1 Forschung zu gruppenbezogen-menschenfeindlichen Einstellungen, Kulturen und Handlungen in der Polizei

Immer wieder gerät die Polizei aufgrund von medial verbreiteten Skandalfällen, die auf polizeiliches Fehlverhalten hindeuten oder dies belegen, in der Öffentlichkeit in die Kritik. Einhergehend mit dem Hamburger PolizeiskandalFootnote 1 sah sich die Polizei bereits in den 1990er Jahren massiv mit Vorwürfen von sogenannter „Fremden-“ oder „Ausländerfeindlichkeit“, rechtsextremen Tendenzen oder rassistischen Kontrollpraxen konfrontiert. Im Fokus der öffentlichen Diskussion sind derzeit Chatgruppen von Polizist:innen mit menschenverachtenden Inhalten, Drohmails, die an Personen gesendet wurden, deren Daten von Polizeicomputern abgefragt wurden, oder auch Verbindungen/Mitgliedschaften von Polizist:innen zu unter Terrorismusverdacht stehenden Netzwerken wie Hannibal/Gruppe NordkreuzFootnote 2. Sie zeigen Handlungsbedarf auf und lassen in der Wissenschaft, der Zivilgesellschaft und unter Politiker:innen Forderungen nach der Erforschung von menschenfeindlichen Einstellungen, Kulturen und Handlungen von Polizist:innen laut werden.Footnote 3

Die öffentlichen Erregungswellen erleichtern oder ermöglichen zum einen zwar den Zugang für Forschende in die „Black Box Polizei“. Zum anderen führt die öffentliche Debatte über „Rassismus in der Polizei“ bei zahlreichen Akteur:innen aus Politik, Gewerkschaften und Polizei – damals wie heute – zu einer Reaktanz, die den Zugang zum Feld auf verschiedenen Ebenen zugleich erschweren bzw. sogar versperren kann.Footnote 4

Die Rechtfertigung für das Ablehnen von externer, freier Forschung in der Polizei liegt einerseits im grundsätzlichen Skeptizismus vieler Praktiker begründet, ein „Theoretiker“ ohne einschlägige Arbeitserfahrung könne ihre Lebenswelt und den beruflichen Alltag nicht korrekt erfassen und beurteilen. Darüber hinaus beschrieb Jaschke bereits im Jahr 1997 in der Folge des ersten Projekts, das in Deutschland explizit zur „Fremdenfeindlichkeit“ in der PolizeiFootnote 5 durchgeführt wurde, vier Abwehrstrategien, die bis heute nichts an Aktualität eingebüßt haben: Die Einzelfallthese, die Relativierungsthese, die Spiegelbildthese und die Manipulationsthese.Footnote 6

Im vorliegenden Beitrag werden unterschiedliche Wege der empirischen Näherung an die Phänomene gruppenbezogen-menschenfeindlicher Einstellungen, Kulturen und Handlungen von Polizist:innen vorgestellt und diskutiert. Die bereits in Deutschland umgesetzten Forschungsdesigns und bearbeiteten Fragestellungen werden beschrieben. Zudem werden die künftig methodisch zu beschreitenden Wege, die näher zu beleuchtenden Hypothesen zur Erklärung des Phänomens und die damit einhergehenden Herausforderungen beleuchtet.

2 Methodische Zugänge und bisherige Untersuchungen

Das Vorhandensein und die Verbreitung von Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit (GMF) unter Polizist:innen kann auf verschiedenen Ebenen untersucht werden, auf der Einstellungsebene, der Intergruppen- bzw. kulturellen Ebene und der Handlungsebene. Die Zusammenhänge zwischen den Einstellungen, einer (Sub)Kultur, kultivierten Praktiken oder Intergruppendynamiken und den sichtbaren Handlungen können anhand einer Pyramide verdeutlicht werden (vgl. Abb. 1): Einstellungen führen selbstverständlich nicht zwingend zu Handlungen. Sie bilden aber, gemeinsam mit daraus wachsenden (Sub)Kulturen und milieuspezifischen Praktiken, Legitimationsgrundlagen für grundgesetzwidriges und auch strafrechtlich relevantes problematisches Handeln, bspw. in Form von Diskriminierungen, „Racial Profiling“ oder illegitimen Gewalteinsatz.Footnote 7 Unmittelbar sichtbar und somit Anlass für Erregung im öffentlichen Diskurs sind dabei lediglich Handlungen und Äußerungen von Polizist:innen im Bürger:innenkontakt oder in der Öffentlichkeitsarbeit, sowie Zeugnisse ihrer nicht-öffentlichen Intergruppen-Kommunikation. Das, was nicht unmittelbar beobachtbar ist, muss aber im Rahmen von Studien, die Entstehungszusammenhänge von Handlungen ausleuchten wollen, ebenfalls in den Blick genommen werden, denn es steht mit dem manifest Beobachtbarem im engen Zusammenhang.

Abb. 1
figure 1

(eigene Darstellung)

Überblick über drei Ebenen, auf die sich empirische Forschung im Bereich Rassismus in der Polizei fokussieren kann.

Unabhängig von der Ebene oder den Ebenen, auf die empirische Studien abzielen, können sie dies mit einer Vielzahl von Methoden der empirischen Sozialforschung erreichen. Möglich sind unmittelbare Befragungen von Polizist:innen.Footnote 8 Aber auch das „polizeiliche Gegenüber“, also diejenigen, die von polizeilichen Maßnahmen unmittelbar betroffen sind, können befragt werden.Footnote 9 Helfende, ob professionell oder ehrenamtlich, können mit der Drittpersonentechnik in Form von Informant:innen- oder Expert:innenbefragungen ebenfalls in den Prozess des Erkenntnisgewinns einbezogen werden. Darüber hinaus werden in verschiedenen Ländern bereits Datenbestände analysiert, die aus Statistiken von VerkehrskontrollenFootnote 10 oder Bodycam-MitschnittenFootnote 11 bestehen. Mittels teilnehmender Beobachtung aber auch über Experimente wie dem zum Shooters’ BiasFootnote 12 können Zusammenhänge zwischen den Dimensionen Einstellung, Kultur und Handlung erfasst werden.Footnote 13 Die in der Vergangenheit in Deutschland beschrittenen Wege empirischer Forschung werden im Folgenden vorgestellt, wobei deutlich wird, dass in den Forschungsarbeiten oftmals eine Verknüpfung der Ebenen im Rahmen multimethodaler Designs stattfand.

2.1 Schwerpunkt Einstellungsebene und quantitative Befragungen von Polizist:innen

Der Großteil der älteren in Deutschland durchgeführten StudienFootnote 14 wurde in den 1990er Jahren mit einem Schwerpunkt auf der Einstellungsebene initiiert – unter anderem als Reaktion auf die Brandanschläge wie etwa in Hoyerswerda im Jahr 1991 und den damit verknüpften Vorwürfen, die Polizei sei „auf dem rechten Auge blind“. Dabei gingen die frühen Studien von der Prämisse aus, dass „fremdenfeindliche“ Einstellungen illegales Polizeihandeln bzw. Übergriffe begünstigen. Hierzu wurden maßgeblich die klassischen Wege quantitativer wie qualitativer Befragungen der handelnden Akteure beschritten.

Eine erste quantitative Einstellungsstudie wurde im Jahr 1993 unter dem Titel „Die Bekämpfung fremdenfeindlicher Straftaten – eine Herausforderung für die Polizei“ von der Fachhochschule für öffentliche Verwaltung in Rheinland-Pfalz durchgeführt.Footnote 15 Polizist:innen wurden zu ihren Einstellungen befragt, darüber hinaus wurden Pressevertreter:innen mit einem Kurzfragebogen nach ihren Einschätzungen der polizeilichen Arbeit befragt. Auch das 1998 an der Berliner Fachhochschule für Verwaltung und Rechtspflege durchgeführte Projekt „Ausländerfeindlichkeit in der Berliner Polizei?“ widmete sich der Einstellungsebene.Footnote 16 Im Rahmen einer schriftlichen Befragung versuchten die Forschenden bereits den Ursachen für „Ausländerfeindlichkeit“ in der Polizei näher zu kommen. Die Erhebung war insofern differenzierter, als bereits polizeiliche Erfahrungsfelder mit untersucht wurden. Exemplarische Fallstudien, Expert:innengespräche und Gruppendiskussionen ergänzten die schriftliche Befragung.

Ein großangelegtes qualitatives Projekt „Die Polizei im Umgang mit Fremden – Problemlagen, Belastungssituationen und Übergriffe“ wurde in den Jahren 1994/1995 von der Innenministerkonferenz in Auftrag gegeben und an der damaligen Polizeiführungsakademie durchgeführt.Footnote 17 Die Workshops mit Polizist:innen unterschiedlicher Einsatzbereiche und Hierarchieebenen zielten darauf ab, strukturelle Faktoren zu ermitteln, welche die Entwicklung „fremdenfeindlicher“ Einstellungen begünstigen.

Eine Verbindung von Belastungsfaktoren, Aus- und Weiterbildung, privaten Kontakten zu Migrant:innen sowie „fremdenfeindlichen“ Vorurteilen wurde ebenfalls mit einer Fragebogenuntersuchung von Mletzko und WeinsFootnote 18 an Polizist:innen einer großstädtischen Polizeidirektion Ende der 1990er Jahre hergestellt. LindnerFootnote 19 erhob im Jahr 2001 unter Auszubildenden der Polizei in Nordrhein-Westfalen hauptsächlich Einstellungen, aber schaffte über das Merkmal der Gewaltbereitschaft Bezüge zur Handlungsebene.

In Folge des sog. Hamburger Polizeiskandals beauftragte der Hamburger Senat 1995/1996 das Institut für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung (IKG) mit der Studie „Risikokonstellationen im Polizeialltag“.Footnote 20 In diesem Projekt wurden Hamburger Polizist:innen über die individuelle Ebene (mit Fragen zu Einstellungen, Verhaltensweisen oder professioneller Kompetenz) hinaus nach strukturellen und institutionellen Risikokonstellationen gefragt, die möglicherweise „fremdenfeindliche“ Handlungsweisen befördern. Die Zugänge der multimethodalen Studie umfassten Befragungen von Polizist:innen und Anwohner:innen sowie Fortbildungsveranstaltungen und Diskussionen. Der zahlreiche Aspekte beleuchtende Ansatz konnte somit von der Ebene gesellschaftlicher DesintegrationsprozesseFootnote 21 bis hin zur Individualebene Problembereiche und Interaktionen in das Blickfeld nehmen. Ähnliche Bezüge von der Intergruppen- bzw. Kulturebene bis hin zu der individuellen Einstellungsebene konnte MaibachFootnote 22 anhand qualitativer Interviews mit Polizist:innen herausarbeiten.

Angeregt durch die Ergebnisse von Mletzko und Weins und anknüpfend an die erste Studie des IKG untersuchte MescherFootnote 23 „Islambilder in der Polizei. Kontrollerleben und Berufszufriedenheit als Einstellungsfaktoren“. Diese Studie fokussierte mit einer Befragung von Polizist:innen aus Sachsen, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen ebenfalls auf Belastungen im Polizeialltag, Arbeitszufriedenheit und Kontaktqualität.

Zuletzt wurden rechtsextreme Einstellungen im Jahr 2019 in Hessen mit einer schriftlichen Fragebogenstudie im Rahmen des Projekts „Polizeiliche Alltagserfahrungen – Herausforderungen und Erfordernisse einer lernenden Organisation“Footnote 24 als Reaktion auf die Rechtsextremismus-Verdachtsfälle unter Polizeiangehörigen erfasst.

Obwohl mit dem umfangreichen und multimethodalen Ansatz des IKG in Hamburg versucht wurde, Einstellungs- und Intergruppenebene zu verknüpfen, muss dennoch gesagt werden, dass der klare Fokus der frühen Studien in ihrer Gesamtheit auf individuellen Einstellungen und Belastungen lag, den methodischen Schwerpunkt bildete der quantitative Befragungszugang. Kritisiert wurde, dass Belastungen zwar geeignet sind, individuelle gruppenbezogen-menschenfeindliche Einstellungen unter Polizist:innen zu erklären, dass aber letztlich von den strukturellen Merkmalen der Institution abgelenkt wurde.Footnote 25

2.2 Schwerpunkt Intergruppenebene und qualitative/ethnografische Zugänge

Somit rückten in jüngerer Zeit qualitative bzw. ethnografische Ansätze stärker in den Vordergrund.Footnote 26 Es kann auch von einem zweiten Forschungsstrang gesprochen werden, der sich weniger mit der unmittelbaren Einstellungsebene beschäftigte, sondern mit der Betrachtung von Kleingruppendynamiken und Subkulturen sowie mit Organisationsstrukturen und dem Rahmen, den die Führungskultur setzt. Fragestellungen in diesem Bereich adressieren bspw. Alltagsroutinen, Handeln in Gefahrensituationen oder erfolgreiche Problemlösungen und wie darin begründet vorurteilsgeleitete oder diskriminierende Praktiken kultiviert werden.

Über ethnografische Ansätze mit dem Zugang der teilnehmenden Beobachtung lässt sich betrachten, wie sich Intergruppenkontakte gestalten. Die bisher in Deutschland durchgeführten Studien ermöglichen es, mit multimethodalen Designs, Verbindungen zwischen der Intergruppenebene/Kultur und der Handlungsebene herzustellen.

Kern der Duisburger Studie „Das da draußen ist ein Zoo, und wir sind die Dompteure: Polizisten im Konflikt mit ethnischen Minderheiten und sozialen Randgruppen – Teilnehmende Beobachtung des Alltags von operativen Kräften“Footnote 27 war eine mehrjährige Begleitung des Alltags operativer polizeilicher Kräfte der Polizei Duisburg (bis 2004). Auch dieses Projekt komplettierte ein umfangreiches multimethodales Design. Mit einer quantitativen Befragung sowie narrativen Interviews der Polizist:innen, aber auch von durch polizeiliche Maßnahmen Betroffenen (z. B. Aussiedler:innen, Drogenkonsument:innen, türkische „Eckensteher“, Prostituierte) und professionellen Akteur:innen (bspw. der Wohnungslosenhilfe) wurden die Perspektiven von verschiedenen Seiten beleuchtet. Eine repräsentative Bevölkerungsbefragung (u. A. zum Polizeivertrauen) ergänzte die Erhebungen.

Ein ebenso umfassendes Design realisierte das Projekt „Polizei und Jugendliche in multi-ethnischen Gesellschaften (POLIS)“Footnote 28 des Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Strafrecht (heute: Max-Planck-Institut zur Erforschung von Kriminalität, Sicherheit und Recht). Im Fokus des Projekts war die Entstehung von Konflikten sowie die Frage danach, wie in der persönlichen Begegnung zwischen Jugendlichen und Polizist:innen Vorurteile gebildet und gefestigt werden. Durchgeführt wurden teilnehmende Beobachtungen, Interviews mit Polizist:innen aller Hierarchieebenen und Jugendlichen, sowie eine repräsentative Schüler:innenbefragung.

Weitere Projekte nahmen und nehmen zwar nicht unmittelbar menschenfeindliche Einstellungen oder Handlungen von Polizist:innen in den Blick, produzieren jedoch relevante Erkenntnisse, indem sie bspw. das Zusammenspiel zwischen strukturellem Rahmen und Polizeiarbeit, Organisations-, Sub- und Intergruppenkulturen, individuellen Einstellungen und PraxenFootnote 29 betrachten. Von großer Relevanz ist hierbei bspw. die „Cop Culture“Footnote 30: sie beschreibt die Regeln der Organisationskultur, die Werte und alltäglichen Handlungsmuster innerhalb der Polizei. Behr, der zuerst in den frühen 1990er Jahren in einem Polizeirevier in Thüringen teilnehmende Beobachtungen durchführte,Footnote 31 schreibt dem Polizeiberuf „eine immanente Disposition zu diskriminatorischen Haltungen und Handlungen“Footnote 32 zu und beschreibt umfangreich die Funktion von Gewalt und Maskulinität innerhalb der Subkultur der Polizist:innen.Footnote 33

2.3 Bisherige Zugänge zur Handlungsebene

Untersuchungsgegenstand der Handlungsebene sind mögliche Straftaten durch Polizist:innen im Zusammenhang mit menschenfeindlichen Einstellungen, Kulturen oder Handlungsweisen. Diese können sich über die Ausübung körperlicher Gewalt äußern (Körperverletzung im Amt, § 340 StGB), aber bspw. auch über Beleidigung (§ 185 StGB), Rechtsbeugung (§ 339 StGB), Verfolgung Unschuldiger (§ 344 StGB) oder Vollstreckung gegen Unschuldige (§ 345 StGB). Abseits der strafrechtlichen Relevanz kann es zu diskriminierenden Praxen wie bspw. Racial Profiling kommen.

Diskriminierende Praxen können in ethnografischen Studien grundsätzlich beobachtet werden, die Anwesenheit des Beobachters kann allerdings das Verhalten der beobachteten Person beeinflussen. Jedenfalls haben die beobachtenden Studien der letzten Jahre keine konkreten Hinweise auf diskriminierende Kontrollhandlungen oder grundlegende Muster polizeilicher Diskriminierung gegeben, wenngleich sich ein „social“ profiling, das auf Basis ethnischer und situativer Merkmale geschieht, durchaus konstatieren lässt und von vielen Forschenden als problematisch beschrieben wird.Footnote 34

Bisher gibt es in Deutschland – im Gegensatz zum angloamerikanischen Raum – kaum Daten, die überhaupt rechtswidrige Übergriffe seitens der Polizei belegen können. Zudem lassen die meisten Untersuchungen zu polizeilicher GewaltausübungFootnote 35 keine Rückschlüsse auf xenophobe Übergriffe zu. Grundsätzlich ist die Opferbefragung eine Methode, um Hinweise auf diskriminierende Übergriffe oder Praxen der Polizei zu erhalten. (Potentielles) Racial Profiling oder Polizeigewalt werden vor allem über die Erhebung von Polizeikontakten durch die Befragungen Betroffener erfasst. Hierbei tragen insbesondere zivilgesellschaftliche Akteur:innen wie die Kampagne für Opfer rassistischer PolizeigewaltFootnote 36 oder Copwatch die Betroffenenperspektiven für zahlreiche Großstädte zusammen. Dies ermöglicht eine Näherung an das Erleben des „polizeilichen Gegenübers“, an psychosoziale Folgen und die „Alltäglichkeit“ als diskriminierend wahrgenommener Handlungen durch die PolizeiFootnote 37, jedoch – aufgrund der gewählten Methode verständlicherweise – keine Aussagen zur Häufigkeit oder Repräsentativität geschweige denn darüber, ob Handlungen der Polizist:innen (un)rechtmäßig gewesen sind. Da es keine Möglichkeit der Überprüfung von polizeilichen Statistiken zu Kontrollhäufigkeiten o. Ä. gibt, hat Bruce-JonesFootnote 38 Fallstudien einzelner, durch Gerichte dokumentierter Verdachtsfälle von unangemessenem Polizeihandeln durchgeführt und ausgehend hiervon einen institutionellen Kontext herzustellen versucht. Die quantitative Viktimisierungsstudie KVIAPOL der Ruhr-Universität BochumFootnote 39, deren Befragte im Schneeballverfahren über Gatekeeper:innen sowie durch Öffentlichkeitsarbeit rekrutiert wurden, beleuchtet das Dunkelfeld polizeilicher Gewaltanwendungen und nimmt auch das Anzeigeverhalten der (nach subjektivem Eindruck) Viktimisierten in den Blick und ergänzt über Expert:inneninterviews die daraus gewonnenen Erkenntnisse.

Eine andere, sehr vielversprechende Möglichkeit zur Erforschung diskriminierender Handlungen stellen experimentelle Settings dar. So hat sich der amerikanische Forscher Correll gefragt, wie die proportional überrepräsentierten Fälle polizeilicher Gewalt gegenüber Schwarzen zu erklären sind. Über den sog. „Shooter Bias“Footnote 40, bei dem Teilnehmer:innen am Computer vor die Entscheidung gestellt werden, auf bewaffnete und unbewaffnete weiße und Schwarze Personen zu schießen oder nicht, konnte gezeigt werden, dass auf unbewaffnete Schwarze US-Amerikaner:innen häufiger und schneller geschossen wird. In Deutschland wurde bisher lediglich von Essien et al.Footnote 41 an einer Stichprobe von 230 Hamburger Polizeistudierenden und einer Vergleichsstichprobe von 100 Bürger:innen eine Replikationsstudie durchgeführt. Verwendet wurden Bilder autochthon-deutsch sowie arabischstämmig aussehender Männer. Das Experiment wurde mit einer Befragung zu Vorurteilen, Stereotypen und der Häufigkeit und Qualität von Kontakten mit Muslim:innen kombiniert.Footnote 42 Mit Replikation des „Shooter Bias“ ließen sich erste Hinweise auf diskriminierende Handlungsmuster und die ihnen zugrundeliegenden psychologischen Mechanismen der Aktivierung von kulturell bedingten Bedrohungsstereotypen identifizieren.

3 Geeignete Wege zur künftigen Erforschung von gruppenbezogen-menschenfeindlichen Einstellungen, Kulturen oder Handlungen in der Polizei

Die bisher in Deutschland durchgeführten Studien setzten meist nicht nur an einer der drei Ebenen an, sondern verknüpften diese miteinander. Insofern zielten bereits die frühen Projekte mit multimethodalen Designs auf den Gewinn unterschiedlicher Erkenntnisse ab. Doch nicht nur, weil der Großteil der Studien veraltet ist, sondern insbesondere aus methodischen Gründen besteht Bedarf an aktuellen Forschungsarbeiten.

3.1 Hypothesengeleitete Einstellungsforschung

Sich weiter und fundierter mit der Einstellungsebene zu beschäftigen, ist für die künftige Forschung unerlässlich, zumal bisherige Arbeiten in zu geringem Maße hypothesengeleitet vorgegangen sind. Generell ließe sich argumentieren, dass Studien zu Einstellungen schon deswegen wenig nützlich sind, da sie nicht den Kern dessen treffen, wonach im öffentlichen Diskurs gefragt wird: Erkenntnisse über diskriminierende und rassistische Handlungspraxen der Polizei zu generieren.Footnote 43 Diese Argumentation kann aus Sicht der Autorinnen dieses Beitrags nicht nachvollzogen werden.

Einstellungen sind der Nährboden eines sich entwickelnden diskriminierenden Verhaltens, auch wenn sie kein verlässlicher Prädiktor für dieses sind. Zwar existiert noch keine überzeugende Theorie der Beziehung zwischen Vorurteilen und DiskriminierungFootnote 44, doch geben sozialpsychologische Erkenntnisse genügend Raum, um differenzierter mögliche Prädiktoren diskriminierender Einstellungen und Praxen zu erforschen. Darüber hinaus konnte bereits eine Reihe von Selbstberichtsmaßen von Vorurteilen diskriminierendes Verhalten vorhersagen.Footnote 45

Befragungen wird oftmals entgegenhalten, dass Verzerrungen aufgrund sozialer Erwünschtheit und selektiver Teilnahmebereitschaft insbesondere bei Polizist:innen erwartet werden können. Bisherige Studien in Deutschland haben jedoch nicht versucht, sozial erwünschtes Antwortverhalten systematisch zu kontrollieren, obwohl in dieser Hinsicht unterschiedliche Ansatzpunkte sowie Zusatzmaße existieren.Footnote 46 Auch eine selektive Teilnahmebereitschaft ist von geringerer Relevanz, wenn das Ziel der Untersuchung nicht die Erfassung des Ausmaßes bestimmter Zielvariablen ist, sondern die Eruierung von Zusammenhängen und Erklärungen.

Bisherige Erklärungsmodelle adressierten überwiegend Belastungsfaktoren. Wie auch HeitmeyerFootnote 47 herleitet und erläutert, sollten Hypothesen für künftige Forschungsprojekte weiter die Prozesse der Selektion und/oder Sozialisation von Polizist:innen in den Blick nehmen und den institutionellen und gesellschaftlichen Kontext von Einstellungen und Handlungen der Beamt:innen untersuchen. Auch die Verwendung etablierter Skalen unter Einbeziehung indirekter Maße zur Messung von Vorurteilen und Stereotypen muss Beachtung finden.

3.1.1 Forschung zu Selektions- und Sozialisationseffekten

Für jeden Beruf sind spezielle Kenntnisse und Fähigkeiten erforderlich, aber auch die Persönlichkeit hat Einfluss auf die Berufswahl. Menschen fühlen sich von einer Organisation aufgrund ihres Images, ihrer Werte und ihrer Kultur angezogen (Selbstselektion), während die Organisation sie für dieselben auswählt (institutionelle Selektion).Footnote 48 Ähnliche Persönlichkeiten – mit ähnlichen Einstellungen – werden für denselben Job innerhalb derselben Organisation eingestellt. Dies erklärt, warum Kolleg:innen möglicherweise bereits zu Beginn ihrer beruflichen Karriere sehr ähnliche Interessen, Meinungen und Einstellungen haben.

Die Mitarbeiterauswahl ist die erste Phase, um die Kongruenz persönlicher und organisatorischer Werte festzustellen.Footnote 49 In Bezug auf Einstellungen von Polizist:innen gibt es international einige Erkenntnisse, die darauf hinweisen, dass zu Beginn der Berufsausbildung punitive, autoritäre und konservative Einstellungen sowie eine höhere soziale Dominanzorientierung verbreiteter sind als z. B. unter Jurastudent:innen, Staatsanwält:innen und Richter:innen oder in der Allgemeinbevölkerung.Footnote 50 Jüngere Studien kommen hingegen zu dem Ergebnis, dass Polizist:innen zu Beginn des Studiums weniger punitiv und autoritär sind als die allgemeine Bevölkerung.Footnote 51 Da eine höhere Bildung mit einer geringeren Punitivität und einem geringeren Autoritarismus einhergehtFootnote 52, wird vermutet, dass das seit Langem steigende durchschnittliche Ausbildungsniveau von Polizist:innen angesichts des Akademisierungsprozesses der polizeilichen Ausbildung in DeutschlandFootnote 53 zu veränderten Einstellungen zu Beginn der Berufslaufbahn beiträgt. Auch haben sich das Image der Polizei und die Attraktivität des Polizeiberufs über die Zeit verändert.Footnote 54

Neben der Selektionsthese zeigen Studien aber auch, dass sich die Einstellungen und Überzeugungen der Menschen in Abhängigkeit von der Gruppe, der sie beitreten, verändern.Footnote 55 Der Einzelne passt sich bestimmten Gruppennormen an und verinnerlicht sie in der Folge auf die von der Referenzgruppe geäußerten Rollenanforderungen.Footnote 56 Dies wird als Sozialisationseffekt beschrieben.

Bezüglich der Sozialisation in der Polizei beziehen sich die meisten der bisher durchgeführten Studien (lediglich) auf den Zeitraum der Ausbildung. Bei den recht alten Studien aus dem Ausland zeigen sich aber hinsichtlich einer Hostilität gegenüber Schwarzen und bei konservativen, dogmatischen und autoritären Einstellungen widersprüchliche Ergebnisse.Footnote 57 Eine jüngere StudieFootnote 58 zeigte eine Stabilität von Wertüberzeugungen bei den Polizeianwärter:innen. Die längsschnittliche Untersuchung von Krott, Krott, und ZeitnerFootnote 59 wies eine Reduktion xenophober Einstellungen im ersten Studienjahr, aber einen leichten Anstieg im ersten Jahr der Berufsausübung nach. In Bezug auf die Entwicklung von Einstellungen während der Berufsausübung liegen nur wenige Studien vor, die längsschnittliche Daten nutzen. In den meisten wurden Polizist:innen mit unterschiedlichem Alter und/oder Berufserfahrungen miteinander verglichen. Sie kamen bezüglich Einstellungen wie Autoritarismus, Punitivität, Islamophobie, Stereotypen und Vorurteilen zu divergierenden Ergebnissen.Footnote 60 Längsschnittlich erhobene Daten legen aber die Vermutung nahe, dass es mit Berufseintritt einen Praxisschock mit steigenden rigiden Einstellungen geben könnte, der später wieder abnimmt.Footnote 61

Über Selbstselektion, institutionelle Selektion und Sozialisation während der Ausbildungsphase importieren, bilden und formen sich Einstellungen. Während es über Anwärter:innen und Berufsanfänger:innen wenigstens vereinzelt auch neuere längsschnittliche Studien in Deutschland gibtFootnote 62, mangelt es an Studien zum Bewerber:innenfeld und zu Berufstätigen. Durch Betrachtung von Bewerber:innen lassen sich Erkenntnisse über Persönlichkeitseigenschaften und Mechanismen der Selbstselektion gewinnen. Unter Kontrolle der gewonnenen Selbstselektionseffekte sollten dann Auswahlmechanismen der Organisation (im Querschnitt) und strukturelle/institutionelle Einflüsse auf die Sozialisation (im Längsschnitt) untersucht werden. Die Erkennung der charakterlichen Eignung bei der Personalauswahl ist zudem zur Vorbeugung der Entwicklung rassistischer oder demokratiefeindlicher Einstellungen von Bedeutung. Dies zeigte die POLNACH-StudieFootnote 63 in Hamburg, in der der Forschungsstand zu Personalauswahl und Radikalisierungstendenzen überein gebracht wurde. Selbstverständlich können in diesen Themenbereichen neben quantitativen Erhebungen auch qualitative Ansätze gewinnbringend sein. Die qualitative LängsschnittforschungFootnote 64 könnte auch zur Beschreibung von Selektions- und Sozialisationsprozessen beitragen und über Ethnografien, Interviews oder Dokumentenanalysen Veränderungen in den Selbstbildern von Polizeiangehörigen, aber auch der Organisation an sich, aufdecken.

3.1.2 Explizite und implizite Einstellungsmaße und weiterführende Erklärungsansätze

Bisher gibt es keine hiesige Einstellungsstudie in der Polizei, die mit adaptierten Formen etablierter Skalen gearbeitet oder einen erweiterten „Rassismus“-Begriff (bzw. GMF) zugrunde gelegt hat.Footnote 65 In den USA wurden in der Sozialpsychologie bereits in den 1980er Jahren explizite Selbsteinschätzungsskalen zur Messung subtiler Formen des Rassismus entwickelt, um sozialer Erwünschtheit zu begegnen bspw. die Modern Racism Scale (MRS)Footnote 66, die Attitudes Toward Blacks Scale (ATB)Footnote 67 oder die Subtle Prejudice Scale (SPS)Footnote 68. Studien zeigten, dass bspw. MRS Rassismus misst und auch rassistisches Verhalten vorhersagen kann.Footnote 69

Explizite Messungen haben den Nachteil, dass Befragte sozial erwünscht antworten können, aber auch dass sich viele Befragte ihrer Vorurteile selbst nicht bewusst sind.Footnote 70 Erkenntnisse über Diskriminierungen durch Personen, die Vorurteile explizit ablehnen, führten dazu, methodisch den verstärkten Einsatz von indirekten Messungen als zwingend erforderlich zu erachten. Es existieren VerfahrenFootnote 71, um evaluative Assoziationen zu ethnischen Kategorien implizit zu messen (bspw. der implizite Assoziationstest (IAT))Footnote 72. Die Racial Argument Scale (RAS)Footnote 73 misst Vorurteile indirekt, indem Teilnehmende bewerten, wie gut Argumente Schlussfolgerungen stützen, die positiv oder negativ gegenüber ethnischen Minderheiten ausfallen.Footnote 74 Es konnte gezeigt werden, dass die RAS in der Lage ist, sowohl Verhaltensmaße des Rassismus als auch Positivität und Negativität gegenüber Schwarzen vorherzusagen, die von anderen Selbstberichtsmaßen des Rassismus nicht gemessen werden.Footnote 75 Auch muss künftig methodisch präziser zwischen Vorurteilen und Stereotypen differenziert werden.Footnote 76 In der oben erwähnten experimentellen Studie zum „Shooters’ Bias“ wurden erstmals Stereotypenratings eingesetzt, bei denen von Proband:innen bewertet wird, inwiefern eine Reihe von stereotypen Eigenschaften auf bestimmte vorgegebene Gruppen zutrifft (bspw. „arabische Männer“).Footnote 77 Dem Bedrohungsstereotyp kommt dabei eine besondere Bedeutung zu. Mit der Weapon Identification TaskFootnote 78 konnte bspw. gezeigt, dass mit einem Schwarzen Gesicht geprimte Teilnehmende vor dem Hintergrund aktueller Rassenstereotype in der Lage sind, eine Waffe genauer und schneller zu identifizieren, als die mit einem weißen Gesicht geprimten Teilnehmenden. Die wahrgenommene Bedrohung durch eine Fremdgruppe wird als kausaler Faktor angeführt, der zu Vorurteilen gegenüber dieser Gruppe führtFootnote 79, bzw. als Moderator zwischen automatischer Assoziation und VorurteilFootnote 80. Der Nachteil impliziter Maße besteht darin, dass sie oft computerbasiert und recht komplex zu erheben sind. Zudem zeigte sich, dass ein einzelnes direktes Item mit der Frage, wie sehr Weiße gegenüber Schwarzen bevorzugt werden (One-Item Präferenz Maß), die impliziten Einstellungen der Teilnehmenden am besten vorhersagen konnte.Footnote 81 Aus dem bisher nicht vollständig geklärten Verhältnis der Maße untereinander und zu Diskriminierungen lässt sich ableiten, dass zukünftige Einstellungsstudien in der Polizei sowohl direkte als auch indirekte validierte Maße integrieren sollten. Zudem sollte auch der „Stereotype Threat“ beachtet werden, wonach die Bedrohung durch die Bestätigung des Stereotyps der „rassistischen Polizist:innen“ paradoxerweise die Neigung zu polizeilichem Zwang erhöhen kann.Footnote 82

Weiterführende theoretische Ansätze betreffen bspw. motivationale Prozesse, die erklären können, inwieweit Personen Vorurteile unterdrücken bzw. zeigen. Dabei wird zwischen der internalen und der externalen Motivation, Vorurteile zu unterdrückenFootnote 83 bzw. auszudrückenFootnote 84 unterschieden. Wenn untersucht wird, inwiefern sich Polizeikräfte hinsichtlich ihrer internalen und externalen Motivation, Vorurteile zu unterdrücken (bzw. zu zeigen), von anderen Stichproben (bspw. andere Berufsgruppen oder der Bevölkerung) unterscheiden, so können wertvolle Hinweise auf die Relevanz von individuellen Faktoren oder institutionellen Normen in der Polizei („Cop Culture“) für die Erklärung von Vorurteilen und Stereotypen gewonnen werden.

Auch kann es im Rahmen polizeilicher Arbeit sinnvoll sein, Einflüsse des geografischen bzw. des räumlichen Kontextes auf Stereotype und Vorurteile zu untersuchen. Bisherige Forschung deutet darauf hin, dass Orte nach den jeweiligen dort lebenden sozialen Gruppen charakterisiert werden, sodass bspw. ethnisch diverse Nachbarschaften eher negativ (z. B. heruntergekommen, hohe Kriminalität), während Nachbarschaften mit mehrheitlich weißen Bewohner:innen eher positiv (z. B. sauber, sicher) bewertet werden.Footnote 85 Es kann untersucht werden, inwieweit potenzielle Unterschiede in individuellen Vorurteilen und Stereotypen gegenüber ethnischen Minderheiten bei Polizist:innen durch ortsbezogene Stereotypen unter Berücksichtigung der jeweiligen Wohn- und Einsatzorte erklärt werden können.

3.2 Weiterführende empirische Zugänge

Im vorliegenden Band nennt Heitmeyer neben den Hypothesen zur Sozialisation und Selektion auch die Institutionenthese und die gesellschaftliche Normalisierungsthese als künftig relevante Felder für empirische Forschung. Bezüge zwischen Einstellungen, Intergruppenebene und Kultur sowie Handlungen können mit klassischen soziologischen Methoden der qualitativen Forschung (Interviews und teilnehmenden Beobachtungen bzw. Ethnografien) hergestellt werden. Der institutionelle Rahmen des Handelns von Polizist:innen betrifft vor allem Aspekte der innerorganisationellen Werte, Kulturen und Intergruppendynamiken. Organisations- und wissenssoziologische Perspektiven und Analysen widmen sich z. B. den diskursiven Praxen und der Wissenskonstruktion und damit dem Verhältnis vom Individuum zur Organisation und zur Gesellschaft.Footnote 86 Handlungen, Diskurse, auch Sprechakte der Beteiligten werden so nachzeichen- und interpretierbar.Footnote 87 Breidenstein et al.Footnote 88 beschreiben, wie durch die Ethnografie im Gegensatz zu den erfragenden Methoden soziale Praktiken beobachtet und dadurch die Relevanz der Praktiken für die Akteur:innen nachvollzogen werden kann. Der gesellschaftliche Kontext bildet den größten Rahmen, in dem sich auch Einstellungen und Handlungen von einzelnen Polizist:innen wandeln und zu interpretieren sind. Gesellschaftliche Veränderungen, bspw. Normalisierungsprozesse von xenophoben Äußerungen, wie sie durch die Diskursverschiebungen nach dem Erfolg der AfD zu verzeichnen sindFootnote 89, können diskursanalytisch nachgezeichnet oder auch in die Analyse von Legitimationsmustern polizeilicher Handlungen miteinbezogen werden. Hier eignen sich neben den genannten teilnehmenden Beobachtungen oder ethnografischen Feldforschungen und Interviews auch Dokumentenanalysen. Die bereits angeführten polizeilichen PressemeldungenFootnote 90 sind hierfür geeignete Materialien, aber auch die Produkte der Auftritte der Polizei in den sozialen MedienFootnote 91 oder Produkte klassischer polizeilicher Öffentlichkeitsarbeit wie Werbefilme und -plakate, Presseinterviews o. Ä. Der Einsatz der qualitativen MehrebenenanalyseFootnote 92 würde es erlauben, über die Individual- und Intergruppenebene hinaus, spezifische kulturelle Kontexte miteinzubeziehen. Diese könnten im Falle der Polizei Organisationseinheiten, Dienstzweige, Nachbarschaften, Bundesländer oder gar Staaten sein.

Zuletzt sind mit Blick auf der Handlungsebene zuzuordnenden Analysen auch wieder quantitative Erhebungsmethoden zu nennen. Möglich wäre es, eine bevölkerungsrepräsentative ViktimisierungsstudieFootnote 93 zur Erhebung der Verbreitung von diskriminierenden oder gewalthaltigen Polizeikontakten durchzuführen. Um eine ausreichend große Zahl an Migrant:innen zu erreichen, müssten die Fragebögen allerdings in verschiedenen Sprachen erstellt werden. Eine groß angelegte bevölkerungsrepräsentative Befragung würde mit ihren Erkenntnissen die nach ihrer Natur selektiven Erhebungen von zivilgesellschaftlichen Gruppen und das im Projekt KVIAPOL rekrutierte Conveniance Sample ideal ergänzen.

Neben den bereits gewählten Herangehensweisen sollten auch AktenanalysenFootnote 94 von Ermittlungs- bzw. Strafverfahren und von Disziplinarverfahren gegen Polizist:innen in Betracht gezogen werden. Baier und PfeifferFootnote 95 schlagen bspw. vor, sich Erkenntnisse aus der Kriminalstatistik zunutze zu machen, um eine Fragebogenerhebung mit einer Zufallsstichprobe von ausländischen und deutschen Tatverdächtigen und Opfern versuchter, vorsätzlicher Tötungsdelikte und gefährlicher Körperverletzungen in Verbindung mit Aktenanalysen solcher Fälle durchzuführen.

Neue methodische Zugänge eröffnen sich derzeit durch die Nutzung von Bodycams. Voigt et al.Footnote 96 analysierten in den USA routinemäßige aufgezeichnete Verkehrskontrollen von Schwarzen und weißen Autofahrer:innen. Neu entwickelte computergestützte linguistische Methoden extrahierten den Grad des Respekts der Polizist:innen automatisch aus Transkripten und konnten so nachweisen, dass sich die Kommunikation der Polizist:innen mit den Schwarzen Fahrern durchweg weniger respektvoll gestaltete. Auch wenn solche Verkehrsdaten und Bodycam-Aufzeichnungen bisher in Deutschland nicht zur Verfügung stehen, sind dies gute Beispiele dafür, wie tatsächlich valide empirische Erkenntnisse auf der Handlungsebene gewonnen werden können.

4 Herausforderungen für empirische Studien in der Polizei

Zukünftig stellen sich verschiedene Herausforderungen sowohl im Bereich der anzuwendenden Methoden als auch im Bereich des Feldzugangs, um sich gruppenbezogen-menschenfeindlichen Einstellungen, Kulturen und Handlungen in der Polizei zu nähern. Mit dem vorherigen Abriss sollte aufgezeigt werden, dass bereits einige und methodisch vielfältige Anstrengungen unternommen wurden, um empirische Erkenntnisse zu generieren. Nur leider ist der Großteil der deutschen Arbeiten als veraltet zu bezeichnen. Theorien sowie etablierte Skalen wurden in den Einstellungsstudien der 1990er Jahren weitgehend ignoriert. Man fokussierte einseitig auf wenig definierte Konzepte von „Fremden-“ oder „Ausländerfeindlichkeit“. Erneut verzichtete 2019 die Studie in Hessen daraufFootnote 97, sich von Theorien leiten zu lassen oder etablierte Skalen einzusetzen, die einen Vergleich mit den existierenden Bevölkerungsbefragungen ermöglicht hätten. Die Polizei ist also nicht nur hinsichtlich dessen, was im derzeitigen öffentlichen Diskurs von Interesse ist, nämlich der Frage, ob und in welchem Ausmaß diskriminierende Handlungspraxen in der deutschen Polizei vorkommen, als „Black Box“ zu bezeichnen, sondern ebenfalls auf der Einstellungsebene. Neuere Arbeiten sollten eine weite Bedeutung des Konzepts „Rassismus“ zugrunde legen, um über die Fokussierung auf die Ethnie hinaus menschenfeindliche Haltungen und Handlungen in ihrer Gesamtheit in den Blick nehmen zu können. Die Einstellungs- und Intergruppenebene, die in älteren Arbeiten oftmals nicht hinreichend hypothesengeleitet untersucht wurde, birgt Potenzial für zukünftige Studien. Forschende in diesem Feld sollten interdisziplinär zusammenarbeiten; insbesondere Erkenntnisse der sozialpsychologischen Vorurteilsforschung sind für „Rassismus“-Studien in der Polizei von großer Bedeutung. Fragebögen sind unter Verwendung validierter Skalen zu entwickeln. Darüber hinaus versprechen experimentalpsychologische Zugänge einen hohen Mehrwert in diesem Bereich. Ziel der „Rassismus“-Forschung in der Polizei sollte sein, anschlussfähig an den derzeitigen Stand der Vorurteilsforschung zu werden. Parallel können auch methodische Zugänge auf der Handlungsebene in Betracht gezogen werden, die jedoch überwiegend Auskunft über das Ausmaß diskriminierender Handlungen von Polizist:innen geben können. Erkenntnisse über zugrundeliegende erklärende Prozesse sind am besten über methodische Zugänge auf der Einstellungs- und der Intergruppenebene zu generieren.

Eine große Herausforderung liegt in der – offensichtlich empfundenen – politischen Sprengkraft einer wissenschaftlichen Analyse von potenziell (!) die Polizei kritisierenden Forschungsergebnissen. Bereits in den 1990er Jahren wurde bspw. die Hamburger Polizeikommission, die in Folge des Hamburger Polizeiskandals gebildet wurde, im öffentlichen Diskurs durch (konservative) politische Parteien, Medien und Gewerkschaften kritisiert, ja sogar delegitimiert und diffamiert.Footnote 98 Selbiges wiederholte sich auch im Jahr 2010, als in einer Studie des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen Gewalt gegen Polizeibeamte untersucht werden sollte und diverse Bundesländer eine Beteiligung an der Studie zurückgezogen haben, da unterstellt wurde, dass einige Fragen im Fragebogen eine Täter-Opfer-Umkehr implizierten.Footnote 99 Das aktuelle Ringen um eine Studie zur Verbreitung von rassistischen Einstellungen und rassistisch motiviertem Handeln in der PolizeiFootnote 100 ist von denselben Abwehrmechanismen geprägt, die JaschkeFootnote 101 vor nunmehr über 20 Jahren beschrieb. Aus wissenschaftlicher Sicht waren und sind diese Abwehrreflexe unverständlich und führen dazu, dass das Forschen am Vorhandensein von potenziell unerwünschten, disziplinarrechtlich oder gar strafrechtlich relevanten Einstellungen und Verhaltensweisen und deren Entstehungszusammenhänge zu einem im wissenschaftlichen Sinne „heiklen“ Themenbereich wird. Damit wird der Zugang zum Feld und das Erheben von „echten“, nicht von sozialer Erwünschtheit verzerrten Daten nur noch sehr schwer möglich. Dies beschreiben auch Baier und PfeifferFootnote 102, die sich in einer aktuellen Publikation mit methodischen Schwierigkeiten der Forschung in der Polizei und von potenzieller Polizeigewalt befassen. Zusätzlich erschweren Innenminister:innen, Polizeipräsident:innen, Personalrät:innen und Gewerkschaften als Gatekeeper:innen den Forschenden den Zugang zum Feld.