zwischen dem Downloadportal und dem Kinoserver mit dem TMS zur Wiedergabe.

Alternativer Content umfasst verschiedene Videoangebote, die die Filme ergänzen und bei denen es sich beispielsweise um Übertragungen von Opern, Konzerten und Sportevents handelt. Darüber hinaus könnten auch restaurierte Klassiker-Filme oder Indie-Produktionen zum alternativen Content gezählt werden. Derzeit existiert nach Kenntnis der Autoren noch keine zentrale Vertriebsstruktur, um diese Inhalte an Kinos zu vermitteln. Deshalb wird das um dieses Angebot erweiterte Fusion Network ein wertvoller Marktplatz für Anbieter und Kinobetreiber sein. Funktionen wie Empfehlungen von anderen Kinobetreibern können den Absatz des alternativen Contents weiter fördern und den Kinos dadurch ein größeres Erlöspotenzial durch spezielle Events ermöglichen.

Der vierte Bereich, in dem durch die Plattform neuer Wert geschaffen wird, sind die Besucherdaten der Filmvorführungen. Durch den unmittelbaren Anschluss an TMS und mittelbar an Kassensysteme können Kinos die exakten Besuchswerte automatisiert an das Fusion Network übertragen. Als Gegenleistung dafür, dass sie die Hoheit über diese Zahlen abgeben, erhalten Kinos detaillierte Analysen über die aggregierten Informationen. Mit diesen Daten können die Verantwortlichen in Lichtspielhäusern ihre Programmplanung besser auf Markttrends und die Beliebtheit von Filmen anpassen. Nachdem die Zahlen zu Besuchern je Vorführung auf der Plattform plausibilisiert wurden, werden sie anschließend zur Abrechnung der Verleihverträge herangezogen. Filmverleiher und andere Content-Anbieter können auf Basis exakter Daten die Entgelte bei den Kinos in Rechnung stellen. Denkbar ist auch eine vollständig automatisierte Abwicklung der Zahlungen über die Plattform, die die Arbeit der Debitorenbuchhalter bei den Anbietern und das Kreditorenmanagement bei den Kinos stark vereinfacht.

Sowohl Kinobetreiber als auch Anbieter von Content profitieren somit auf vielfältige Art und Weise davon, die Bestellung und Distribution von Filmen, Trailern und alternativem Content auf der Plattform des ARRI Fusion Networks abzuwickeln.

7.5 Mögliche Use Cases für die neue Plattform

Um die Vorteile für alle Beteiligten sowie ARRI Media nochmals zu veranschaulichen, werden nachfolgend drei praktische Use Cases beschrieben. Allen gemein ist, dass hier sowohl die Kinobetreiber als auch die Content-Anbieter gleichermaßen profitieren, da vormals ineffizient genutzte Kinokapazitäten besser ausgenutzt werden. Durch die zusätzlichen Zuschauer steigt also der Gesamtumsatz des Marktes, der „Kuchen“ für alle Beteiligten vergrößert sich.

Filmbestellung für kleinere Kinos

In einem fiktiven Kino in einer deutschen Kleinstadt beklagt sich der Betreiber, dass er unter sinkenden Besucherzahlen und Umsätzen leidet. Als Grund dafür sieht er die Tatsache, dass er in seiner Freiheit bei der Programmwahl stark von den Filmverleihern beschnitten wird. Diese verlangen im Gegenzug für die Abspielrechte großer Blockbuster regelmäßig große Zugeständnisse in Form von hohen Laufzeiten oder von gebündelter Abnahme mit weniger attraktiven Filmen. Der Filmverleiher kann sein Programm nicht mehr frei steuern, da Vertriebsmitarbeiter mehrerer großer Verleiher ihn dadurch unter Druck setzen und er nur eine begrenzte Kapazität an Sälen hat. So wird er beispielsweise gezwungen, eine Leinwand für die Dauer einer ganzen Woche zur besten Zeit zu reservieren, wenn er am Bundesstart eines neuen Blockbusters teilnehmen möchte – auch wenn er dadurch leere Säle bei einem Teil der Vorführungen in Kauf nehmen muss, denn es gibt in der Kleinstadt möglicherweise keine große Nachfrage nach diesem Film. Auf dem ARRI Fusion Network kann der Betreiber über sein TMS oder ein Web Interface nun einen besseren Überblick über die anstehenden Neustarts aller Verleiher erhalten und sieht auf einen Blick die Bedingungen der Verleiher und die zu entrichtenden Gebühren. Er kann nun deutlich transparenter entscheiden, ob für sein Kino die Bestellung eines Blockbusters unter hohen Auflagen sinnvoll ist, wenn er alternativ kleinere Produktionen mit größerer Flexibilität erwerben kann. Der Kinobetreiber kann selbstständig ein vielfältiges Programm erstellen, das die Kinosaal-Kapazität optimal ausnutzt. Da das fiktive Kino nur an einen eDelivery-Anbieter mit beschränkter Bandbreite angeschlossen ist, übernimmt die Plattform die Bestellung der DCP-Festplatten für einen Teil der bestellten Filme und stößt für den Rest der Filme den Download über das eDelivery-Netzwerk an. Der Kinobetreiber hat dabei den Überblick über den Status der Belieferung und erhält die Dateien rechtzeitig zum Programmstart.

Auslieferung von alternativem Content

Ein anderes fiktives Kino einer mittelgroßen Stadt verfügt über fünf Kinosäle. Der Betreiber ist mit den Geschäftszahlen unzufrieden, da bei vielen Filmen die Besucher ausbleiben und sich lieber durch Streaming-Anbieter im heimischen Wohnzimmer unterhalten lassen. Diese preissensiblen Kunden verliert das Kino nach und nach, da die Kostenstruktur des Kinos nicht mit dem Angebot globaler Streaming-Anbieter konkurrieren kann. Nach Implementierung des Fusion Networks in das TMS des Kinos verschafft sich der Betreiber einen Überblick über die vielfältigen Angebote von alternativem Content. Er beschließt auf Basis guter Erfahrungen eines Kollegen, eine Veranstaltung mit der Live-Übertragung eines großen Electro-Musikfestivals zu organisieren. Den Vertrag mit dem Rechteinhaber schließt er über die Plattform in wenigen Klicks ab, wobei er für jedes verkaufte Ticket eine Gebühr an den Rechteinhaber sowie eine Provision an ARRI Media bezahlt. Das Marketing für die Sonderveranstaltung übernimmt der Kinobetreiber selbst und er macht über seine Social-Media-Kanäle sowie die örtlichen Medien auf die Veranstaltung aufmerksam. An einem sonnigen Sonntag, an dem einer seiner Säle ohnehin nicht ausgelastet worden wäre, feiern nun über einhundert junge Fans die Musik des Festivals bei bester Ton- und Bildqualität sowie einem großartigen Gemeinschaftserlebnis. Außerdem nehmen die Gäste das Getränke- und Snackangebot besonders stark in Anspruch, da sie länger als bei Filmvorführungen im Kino sind. Insgesamt ist der Kinobetreiber mit seinem Pilotversuch, alternativen Content anzubieten, erfolgreich und beschließt, in Zukunft weitere Sonderveranstaltungen anzubieten. Dabei lässt er sich auf der Fusion Network-Plattform regelmäßig über neue Angebote dazu informieren. Der Organisator des Festivals freut sich, dass er über das Fusion Network eine große Anzahl an Kinos in Deutschland erreicht und diese überzeugen konnte, die Abspielrechte zu erwerben. ARRI Media profitiert von den Provisionszahlungen beider Parteien.

Analytics und Recommender-System

In einem dritten Beispiel sucht ein Kinobetreiber nach einer Möglichkeit, sich in seiner Großstadt dem Wettbewerb unter den großen Ketten-Filmtheatern zu entziehen. Da er nur über zwei Säle in einem älteren Gebäude verfügt, kann er nicht um das Massenpublikum der Blockbuster-Filme konkurrieren, das niedrige Preise und eine Vielzahl an Abspielterminen erwartet. Im ARRI Fusion Network fällt ihm auf, dass ein Film eines gänzlich unbekannten Regisseurs in einigen anderen unabhängigen Kinos sehr erfolgreich war, wo sich der Film durch Mund-zu-Mund-Propaganda verbreitet hat. Er weiß, dass es in dem Film um ein gesellschaftlich relevantes Thema geht, aber wundert sich, dass kein Verleiher die Vermarktung übernommen hat, sondern der Film exklusiv im Fusion Network vom Produzenten direkt vertrieben wird. Der Kinoinhaber sieht in den Analytics-Tools, dass es zu diesem Film erhöhte Aktivität in den sozialen Netzwerken in seiner Stadt gibt, und beschließt, den Film an ausgewählten Terminen zu spielen. Zuschauer werden über die Werbekanäle des Kinos auf die Abspielzeiten des Films aufmerksam und nehmen gerne einen höheren Ticketpreis in Kauf, um einen so speziellen Film zu sehen. Nachdem die Vorstellungen gut besucht waren, werden die Abspieldaten aus dem TMS an das Fusion Network an den Anbieter übermittelt, der dann die Entgelte in Rechnung stellt. Außerdem wird weiteren Kinobetreibern mit ähnlichem Zuschauer-Profil vorgeschlagen, diesen Film zu zeigen. Letztendlich entwickelt sich eine lawinenartige Aufmerksamkeit für den Film, der sich als Überraschungserfolg herausstellt. Der Betreiber des Kinos konnte dank der Analysemöglichkeiten des Fusion Networks frühzeitig an diesem Trend partizipieren und wird bei seinem Stammpublikum nun für die vorausschauende Filmauswahl gelobt.

7.6 Ausblick: Weitere Potenziale der Plattform

Der vorgeschlagenen Plattform liegt die Annahme zugrunde, dass ARRI Media sich mit dem Angebot weiterhin nur an Kinos richten möchte, also nicht in einen B2C-Geschäftsmodell einsteigen will. Die ARRI Fusion Network-Plattform könnte mittelfristig jedoch sehr wohl zum Endkunden hin ausgebaut werden. Dabei ist ein konservativerer Ansatz denkbar, bei dem Zuschauer nur zum Crowdsourcing von Filmvorführungen ermuntert werden. Über eine Webplattform könnten also Zuschauer Wünsche äußern, welche Filme sie gerne in ihrem Lieblingskino sehen möchten, und darüber hinaus gesonderte Veranstaltungen vorschlagen, die bei Erreichen einer Mindest-Besucherzahl auch stattfinden können. Kinobetreiber mit Anschluss an das Fusion Network würden dann benachrichtigt werden, wenn ihre Kunden eine solche Spezialvorstellung wünschen. Hier könnte auch mit einem Start-up wie beispielsweise Tugg kooperiert werden, welches derzeit schon ein Webportal zur individuellen Buchung einer Vorführung in den Vereinigten Staaten betreibt („tugg – Bring Your Favorite Movies to the Big Screen“ 2017).

Eine weitere Stufe wäre das Schaffen eines Produktes zum Heimentertainment beim Kunden. Dazu würde eine Streaming-Plattform geschaffen, auf der gezielt unabhängige Produktionen vermarktet werden, wobei auf die Erfahrungen aus den Kinovorführungen aufgebaut werden könnte. Ein solches Projekt ist jüngst mit Pantaflix entstanden, einem Anbieter, der Filmproduzenten die Selbstvermarktung an den Endkunden erlaubt („Pantaflix“ 2017). Pantaflix wird dabei von der Produktionsfirma Panteleon Entertainment betrieben, die vom erfolgreichen deutschen Schauspieler Matthias Schweighöfer mitgegründet wurde. Ein ähnliches Produkt bzw. eine Partnerschaft mit Pantaflix hätte neben dem Umsatzpotenzial auch noch den Vorteil, dass die Marke ARRI präsenter und bedeutender wird. Außerdem könnte ARRI indirekt profitieren, wenn unabhängige Filmschaffende ihre Filme erfolgreich vermarkten und es sich dadurch leisten können, die Kameratechnik von ARRI zu verwenden.

8 Fazit

Diese Fallstudie hat aufgezeigt, dass durch die digitale Transformation der Filmdistribution enormes Potenzial für ARRI Media besteht und dass das Kinoerlebnis durch die größere Angebotsvielfalt mit Long-Tail-Filmen und alternativem Content revolutioniert werden könnte.

Die Filmbranche durchlief in der Vergangenheit schon viele große Veränderungen, die hauptsächlich auf den technischen Fortschritt zurückzuführen sind. Auch in diesem Fall würden durch den deutschlandweiten Breitbandausbau mit garantierten 200 Mbit/s große technische Veränderungen auf die Kinobranche zukommen mit dem Unterschied, dass die Veränderung nicht technischer, sondern durch die Angebotserweiterung wirtschaftlicher Natur ist.

ARRI ist heute bereits Marktführer in der Filmdistribution, besitzt durch das Fusion Network einen einzigartigen Informationsschatz über die Kinos und bietet Verleihern eine unkomplizierte Möglichkeit, ihre Aktivitäten zu verwalten. Daher ist die Bindung zu beiden Akteuren heute schon sehr stark und bietet folglich die Möglichkeit, darauf aufzubauen. Allerdings gilt es, diese guten Voraussetzungen zu nutzen, bevor andere Marktteilnehmer die aktuell starke Position von ARRI Media übernehmen könnten.

Heutzutage findet die Filmdistribution hauptsächlich über den Versand von Festplatten statt, die das DCP enthalten, was im niedrigen Preis für das Kopieren und Versenden einer Festplatte und dem relativ hohen Preis der eDelivery-Lösung begründet liegt. Außerdem ist der Breitbandausbau in Deutschland noch nicht so weit fortgeschritten, dass ein Film in geforderter Zeit zuverlässig versendet werden kann. Obwohl mit eDelivery eine deutlich bessere und vor allem bequemere Lösung vorliegt, sind aktuell die Hürden noch zu groß. Allerdings wird es nur eine Frage der Zeit sein, bis sich eDelivery durchsetzt.

Der Kinomarkt durchläuft derzeit eine Schrumpfungsphase, ausgelöst durch starken Kostendruck und Besucherzahlrückgang, die früher oder später vor allem für kleine Kinos zur Bedrohung werden kann. Ein Ausweg aus diesem Teufelskreis könnte ein durch Investitionen getriebener Veränderungsprozess sein. Dabei würden sich teilweise Aufgabengebiete der Filmverleiher zu den Kinobetreibern verlagern.

Die Handlungsempfehlung, die das Team ableitet, beinhaltet die Ausweitung des ARRI Fusion Networks zu einer zentralen Plattform und die Integration in die TMS der Kinos. Dadurch würde ARRI seine Bedeutung im Kinomarkt deutlich stärken. Durch die Integration der Plattform in die TMS würde den Kinobetreibern eine einfache und übersichtliche Möglichkeit zur Programmauswahl offenstehen und zudem die Belieferung durch eDelivery vereinfacht. Mit der Weiterentwicklung des Fusion Networks auf ein Angebot von Filmen ähnlich dem der Trailer, der Integration von Long-Tail-Filmen und dem Nutzen bestehender Kompetenzen könnte Wert für alle Beteiligten generiert werden. Während Content-Anbieter eine weitreichende Plattform zur Präsentation ihrer Inhalte nutzen können, verfügen Kinobetreiber über ein großes Angebot, das automatisiert in ihre Säle per eDelivery versendet werden kann. Das verbesserte Angebot und die größeren Freiheiten des Kinobetreibers könnten dazu beitragen, dass die Kinobranche einen starken Aufschwung erlebt und ARRI zukünftig aus einer noch stärkeren Marktposition heraus handeln kann.