Schlüsselwörter

1 Einleitung

Auswärtiger Dienst ist die Bezeichnung für jene Organisation, die die Interessen eines Staates in internationalen Kontexten vertritt – sei es bilateral in einem anderen Staat, oder multilateral gegenüber anderen Staaten und bei Internationalen Organisationen. Der österreichische Auswärtige Dienst repräsentiert somit die nationalen Interessen Österreichs auf internationaler Ebene und ist zentraler Bestandteil der Außenpolitik. Zum Auswärtigen Dienst zählt das Außenministerium mit seinen diplomatischen Vertretungen sowie jene Personen, die im Ministerium und den Vertretungen beschäftigt sind. Die Gesamtheit dieser Einzelteile bildet eine Organisation, die auf der einen Seite dafür zuständig ist Außenpolitik zu gestalten oder zumindest mitzugestalten, auf der anderen Seite aber von Entwicklungen auf nationaler und internationaler Ebene beeinflusst und auch verändert wird.

Dieser Beitrag beschäftigt sich mit der Frage, wie der österreichische Auswärtige Dienst sich in der Zweiten Republik in diesem Spannungsfeld entwickelt hat und wie sich seine Struktur, seine Aufgaben und das Berufsbild der Personen, die im Auswärtigen Dienst tätig sind, verändert haben. Den Ausgangspunkt des Beitrags bildet zunächst ein Blick auf das grundsätzliche Wesen Auswärtiger Dienste, um deren Natur und die Ausmaße der Veränderungen zu verstehen, mit denen sie aktuell konfrontiert sind. Danach schildert der Beitrag den Wiederaufbau des Auswärtigen Dienstes nach dem Zweiten Weltkrieg sowie die Schwerpunkte seiner Tätigkeit und seiner professionellen Identität in den ersten Jahrzehnten der Zweiten Republik. In weiterer Folge wird auf die Veränderungen eingegangen, die der EU-Beitritt hinsichtlich der Aufgaben und des Selbstverständnisses des österreichischen Auswärtigen Dienstes mit sich gebracht hat. Abschließend werden aktuelle und zukünftige Herausforderungen für den Auswärtigen Dienst behandelt, insbesondere jene Herausforderungen, die die Digitalisierung von Wirtschaft und Gesellschaft mit sich bringt. Im Beitrag wird offenkundig, dass der Auswärtige Dienst als Organisation in den vergangenen 25 Jahren großem Anpassungsdruck ausgesetzt war, sowohl ökonomisch als auch hinsichtlich seiner Rolle und Position bei der Vertretung Österreichs nach außen.

2 Wesen und Entwicklung von Auswärtigen Diensten

Die Tätigkeit der Auswärtigen Dienste ist untrennbar mit einer zentralen Komponente der Außenpolitik verbunden – nämlich der Diplomatie. Zahlreiche Angehörige der Außenministerien sind Diplomat*innen und damit überwiegend im diplomatischen Dienst an Botschaften, Konsulaten, bei Internationalen Organisationen oder der Europäischen Union tätig. Mit diesem Status gehen insbesondere für Diplomat*innen im Ausland gewisse Privilegien einher, die einer jahrhundertelangen Tradition folgen. Die Entwicklung von Diplomatie als Institution, wie wir sie heute kennen, hat allerdings schon lange vor der Entwicklung der Organisationsstrukturen begonnen, in die sie heute eingebettet ist (Jönnsson und Hall 2005, 25–26).

Diplomatie kann als Konsequenz des Umstands verstanden werden, dass Menschen räumlich getrennt voneinander leben, aber dennoch Beziehungen zueinander pflegen möchten (Sharp 1999, 51). So verstanden reicht Diplomatie bis in die frühe Menschheitsgeschichte zurück. Die Strukturen und Organisationen, die wir heute mit Diplomatie assoziieren, sind aber vergleichsweise jung und stehen in enger Verbindung mit der Entwicklung des modernen Staatensystems, das sich nach dem Westfälischen Frieden 1648 etabliert hat. Der Westfälische Friede war die Basis internationalen Rechts und initiierte die Friedensdiplomatie und die Durchführung von diplomatischen Kongressen (Schilling 1998, 26). Schon vor diesem Ereignis hatte Diplomatie eine lange Tradition in unterschiedlichen Formen (Der Derian 1987; Bátora und Hynek 2014). Nach 1648 etablierten sich in Europa jedoch offiziell akkreditierte Diplomat*innen an ständigen Vertretungen sowie die diplomatische Immunität (Held et al. 1999, 38). Damit veränderte sich das Wesen von Diplomatie sukzessive, weg vom Austausch zwischen Vertreter*innen unterschiedlicher Herrschaftsformen, die unterschiedlich organisiert waren und unterschiedlichen Prinzipien folgten, hin zum Austausch zwischen Repräsentant*innen souveräner Herrschender über souveräne Territorien, später souveräne Staaten (Bátora und Hynek 2014, 54).

Der Wiener und der Aachener Kongress 1815 und 1818 trugen dazu bei, eine einvernehmliche Grundlage für den diplomatischen Dienst zu schaffen. Es wurden einheitliche Kategorien für diplomatische Repräsentant*innen definiert und auch die protokollarische Rangordnung festgelegt. Ab 1815 wurde der diplomatische Dienst als eigener Bereich der öffentlichen Verwaltung wahrgenommen und Diplomatie etablierte sich zunehmend als eigenes Berufsfeld (Nicolson 1988, 31–33). Diese Entwicklungen haben dazu beigetragen, dass sich die Strukturen, in denen Diplomatie umgesetzt wird, zunehmend harmonisiert haben. So entstanden das Außenministerium und der Auswärtige Dienst als Standard für die Umsetzung von Diplomatie.

Diese Veränderungen hatten auch Folgen für das Selbstverständnis von Personen, die eine diplomatische Tätigkeit ausüben. War es vor der Etablierung des modernen Systems aus souveränen Staaten ein kosmopolitisches Umfeld, in dem sich Akteure bewegt haben, die Interessen auf diplomatischem Weg vertraten, so wurden nun der souveräne Staat, die Nation, zu einem zentralen Aspekt der professionellen Identität von Diplomat*innen (Bátora und Hynek 2014, 58). Die Harmonisierung der Strukturen hat aber auch dazu beigetragen das Berufsfeld zu vereinheitlichen und den Austausch untereinander für die Angehörigen dieses Systems zu erleichtern. Heute durchlaufen Diplomat*innen Ausbildungs- und Sozialisationsprozesse in ihren jeweiligen Außenministerien, in denen ihnen professionelle Normen, Regeln und Werte vermittelt werden, die die Basis für den Austausch mit Diplomat*innen anderer Nationen bilden. So werden Diplomat*innen unterschiedlicher Herkunft zu einer Berufsgruppe mit Zugehörigkeitsgefühl. Auf Basis dieser Normen, Regeln und Werte können die Angehörigen dieser Berufsgruppe interagieren, obwohl sie vor unterschiedlichen kulturellen Hintergründen arbeiten, verschiedene politische Systeme vertreten und möglicherweise divergierende Interessen haben. Die Einheitlichkeit dieses modernen diplomatischen Systems reduziert somit die Komplexität im internationalen Austausch (Bátora 2005, 47–48).

Das also ist die Rahmung, in der sich Diplomatie entwickelt hat und in der das Außenministerium und der Auswärtige Dienste zum Standard für die Umsetzung von Diplomatie wurden. In den vergangenen Jahrzehnten haben jedoch Entwicklungen stattgefunden, die Einfluss auf das moderne System souveräner Staaten nehmen und damit auf die moderne Form von Diplomatie, die sich in diesem System etabliert hat. Das Ende das Kalten Krieges, die Ausbreitung des Kapitalismus, die voranschreitende Globalisierung und Digitalisierung haben Diplomatie und die Arbeit des Auswärtigen Dienstes verändert und verändern sie weiterhin (Rana 2011, 13–18). Für europäische Staaten wie Österreich kommt noch eine weitere Entwicklung mit großem Veränderungspotenzial hinzu: die Europäische Union. Dieser Zusammenschluss von Staaten, die mit dem Beitritt zur EU auf Teile ihrer Souveränität verzichten, wird als bisher umfassendster Versuch gesehen, von den vorherrschenden Prinzipien der staatlichen Souveränität und nationalen Identität abzugehen (Fossum 2002, 9), was wiederum Auswirkungen auf Diplomatie und den Auswärtigen Dienst hat, die beide tief in den Prinzipien dieses Systems verankert sind.

Wie sich der österreichische Auswärtige Dienst unter diesen aber auch anderen Einflüssen auf nationaler und internationaler Ebene seit 1945 entwickelt hat, zeigen die folgenden Abschnitte dieses Beitrags.

3 Der österreichische Auswärtige Dienst nach 1945

Nach Niederlagen in zwei Weltkriegen mit großen Gebietsverlusten nach dem Ersten Weltkrieg und dem damit einhergehenden Bedeutungsverlust im europäischen und globalen Raum, musste die Zweite Republik erst zu ihrer nationalen Identität finden. Der Auswärtige Dienst ist die Vertretung der Nation nach außen und damit eng mit der nationalen Identität verbunden. Diese Identitätssuche traf den Auswärtigen Dienst somit gleichermaßen. Zudem waren die Tätigkeiten des Auswärtigen Dienstes nach Kriegsende 1945 nur eingeschränkt umsetzbar. Vor der Unabhängigkeit Österreichs 1955 war die österreichische Außenpolitik stark von den Interessen und Entscheidungen der Besatzungsmächte abhängig und der primäre Fokus der Außenpolitik lag auf der Erreichung des Truppenabzugs und der Erlangung der Unabhängigkeit (Gehler 2005, 63). Dennoch mussten auch die Strukturen des Auswärtigen Dienstes wieder aufgebaut werden. 1947 verfügte der österreichische Auswärtige Dienst über nur 15 Gesandtschaften, und zwar in Ankara, Bern, Brüssel, Budapest, am Heiligen Stuhl, London, Moskau, Paris, Prag, Rio de Janeiro, Rom, Stockholm, Den Haag, Washington und Warschau. In den folgenden Jahren vervielfachte sich die Zahl der österreichischen Vertretungen im Ausland auf 55 im Jahr 1959 (BMAA 1987, 324–325). Es gab zu diesem Zeitpunkt jedoch noch kein eigenständiges Außenministerium. Die außenpolitischen Agenden waren im Bundeskanzleramt angesiedelt. Der neue Außenminister Bruno Kreisky (SPÖ) bestand auf die Schaffung eines Außenministeriums, was 1959 umgesetzt wurde, und prägte dessen Entwicklung maßgeblich. Das eigene Ministerium wertete den Auswärtigen Dienst auf und gab ihm ein neues Selbstverständnis. Kreisky begann auch die Arbeitsweisen im Auswärtigen Dienst zu modernisieren, gestaltete die Personalpolitik offener und machte den diplomatischen Dienst zugänglicher, was neue Ideen und Konzepte in den Auswärtigen Dienst brachte. Unter ihm wurde zudem die heutige Diplomatische Akademie wiedereröffnet, die während des Zweiten Weltkriegs geschlossen worden war.

Kreisky beeinflusste aber nicht nur die Strukturentwicklung des Auswärtigen Dienstes, die Arbeitsweisen und die Ausbildung, sondern vor allem auch wie die junge Republik international wahrgenommen wurde und damit in welchem Rahmen der Auswärtige Dienst operieren konnte. Trotz seines sozialdemokratischen Hintergrunds nutzte Kreisky kulturelle und historische Elemente aus der Habsburgermonarchie als Referenz, um das Bild der Zweiten Republik im Ausland zu zeichnen (Röhrlich 2009, 151–158) und kreierte damit das bis heute gängige Image des Kleinstaats Österreich als „kulturelle Großmacht“ (Gärtner et al. 2005, 12).

Bruno Kreisky war damit eine der einflussreichsten Personen bei der Ausgestaltung des Auswärtigen Dienstes der Zweiten Republik. Sein Einfluss auf die Außenpolitik und damit den Auswärtigen Dienst erstreckte sich über drei Jahrzehnte hinweg in den Positionen als Staatssekretär, Außenminister und Bundeskanzler. Der Organisationsaufbau des Außenministeriums am Ende seiner politischen Laufbahn im Jahr 1983 zeigt zwar eine traditionelle Struktur, die aber um neue Elemente ergänzt wurde. So waren neben den Sektionen mit politischem und administrativem Fokus auch eine eigene wirtschaftspolitische und eine kulturpolitische Sektion etabliert worden (Kneucker 1983, 47).

Österreich war 1983 mit 100 diplomatischen Missionen weltweit vertreten, davon 68 bilaterale Botschaften, 5 ständige Vertretungen bei Internationalen Organisationen, 16 Generalkonsulate, 10 Kulturforen und eine DelegationFootnote 1. Darüber hinaus hatte das Ministerium ein Netzwerk von 181 HonorarkonsulatenFootnote 2 aufgebaut. Laut dem Außenpolitischen Bericht des Jahres 1983 wurde der Ausbau des diplomatischen Netzwerks nach einer intensiven Expansion zu diesem Zeitpunkt als abgeschlossen angesehen (BMAA 1983, 220–221). Und tatsächlich liegt die Gesamtzahl an diplomatischen Vertretungen heute kaum höher als 1983, auch wenn es zwischendurch zu Schwankungen kam und sich die Verteilung auf die einzelnen Vertretungsarten geändert hat. Die Zahl der Honorarkonsulate wurde jedoch weiter stark ausgebaut auf 340 (BMEIA 2019, 224). Die Expansion in der Ära Kreisky und die diesbezügliche Zurückhaltung in den folgenden Jahren hat aber nicht nur mit der Bedeutung zu tun, die Kreisky der Außenpolitik zugeschrieben hat, sondern auch mit den ökonomischen Möglichkeiten dieser Zeit.

Der Kosten- und Effizienzdruck stieg in den folgenden Jahren an. Zudem brachte die Affäre Waldheim das sorgsam von Kreisky aufgebaute und gepflegte Bild der Zweiten Republik in der Welt als moderne Nation und kulturell reicher Nachfolgestaat der Habsburgermonarchie (Röhrlich 2009, 154; Rathkolb 2011, 37), abseits der Verbrechen des Nationalsozialismus, ins Wanken. Die Affäre hatte großen Schaden für Österreichs Reputation zur Folge und führte das Land einige Jahre in internationale Isolation. Die Angehörigen des Auswärtigen Dienstes waren gezwungen, im Spannungsfeld zwischen Österreichs Selbstwahrnehmung als erstes Opfer des Nationalsozialismus und der sich ändernden internationalen Wahrnehmung zu agieren, in der der österreichischen Bevölkerung zunehmend eine Mittäterschaft attestiert wurde. Dennoch oder gerade deshalb nutzte der Auswärtige Dienst weiterhin Kreiskys Erfolgsmodell zur Repräsentation Österreichs im Ausland. Auch heute noch halten Diplomat*innen im Auswärtigen Dienst Österreichs Image als Kulturnation hoch und sehen es als profitabel für die eigene Arbeit an (Sonnleitner 2018, 203–204).

Neben dem Image als kulturelle Großmacht hat aber vor allem das Selbstverständnis als neutraler Staat die nationale Identität Österreichs nach dem Zweiten Weltkrieg (Wodak et al. 2009, 63) und damit das Selbstbild des Auswärtigen Dienstes geprägt. Auch hier hat Bruno Kreisky einen maßgeblichen Beitrag geleistet, der bis heute im Auswärtigen Dienst nachwirkt. Sein Konzept der aktiven Neutralität war ausgesprochen erfolgreich. Die Vermittlerrolle, in der er Österreich als internationalen Akteur positionierte, im Kalten Krieg sowie im Nahostkonflikt, reichte weit über Österreichs eigentliche politische und militärische Macht hinaus (Gehler und Bischof 2006, 7). Der Kleinstaat Österreich wurde dadurch auf internationaler Ebene sichtbar und davon profitiert der Auswärtige Dienst bis heute. Vor allem in multilateralen Kontexten wird Österreich durch die Jahrzehnte der aktiven Neutralitätspolitik oft als „honest broker“ wahrgenommen, der seine Haltungen nicht aus purem Selbstzweck oder Eigeninteresse vertritt, wodurch die Angehörigen des Auswärtigen Dienstes einen gewissen Glaubwürdigkeitsbonus genießen.

Der heutige Auswärtige Dienst agiert jedoch in einer gänzlich anderen Rahmung als der Auswärtige Dienst in den ersten Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg. Wer Österreich heute in der Diplomtaie oder Außenpolitik vertritt, hat weniger Spielraum als dies zu Zeiten Bruno Kreiskys der Fall war. Es stehen nicht nur weniger Ressourcen zur Verfügung – Personal und Budget wurden wesentlich gekürzt – auch der politische Spielraum ist kleiner geworden. Mit dem Beitritt zur EU agiert Österreich nun in Einklang mit der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) und die Gestaltung eines individuellen außenpolitischen Profils ist nicht mehr in dem Ausmaß möglich, wie in den ersten Jahrzehnten nach Ende des Zweiten Weltkriegs. Dennoch versucht der Auswärtige Dienst sich auch als Vertreter eines EU-Mitgliedsstaats in gewissen politischen Feldern zu etablieren und eine Expertise aufzubauen, so zum Beispiel in außen- und europapolitischen Angelegenheiten die die Westbalkan-Region betreffen.

4 Der österreichische Auswärtige Dienst in der Europäischen Union

Der Beitritt zur Europäischen Union hat sich auf mehreren Ebenen auf die Arbeit und auch die Struktur des Auswärtigen Dienstes ausgewirkt. Zum einen vertritt der Auswärtige Dienst in Drittstaaten nun nicht mehr bloß einen neutralen Nationalstaat, sondern ein Mitglied der Europäischen Union. Zum anderen veränderte sich auch die Tätigkeit innerhalb der EU, da sich die Beziehung zu den anderen EU-Mitgliedsstaaten verändert hat. Nun arbeitet der Auswärtige Dienst nicht nur bilateral mit den anderen Mitgliedsstaaten zusammen, sondern auch auf multilateraler Ebene.

Bereits während des Beitrittsprozesses begann das Ministerium seine Arbeit und seine Struktur auf die EU auszurichten. 1992 wurde die Wirtschaftspolitische Sektion um eine Abteilung erweitert, die sich mit Europäischer Integration auseinandersetzt und die Sektion wurde in Wirtschafts- und Integrationspolitische Sektion umbenannt (BMAA 1992, 552). Die Struktur dieser Abteilung wurde in den folgenden Jahren mehrmals verändert und richtete ihren Fokus schrittweise weiter auf die Kooperation mit der EU aus. 1996, ein Jahr nach dem Beitritt, war in dieser Sektion nur noch eine Abteilung verblieben, die keinen direkten EU-Bezug hatte (BMAA 1996, 208). Das zeigt den großen Anpassungsdruck, den die EU-Mitgliedschaft auf den Auswärtigen Dienst ausgeübt hat. 2007, 12 Jahre nach dem EU-Beitritt, ging das Außenministerium noch einen deutlichen Schritt in Richtung Europäische Integration, indem es sich von Bundesministerium für Auswärtige Angelegenheiten umbenannte in Bundesministerium für europäische und internationale Angelegenheiten. Die Vorreihung der europäischen Angelegenheiten zeigt den Stellenwert, den die EU in der Arbeit des Auswärtigen Dienstes mittlerweile einnahm. Darüber hinaus diente diese Benennung aber auch der strategischen Positionierung innerhalb des österreichischen Verwaltungsapparats. In der EU vernetzen sich die Mitgliedsstaaten nicht nur auf multilateraler Ebene in Brüssel, sondern auch zwischen den Fachministerien in den Hauptstädten findet Zusammenarbeit statt, sodass eine Art „Europäische Innenpolitik“ (Höll 2002, 370) entsteht. Dadurch verlieren Auswärtige Dienste in der EU ihre traditionellen Vermittlungsaufgaben und werden zunehmend zu einem Subsystem des nationalen diplomatischen Systems, da in der EU auch andere Akteure Aufgaben wahrnehmen, die als Diplomatie oder als traditionelle Aufgaben des Auswärtigen Dienstes angesehen werden (Hocking 2013). Das zeigt sich insbesondere darin, dass die EU-Agenden mittlerweile im Bundeskanzleramt angesiedelt sind. In Österreich hat sich diese Entwicklung aber bereits viel früher, nämlich bereits vor dem EU-Beitritt, angedeutet. Im Jahr 1991 wurde von der Regierung ein Personalentwicklungskonzept erstellt, um sich auf den Bedarf an hoch qualifiziertem Personal im Rahmen des Europäischen Integrationsprozesses vorzubereiten. Im Zuge dessen wurden 250 Stellen für integrationsspezifische Aufgaben geschaffen. Nur neun dieser Stellen waren für den Auswärtigen Dienst vorgesehen, die übrigen gingen an andere Ministerien und Bereiche des Verwaltungsapparats (BMAA 1993, 48). Die Umbenennung des Außenministeriums in Bundesministerium für europäische und internationale Angelegenheiten kann als Ausdruck des Versuchs des Auswärtigen Dienstes gesehen werden, drohendem Bedeutungsverlust in EU-bezogenen Angelegenheiten entgegenzuwirken.

Wirft man einen Blick auf die Schwerpunkte, die der Auswärtige Dienst nach dem EU-Beitritt in der Entwicklung seines Netzwerks diplomatischer Vertretungen setzte, wird auch hier ein deutlicher EU-Fokus sichtbar. Wie bereits erwähnt, liegt die heutige Anzahl an Vertretungen nur geringfügig über jener im Jahr 1983, als eine umfassende Erweiterungsphase des Netzwerks an Vertretungen als abgeschlossen galt. 1983 hatte Österreich 100 Vertretungen, heute sind es 101. Zwischendurch hat sich das Netzwerk aber durchaus etwas vergrößert. Im Jahr des EU-Beitritts verfügte der Auswärtige Dienst über 117 Vertretungen, davon 80 Botschaften, 7 Ständige Vertretungen bei Internationalen Organisationen und der EU, 18 Generalkonsulate, 11 Kulturforen und ein Informationsbüro. In den kommenden 20 Jahren reduzierte sich die Anzahl der Vertretungen wieder auf 99, wobei die Zahl an Botschaften relativ konstant blieb, die Zahl an Generalkonsulaten jedoch stark sank. Eine gleichbleibende Anzahl an Botschaften bedeutet jedoch nicht, dass der Auswärtige Dienst in dieser Zeit mit einem unveränderten Netzwerk operierte. Es kam auch hier zu Schließungen, zum Beispiel weil sich die Sicherheitslage in einem Staat verschlechtert hatte oder wegen geringer Auslastung. Dafür wurden Botschaften in anderen Staaten eröffnet (Sonnleitner 2018, 148–151).

Abgesehen von Schließungen aus Sicherheitsgründen haben Schließungen oder Öffnungen von Botschaften aber auch immer strategische, meist politische oder wirtschaftliche, Gründe. Innerhalb der EU verliert diese Art der Beziehungspflege, die eine zentrale Aufgabe des Auswärtigen Dienstes ist, jedoch an Bedeutung. Denn jene Form von Diplomatie, die sich im modernen Staatensystem entwickelt hat, basiert auf dem Prinzip, dass souveräne Nationalstaaten in einem anarchisch strukturierten Umfeld interagieren. Die EU hat jedoch einen regelbasierten Rahmen für die Interaktion ihrer Mitgliedsstaaten geschaffen (Bátora 2005, 53), zum Beispiel die Organe der EU. Der kontinuierliche Austausch von Vertreter*innen der Mitgliedsstaaten auf EU-Ebene reduziert die Notwendigkeit eines Austauschs im bilateralen Bereich. Die Grundfreiheiten des Europäischen Binnenmarktes erleichtern außerdem das Reisen und die Wirtschaftstätigkeit in der EU. Damit scheinen weitere Tätigkeiten an bilateralen Vertretungen in der EU an Bedeutung zu verlieren.

Der österreichische Auswärtige Dienst hat dennoch in den ersten 20 Jahren nach dem EU-Beitritt einen starken Fokus auf die EU in seiner strategischen Ausrichtung und Entwicklung seines Vertretungsnetzwerks gelegt. Österreichische Botschaften wurden nach dem EU-Beitritt mehrheitlich in neuen Mitgliedsstaaten eröffnet oder in Drittstaaten, die eine Beitrittsperspektive hatten. Demgegenüber wurden Botschaften in Afrika, Asien und Lateinamerika aus budgetären Gründen geschlossen (Sonnleitner 2018, 152–153). Bis 2015 war Österreich einer von wenigen Mitgliedsstaaten, dessen Auswärtiger Dienst in allen anderen EU-Staaten vertreten war (Rechnungshof 2014, 185).

Warum dieser starke Fokus auf die EU, wo doch viel politischer Austausch in Brüssel passiert und all diese Staaten ganz leicht auch von Wien aus zu erreichen sind? Die Antwort aus dem Auswärtigen Dienst lautete, dass nach wie vor die Notwendigkeit besteht, vor Ort präsent zu sein, um Kontakte zu pflegen, Stimmungen im jeweiligen Staat aufzunehmen und für österreichische Interessen einzutreten. Betrachtet man genauer welche Aufgaben von Botschaften in welchen Mitgliedsstaaten umgesetzt werden, zeigen sich aber durchaus neue Dynamiken. In der EU scheint sich eine zweidimensionale Form der bilateralen Diplomatie zu entwickeln, wobei sich eine Seite weiterhin auf die Pflege der Beziehung zwischen zwei Staaten konzentriert, die andere Seite aber auf Notwendigkeiten ausgerichtet ist, die sich im Kontext der EU-Mitgliedschaft ergeben haben. Zentral dafür, welche Art der Diplomatie vom Auswärtigen Dienst wo vermehrt umgesetzt wird, ist einerseits die Qualität der Beziehung zwischen Österreich und dem jeweiligen EU-Staat hinsichtlich bestehender historischer und kultureller Verbindungen sowie andererseits der Grad an europäischer Integration im Gastland.

Botschafter*innen in Staaten, die bereits lange Mitglied der EU sind, geben an, wenig traditionelle bilaterale Aufgaben umzusetzen. Das hat damit zu tun, dass die Beziehungen zwischen den Staaten meist sehr gut sind. Wirtschaft und Verwaltung der beiden Staaten sind miteinander verknüpft und die Rechtsrahmen sind ähnlich, sodass Unterstützungsaktivitäten der Botschaften in diesen Bereichen abgenommen haben. Auch bilaterale Besuche von Minister*innen sind in diesen Staaten weniger geworden. In jüngeren Mitgliedsstaaten, deren Systeme sich erst an den Standard der EU angleichen, hat der Auswärtige Dienst sehr wohl auch noch eine traditionelle Rolle inne und unterstützt beispielsweise die österreichische Wirtschaft und österreichische Unternehmen dabei, sich im System des jeweiligen Mitgliedsstaates zurechtzufinden, um Geschäftstätigkeiten aufzubauen oder weiter umzusetzen.

Hinsichtlich der Wirtschaftsbeziehungen weist der österreichische Auswärtige Dienst eine Besonderheit auf, denn nicht nur das Außenministerium verfügt über Vertretungen im Ausland, sondern auch die österreichische Wirtschaftskammer, deren Außenwirtschaftsservice österreichische Unternehmen im Ausland unterstützt. Bemerkenswert ist, dass das Auslandsnetzwerk der Wirtschaftskammer das Netzwerk an Vertretungen des Außenministeriums mit 103 (WKO 2021) an Größe sogar übertrifft und ebenfalls stark auf die EU ausgerichtet ist, sodass Unternehmen flächendeckend Außenwirtschaftscenter der Wirtschaftskammer in der EU vorfinden. Dennoch kann der Auswärtige Dienst des Außenministeriums in diesem Bereich in Kooperation mit der Wirtschaftskammer einen wesentlichen Beitrag leisten. Das vor allem in Staaten, deren Kulturen von stark hierarchischen Strukturen geprägt sind. Hier hat eine Person in der Rolle des Botschafters oder der Botschafterin eine Symbolwirkung und kann als Türöffner fungieren, wo anderen Repräsentant*innen der Zugang, zum Beispiel zu Ministerien oder der Regierung, versperrt bleibt. Das sieht der Auswärtige Dienst als großen Mehrwert seiner Präsenz vor Ort in diesen Staaten (Sonnleitner 2018, 160–165). Hinzu kommt, dass Österreich zu seinen osteuropäischen Nachbarn und der Westbalkan-Region spezielle außenpolitische Beziehungen pflegt. Vor allem in den noch jungen Westbalkanländern ist die Repräsentation durch eine Botschaft auch eine symbolische Geste (Nowotny 2011, 45–46) der Anerkennung für diese Staaten (Sonnleitner 2015, 12–13).

Was nun aber macht der Auswärtige Dienst in jenen Staaten, die bereits lange Mitglied der EU sind und in denen derartige Unterstützungsleistungen nicht in diesem Umfang erbracht werden müssen? Hier kommt die neue Dimension von Diplomatie zum Tragen, die sich innerhalb der EU entwickelt hat. Bereits 2001 beschrieb der deutsche Diplomat Karl Theodor Paschke eine Veränderung der Arbeitsweise an deutschen Botschaften innerhalb der EU. Dahingehend, dass hier nun auch unterstützende Tätigkeiten für die multilaterale Zusammenarbeit im EU-Rahmen geleistet werden. Demnach seien deutsche Diplomat*innen nicht mehr primär Repräsentant*innen und Verhandler*innen deutscher außenpolitischer Positionen, sondern zunehmend Vermittler*innen deutscher EU-Positionen. Paschke beschrieb dieses Phänomen als „European Diplomacy“. Der Umstand Mehrheiten finden zu müssen, um auf EU-Ebene Entscheidungen treffen zu können, macht es notwendig Koalitionen zu bilden. Laut Paschke (2001) nutzt Deutschland dafür nicht nur seine Diplomat*innen vor Ort in Brüssel, sondern auch jene Diplomat*innen im jeweiligen EU-Staat, den man überzeugen möchte. Weitere Untersuchungen von bilateralen Botschaften anderer Mitgliedsstaaten haben ein ähnliches Bild gezeigt (Bratberg 2007; Bátora und Hocking 2009; Uilenreef 2013). Auch im österreichischen Auswärtigen Dienst ist man der Ansicht, gute bilaterale Beziehungen würden die Anbahnung von Kooperationen auf der multilateralen Ebene vereinfachen. Diplomat*innen vor Ort als Vermittler*innen österreichischer EU-Positionen werden vor allem dann wichtig, wenn Österreich eine konträre Position zur Position des jeweiligen Mitgliedsstaates einnimmt und die Position Österreichs der dortigen Regierung und Öffentlichkeit vermittelt und erklärt werden muss. Das im Sinne einer Public Diplomacy, also einer Art politischen Marketings durch den Auswärtigen Dienst. Diese neuen EU-bezogenen Aufgaben beschränken sich aber nicht auf die Botschaften an denen traditionelle bilaterale Aufgaben weniger geworden sind. Dieses neue Aufgabenfeld ist für alle Botschaften in der EU relevant (Sonnleitner 2018, 168–170). Das verändert auch die Zusammenarbeit des diplomatischen Corps in der jeweiligen Hauptstadt.

Die Bedeutung, die EU-Themen mittlerweile in der bilateralen Diplomatie einnehmen, haben zu verstärktem Austausch zwischen den Mitgliedstaaten vor Ort geführt. Informationen werden innerhalb dieses Netzwerks geteilt und teilweise wird diese Gruppe auch direkt von der Regierung und den Ministerien des Gastlandes adressiert. Somit haben sich im diplomatischen Corps in Hauptstädten in der EU zwei Gruppen gebildet: die eng kooperierenden EU-Staaten, die thematisch ähnliche Felder entlang der EU-Agenda bearbeiten und sich regelmäßig austauschen, sowie die übrigen diplomatischen Vertreter*innen aus Drittstaaten, die nicht Teil dieser Gruppe sind (Sonnleitner 2018, 177–179).

Solche Veränderungen in den diplomatischen Corps oder der Tätigkeit des Auswärtigen Dienstes ruft die EU jedoch nicht nur innerhalb ihrer eigenen Grenzen hervor, sondern auch außerhalb davon. Als Vertretung eines EU-Mitgliedsstaates ist der österreichische Auswärtige Dienst auch hier in einen Kooperationsrahmen eingebunden, der aufgrund der Koordination durch den Europäischen Auswärtigen Dienst (EAD) noch engmaschiger und formalisierter ist, als innerhalb der EU. Der EAD wurde 2010 ins Leben gerufen. Er ist der diplomatische Dienst der EU und mit über 140 EU-Delegationen weltweit vertreten. Schon vor der Implementierung des EAD unterhielt die EU Delegationen in Drittstaaten, diese vertraten jedoch die EU Kommission und nicht die EU an sich und waren auch nicht mit Außen- und Sicherheitspolitik betraut.

Der österreichische Auswärtige Dienst kooperiert mit dem EAD in den jeweiligen Gastländern. Dort koordiniert der EAD regelmäßige Treffen zwischen den Vertreter*innen der Mitgliedsstaaten, fördert den Austausch und versorgt die diplomatischen Vertretungen mit Informationen. Für den österreichischen Auswärtigen Dienst, der über personell weniger gut ausgestattete Vertretungen verfügt als größere Staaten, und der in Drittstaaten viele sogenannte Cluster-Botschaften betreibt, das sind Botschaften, die mehr als einen Staat in einer Region betreuen, hat diese Form der Kooperation und des Informationsaustauschs einen großen Mehrwert (Sonnleitner 2018, 182, 186). Der Auswärtige Dienst profitiert in Drittstaaten jedoch nicht nur von der Zusammenarbeit mit dem EAD, sondern auch von der EU-Mitgliedschaft an sich. Die EU-Mitgliedschaft verleiht dem Auswärtigen Dienst des Kleinstaates Österreich mehr Gewicht, zumindest wenn die EU im Gastland Ansehen genießt und das tut sie als größte Entwicklungshilfegeberin weltweit in vielen Drittstaaten. Die enge Kooperation zwischen den Mitgliedsstaaten und der EU wird von den Drittstaaten wahrgenommen. Kleinere auswärtige Dienste, wie der österreichische, die zugänglicher sind, werden oft von den Gastländern als Partner genutzt, um Informationen oder Statements an die EU weiterzugeben.

Wie der österreichische Auswärtige Dienst seine Rolle in Drittstaaten ausgestaltet und wie stark er sich an der EU orientiert, hängt aber von der jeweiligen Zielsetzung ab. In Staaten, in denen Österreich beispielsweise wirtschaftliche Interessen verfolgt, die EU aber Menschrechtsverletzungen oder Demokratiedefizite anprangert, kann sich der österreichische Auswärtige Dienst diesbezüglich auch zurückhaltend zeigen und mit etwas Distanz zur EU agieren (Sonnleitner 2018, 182–184).

Die Zusammenarbeit mit dem EAD beeinflusst aber nicht nur die Tätigkeit des Auswärtigen Dienstes in Drittstaaten, sondern auch im Außenministerium in Wien. Der EAD arbeitet routinierter als viele der EU-Präsidentschaften, die zuvor auch für die Außen- und Sicherheitspolitik zuständig waren. Er hat mehr Mitarbeiter*innen, produziert mehr Information und mehr Berichte. Die Deadlines um auf diese Berichte zu reagieren sind kurz und definieren nun die Zeitpläne in jenen Abteilungen des Außenministeriums, die mit Entscheidungsprozessen in Zusammenhang mit dem EAD betraut sind. Dadurch hat sich eine schnelle und unkonventionelle Art der Zusammenarbeit entwickelt, die auch traditionelle Hierarchien im Ministerium und dem Auswärtigen Dienst aufweicht. Hinzu kommt, dass durch die enge Kooperation mit dem EAD-Hauptquartier in Brüssel die dortige Ständige Vertretung des Auswärtigen Dienstes gegenüber dem Außenministerium in Wien weiter an Bedeutung gewinnt (Sonnleitner 2018, 184).

Diese Beispiele zeigen wie tiefgreifend die EU-Mitgliedschaft den Auswärtigen Dienst in den vergangenen Jahren verändert hat und weiterhin verändert. Aufgabenbereiche, Prozesse, Strukturen und sogar die Organisationskultur des Auswärtigen Dienstes wurden angepasst. Dies hat auch Auswirkungen auf die professionelle Sozialisation von Diplomat*innen im Auswärtigen Dienst. In den Jahren vor dem EU-Beitritt war Österreichs Status als neutraler Staat grundlegend für das Berufsbild und die professionelle Identität. Danach rückte die EU-Mitgliedschaft stärker ins Zentrum und damit auch eine stärkere Orientierung Richtung Brüssel. Diplomat*innen, die nach 1995 in den Auswärtigen Dienst eingetreten sind, sind in einen Modus des engen Austauschs zwischen Wien und Brüssel hineingewachsen und haben gelernt, für ihre Arbeit simultan die Prozesse in Wien und Brüssel zu berücksichtigen (Sonnleitner 2018, 209–210).

5 Wachsender Legitimationsdruck verändert das Berufsbild

Die EU ist somit ein starker Einflussfaktor auf den Auswärtigen Dienst und hat umfassende Veränderungen bewirkt. Sie ist jedoch nicht der einzige. Ein anderer Umstand, der auf den Auswärtigen Dienst wirkt und Veränderungen nach sich zieht, ist wachsender Legitimationsdruck. Bei vielen Bürger*innen wecken Diplomat*innen nach wie vor Assoziationen mit weitläufigen Residenzen, einem eleganten Fuhrpark und Parkprivilegien. Die frühere österreichische Diplomatin Eva Nowotny (2006, 35) beschrieb das Bild von Diploma*tinnen in der Öffentlichkeit 2006 als eines von „neatly dressed, overprivileged and underemployed champagne drinkers“.

Tatsächlich ist der Mehrwert der Tätigkeit des Auswärtigen Dienstes nicht unmittelbar wahrzunehmen und auch die Arbeit des Außenministeriums ist im Vergleich zu anderen Ministerien schwer zu quantifizieren. Es gibt auch keine eindeutige Jobbeschreibung für Diplomat*innen oder ein sichtbares Produkt ihrer Tätigkeit. Nun, da in demokratischen Gesellschaften immer mehr nach Transparenz hinsichtlich der Verwendung von Steuermitteln verlangt wird, stellt sich zunehmend die Frage welchen Mehrwert der Auswärtige Dienst für Österreich hat. Ökonomischer Druck, unter anderem ausgelöst durch Wirtschafts- und Finanzkrisen und jetzt durch die Corona-Krise und den Krieg in der Ukraine, verstärken diese Tendenz. Die Budgets für Repräsentationsausgaben wurden bereits reduziert und auch die Anzahl an Bediensteten im Außenministerium geht kontinuierlich zurück (Sonnleitner 2018, 215–217). Im Jahr 1995 waren beispielsweise 1616 Personen im Außenministerium beschäftigt (BMAA 1995, 365), 477 davon im höheren diplomatischen Dienst. Mittlerweile hat sich die Zahl auf 1113 reduziert, davon 426 im höheren diplomatischen Dienst (BMEIA 2019).

Gespräche mit jüngeren Diplomat*innen im Auswärtigen Dienst haben gezeigt, dass diese Veränderungen bereits Auswirkungen auf diese nächste Generation haben. Junge Diplomat*innen wachsen in eine neue Arbeitskultur hinein, die von geringeren zur Verfügung stehenden Mitteln geprägt ist. Kleinere Budgets machen es notwendig, neue Formen der Repräsentation zu finden, die weniger aufwendig und vielleicht weniger schillernd, aber genauso effektiv sind. Die reduzierte Anzahl an Beschäftigten im Außenministerium heißt nicht nur, dass sich die Tätigkeiten im Auswärtigen Dienst auf weniger Diplomat*innen aufteilen, sondern vor allem auch, dass weniger unterstützendes Verwaltungspersonal zur Verfügung steht. Dadurch erweitert sich auch der Aufgabenbereich von Diplomat*innen und es fließen mehr administrative Elemente in die Tätigkeit ein. Das Berufsbild verlagert sich weg von der Exklusivität früherer Tage hin zur Normalität anderer öffentlich Bediensteter (Sonnleitner 2018, 217).

Der Auswärtige Dienst arbeitet aber auch aktiv daran, seine Legitimität in der Bevölkerung aufrechtzuerhalten, indem er spezielle Services ausbaut oder stärker auf diese Services hinweist. Im Jahr 2015 wurde unter Außenminister Sebastian Kurz (ÖVP) eine Modernisierungsstrategie umgesetzt, die unter anderem zum Ziel hatte, die Services für österreichische Bürger*innen einerseits und österreichische Unternehmen andererseits weiter auszubauen. Schon zuvor operierte die Auswärtige Dienst unter dem Slogan „Weltweit für Sie da“, was sich vor allem auf die Unterstützung von Österreicher*innen im Ausland bezieht, insbesondere wenn diese in Problemlagen geraten, wie beispielsweise zu Beginn der Corona-Pandemie, als für zahlreiche Personen Rückreisemöglichkeiten nach Österreich organisiert werden mussten. Durch neue digitale Instrumente, wie die Auslandsservice-App oder die Reiseregistrierung, zusätzlich zu einer 24-h-Hotline für Notfälle im Ausland, sollte der direkte Mehrwert des Auswärtigen Dienstes für die österreichische Bevölkerung weiter gesteigert werden. Mit einem kleinen Vertretungsnetzwerk und einer dünner werdenden Personaldecke ist die Umsetzung dieses umfassenden Serviceansatzes jedoch eine Herausforderung. Dieser Herausforderung wurde mit dem Ausbau des Netzes an Honorarkonsulaten begegnet (Sonnleitner 2018, 205).

Als zweiter Serviceschwerpunkt in der Modernisierungsstrategie wurde 2015 das Unternehmensservice im Außenministerium ins Leben gerufen. Das Unternehmensservice soll Anlaufstelle für österreichische Exportunternehmen sein und ist dort unterstützend tätig, wo diplomatische oder politische Intervention notwendig ist. Zum Beispiel wenn Rechtsvorhaben oder Gesetze eines Gastlandes sich nachteilig auf österreichische Unternehmen auswirken könnten. Dabei arbeitet der Auswärtige Dienst eng mit dem Außenwirtschaftsservice der Wirtschaftskammer, der Industriellenvereinigung sowie Leitbetriebe Austria zusammen, einer Plattform von Betrieben, die führend in ihrer jeweiligen Branche sind (BMEIA 2021). Als Aushängeschild des Unternehmensservice gilt Open Austria, die Vertretung des Auswärtigen Dienstes im Silicon Valley, die mit der Wirtschaftskammer entwickelt wurde und in Kooperation mit der Wirtschaftskammer, der Industriellenvereinigung und anderen Ministerien betrieben wird (BMEIA 2019, 186). Hier wurde eine neue Art der Vertretungsbehörde geschaffen, die sich an neuen Entwicklungen in den Bereichen Wirtschaft und Technologie orientiert, aber auch Kunst- und Kulturvermittlung betreibt. Open Austria wurde im Oktober 2016 eröffnet und hat sich in den ersten beiden Jahren primär damit beschäftigt österreichische Unternehmen, insbesondere Start-ups, dabei zu unterstützen in Kontakt mit Investor*innen zu treten und Kapital zu lukrieren, aber auch damit den Wirtschaftsstandort Österreich zu bewerben. Hier wird also nicht wie in anderen Vertretungen die österreichische Wirtschaft gegenüber der Regierung des jeweiligen Landes vertreten, sondern ein Netzwerk für die Zusammenarbeit mit anderen Akteuren in der Wirtschaft etabliert. Martin Rauchbauer, Co-Direktor von Open Austria  2016 bis 2021, sieht hier einen Transformationsprozess in der Außenwirtschaft, der eng mit der Digitalisierung und daraus entstehenden neuen Wirtschaftszweigen zusammenhängt. Deshalb konzentriert sich Open Austria seit 2018 nicht mehr nur auf die Außenwirtschaft, sondern setzt sich auch mit der Frage auseinander, wie staatliche Akteure diesen Digitalisierungsprozess mitgestalten können, zumal die Tech Industrie eine immer gewichtigere Rolle im internationalen System einnimmt.Footnote 3

6 Neue Themen, neue Prozesse und neue Jobs im Zuge der Digitalisierung

Wie sehr die Digitalisierung die Außenpolitik und den Auswärtigen Dienst zu beeinflussen beginnt, zeigt nicht nur die Entstehung einer neuen Art von Vertretungsbehörde wie Open Austria. Es beginnt sich auch eine neue Art von diplomatischem Posten zu etablieren. 2017 entsandte Dänemark mit Casper Klynge als erster Staat weltweit einen Tech Ambassador ins Silicon Valley, dessen Aufgabe darin besteht, die Interessen Dänemarks gegenüber den Tech-Giganten zu vertreten, so wie anderswo Interessen gegenüber Supermächten vertreten werden. Das findet jedoch außerhalb der Normen, Werte und Regeln statt, die sich im zwischenstaatlichen Austausch für Diplomatie etabliert haben. Wie herausfordernd es für einen Diplomat*innn sein kann, sich außerhalb dieses etablierten Systems zu bewegen, ist in einem Interview zu lesen, das Casper Klynge 2019 der New York Times gegeben hat (Satariano 2019). Hier treffen ein neuer großer Player im internationalen System und ein traditioneller Akteur mit neuen Aufgaben aufeinander, die ihre Rollen und die Rahmung für ihren Austausch erst finden müssen. Mittlerweile sind einige weitere Staaten diesem Beispiel gefolgt, darunter auch Österreich. Der österreichische Auswärtige Dienst hat mit Martin Rauchbauer 2020 den ersten österreichischen Tech Ambassador berufen, der seine Funktion darin sah, im Interesse Österreichs einen Dialog zu Digitalisierungsthemen und der Ausgestaltung von Digitalisierungsprozessen dort anzustoßen und zu führen, wo die diesbezüglichen Entscheidungen getroffen werden.Footnote 4 Dies wird jedoch nur ein erster Schritt in einer Entwicklung sein, die für den österreichischen Auswärtigen Dienst möglicherweise eine deutlich größere Zäsur sein wird, als der Beitritt zur Europäischen Union.

Die Veränderungen, die die Digitalisierung mit sich bringt, werden den Auswärtigen Dienst, wie die Veränderungen, die der EU-Beitritt mit sich gebracht hat, auf mehreren Ebenen beeinflussen: hinsichtlich der zu bearbeitenden Themen, auf der Ebene der Strukturen und Prozesse, und auch das Berufsbild von Diplomat*innen wird sich weiter wandeln. Cybersecurity, Datenschutz oder der Einsatz von künstlicher Intelligenz (KI) sind Themen, die immer weiter in den Fokus des nationalen Interesses und damit in den Fokus der Außenpolitik und des Auswärtigen Dienstes rücken. Das wird Anpassungen in der Ausbildung und den Curricula der Diplomatischen Akademien nach sich ziehen müssen. Auf der strukturellen Ebene, im Organisationsaufbau des Außenministeriums, ist derzeit noch keine Fokussierung auf das Thema Digitalisierung sichtbar.

Allerdings wurden strukturelle Änderungen in Zusammenhang mit dem EU-Beitritt auch erst sichtbar, als großer Anpassungsdruck bestand. Die Transformationsprozesse in Zusammenhang mit der Digitalisierung werden auch in Bezug auf die Außenpolitik nicht vom Auswärtigen Dienst allein getragen werden können. Wie zuvor beschrieben ist der Auswärtige Dienst nur ein Subsystem im nationalen diplomatischen System (Hocking 2013) und auch bei der Digitalisierung der Außenpolitik werden, wie im Zuge des Europäischen Integrationsprozesses, andere staatliche Akteure in ihrem jeweiligen Kompetenzfeld eine Rolle spielen – und vielleicht nicht nur das. Insbesondere für kleinere Staaten wie Österreich ist es eine Herausforderung in den eigenen Strukturen ausreichend Ressourcen und Know-how aufzubringen, um Entwicklungen und Diskursen in diesem Bereich umfassend folgen zu können. Dementsprechend könnten auch andere Akteure aus Wissenschaft, Wirtschaft und der Zivilgesellschaft herangezogen werden, um Digitalisierungspolitik nach außen angemessen zu betreiben (Kurbalija und Höhne 2021, 11–12). Solch eine Herangehensweise würde das Verständnis von Diplomatie, und davon wer legitime Handelende im diplomatischen System sind, weiter wandeln.

In den Prozessen des Auswärtigen Dienstes sind erste Digitalisierungsansätze zu sehen, wie die beschriebenen Onlineservices und Apps für Bürger*innen. Außerdem nutzt der Auswärtige Dienst verstärkt Social Media in seiner Kommunikation. Die Möglichkeiten, Arbeitsbereiche im Auswärtigen Dienst zu digitalisieren, sind damit aber bei weitem noch nicht ausgeschöpft. Virtual Reality (VR) oder Augmented Reality (AR) könnten etwa in der Ausbildung eingesetzt werden, um unterschiedliche Szenarien, zum Beispiel den Krisenfall, zu proben. Ebenso haben diese beiden Technologien das Potenzial die Kulturvermittlung des Auswärtigen Dienstes zu revolutionieren, insbesondere in Kooperation mit heimischen Kultureinrichtungen. Künstliche Intelligenz und Machine Learning wiederum könnten unterstützend im Konsularbereich und Bürger*innenservice eingesetzt werden, um Anfragen oder Anträge rascher bearbeiten zu können (Bjola 2018, 30–31). Laut dem ersten österreichischen Tech Ambassador Martin Rauchbauer ist solch eine Nutzung digitaler Instrumente im österreichischen Auswärtigen Dienst jedoch noch nicht auf dem Weg in die Umsetzung.Footnote 5

Die Organisationskultur im Außenministerium kann ausschlaggebend dafür sein, ob Digitalisierung eher als Chance oder als Bedrohung wahrgenommen wird. Dabei gilt, Digitalisierungsfortschritte gehen in einem kreativen und experimentierfreudigen Umfeld rascher voran, als in einem stark hierarchisch strukturierten Umfeld mit festgelegten Prozessen und Verfahrensweisen (Bjola 2018, 31–32). Eine traditionelle Institution wie Diplomatie und der darin gewachsene Auswärtige Dienst basieren, wie eingangs geschildert, auf etablierten Regeln, Normen und Werten, die den Austausch im internationalen Staatensystem erleichtern. Dazu gehören auch Hierarchien und festgelegte Verfahrensweisen. Das Beispiel des EU-Beitritts hat jedoch gezeigt, dass Strukturen und Prozesse im Auswärtigen Dienst sich durch den Druck von außen kontinuierlich angepasst haben und auch Hierarchien aufgeweicht wurden. Somit hat der Auswärtige Dienst in den letzten 25 Jahren bereits eine wesentliche Anpassungsleistung vollbracht und ist auf Basis dieser Erfahrung nun möglicherweise adaptiver als zuvor. Das Berufsbild von Diplomat*innen hat sich jedenfalls auf mehreren Ebenen gewandelt. Die EU hat neue Aufgabenfelder im multilateralen wie im bilateralen Bereich geschaffen. Aufgrund von geringeren Ressourcen wird mit weniger Mitteln und weniger Personal gearbeitet. Durch den wachsenden Legitimationsdruck verstärkt der Auswärtige Dienst den Fokus auf Services für österreichische Bürger*innen und Unternehmen, was Diplomat*innen ebenso fordert. Und auch die Digitalisierung zeigt erste Auswirkungen. Neue Kommunikationsformen, speziell Social Media, verlangen eine agilere Interaktion mit der Öffentlichkeit. Hier steht die Entwicklung jedoch noch ganz am Beginn und der Auswärtige Dienst wird aktiv und strategisch an seiner Organisation, den Abläufen und seinen personellen Ressourcen arbeiten müssen, um optimal auf diese Veränderungen reagieren und Österreichs Interessen in diesem Zusammenhang vertreten zu können. Als erster Schritt in diese Richtung kann eine weitere Maßnahme interpretiert werden, die im Zuge der Modernisierungsstrategie 2015 umgesetzt wurde. Das Auswahlverfahren für den höheren Auswärtigen Dienst wurde für Absolvent*innen aller Studienrichtungen geöffnet. Damit hat der Auswärtige Dienst jetzt und zukünftig leichter die Möglichkeit Expert*innen aus Bereichen an Bord zu holen, die im Zuge dieses umfassenden Transformationsprozesses an Bedeutung gewinnen werden.

Somit steht der österreichische Auswärtige Dienst am Beginn weiterer tiefgreifender Veränderungen und die kommenden Jahre werden zeigen, wie er sich im nationalen diplomatischen Gefüge, das auch andere Akteure prägen, worauf viele Beiträge in diesem Handbuch hinweisen, positionieren kann und wird.

Weiterführende Quellen

Kurbalija, Jovan, und Katharina Höne. 2021. The Emergence of Digital Foreign Policy. Report 2021. Genf: DiploFoundation.

Der Bericht zeigt, auf welchen Ebenen sich auswärtige Dienste zukünftig mit Digitalisierung auseinandersetzen werden und gibt Einblick in Digitalisierungsstrategien einiger Staaten.

Sonnleitner, Sandra. 2018. Bilateral Diplomacy and EU Membership: Case Study on Austria. Baden-Baden: Nomos.

Das Buch erläutert, wie sich österreichische bilaterale Diplomatie und wie sich der Auswärtige Dienst in den ersten 20 Jahren nach dem EU-Beitritt Österreichs verändert haben.

Stanzel, Volker, Hrsg. 2018. Die neue Wirklichkeit der Außenpolitik: Diplomatie im 21. Jahrhundert. SWP-Studie 23. Berlin: Stiftung Wissenschaft und Politik.

In der Studie schildern namhafte Autor*innen aus den Diplomacy Studies und Internationalen Beziehungen welche Entwicklungen sie im Feld der Diplomatie sehen und wo die großen Herausforderungen liegen.