Schlüsselwörter

1 Einleitung

Sicherheitspolitik ist ein zentraler Kernbereich staatlicher Außenpolitik. Damit Staaten souverän nach außen agieren können, vertrauen sie auf ihre sicherheitspolitischen Instrumente (allen voran das Militär), um den Schutz der eigenen Staatlichkeit zu garantieren und ihren außenpolitischen Positionen Nachdruck zu verleihen. Sicherheitspolitik stellt aber auch einen Politikbereich dar, der maßgeblich von Entwicklungen jenseits der nationalstaatlichen Grenzen beeinflusst wird. Staaten werden dabei nicht nur durch die militärischen Fähigkeiten anderer Akteure herausgefordert. Auch grenzüberschreitende (= transnationale) Phänomene und Prozesse können die Sicherheit eines Staates gefährden und damit zum Thema staatlicher Sicherheitspolitik werden.

Dieser Beitrag geht der Frage nach, wie sich Österreichs Sicherheitspolitik von 1945 bis heute entwickelt und gewandelt hat. Er zeigt, wie die Einbettung Österreichs in den globalen, europäischen und regionalen Kontext ausschlaggebend für die Entwicklung österreichischer Sicherheitspolitik war und welche Akteure dabei bestimmend waren.

In einem ersten Schritt wird daher zunächst geklärt, was unter den Begriffen der Sicherheit und der Sicherheitspolitik zu verstehen ist, bevor dargelegt wird, wie sich die zuvor strikt voneinander getrennten Bereiche der inneren und äußeren Sicherheit in Europa durch das Ende des Ost-West-Konflikts zunehmend verwoben haben.

Darauf aufbauend werden in einem zweiten Schritt die innere und äußere Sicherheit Österreichs seit 1945 diskutiert und es wird gezeigt, wie der Bereich der inneren Sicherheit schon ab den 1970er-Jahren einem Inernationalisierungsschub ausgesetzt wurde. Der Bereich der äußeren, militärischen Sicherheit konnte sich hingegen nur langsam, mit zeitlicher Verspätung und unter massiven finanziellen und politischen Restriktionen entwickeln.

Im dritten und letzten Schritt werde ich schließlich zeigen, wie das Ende des Ost-West-Konflikts und vor allem die Integration in die Europäische Union (EU) für eine fundamentale Neuausrichtung der Sicherheitspolitik sorgten. Während im Bereich der äußeren und militärischen Sicherheit durch die enge Einbindung in europäische Strukturen und deren Stagnation kaum Fortschritte erzielt werden konnten, kam es mit der dynamischen Entwicklung im Bereich der justiziellen und polizeilichen Zusammenarbeit (der 3. Säule bzw. „Justice and Home Affairs – JHA“) zu einem stetigen Bedeutungszuwachs der inneren und polizeilichen Sicherheit. Dieser führte schließlich zur Dominanz der inneren Sicherheit und des Bundesministeriums für Inneres als bestimmenden Akteur in der österreichischen Sicherheitspolitik. Abschließend werde ich meine Argumentation noch einmal zusammenfassen und einen kurzen Ausblick geben.

2 Was ist Sicherheit(spolitik)?

Um die österreichische Sicherheitspolitik analysieren zu können, muss zunächst geklärt werden, was unter den Begriffen „Sicherheit“ und „Sicherheitspolitik“ überhaupt zu verstehen ist. Traditionell wird unter der Sicherheit eines Staates seine militärische Sicherheit verstanden. Staaten können sich durch andere Staaten, deren militärischen Fähigkeiten und den Umgang mit diesen Fähigkeiten (z. B. in Form expansiver Politiken) in ihrer Existenz bedroht fühlen. Sie müssen auf diese Bedrohungen mit unterschiedlichsten Mitteln reagieren, wenn sie ihr Überleben längerfristig absichern wollen. Eine Verengung des Sicherheitsbegriffs auf reine Bedrohungen von außen, die noch dazu hauptsächlich militärischen Charakter haben, ist jedoch überholt. Die Sicherheit eines Staates kann sowohl von außen als auch von innen, und durch Entwicklungen in den unterschiedlichsten Politikbereichen (zum Beispiel Militär, Wirtschaft, Gesellschaft, Umwelt, Kriminalität, etc.) bedroht werden.

Es lohnt sich daher als Ausgangspunkt für die Diskussion von Sicherheitspolitik eine breitere Definition von Sicherheit zu wählen. Sicherheit ist demnach die Abwesenheit einer Bedrohung von erworbenen Werten (objektive Sicherheit) oder die Abwesenheit der Angst, dass solche erworbenen Werte bedroht werden könnten (subjektive Sicherheit) (Wolfers 1952, 485). Laut Ullman (1983, 133) geht es bei diesen Werten vor allem um die Einschränkung der Lebensqualität von Menschen in einem Staat und die Beschneidung des Handlungsspielraums von Regierungen, auf solche Entwicklungen reagieren zu können. Sicherheit ist damit ein sozial konstruiertes Phänomen, bei dem es immer um die Frage geht, welche Werte von welchen Akteuren durch wen bedroht werden (Baldwin 1997, 13).

Am Ende des Tages betrifft Sicherheit damit nicht nur das Überleben eines Staates und die physische Unversehrtheit seiner Bewohner*innen (also die klassische militärische Sicherheit), sondern kann alle gesellschaftlichen Bereiche, die Wirtschaft oder die Umwelt betreffen. Es hängt schlussendlich von der Frage ab, welche erworbenen Werte in diesen Bereichen für einen Staat und seine Gesellschaft vordringlich schützenswert sind.

Unter dem Begriff der „Sicherheitspolitik“ versteht man folglich jenen Politikbereich eines Staates, der nach den adäquaten Antworten auf solche Bedrohungen und Ängsten sucht (Hough 2004, 9). Das Entscheidende im Bereich der Sicherheitspolitik – und das ganz im Gegensatz zu allen anderen Politikbereichen – ist aber der Umstand, dass Staaten als Akteure bereit sind, außerordentliche Maßnahmen (das heißt vor allem auch Gewalt) anzuwenden, um die eigenen Interessen zu verfolgen und Bedrohungen entgegenzutreten (Kolodziej 2005, 23).

Gewandelt hat sich jedoch nicht nur der Sicherheitsbegriff als solcher, weg von einer nur auf den militärischen Bereich und auf Bedrohungen von außen begrenztem Begriff, und hin zu einem umfassenderen Verständnis von Bedrohungen, deren Ursachen sowohl außerhalb als auch innerhalb eines Staates zu finden sind. Auch die strikte Trennung zwischen äußerer und innerer Sicherheit an sich verliert zunehmend an Bedeutung. Sie weicht einem Verständnis der gegenseitigen Beeinflussung dieser beiden Sphären und der schrittweisen Auflösung der klaren Trennlinie.

Als Zeitpunkt dieses Wandels in Westeuropa wird gemeinhin das Ende des Ost-West-Konflikts und die Auflösung des Warschauer-Pakts 1989, bzw. der Zerfall der Sowjetunion 1991 gesehen. Während in Zeiten des Ost-West-Konflikts und besonders in den Hochphasen des Kalten Krieges die äußere und militärische Sicherheit im Zentrum standen (besonders die Sorge um den Einsatz und die Folgen von Massenvernichtungswaffen und die territoriale Verteidigung des eigenen Staatsgebiets), treten diese traditionellen Bedrohungen zunehmend in den Hintergrund. Sie werden von grenzüberschreitenden Entwicklungen wie transnationaler Kriminalität und Terrorismus, Naturkatastrophen oder Migrationsbewegungen überlagert. Ursächlich für diesen Wandel sind die immer rascher werdenden Prozesse der Globalisierung (Collins 2007, 2–3). Der Grad an Vernetzung innerhalb und zwischen Gesellschaften steigt und damit auch die Verwundbarkeit durch Störungen dieser Vernetzungen. Die Urheber von Bedrohungen kommen jedoch längst nicht mehr nur aus den Reihen der Staatenwelt, sondern sind zunehmend klandestin operierende Akteure wir transnationale, kriminelle Netzwerke oder Terrorgruppen (Eriksson und Rhinard 2009, 246).

Mit Ende des Ost-West-Konflikts 1989 und dem stetigen Anwachsen der Globalisierung kam es jedoch nicht nur zur Auflösung der Trennlinie, sondern auch zum Wechsel des grundlegenden Charakters von äußerer und innerer Sicherheit (Lutterbeck 2005). Grenzsicherung, (illegale) Migration, transnationale Kriminalität und Terrorismus nahmen an Bedeutung zu und wurden in Europa zunehmend unter militärischen Gesichtspunkten verstanden. Es verwundert daher nicht, dass es gerade in diesem Bereich zu einer stärkeren Institutionalisierung auf europäischer Ebene und zu vermehrter Kooperation unter den Staaten kommt. Im Gegenzug dazu wird die äußere und militärische Sicherheit immer mehr von friedenserhaltenden und friedenssichernden Szenarien dominiert, wodurch polizeiliche Aufgaben in den Vordergrund rücken und die klassischen militärischen Anforderungen der Akteure in diesem Bereich zurückdrängen.

Wie Lutterbeck (2005) zeigt, wirkt sich dieser Wandel auch auf die Sicherheitsinstitutionen und deren Akteure aus, da sie sich an die neuen Herausforderungen und Aufgaben anpassen müssen. Geheimdienste erkennen die Notwendigkeit von mehr Kooperation und fokussieren sich immer weniger auf die Gefahren, die von anderen Staaten ausgehen könnten, sondern versuchen stattdessen den Aktivitäten organisierter Kriminalität und des transnationalen Terrorismus auf die Schliche zu kommen. Das Militär musste sich durch den Wegfall der äußeren Bedrohung (für die meisten Staaten Westeuropas und damit auch Österreichs gleichbedeutend mit einem Angriff des Warschauer Pakts unter Führung der Sowjetunion) neu erfinden. Der Grenzschutz an den eigenen Staatsgrenzen bzw. der europäischen Außengrenze, die (militärische) Bekämpfung des Terrorismus auch innerhalb der eigenen Grenzen und internationale Stabilisierungsaufgaben werden zu neuen Aufgabengebieten, die dem Militär eine grundlegende Neuorientierung abverlangen.

Vor dem Hintergrund dieser Entwicklungen soll in weiterer Folge die österreichische Sicherheitspolitik analysiert werden. Es wird zunächst gezeigt, welche Rahmenbedingungen und welche Akteure die äußere und innere Sicherheit Österreichs bis zum Ende des Ost-West-Konflikts prägten und welche Werte es waren, die geschützt werden sollten bzw. die die österreichischen Entscheidungsträger als bedroht sahen. Im zweiten Teil wird anschließend dargelegt, wie diese soeben skizzierte Auflösung der Trennlinie von innerer und äußerer Sicherheit und der Wandel des Charakters beider Sicherheitsbereiche seit den 1990ern bis heute in Österreich von statten ging.

3 Vom Wiederaufbau ab 1945 bis zum Ende des Ost-West-Konflikts 1989

Österreichs Sicherheitspolitik entwickelte sich umgehend nach Kriegsende 1945 in zwei parallelen, zeitlich zunächst versetzten und voneinander unabhängigen Sphären – der vor allem durch polizeiliche Kräfte dominierten inneren Sicherheit und der äußeren, militärischen Sicherheitspolitik. Der Aufbau der österreichischen Polizei inklusive des Staatspolizeilichen Dienstes (STAPO) als nachrichtendienstlicher Organisation der inneren Sicherheit, erfolgte unmittelbar nach Kriegsende 1945. Polizei und STAPO hatten die Aufgabe, die innere Sicherheit und die Ordnung des jungen Staates aufrecht zu erhalten (Beer 2003, 21). Das bedeutete in den 1950er-Jahren vor allem kommunistische Entwicklungen im Auge zu behalten. Ab den 1960er- und vor allem 1970er-Jahren verschob sich der Fokus aber zunehmend in Richtung der extremen Rechten und der radikalen Linken, sowie der Studenten- und Friedensbewegung, oder Aktivist*innen aus dem Bereich der Anti-Atomwaffen- und Umweltbewegungen oder der Tierschutzgruppen, die alle in unterschiedlichem Ausmaß und Intensität als eine Herausforderung für die öffentliche Ordnung und damit den inneren Zusammenhalt und die Sicherheit Österreichs wahrgenommen wurden (Beer 2003, 24).

Besonders prägend für den Bereich der inneren Sicherheit und damit auch den weiteren Verlauf des Stellenwerts dieses Bereichs für Österreichs Sicherheitspolitik war die ab den 1970er-Jahren verstärkte Internationalisierung dieses Politikbereichs. Grenzüberschreitende Entwicklungen im Europa der 1970er-Jahre, wie zum Beispiel der Anstieg des transnationalen Drogen- und Menschenhandels, oder das Aufkommen terroristischer Bewegungen, führten bei einer Vielzahl von Staaten zu einem Umdenken. Innere Sicherheit, so die weit verbreitete Überzeugung, konnte nur durch ein mehr an Kooperation aufrechterhalten werden. So gründeten die Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaften (EG) zum Beispiel im Dezember 1975 die „TREVI-Gruppe“ (Terrorisme, Radicalisme, Extrémisme et Violence Internationale), eine zwischenstaatliche, aber außerhalb des Regelwerks der EG stehende Institution, zur effizienteren Bekämpfung terroristischer Aktivitäten, die sich in weiterer Folge als Kern einer verstärkten polizeilichen Zusammenarbeit innerhalb Europas entwickeln sollte. Bereits sechs Jahre zuvor, 1969, schlossen sich mehrere westeuropäische Geheimdienste in einem informellen Netzwerk – dem Berner Club – zusammen und tauschten Informationen über Terrorbewegungen oder Aktivitäten der „Ostblock-Staaten“ aus (Deflem 2007, 340; Gerspacher 2009, 176; König und Trauner 2021, 175).

Auch wenn Österreich zunächst nicht offiziell Teil dieser beiden Institutionen war, versuchte man schrittweise die Kooperation mit anderen Staaten in diesem Bereich zu intensivieren. Österreich, als kleines Land mit begrenzten nachrichtendienstlichen Fähigkeiten, war (und ist es immer noch) ein traditioneller „Nettoempfänger“ von nachrichtendienstlichen Informationen und angewiesen auf internationalen Austausch (Beer 2003, 29–30).

Diese Entwicklung hatte zur Folge, dass Österreichs Sicherheitspolitik im Bereich der inneren Sicherheit schon lange vor 1989 aufgrund der steigenden Kooperation auf europäischer Ebene einen Internationalisierungsschub erlebte, von dem im Bereich der äußeren, militärischen Sicherheit erst nach Ende des Ost-West-Konflikts schrittweise die Rede sein kann.

Österreichs Sicherheitspolitik im Bereich der militärischen und äußeren Sicherheit nahm eine andere Entwicklung und wurde bis 1989 maßgeblich durch drei Faktoren beeinflusst. Erstens, dem Neutralitätsgesetz vom 26. Oktober 1955, das quasi als „sicherheitspolitische Doktrin“ (Skuhra 2006, 841) den groben Rahmen absteckte. Nach Schweizer Vorbild verpflichtete sich Österreich im Zuge seiner NeutralitätFootnote 1 keinem militärischen Bündnis beizutreten oder im Kriegsfalle Stellung zu beziehen. Im Gegensatz zur Schweiz trat Österreich aber bereits im Dezember 1955 den Vereinten Nationen bei und erklärte sich 1960 erstmals bereit, mit einem kleinen Sanitätskontingent des Bundesheeres an einem internationalen Einsatz im Kongo teilzunehmen. Militärische Neutralität war somit nicht gleichbedeutend mit internationaler Isolierung. Österreichs sicherheitspolitischer Beitrag auf internationaler Ebene wurde vielmehr als ein Mittel verstanden, um sich stärker in die Staatengemeinschaft zu integrieren und mittel- bis längerfristig Kapital daraus zu schlagen (zum Beispiel für die Verhandlungen in der Südtirol-FrageFootnote 2).

Den zweiten bestimmende Faktor bildete der Ost-West-Konflikt und Österreichs geografische Exponiertheit am Schnittpunkt der Interessen der westlichen Staatengemeinschaft unter der Führung der USA und der NATO, sowie der Sowjetunion mit dem Warschauer Pakt auf der Gegenseite. Die Angst vor einer möglichen Invasion durch letztere überschattet das sicherheitspolitische Denken und beeinflusste damit Österreichs Politik über all die Jahre hinweg in unterschiedlichem Ausmaß.

Drittens war es schlussendlich ein breiter innenpolitischer Konsens, dem Bundesministerium für Landesverteidigung (BMLV) und damit dem Österreichischen Bundesheer als „zu spät gekommenen“ politischen Akteur nur wenig Ressourcen für seine Aufgaben zu überlassen. Da das BMLV erst 1955, und damit rund zehn Jahre nach allen anderen Ministerien, wiedergegründet wurde, konnte das Bundesheer erst spät in den bürokratischen Wettstreit um Budgetressourcen einsteigen. Man sah sich einer etablierten Phalanx anderer Ministerien gegenüber, die dem „Neuankömmling“ nur einen kleinen Anteil ihres Budgetkuchens überlassen wollten. Dieser Konsens, dem Bundesheer nur wenig Ressourcen zuzugestehen, wurde nicht nur vonseiten der österreichischen Sozialdemokratie getragen, die seit den Wirren der 1920er- und 1930er-Jahren und besonders durch die Rolle des Bundesheeres im österreichischen Bürgerkrieg, ein sehr distanziertes Verhältnis zum Militär pflegte. Ganz im Sinne der Konsensdemokratie wollten auch die Interessenverbände (Arbeitnehmer, Arbeitgeber und Bauern) im Zuge des wirtschaftlichen Wiederaufbaus keine Umverteilung der Ressourcen in Richtung eines starken Bundesheeres. Der Rahmen für militärische Sicherheit sollte daher von Anfang an ein „defensiver“, das heißt minimalistischer sein, der mit so wenig Mitteln wie notwendig auskam und nur die Minimalanforderungen der Neutralität befriedigte (Skuhra 2006, 839–841). Wie sich in weiterer Folge zeigen sollte, ist gerade dieser Konsens in Österreich weiterhin dominierend und in der Gesellschaft fest verankert.

Trotz dieser Rahmenbedingungen, die sich bis 1989 nicht grundlegend ändern sollten, kann man laut Skuhra (2006) drei unterschiedliche Phasen der militärischen Sicherheitspolitik in Österreich bis zum Ende des Ost-West-Konflikts identifizieren. Die erste Phase begann mit der staatlichen Souveränität Österreichs und der Gründung des Österreichischen Bundesheeres 1955 und ging bis in das Jahr 1970, als die ÖVP-Alleinregierung durch eine Minderheitsregierung unter Führung der SPÖ unter Bruno Kreisky abgelöst wurde. In dieser ersten Phase dominierte ein traditionelles Verständnis von Sicherheitspolitik (Skuhra 2006, 841–842), bei dem die militärische Sicherheit und die Abwehr von Gefahren von außen im Vordergrund standen. Prägend für diese Phase war das im Juni 1961 verabschiedete Konzept der „Umfassenden Landesverteidigung“. Verteidigung wurde damit nicht mehr nur militärisch, sondern breiter gedacht, und umfasste neben der militärischen Dimension auch eine geistige, zivile und wirtschaftliche Komponente (Schmidl 2013, 109–110). Österreich war in dieser Phase sehr darauf bedacht, die eigene staatliche Existenz dahingehend abzusichern, dass man keiner Seite in der Systemkonfrontation zu offensichtlich nahestand. Aufgabe des Bundesheeres war es laut dieses Konzepts, für drei Kategorien des Ernstfalls gerüstet zu sein: dem Krisenfall, wenn es in unmittelbarer Nähe zu Österreich zu krisenhaften Erscheinungen kam (wie z. B der Ungarn-Krise); dem Neutralitätsfall, wenn Österreichs Neutralität durch das Handeln anderer Staaten in Gefahr war (z. B durch die Nichtbeachtung des Verbots des Transports militärischer Güter über österreichisches Staatsgebiet); und dem Verteidigungsfall, wenn die staatliche Existenz Österreichs durch das Militär anderer Staaten effektiv bedroht wurde.

Abgelöst wurde diese Phase ab 1970 durch die Politik der SPÖ-Minderheits- und in weiterer Folge Alleinregierungen bis 1983 (Skuhra 2006, 843–844). Vor allem angeregt durch Bundeskanzler Kreisky begann Österreich sich von einem traditionellen Verständnis militärischer Sicherheitspolitik zu lösen und versuchte einen progressiveren Ansatz äußerer Sicherheit zu etablieren, der auf zwei Elementen aufbaute: einer auf ein Minimum an Defensive ausgerichteten und daher sparsamen Landesverteidigung sowie einer pro-aktiven Neutralitäts- und Außenpolitik.

Prägend für diese Phase waren Überlegungen, wie die territoriale Sicherheit des Staatsgebietes in Anbetracht einer möglichen Invasion durch Truppen des Warschauer-Pakts gewährleistet werden konnte. Hintergrund dieser Überlegungen waren Hinweise, wonach der Warschauer-Pakt im Kriegsfall eine Spaltung der NATO-Truppen in Nord und Süd durch einen Vormarsch durch Österreich anstreben könnte. Als Antwort darauf entwickelte man das Konzept der „Raum- bzw. Territorialverteidigung“, die sogenannte Spannocchi Doktrin (Schmidl 2013, 110). Ziel dieser neuen Doktrin war es, eine „Verteidigung ohne Schlacht“ zu führen. Geplant war also die Verteidigung Österreichs nicht an den Grenzen zu organisieren, sondern sich auf Schlüsselzonen zu konzentrieren. Man wollte das Eindringen der feindlichen Truppen zeitlich verzögern, damit der NATO mehr Zeit für Gegenmaßnahmen zu ermöglichen und somit das Vordringen der Truppen des Warschauer-Pakts aus strategischer Sicht unattraktiv zu machen. Diese Strategie macht ein „eigentümliches Paradox“ (Skuhra 2006, 853) der österreichischen Sicherheitspolitik deutlich sichtbar. Auch wenn Österreich in dieser Phase des Ost-West-Konflikts sehr bemüht um Äquidistanz in allen Bereichen zu allen Mächten war, wurde die militärische Sicherheit insgeheim doch als eine definiert, die die Bedrohung aus dem Osten kommend sah, und die Wahrung der militärischen Sicherheit immer im Zusammenspiel mit dem Westen und hier vor allem der NATO verstand.

Die Spannocchi Doktrin ermöglichte es andererseits wiederum, die notwendigen Mittel für eine aktive Neutralitäts- und Außenpolitik zur Verfügung zu haben. Die Sicherheit Österreichs, so das Argument der SPÖ-Alleinregierung unter Kreisky, könne am besten damit gewährleistet werden, indem man sich nicht am Wettrüsten beteiligt, sondern sich international als Vermittler und engagierten Akteur auf der diplomatischen Bühne präsentiert. Eine solche Politik wurde auch von der breiten Bevölkerung unterstützt, die eine wenig Ressourcen verbrauchende Landesverteidigung präferierte (Skuhra 2006, 843). Ziel der Landesverteidigung war es – ganz im Gegensatz zur Schweiz – nicht auf gut ausgestattete und hoch gerüstete Streitkräfte zur Landesverteidigung zu setzen, sondern mit einem Minimum an Defensivkräften die territoriale Integrität zu wahren.

Das Ende der Ära Kreisky 1983 läutete auch den Beginn einer neuen Phase österreichischer Sicherheitspolitik ein. Der Fokus auf die internationale Ebene wich schrittweise einer verstärkten Konzentration auf Europa. Besonders die neue Dynamik innerhalb der Europäischen Gemeinschaften, ausgelöst vor allem durch die Unterzeichnung der Einheitlichen Europäischen Akte 1986, sorgte für einen Integrationsschub, von dem sich auch Österreich inspirieren ließ, und im Juni 1989 formal einen Antrag auf EG-Beitritt stellte. Neutralitätspolitik wurde in dieser Phase nicht mehr breit und umfassend verstanden, sondern verengte sich zunehmend auf den militärischen Bereich. Geistig und vor allem wirtschaftlich hatte man zu diesem Zeitpunkt längst die Hinwendung Richtung (West)Europa eingeschlagen (Skuhra 2006, 844–845).

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass sich die österreichische Sicherheitspolitik seit 1945 und bis Ende des Ost-West-Konflikts in zwei voneinander getrennten Sphären und mit unterschiedlichem Tempo entwickelt hat. Während die innere, vor allem durch polizeiliche Kräfte dominierte Sicherheit bereits ab 1945 zum Thema der Sicherheitspolitik wurde, begann das Nachdenken und Handeln im Bereich der äußeren und vor allem durch das Militär geprägten Sicherheit erst ab 1955. Die innere Sicherheit erlebte dabei im Zuge des europäischen Trends ab den 1970er-Jahren eine stärkere Internationalisierung und Kooperation unter den europäischen Staaten. Militärische Sicherheit wurde hingegen, besonders vor dem Hintergrund einer aktiven Neutralitäts- und Außenpolitik, höchstens im Rahmen der Vereinten Nationen, nicht aber in direkter Abstimmung mit den europäischen Nachbarn gedacht. Erschwerend kam hinzu, dass das Bundesministerium für Landesverteidigung und das Österreichische Bundesheer als verspätete Akteure auf der politischen Bühne keine natürlichen Koalitionspartner hatten, oder auf breite gesellschaftliche Unterstützung für mehr Ressourcen bauen konnten. Militärische Sicherheit wurde daher neben dem Primat der Neutralitätspolitik stets auch unter den Einschränkungen einer mit wenig Ressourcen auskommenden Sicherheitspolitik konzipiert.

4 Die Neuorientierung seit 1989 und der Primat der inneren Sicherheit

4.1 Vom Ende des Ost-West-Konflikts zur „umfassenden Sicherheitsvorsorge“

Das Ende des Ost-West-Konflikts und die Auflösung des Warschauer-Pakts hatten fundamentale Auswirkungen auf österreichische Sicherheitspolitik, weil damit zwei ihrer drei bestimmenden Rahmenfaktoren nachhaltig beeinflusst wurden. Die Bedrohung der staatlichen Existenz durch einen möglichen Krieg beider Seiten, der unweigerlich auch auf österreichischem Staatsgebiet ausgetragen worden wäre, löste sich faktisch auf. Damit verbunden kam es zu einer Neubestimmung des ersten bestimmenden Faktors – der Neutralität.

Es begann somit eine neue Phase der Sicherheitspolitik, die man unter dem Motto der Neuorientierung zusammenfassen kann und die durch vier miteinander verbundene Elemente gekennzeichnet war: (1) der Redefinition des Konzepts der Neutralität, (2) der Integration in europäische und transatlantische Sicherheitsstrukturen, (3) dem zumindest gedanklichen Umbau des Bundesheeres, und (4) dem rasanten Anstieg der Integrationsbemühungen im Bereich der inneren Sicherheit.

Bereits in den Jahren 1990/91 und ausgelöst durch den Irakkrieg begann Österreich sein Konzept der Neutralität schrittweise zu überdenken. Zum ersten Mal in seiner Geschichte ordnete man sich den Entscheidungen einer internationalen Organisation – nämlich dem Sicherheitsrat der Vereinten Nationen – unter und argumentierte, dass sich ein neutraler Staat seinen internationalen Verpflichtungen nicht entziehen konnte, sondern aktiv an der Umsetzung solcher Beschlüsse mitwirken müsse. Diese Entwicklung verstärkte sich zudem mit der schrittweisen Integration in europäische und transatlantische Institutionen. Mit Verweis auf die „irische Klausel“Footnote 3 beteiligte sich Österreich nach dem EU-Beitritt ab 1995 an der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) der Union und in Folge auch an der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP). Österreich deutete damit Neutralität von einem defensiven in ein solidarisches Verständnis um, und begriff sich nach der Entscheidung der SPÖ-ÖVP Koalition ab 1996, sich vollberechtigt an allen EU-Sicherheitsstrukturen zu beteiligen, de facto nur noch als „bündnis- bzw. allianz-frei“ (Skuhra 2006, 852). Damit wandelte sich Österreich zu einem „post-neutralen Staat“ (Gebhard 2013, 280), der de jure zwar immer noch neutral war, dessen militärische/äußere Sicherheit aber vollends in die europäischen Entwicklungen und Strukturen eingebettet wurde.

Aber nicht nur die Integration in europäische Institutionen, auch die Annäherung an transatlantische Strukturen wurde forciert. Die NATO wurde als zentraler Eckpfeiler der Sicherheit in Europa begriffen und Österreich trat 1995 unmittelbar nach Aufnahme in die EU auch dem NATO-Programm „Partnerschaft für den Frieden“ (PfP) beiFootnote 4. Vor allem aber die Aufnahme in den „Euro-Atlantischen Partnerschaftsrat“ 1997 führte zu einer verstärkten Auseinandersetzung mit der NATO (Ferreira-Pereira 2006, 109), die sich wiederum in der Teilnahme am PfP-plus Programm widerspiegelte. Österreich wollte damit im gesamten Spektrum der Petersberg-Aufgaben (das heißt von humanitären Aufgaben, Rettungseinsätzen und friedenserhaltenden Aufgaben bis hin zu Kampfeinsätzen) einen Beitrag leisten. Dieses Bekenntnis spiegelte sich jedoch nicht in einem dementsprechenden Umbau des Bundesheeres wider, das dafür eigentlich gut ausgerüstete „Expeditionstruppen“ benötigen würde (Wijk 2003, 16–17).

Bereits ab 1990 begann sich das Bundesheer neu zu orientieren. Es fand in Assistenzeinsätzen im Inneren, dem Grenzschutz und in internationalen Einsätzen (z. B der Beteiligung an der NATO-geführten Friedensmission IFOR in Bosnien-Herzegowina) neue Aufgabengebiete. Die territoriale Landesverteidigung geriet dabei zunehmend in den Hintergrund. Das Bundesheer wandelte sich damit von einer reaktiv-defensiven Kraft zu einem pro-aktiv stabilisierenden und multinational orientierten Akteur (Frank 2005, 97), auch wenn sich das weder in einer grundsätzlichen Neuorganisation der Truppe noch in gezielten Rüstungsprojekten widerspiegelte.

Weitaus folgenreicher für Österreichs Sicherheitspolitik sollten allerdings Entwicklungen in einem vierten Bereich werden, nämlich der rasanten Integration des Bereichs der inneren Sicherheit im Kontext der Europäischen Union. Mit dem Vertrag von Maastricht wurde die Zusammenarbeit in den Bereichen Justiz und Inneres in Form der dritten Säule (neben der wirtschaftlichen Zusammenarbeit in der ersten und der außenpolitischen Zusammenarbeit in der zweiten Säule) institutionell verankert. Dieser Bereich ging aus der zuvor schon genannten TREVI-Kooperation hervor und sollte sich im Laufe der 1990er- (unter anderem durch die Gründung einer europäischen Polizeibehörde, EUROPOL) und besonders dann in den 2000er-Jahren zu einem der dynamischsten und am schnellsten integrierten Politikbereiche der EU entwickeln (Gerspacher 2009, 181–182). Der Bereich der inneren Sicherheit in Österreich blieb von dieser Entwicklung nicht unberührt und begann nun schrittweise das sicherheitspolitische Denken und Handeln Österreichs zu prägen.

Als Wendepunkt dieser Entwicklung und als Beginn einer neuen Phase kann das Jahr 2001 gesehen werden, in dem die ÖVP-FPÖ Regierung in Folge der Terroranschläge des 11. September 2001 (9/11) eine neue Sicherheitsstrategie präsentierte, die ihren Namen auch verdiente. Zum ersten Mal seit dem Konzept der „Umfassenden Landesverteidigung“ von 1961 und der „Verteidigungsdoktrin“ von 1975 wurde ein offizielles Dokument vorgestellt, das sich mit Bedrohungsszenarien für Österreichs Sicherheit auseinandersetzte und nach Lösungen für diese Herausforderungen suchte.

Diese Doktrin brachte einen Paradigmenwechsel mit sich, da sie den Wechsel von der umfassenden Landesverteidigung hin zu einem System der „umfassenden Sicherheitsvorsorge“ propagierte (Nationalrat 2001, 1). Aufgrund neuer Risiken und Bedrohungen sollten potenzielle Gefahren schon im Vorfeld pro-aktiv verhindert oder bearbeitet werden, anstatt sich im Nachhinein mit den Konsequenzen dieser Entwicklungen auseinandersetzen zu müssen.

Dementsprechend sah man in der Krisen- und Katastrophenhilfe im internationalen Kontext einen Schwerpunkt der zukünftigen Betätigung und wollte den Fokus zudem auf Themen wie Rüstungskontrolle und Abrüstung, Friedenssicherung und Krisenbewältigung sowie multilaterales Engagement legen. Obwohl diese Themen schon seit längerem Gegenstand der sicherheitspolitischen Debatten und des Handelns waren, sollte ihnen von nun an aber oberste Priorität eingeräumt werden. Darüber hinaus setzte sich Österreich mit diesem Dokument zum Ziel, die Integration in europäische Strukturen voranzutreiben und die Weiterentwicklung von GASP und ESVP zu forcieren. Ein besonderes Anliegen war auch die Stärkung der nachrichtendienstlichen Strukturen auf europäischer Ebene, ein Thema, das für Österreich als Lehre aus 9/11 auch in Zukunft eine große Rolle spielen sollte. Besonders bemerkenswert war auch die Positionierung gegenüber der NATO. Sie wurde als Eckpfeiler der europäischen Sicherheit bezeichnet und ein NATO-Beitritt explizit als Option ins Spiel gebracht (Nationalrat 2001, 2–3). Damit verabschiedete sich das mittlerweile bündnis- bzw. allianz-freie Österreich zumindest gedanklich von seinen Jahrzehnten dominierenden Mantra der Neutralität.

Neuerungen in dieser Sicherheitsstrategie gab es auch im Bereich der militärischen Sicherheit. Konventionelle militärische Angriffe auf Österreich wurden explizit nicht mehr als wahrscheinliches Bedrohungsszenario definiert. Man sprach sich stattdessen für den Auf- und Ausbau gemeinsamer europäischer Verteidigungsanstrengungen aus, und nahm für sich in Anspruch, das gesamte Spektrum der Petersberg-Aufgaben abdecken zu wollen. Abschließend betont wurde aber auch, dass das ÖBH das gesamte Spektrum an Fähigkeiten aufrechterhalten sollte (Nationalrat 2001, 4–5), was ein offener Widerspruch zur Feststellung war, dass konventionelle Bedrohungen keine Rolle mehr spielten und neue Aufgaben auf das Bundesheer warteten.

Darüber hinaus kam es 2001, auf Initiative des BMLVs unter Minister Scheibner (FPÖ), mit der Schaffung eines nationalen Sicherheitsrats, auch zu einer institutionellen Neuerung. Diese Institution wurde als zentrales Beratungsorgan der Bundesregierung in sicherheitspolitischen Fragen konzipiert, das Sicherheitspolitik als Querschnittsmaterie über alle Ressortzuständigkeiten hinweg denken sollte. Es setzte sich aus Mitgliedern aller im Parlament vertretenen Parteien, ergänzt um Expert*innen aus den verschiedenen Ministerien zusammen. Die Einrichtung eines nationalen Sicherheitsrates stellte nicht nur eine längst überfällige Professionalisierung der Sicherheitspolitik dar. Diese führte auch dazu, dass die Rolle des BMLV und des Bundesheeres relativiert wurde. Das ist dahingehend kurios, da diese beiden Akteure ein quasi-Monopol oder zumindest eine hervorragende Stellung bei der Formulierung von Sicherheitspolitik und der Beratung hatten, und sich sehr zum Leidwesen des Außenministeriums (das Angst um seine dominierte Rolle in der Formulierung von Außenpolitik hatte) für die Schaffung eines nationalen Sicherheitsrats engagierten.

Die Relativierung der Bedeutung des Bundesheeres und der Rolle von militärischer und äußerer Sicherheit zeigte sich vor allem aber im Abschnitt vier des Dokuments, in dem es um die innere Sicherheit ging (Nationalrat 2001, 6–7). Erst in diesem Teil, auf Seite sechs, wurde erstmals definiert, um welche Werte es überhaupt ging, die aus österreichischer Sicht bedroht waren. Laut der Doktrin waren das die physische Sicherheit der Menschen und die Funktionsfähigkeit des Staates. Bedroht wurden diese Werte zwar von Phänomenen, die transnationalen Ursprungs waren, aber in die Domäne der inneren Sicherheit fielen, wie zum Beispiel Terrorismus, organisierte Kriminalität, illegale Migration und Menschenhandel. Gefordert wurde daher auch ein erhöhter Schutz der Grenzen, genauso wie ein verstärkter Austausch über Migration auf europäischer Ebene, eine gemeinsame europäische Migrationspolitik und der Ausbau der zivilen Konfliktbearbeitung und des Konfliktmanagements. Das heißt bereits 2001 begann man damit, Migration zu einem sicherheitspolitischen Thema zu machen und forderte die Abschottung Österreichs und der EU nach außen.

Richtungsweisend für die weiteren Entwicklungen war auch die Festlegung, dass alle sicherheitspolitischen Teilbereiche (vor allem Militär und innere Sicherheit), Teilstrategien auszuarbeiten hatten, die sich an diesem zentralen Dokument orientierten. Damit wurde neben dem BMLV (das bisher schon Militärstrategien in regelmäßigen Abständen veröffentlichte) auch dem Bundesministerium für Inneres (BMI) der Auftrag dazu erteilt. Das Innenministerium wurde damit in die Lage versetzt (und hat dies wohl auch pro-aktiv angestrebt), sich stärker als sicherheitspolitischer Akteur auf Kosten des Bundesheeres zu etablieren. Diese Entwicklung sollte schließlich in den 2010er-Jahren ihren Höhepunkt finden.

Die Sicherheitsdoktrin von 2001 war somit das erste zentrale Dokument, das die Neuorientierung der österreichischen Sicherheitspolitik festhielt. Es unterstrich die zunehmende Verschmelzung von innerer und äußerer Sicherheit, und deutete dabei schon an, dass in Zukunft die innere Sicherheit und deren Vertreter (allen voran das BMI) eine größere Rolle in der österreichischen Sicherheitspolitik spielen sollten.

4.2 Vom „pragmatic bystander“ zum europäischen Vorreiter bei innerer Sicherheit

Die Neuorientierung durch die Sicherheitsdoktrin 2001 hatte unmittelbar Auswirkungen auf die militärische Sicherheit. Die österreichische Entwicklung wurde eng an jene in der Europäischen Union geknüpft, das heißt direkt entlang der ESVP, und, mit dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon 2009, entlang der GSVP ausgerichtet. So zielte die Bundesheer-Reform 2005 zum Beispiel darauf ab, das Militär für Auslandseinsätze fit zu machen und längerfristig daran auszurichten. Auch die Teilnahme am Battle-Groups Konzept, also dem Versuch rasch einsatzbereite und verlegbare Kampftruppen mit EU-Mandat aufzubauen, unterstrich die österreichischen Bemühungen in diesem Bereich. Es wurde jedoch augenscheinlich, dass die Weiterentwicklung der militärischen Sicherheit zu sehr von Entwicklungen auf europäischer Ebene abhängig war, und dass Österreich von offizieller Seite zu wenig unternahm, um diese Entwicklungen von sich aus anzustoßen und voranzutreiben (Molnár 2021). Österreich nahm in diesem Bereich zu sehr die Rolle eines passiven Zuschauers (Ferreira-Pereira 2006) bzw. eines „pragmatic bystander“ (Müller und Maurer 2016, 5) ein, der sich nur in jenen Bereichen wirklich engagierte, die in seinem engen nationalen Interesse lagen. Der militärische Bereich schien nicht zu diesem engen Kern zu gehören.

Diese passive Haltung zeigte sich auch in regionalen bzw. strukturierten Kooperationen. Die Teilnahme an PESCO, der permanenten strukturierten Kooperation ab 2017, die es Mitgliedstaaten ermöglichte ein eigenes (schnelleres) Tempo der Integration im militärischen Bereich einzuschlagen, wurde zwar auch von Österreich wohlwollend aufgenommen, die bisherigen Ergebnisse sind aber auch in diesem Bereich beschaulich. Dabei versuchte das Bundesministerium für Landesverteidigung, angeregt durch die Direktion für Sicherheitspolitik bereits 2010, eine regionale Kooperation anzuregen, um dem Stillstand entgegenzuwirken. Die als „Central European Defence Cooperation – CEDC“ bezeichnete Initiative, an der sich neben Österreich auch Kroatien, die Slowakei, Slowenien, Tschechien und Ungarn beteiligten, versuchte die Verteidigungsfähigkeit durch regionale Koordinierung zu erhöhen. Aber auch dieses Unterfangen blieb bis auf kleine Erfolge im Bereich der ABC-Truppen und bei der Zusammenarbeit im Bereich internationaler Missionen, wenig erfolgreich. Unter anderem auch deshalb, weil Österreich als Nicht-NATO-Mitglied von Entwicklungen ausgeschlossen wurde (Müller 2016, 30–31).

Eine weitaus erfolgreichere Entwicklung konnte hingegen im Bereich der inneren Sicherheit beobachtet werden. Neben der Betonung der Bedeutung dieses Bereiches in der Sicherheitsdoktrin war es vor allem der rasante Bedeutungszuwachs des Themas in der EU durch die Gründung der „Polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit“ (im Englischen als „Justice and Home Affairs“ oder kurz JHA bezeichnet) 1993, der hier für Bewegung sorgte. Der Bereich der JHA sollte sich im Gegensatz zu GASP/ESVP bzw. GSVP zu einem der dynamischsten Integrationsbereiche innerhalb der EU entwickeln, was nicht ohne Auswirkungen auf Österreichs Sicherheitspolitik bleiben sollte. Nachdem 1999 im Zuge des Amsterdamer-Vertrags weitere Bereiche in die JHA integriert wurden, erreichte die Integration mit dem Lissabonner Vertrag 2009 ihren Höhepunkt, indem die Gemeinschaftsmethode (das heißt, dass es nur mehr qualifizierte Mehrheiten für Entschlüsse brauchte und Staaten somit ihr Veto verloren) auch in diesem Politikbereich der Union Einzug nahm (Müller und Maurer 2016, 24–25). Diese bemerkenswerten Integrationsschritte und die damit verbundene verstärkte Institutionalisierung der inneren Sicherheit auf Unionsebene erfolgte deswegen, weil die EU aus Sicht der Mitgliedstaaten in diesem Feld erfolgreich Politik machte und einen zählbaren Mehrwert generieren konnte (Gerspacher 2009, 180).

Im Gegensatz zur militärischen Sicherheit kann Österreichs Handeln bei der inneren Sicherheit nicht als die eines „pragmatic bystanders“ bezeichnet werden. Vielmehr versuchte man hier pro-aktiv zu agieren, bewusst Initiativen zu setzen und damit eigene Interessen durchzusetzen. Nicht alle diese Initiativen waren jedoch von Erfolg gekrönt. Im Bereich der Bekämpfung des Terrorismus und der organisierten Kriminalität kam es durch die Gründung des Bundesamtes für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung im Jahr 2002 zwar zu einer längst überfälligen Modernisierung (Beer 2003, 23). Österreich versuchte dabei im Bereich der Zusammenarbeit der Geheimdienste auf europäischer Ebene noch stärker in Richtung einer Vergemeinschaftung zu wirken. Laut Lissabonner Vertragt (TEU Art. 4 (2)) ist die nationale Sicherheit aber weiterhin die alleinige Angelegenheit der Nationalstaaten (Glees 2017, 71), worauf die großen und einflussreichen EU-Mitglieder, also jene mit viel nachrichtendienstlichem know-how und den entsprechenden Ressourcen, nicht müde werden hinzuweisen. Der Versuch kleiner Staaten, wie zum Beispiel Österreichs oder Belgiens, mehr Kooperation auf EU-Ebene zu forcieren, blieb bisher ungehört (Palacios 2020, 484). Im geheimdienstlichen Bereich besteht weiter die Präferenz der meisten Staaten für bi-laterale Ansätze der Kooperation (zB im Zuge des Berner Clubs) und nicht für die Vergemeinschaftung (Bures 2008, 505). Es dominiert immer noch das Prinzip des Informations-Handels und nicht des Informations-Tausches (Coolsaet 2010, 865; Den Boer 2015, 404), auf das Staaten wie Österreich bisher vergebens pochen.

Die missliche Lage der österreichischen Geheimdienste, allen voran des BVT, wurde durch die Affäre um eine Razzia der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft im BVT (o.A. 2021) noch verschlimmert. In europäischen Geheimdienstkreisen wurde als Konsequenz dieser Affäre die Verlässlichkeit des BVTs (und damit indirekt auch aller anderen nachrichtendienstliche Organe) offen infrage gestellt (APA 2018; dpa 2019). Es mehrten sich auch die Zweifel, dass Österreichs Nachrichtendienste verlässliche und vor allem diskrete Partner seien. Vielmehr sah man durch die Affäre Befürchtungen bestätigt, dass sensible Erkenntnisse an Akteure wie Russland weitergegeben werden könnten. Diese Sichtweise änderte sich auch mit dem Ausscheiden der FPÖ aus der Regierung nicht. Erst kürzlich (September 2021) wurde die Arbeit des BVTs in einem Beitrag des Magazins The New Yorker kritisch beleuchtet. Dem BVT fehle es laut Insidern an qualifiziertem Personal mit nachrichtendienstlicher Erfahrung. Wichtige Besetzungen würden über das „richtige“ Parteibuch und nicht aufgrund von Qualifikationen erfolgen (Taub 2021). Inwiefern die jüngste Reform des BVTs und dessen Umwandlung in die „Direktion für Staatsschutz und Nachrichtendienst“ (DSN) hier Änderungen bringt, bleibt abzuwarten. Auch wenn die generelle Trennung von polizeilichen und nachrichtendienstlichen Aufgaben, die durch die Reform umgesetzt wird, zu begrüßen ist, lässt die Besetzung der neuen DSN-Spitzen durch Akteure mit auffälliger Nähe zur ÖVP wenig Hoffnung aufkommen, dass sich die Parteipolitik aus diesem höchst sensiblen Bereich verabschieden will.

Weitaus erfolgreicher mit seinen Anliegen war Österreich jedoch in Fragen von Grenzschutz und illegaler Migration. Bereits 2005 konnte unter anderem durch Österreichs Mitwirkung der Vertrag von Prüm abgeschlossen werden, der das Teilen von Fingerabdrücken und von DNA innerhalb ausgesuchter Staaten der EU möglich machte (Keohane 2008, 128). Auch die steigende Versicherheitlichung des Themas Migration ist eine jener Entwicklungen, an denen Österreich maßgeblich beteiligt war (Léonard und Kaunert 2020).

Ein hervorragendes Beispiel, um aufzuzeigen, welchen Willen und Erfolg Österreich hat, um Entwicklungen erfolgreich anzustoßen, ist die Gründung des sogenannten Salzburg Forums im Jahr 2000. Ursprünglich als eine regionale Initiative Österreichs zur Heranführung der EU-Beitrittskandidaten im direkten Umfeld gedacht, wandelte sich die regionale Kooperation bald in ein Instrument der besseren Koordination und Umsetzung gemeinsamer Interessen innerhalb der EU. So war man unter anderem erfolgreich bei der Ermöglichung von Grenzkontrollen innerhalb des Schengen Raums in besonderen Fällen oder der verstärkten Thematisierung von illegaler Migration als sicherheitspolitischer Herausforderung (Müller 2016, 28–29). Auch als es um die inhaltliche Ausrichtung der „EU-Strategie der inneren Sicherheit“ oder um die „Strategischen Leitlinien für den Bereich Justiz und Inneres“ ging, konnte Österreich in Abstimmung mit den Partnern des Salzburg Forums Akzente setzen (Müller 2016, 31).

Während Österreich im Bereich der militärischen Sicherheit also nur bescheidene Mittel einzusetzen gewillt ist, und auch sonst keine sicherheitspolitische Rolle für sich in Anspruch nimmt, geschweige denn versucht einen breiten gesellschaftlichen Konsens für eine progressive und pro-aktive Politik in diesem Bereich zu generieren (Müller und Maurer 2016, 7), ist man im Bereich der inneren Sicherheit nicht nur gewillt auf europäischer Eben aktiv zu sein, sondern auch sehr erfolgreich bei der Verfolgung und Umsetzung eigener Interessen.

Diese Entwicklung spiegelt sich noch deutlicher in der „Sicherheitsstrategie“ von 2013 (Bundeskanzleramt 2013) und der darauf aufbauenden „Teilstrategie Verteidigungspolitik“ 2014 (BMLV 2014) und der „Sicherheitsdoktrin des Innenministeriums“ von 2017 (BM.I 2017) wider. In der Sicherheitsstrategie wird deutlicher noch als 2001 der Wandel des sicherheitspolitischen Umfeldes festgehalten. Innere und äußere Sicherheit werden als zunehmend verschmolzene Bereiche dargestellt. Konventionelle militärische Angriffe spielen keine Rolle mehr und werden von Terrorismus, der Gefahr durch Massenvernichtungswaffen, transnationaler Kriminalität, illegaler Migration, dem Klimawandel und den Folgen von Staatsversagen und Pandemien (sic!) in der Bedrohungswahrnehmung abgelöst (Bundeskanzleramt 2013, 5–7). Die zu schützenden Werte sind dabei die österreichische Bevölkerung, das Staatsgebiet, die soziale und politische Ordnung und die demokratische Gesellschaftsform Österreichs. Daher wird die „umfassende Sicherheitsvorsorge“ (Bundeskanzleramt 2013) weiterhin als zentrales Konzept erachtet, wobei neben der Diplomatie und Amtssitzpolitik, der Verteidigungspolitik und der zivil-militärischen Zusammenarbeit, vor allem der inneren Sicherheit und der verstärkten Einbindung in den Bereich JHA eine Hauptrolle zukommt.

Diese weitere Verschiebung Richtung nicht-konventioneller Bedrohungen findet sich sogar in der „Teilstrategie Verteidigungspolitik“ (BMLV 2014). Auch hier geht man nicht mehr von der Gefahr konventioneller militärischer Angriffe aus, sondern sieht die Umfeldstabilisierung und das Krisenmanagement als Hauptaufgabe. Das Bundesheer will zwar weiterhin im gesamten Spektrum der Petersbergaufgaben aktiv sein können und fordert daher Fähigkeiten in allen Waffengattung aufrechtzuerhalten (ein Widerspruch zu dem eingangs in der Doktrin festgehaltenen Verschwinden konventioneller militärischer Bedrohungen). Man sieht sich aber offiziell auch als „strategische Handlungsreserve“ (BMLV 2014, 11) zur Abwehr von Gefahren im Inneren. Damit spiegelt sich selbst im zentralen Grundsatzdokument des Bundesheeres diese Bedeutungsverschiebung zu Gunsten der inneren Sicherheit wider.

Besonders deutlich wird dieser Bedeutungszuwachs aber in der „Sicherheitsdoktrin“ des Innenministeriums von 2017. Massenmigration und Extremismus werden als die großen sicherheitspolitischen Herausforderungen skizziert und das Bundesministerium für Inneres als „größter Sicherheitsdienstleister“ (BM.I 2017, 5) der Republik dargestellt, der federführend an der Definition der Bedrohungslage und den zu treffenden Schutzmaßnahmen beteiligt ist. Das Bundesheer wird zwar explizit als Partner bei diesen Aufgaben erwähnt, jedoch immer nur in Form der nachgereichten Assistenz und erst nach Aufforderung der Sicherheitsbehörden des Inneren (BM.I 2017, 7). Längerfristiges Ziel soll die verfassungsrechtliche Verankerung des Prinzips der umfassenden Sicherheitsvorsorge sein, wobei innere und äußere Sicherheit die tragenden Säulen bilden werden. Federführend an der Ausarbeitung einer neuen Sicherheitsstrategie positioniert sich das BMI nun selbst (BM.I 2017, 52) und macht damit erstmals öffentlich deutlich, dass es zu diesem Zeitpunkt dem Bundesministerium für Landesverteidigung und damit dem österreichischen Bundesheer den Rang als dominierenden Akteur in der österreichische Sicherheitspolitik abgelaufen hat.

Kritisch angemerkt werden muss bei all diesen Entwicklungen aber, dass sich die Verabschiedung neuer Strategien nicht zwangsläufig auf das konkrete Handeln auswirken muss. Nur weil sich Österreich zu einer umfassenden Sicherheitsvorsorge bekennt, bedeutet dies noch lange nicht, dass sich dieses Bekenntnis auch in tatsächlicher Politik in allen Querschnittsbereichen widerspiegelt. Trotzdem ist die zumindest auf programmatischer und sprachlicher Ebene sichtbare Verschiebung der österreichischen Sicherheitspolitik von äußerer und militärischer Sicherheit zu innerer und polizeilicher Sicherheit ein Trend, der sich auch verstärkt in der Realpolitik niederschlagen.

Auch wenn zum aktuellen Zeitpunkt noch keine neue Sicherheitsstrategie veröffentlicht und auch das Prinzip der umfassenden Sicherheitsvorsorge nicht in der Verfassung verankert wurde, ist der Bedeutungszuwachs der inneren Sicherheit weiterhin beobachtbar. Das mag auch damit zu tun haben, dass sich das Thema innere Sicherheit im Gegensatz zu äußerer und militärischer Sicherheit, durch die Versicherheitlichung von Migration und Integration besser politisch verkaufen lässt. Die Politisierung der inneren Sicherheit ist längst in Österreichs Tagespolitik angekommen (Eder, Libiseller und Schneider 2021). Damit wird sowohl die emotionslose und faktenbasierte Debatte über innere Sicherheit erschwert als auch die dringend notwendige Debatte über die Bedeutung des Militärs und der äußeren Sicherheit verdrängt. Inwiefern der Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine 2022 hier zu einem erneuten Wandel und zu einem Bedeutungszuwachs der äußeren und militärischen Sicherheit und damit der Rolle des Bundesheeres führt, bleibt abzuwarten.

5 Zusammenfassung und Ausblick

Das Ziel dieses Kapitels war es, die Entwicklung und den Wandel der österreichischen Sicherheitspolitik seit 1945 nachzuzeichnen. Dazu wurde in einem ersten Schritt diskutiert, was unter den Begriffen „Sicherheit“ und „Sicherheitspolitik“ überhaupt zu verstehen ist. Sicherheit wurde dabei als soziales Konstrukt definiert, mit dem festgelegt wird, welche Werte und Bereiche eines Staates und einer Gesellschaft schützenswert sind. Sicherheitspolitik wurde als jener Politikbereich bezeichnet, der sich um die Wahrung dieser Werte auch mit außerordentlichen Mitteln (im Notfall also auch der Gewaltanwendung) widmet. Darauf aufbauend habe ich dargelegt, wie sich die österreichische Sicherheitspolitik zunächst seit 1945 in zwei parallelen und voneinander unabhängigen Sphären entwickelte – der inneren und polizeilichen Sicherheit, und der äußeren und militärischen Sicherheit.

Während die innere und polizeiliche Sicherheit spätestens seit den 1970er-Jahren durch den Anstieg grenzüberschreitender Herausforderungen und Bedrohungen wie der organisierten Kriminalität und dem internationalen Terrorismus einen Internationalisierungsschub erlebte, waren der äußeren und militärischen Sicherheit Beschränkungen auferlegt. Österreichs Neutralität und die geografische Lage im Epizentrum des Ost-West-Konflikts führten im Zusammenspiel mit dem breiten innenpolitischen Konsens, wenig Ressourcen für militärische Landesverteidigung ausgeben zu wollen, zu einer militärischen Sicherheitspolitik, die mit wenig Mitteln auskommen musste.

Das Ende des Ost-West-Konflikts und der Beitritt Österreichs zu Europäischen Union bildeten eine Zäsur. Sicherheitspolitik wurde zunehmend in einem europäischen Kontext gedacht und umgesetzt. Im Bereich der äußeren und militärischen Sicherheit wirkte sich die Stagnation auf europäischer Ebene (nach anfänglicher Euphorie) auch auf Österreich aus. Im Gegensatz dazu wirkten sich die substanziellen Schritte der Vergemeinschaftung im Bereich der inneren und polizeilichen Sicherheit auch auf Österreich aus. Neben dem Umstand, dass sich die Bereiche der äußeren und inneren Sicherheit immer weniger voneinander trennen lassen, dominieren mittlerweile transnationale Bedrohungsszenarien, allen voran Themen wie Kriminalität, Terrorismus und vor allem Migration, die sicherheitspolitische Debatte. Damit kam es auch unweigerlich zum Bedeutungszuwachs des Bundesministeriums für Inneres, das dem Bundesministerium für Landesverteidigung mittlerweile den Rang als zentralen sicherheitspolitischen Akteur abgelaufen hat. Ob der russische Angriffskrieg auf die Ukraine an dieser Entwicklung etwas ändert, bleibt abzuwarten.

Dieses Kapitel hat deutlich gemacht, dass die folgenden Entwicklungen auch in Zukunft eine zentrale Rolle spielen werden und es daher weiterer Forschung in diesen Bereichen bedarf. Erstens wirkt sich das Fehlen einer klaren Konzeption, was unter äußerer und militärischer Sicherheit in Österreich zu verstehen ist und wie man sie effektiv gewährleistet, unvermeidlich auf die Ressourcen und die Rolle des österreichischen Bundesheeres als sicherheitspolitischen Akteur aus. Ohne eine solche klare Konzeption, die gesellschaftlich auf breite Akzeptanz stößt, und dem politischen Willen, auch die notwendigen Ressourcen für ein solches Konzept zur Verfügung zu stellen, wird die Bedeutung des Bundesheeres als wichtigem Element der Sicherheitspolitik auch in Zukunft noch weiter abnehmen.

Zweitens, erfordert die zunehmende Versicherheitlichung von Politikbereichen wie der Migration, und zukünftig vielleicht auch von Klimafragen, eine intensivere wissenschaftliche Auseinandersetzung mit diesen Fragen in einem österreichischen Kontext. Österreichische Innenpolitik nimmt eine immer größere Bedeutung bei der Formulierung von Bedrohungen und damit auch bei der Bereitstellung von Lösungsansätzen in diesem Bereich ein. Es braucht daher auch gezielt mehr Studien, die diese Phänomene aus einem spezifisch österreichischen Kontext heraus untersuchen und darlegen, inwiefern sich die österreichische Innenpolitik auf die Außenpolitik in diesen Bereichen auswirkt und welche Konsequenzen das auf regionaler, europäischer und globaler Ebene hat.

Drittens, der Wettstreit zwischen bürokratischen Institutionen, allen voran des Bundesministeriums für europäische und internationale Angelegenheiten, des Bundesministeriums für Inneres und des Bundesministeriums für Landesverteidigung, um die Formulierung von Sicherheitspolitik ist in Österreich de facto noch gar nicht untersucht. Auch die Rolle des Bundeskanzleramts, des Parlaments und politischer Parteien in diesem Zusammenhang stellt eine Forschungslücke dar, die in den kommenden Jahren geschlossen werden sollte.

Weiterführende Quellen

Den Boer, Monica. 2015. „Counter-Terrorism, Security and Intelligence in the EU: Governance Challenges for Collection, Exchange and Analysis“. Intelligence and National Security 30 (2-3): 402– 419. https://doi.org/10.1080/02684527.2014.988444.

Monica Den Boer macht in ihrem Aufsatz deutlich, welche Rolle die Europäische Union im Bereich des nachrichtendienstlichen Austauschs spielt. Sie unterstreicht damit auch die sicherheitspolitischen Herausforderungen, vor welchen kleine Staaten wie Österreich stehen, die über wenig Ressourcen in diesem Bereich verfügen.

Gebhard, Carmen. 2013. „Is Small Still Beautiful? The Case of Austria“. Swiss Political Science Review 19 (3): 279–297. https://doi.org/10.1111/spsr.12042.

Carmen Gebhard diskutiert in diesem Beitrag, welche Auswirkungen Österreichs Rolle als „Kleinstaat“ auf die Sicherheitspolitik hatte. Sie zeigt, wie die Idee Österreichs als Vermittler auf internationaler Ebene durch die Integration in europäische Strukturen zunehmend an Bedeutung verliert.

Molnár, Tamás Levente. 2021. „The Security Perception and Security Policy of Austria, 1989–2017“. Defense & Security Analysis 37 (1): 66–79. https://doi.org/10.1080/14751798.2020.1831234.

Tamás Molnár beleuchtet in seinem Beitrag, inwiefern sich die Wahrnehmung von Bedrohungen und Sicherheit in Österreich auf die Sicherheitspolitik des Landes auswirkt. Molnár zeigt damit nicht nur den Wandel der Sicherheitswahrnehmung ab 1989, sondern unterstreicht auch wie das Thema Migration zunehmen versicherheitlicht wird und die sicherheitspolitische Debatte in Österreich der letzten Jahre dominiert.

Müller, Patrick. 2016. „Europeanization and Regional Cooperation Initiatives: Austria’s Participation in the Salzburg Forum and in Central European Defence Cooperation“. ÖZP – Austrian Journal of Political Science 45 (2): 24–34. https://doi.org/10.15203/ozp.1102.vol45iss2.

Patrick Müller zeigt in diesem Beitrag eindrucksvoll, welchen Erfolg Österreich bei regionalen Kooperationen im sicherheitspolitischen Bereich hatte. Während die Bilanz bei äußerer und militärischer Sicherheit eine sehr durchwachsene ist, konnte Österreich im Bereich der inneren und polizeilichen Sicherheit wichtige Akzente auf europäischer Ebene setzen.

Skuhra, Anselm. 2006. „Österreichische Sicherheitspolitik“. In Politik in Österreich: Das Handbuch, herausgegeben von Herbert Dachs, Peter Gerlich, Herbert Gottweis, Helmut Kramer, Volkmar Lauber, Wolfgang C. Müller und Emerich Tálos, 838–861. Wien: Manz.

Der Beitrag von Anselm Skuhra bietet einen hervorragenden Überblick über die Entwicklung der militärischen Sicherheitspolitik von 1945 bis zum Ende des Ost-West-Konflikts und zeigt, welche Auswirkungen das Ende der System-Konfrontation und die Integration in die Europäischen Union auf Österreich hatten.