Eingangs wurde mehrfach für eine eigene Studie mit dem Schwerpunkt auf Professionellen und ihren Diskriminierungserfahrungen plädiert. Während vorhandene Studien meist nur randständig Diskriminierungserfahrung behandeln oder nicht differenziert genug an den Forschungsgegenstand herangehen, schließt die eigene Arbeit eine Forschungslücke. Sowohl quantitative als auch qualitative Studien haben mit Ausnahme der Arbeit von Mai (2020) die Zielgruppe der Fachkräfte mit Diskriminierungserfahrung bislang nicht umfassend beachtet. Hinzu kommt, dass grundsätzlich (kontextual) nach Diskriminierungserfahrungen der Betroffenen gefragt wird, ohne dabei eine Prozesshaftigkeit im Umgang mit Diskriminierungserfahrung und den bedingenden Faktoren systematisch auszuarbeiten. Jedoch ist das Wissen darüber, wie Diskriminierung(serfahrung) in ihrer Funktionalität begriffen werden kann, bereichernd und für die praxisbezogene (Weiter-)Entwicklung zielführend. Diskriminierung wird in der vorliegenden Arbeit im Gegensatz zum Begriff des Rassismusʼ als ein Sammelbegriff für verschiedene Ungleichheiten verstanden. Rassismus dagegen stellt eine spezifische Form der Ungleichheit dar. Mit Blick auf das Transformationspotenzial wird inzwischen auf die Definition von Rommelspacher Bezug genommen und Rassismus als ein Bedeutungssystem aufgefasst (vgl. Rommelspacher 2002: 132). Gleichermaßen postuliert Weiß, das Merkmal der Konstruktionsmacht in der Definition von Rassismus stets zu berücksichtigen, damit eine breite Analyse der gesamtgesellschaftlichen Strukturen möglich ist (vgl. Weiß 2013: 30). Erst durch diese Betrachtungsweise von Rassismus konnte ein Perspektivenwechsel mit Blick auf Fachkräfte der Sozialen Arbeit vorgenommen werden. Gleichzeitig ist eine Freisprechung der Fachkräfte von der Eigenbeteiligung an rassistisch reproduzierenden Akten nicht länger möglich. Ihre sozialarbeiterische Haltung möchte zwar diskriminierender Ungleichheit entgegentreten, bedarf jedoch eines Einblicks über die eigenen Verstrickungen im professionellen Kontext. Handlungsfelder der Sozialen Arbeit bleiben weiterhin innerhalb der gesellschaftlichen Verhältnisse verhaftet (vgl. Linnemann/Ronacher 2018: 91), die rassistisch gedeutet werden.

In Abschnitt 3.1.3 wurden die Begriffe ‚Diskriminierungs- und Rassismuserfahrung‘ terminologisch diskutiert. Es handelt sich hierbei um Prozesse, die subjektiv-interpretativ erfolgen (vgl. El-Mafaalani et al. 2017: 280). Die Außerperspektive, ob die Erfahrung gerechtfertigt sei oder nicht, ist zunächst irrelevant (vgl. Scharathow 2014: 440; Scherr/Breit 2020: 37). Hierbei spielt der Deutungsrahmen der Betroffenen eine bedeutende Rolle, da thematisches Wissen, Vorerfahrungen und Sozialisierungsprozesse den Deutungsrahmen prägen. Sollen Diskriminierungserfahrungen greifbar gemacht werden, müssen sozial-strukturelle Kontexte in Interpretationsprozessen mitberücksichtigt werden (vgl. Scherr/Breit 2020: 47 f.). Während in dieser Arbeit für die Begriffsbestimmung von Rassismuserfahrung auf den Vorschlag von Scharathow Bezug genommen wird, werden gleichzeitig neue Forderungen bzw. Erweiterungsperspektiven unterbreitet. Scharathow begreift Rassismuserfahrung als subjektives Erleben, in dem die Erfahrenen sich wiederkehrend mit rassistischen Diskursen und Praktiken auseinandersetzen müssen. Dabei setzt Scharathow an die Bedeutungen der Erfahrenen an und schreibt zunächst allen Menschen Rassismuserfahrungen zu, um erst im weiteren Verlauf eine Unterscheidung zwischen den Erfahrenen zu machen. Im Gegensatz dazu plädiere ich für eine Unterscheidung bereits im Voraus, sodass Rassismuserfahrungen nur den Menschen zugestanden wird, die eine benachteiligendeFootnote 1 Ausgrenzungserfahrung machen. Durch die sprachliche Differenzierung ist mit der Verwendung des Begriffs ‚Rassismuserfahrung‘ erkenntlich, welche soziale Gruppe dadurch adressiert wird. Sprachlich wird eine gesonderte Gewichtung der Deutung der Erfahrenen zum Ausdruck gebracht. Gleichzeitig wird der relativierenden Wirkung des Erfahrungswerts, dass alle Menschen Rassismuserfahrung machen, entgegengewirkt. Ebenso wird eine analytische Trennschärfe zwischen den Erfahrungsräumen der sozialen Gruppe vorgenommen. Letztendlich ist es eine wesentliche Freiheit der privilegierten sozialen Gruppe, dass sie sich entscheiden kann, wann und inwieweit sie sich mit Rassismus auseinandersetzen möchte oder nicht. Eine sprachlich differenzierte Betrachtungsweise von Rassismuserfahrung würde all diese genannten Aspekte berücksichtigen.Footnote 2

Die Herausforderungen aus dem fiktiven Beispiel aus der Einleitung, die bei der Thematisierung von Diskriminierungserfahrungen aufkommen, konnten in ihren facettenreichen Merkmalen sowohl theoriegeleitet als auch empirisch aufgezeigt werden. Religionsbezogene Diskriminierung wird in Form von verbaler und körperlicher Gewalt erfahren. Diese Annahme wird auch in Kapitel 7 in der Rekonstruktion der Diskriminierungserfahrung der Befragten bekräftigt. Das Kopftuchtragen signalisiert die Religionszugehörigkeit, sodass dies die Ausgangslage religiöser Diskriminierung darstellt. Muslimische Frauen mit Kopftuch sind daher als eine vulnerable Gruppe im Zusammenhang mit Diskriminierung zu bewerten. Gleichzeitig konnte belegt werden, dass Schwarze Musliminnen ebenfalls mit besonderen Erfahrungen konfrontiert sind. Im Gegensatz zum Kopftuch kann dieses Merkmal nicht unsichtbar gemacht werden. Dadurch unterschied sich der Erfahrungsraum dieser Frauen und ist nicht gleichzusetzen mit den Erfahrungen anderer. Hier erwies sich das Konzept der Intersektionalität als ergiebig. Ein eindimensionaler Bezugsrahmen, der sogenannte single-issue-framework, hätte soziale Kategorien als für sich alleinstehende Kategorien erfasst. Erfahrungsrealitäten sozialer Gruppen, in denen mehrere Kategorien zusammenwirken und ineinandergreifen, hätten nicht sichtbar gemacht und für andere offengelegt werden können. Um eine einseitige Betrachtungsweise aufzuheben, ist der Aufforderung von Lutz et al. nachzukommen, die dafür plädieren, sowohl benachteiligende als auch privilegierende Auswirkungen in der Untersuchung von Ungleichheitsdimensionen stets zu beachten (vgl. Lutz et al. 2013: 23).

Im Zusammenhang mit Intersektionalität ist vor Augen zu führen, dass Differenzordnungen die Sozialisation von Gesellschaften beeinflussen. Mit Blick auf antimuslimischen Rassismus verschränken sich in dieser Ungleichheitsform gleich mehrere Kategorien miteinander. Insbesondere muslimische Frauen erfahren dadurch Ausgrenzungserfahrungen in Bezug auf Gleichstellung und Gleichberechtigung. Hinzu kommt, dass muslimische Frauen mit Migrationsgeschichte häufig prekären Lebensverhältnissen ausgesetzt sind (vgl. Rommelspacher 2009: 401). Dies hat zur Folge, dass ihr Handlungsspielraum, in Ungleichheitssituationen entsprechend zu handeln, stark beeinflusst wird, wie anhand der Ergebnisse ebenfalls dargelegt wurde. Der angeführte Aspekt gilt nicht nur für die Reaktion auf diskriminierende Handlungen, sondern auch für die Umgangsweise mit der gemachten Erfahrung. Darüber hinaus bewegen sich muslimische Frauen zwischen zwei kontrastierenden Stereotypen – der Viktimisierung und der Dämonisierung (vgl. Shooman 2014: 98) –, die in einigen Fällen zusammenlaufen können. Dabei wird vor allem das Kopftuch in diskriminierenden Handlungen als Ausgangspunkt genommen. So bleiben kopftuchtragende Frauen als sichtbare Musliminnen einer größeren Gefahr der Diskriminierungserfahrung ausgesetzt. Ein weiteres zentrales Ergebnis, mit dem auch die Wichtigkeit von intersektionalen Analysen erneut unterstrichen werden kann, ist, die Erarbeitung der Analysekategorie Mutter.Footnote 3 Damit wird ein soziales Konstrukt beschrieben, mit dem die rassistisch strukturierte Wahrnehmung von Müttern und ihr Umgang analysiert wird. Frauen, die als Mutter wahrgenommen werden, sind besonderen Ausgrenzungserfahrungen ausgesetzt. Mithilfe der Kategorie Mutter können vorhandene Geschlechterfragen kritisch hinterfragt werden, aber ebenso weitere Machtverhältnisse in diesem Zuge identifiziert werden.

In Kapitel 4 wurden die Theorien der selbsterfüllenden Prophezeiung nach Merton, Lebensbewältigung nach Böhnisch und Stigmabewältigung nach Goffman kurz vorgestellt. Sie wurden für die vorliegende Arbeit limitiert hinzugezogen, um sie teilweise auf Diskriminierungserfahrung zu übertragen. Es konnte herausgearbeitet werden, dass zur Erklärung von Diskriminierungserfahrung die Theorie nach Goffman am geeignetsten ist. Die Theorie nach Merton bezieht sich vor allem auf faktische Ist-Zustände, und dies zu stark, um sie grundsätzlich anwenden zu können. Das stellt für das Verständnis von Diskriminierungserfahrung grundsätzlich ein Problem dar, da die Außenperspektive und die Frage anderer, ob es sich hierbei tatsächlich um eine Diskriminierung gehandelt habe oder nicht, unbedeutend ist (vgl. Scherr/Breit 2020: 37). Zudem lässt die Theorie nur wenig Einblicke in eine Prozesshaftigkeit von Diskriminierungserfahrung zu. Einen Kritikpunkt an den theoretischen Überlegungen von Böhnisch stellt die kritische Lebenskonstellation dar. Mit Blick auf Alltagsdiskriminierung gilt nicht jede Diskriminierung als eine kritische Lebenskonstellation. Allerdings muss ich an dieser Stelle hinzufügen, dass die Überlegung von Böhnisch, dann von kritischen Lebenskonstellationen zu sprechen, sobald die bisherigen Ressourcen für die Betroffenen nicht ausreichen, einen guten Ansatz für weiterführende Forschung bietet. Somit kann der Frage nachgegangen werden, zu welchen Zeitpunkten die Ressourcenknappheit bei die*den Befragten einen Einflussfaktor bei der Reaktionsauswahl oder Umgangsweise darstellte. Es ist weiterhin zu fragen, von welchen Ressourcen genau gesprochen wird. Am Beispiel von MalalaFootnote 4 konnte bereits herausgearbeitet werden, dass prekäre Verhältnisse zu Handlungseinschränkungen führen. Diese wurden ausgehend von sozialen Merkmalen begründet. Es kann daher gesagt werden, dass soziale Merkmale eng mit Ressourcenzugang zusammenhängen. Eine gesonderte Untersuchung hierzu würde mehr Aufschluss geben. Nicht unerwähnt bleiben darf die Arbeit von Goffman. Der Soziologe formulierte zwar Techniken für den Umgang mit Stigma, die ausschließlich allgemein formuliert wurden, diese stehen jedoch kontextunabhängig für sich und weisen keine Systematik auf. Aus den bisher genannten Kritikpunkten der Theorien wird die Notwendigkeit einer eigenen Theoriebildung zu Diskriminierungserfahrung abgeleitet und legitimiert.

Die Ergebnisse dieser Arbeit lassen sich in dem gegenstandsverankerten Theoriemodell der Schützenden Bewältigung zusammenführen. Das Phänomen der Schützenden Bewältigung kann als das Bedürfnis der Diskriminierten verstanden werden, sowohl in der Interaktion zu Diskriminierenden als auch im Umgang mit der gemachten Diskriminierungserfahrung zu versuchen, Dinge zu (be)schützen. Darunter fasse ich die eigene Person (physisch und psychisch), andere Personen und immaterielle Dinge auf.Footnote 5 Schützende Bewältigung ist nicht voraussetzungslos bei jedem Menschen vorhanden, sondern wird mit den diskriminierenden Erfahrungen generiert und fortlaufend weiterentwickelt. Dem Phänomen liegt jeweils eine individuelle Bedeutung von Schutz zugrunde. Insbesondere die methodologischen Vorgehensweisen der Grounded Theory waren eine analytische Hilfe zur Ermittlung der Ergebnisse. Die eingangs vorgestellten Forschungsfragen dieser Arbeit – nur zur Erinnerung – lauteten wie folgt:

  • Wie wird in den Diskriminierungssituationen unmittelbar reagiert?

  • Unter welchen Bedingungen wird sich für eine unmittelbare Reaktionsform entschieden?

  • Welche Handlungsmuster werden von den Betroffenen benannt, die zur Bewältigung der gemachten Erfahrung dienen?

  • In welchem Zusammenhang stehen Diskriminierungserfahrungen und der sozialarbeiterische Arbeitskontext?

Das Theoriemodell der Schützenden Bewältigung lässt sich in die drei zirkulären Phasen Situationsanalyse, unmittelbare Reaktion und Schutz und Stärkung unterteilen und ist in eine emotionale und diskursive Rahmung eingebettet. Mit ‚Emotionen‘ sind die Gefühle der Betroffenen angesprochen, die sowohl in den diskriminierenden Situationen als auch in der Verarbeitung der gemachten Erfahrung empfunden werden. Zudem haben gesellschaftspolitische Ereignisse, die den Diskurs um spezifische Thematiken wie Rassismus beeinflussen, Auswirkungen auf Diskriminierungserfahrung und ihr Umgang damit. Beide Aspekte erlangen eine Bedeutung und sind im gesamten Verlauf des Phasenmodells wiederzufinden, weshalb sie als Rahmung eingearbeitet wurden. Das Theoriemodell umfasst sowohl situative Reaktionstypen, die unmittelbare Reaktionsformen umschreiben, als auch Bedingungen, die die soziale Situation beeinflussen und somit die Auswahl der Reaktionen damit begründen lassen. Dabei beschreiben die einzelnen Reaktionstypen keine exakte Verhaltensform, sondern ein gewisses Spektrum, in dem sich die Betroffenen bewegen. Die Einordnung der Ausprägungen finden daher jeweils in einem Kontinuum statt. Zu den Ausprägungen zählen (1) physische Präsenz in der jeweiligen Situation, (2) die Intensität der Interaktion, die ausgehend vom Betroffenen zur*zum Diskriminierten vorgenommen wird, (3) die Intervention, also inwieweit bezugnehmend auf die diskriminierende Handlung eingegangen wird und (4) die Kommunikationsform, wobei zwischen verbaler und non-verbaler Kommunikation unterschieden wird. Insgesamt konnten drei Reaktionstypen ausgearbeitet werden, die anhand der Handlungsmuster der Betroffenen erarbeitet wurden. Es wird zwischen aktiv-handelnden, passiv-zurückhaltenden und distanzierenden Reaktionstypen unterschieden.Footnote 6 Die Reaktionstypen entsprechen keiner personengebundenen, sondern einer situationsbezogenen Einteilung. Mit dieser Logik wird auf die Komplexität sozialer Wirklichkeiten und ihr strukturelles Zusammenwirken reagiert. Durch die Identifizierung der Reaktionsmuster und die typologische Ausarbeitung wird die Frage beantwortet, wie auf Diskriminierungserfahrungen unmittelbar reagiert wird. Die hier ermittelten Ergebnisse der Reaktionstypen lassen sich an die Ergebnisse der Untersuchung von Scherr/Breit (2020) anknüpfen und dadurch validieren. Das soll noch lange nicht heißen, dass hierzu bereits alles gesagt wurde, im Gegenteil. Was meine Arbeit anbelangt, sollte das Theoriemodell in andere Forschungsbereiche übertragen und entsprechend modifiziert werden. Auf diese Weise können wesentliche Aspekte allgemein gültig ausgearbeitet werden, wohingegen andere einzelne Aspekte themenspezifisch den einzelnen Bereichen zugeteilt werden können. Ein Beispiel hierzu ist das Professionsverhältnis, das primär die Beziehung zwischen Sozialarbeitenden und Klientel beschreibt. Inwieweit lässt sich dieses Verhältnis auf andere Professionen übertragen? Eine Limitation meiner Arbeit, die sich daraus ergibt, ist die Zielgruppeneingrenzung: Muslimische Frauen aus der Sozialen Arbeit repräsentieren eine relativ homogene Gruppe. Einen Vorteil sehe ich dennoch in meiner Forschungsfrage, da ich Diskriminierungserfahrungen aus allen Lebensbereichen betrachte. Nichtsdestotrotz muss diese Schwäche (die Limitation der Zielgruppe) der Arbeit auf den Prüfstand gestellt werden, um die Annahme, dass die Ergebnisse allgemein auf weitere Personengruppen mit Diskriminierungserfahrung übertragbar sind, empirisch zu belegen. Das Theoriemodell legt somit einen ersten Grundstock für eine systematische Untersuchung von Diskriminierungserfahrung.

Die Ausarbeitung von Bedingungen ermöglicht es, Diskriminierungssituationen nicht vereinfacht zu betrachten. Soziale Wirklichkeiten sind komplex und bedürfen daher eines umfassenderen Ansatzes der Betrachtung, um möglichst mehrere Ebenen der Situationseinflüsse in die Bewertung miteinzubeziehen. Die sozialen, äußeren und subjektbezogenen BedingungenFootnote 7 dürfen nicht als abschließende Kategorien erachtet werden. Sie sind lediglich erste Erkenntniskategorien, die sich im Zuge meiner Arbeit festhalten lassen. Durch weitere Untersuchungen, die sich explizit mit den Bedingungen diskriminierender Situationen befassen, muss analysiert werden, ob die Bedingungen spezifiziert bzw. erweitert werden können. Die hier ausgewiesenen Bedingungskategorien sind erste Antwortmöglichkeiten auf die Frage, unter welchen Bedingungen sich für eine unmittelbare Reaktionsform entschieden wird. Dabei fasst die soziale Bedingungskategorie das Verhältnis zwischen Diskriminierenden und Diskriminierten zusammen. Durch die Festlegung des Verhältnisses werden Rollenerwartungen miterfasst und mögliche Machtverhältnisse mit in den Blick genommen. Es wird hierbei zwischen Bekanntheits-, Professions- und Abhängigkeitsverhältnis unterschieden.Footnote 8 Unter dem Punkt ‚äußere Bedingungen‘ werden die Eigenschaften ‚Gefahren/Konsequenzen‘ und ‚Raum‘ als Bedingungen für die Reaktionsauswahl aufgeführt. Während die Aspekte unter ‚Gefahren/Konsequenzen‘ die Abwägung möglicher Risiken vornehmen, stellt der ‚Raum‘ – der hier relational begriffen wird – entweder einschränkende oder optionserweiternde Möglichkeiten für die Reaktionsauswahl dar.Footnote 9 Zuletzt sind die subjektbezogenen Bedingungen zu erwähnen, die primär soziale Merkmale einer Person wie Geschlecht, Alter, Hautfarbe etc., als Einflussfaktoren mit einkalkulieren. Hierzu zählt auch die Sprachmächtigkeit der Betroffenen. Neben der Fähigkeit, sich sprachlich zu verständigen, schließe ich ebenfalls das Wissen über eine bestimmte Thematik in diesen Bedingungsaspekt mit ein.Footnote 10 All die genannten Bedingungen beeinflussen die Auswahl der Reaktionen von Betroffenen in diskriminierenden Situationen.

Die Teilfrage, welche Handlungsmuster von den Betroffenen benannt werden, die zur Bewältigung der gemachten Erfahrung dienen, kann mit den erarbeiteten Umgangsformen beantwortet werden.Footnote 11 Hierzu zählt erstens das Sharing, wobei es in erster Linie darum geht, die gemachte Diskriminierungserfahrung mit weiteren Personen kommunikativ zu teilen. Zweitens gibt es die Umgangsform des Proving, die zielorientierte Handlungen generiert, um Zuschreibungen von sich zu weisen. Ziel dabei ist es, das Gegenteilige von dem, was in der diskriminierenden Handlung der Betroffenen zugeschrieben wird, zu beweisen. Beim Testing – drittens – werden vorbereitend Handlungsstrategien für die Reaktion auf künftige Diskriminierungen zurechtgelegt. Zu guter Letzt gibt es viertens die Umgangsform des Pre-Reducing. Das ist die einzige Umgangsform, die die Absicht hat, Diskriminierungen gar nicht erst entstehen zu lassen, indem bestimmte Verhaltensweisen ausgeführt werden. Hierzu zählt etwa das Ablegen des Kopftuchs oder das Vermeiden von ausgewählten Orten, wo Diskriminierung erwartet wird. Sowohl die Reaktionsauswahl als auch die Umgangsweise mit der gemachten Erfahrung wird unter Anbetracht des Phänomens der Schützenden Bewältigung vorgenommen. Aus diesem Grund bildet das Phänomen der Schützenden Bewältigung das zentrale Kernstück des Theoriemodells.

Nun möchte ich auf die Teilfrage, die nach dem Zusammenhang zwischen Diskriminierungserfahrung und dem sozialarbeiterischen Arbeitskontext fragt, zu sprechen kommen. Es konnte dargelegt werden, dass die Befragten auf Wissensbestände aus unterschiedlichen Erfahrungsräumen innerhalb und außerhalb des Arbeitskontextes zurückgreifen und sie in ihrem Handeln zusammenführen. Somit werden Handlungsweisen aus der Arbeitswelt für den Umgang mit Diskriminierungserfahrungen, die außerhalb des Arbeitskontextes gemacht wurden, angewendet. Das gleiche gilt für entsprechende Erfahrungswerte, die außerhalb des Arbeitskontextes entstehen, jedoch für den Arbeitsbereich nützlich gemacht werden. Somit ist die Frage dahingehend zu beantworten, dass es einen ergänzenden Zusammenhang zwischen Diskriminierungserfahrungen und dem sozialarbeiterischen Arbeitskontext gibt. Dabei sehen die Betroffenen zum einen Inhalte aus ihrer Profession und zum anderen die Erfahrungen, die sie aus ihrer gesellschaftlichen Positionierung heraus machen, als Ressourcen an. Insgesamt kann gesagt werden, dass Diskriminierungserfahrungen grundsätzlich eine bedeutende Rolle für muslimische Frauen spielen, die im sozialarbeiterischen Kontext tätig sind, da sie einerseits als muslimische Frau und andererseits als Fachkraft Diskriminierungserfahrungen machen.

Grundsätzlich ist zu meinem Theoriemodell der Schützenden Bewältigung zu sagen, dass es sich hier um einen ersten Aufschlag handelt, der zu einem Perspektivenwechsel anregt. Einen Vorteil sehe ich weiterhin darin, dass sowohl einzelne Handlungen mit dem Theoriemodell erläutert als auch größere Zusammenhänge herausgearbeitet werden können.

8.1 Forschungsdesiderate

Die empirische Arbeit weist neben ihren Ergebnissen Anknüpfungsmöglichkeiten für weiterführende Forschungen auf. Es steht außer Frage, dass es weiterer Untersuchungen bedarf, um den Forschungsgegenstand ‚Diskriminierungserfahrung‘ umfänglich und vor allem in seiner (Weiter-)Entwicklung empirisch zu erfassen. Da bislang der Themenbereich der Diskriminierungserfahrung grundsätzlich wenig erforscht wurde, ist der Ansatz einer qualitativ-rekonstruktiven Vorgehensweise notwendig. Nichtsdestotrotz lassen sich nun in einem zweiten Schritt die Häufigkeit des Auftretens der Reaktionstypen und Umgangsweisen quantifizieren. Anhand der Zahlen und weiteren Variablen besteht die Möglichkeit, Korrelationen ausfindig zu machen. Während eine qualitative Analyse nur bedingt Aussagen über (kausale) Zusammenhänge zulässt, kann mithilfe quantitativer Forschung hypothesenprüfend dahingehend gearbeitet werden. Insgesamt kann die Überführung der Erkenntnisse der hier vorliegenden qualitativen Arbeit in ein quantitatives Forschungsdesign als gewinnbringend erachtet werden. Dadurch können die Ergebnisse entweder verifiziert oder erweitert werden. Es können ebenso Widersprüche identifiziert werden, woraufhin forschungsprozessorientiert reagiert werden muss. Es muss begründet werden, weshalb diese Widersprüche entstehen und wie die ermittelten Anschlussergebnisse einzuordnen sind. Das rekonstruktive Verfahren in meiner Arbeit hat wesentliche Anhaltspunkte für ein standardisiertes Verfahren generiert.

Eine einschränkende Sichtweise auf Diskriminierungserfahrung ist dadurch gegeben, dass ich mich in meiner Untersuchung ausschließlich auf face-to-face-Situationen konzentriert habe. Interaktionen zwischen Menschen sind aufgrund der Digitalisierung aber nun auch in virtuellen Räumen möglich. Es ist daher zu untersuchen, inwieweit sich die Bedingungen für die Reaktionsauswahl in dieser Hinsicht verändern. Eine weitere Frage in diesem Zusammenhang wäre, inwieweit sich die Reaktionsauswahl in face-to-face-Situationen im Vergleich zu virtuellen Räumen unterscheiden. Eine erste Überlegung von mir ist, dass die Bedingungskategorie äußere Bedingungen mit dem Merkmal Raum eine zentrale Rolle spielt, wobei sich für die Betroffenen optionserweiternde Möglichkeiten der Reaktion auf die diskriminierende Handlung ergeben. Diese Annahme muss jedoch empirisch überprüft werden. Mit diesen und weiteren Erkenntnissen zu virtuellen Räumen besteht die Möglichkeit, das Theoriemodell der Schützenden Bewältigung entsprechend zu modifizieren. Außerdem kann die Umgangsweise des Sharings in virtuellen Räumen kontextualisiert werden. Wird das Sharing in virtuellen Räumen in einer anderen Form vorgenommen? Welche Vor- und/oder Nachteile stellt die Möglichkeit des Archivierens von Chats oder Posting-Inhalten in sozialen Medien für das Sharing dar? Zudem ist zu berücksichtigen, dass die Umgangsweise des Sharings in weitere Unterformen zu unterteilen ist. Es wäre daher aufschlussreich zu erfahren, unter welchen Umständen sich für die jeweilige Variante Teilen, Mitgeben und MeldenFootnote 12 entschieden wird. Dadurch können die einzelnen Varianten des Sharings differenzierter betrachtet werden. Auf eine ähnliche Art und Weise können weitere Umgangsformen in virtuellen Räumen genauer untersucht werden. Die Erarbeitung von Gemeinsamkeiten, Ähnlichkeiten und Unterschieden der Reaktionsauswahl und der Umgangsweisen zwischen face-to-face-Situationen und virtuellen Räumen führt zu einer Spezifizierung der Merkmale und Eigenschaften der einzelnen Aspekte.

Aus den bisher genannten Gründen – muslimische Frauen bringen eine besondere Vulnerabilität mit sich – entschied ich mich dazu, ausschließlich weibliche Personen in meine Untersuchungskohorte aufzunehmen. Daraus ergibt sich weiterhin die Frage, wie männliche Muslime (in der Sozialen Arbeit) mit Diskriminierungserfahrung umgehen. Insbesondere wäre es interessant, zu untersuchen, wie muslimische, männliche Fachkräfte wahrgenommen werden und welche Zuschreibungen sie erfahren in Anbetracht des Phänomens der rassifizierten Wahrnehmung von Professionellen. In Abschnitt 7.2.1 wurde dargelegt, dass Fachkräfte of Colour im Vergleich zu weißen Fachkräften bestimmte Fremdzuschreibungen erfahren und der Herausforderung ausgesetzt sind, sich in verschiedenen Arbeitskontexten zuerst als fachlich-kompetent beweisen zu müssen. Welche Rolle spielt hierbei explizit das Geschlecht? Unterscheiden sich die Zuschreibungen zwischen weiblichen und männlichen Fachkräften of Colour?Footnote 13 Eine genderbezogene Untersuchung würde mehr über die Vorgänge der Stereotypisierung entfalten und gleichzeitig die unterschiedlichen Herausforderungen, mit denen sich die Fachkräfte auseinandersetzen müssen, aufzeigen. In gleicher Weise sind alle diese Fragen etwa zu Reaktionsauswahl und Umgangsweisen denjenigen Personen zu stellen, die keine Muslim*innen sind, jedoch als vermeintliche Muslim*innen wahrgenommen werden. Unterscheidet sich ihr Umgang mit den gemachten Erfahrungen zu den ‚tatsächlichen Muslim*innen‘? Spielt die tatsächliche Religionszugehörigkeit eine zentrale Rolle im Theoriemodell der Schützenden Bewältigung?

In Bezug auf das Phänomen der Schützenden Bewältigung wären einige weitere Aspekte genauer zu betrachten. In meiner Untersuchung gab es nur einen Interviewausschnitt, in dem eine Person versucht hatte, im Rahmen ihrer Reaktionsauswahl eine andere Person, die nicht in der beschriebenen Situation anwesend war, zu schützen. Es bedarf hierzu konkreter Forschungen, die diesen Aspekt mehr in den Fokus nehmen. Vor allem ist dabei die Frage zu stellen, ob die Anwesenheit bzw. Nicht-Anwesenheit als eine Bedingung für die Reaktionsauswahl fungiert. Nicht zuletzt ist zu hinterfragen, wann eine Prioritätsverschiebung vorgenommen wird, wenn eine Person immer wieder erneut diskriminiert wird oder eine spezifische diskriminierende Handlung (bspw. die Frage „Woher kommst du?“) von verschiedenen Personen wiederholt erfolgt. Mit der Prioritätsverschiebung wird die Neubewertung des ‚Dings‘ unter veränderten Bedingungen bezeichnet. Es kann dabei sein, dass das ‚Ding‘, das zu Beginn geschützt werden sollte, aufgrund der veränderten Ausgangslage nicht mehr dasselbe ist. Alle weiteren Handlungen werden auf das neue ‚Ding‘, das im Rahmen der Schützenden Bewältigung geschützt werden soll, abgestimmt.

Einen weiteren Punkt stellt das Professionsverhältnis dar, das in der Kategorie der sozialen Bedingungen aufgeführt wird. Meine Untersuchung hat sich ausschließlich auf die Soziale Arbeit als Profession bezogen. Somit muss der Frage nachgegangen werden, inwieweit sich das Professionsverhältnis auf andere Berufe tatsächlich übertragen lässt. Es sollte dabei beachtet werden, welche weiteren Bedingungen in die diskriminierende Situation hineinwirken, die aus dem Berufsverhältnis hervorgehen. Eine mögliche Annahme wäre hierbei, dass Tätigkeiten etwa aus der Selbstständigkeit andere Voraussetzungen mit sich bringen, sobald Betroffene unabhängig von ihren Kund*innen und nicht auf jeden Auftrag angewiesen sind. Auch wenn hierzu neue Erkenntnisse erzielt werden, bleibt das Professionsverhältnis weiterhin Bestandteil der sozialen Bedingung. Es muss hier geschaut werden, ob grundsätzliche soziale Regeln formuliert werden können, die anhand dessen eine Einordnung spezifischer vornehmen lassen. So wie hier am Beispiel des Professionsverhältnisses kann jeder einzelne Aspekt aus dem Theoriemodell fokussierter untersucht werden. Sie stellen alle Anknüpfungsmöglichkeiten für weiterführende Forschungen dar.

Zum Schluss möchte ich einen methodischen Aspekt meiner Untersuchung als Kritikpunkt aufgreifen. Aufgrund der Entwicklungen der Pandemie musste ich kurzfristig auf alternative Erhebungsmethoden zurückgreifen, die die Daten unter Umständen beeinflusst haben. Auch wenn ich mit großer Sorgfalt versucht habe, die Methoden in ihren Stärken, Schwächen und Einflüssen zu reflektieren, erachte ich es als sinnvoll, das erarbeitete Theoriemodell der Schützenden Bewältigung mit weiteren einheitlichen Verfahren zu prüfen. Es ist nicht zu unterschätzen, welche Auswirkungen die Covid-19-Situation auf die gesamte Sozialforschung hat. Die Alternativmethoden, die im Rahmen dieser Erhebung zum Einsatz kamen, entsprachen nicht in erster Linie der Forschungsfrage und konnten somit dem Forschungsgegenstand nicht umfassend gerecht werden. Außerdem ist vor Augen zu führen, dass nicht nur ich mich in einer Umbruchslage durch die Pandemie befand, sondern auch die Befragten in dieser Untersuchung. Aufgrund der Ausgangslage habe ich wiederkehrend die Dichte und Sättigung der Daten kritisch hinterfragt und appelliere an die weiterführende Forschung, bei der Einordnung meiner Ergebnisse den Einfluss der Pandemie stets im Blick zu haben.

8.2 Schlussbetrachtung

Eine von vielen sozialarbeiterischen Verantwortungen könnte sein, jeder Form der Unrechtserfahrung entgegenzutreten. Diesem Auftrag können Fachkräfte der Sozialen Arbeit nur nachkommen, wenn sie die Verhältnisse und Zusammenhänge von Unrechtserfahrungen umfassend begreifen. Hierzu zählen auch die Funktionen, Auswirkungen und Erscheinungsformen von Diskriminierung und Rassismus, die sich wiederum in Erfahrungen von Betroffenen niederschlagen. Das Theoriemodell der Schützenden Bewältigung stellt ein Erklärungsmodell dar, Diskriminierungserfahrung in ihrer Systematik zu verstehen. Nicht nur Fachkräfte, sondern auch die Betroffenen selbst können sich mithilfe des Theoriemodells die Reaktionsauswahl in diskriminierenden Situationen erklären. Hierzu zählt ebenso die Umgangsweise mit den gemachten Erfahrungen. Mit diesem Wissen können Zielgruppen mit Diskriminierungserfahrung bewusster gestärkt werden. Ihr Verhalten und ihre Handlungsfähigkeit erlangen durch das Phänomen der Schützenden Bewältigung eine besondere Bedeutung. Darunter sehe ich insbesondere die Umdeutung von Nicht-Handlungen von Betroffenen als einen entscheidenden Perspektivenwechsel. Nicht-Handlungen werden nicht länger als eine Handlungsunfähigkeit oder Handlungsohnmacht interpretiert. Vielmehr kann diese Verhaltensweise durch das Verständnis der Schützenden Bewältigung als eine schützende Stärke gerahmt werden, weshalb es sich hierbei um ein ressourcenorientiertes Theoriemodell handelt. Dieser Aspekt kann vor allem in die Reflexion von Diskriminierungserfahrung eingebettet werden, um die Sicht als Betroffene*r auf das eigene Verhalten in diskriminierenden Situationen umzudeuten. Die Betrachtungsweise – ob eine Person handlungsohnmächtig reagiert hat und aus welchen Gründen, etwa um sich, andere oder immaterielle Dinge zu schützen – verändert die Bewertung von Situationen. Das Verständnis dafür, unter welchen Bedingungen eine Reaktion gewählt wird, hilft den Betroffenen ebenfalls dabei, sich Rechtfertigungssituationen oder -druck zu widersetzen. Wie bereits deutlich gemacht wurde, wird das bei den Betroffenen durch Diskriminierungserfahrung entstehende Spannungsverhältnis durch das Theoriemodell der Schützenden Bewältigung entzerrt.

Welches Potenzial birgt die Theorie der Schützenden Bewältigung für die Praxis konkret? An dieser Stelle möchte ich einige Gesichtspunkte kurz anführen:

Teamentwicklung:

Inzwischen gibt es verschiedene Ansätze, um die Leistungsfähigkeit und Motivation in Teams zu steigern. Im Rahmen von Teamentwicklung – oder auch Teambuilding – wird diesem Ziel methodisch entgegengetreten. Dabei werden ebenfalls ausgewählte Themen bearbeitet, um das Zusammengehörigkeitsgefühl der Gruppe zu stärken. Schützende Bewältigung kann hierbei als ein Sensibilisierungstool genutzt werden. Dadurch erhalten die Mitglieder ein Verständnis der unterschiedlichen Positionen innerhalb einer Gruppe, die durch Ungleichheitslinien beeinflusst sein können. Ein Bewusstsein für und der angemessene Umgang mit Diskriminierungserfahrung tragen zu einem positiven Arbeitsklima bei. Nun ist zu schauen, in welchen Phasen der Teamentwicklung eine methodische Einbettung der Schützenden Bewältigung am sinnvollsten erscheint. Auch hier spielt die Teamkonstellation eine entscheidende Rolle, sodass eine methodische Anpassung vorgenommen werden muss: Wer ist in der Gruppe von Diskriminierung betroffen? Wer profitiert ggf. von Diskriminierung? Diese und weitere Fragen müssen auf die jeweiligen Gruppen abgestimmt werden. Teamentwicklung begrenzt sich nicht nur auf die Soziale Arbeit. Somit können wirtschaftliche Unternehmen, Verwaltungsbehörden oder auch die Polizei ebenfalls von der Schützenden Bewältigung profitieren.

Grundausbildung:

Angehende Fachkräfte der Sozialen Arbeit durchlaufen ihr Grundstudium und erlernen wichtige Handlungstheorien bzw. -konzepte. Schützende Bewältigung bietet ebenfalls ein Erklärungsmodell für die Studierenden, um Situationen, Fälle und eigene Handlungen reflektiert zu betrachten und entsprechend einzuordnen. Eine frühe Einbindung der Theorie ermöglicht eine Internalisierung der damit zusammenhängenden Themen und Werte. Dies wiederum wirkt sich auf die Rollenspezifizierung als künftige Sozialarbeiter*in aus. Studierende sind dadurch ebenfalls in der Lage, die Bedeutung von Diskriminierungserfahrung zu begreifen. Mit der Schützenden Bewältigung werden sie befähigt, die damit zusammenhängenden Verhältnisse und entsprechende Lösungsmöglichkeiten zu erkennen. Die Theorie bietet Anknüpfungspunkte für die Grundausbildung der Fachkräfte der Sozialen Arbeit an.

Therapeutische Ausbildung:

Darüber hinaus stellt Schützende Bewältigung grundsätzlich eine Bereicherung für therapeutische Ausbildungen dar. In diesen Bereichen ist es besonders wichtig, Menschen in kritischen Lebenssituationen zu befähigen, ihre individuellen Herausforderungen zu bewältigen. Ausgrenzungserfahrungen spielen in Problemlagen und kritischen Lebenssituationen als prädisponierende Faktoren mit hinein. Die Theorie knüpft hier an die Potenziale der Individuen an und zeigt auf, wie sie mit den unterschiedlichen Situationen umgehen können. Sie hilft nicht nur dabei, Handlungsstrategien zu entwickeln und anzueignen, sondern unterstützt zusätzlich Betroffene dabei, sich selbst als handlungsfähige Person zu erfahren.

Sensibilisierung weißer Sozialarbeitenden:

An den unterschiedlichsten Stellen wurde immer wieder darauf verwiesen, dass Schützende Bewältigung eine gute Ressource für People of Colour darstellt, um Diskriminierungssituationen und den Umgang mit diesen entsprechend einzuordnen. Es darf nicht unerwähnt bleiben, dass die hier entwickelte Theorie ebenfalls Möglichkeiten für weiße Sozialarbeitende bietet: Das Erschließen der Zusammenhänge, wie Diskriminierungserfahrungen und der Umgang mit ihnen funktionieren, sensibilisiert weiße Sozialarbeitende. Durch den Perspektivenwechsel wird die eigene Rolle reflektiert; er regt zur kritischen Auseinandersetzung an. Auf diese Weise werden eigene Arbeitsverhältnisse, Teamkonstellationen und der Umgang mit Zielgruppen aus einer neuen Perspektive betrachtet. Schützende Bewältigung birgt also Potenzial für Reflexionen und Handlungsveränderungen auch bei weißen Sozialarbeitenden.

Diversität in der Sozialen Arbeit:

Im vorliegenden Forschungsprojekt hat Rassismus eine zentrale Rolle gespielt. Nichtsdestotrotz steht der grundsätzliche Umgang mit Diskriminierung im Fokus der Schützenden Bewältigung. Das bedeutet, dass die Theorie grundsätzlich auf weitere Ausgrenzungsformen übertragen werden kann. Ein Thema, das immer mehr an Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit erlangt, ist die Queerfeindlichkeit. Schützende Bewältigung kann ebenfalls in diesen Themenbereichen richtungsweisend sein. Selbstverständlich werden nähere Untersuchungen benötigt, um Feinheiten, Unterschiede oder auch themenspezifische Besonderheiten besser ausarbeiten zu können. Dennoch kann die Theorie der Schützenden Bewältigung eine erste Grundlage hierfür bilden. Durch die Thematisierung der Theorie erlangt Diversität immer mehr an Bedeutung und gewinnt damit verstärkt Einzug in die verschiedenen Räume, in denen Soziale Arbeit agiert.

Die hier analytisch festgehaltenen Ergebnisse können als ein sozialarbeiterischer Beitrag erachtet werden, der den Wissensbestand sowohl in der Theorie als auch in der Praxis erweitert. Nachdem die Prozesshaftigkeit von Diskriminierungserfahrung nun eine theoretische Grundlage durch das Theoriemodell erhalten hat, können in einem weiteren Schritt konkrete praxisbezogene Konzepte entwickelt werden. Diese haben das Ziel, das gewonnene Wissen und die ermittelten Erkenntnisse zu bündeln und sinnvoll in Form von professionellem Handeln in die Praxis zu überführen. Es ist weiterhin eine große Herausforderung und gleichzeitig eine ernstzunehmende Verantwortung, Diskriminierungserfahrung als einen Teil der Lebenswelt von Fachkräften of Colour anzuerkennen, ohne sie dabei darauf zu fixieren oder zu reduzieren. Weiterhin bedarf es pädagogischer Handlungsmaßnahmen, die innerhalb der professionellen Strukturen langfristig etabliert werden müssen, um als Fachkraft der Sozialen Arbeit sich vor Augen zu führen bzw. zu reflektieren, dass auch in sozialarbeiterischen Kontexten Ungleichheiten reproduziert werden können – unter Umständen von einem selbst.