Zusammenfassung
Die Idee der Exzeptionalität des Islams prägt viele Vorstellungen über den Islam in der Moderne. Bedenken wir aber den Einfluss des Kolonialismus ergibt sich ein anderes Bild. Durch diesen Einfluss in Verbindung mit inneren Veränderungen hat sich die vielgestaltige islamische Moderne herausgebildet. Die transnationalen Bewegungen des zeitgenössischen Islams werden als moderne Ausdrücke der Krisen der Moderne verstanden. Als Kategorie wird die des (Neo-)Fundamentalismus vorgeschlagen.
Access this chapter
Tax calculation will be finalised at checkout
Purchases are for personal use only
Notes
- 1.
An dieser Stelle wird nicht die Problematik des dominanten kolonialen oder postkolonialen Blickes und Handelns diskutiert. Festgehalten sei, dass auch einstmals nicht so starke Kolonialmächte des ‚Westens‘ an diesen Blick- und Handlungsregimes teilhaben – in Abstufungen.
- 2.
Ich schließe mit den Begriffen an den gerade zitierten Aufsatz von Schulze an. Siehe auch Schulze (2002).
- 3.
Durchaus zum Nachteil der einheimischen wie sich z. B. an Südasien aber auch anderswo zeigen lässt (Davis 2004). Aber auch die Hungersnöte des 1. Weltkriegs in Westasien lassen sich als Spätfolge dieser Entwicklung und der Überordnung kolonialer Interessen über die einheimischen lesen.
- 4.
Ein erster Ansatz des Verfassers findet sich in Lohlker (2014).
- 5.
Sie transformieren und werden transformiert.
- 6.
Siehe für einen ersten Ansatz einer solchen Analyse Lohlker (2008, S. 173 ff.).
- 7.
Unter dieser Bezeichnung bekannt und berüchtigt, ist es doch eine intern benutze Selbstbezeichnung. Es gibt auch andere, die hauptsächlich benutzte war schlicht ‚Muslime‘, eben die wahren Muslime, aber auch Salafisten (vgl. Lohlker 2017a, S. 33 f.).
- 8.
Auf der Rückkehr von ihrer Pilgerfahrt nach Mekka machte die Gruppe um Sayyid Ahmed Barelwi im Jemen halt, um bei ‘Ali Shaukani zu studieren. Zu letzterem siehe Haykel (2003).
- 9.
Im Detail zu dieser Entwicklung Green (2011).
- 10.
Dieses Gefühl wurde bereits in den USA der 1940er festgestellt. Siehe Löwenthal (2021). Es ist eher eine Verschärfung eingetreten.
- 11.
Ich entwickele hier meine Gedanken in Lohlker (2004) weiter.
- 12.
Ein bekanntes Beispiel dieser Art von Religiosität dürfte die Osho-Bewegung sein.
- 13.
Für das australische Beispiel siehe (Roose 2016).
- 14.
Der Verfasser dieser Zeilen folgt der Chronologie seines eigenen Experimentierens mit diesen Ausdrücken.
- 15.
Siehe. Die von Martin E. Marty und R. Scott Appleby herausgegebene Buchreihe.
- 16.
Paradigmatisch lässt sich dies bei Nagel (1993) sehen, wo im Anschluss an Nolte einer spezifischen Ideologie-Genealogie gefolgt wird, die an totalitarismustheoretische Vorstellungen anknüpft. Dabei wird der Islam als Ideologie wegen seiner Verankerung im Islam als Religion als hoffnungsloser Fall qualifiziert. Offenkundig liegt hier eine Anknüpfung an europäische Versionen von Ideologien vor, die sich wandelnde Formen von Religiosität lediglich in Assimilation an europäische Vorstellungen vorzustellen vermag. Die Berücksichtigung historischer Kontexte ist dieser Auffassung fremd.
- 17.
Vertieft und komparativer in Roy (2010).
- 18.
Für einen Einblick in die Diskussion siehe Moser (2011).
- 19.
Auch andere neuere Forschungen sprechen davon, dass „das Konzept des Politischen Islam ausgeweitet werden muss, um in angemessener Weise mit neuer politischer Aktivität im Namen des Islam umzugehen, die wenig Ähnlichkeit mit traditionellen islamischen Bewegungen haben.“ (Roose 2016, S. 13; Übersetzung R. L.).
- 20.
Dass z. B die Hizb ut-Tahrir mit dem Begriff Politischer Islam kein Problem hat, verwundert nicht.
- 21.
Siehe als Beispiel die sehr lesenswerte Studie von Wolf (2017).
- 22.
Auch Begriffe wie Extremismus und Exklusivismus (Lohlker, „Excluding the Other“) haben ihre Schwächen, sind aber unter gewissen Umständen brauchbar.
- 23.
Auch die postkoloniale Gesellschaft trägt die Muttermale der kolonialen Gesellschaft (auch in den Metropolen).
- 24.
Siehe zur Analyse Sheikh (2019).
- 25.
Hier ist der Hilfsbegriff tatsächlich schlagend, denn diese verstehen sich in diesem Falle vehement als Vertreterinnen der globalen islamischen Gemeinschaft.
Literatur
Akbarzadeh, S. (2021). Political Islam under the spotlight. In S. Akbarzadeh (Ed.), Routledge handbook of political Islam (pp. 1–10). New York: Routledge.
Asad, T. (2009). Genealogies of Religion: Discipline and Reasons of Power in Christianity and Islam. Baltimore/London: Johns Hopkins University Press.
Ayubi, N. (2002). Politischer Islam: Religion und Politik in der arabischen Welt. Freiburg i. Br.: Herder, (zuerst 1991).
Berque, J. (1967). L’Égypte: Impérialisme et Révolution. Paris: Gallimard, (e-book).
Cesari, J. (2018). What is Political Islam? Boulder/London: Lynne Rienner.
Davis, M. (2004). Die Geburt der Dritten Welt: Hungerkatastrophen und Massenvernichtung im imperialistischen Zeitalter. Berlin u. a.: Assoziation A.
Green, N. (2011). Bombay Islam: The Religious Economy of the West Indian Ocean, 1840–1915. Cambridge u. a.: Cambridge University Press.
Haykel, B. (2003). Revival and Reform in Islam: The Legacy of Muhammad al-Shawkānī Shaukani. Cambridge u. a.: Cambridge University Press.
Kenner, D. & Al-Ahmad, K. (2021). The US-Saudi-Economic Relationship: More than Arms and Oil. Riyadh: King Faisal Center for Research and Islamic Studies.
Lohlker, R. (2004). Islamismus und Globalisierung. In Six, C. u. a. (Hrsg.), Religiöser Fundamentalismus: Vom Kolonialismus zur Globalisierung (S. 117–133). Innsbruck u. a.: Studien Verlag.
Lohlker, R. (2008) Islam: Eine Ideengeschichte, Wien: facultas/wuv.
Lohlker, R. (2014). Salafismus als Teil der Globalgeschichte: Zur systematischen Betrachtung einer neuen religiösen Bewegung. In Schneiders, T. G. (Hrsg.), Salafismus in Deutschland. Ursprünge und Gefahren einer islamisch-fundamentalistischen Bewegung (S. 137–147). Bielefeld: transkript Verlag.
Lohlker, R. (2017a). Die Salafisten: Der Aufstand der Frommen, Saudi-Arabien und der Islam. München: C. H. Beck.
Lohlker R. (2017b). Rewiring the Islamic Net? Creating an Alternative to the Online Propaganda of IS (Islamic State). In Hofkirchner, W. & Burgin, M. (Hrsg.), The Future Information Society: Social and Technological Problems (pp. 307–313). Singapur: World Scientific.
Lohlker, R. (2017c). Excluding the Other: Wahhabism, Salafism, Jihadism, and Political Islam. Totalitarismus und Demokratie 14 (2), 265–289.
Lohlker, R. (2018). Representation with/out Representation: Saudi Arabia as a Hidden Face of Globalization. Interdisciplinary Journal for Religion and Transformation in Contemporary Society 4(2), 110–123.
Lohlker, R. (2019). Politischer Islam: Eine historisch-aktuelle Betrachtung eines Nicht-Begriffes. In IGGÖ (Hrsg.), Politischer Islam: Versuch einer Definition (S. 62–94). Wien: IGGÖ.
Lohlker, R. (2021). Islamic fiqh reconsidered: An Indonesian approach. Interdisciplinary Journal for Religion and Transformation in Contemporary Society 7, 188–208.
Löwenthal, L. (2021). Falsche Propheten: Studien zur faschistischen Agitation. Berlin: Suhrkamp.
Metcalf, B. D. (2009). The Taqwiyyat al-Iman (Support of the Faith) by Shah Isma’il Shahid. In Metcalf, B.D. (Hrsg.), Islam in South Asia in Practice (pp. 201–211). Princeton/Oxford: Princeton University Press.
Moser, P.K. (2011). Religious Exclusivism. In Meister, C. (Hrsg.), The Oxford Handbook of Religious Diversity (S. 77–88). Oxford u. a.: Oxford University Press.
Nagel, T. (1993). Abkehr von Europa: Der ägyptische Literat Ṭāhā Ḥusain (1889–1973) und die Umformung des Islams in eine Ideologie, Zeitschrift der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft 143(2), 383–398.
Nezda, J. (2020). Takfīr im militanten Salafismus: Der Staat als Feind. Leiden/Boston: Brill.
Pearson, H. O. (2008). Islamic Reform and Revival in Nineteenth-century India: The Tariqah-i Muhammadiyah. New Delhi: Yoda Press.
Pernau, M. (2008). Bürger mit Turban: Muslime in Delhi im 19. Jahrhundert. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.
Roose, J. M. (2016). Political Islam and Masculinity: Muslim Men in Australia. New York, NY: Palgrave Macmillan.
Roudometof, V. (2016). Glocalization: A Critical Introduction. New York, NY: Routledge.
Roy, O. (2004). Der islamische Weg nach Westen: Globalisierung, Entwurzelung und Radikalisierung. München: Pantheon.
Roy, O. (2010). Heilige Einfalt: Über die politischen Gefahren entwurzelter Religionen. München: Siedler.
Schulze, R. (1984). Die Politisierung des Islam im 19. Jahrhundert. Die Welt des Islams 22, 103–116.
Schulze, R. (2002). A Modern History of the Islamic World. London/New York: I. B. Tauris.
Sheikh, M. K. (2019). Worldview Analysis. In Juergensmeyer, M. u. a. (Hrsg.), The Oxford Handbook of Global Studies (S. 157–171). Oxford u. a.: Oxford University Press.
Smith, M. (2007). Glocalization. In Ritzer, G. (ed.), The Blackwell Encyclopedia of Sociology (1994–1995). Malden, MA u. a.: Blackwell.
Wahid, A. (ed.) (2011). The Illusion of an Islamic State: how an alliance of oderates launched a successful jihad against radicalization and terrorism in the world’s largest Muslim-majoority country. Jakarta u. a.: LibForAll Foundation Press.
Wolf, A. (2017). Political Islam in Tunisia: The History of Ennahda. Oxford u. a.: Oxford University Press.
Author information
Authors and Affiliations
Corresponding author
Editor information
Editors and Affiliations
Rights and permissions
Copyright information
© 2022 Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature
About this chapter
Cite this chapter
Lohlker, R. (2022). Theorien über ein Phänomen des modernen Islam. In: Ceylan, R., Kiefer, M. (eds) Der islamische Fundamentalismus im 21. Jahrhundert . Islam in der Gesellschaft. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-37486-0_2
Download citation
DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-658-37486-0_2
Published:
Publisher Name: Springer VS, Wiesbaden
Print ISBN: 978-3-658-37485-3
Online ISBN: 978-3-658-37486-0
eBook Packages: Social Science and Law (German Language)