Schlüsselwörter

1 Einleitung

Diversität wird oftmals als ein Baustein gegen Rassismus und Diskriminierung in der und durch die Polizei angeführt. Auch die Empfehlung des NSU-UntersuchungsausschussesFootnote 1 sowie diversitätspolitische Zielvorgaben vieler Landesregierungen folgen dieser Stoßrichtung. Dabei kommt die Annahme zum Tragen, dass eine Diversifizierung des polizeilichen Personals – gedacht als „mehr Migrant:innen in der Polizei“ – dazu führe, dass die Polizei sowohl in ihrem Außen- als auch in ihrem Innenverhältnis weniger anfällig für diskriminierende Einstellungen und Handlungsmuster sei. „Denn“, so heißt es in dem Bericht des NSU-Untersuchungsausschuss zur Begründung, „Vielfalt steht einem homogenen Binnenklima entgegen und fördert innovatives und flexibles Organisationshandeln, das den NSU-Ermittlungen offensichtlich gefehlt hat.“Footnote 2 Gleichzeitig wird von einem Zugewinn an Legitimität, Akzeptanz und Effektivität einer Polizei ausgegangen, die in ihrer personellen Zusammensetzung die Gesellschaft abbildet. Der vorliegende Beitrag geht den theoretisch-konzeptionellen Hintergründen dieser Annahmen nach und trägt empirische BefundeFootnote 3 aus der Organisations- und Polizeiforschung zusammen, die eine kritische Auseinandersetzung mit diesen Annahmen ermöglichen.

Zwei Gegenstandsbereichen gilt dabei besondere Aufmerksamkeit: (1.) im Bereich Personal geht es um das Fördern von Vielfalt einerseits und das Erkennen und Verringern von Zugangshürden und Benachteiligungen für bestehende Minderheiten andererseits; (2.) im Bereich Performanz der Polizeiarbeit geht es um die Frage, ob und wie sich eine Diversifizierung des polizeilichen Personals (a) auf die Zusammenarbeit im Team und (b) auf die Interaktion mit unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen auswirkt. Von besonderem Interesse für diesen Beitrag sind Hinweise auf die Bedeutung von Diversität für eine Polizei, die in ihrem Außen- und Innenverhältnis sensibel gegenüber Diskriminierungen und Rassismus ist. Zunächst aber werden die Begriffe „Diversität“ und „Repräsentation“ in ihrer Bedeutung für die Polizei näher bestimmt.

2 Annäherung an die Begriffe Repräsentation und Diversität

Keine Metapher wird zum Themenbereich „Diversität und Polizei“ wohl so ausdauernd angeführt, wie die Beschreibung der Polizei als Spiegelbild der Gesellschaft. Dabei wird die Metapher mal relativierend, mal integrationspolitisch und mal abgrenzend formuliert.Footnote 4 Während die Werbeplakate eher das Familienalbum, d. h. die Schauseite der Polizei präsentieren, kommt in der Spiegelbildmetapher die Idee der Repräsentation zum Ausdruck. Das Spiegelbild thematisiert einen Abgleich zwischen gesellschaftlichen Verhältnissen und Polizei, ein wechselseitiges Reflektieren und Sich-aufeinander-beziehen.

2.1 Repräsentation und Polizei(-arbeit)

Repräsentation ist ein Schlüsselkonzept in Demokratien. Gewählte (Volks-)Vertreter:innen bilden Mehrheiten, sie haben ein Mandat zur Interessenvertretung. Mit Blick auf die Polizei ist das Argument der Repräsentation nur in Ableitung auf ihre demokratische Verfasstheit bezogen, denn die Polizei ist keine Interessenvertretung und soll dies auch explizit nicht sein. Vielmehr „muss polizeiliche Arbeit […] gegenüber allen Menschen gleich sein“, wobei Gleichbehandlung nicht durch die Perspektive der Betroffenen bewertet wird, sondern von „einer allgemeinen und verbindlichen Gerechtigkeitsvorstellung“ abhängig ist.Footnote 5 Polizist:innen repräsentieren das staatliche Gewaltmonopol; sie sind „die exekutive Seite des Rechtssystems“ und damit beauftragt, Verstöße gegen die Rechtsordnung zu ahnden und abzuwehren.Footnote 6 Dafür sind ihnen die legitimen Gewaltmittel im Staat anvertraut. Es ist diese Gewaltlizenz, die die demographische Zusammensetzung des polizeilichen Personals relevant werden lässt. Denn wenn die Polizei sich ausschließlich aus einer gesellschaftlichen Gruppe, einem Milieu oder einer Klasse rekrutierte, wären Zweifel an ihrer unparteilichen Anwendung der Gewaltmittel wahrscheinlich und das Risiko des Machtmissbrauchs erhöht. Wie sollte also die Zusammensetzung des polizeilichen Personals sein, damit soziale Ungleichheit nicht zu Ungleichbehandlung durch den Staat und seine Vertreter:innen führt?

Hier setzen Theorien repräsentativer Bürokratie an.Footnote 7 Diese gehen davon aus, dass Verwaltungs- und Polizeimitarbeiter:innen, die zu einer unterrepräsentierten oder diskriminierten Gruppe gehören, eine unmittelbare Anerkennung der Benachteiligungen und Schwierigkeiten von Minderheiten mit in ihre Arbeitsweise einbringen. Der Grund wird in einer sozialen und empathischen Nähe oder gar gemeinsamen sozialen Identität gesehen, die mit eigener Betroffenheit, ähnlichen Erfahrungen oder kulturellem Wissen begründet wird. Eine konzise Beschreibung dieser Grundannahme der Theorie repräsentativer Bürokratie liefern bspw. Andrews et al.:

„The theory of representative bureaucracy maintains that the staff employed in a public organization will share the values and beliefs of the demographic group from which they are drawn and that this ‘value congruence’ will prompt them to exercise discretion in favour of outcomes beneficial to the represented group.“Footnote 8

Nach dieser Theorie, erhält Polizist:innen, die sich einer Minderheitengruppe zurechnen oder denen eine solche zugeschrieben wird, neben der Rolle der Funktionsbeamt:innen (als Vollzugsbeamter:in, Ermittler:in, Einsatzleiter:in – je nach Verwendung) eine „minority representative role“Footnote 9, d. h. die Rolle von Fürsprecher:innen. Dies wird nicht im Sinne einer aktiven Parteilichkeit gedacht, sondern im Sinne einer ausgleichenden, berücksichtigenden Einschätzung in Situationen des polizeilichen Ermessens.Footnote 10 Die Möglichkeit dieser ausgleichenden, diskriminierungssensiblen Polizeiarbeit wird nach dieser Theorie dadurch erhöht, dass soziales Verstehen das polizeiliche Ermessen informiert.

Gleichzeitig kann dieses sozial-kulturelle Verstehen als Korrektiv der von Loick beschriebenen differenziellen Operationslogik der Polizei gedacht werden, nach der unterschiedliche Bevölkerungsgruppen sehr unterschiedlichen Polizeikontakt im Alltag haben, von ihr verschieden adressiert werden und sie entsprechend anders wahrnehmen. Die differenzielle Operationslogik geht häufig zu Lasten von Minderheiten und vulnerablen Gruppen.Footnote 11 In ihrer differenziellen Operationslogik ist die Polizeiarbeit also per se anfällig für vorverurteilende, stereotype Wahrnehmungen und benachteiligende Praktiken. Vor diesem Hintergrund ist es plausibel, dass soziale Nähe und soziales Verstehen dazu beitragen können, Ungleichbehandlung durch die Polizei abzumildern und zu „korrigieren“. Die Minderheitenvertreter würden die differenzielle Operationslogik gewissermaßen zurück-korrigieren. Ihre Anwesenheit verhindert, dass eine benachteiligende Behandlung durch die Polizei für deprivierte Bevölkerungsgruppen wahrscheinlich wird. Die Rolle des Fürsprechers fordert den Grundsatz unparteilicher Polizeiarbeit deutlich heraus. Denn sozial-kulturell informiertes Ermessen kann auch als Ungleichbehandlung, Bevorzugung und positive Diskriminierung angesehen werden.Footnote 12

Das ausgleichende Moment einer repräsentativ zusammengesetzten Polizei ist darauf bezogen, dass sozial-kulturelle Ungleichheiten nicht dadurch polizeilich relevant werden, dass in den patrouillierenden oder ermittelnden Teams das notwendige soziale oder kulturelle Wissen fehlt. Es ist zu diskutieren, ob solche Kompetenzen gelernt und trainiert werden können, oder ob sie teilweise oder gänzlich an die Identität und Sozialisation von Personen geknüpft sind. Insgesamt wird jedoch davon ausgegangen, dass soziale Repräsentation – also die Idee, dass eine Polizei, die der Gesellschaft entspricht, deren legitime Gewaltmittel ihr übertragen wurden – zunächst einmal das Zutrauen in eine angemessene Polizeiarbeit erhöht. Umgekehrt gerät die Polizei unter Legitimationsdruck, wenn bestimmte Gruppen in ihren Reihen in einem solchen Maße unterrepräsentiert sind, dass der polizeiliche Blick sie als fremd, störend oder gar gefährlich definiert.

2.2 Diversität und Polizei(-arbeit)

Die ausgleichende Programmatik der Theorie repräsentativer Bürokratie ist dem Begriff (kulturell-ethnischer) Diversität immanent.Footnote 13 Diversität gilt als Bekenntnis zu Maßnahmen, die vergangene Benachteiligungen von Gruppen ausgleichen und künftige verhindern.Footnote 14 Dabei impliziert allein der Begriff Diversität nicht, welche soziale Gruppe angesprochen ist. Diversitätsmerkmale beziehen sich auf jene Zuschreibungen oder Identitäten, mit denen eine gesellschaftliche Benachteiligung historisch oder aktuell verbunden ist.Footnote 15 In den USA ist das entsprechende Konzept diversity eng verbunden „mit der Integration von Minderheiten und dem Kampf gegen Rassismus“Footnote 16. In Europa wird Diversität insbesondere mit kulturellen Unterschieden und der Chiffre Migration assoziiert.Footnote 17 Dabei steht der Begriff in den letzten Jahren mehr und mehr für ein Lob der Vielfalt und die Idee der inklusiven (anti-exklusiven) Gesellschaft, die nicht nur nichtdiskriminierend ist, sondern anerkennend. Diversität gilt gar als „Pathosformel“Footnote 18. Kritiker mahnen eine Verschleierung von Problemen sozialer Ungleichheit an, die entlang der Achsen race, class und gender fokussiert werden. Sie fordern ein Verständnis von reflexiver oder kritischer Diversität, durch das Prozesse der Diskriminierung und Exklusion sowie hegemoniale Positionen – also die Hürden von Chancengleichheit – und weniger die vermeintlichen Potentiale von Vielfalt fokussiert werden.Footnote 19

In Bezug auf die Polizei wird Diversität einerseits als Synonym für Vielfalt genutzt, und zwar dann, wenn es um die Zusammensetzung des Personals geht. Diversität erscheint dann als empirischer Befund, den die Behörden ausweisen können. Andererseits transportiert der Diversitätsbegriff eine gesellschaftliche Anforderung an ein bestimmtes Organisationsklima, in dem Individualität und Unterschiedlichkeit eine hohe Wertschätzung erfahren. Dieses, so die einschlägigen Analysen, stehe der Organisationskultur der Polizei fundamental entgegen.Footnote 20 „Während eine Organisation mit Diversitätskultur die individuellen Erwartungen und Fähigkeiten ihrer Mitglieder akzeptiert und fördert, arbeitet die Polizeiorganisation hingegen mit dem Grundsatz, alle ihre Mitglieder gleich zu behandeln.“Footnote 21 Die Gleichbehandlung übersetzt sich dabei in eine Assimilationskultur für Minderheitenvertreter:innen, die als „Fremde“, „Andere“ oder mittlerweile als „Diversitätsträger“Footnote 22 in die Polizei integriert werden. Behr beschreibt das Verhältnis der Polizei zu Diversität als ein „gebrochenes“Footnote 23, denn das für sie „dominante Prinzip der Gleichbehandlung“Footnote 24 mache durch EinheitslaufbahnFootnote 25, GeneralverwendbarkeitFootnote 26 und HomogenitätskulturFootnote 27 aus Diversitätsträgern schlicht Polizisten. Während Klimke sieht, dass der Gleichbehandlungsgrundsatz sowohl Integrationschancen als auch Ausschlüsse erzeugtFootnote 28, verbindet Behr diese Spannung mit einer Grundsatzentscheidung: „Entweder will man Vielfalt, dann muss man die Fixierung auf die Gleichbehandlung aufgeben oder man will Gleichbehandlung, dann muss man Abschied vom Diversitätsideal nehmen.“Footnote 29 Schließlich bergen, aus der Perspektive der Polizeiorganisation, Diversität und die Berücksichtigung sozial-kultureller Unterschiede das Risiko einer Relativierung der allgemeinen Gleichbehandlung. Das wird vor allem in dem Hinweis Behrs deutlich, dass „Gleichbehandlung […] nicht abhängig von der Perspektive des Betroffenen“ sei, da die Polizei sich „ja geradezu den Vorwurf von Ungleichbehandlung, Willkür, Intransparenz ersparen“ wolle und müsse.Footnote 30

Jedoch, aus Sicht des Anti-Diskriminierungsrechts fordert auch Diversität genau jene Gleichbehandlung durch Recht, Verwaltung und eben auch Polizei ein, die die Organisation durch ein zu viel an Diversität in den eigenen Reihen verunsichert sieht.

3 Personal

Die Interkulturelle Öffnung der Polizei wird häufig anhand der Anzahl an Diversitätsträgern in der Organisation bestimmt. Diversität erscheint dann als empirischer Befund.

3.1 „Migrationshintergrund“ und der Befund der Vielfalt

Da der Zugang zum Polizeidienst mit Ausnahme der seit 1993 existierenden Regelung des „dringenden dienstlichen Bedürfnisses“ in § 7 Abs. 3 BBG an die deutsche Staatsangehörigkeit geknüpft ist, spielt der Migrationshintergrund (wie auch das Geschlecht) beim Zugang zu diesem öffentlichen Amt explizit keine Rolle. Ein zugeschriebener oder angegebener Migrationshintergrund ist für das Einstellungsverfahren bei der Polizei formal irrelevant. Es existiert also eine deutliche Spannung zwischen der beamtenrechtlichen Nicht-Relevanz dieses sensiblen personenbezogenen Merkmals und der gesellschaftspolitischen Nachfrage zum Befund der Vielfalt in der Polizei.

Vielfalt in der Polizei wird seit ca. 15 Jahren entlang des Anteils an Polizist:innen mit Migrationshintergrund in der politischen Öffentlichkeit thematisiert. In den 1990er Jahren wurde die Interkulturelle Öffnung der Polizei zunächst anhand der Ausländer:innen in der Polizei ausgewiesen, die gemäß der Ausnahmeregelung eingestellt wurden.Footnote 31 Spätestens seit den Rechercheberichten des Mediendienstes IntegrationFootnote 32 ist es gängig, zum Thema Vielfalt den Anteil an Polizist:innen mit „Migrationshintergrund“ zu erfragen.Footnote 33 In den Berichten setzt der Mediendienst Integration den prozentualen Anteilen der Bewerbungen und Neueinstellungen von Menschen mit Migrationshintergrund ins Verhältnis zum Bevölkerungsanteil mit Migrationshintergrund im jeweiligen Bundesland. Dadurch wird angenähert, ob Menschen mit Migrationshintergrund in den Polizeien unterrepräsentiertFootnote 34 sind. Aus den vier Berichten die seit 2014 veröffentlicht wurden, lassen sich folgende Punkte zusammenfassen:

  • In 2008 erfassen mit Berlin, Hamburg und NRW die ersten Behörden die Variable Migrationshintergrund.Footnote 35

  • Menschen mit Migrationshintergrund sind bei den Neueinstellungen in den Polizeidienst in fast allen Fällen – d. h. in allen vier Berichten und bei den auskunftsgebenden Behörden – unterrepräsentiert im Vergleich zum Anteil an der Bevölkerung. Ausnahmen sind seit 2016 Berlin und Sachsen-Anhalt.

  • Insgesamt steigt im dokumentierten Zeitraum die Anzahl der Behörden, die Angaben dazu machen, wie viele Bewerber:innen und Neueingestellte einen Migrationshintergrund angeben.

  • Der Trend in den Behörden geht nicht allein dahin, den Migrationshintergrund neu zu erfassen. Einige Länder stellen die Erfassung (oder das Reporting) auch ein.Footnote 36

  • Da einige Behörden den Migrationshintergrund bereits mit der Online-Bewerbung abfragen, andere hingegen erst zu Beginn der Ausbildung oder des Studiums diese freiwillige Selbstauskunft einholen, sind die Daten zum einen nicht vergleichbar, und ermöglichen zum anderen nur teilweise die Berechnung von Erfolgsquoten.Footnote 37

  • In 2019 geben alle Behörden mit Ausnahme von Thüringen und Sachsen an, spezielle Anwerbestrategien für Menschen mit Migrationshintergrund implementiert haben. Gleichzeitig findet ein Monitoring, in dem Sinne, das überprüft wird, ob die angeworbene neue Zielgruppe auch in der Polizei landet und nicht durch nicht-intendierte Effekte wieder herausselektiert wird, nicht statt.

Insgesamt verdeutlichen die Berichte, dass die Behörden sich zwar mittlerweile zur Variable „Migrationshintergrund“ verhalten, dass die Datenerfassung der Behörden aber meistens keine Grundlage zur Bewertung eines chancengleichen Zugangs generiert. Darüber hinaus ist „Migrationshintergrund“ eine ambivalente Kategorie für Vielfalt, auch weil sie eine binäre Beschreibung nicht überwindet. Als soziales Label werden unterschiedliche Zuwanderungsgeschichten, Haushaltssprachen, Förderbedarfe und Nationalitäten mit ihr assoziiert, deren Gemeinsamkeit sich nicht aus dieser Gruppe heraus erschließt, sondern vermeintlich in einer nicht schon immer bestehenden deutschen Staatsbürgerschaft oder diffus zur Chiffre Migration liegt. Supik kritisiert in diesem Zusammenhang, dass das Label in gewisser Weise die „Integrationsleistung“ der Staatsbürgerschaft relativiere und als „rassifizierendes Abgrenzungskriterium“ erscheint.Footnote 38 Auch birgt es das Risiko von Stigmatisierung und Othering. Vor diesem Hintergrund ist der Befund der Vielfalt auch eine Markierung des Anderen, eine ethnische Differenzierung die eine ambivalente Wirkung entfaltet.

3.2 „Migrationshintergrund“ und chancengleicher Zugang

Zwar ist die Angabe „Migrationshintergrund“ beamtenrechtlich nicht relevant für den Zugang zum Polizeidienst, dennoch – und das gilt es zu unterstreichen – deuten statistische Analysen darauf hin, dass es einen Zusammenhang zwischen dem erfassten „Migrationshintergrund“ eines Bewerbers oder einer Bewerberin und dem Abschneiden im polizeilichen Auswahlverfahren gibt. Für die Länder Berlin, Bremen, Hamburg, NRW und Niedersachsen zeigt das prozentuale ChancenverhältnisFootnote 39 von Bewerber:innen mit und ohne Migrationshintergrund, dass jene mit Migrationshintergrund weniger erfolgreich in den Auswahlverfahren sind.Footnote 40 Zum anderen konnte eine Studie von Stumpf und Kollegen zeigen, dass auch unter Kontrolle anderer Variablen wie Geschlecht, Alter, Schulnoten und Art des Schulabschlusses, die Variable Migrationshintergrund schlechteres Abschneiden in den Auswahlverfahren signifikant erklärt. Die Autoren unterstreichen, dass „Leistungsunterschiede im Auswahlverfahren zwischen Bewerbern mit versus ohne Migrationshintergrund […] nicht einfach durch den Verweis auf einen niedrigeren Bildungsabschluss […] zu erklären“Footnote 41 sind. Für Bewerber:innen mit Migrationshintergrund werden also Zugangshürden wirksam, die für jene ohne Migrationshintergrund nicht ins Gewicht fallen.Footnote 42

Die Literatur beschreibt die polizeilichen Auswahlverfahren als eine standardisierte und differenzblinde Bestenauslese, die ausgleichende Bewertungen von Bewerber:innen nicht in Betracht ziehen kann.Footnote 43 So führt nach Behr, der „Umstand, dass von MH-Beamten all das erwartet wird, was von Einheimischen auch erwartet wird, darüber hinaus aber noch ein ‚ethnisch-kultureller‘ Mehrwert (Surplus-Erwartung), […] faktisch und entgegen der offiziellen Verlautbarung zu einer Ungleichbehandlung von Migranten gegenüber den einheimischen Bewerbern.“Footnote 44

3.3 Selbstselektion – Hürden aufseiten der Bewerber:innen

Seit Mitte der 1990er haben sich verschiedene Arbeiten mit der Berufsmotivation und Berufsidentität von ausländischen Bewerber:innen und deutschen Bewerber:innen mit Migrationshintergrund beschäftigt, um herauszuarbeiten, warum sich diese Gruppen anteilig weniger häufig bei den Polizeien bewerben.Footnote 45 In den Studien wurden zumeist Interviews mit Anwärter:innen oder Polizist:innen geführt, die eine andere Staatsangehörigkeit als die Deutsche oder einen Migrationshintergrund angeben. In den Studien spielte mehrheitlich weder die Zuwanderungsgeschichte der Familie noch das Thema Integration eine Rolle bei der Berufswahl. Gleichzeitig wurden die Assimilationsleistung und der Anpassungswille der Diversitätsträger trotz erhöhter Unannehmlichkeiten in allen Studien deutlich herausgestellt. Dazu gehörten etwa Mehrarbeit durch Anfrage von Übersetzungstätigkeiten auch außerhalb des Dienstes, Ertragen von Sprüchen, und Loyalitätsbeweise. Diese Studien geben Hinweise auf mögliche Zermürbungsfaktoren, für jene, die es bereits in die Organisation geschafft haben.

Auch scheinen die Erfahrungen dieser erfolgreichen Diversitätsträger ein Stück weit mit den Bedenken übereinzustimmen, die Stone und Tuffin in einer Studie zu den Einstellungen von ethnischen Minderheiten in England gegenüber dem Polizeiberuf herausarbeiteten. Als Gründe gegen eine Bewerbung bei der Polizei, wurde die Befürchtung genannt „to work in a racist environment, having to face prejudice from both colleagues and the general public on a daily basis“Footnote 46. Auch die Sorgen der sozialen Isolation in einer „predominantly white male culture“, des fehlenden Rückhalts in Gefahrensituationen, sowie des „Loyalitätskonflikts“ wurden formuliert.Footnote 47 In 2011 konnte Majewski in seiner Studie zur Frage „warum sich qualifizierte Migranten nicht bei der Polizei bewerben“ zeigen, dass unter „türkischstämmigen“ Berliner Abiturient:innen die Informationen über Studium und Beruf bei der Polizei eher vage sind und eine konkrete Beschäftigung mit der Polizei als möglichen Arbeitgeber selten stattfindet. Aus den Interviews zitiert er einzelne Vorbehalte bzgl. fremdenfeindlicher Einstellungen in der Polizei, die er aber nicht als grundsätzliches Negativimage interpretiert, das unter den türkischstämmigen Schulabsolvent:innen zur Selbstselektion führe.Footnote 48

Mit Blick auf ausgleichende Programmatik der Theorie repräsentativer Bürokratie, wird deutlich, dass diese bereits vor der Praxis erstickt: denn eigene Vorbehalte führen ggf. nicht zu mehr Verständnis später im Dienst, sondern zum Fernbleiben vom Amt. Und so könnte ein bestimmtes Binnenklima möglicherweise durch Diversitätsträger verändert werden, allerdings führt allein das Image eben jenes Klimas dazu, dass die Veränderer sich gar nicht erst bewerben. Denn als Vertreter:innen bestimmter Minderheiten haben sie ein erhöhtes Risiko, benachteiligt zu werden, sowohl in den Auswahlverfahren als auch im Dienst.Footnote 49

4 Performanz der Polizeiarbeit – „Diversität im Einsatz“

Eine Diversifizierung des Personals wirkt sich unterschiedlich auf die Dynamiken im Team und die Arbeitsweise sowie den Arbeitserfolgen als Team aus. Bisher gibt es einzelne Untersuchungen, in denen die Berufsidentität und das Erleben der Diversitätsträger im Fokus stehen.Footnote 50 Kaum Beachtung hat bisher das Teamgeschehen und die wechselseitige Wahrnehmung im Team gefunden. Gibt es Hinweise darauf, dass die Anwesenheit von Diversitätsträgern im Team, Diskriminierungen im Innen- und Außenverhältnis der Polizei entgegenwirken?

4.1 Kulturell heterogene Teams

Ein bekanntes Risiko für das Miteinander in multinationalen Teams ist die Identifikation von Nationalität mit Arbeitsmoral.Footnote 51 In der Polizei spitzt sich dies in Kombination mit einem Negativimage des polizeilichen Gegenübers zu: Einstellungen und Erwartungen gehen häufig mit Erzählungen und Wahrnehmungen einher, die die Kolleg:innen mit Migrationshintergrund in die soziale Nähe mit – wie es im Polizeijargon heißt – randständigen oder kriminellen Gruppen des polizeilichen Gegenübers bringen.Footnote 52 Dies kann zu offenem Misstrauen führen. In einer Studie aus Berlin, aus der ich im folgenden ausführlich zitiere, wird die desintegriende Wirkung von Misstrauen deutlich:

„So berichtete ein Polizist, dass einige dieser Personen [Polizistinnen und Polizisten mit zumeist türkischem Migrationshintergrund] eine nachweislich kriminelle Vergangenheit hätten und dennoch durch die Behörde eingestellt und gefördert worden seien. Zudem seien viele Beispiele über Polizistinnen und Polizisten mit Migrationshintergrund in der Behörde bekannt, über die keine negativen Äußerungen erlaubt seien, da sie sich erfolgreich in die Behörde eingeklagt hätten. Und innerhalb der Behörde seien viele Polizistinnen und Polizisten darüber verärgert, dass sie dazu verpflichtet seien, mit diesen Kolleginnen und Kollegen mit krimineller Vergangenheit gemeinsam arbeiten zu müssen. Ein anderer Polizist äußerte, dass immer wieder Berichte über negative Erfahrungen mit Migrantinnen und Migranten im Dienstalltag kursieren würden. In diesem Klima würden besonders Geschichten über wahre oder erfundene Verfehlungen von Auszubildenden mit türkischem oder arabischem Migrationshintergrund diskriminierende Haltungen noch weiterbefördern.“Footnote 53

Ähnliche Vorurteile dokumentierte Sigel in ihrer Studie zur beruflichen Identität von Polizist:innen mit Migrationshintergrund. Ihre Interviewparter:innen waren u. a. mit Sprüchen – „Deine Landsleute mal wieder“Footnote 54 – und Nationalitätenklischees wie „der Pole, der stiehlt“Footnote 55 oder „die Ungarin, die als Prostituierte arbeitet“Footnote 56 konfrontiert. Den Diversitätsträgern kommt in dieser Situation nicht nur die Aufgabe zu, das Vorurteil als unpassend zu markieren, oft müssen sie es auch persönlich widerlegen, die eigene Betroffenheit nicht relevant werden lassen und Loyalität zu den Kolleg:innen und der Organisation Polizei demonstrieren.

Mit Blick auf die eingangs beschriebene Rolle als „Minderheitenvertreter“ ist festzuhalten, dass soziale Nähe, die helfen soll, die Klientel zu verstehen, gleichzeitig ein wunder Punkt für das Miteinander im Team ist. Behr formuliert im Sinne der Kontakthypothese, dass die „interkulturelle Kompetenz einer Organisation […] mit der Anzahl von Gelegenheiten [steigt], in denen sie im Inneren bewiesen werden muss“Footnote 57. Klimkes Daten suggerieren das Gegenteil: Polizist:innen mit Migrationshintergrund rütteln nicht „an den fremdenfeindlichen Einstellungen ihrer Kollegen, sondern vermögen sie sogar noch zu festigen. Gerade indem sie den Sprung auf die Seite ‚der Guten‘ vollziehen.“Footnote 58 Es gilt also den Blick zu schärfen für das Diskriminierungsrisiko auf Seiten der Mitarbeiter:innen. Denn dies wirkt sich auch auf die Polizeiarbeit aus, wie Peterson und Uhnoo am Beispiel der schwedischen Polizei herausarbeiten: Auch sie zeigen, dass das Ertragen rassistischer Sprüche als Loyalitätstest gewertet werde. Wenn die Minderheitenvertreter sich aber in ihrem eigenen Arbeitsalltag an eine kompromittierende Sprache gewöhnten, wirke diese Abstumpfung „as a deterrent to challenging racism in police work and contribute towards its continuation“Footnote 59.

4.2 Ethnisches Differenzieren, Responsivität und Ermessen

Was passiert, wenn kulturelles Wissen und soziale Identität polizeiliches Ermessen informieren? Wird dann, um mal anekdotisch zu überlegen, bspw. am Freitag während des Moschee-Besuches das Parken in zweiter Reihe nicht als Ordnungswidrigkeit geahndet, weil das Wissen um das halbstündige Gebet den Verstoß als Bagatelle erscheinen lässt? Ähnlich wie es bei deutschen Hochzeit am Samstag gehandhabt wird? Oder mal struktureller überlegt: Verringert sich das Risiko selektiver Kontrollen, bzw. des racial profilings wenn Polizist:innen mit einem sichtbaren Migrationshintergrund im Team auf Streife sind? Einzelne Ergebnisse aus den USA sind diesbezüglich ambivalent: Bspw. stellten Wilkins und Williams fest, dass die Präsenz von „black officers is related to an increase in racial profiling in the division“Footnote 60. Kennedy und Kolleg:innen zeigen, dass eine höhere Repräsentation von black officers zu weniger Beschwerden bzgl. übermäßiger Gewalt durch Polizisten führte, gleichzeitig aber zu mehr zivilen Todesopfer durch Polizeigewalt.Footnote 61 Für England und den Deliktsbereich der häuslichen Gewalt konnten Andrews und Kolleg:innen jedoch zeigen, dass sich die Präsenz von Frauen im Polizeiteam vor Ort positiv auf das Anzeigeverhalten auswirkt.Footnote 62

Piñeiro und Kolleginnen haben in ihren Untersuchungen zur Bedeutung ethnischen Differenzierens für Polizei und Jugendamt in der Schweiz gezeigt, dass intervenierende und verwalterische Arbeitspraktiken flexiblen Gebrauch von ethnischen Differenzierungen machen; dass diese Flexibilität aber insbesondere die Autorität der Behördenvertreter:innen stützt, und weniger ihre Responsivität erhöht.Footnote 63

5 Organisierte (In-)Differenz?

Für die Polizei wird Diversität als Anerkennungs- und Repräsentationsthema relevant, wenn es um chancengleichen Zugang von Minderheiten geht; es wird als Thema der Qualität und Dienstleistung der Polizei relevant, wenn es um die Gleichbehandlung des polizeilichen Gegenübers geht. Die Diskriminierungsrisiken, um die es jeweils geht, betreffen sehr unterschiedliche Referenzgruppen. Deshalb lässt sich der eingangs problematisierte Zusammenhang zwischen einer Diversifizierung des polizeilichen Personals und einer Minderung von Diskriminierungsrisiken im Innen- und Außenverhältnis der Polizei nicht als strategische Beziehung abbilden oder als Wechselwirkung bewerten.

Deutlich wurde jedoch, dass die Polizei sich sowohl in ihrem Innen- als auch Außenverhältnis fundamental auf das Prinzip der Gleichbehandlung bezieht. Die allgemeine Formel Gleiches gleich und Ungleiches unterschiedlich zu behandeln, prägt sowohl die Personalpolitik als auch das Selbstverständnis im Umgang mit unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen. Diese Ausrichtung bestätigt jedoch gesellschaftliche Hierarchien mehr als dass sie Nicht-Diskriminierung propagiert.

Durch eine meritokratisch ausgerichtete Personalpolitik wird sichergestellt, dass alle Mitglieder in der Organisation den gleichen Standards entsprechen und dies auch voneinander wissen. So ist Vielfalt auf Plakaten und als statistisches Ergebnis gut, spielt aber mit Blick auf den Zugang zum Dienst im Sinne ausgleichender Regelungen keine Rolle. Diversität, die über den empirischen Befund eines Anteils an Minderheitenvertreter hinausgeht, stößt im Innenverhältnis der Organisation auf die Skepsis der Sonderbehandlung, die den Ruf hat, Kohäsion zu beeinträchtigen und damit eine Desintegration der Gefahrengemeinschaft riskiert. „Die Polizei muss“, so analysiert Klimke, „Differenz verhindern, um zu funktionieren“. Man verlasse sich auf jene, die nicht fremd sind. Deshalb werde Fremdheit oder Andersartigkeit absorbiert und im Außen der Organisation belassen.

Der differenziellen Organisationslogik im Außenverhältnis der Polizei, steht in ihrem Innenverhältnis also der Grundsatz der Gleichbehandlung gegenüber. Das macht es unwahrscheinlich, dass Minderheitenvertreter ihr sozial-kulturelles Verstehen tatsächlich in das polizeiliche Ermessen einfließen lassen (können). Denn Gleichbehandlung bzw. die Ablehnung von Sonderbehandlung und individuellen Bewertungen im Innenverhältnis führen im Außenverhältnis zu Vorsicht gegenüber einer Relativierung von Recht durch Kultur. Gleichzeitig birgt eine differenzblinde Gleichbehandlung sowohl im Innen- als auch im Außenverhältnis der Polizei Diskriminierungsrisiken.

Um das Verhältnis der Polizei zu Diversität weiter zu analysieren, kann die Erkenntnis als Ausgangspunkt dienen, dass die Organisation ihr Verhältnis zu Unterschieden durch Standardisierungen und Objektivierbarkeit professionalisiert. Jedoch verstellt diese organisierte Indifferenz den Blick auf Diskriminierungsrisiken innerhalb der Polizei sowie auf Schutzbedürfnisse vulnerabler Gruppen und Identitäten in der Bevölkerung. Um Rassismus und Diskriminierung in der und durch die Polizei in den Blick zu nehmen, bietet sich ein Fokus auf ethnische Differenzierungen an, d. h. auf die Frage wie Zuschreibungen und Selbstbeschreibungen von kultureller Verschiedenheit und Identität in den Organisationsentscheidungen und Arbeitspraktiken der Polizei relevant werden.