1 Einleitung

Die Stadt Basel lässt sich als kleine „Global City“ (Sassen, 1997) betrachten. Hier haben mit Novartis und Roche zwei weltweit tätige Konzerne der Pharmaindustrie ihren Hauptsitz. Im Turm der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich beim Bahnhof SBB trifft sich die globale Finanzdiplomatie. Und auch im Kunstbereich – mit der Art Basel sowie mit renommierten Museen und Ausstellungen, etwa in der Fondation Beyeler und im Kunstmuseum – hat sich die Stadt als Ort auf der Weltkarte positioniert, der weitherum wahrgenommen wird. Hinzu kommt die besondere geografische Lage im Dreiländereck (Schweiz, Deutschland, Frankreich) mit einer großen Zahl von Grenzgänger*innen, die – wie zahlreiche zugewanderte Menschen, die sich in der Stadt oder der Region niedergelassen haben – für die lokale Wirtschaft eine unverzichtbare Ressource darstellen.

Wie wirkt sich diese Einschreibung Basels in die internationalen Netzwerke von Ökonomie, Finanz, Kunst und Migration auf das Leben in den Quartieren aus? Wie nah kommt die Basler Alltagsrealität jenem Bild, das Yildiz (2013) in seinem Buch über die „weltoffene Stadt“ zeichnet, dem zu Folge Menschen unterschiedlichster geografischer und ethnischer Herkunft in den Quartieren ganz unspektakulär zusammenleben? Und welche Rollen spielen die Stadtentwicklung und die Soziale Arbeit in diesem Zusammenhang?

Mit diesen Fragen beschäftigt sich der vorliegende Beitrag. Dabei wird das Augenmerk auf die Integrationspolitik gelegt. Mit diesem Bezug kommt der Staat ebenso ins Blickfeld wie die zahlreichen Organisationen des Sozial- und Bildungswesens, die sich – unter anderem – mit der „Integration von Ausländern“ (Mey & Streckeisen, 2019) beschäftigen. In einem Master-Seminar an der Universität Basel haben wir uns diesbezüglich mit der Rolle der verschiedenen Akteur*innen des „Sozialen Basels“ auseinandergesetzt.Footnote 1 Es zeigt sich, dass verschiedene Gruppen von Migrant*innen durch staatliche Instanzen und zivilgesellschaftliche Organisationen unterschiedlich angesprochen werden. Dieser Befund lässt sich mithilfe des Konzepts der „differenziellen Inklusion“ (Mezzadra & Neilson, 2011) erklären. Zeitgenössische kapitalistische Gesellschaften haben die traditionelle Unterscheidung zwischen Einheimischen und Fremden ausdifferenziert durch eine Vervielfältigung unterschiedlicher Zugehörigkeitsgrade. Die Grenze wirkt nicht nur als Barriere gegen außen, sondern auch in die Gesellschaften hinein, indem sie zugewanderte Menschen nach Kriterien der Herkunft und der beruflichen Qualifikation filtert und ihnen unterschiedliche Möglichkeiten und Pfade der Integration zuweist.

2 Willkommen in Basel? Integration als Programm der differenziellen Inklusion

Mit der jüngsten Revision des Ausländergesetzes aus den 1930er Jahren, das seit 2019 Ausländer- und Integrationsgesetz (AIG) heißt, hat der Bund seine Definitionsmacht über die Integrationspolitik gefestigt. Es darf aber nicht vergessen werden, dass zahlreiche integrationspolitische Impulse lange Zeit in erster Linie von zivilgesellschaftlichen Organisationen ausgingen und einige Städte und Kantone auf dem Feld Pionierarbeit geleistet haben, als auf Bundesebene noch keine gesetzlichen Grundlagen existierten. Das zunehmende Engagement des Bundes bedeutet einerseits, dass Integrationspolitik zu einer Aufgabe geworden ist, die sämtliche Kantone und Gemeinden der Schweiz umsetzen müssen. Anderseits hat es dazu geführt, dass Integrationspolitik stärker auf wirtschaftliche Interessen ausgerichtet wurde sowie zunehmend restriktive Züge aufweist. So kritisiert zum Beispiel Pineiro (2018) die diskriminierenden Folgen der heutigen Integrationspolitik. Die Schweiz steht mit diesem Trend nicht alleine da. In der internationalen Diskussion über Urban Citizenship (Aigner & Kumnig, 2018), angeregt unter anderem durch den Widerstand US-amerikanischer Städte gegen die Migrationspolitik von Präsident Donald Trump in den Jahren 2016 bis 2020, gelten die Städte oftmals als progressive Hoffnungsträgerinnen in einem restriktiven, durch die Nationalstaaten geprägten politischen Umfeld.

2.1 Vom Leitbild zum Programm

BaselFootnote 2 hat sich seit der Jahrtausendwende als Pionierin der Integrationspolitik positioniert. Das durch die Ethnologin Rebekka Ehret (1999) verfasste Integrationsleitbild galt in Fachkreisen lange Zeit als vorbildlich. Es definierte Integration als gesamtgesellschaftlichen Prozess und propagierte die Nutzung der Potenziale zugewanderter Menschen ebenso wie einen sorgsamen Umgang mit Differenz. Rückblickend fällt auf, dass dieser integrationspolitische Aufbruch in Basel zeitgleich mit der Lancierung eines umfangreichen Programms zur Steigerung der Attraktivität der Stadt als Wohnort einsetzte. Auf die Partizipationserfahrungen mit der „Werkstadt Basel“ folgten 1999 das „Aktionsprogramm Stadtentwicklung Basel“ und zu Beginn der 2000er Jahre „Logis Bâle“ mit dem Ziel, durch den Bau attraktiver Stadtwohnungen gute Steuerzahler*innen anzuziehen (Benthaus, 2019). Auf den Zusammenhang von Integrationspolitik und Stadtentwicklung verweist zudem die Tatsache, dass die heutige Fachstelle für Diversität und Integration in der Abteilung Kantons- und Stadtentwicklung des Präsidialdepartements angesiedelt ist. Als der Regierungsrat sich in der zweiten Hälfte der 1990er Jahre das Ziel setzte, den Bevölkerungsrückgang zu stoppen und der Stadt neue Wachstumsimpulse zu verleihen, dürften zwei integrationspolitische Ziele mit von Bedeutung gewesen sein: die Aufwertung der Quartiere mit einem hohen Anteil an Migrationsbevölkerung sowie der Zuzug qualifizierter Arbeitskräfte aus dem Ausland. Ab 2002 begünstigte daraufhin das Abkommen über die Personenfreizügigkeit zwischen der Schweiz und der EU die Zuwanderung zahlreicher Menschen aus deren Mitgliedsstaaten.

Heute ist Integrationspolitik eine komplexe Verbundaufgabe von Bund, Kantonen und Gemeinden. Die Kantone erstellen vierjährige Integrationsprogramme, auf deren Grundlage sie unter anderem finanzielle Ressourcen des Bundes erhalten. Das Kantonale Integrationsprogramm Basel-Stadt 2018–2021 (Fachstelle Diversität & Integration, 2017) versprüht zwanzig Jahre nach dem ersten Integrationsleitbild keine Aufbruchstimmung mehr. Aber es listet auf, was der Kanton alles für die Integrationspolitik tut, wer für welche Aufgaben zuständig ist, und wie viel das alles kostet. Das Präsidialdepartement ist federführend für die Integrationsförderung zuständig, einschließlich Begrüßungsveranstaltungen für Zugezogene, Informationsaustausch zwischen den und über die Religionsgemeinschaften sowie „Task-Force-Radikalisierung“. Das Departement Wirtschaft, Soziales und Umwelt (WSU) verantwortet den Asylbereich, der organisatorisch an die Sozialhilfe angebunden wurde. Im Justiz- und Sicherheitsdepartement sind das Migrations- und das Einwohneramt angesiedelt, welche die Aufenthalts- und Niederlassungsbewilligungen ausstellen. Und das Erziehungsdepartement spielt ebenfalls eine zentrale Rolle durch die Sprachförderung und die verschiedenen Angebote für Familien (Elternbildung usw.). Hinzu kommen zivilgesellschaftliche Organisationen und Hilfswerke, die in die Umsetzung der Integrationspolitik einbezogen werden. Diesbezüglich spielt in Basel insbesondere die Gesellschaft für das Gute und Gemeinnützige (GGG Migration) eine Schlüsselrolle.

2.2 Unterschiedliche Behandlung dreier migrantischer Gruppen

Eine aufmerksame Lektüre des Kantonalen Integrationsprogramms zeigt, wie selbstverständlich verschiedene Gruppen von Zugewanderten unterschiedlich behandelt werden. Es gibt jene Neuzugezogenen aus EU-EFTA-Staaten, die einfach nur zur offiziellen Informationsveranstaltung „Willkommen in Basel“ im Rathaus (mit anschließender Schifffahrt auf dem Rhein) eingeladen und darüber hinaus für keine weiteren Termine aufgeboten werden. Sie müssen im Gegensatz zu den Drittstaatsangehörigen nicht einmal persönlich auf dem Einwohneramt erscheinen, um sich anzumelden. Sie gehören offensichtlich zu einer anderen Kategorie als jene Menschen, die in den Fokus der Integrationsmaßnahmen geraten: „Nach einem Aufenthalt im Kanton von mindestens sechs Monaten werden Drittstaatsangehörige, vor allem Personen, die im Rahmen des Familiennachzugs eingereist sind, im Hinblick auf die Verlängerung ihrer Aufenthaltsbewilligung zu einem ca. einstündigen Integrationsgespräch eingeladen. […] Dabei werden Integrationsbedarf und Sprachkenntnisse geprüft und bei Bedarf an entsprechende Angebote und Maßnahmen weiterverwiesen. Sollte im Gespräch eine ungenügende Integrationsbereitschaft festgestellt werden, kann eine Integrationsvereinbarung abgeschlossen oder eine Integrationsempfehlung abgegeben werden.“ (Fachstelle Diversität & Integration, 2017, S. 14) Und nochmals eine andere Kategorie bilden jene Menschen, die gar nicht erst zum offiziellen Anlass ins Rathaus eingeladen werden: Personen im Asylverfahren sowie Menschen ohne Aufenthaltsbewilligung.

Für die erstgenannte Gruppe, die aus behördlicher Sicht keine Sorgen bereitet, gibt es nur freiwillige Angebote zur Integrationsförderung. Von ihnen wird erwartet, dass sie selbst in der Lage sind, sich in Basel zurechtzufinden und zu integrieren. Im Falle von hoch qualifizierten Arbeitskräften bieten die Unternehmen zudem Unterstützung an; so werden im Kantonalen Integrationsprogramm etwa die entsprechenden Anlässe von Roche oder Novartis für neue Mitarbeitende erwähnt (Fachstelle Diversität & Integration, 2017, S. 15). Recherchen im Rahmen des erwähnten Seminars an der Universität Basel haben zudem die Existenz privater Netzwerke zu Tage gefördert, die Zugezogene mit höherem Sozialstatus bei der Integration unterstützen. Ein Beispiel ist der Verein Centrepoint, der sich als „local club for global people“ bezeichnet.Footnote 3 In Gesprächen mit Vereinsmitgliedern hat sich gezeigt, dass diese teilweise durchaus Schwierigkeiten haben, in Basel Fuß zu fassen. Dies gilt vor allem für die so genannten travelling spouses: Frauen, die mit ihren meistens Vollzeit erwerbstätigen Männern zugezogen sind und trotz oftmals hoher beruflicher Qualifikation als Fremdsprachige keine Arbeitsstelle finden.

Für die Angehörigen der letztgenannten Kategorie sieht die Integrationspolitik dagegen ein Regime der Separierung und Überwachung vor. Personen im Asylverfahren werden von der übrigen Bevölkerung getrennt in separaten Unterkünften einquartiert. Für sie gibt es eigene Sprachkurse oder Beschäftigungsmaßnahmen, in denen sie nicht mit anderen Zielgruppen der Integrationspolitik vermischt werden. Die Unterkünfte sind oftmals auch räumlich separiert, das heißt, sie liegen nicht in einem Wohnquartier, sondern irgendwo abseits. Dies gilt in besonderem Maße für das Zentrum Bässlergut direkt an der Grenze zu Deutschland beim Zoll Otterbach; aber auch die Asylsiedlung am Dreispitz befindet sich in einem eigenartigen Zwischenraum zwischen Tramdepot, Eisenbahnlinie und Familiengärten. Falls sie keine Aufenthaltsbewilligung oder einen negativen Asylentscheid erhalten haben, bleibt zugewanderten Menschen die Wahl zwischen drei Optionen: Sie verlassen die Schweiz, sie tauchen als Papierlose unter oder sie hausen unter Bedingungen der Nothilfe.Footnote 4

Die Integrationspolitik konzentriert sich nun aber in erster Linie auf die zweitgenannte Gruppe: Im Zentrum stehen Drittstaatsangehörige mit besonderem Integrationsbedarf. Dabei handelt es sich allerdings nicht ausschließlich um jene Neuzugezogenen, die wie oben erwähnt nach dem Begrüßungs- zu einem obligatorischen Integrationsgespräch eingeladen werden. Denn im Integrationsprogramm wird auf folgenden Aspekt verwiesen: „Neben einer umfassenden Erstberatung ist ein kompetentes und niederschwelliges Beratungsangebot von zentraler Bedeutung für eine gelingende Integration. Besonders wichtig ist dies im Kanton Basel-Stadt, da sich die Bevölkerung durch einen hohen Anteil von Personen mit Migrationshintergrund auszeichnet und diese Migrantinnen und Migranten teilweise schon lange im Kanton leben.“ (Fachstelle Diversität & Integration, 2017, S. 15) Zu den Zielgruppen der Integrationspolitik zählen demnach auch Menschen, die bereits seit langem in Basel leben, eventuell sogar in der Stadt geboren sind oder die schweizerische Nationalität haben.

2.3 Integrationsbedarf und Soziale Arbeit

Um die drei skizzierten Gruppen voneinander zu unterscheiden, bedient sich die Integrationspolitik einerseits juristischer Unterscheidungen betreffend Staatszugehörigkeit und Aufenthaltsrecht. Dies mag diskriminierend sein, bietet aber weitgehend eindeutige Entscheidungsgrundlagen. Daneben ist aber das komplexere Kriterium des sogenannten Integrationsbedarfs entscheidend, zu dessen Feststellung die Fachpersonen auf Gespräche und Kontakte mit Betroffenen angewiesen sind. Erfahrungen und Urteile von Sozialarbeitenden in verschiedenen Tätigkeitsfeldern können dabei durchaus eine Rolle spielen. Dies gilt auch für den Bereich der Quartierarbeit, die im Kantonalen Integrationsprogramm mehrfach erwähnt wird. Dabei geht es vor allem um den behördlichen Zugang zu jenen Menschen, die als „schwer erreichbar“ bezeichnet werden. Quartiertreffpunkte eignen sich aus dieser Perspektive besonders gut, um ihnen niederschwellige Angebote zu machen, seien es Sprachkurse, Elternbildung oder die sogenannten „FemmesTische“, die sich an „fremdsprachige, sozial benachteiligte und schwererreichbare Frauen“ richten (Fachstelle Diversität & Integration, 2017, S. 21). Genauso können Angebote für Kinder und Jugendliche dem Versuch dienen, deren „schwer erreichbare“ Eltern zu erreichen. In vielerlei Hinsicht sieht sich die Soziale Arbeit heute also mit einem zunehmenden Zugriff integrationspolitischer Zielsetzungen auf ihre Tätigkeitsfelder konfrontiert und muss sich der Frage stellen, ob und inwiefern dadurch ihr professionelles Ethos sowie ihre Handlungsspielräume tangiert werden. Ein weiteres Beispiel ist die Meldepflicht der Sozialdienste gegenüber den Migrationsämtern, welche für die Leistungsbeziehenden weitreichende negative Auswirkungen betreffend Familiennachzug und Aufenthaltsstatus nach sich ziehen kann.

3 Monitoring der Quartiere. Die Stadt im Spiegel der Integrationsindikatoren

Die Institutionalisierung der Integrationspolitik führt dazu, dass Behörden und Fachpersonen die Stadt und ihre Quartiere durch eine entsprechende Brille betrachten. Basel galt lange Zeit als Industrie- oder Arbeiterstadt; inzwischen werden die Quartiere mehr und mehr unter ethnonationalen Gesichtspunkten betrachtet. Vereinfachend könnte gesagt werden: Aus Arbeiterquartieren werden Ausländerquartiere. Selbstverständlich war auch das Bild der Arbeiterstadt nicht einfach eine objektive Abbildung der Wirklichkeit. Wie Bourdieu (1997) gezeigt hat, existiert(e) die Arbeiterklasse – ebenso wie andere soziale Klassen – in den Köpfen der Menschen einzig als das Ergebnis einer konfliktbeladenen politischen Arbeit, welche auf die Konstruktion und Verbreitung spezifischer Wahrnehmungsmuster zielt. Ähnlich lässt sich auch Ethnizität letztlich als eine Art und Weise verstehen, die Welt zu betrachten (Brubaker et al., 2004). Menschen sind nicht einfach Ausländer*innen, sie werden zu solchen gemacht.

3.1 Ein statistisches Indikatoren-Set

Weil die Integrationspolitik den Integrationsbedarf an ethnonationale Kriterien knüpft, ist sie auf entsprechende Informationen und Daten angewiesen. Der Fokus auf Drittstaatsangehörige mit besonderem Integrationsbedarf führt dazu, dass sich die Aufmerksamkeit insbesondere auf jene Stadtquartiere richtet, in denen eine starke Präsenz der entsprechenden Zielgruppen vermutet wird. Das Statistische Amt des Kantons Basel-Stadt hat ein Indikatoren-Set zum Thema Integration erstellt, das inzwischen über 100 Indikatoren aus den Bereichen Bevölkerungsstruktur, Schule und Bildung, Arbeit und Einkommen sowie Politik und Zusammenleben umfasst. Die statistischen Daten ermöglichen eine Profilierung der Stadtquartiere nach ethnonationalen Kriterien. Im Vordergrund steht die Verknüpfung verschiedener Variablen mit der Staatsangehörigkeit, während andere Aspekte wie Religion oder Sprache eher zweitranging behandelt werden. Ein zentraler Indikator, auf den auch im Integrationsprogramm oft Bezug genommen wird, ist der Ausländeranteil. Er ist in den historischen Arbeitervierteln im Norden der Stadt (Rosental, Kleinhüningen, Klybeck, Matthäus und St. Johann) am höchsten. Allerdings hat der Ausländeranteil in anderen Quartieren, darunter auch in bessergestellten Wohnvierteln wie Bruderholz oder Bachletten, seit 1999 stärker zugenommen als in Basel Nord (Statistisches Amt Basel-Stadt, 2020a). Dies deutet darauf hin, dass aufgrund der Zuwanderung hoch qualifizierter Arbeitskräfte diese Ziffer immer weniger als Indiz für tiefen Sozialstatus betrachtet werden darf.

Selbstverständlich stellt das statistische Indikatoren-Set noch weitaus differenziertere Daten bereit. Zum Beispiel wird dargestellt, wie stark einzelne Nationalitäten und Nationalitätengruppen in den Quartieren vertreten sind. Es zeigt sich etwa, dass in den Wohnvierteln Bruderholz, Bachletten, Gotthelf und Wettstein zahlreiche Personen deutscher Nationalität leben, während Menschen mit Herkunft aus der Türkei und den Balkan-Staaten vor allem in den oben bereits erwähnten Quartieren im Norden der Stadt, sowie in Gundeldingen und Breite, wohnhaft sind (Statistisches Amt Basel-Stadt, 2020b). Vor diesem Hintergrund überrascht es nicht, dass ein integrationspolitisches Vorzeigeprojekt wie die Brückenbauerinnen des kirchlichen Hilfswerks HEKS, bei dem Migrantinnen Migrantinnen unterstützen sollen, als Pilotprojekt in Gundeldingen startete und inzwischen auch in Kleinhüningen und Klybeck angeboten wird. Das Indikatoren-Set bietet auch Informationen über jene im Kantonalen Integrationsprogramm angesprochene Gruppe von Migrant*innen, die bereits lange in Basel wohnhaft sind. Es zeigt sich etwa, dass mehr als die Hälfte der Personen mit Herkunft aus der Türkei und dem Balkan bereits über 15 Jahre in der Stadt leben (Statistisches Amt Basel-Stadt, 2020c). Gut 80 % der Angehörigen dieser Gruppen haben eine Niederlassungsbewilligung (Statistisches Amt Basel-Stadt, 2020d).

3.2 Die Bedeutung von Staatszugehörigkeit und Erstsprache im Bildungsbereich

Auch im Bildungsbereich zeigen die Indikatoren eklatante Differenzen nach Staatszugehörigkeit. So gehen etwa zwei Drittel der jungen Deutschen ins Gymnasium, aber nur gut 20 % der jungen Menschen mit italienischer Nationalität und circa zehn Prozent der jungen Menschen mit Herkunft aus der Türkei oder dem Balkan (Statistisches Amt Basel-Stadt, 2020e). Manchmal erweist sich jedoch die Staatszugehörigkeit als nur begrenzt aussagekräftig, zum Beispiel bei der frühen Sprachförderung. Der Kanton Basel-Stadt hat im Jahr 2013 ein selektives Obligatorium zur Deutschförderung vor dem Kindergarten erlassen: Nach einer Sprachstanderhebung im Alter von drei Jahren werden Kinder mit ungenügenden Deutschkenntnissen ein Jahr lang zum Besuch einer Spielgruppe an zwei Halbtagen in der Woche verpflichtet. Auf den ersten Blick überrascht es, dass auch 23,7 % der Kinder mit schweizerischer Nationalität unter dieses Obligatorium fallen (Statistisches Amt Basel-Stadt, 2020f). Doch das Rätsel löst sich wohl auf, wenn wir an die zahlreichen Kinder aus eingebürgerten Familien denken. Ein Blick in die Schulhausstatistik bestätigt diese Hypothese. So haben beispielsweise in der Primarschule Kleinhüningen beinahe die Hälfte der Schüler*innen die schweizerische Nationalität, aber nur ein Fünftel hat Deutsch als Erstsprache.Footnote 5 Was in Frankreichs Vorstädten bereits lange problematisiert wird, lässt sich auch in Basel beobachten: Es gibt Bevölkerungsgruppen mit einheimischer Staatszugehörigkeit, die als Fremde betrachtet werden und zu den Zielgruppen der Integrationspolitik zählen.

Das Erziehungsdepartement Basel-Stadt berücksichtigt die Unterschiede zwischen den Quartieren seit einigen Jahren durch einen sogenannten Sozialfaktor: Je höher dieser ausfällt, desto mehr finanzielle Ressourcen erhalten die Schulen für spezifische Förderangebote. Diese Maßnahme bewegt sich an der Schnittstelle von Bildungs-, Sozial- und Integrationspolitik. Die Berechnung des Sozialfaktors beruht auf drei Kriterien: Arbeitslosigkeit, Ausländeranteil und Sesshaftigkeit.Footnote 6 Damit erhalten die Schulen in den ehemaligen Arbeitervierteln im Norden Kleinbasels (Rosental, Klybeck, Kleinhüningen, Matthäus) am meisten zusätzliche Mittel. Die Berücksichtigung des Ausländeranteils und der Sesshaftigkeit kommt allerdings auch den Schulen in jenen Wohnvierteln zu Gute, in denen in den letzten Jahren zahlreiche Personen mit höherem Sozialstatus aus dem Ausland zugezogen sind (z. B. Vorstädte, St. Alban, Am Ring, Altstadt Grossbasel). Im Gegensatz zu diesen Quartieren ist etwa in Kleinhüningen und Klybeck die Sesshaftigkeit der Wohnbevölkerung hoch: Deren Schulen erhalten deshalb weniger Fördermittel, als wenn ausschließlich sozioökonomische Indikatoren wie die Sozialhilfe- und Arbeitslosenquote oder das Vermögens- und Einkommensniveau berücksichtigt worden wären.

3.3 Quartierarbeit und Konstruktion des „Ausländerproblems“

Der Sozialfaktor an den Basler Schulen ist ein Beispiel dafür, wie Ressourcen auf der Grundlage statistischer Daten zwischen den Quartieren verteilt werden. Es ist davon auszugehen, dass die Maßnahmen der Integrationspolitik einer vergleichbaren, wenn auch nicht durch einen solchen Index fundierten Logik folgen und vor allem in jenen Quartieren angeboten werden, in denen zahlreiche Menschen mit Integrationsbedarf vermutet werden. Im Kantonalen Integrationsprogramm wird denn auch immer wieder auf Quartiere mit hohem Ausländeranteil verwiesen, insbesondere wenn es um die Rolle der Quartiertreffpunkte geht. Damit beteiligt sich allerdings auch die Quartierarbeit an der (Re-)Produktion des so genannten „Ausländerproblems“ (Griese, 2002) und trägt dazu bei, dass bestimmte Wohnviertel als Problemquartiere in den Blick geraten. Im Rahmen des erwähnten Seminars an der Universität Basel haben Studierende zudem die Erfahrung gemacht, dass Sozialarbeitende in der Quartierarbeit ihre Klientel nicht selten mit Rückgriff auf abwertende ethnisierende Kategorien beschreiben. So wurden etwa muslimische Familien pauschal durch die Zuschreibung charakterisiert, sie seien kinderreich und durch problematische Geschlechterrollenverständnisse gekennzeichnet. Die Gleichsetzung von muslimischen Familien mit Problemfamilien ist dann nicht mehr weit. Auch in diesem Tätigkeitsfeld befindet sich die Soziale Arbeit damit im Spannungsfeld zwischen der universellen Menschenrechtsorientierung und den mitunter problematischen Kategorien und Zuschreibungen, welche durch politische Diskurse und Rahmenbedingungen gesetzt werden.

4 Herausforderungen für die Soziale Arbeit

Zweifellos lässt sich bei einem Spaziergang durch Basler Stadtquartiere wie Gundeldingen, Clara oder Klybeck einiges Anschauungsmaterial sammeln für jenes lebenslustige und unspektakuläre Mit- und Nebeneinander von Menschen mit unterschiedlichen und oftmals hybriden ethnonationalen Identitäten, das Yildiz (2013) in seinem Buch über die „weltoffene Stadt“ beschreibt. Die Diversität der durch Migration geprägten urbanen Milieus und Lebensstile hat seit der Jahrtausendwende in Basel zugenommen. Die aufwertungsorientierte Stadtentwicklung dürfte einiges dazu beigetragen haben, ebenso die Personenfreizügigkeit mit der EU. Doch dürfen zwei Aspekte, die das Bild des kosmopolitischen Basels trüben, nicht übersehen werden: Auf sozialstruktureller Ebene führt die ungleiche Verteilung von Ressourcen dazu, dass sich nicht nur zwischen Einheimischen und Zugewanderten, sondern gerade auch zwischen zugewanderten Menschen mit unterschiedlichen Lebenschancen tiefe Gräben auftun. Und auf politischer Ebene werden zugewanderte Personen durch die Integrationspolitik nicht nur sehr unterschiedlich behandelt, sondern teilweise als Problemgruppen stigmatisiert oder sogar als (potenziell) Unerwünschte von der Stadtbevölkerung separiert.

4.1 Klassenunterschiede in den Blick nehmen

Um mit der Vielfalt der (post-)migrantischen Wirklichkeiten adäquat umgehen zu können, muss die heute weit verbreitete Ethnisierung sozialer Probleme hinterfragt werden. Insbesondere gilt es, die aus dem Blick von Politik und Forschung geratenen Klassenunterschiede hinter dem bunten Bild kultureller Differenzen wieder sichtbar zu machen. Zum Beispiel ist herauszustreichen, dass sich die Maßnahmen der Integrationspolitik, insbesondere jene mit verpflichtendem Charakter, sehr einseitig auf Bevölkerungsgruppen in benachteiligten sozialen Positionen fokussieren. Wie Wellgraf (2021, S. 23–33) am Beispiel seiner ethnografischen Untersuchungen an Berliner Schulen gezeigt hat, erfahren sie eine „doppelte Stigmatisierung“ als Niedrigqualifizierte und Angehörige einer fremden Kultur. Zugleich beobachten wir zwischen den verschiedenen Gruppen zugewanderter Menschen auch Praktiken der Distinktion, die einem solidarischen Miteinander ebenso im Wege stehen wie geteilten Erfahrungen des Alltagslebens in der Stadt. In diesem Sinne leben diese Menschen zwar in derselben Stadt, aber eben doch in getrennten Welten. So lassen sich etwa die Coffee Mornings des Vereins Centrepoint als Raum der Distinktion beschreiben, in dem Menschen mit höherer Bildung, die des Englischen mächtig sind, unter sich bleiben. Die öffentlichen Schulhäuser in den populären Stadtquartieren dagegen können als paradigmatische Räume der Integration betrachtet werden, an denen eine breite Palette integrationspolitischer Maßnahmen zur Anwendung gebracht wird. Und das Asylzentrum Bässlergut steht für jene Räume der Separation, in denen zugewanderte Menschen einem rigiden Kontrollregime unterworfen werden.

4.2 Auf sehr unterschiedliche Bedürfnisse und Interessen eingehen

Die Soziale Arbeit ist mit Bezug auf jeden dieser drei idealtypisch beschriebenen Sozialräume mit unterschiedlichen Herausforderungen konfrontiert. Im Bereich der Zugewanderten mit höherem Sozialstatus kann die Zuschreibung individueller Integrationsfähigkeit dazu führen, dass spezifischer Unterstützungsbedarf übergangen wird. Gerade für die Partner*innen von Vollzeit erwerbstätigen Personen ist es oft schwierig, in Basel Fuß zu fassen, insbesondere beim Zugang zum Arbeitsmarkt. Möglicherweise kann die Quartierarbeit solchen Menschen zudem Gelegenheiten bieten, vielfältige Kontakte zu knüpfen und ihre Fähigkeiten für das Gemeinwohl einzubringen. Bei den eigentlichen Zielgruppen der Integrationspolitik – Drittstaatsangehörige mit besonderem Integrationsbedarf – darf die Soziale Arbeit nicht auf eine klare Positionierung zu den teilweise diskriminierenden politischen Rahmenbedingungen und Maßnahmen verzichten. Sie muss das Augenmerk auf problematische Kulturalisierungen und Ethnisierungen legen und versuchen, die Rechte dieser Menschen auch gegenüber den (sozial-)staatlichen Leistungssystemen, von denen sie mitunter abhängig sind, zu stärken. Im Asylbereich schließlich steht der Einsatz für die elementaren Grundrechte im Zentrum, die in den mehr oder weniger geschlossenen Unterkünften nicht immer gewährleistet sind. Darüber hinaus könnte sich die Soziale Arbeit dafür einsetzen, dass diese Menschen sich unter die Stadtbevölkerung mischen und in ganz normalen Wohnvierteln statt in separaten Einrichtungen wohnen dürfen.

4.3 Kulturelle Differenzen anerkennen und soziale Ungleichheiten bekämpfen

Um diese Herausforderungen bewältigen zu können, benötigen die Professionellen der Sozialen Arbeit ein theoretisch ebenso wie praktisch gefestigtes Verständnis davon, wie kulturelle Unterschiede und soziale Ungleichheiten miteinander verknüpft sind. In der Hinsicht führt der Bezug auf eine traditionelle, einseitig an ökonomischen Verhältnissen orientierte Theorie sozialer Klassen nicht weit. In der Tradition der Cultural Studies (Marchart, 2008) und der Klassismus-Forschung (Kemper & Weinbach, 2000) gilt es vielmehr, die zentrale Bedeutung der Auf- und Abwertung klassenspezifischer kultureller Praxen und Lebensstile zu betonen. Unter dem Einfluss der gegenwärtigen Integrationspolitik werden kulturelle Differenzen zudem einer systematischen Ethnisierung unterworfen. Sozialarbeitende können sich zum Beispiel auf die Kapitaltheorie von Bourdieu (1983) beziehen, um die Situation ihrer Adressat*innen zu beschreiben. Dabei gilt es jedoch, vorherrschende Bewertungsmuster zu hinterfragen und bewusst festzuhalten, dass ein Mehr oder Weniger an kulturellem Kapital nicht einfach mit einem Mehr oder Weniger an Ressourcen und Fähigkeiten gleichzusetzen ist. Vielmehr bringt die Ungleichheit des kulturellen Kapitals gesellschaftliche Bewertungen von Ressourcen und Fähigkeiten zum Ausdruck. Dies zeigt sich im Kontext der Integrationspolitik sehr deutlich: Wer Englisch oder Deutsch spricht, genießt in Basel ein höheres Ansehen und hat bessere Chancen, als wer Albanisch oder Kurdisch spricht – weitgehend unabhängig davon, wie (gut) die Sprachen gesprochen werden. Genauso werden bestimmte Lebensstile oder Familienbeziehungen durch die Integrationspolitik problematisiert, die nicht weniger, sondern einfach andere kulturelle Ressourcen und Fähigkeiten erfordern als diejenigen, die gesellschaftlich als wünschenswert gelten. In diesem Sinne erfordert der Einsatz für die Anerkennung kultureller Differenz immer eine Verknüpfung mit dem Kampf gegen soziale Ungleichheiten. Sonst besteht die Gefahr, dass die multikulturelle Quartierarbeit zur Begleitmusik einer verschärften Reproduktion sozialer Ungleichheiten im urbanen Raum wird – zwischen verschiedenen Gruppen zugewanderter Menschen mehr noch als zwischen Einheimischen und Zugewanderten.