1 Einleitung

Die Initiierung von handlungsmächtigen Zusammenschlüssen von Menschen unterschiedlicher Kulturen auf lokaler Ebene bzw. im Stadtteil ist Ziel von Community Organizing (CO). Hierbei werden insbesondere solche Menschen angesprochen, deren Interessen in der (kommunalen) Politik nur eher geringe Berücksichtigung finden und deren demokratische Mitwirkung bei Wahlen, egal auf welcher Ebene, ebenfalls schwach ausgeprägt bzw. zuweilen gar nicht möglich ist. Entsprechend ist CO oftmals in Stadtteilen mit sozial benachteiligter Bevölkerungsstruktur verortet. Ausgehend von der historischen Entstehungsgeschichte sowie den grundlegenden Prinzipien von CO soll in diesem Beitrag aufgezeigt werden, in welcher Weise – trotz gänzlich anderer Ausgangsvoraussetzungen – Elemente aus dem CO auch im Rahmen eines sozialarbeiterisch geprägten Stadtteilmanagements umgesetzt werden können. Allgemeine Ausführungen zum Verhältnis von CO und Sozialer Arbeit schließen den Beitrag ab.

2 Entstehungsgeschichte von Community Organizing in den USA und Rezeption in Deutschland

CO wurde Ende der 1930er Jahre in den USA von Saul D. Alinsky entwickelt. Er selbst war Sohn einer jüdisch-orthodoxen Einwandererfamilie aus Weißrussland und wuchs mit seinen Eltern in einem der schlimmsten Slums von Chicago auf. Die jüdische Gemeinde bildete hier quasi ein weiteres, ein ethnisches Ghetto im ohnehin manifesten geografischen. Mittels eines Stipendiums studierte Alinsky an der University of Chicago zunächst Soziologie, dann Kriminologie. Nach Abschluss des Studiums arbeitete er in einem Jugendgefängnis mit delinquenten Jugendlichen. Schnell erkannte Alinsky, dass die Arbeit dort mit dem Ziel der Resozialisierung der Inhaftierten einen unzureichenden, reaktiven Ansatz auf der individuellen Verhaltensebene darstellt. Stattdessen musste seiner Meinung nach an der nachhaltigen Verbesserung der Lebensverhältnisse in den Armutsquartieren angesetzt werden, um delinquentes Verhalten erst gar nicht entstehen zu lassen.

Motor derartiger Veränderungsprozesse konnten nach Ansicht Alinskys allein die organisierten Bewohner*innen der Quartiere selbst im gemeinsamen Handeln sein. Fortan fokussierte er sein Wirken auf den Aufbau von eigenständigen, handlungsmächtigen Bürgerorganisationen („community organizations“Footnote 1). Dabei grenzte er sein Tun mit Nachdruck sowohl gegenüber jeglichen wohlfahrtsstaatlichen Hilfeangeboten als auch gegenüber dem Settlement Movement ab. Deren prominenteste Vertreterin, Jane Addams, warf er vor, in dem von ihr geleiteten Hull House im 19. Chicagoer District weiterhin viel zu sehr stellvertretend für die dort lebenden Menschen zu handeln und diese damit ihrer eigenen Würde zu berauben, anstatt die Bewohner*innen dazu zu befähigen, eigenständig für ihre Belange einzutreten. Im Verständnis von Alinsky ist eine Bürgerorganisation „keine philanthropische Spielwiese oder irgendein sozialer Klimbim“ (Alinsky, 1999, S. 128), sondern vielmehr eine „Konfliktpartei“, deren Aufbau und Wirken einem neuen Machtfaktor im Stadtteil gleichkommt. Dies „bedeutet automatisch eine Einmischung in und eine Bedrohung für die bestehenden Machtverhältnisse und damit eine Infragestellung des Status quo“ (ebd.).

1938 gründete Alinsky seine erste Bürgerorganisation, den „Back of the Yards Neighborhood Council“ in Chicago. In diesem Stadtteil, unmittelbar hinter dem städtischen Schlachthof gelegen, lebten viele in die USA eingewanderte Menschen unterschiedlicher Nationaliät unter sehr erbärmlichen Wohn- und Arbeitsbedingungen. Arbeit fanden diese in aller Regel lediglich als Tagelöhner*innen im angrenzenden Schlachthof, immer dann, wenn große Tiertransporte aus dem Westen der USA dort ankamen und die Tiere geschlachtet sowie zu Wurst und Fleisch weiterverarbeitet werden mussten. Eine gewerkschaftliche Organisierung der stets nur temporär beschäftigten Arbeiter*innen war kaum vorhanden und damit wurden deren Interessen auch nicht durch die Gewerkschaften vertreten. Die Nachbarschaft bzw. der Stadtteil wurde so zum Organisationsfeld von Alinsky. Dieser stand zum damaligen Zeitpunkt in einem engen Kontakt mit John L. Lewis, einem bekannten Gewerkschaftsführer und Präsident der United Mine Workers of America (UMWA). Von ihm übernahm Alinsky das Modell des „broad based organizing“, das „Organisieren von Organisationen“, und führte auf diese Weise schließlich insgesamt 127 Vereine und Organisationen im „Back of the Yard Neighborhood Council“ zusammen (vgl. Szynka, 2014, S. 13). Als es Alinsky zudem gelang, die im Stadtteil tief verankerte katholische Kirche zur Unterstützung eines von der Gewerkschaft organisierten Streiks gegen die Fleischverpackungsindustrie zu gewinnen, lenkte diese ein und kam in der Folge den von den Streikenden erhobenen Forderungen nach. Dies bedeutete gleichzeitig den ersten großen Erfolg des von ihm entwickelten Community Organizing. Im Jahr 1940 gründete Alinsky die „Industrial Area Foundation“ (IAF) als nationales Schulungszentrum und Dachorganisation für CO. Die IAF nimmt beide Funktionen auch heute noch wahr.

Neben dem von Alinsky praktizierten „broad based organizing“ entwickelten sich im Laufe der Zeit in den USA auch andere Ansätze im CO, die sich z. B. mehr an den Prinzipien der Graswurzelbewegung orientierten und unter dem Begriff des „individual based organizing“ zusammengefasst wurden. Heute sind viele der CO-Aktivitäten in irgendeiner Weise an lokale Kirchengemeinden angebunden, sodass von einem „churched based“ oder auch von „congregation based organizing“ gesprochen wird. In scharfer Kritik an sowie in deutlicher Abgrenzung zu Alinsky und der IAF steht der Ansatz des „transformative organizing“ um Eric Mann, dem Gründer und langjährigen Präsidenten des Labor Community Strategy Center in Los Angeles. Mann und seine Mitstreiter*innen weisen Alinsky den Platz eines weißen Liberalen zu, dem es niemals um eine grundsätzliche Infragestellung der gesellschaftlichen Verhältnisse in den USA gegangen wäre, im Gegensatz zur prinzipiell gesellschaftsverändernden, antikapitalistischen Ausrichtung des „transformative organizing“. In Deutschland wird dieser Ansatz von CO insbesondere von der Rosa-Luxemburg-Stiftung verbreitet, worauf an dieser Stelle jedoch nicht weiter eingegangen werden soll.

CO in der Tradition von Alinsky wurde in Deutschland erstmals Anfang/Mitte der 1970er Jahre einem breiteren Publikum bekannt, insbesondere Studierenden der Sozialarbeit/Sozialpädagogik an den gerade gegründeten Fachhochschulen. In den Lehrplänen dort hatte sich die Gemeinwesenarbeit (GWA) als „Dritte Methode“ der Sozialarbeit – neben der Einzel(fall)hilfe und der sozialen Gruppenarbeit – zwischenzeitlich weitestgehend etabliert. Innerhalb der verschiedenen Ausprägungen der GWA wurde CO dem „aggressiven Ansatz“ zugeordnet (Müller, 1971) und unter diesem Duktus vielfach rezipiert. Was aber weitestgehend fehlte, war – von ganz wenigen Versuchen einmal abgesehen – dessen Umsetzung in konkretes sozialarbeiterisches Praxishandeln. So blieb es in dieser Phase hierzulande im Wesentlichen bei einer allein literarischen Rezeption der ins Deutsche übersetzten Werke Alinskys (1973, 1974). Auch wenn Teile der von ihm dort beschriebenen Aktionsformen in den 1980er Jahren Eingang in die damaligen Protestbewegungen fanden (Anti-Atomkraft-Bewegung, Frauenbewegung, Widerstand gegen die Stationierung US-amerikanischer Marschflugkörper in der Bundesrepublik Deutschland), wurde es um CO an sich in diesem Zeitraum recht still. Dies änderte sich erst wieder 1993 mit der Veröffentlichung einer von vier Studierenden an der Katholischen Hochschule in Freiburg gemeinsam verfassten Diplomarbeit (Mohrlok et al., 1993), in der die Praxis von CO in den USA mit derjenigen der bundesdeutschen GWA verglichen wurde. Das Interesse an CO war plötzlich wieder geweckt und in der Folge gründete sich im Jahr 1995 das Forum Community Organizing e. V. (FOCO) und gut zehn Jahre später, im Jahr 2006, das Deutsche Institut für Community Organizing (DICO), das sich selbst unzweideutig in der Tradition von Saul Alinsky und der IAF verortet sieht. Anders als noch in den 1970er Jahren hat sich im Rahmen dieser zweiten Rezeption ab Mitte der 1990er Jahre in Deutschland eine bunte Vielfalt unterschiedlicher CO-Projekte entwickelt (vgl. Stock, 2016). Dies reicht von Ansätzen innerhalb der Gemeinwesenarbeit über Initiativen aus dem kirchlichen Bereich bis hin zu den vom DICO in verschiedenen deutschen Städten initiierten Bürgerplattformen. Auch im gewerkschaftlichen Bereich wird seit nunmehr etlichen Jahren auf die Handlungsansätze von Alinsky zurückgegriffen, insbesondere dort, wo in Betrieben des Dienstleistungssektors oder der New Economy der Organisierungsgrad unter den Beschäftigten nur sehr gering ausgeprägt ist. Auf das in jüngster Zeit ebenfalls verstärkt diskutierte „transformative organizing“ wurde weiter oben bereits hingewiesen.

3 Grundlagen und Prinzipien von Community Organizing

Angesichts des Ziels von CO, durch den Aufbau von eigenständigen, handlungsfähigen Interessenvertretungen oftmals sozial benachteiligter Bevölkerungsgruppen bestehende (i. d. R. lokale) Machtstrukturen infrage zu stellen und diese im Hinblick auf demokratischere Entscheidungsprozesse zu transformieren, ist es nicht verwunderlich, dass der Begriff Macht („Power“) bei Alinsky eine zentrale Position einnimmt. Der „Macht des Geldes“ einzelner Personen oder Konzernen stellt CO die „Macht der (organisierten) Menschen“ gegenüber. Im Gegensatz zur oft negativen Konnotation von Macht begreift Alinsky diese vielmehr als die Fähigkeit zum eigenen Handeln. In ähnlicher Weise äußert sich auch Martin Luther King (1968, S. 51): „Macht richtig verstanden, ist die Möglichkeit etwas zu erreichen. Es ist die Stärke, die man braucht, um soziale, politische oder wirtschaftliche Veränderungen herbeizuführen. In diesem Sinne ist Macht nicht nur erwünscht, sondern auch notwendig, um die Forderungen von Liebe und Gerechtigkeit zu erfüllen.“

Damit Menschen aktiv werden und sich gemeinsam mit anderen für Veränderungen im Stadtteil bzw. für Verbesserungen ihrer Lebensbedingungen engagieren, braucht es nach Alinsky vor allem zwei Dinge: das Anknüpfen an deren Eigeninteresse sowie den Aufbau von Beziehungen. Für beides stellen Einzelgespräche („one-on-ones“) das zentrale Handlungsinstrument im CO dar. Diese Gespräche stehen zu Beginn eines jeden Organizing-Prozesses, sind in der Regel terminlich fest vereinbart und dauern im Durchschnitt jeweils 30 bis 45 min. Neben dem Herausfinden des Eigeninteresses dienen sie gleichzeitig dem Beziehungsaufbau zwischen dem Organizer und der besuchten Person. Ganz im Sinne von Rosa Luxemburgs „Freiheit der Andersdenkenden“ (1922) wird das persönliche Eigeninteresse im CO stets im Zusammenhang mit den (Eigen-)Interessen der Anderen gesehen und grenzt sich damit eindeutig von jeglicher Form des Egoismus und der Selbstsucht ab, ebenso aber auch von der zuweilen bedingungslosen Selbstlosigkeit, wie diese manchen Akteur*innen aus dem sozialen Bereich mitunter zu eigen ist. Der hohe Stellenwert, der dem Beziehungsaufbau im CO beigemessen wird, resultiert u. a. daraus, dass traditionelle Bindungen und damit einhergehende Beziehungen nicht erst seit heute vielerorts verloren gegangen sind. Am Ende eines jeden „one-on-one“ steht die Frage nach weiteren Personen, mit denen ebenfalls gesprochen werden sollte, sowie die Einladung zu weiterem Engagement, gemeinsam mit anderen Personen aus dem Stadtteil. Auf die nachfolgenden Schritte im insgesamt vierstufigen Organizing-Prozess (s. auch Richers, 2014) wird anhand des unter Abschn. 4 vorgestellten Stadtteilmanagements in Baesweiler-Setterich ausführlich und in konkreter Weise eingegangen. Hier an dieser Stelle soll dagegen mit den Prinzipien und allgemeinen Grundlagen von CO fortgefahren werden.

Eines der für Alinsky zentralen Prinzipien ist die sowohl finanzielle als auch politische Unabhängigkeit der Bürgerorganisation. Die Mitgliedschaft von Parteien oder entsprechender Untergliederungen wird strikt abgelehnt, was jedoch nicht bedeutet, dass deren Mitgliedern damit gleichsam ein persönliches Engagement in der Organisation verwehrt bleibt. Finanziert wird die Arbeit durch Eigenbeiträge der Mitgliedsorganisationen sowie durch Spenden. Eine Förderung aus staatlichen Mitteln wird in der Regel abgelehnt, da dies die Unabhängigkeit der Bürgerorganisation, etwa in einer konflikthaften Auseinandersetzung mit der Stadtverwaltung oder anderen Behörden, doch erheblich beeinträchtigen könnte. An diesem Punkt offenbart sich die merklich andere gesellschaftliche Situation in den USA mit einem gegenüber Deutschland weit ausgeprägteren philanthropischen Mäzenatentum einerseits, aber auch mit einer signifikant geringeren Bedeutung staatlicher Wohlfahrt andererseits. Der uneingeschränkten Übertragbarkeit von CO auf die hierzulande in aller Regel wohlfahrtsstaatlich finanzierte Gemeinwesenarbeit sind damit offensichtlich bereits Grenzen gesetzt.

Wie bereits an Alinskys erster Bürgerorganisation, dem „Back oft the Yards Neigborhood Council“ mit seinen insgesamt 127 Mitgliedsorganisationen, deutlich wird, setzt CO auf eine breite Basis in der Bevölkerung und damit auf eine „Kultur der Beziehungen“. Kulturelle Vielfalt im Stadtteil wird daher als eine Bereicherung sowohl der Aktionsmöglichkeiten als auch der diskursiven Auseinandersetzungen empfunden und nicht etwa als eine besondere Herausforderung, die es im Organizing-Prozess zu überwinden gilt. CO ist damit weit von der auch heute noch in der GWA zuweilen anzutreffenden Zielgruppendominanz entfernt. Im Gegensatz zum Agieren beispielsweise in Bürgerinitiativen, die in aller Regel allein auf ein Thema fixiert sind, greift CO verschiedene Themen („issues“) auf, wenngleich temporär einer Thematik durchaus die uneingeschränkte Priorität eingeräumt werden kann. Die Wahl dieser Themen sowie deren Priorisierung erfolgen in selbstbestimmten, demokratischen und stets transparenten Entscheidungsfindungsprozessen aller Beteiligten, wobei mit Transparenz ein weiteres zentrales Kriterium von CO angesprochen ist. Und ebenfalls anders als bei Bürgerinitiativen sind die Aktivitäten einer Bürgerorganisation nicht mit dem Sieg (oder auch der Niederlage) in der Auseinandersetzung mit der Gegenseite beendet, sondern stattdessen wendet man sich nun dem nächsten Thema zu. Denn letztlich besteht das Ziel von CO ja nicht allein in der Lösung offensichtlich vorhandener Probleme, sondern darüber hinaus in der Etablierung der Bürgerorganisation als einen neuen und nachhaltigen Machtfaktor im gesellschaftlichen Aushandlungsprozess mit Politik, Verwaltung und Wirtschaft.

Im CO geht es nicht um allgemeine, abstrakte Forderungen wie beispielsweise eine Welt ohne Waffen oder das friedliche Zusammenleben der Kulturen, sondern um konkrete Lösungen für konkret existente Probleme. Das Herunterbrechen derartiger Mega-Themen auf konkrete Forderungen im Alltagsleben zeichnet einen Teil der Handlungsfähigkeit der Bürgerorganisation aus, ebenso wie die sich daran anschließende Machtanalyse unter der Fragestellung: „Wer kann uns das geben, was wir wollen? Wer sind also unsere Gegner*innen und wo finden wir mögliche Verbündete?“ Nur auf dieser Basis und im gemeinsamen Handeln kann ein produktives Austragen von allgegenwärtigen Konflikten – gegebenenfalls auch in der Öffentlichkeit! – für die Bürgerorganisation von Erfolg gekrönt sein.

CO basiert auf von allen gemeinsam getragenen Werten und Normen. Jene orientieren sich an demokratischen Prinzipien, Toleranz und Anerkennung von Vielfalt, sozialer Gerechtigkeit sowie an den allgemeinen Menschenrechten und müssen an jeder Stelle im Organizing-Prozess, bei jeder öffentlichkeitswirksamen Aktion und auch bei allen anderen Aktivitäten zum Tragen kommen. Dies erfordert eine permanente Reflexion des eigenen Tuns. Insbesondere aber bei der Auswertung und Evaluation durchgeführter Kampagnen stellt sich unabdingbar die Frage, ob dabei stets den eigenen Werten und Normen treu geblieben wurde bzw. an welcher Stelle und warum diese verletzt wurden. Wie im gesamten Organizing-Prozess vertraut CO auch hierbei in die Fähigkeiten der Menschen, deren Potenziale sich im gemeinsamen Handeln immer mehr entfalten. An erster Stelle stehen im CO stets die Menschen, erst an zweiter die Probleme.

4 Umsetzung des Handlungskonzeptes Community Organizing im Rahmen des Stadtteilmanagements Baesweiler-Setterich

Baesweiler ist eine Stadt in Nordrhein-Westfalen mit ca. 28.000 Einwohner*innen, Setterich ist – neben dem Hauptort – der größte der insgesamt sechs Stadtteile. Im Programmgebiet „Soziale Stadt Setterich-Nord“ leben etwa 3600 Menschen, davon ca. 40 % mit Zuwanderungsgeschichte. Anfang der 1990er Jahre wurde die letzte Zeche des Steinkohlebergbaus stillgelegt. Damit veränderte sich für viele Einwohner*innen nicht nur die wirtschaftliche Situation zum Negativen, sondern auch das soziale Leben verlor an verbindlichen und alltäglichen Strukturen, das Miteinander als „Kumpel“ löste sich auf. Viele der ortsansässigen Vereine widmeten sich spezifischen Themen oder Zielgruppen (Kaninchenzucht, Taubenzucht, Schützenverein, Invaliden- und Seniorenverein usw.), sodass ein bislang wesentliches verbindendes Element fehlte. Setterich-Nord entwickelte sich in der Folge zu einem sozial benachteiligten Stadtteil und wurde 2009 in die Förderung des Programms „Soziale Stadt Nordrhein-Westfalen“Footnote 2 aufgenommen.

Das Städtebauförderungsprogramm „Soziale Stadt“ wurde 1999 von Bund und Ländern ins Leben gerufen mit dem Ziel, „die städtebauliche Aufwertung und die Stärkung des gesellschaftlichen Zusammenhalts in benachteiligten Stadt- und Ortsteilen“ (www.staedtebaufoerderung.info) zu unterstützen. Wichtige Elemente des Programms sind neben den baulichen Verbesserungen u. a. die Aktivierung und Beteiligung der Bewohner*innen, ein integriertes ressortübergreifendes Handeln sowie die Verstetigung der neu geschaffenen Strukturen über die Programmlaufzeit hinaus. Auf welche Weise dies zu erreichen ist, wird nicht explizit vorgegeben, sondern bleibt dem jeweils beauftragten Träger und der auftragerteilenden Kommune überlassen. Die inhaltlich breit gefächerten Aufgaben des Stadtteilmanagements umfassen u. a. Kommunikations- sowie sich selbststtragende Strukturen im Stadtteil aufzubauen, Dialoge zu moderieren und Vernetzung anzuregen, die Bewohner*innen zu aktivieren sowie die lokale Ökonomie zu fördern (ausführlich s. ILS NRW, 2000, S. 25 ff.).

Grundlage für die Projektumsetzung ist ein Integriertes Handlungskonzept, das von der jeweiligen Kommune erstellt wird und ausdrücklich auch die sozialen Aspekte städtebaulicher Maßnahmen in die Konzeptionsentwicklung einbezieht. Mit der Umsetzung der sozialen Maßnahmen in Baesweiler-Setterich wurde das Deutsche Rote Kreuz (DRK), Kreisverband Städteregion Aachen e. V. beauftragt. Anfang des Jahres 2010 begann die Arbeit der Stadtteilmanager*innen des DRK in Setterich-Nord. Gemeinsam mit einer im Wohngebiet vertretenen Wohnungsgesellschaft wurde eine Dreizimmerwohnung angemietet. Grundlage der Arbeit des Stadtteilbüros war ein durch CO inspiriertes Handlungskonzept.

In der Stadtteilarbeit stellt sich von Beginn an die Frage, wie es gelingen kann, die Bewohner*innen nicht nur punktuell zu beteiligen, sondern auf längere Sicht in die Stadtteilentwicklung einzubeziehen, denn sie sind die Expert*innen ihrer Lebenswelt und wohnen auch dann noch im Stadtteil, wenn die Finanzierung des Projektes ausgelaufen ist. Um mehr über die Lebenssituation der Menschen in Setterich-Nord, über ihre Wünsche und Bedürfnisse zu erfahren sowie um das Stadtteilmanagement im Wohngebiet bekannt zu machen, wurde ein Zuhörprozess, wie unter Abschn. 3 beschrieben, gestartet. Daran anschließende erste Gruppentreffen wurden im Warteraum der Wohnung, im kleinen dazugehörigen Garten oder in Kooperation mit anderen Trägern des Stadtteils in deren Räumen umgesetzt.

In der Folge entwickelten sich zwei verschiedene Handlungsstränge, die z. T. parallel zueinander abliefen und sich gegenseitig ergänzten: der nach klassischem CO-Vorgehen initiierte Aufbau einer nachhaltigen demokratischen Struktur der Zusammenarbeit im Stadtteil sowie die Nutzung unterschiedlicher Elemente aus dem methodischen Repertoire von CO bei der Umsetzung verschiedener Einzelmaßnahmen des Stadtteilmanagements.

4.1 Aufbau einer nachhaltigen demokratischen Struktur

Möglichkeiten zur Teilnahme an öffentlichen Beteiligungsverfahren werden von sozial benachteiligten Bevölkerungsgruppen oft nicht wahrgenommen. Bekanntmachungen der Kommunen werden in der Lokalpresse nicht gelesen bzw. nicht verstanden oder aber die Adressat*innen fühlen sich nicht angesprochen. Eine Aktivierung und in der Folge eine gemeinsame Planung mit den Menschen vor Ort ist so kaum möglich. Die kommunalen Verantwortlichen handeln zwar nach bestem Wissen und Gewissen, aber es besteht immer die Gefahr, dass dabei an den Betroffenen vorbeigeplant wird. Dadurch werden die oftmals teuren Maßnahmen von diesen nicht als Verbesserung wahrgenommen, daher auch nicht wertgeschätzt und es kommt schneller zu Vandalismus.

Mit dem Handlungskonzept CO werden Bewohner*innen zusammengebracht, um gemeinsam Verbesserungen zu erzielen. Dabei werden vier Phasen durchlaufen, die sich bei einem lebendigen Prozess stets wiederholen und nie als abgeschlossen zu betrachten sind (s. Abb. 1).

Abb. 1
figure 1

(Quelle: Eigene Darstellung, © U. Fischer 2021)

Aufbau einer nachhaltigen demokratischen Organisationsstruktur.

Zu Projektbeginn wurde mit einem „Zuhörprozess“ gestartet (Phase 1). Hierbei fanden ca. 50 aktivierende Gespräche („one-on-ones“) mit potenziellen Multiplikator*innen in Setterich-Nord statt, z. B. mit dem Imam, dem Pfarrer, der Leitung von Schulen und Kindergärten, mit Vereinsvorsitzenden und Vertreter*innen sozialer Einrichtungen. Ziel dabei war, sich kennenzulernen, Eigeninteressen, Themen und Ressourcen zu ermitteln, Kooperationsmöglichkeiten auszuloten und vertrauensvolle Arbeitsbeziehungen aufzubauen. Ein weiterer Aspekt dieser Gespräche war, Menschen zu finden, die viele Bewohner*innen des Stadtteils kannten und denen sie vertrauten. Im Stadtteil waren dies z. B. engagierte Eltern sowie Mitglieder von Moscheegemeinden. Mit ihnen wurde als Nächstes Kontakt aufgenommen und sie fungierten als sogenannte „Schlüsselpersonen“. Ihre persönlichen Sichtweisen und Eigeninteressen wurden ermittelt, sodass nach und nach ein Bild des inneren Gemeinwesens, der informellen und formellen Strukturen sowie der jeweiligen Handlungsspielräume der verschiedenen Akteur*innen entstand. Hilfreich dafür war die Erweiterung des Teams durch eine Sozialarbeiterin türkischer Herkunft, die noch schneller Zugang zu den Menschen mit türkischer Zuwanderungsgeschichte fand. Darüber hinaus wurden die Themen („issues“) zusammengetragen, die für die Menschen von Bedeutung waren und für die sie bereit waren, sich zu engagieren.

Im Austausch mit einem engagierten Pfarrer der Evangelischen Kirchengemeinde Setterich entstand die Idee, für interessierte Personen aus dem Stadtteil einen Workshop zu CO mit einem erfahrenen Organizer durchzuführen. Menschen aus dem Programmgebiet „Soziale Stadt Setterich-Nord“ sollten so in die Lage versetzt werden, sich für ihre Interessen selbst einzusetzen, anstatt lediglich auf schon geplante Maßnahmen zu reagieren. Weitere Träger schlossen sich an, die Finanzierung des Trainings erfolgte über den Verfügungsfonds des Förderprogramms. Im Rahmen des Zuhörprozesses konnten ca. 15 Teilnehmer*innen für das Training gewonnen werden (Phase 2). Sie lernten, wie man aktivierende Gespräche führt (vgl. Lüttringhaus & Richers, 2019) und praktizierten diese anschließend selbst im Stadtteil, zunächst meist mit Bekannten in ihrer Nachbarschaft, später dann mit anderen Bewohner*innen. Auf diese Weise erweiterte sich der Kreis von Aktiven und die Themen, zu denen eine Aktivierung der Bewohner*innen möglich schien, wurden identifiziert. Die Gesprächsergebnisse wurden zusammengetragen und in einer Bewohnerversammlung öffentlich vorgestellt. Dort wurden die weiter zu verfolgenden Themenschwerpunkte auf demokratische Weise festgelegt. Zentrale Anliegen waren die Verbesserung der Lebenssituation von Kindern und Jugendlichen in Setterich-Nord sowie die Verschönerung und Verbesserung des Wohnumfelds. Zu beiden Themen bildeten sich Arbeitsgruppen, die Ideen und Lösungswege für die Probleme erarbeiteten und diese anschließend im Plenum vorstellten.

Durch erfolgreiche Aktionen, z. B. Reinigungsaktionen im Stadtteil mit bis zu 300 Mitwirkenden, und gemeinsame Aktivitäten, z. B. Beteiligung an Stadtteilfesten mit einem Spieleangebot, vergrößerte sich die Gruppe von Aktiven (Aktionskern) deutlich (Phase 3). Zudem war es wichtig, auch ohne Finanzierung von außen selbstständig etwas für den Stadtteil zu tun und so auf sich aufmerksam zu machen sowie an Einfluss zu gewinnen. In der Projektkonzeption „Soziale Stadt Setterich-Nord“ waren verschiedene Verbesserungsmaßnahmen zum Wohnumfeld im Programmgebiet vorgesehen. Mit dem hierfür verantwortlichen Mitarbeiter der Stadtplanungsbehörde wurde vereinbart, dass die engagierten Bewohner*innen ihre Sicht zu denjenigen Punkten einbringen konnten, bei denen es Handlungsspielräume in Bezug auf die Umsetzung gab. Mit dem Stadtteilmanagement wurde dazu ein Vorgehen abgesprochen, das einerseits ausreichend Zeit für einen Zuhörprozess in den jeweiligen Quartieren einräumte, andererseits dennoch in zeitlicher Nähe zur geplanten Umsetzung lag, damit die Erfolge des Engagements für die beteiligten Bewohner*innen unmittelbar spürbar wurden.

In der Folge wurden Ortsbegehungen gemacht, Haustür- und Kleingruppengespräche geführt (z. B. mit Gruppen, die sich auf den Grünflächen vor ihrer Haustür zusammensetzten) und auch Kinder und Jugendliche wurden direkt oder über Mulitplikator*innen angesprochen bzw. durch passende Methoden in den Prozess einbezogen. Im Anschluss daran lud die aus Bewohner*innen des Stadtteils im Rahmen der Aktivitäten entstandene Gruppe „Aktive Nachbarschaft Setterich“ gemeinsam mit der Stadtverwaltung und dem örtlichen Wohnungsunternehmen zu einer weiteren Versammlung ein, an der mehr als 80 Personen aus dem betroffenen Quartier teilnahmen. Die Mitwirkenden des Aktionskerns stellten die Gesprächsergebnisse vor und erläuterten die Vorstellungen, die sich aus dem Zuhörprozess ergeben hatten. Auch die Wünsche der Jugendlichen wurden über deren Sprecher eingebracht.

Wünsche sowie Befürchtungen wurden ausgetauscht und die im Anschluss entwickelten Ideen flossen in die Planung ein. Im Ergebnis wurden Jugendtreffpunkte unter Beteiligung von Kindern und Jugendlichen eingerichtet, ausgebaut, ein Bolzplatz verbessert, Spielplätze gebaut oder den Wünschen der Kinder angepasst, verkehrsberuhigende Maßnahmen durchgeführt, eine Bürgerbegegnungsstätte als Treffpunkt für alle im Stadtteil eingerichtet sowie Plätze und Straßen verschönert und sicherer gemacht. Mit künstlerisch-handwerklichen Projekten wurden die Bewohner*innen von der Planung bis zur Umsetzung einbezogen. Die auf diese Weise umgesetzten Maßnahmen fanden eine hohe Akzeptanz und die damit erzielten Verbesserungen wurden wertgeschätzt. Darüber hinaus kamen sich die Bewohner*innen untereinander näher und fühlten sich in ihrem Stadtteil jetzt wesentlich wohler als zuvor. Der Prozess wurde von den Stadtteilmanager*innenFootnote 3 moderiert. Fragen nach der Art der Zusammenarbeit der Akteur*innen, des Umgangs mit Konflikten in der Gruppe, der Orientierung an Themen mit Aktivierungspotenzial sowie der Weiterführung von Aktionen waren dabei ebenso bedeutend wie die Gestaltung des Prozesses selbst.

Um eine nachhaltige demokratische Struktur in der Zusammenarbeit aufzubauen (Phase 4), wurde Wert darauf gelegt, die Entscheidungswege in der Gruppe der aktiven Bewohner*innen von Beginn an demokratisch und jederzeit transparent zu gestalten. Aus der zunächst lockeren und informellen Zusammenarbeit entstand in der Folge der Verein „Aktive Nachbarschaft Setterich e. V.“, der sich über Mitgliedsbeiträge und Spenden finanziert. Dies ermöglicht ihm ein eigenständiges Handeln. Das Stadtteilmanagement unterstützt den Verein weiterhin beratend. Die Themen, Verfahren und Aktivitäten werden jedoch von diesem in demokratischen Verfahren selbst bestimmt.

4.2 Maßnahmen der Stadtteilarbeit und Community Organizing

Nach den Vorgaben des Projektvertrags zwischen der Stadt Baesweiler und dem Träger DRK sollte u. a. ein „Erzählcafé“ eingerichtet werden. Die Idee war, dass Menschen mit und ohne Zuwanderungsgeschichte sich untereinander austauschen und von ihrer Geschichte erzählen sollten, um so miteinander in Kontakt zu kommen. Dies sollte zudem gefilmt werden, um das Erfahrene auch einem größeren Kreis von Interessierten zugänglich machen zu können. Während des Zuhörprozesses wurde deutlich, dass insbesondere Frauen mit türkischer und marokkanischer Zuwanderungsgeschichte Interesse an einem gemeinsamen Austausch hatten, da ihnen hierfür geeignete Freiräume fehlten. Aus kulturellen Gründen konnte dies jedoch nicht gemeinsam mit Männern erfolgen. Bei den Gesprächen mit den Männern ergab sich, dass diese wenig Interesse an einer neuen Gruppe hatten, da sich die meisten ohnehin schon in Vereinen, in der Moschee oder in Bistros trafen und sich dort entsprechend miteinander austauschen konnten. Darüber hinaus wollten die meisten Frauen und Männer nicht gefilmt werden. Neben den sprachlichen Verständigungsschwierigkeiten wäre damit eine unüberwindbare Hürde für das Vorhaben hinzugekommen. Daher organisierten die Stadtteilmanager*innen in Absprache mit der Stadtverwaltung und in Rücksprache mit der zuständigen Bezirksregierung stattdessen ein niedrigschwelliges monatliches Angebot, das „Frauenfrühstück“, zu dem jede Frau eine Kleinigkeit zu essen mitbrachte. Die Getränke und die Räumlichkeiten wurden vom Stadtteilmanagement gestellt. Die Frauen waren es gewohnt, mit anderen gemeinsam Feste auszurichten, Essen selbst zuzubereiten und gemeinsam zu kochen. Über das Teilen der mitgebrachten Köstlichkeiten aus den verschiedenen Ländern kamen sie miteinander ins Gespräch und lernte sich so schnell kennen.

Die Leiterin eines Kindergartens bedauerte bei einem „one-on-one“, dass viele Frauen mit Zuwanderungsgeschichte kaum Deutsch sprächen, aber zu den angebotenen Deutschkursen nicht gekommen wären. Bei den Gesprächen mit den Frauen stellte sich jedoch heraus, dass viele von ihnen gerne Deutsch lernen wollten. Daher wurde nachgefragt, welche Voraussetzungen denn gegeben sein müssten, damit sie die Sprachkurse wahrnehmen würden. Diese sollten wohnortnah, nur von und für Frauen sowie kostengünstig sein. In Zusammenarbeit mit anderen Trägern und Einrichtungen sowie dem Stadtteilmanagement wurden die Kurse nun entsprechend den Rückmeldungen der Frauen organisiert. Daraufhin konnten fünf Kurse mit insgesamt 50 Frauen eingerichtet werden, die über mehrere Jahre hinweg gut besucht waren.

Bei den nun regelmäßig stattfindenden „Frauenfrühstücken“ wurden weitere Aktivitäten gemeinsam geplant und umgesetzt (z. B. Sport- und Freizeitangebote). Viele Frauen erhielten hier auch den Anstoß, zum ersten Mal zu einer Bewohnerversammlung zu gehen, als es dort um Verbesserungsmaßnahmen in ihrem Wohnumfeld ging. Die Frauen fassten Mut dazu, weil sie sich gemeinsam zur Teilnahme verabredet hatten und für sie in ihre Sprache übersetzt wurde. Einige von ihnen wirkten später auch bei „Aktive Nachbarschaft Setterich“ mit.

Die niedrigschwelligen Angebote, bei denen man sich ungezwungen kennenlernen konnte, führten nicht nur zur Belebung der zahlreichen Einzelmaßnahmen des Programms „Soziale Stadt Setterich-Nord“, sondern waren auch Grundlage für das bürgerschaftliche Engagement vieler Frauen. Manche von ihnen bringen sich noch heute ehrenamtlich ein und einige fanden gar den Mut, schulische Abschlüsse nachzuholen und beruflich tätig zu werden. Die infolge der niedrigschwelligen Angebote entstandenen Aktivitäten wurden später in die Konzeptentwicklung der Bürgerbegegnungsstätte „Haus Setterich“ aufgenommen. Die dortigen Bewegungsangebote der Volkshochschule sowie verschiedene Bildungsangebote haben ihre Wurzeln im „Frauenfrühstück“, das auch heute noch monatlich stattfindet.

Folgende Elemente von CO waren für den Prozess zielführend:

  • Zuhörgespräche fanden statt und die Eigeninteressen der Bewohner*innen wurden zusammengeführt. Die daraus entstandenen Beziehungen machten nachhaltige Erfolge möglich.

  • Die Vorgaben des Integrierten Handlungskonzepts konnten, in Absprache mit der Stadt und der zuständigen Bezirksregierung, auf den konkreten Bedarf hin ausgerichtet werden.

  • Schlüsselpersonen wurden in den Prozess eingebunden, die dann ihre Bekannten zu den nächsten Treffen einluden. Die geplante Maßnahme „Erzählcafé“ wurde nicht nur akzeptiert, sondern auch mit Leben gefüllt.

  • Durch die Einbeziehung von Schlüsselpersonen wurde ein kultur- und milieusensibles Vorgehen gefördert. Nicht die Vorstellungen der Mitarbeiter*innen des Stadtteilbüros waren bei der Organisation der Sprachkurse entscheidend, sondern die Sicht der Frauen mit Migrationsgeschichte, mit dem Blick auf deren individuellen Möglichkeiten und kulturellen Gegebenheiten.

  • Die Ressourcen der Bewohner*innen wurden aktiviert, sie brachten z. B. etwas zu essen mit. Ihre Kontakte untereinander wurden ausgebaut und infolge der Vernetzung untereinander nahmen sie nicht nur an den angebotenen Kursen teil, sondern lernten zudem auch Aktive aus anderen Bereichen kennen. Ehrenamtliche und bürgerschaftlich Engagierte wurden gewonnen, auch solche mit Migrationsgeschichte.

  • Die Teilhabe sozial benachteiligter Bewohner*innen wurde gefördert, indem diese Einfluss auf die Gestaltung ihres Wohnumfelds nahmen und so selbst zur Verbesserung ihrer Lebenssituation beitrugen.

4.3 Zusammenfassende Bewertung

Im Rahmen des am Handlungskonzept CO orientierten Stadtteilmanagements in Baesweiler-Setterich bildete sich ein Kreis von aktiven Bewohner*innen heraus, der später in die Vereinsgründung „Aktive Nachbarschaft Setterich e. V.“ mündete. Daneben entstanden Kooperationen, Runde Tische sowie die passgenaue Konzeption und Raumplanung der im Jahr 2012 eröffneten Bürgerbegegnungsstätte „Haus Setterich“. Die umfangreiche Einbeziehung externer Kooperationspartner (z. B. Familienpat*innen, Karnevalsverein, Verbraucherberatung, regelmäßige Sprechstunden des sozialpsychiatrischen Dienstes) in die Raumnutzung des Hauses führte nicht nur zu einer breiten Angebotsstruktur für die Bewohner*innen des Stadtteils, sondern trug gleichsam maßgeblich zur lokalen Vernetzung des Stadtteilbüros bei. Dessen Aktivitäten, Zielgruppen und Projekte weiteten sich im Laufe der Zeit deutlich auf die Gesamtstadt Baesweiler aus. Ende des Jahres 2019 beschloss der Stadtrat einstimmig die Fortsetzung der Arbeit des Stadtteilbüros für weitere drei Jahre mit vorrangig kommunalen Haushaltsmitteln, nachdem sich die Landesförderung über „Soziale Stadt Nordrhein-Westfalen“ programmgemäß reduzierte.

Die Mitarbeiter*innen der Kommune konnten passgenauer und nachhaltiger planen sowie gemeinsam mit den hiervon betroffenen Bewohner*innen spürbare Verbesserungen in den Stadtteilen erreichen. Die vorhandenen Ressourcen in den Quartieren wurden genutzt und nachhaltig eingesetzt. Die Zufriedenheit und Identifikation der Menschen mit ihrer Nachbarschaft, ihrem Stadtteil und auch ihrer Stadt nahm zu. In sozial benachteiligten Stadtteilen wurden zudem Ansprechpartner*innen gefunden, die Konflikte vermeiden helfen oder in Konfliktsituationen, z. B. zwischen Kommune und Nachbarschaft, vermitteln können. Demokratie wird auf diese Weise vor Ort gelebt.

Als förderliche Rahmenbedingungen für die Anwendung von Elementen und methodischen Verfahren aus dem Handlungskonzept CO stellte sich in der Arbeit des Stadtteilmanagements heraus:

  • Je besser die Rahmenbedingungen sind, desto eher gelingt es, die Ressourcen eines Stadtteils zu erschließen und Bewohner*innen zu eigenständig handelnden Akteur*innen zu machen. Ihre frühzeitige Einbeziehung in anstehende Planungsprozesse unterstützt diese Entwicklung zudem.

  • Vor allem bedarf es zunächst eines „langen Atems“ von allen Verantwortlichen und Beteiligten, der langfristig jedoch mit vertrauensvollen Arbeitsbeziehungen belohnt wird.

  • Aushandlungsprozesse müssen von allen Seiten gelernt werden und die Kommunikation „auf Augenhöhe“ muss gewollt sein. Entscheidend ist, dass sich Kommune und Projektträger auf einen ergebnisoffenen Dialog einlassen, unter Berücksichtigung demokratischer Vorgehensweisen und Grundsätze.

  • Die Projektbeteiligten benötigen ausreichende zeitliche und personelle Ressourcen. Die Mitarbeiter*innen eines Stadtteilbüros müssen über die erforderlichen Qualifikationen in CO verfügen, ebenso über kulturelle sowie milieuspezifische Sensibilität.

  • Durch Zuhörgespräche und Netzwerkarbeit der Mitarbeiter*innen des Stadtteilbüros nimmt deren Einfluss im Stadtteil zu, während Bewohnergruppen erst mit der Zeit entstehen. Die kritische Reflektion der eigenen Rolle sollte deshalb regelmäßig im Team erfolgen, um Entscheidungen nicht mit Blick auf die eigenen Vorstellungen zu manipulieren.

  • Angesichts der Komplexität der Aufgaben sind persönliche Ansprechpartner*innen mit entsprechender Entscheidungskompetenz sowohl in der Kommune als auch bei den Wohnungsgesellschaften sehr hilfreich. Dies ermöglicht zum einen eine unbürokratische Vorgehensweise und zum anderen die in der Stadtteilarbeit häufig erforderliche Flexibilität. Förderlich ist ebenso die interdisziplinäre und interkulturelle Zusammenarbeit auf möglichst vielen Ebenen, d. h. sowohl innerhalb der Verwaltung als auch mit anderen Akteur*innen des jeweiligen Gebiets.

  • Von besonderer Bedeutung ist, dass ausreichende Handlungsspielräume für Entscheidungen der Bewohner*innen vorhanden sind. Reine Pro-Forma-Beteiligung wirkt kontraproduktiv und widerspricht einer vertrauensvollen Arbeitsbeziehung. Zudem leidet die Glaubwürdigkeit der Mitarbeiter*innen des Stadtteilmanagements darunter.

  • Eine erfolgreiche Arbeit im Stadtteil kann nur gelingen, wenn mit den dort existierenden Gruppen auf gleicher Augenhöhe kooperiert wird. Konflikte sind der Arbeit inhärent. Diese dürfen aber nicht per se negativ bewertet, sondern müssen stattdessen als Chance gesehen werden, gemeinsam Verbesserungen zu erreichen.

  • CO kann auf der Straße, in Kirchengemeinden, auf öffentlichen Plätzen, in privaten Wohnungen, quasi überall zum Einsatz kommen und ist nicht an eigene Räumlichkeiten gebunden.

  • Freie Träger, die mit dem Handlungskonzept CO arbeiten, sind ideale Partner zur Förderung von Teilhabe und Inklusion der Menschen im Stadtteil.

5 Community Organizing und Soziale Arbeit

Community Organizing ist weder Soziale Arbeit noch Gemeinwesenarbeit und schon gar nicht Stadtteilmanagement – Ausgangsvoraussetzungen und Rahmenbedingungen stehen sich vielmehr zum Teil diametral gegenüber. Findet Soziale Arbeit und damit Gemeinwesenarbeit ebenso wie Stadtteimanagement in Deutschland doch stets im Rahmen wohlfahrtsstaatlicher Verfasstheit und in der Regel alimentiert durch staatliche Fördermittel statt, vertrat Alinsky (1940, S. 45) in Bezug auf die US-amerikanischen Wohlfahrtsorganisationen dagegen die Auffassung „welfare is hellfare“ und wurde nicht müde, die Notwendigkeit einer von öffentlichen Mitteln unabhängigen Finanzierung der Bürgerorganisation zu betonen (auch wenn er in den 1960er Jahren selbst von dieser Vorgabe ein Stück weit abrückte). Dennoch können Prinzipien und insbesondere Handlungsinstrumente aus dem CO – wie in diesem Beitrag an einem konkreten Beispiel aufgezeigt wurde – in sozialarbeiterisches Handeln im Rahmen eines staatlich finanzierten und von einem Wohlfahrtsverband getragenen Stadtteilmanagements einfließen. Das Eingebundensein der Professionellen in diese Rahmenbedingungen schränkt die Reichweite von deren Handlungsspielräumen sicherlich in mitunter nicht unerheblichem Ausmaß ein, schließt das Vorhandensein solcher jedoch keineswegs aus.

Die Ausgestaltung von dem, was möglich ist, und wo dann jeweils die Grenzen liegen, ist stets von der konkreten Situation vor Ort abhängig. Die vorgefundenen Konstellationen in der örtlichen Kommunalpolitik, das Selbstverständnis des Trägers, die soziostrukturelle Zusammensetzung der Bevökerung im Wohngebiet sowie das allgemeine politische Klima in der Kommune bzw. im Stadtteil sind dabei entscheidende Einflussfaktoren, ebenso aber auch die persönliche Haltung der Professionellen selbst. Nur wenn Letztere ihren oftmals vorhandenen defizitorientierten Zugang zu den Adressat*innen ihrer Arbeit überwinden und stattdessen den respektvollen Umgang miteinander auf gleicher Augenhöhe praktizieren, können entsprechende Empowerment-Prozesse im Stadtteil angestoßen werden. Diese beziehen dann – wie das Beispiel in Baesweiler-Setterich mit Nachdruck zeigt – insbesondere auch solche Personen mit ein, die bislang nicht als „Schlüsselpersonen“ im Stadtteil wahrgenommen wurden. In der Regel haben diese „neuen“ Akteur*innen ebenso einen Zugang zu weiteren Personen in ihrem persönlichen Umfeld, die in Angelegenheiten des Stadtteils – und damit gleichsam in „eigener Sache“ – bislang noch nicht in Erscheinung getreten sind. Und genau um deren Einbindung in die (zukünftigen) Stadtteilaktivitäten und -entwicklung geht es, will man sich dem Vorwurf erwehren, GWA bzw. Stadtteilmanagement arbeite primär oder gar ausschließlich mit den ohnehin Engagierten. Zahlreiche Beispiele aus der Organizing-Praxis in den USA belegen, dass durch CO gerade die bislang „stillen“ Bewohner*innen handlungsmächtig werden, dass „gewöhnliche Menschen Außergewöhnliches leisten“ (Trapp, 2020, S. 215).