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1 Einleitung

In der gesellschaftlichen Debatte um ‚New Work‘ wird agiles Arbeiten oft als Hoffnungsträger für selbstorganisiertes Arbeiten, eine Demokratisierung von Wirtschaftsorganisationen und das Empowerment von Beschäftigten betrachtet (vgl. Singe und Tietel 2019; Boes et al. 2021), und mit ,guter Arbeit‘ gleichgesetzt (vgl. Sutherland 2015). Allerdings gelten agile Arbeitskonzepte aus betriebsökonomischer Perspektive als Rationalisierungsansatz, der Produktivitätssteigerung und Kostensenkung vor allem im Bereich innovationsorientierter Wissensarbeit verheißt (vgl. Sutherland 2015; Becke 2020), die in hohem Maße auf das subjektive Arbeitsvermögen der Beschäftigten angewiesen ist. Agile Arbeitskonzepte setzen hierzu auf organisational stabile, aber zugleich hochgradig flexible Verfahren selbstorganisierter Projektarbeit in Teams, wobei eine frühzeitige und systematische Einbindung von Kund:innen in den Entwicklungsprozess von Neuerungen erfolgt (vgl. Becke 2020; Rolfes und Brandes in diesem Band). So sollen Entwicklungs- und Auslieferzeiten neuer Produkte reduziert und die Kund:innenzufriedenheit erhöht werden. Agile Arbeitskonzepte zielen überdies auf eine digital gestützte und beständige Transparenz über Arbeitsprozesse und -aufgaben, bei der Projekt- und Produktfortschritte visualisiert und auftretende Probleme frühzeitig erkannt werden können.

Dieser immanente Spannungsbogen agiler Arbeitskonzepte als Versprechen ,guter Arbeit‘ einerseits und als Rationalisierungsansatz innovationsorientierter Wissensarbeit andererseits lässt sich nicht grundsätzlich auflösen, denn diese Arbeitskonzepte orientieren sich an der Vorstellung kontinuierlicher Optimierung. Gleichwohl können agile Arbeitskonzepte gesundheitsfördernd gestaltet werden, sodass dieses Versprechen mehr Gewicht erhält. In arbeitswissenschaftlicher Perspektive bietet sich hierzu eine duale Gestaltungsperspektive an, die zum einen auf die Reduzierung psycho-physischer Belastungen abzielt, zum anderen auf den Erhalt und die Stärkung von personalen wie situativen Gesundheitsressourcen der Beschäftigten setzt. Gesundheitsressourcen werden hier verstanden als „Hilfsmittel, die es dem Menschen erlauben, die eigenen Ziele trotz Schwierigkeiten anzustreben, mit den Stressbedingungen besser umzugehen und unangenehme Einflüsse zu verringern“ (Frese 1987, S. 685). Die Verfügbarkeit von und der Zugang zu Gesundheitsressourcen sind – neben der Reduzierung von Belastungsquellen – von zentraler Bedeutung dafür, dass Erwerbspersonen Arbeitsanforderungen bewältigen können.

In diesem Beitrag wird die Ressourcenperspektive einer gesundheitsfördernden Gestaltung agiler Arbeitskonzepte aus mehreren Gründen in den Blick genommen:

  • Diese Perspektive wird im Vergleich zur Belastungsreduktion, die sich an der Leitidee der Prävention und Gefahrenabwehr orientiert, im Rahmen von gesundheitsorientierten Gestaltungsansätzen, wie der (psychischen) Gefährdungsbeurteilung, oft in geringerem Maße verfolgt.

  • Die gesundheitlichen Implikationen agilen Arbeitens sind bislang unzureichend erforscht; dies gilt auch für die Bedeutung von Gesundheitsressourcen zur Bewältigung agiler Arbeitsanforderungen.

  • Die Entwicklung von Gesundheitsressourcen kann in Abhängigkeit von betrieblichen Rationalisierungsstrategien und der Bewältigung von (krisenbedingten) Veränderungsprozessen unterschiedlich verlaufen. So können bereits existente Gesundheitsressourcen beeinträchtigt werden und eventuell sogar erodieren. Damit gerät aus der Arbeitsgestaltungsperspektive neben der Entwicklung und Stärkung von Gesundheitsressourcen auch ihr Erhalt bzw. ihre Regeneration in den Blick (vgl. Hobfoll et al. 2018).

In diesem Beitrag wird die Entwicklung bzw. Veränderung von Gesundheitsressourcen agiler Arbeit am Beispiel eines mittelgroßen Unternehmens der IT-Dienstleistung untersucht. Diese Betriebsfallstudie aus dem FlexiGesA-Verbundprojekt bezieht sich auf die Entwicklung bzw. Veränderung von Gesundheitsressourcen agiler Arbeit im Rahmen der Coronapandemie. Diese bildet einen tiefgreifenden Einschnitt hinsichtlich der verfügbaren Gesundheitsressourcen agiler Arbeit. Es soll untersucht werden, inwiefern sich die Gesundheitsressourcen des Empowerments und der sozialen Zugehörigkeit bei agiler Projektarbeit im Zuge der Coronapandemie verändert haben?

Im nächsten Abschnitt werden Gesundheitsressourcen näher konzipiert und exemplarisch die beiden Gesundheitsressourcen des Empowerments und sozialer Zugehörigkeit behandelt. Daran schließt die Skizzierung der Betriebsfallstudie sowie des methodischen Vorgehens an. Der nächste Abschnitt geht von betriebsspezifischen Ansätzen zur Stärkung des Empowerments von Beschäftigten bei agiler Arbeit aus. Hierbei wird untersucht, inwiefern diese Ansätze durch die Coronapandemie herausgefordert werden. Im folgenden Abschnitt wird analysiert, wie sich auf betrieblicher Ebene die Gesundheitsressource sozialer Zugehörigkeit im Lichte der Pandemie verändert hat. Abschließend werden die Kernergebnisse der Betriebsfallstudie zusammengefasst und Forschungsdesiderata aufgezeigt.

2 Empowerment und soziale Zugehörigkeit als Gesundheitsressourcen

Eine zentrale theoretische Grundlage für die Analyse arbeitsbezogener Gesundheitsressourcen bildet das gesundheitswissenschaftliche Modell der Salutogenese (vgl. Antonovsky 1997). Es geht davon aus, dass sich der Gesundheitsstatus von Menschen innerhalb eines multidimensionalen Kontinuums von Gesundheit und Krankheit verorten lässt. Ob sich der gesundheitliche Zustand von Menschen mehr in Richtung Gesundheit oder Krankheit bewegt, hängt davon ab, inwiefern Menschen über generalisierte Widerstandsressourcen verfügen, die die Widerstandsfähigkeit von Personen bei der Bewältigung potenziell gesundheitsschädigender Stressoren stärken (Bengel et al. 2001, S. 34).

Ob und inwiefern Menschen Herausforderungen oder Stressoren zu bewältigen vermögen, wird davon beeinflusst, wie sie diese wahrnehmen und bewerten. Überdies kommt es darauf an, inwiefern sie Zugang zu Gesundheitsressourcen haben bzw. über diese verfügen. Die Frage des (ungleich verteilten) Zugangs und der Verfügbarkeit von Gesundheitsressourcen spiegelt in Unternehmen Verhältnisse sozialer und damit auch gesundheitlicher Ungleichheit wider (vgl. Faltermaier 2020; Becke et al. 2022).

Arbeitsbezogene Gesundheitsressourcen sind unserem Verständnis nach kontextspezifisch und dynamisch zu konzipieren. Sie können je nach betrieblichen Kontextbedingungen erodieren, verbraucht und vernutzt, aber auch entwickelt und erhalten werden. So werden Ressourcen vor allem in Betrieben entwickelt und erhalten, die sich hierfür als unterstützende Strukturen erweisen (siehe Hobfoll et al. 2018, S. 107).

Aus der Theorie des Ressourcenerhalts ist bekannt, dass Menschen bestrebt sind, vor allem Ressourcen zu generieren, zu schützen und zu erhalten, denen sie einen hohen Wert beimessen, z. B. um ihre Arbeitsidentität aufrechtzuerhalten. Daher können die Bedrohung und der Verlust von Ressourcen erheblichen Stress auslösen und die Möglichkeiten von Beschäftigten beeinträchtigen, Arbeitsanforderungen zu bewältigen (vgl. Hobfoll et al. 2018). Menschen bewerten demnach den Ressourcenverlust im Vergleich zu deren Aufbau oder Gewinn als bedeutsamer (Hobfoll et al. 2018, S. 105). Diese Theorie legt nahe, in Unternehmen und ihren Veränderungsprozessen Dynamiken der Erosion und des Verlusts von Gesundheitsressourcen mehr Beachtung zu schenken.

2.1 Empowerment als Gesundheitsressource

Das Empowerment-Konzept ist durch ein hohes Maß an definitorischer Unbestimmtheit und Probleme der Operationalisierung geprägt (vgl. Loss und Wise 2008). Die sozialhistorischen Wurzeln des Konzepts liegen in der US-amerikanischen Bürgerrechtsbewegung (vgl. Bröckling 2003). Häufig wurde es im Sinne der Ermächtigung und Befähigung von benachteiligten bzw. entrechteten Bevölkerungsgruppen, z. B. in Ländern des globalen Südens, verwendet, um soziale Ungleichheitsverhältnisse abzubauen (Loss 2008). Das Konzept avancierte seit der Alma-Ata-Erklärung (1978) und der Ottawa-Charta zur Gesundheitsförderung (1986) im Kontext der Weltgesundheitsorganisation zu einer normativen Leitorientierung (vgl. Nutbeam 1998; Loss und Wise 2008). In der Arbeits- und Organisationsforschung erhielt das Empowerment von Beschäftigten im Rahmen partizipativer Managementstrategien und des neueren Diskurses um ,New Work‘ hohe Aufmerksamkeit (vgl. Boes et al. 2021; Singe und Tietel 2019; Bröckling 2003).

Dieser Beitrag schließt an die Public-Health-Perspektive des Empowerments an (vgl. Brandes und Stark 2021). Demnach bezeichnet Empowerment „a social, cultural, psychological or political process through which individuals and social groups are able to express their needs, present their concerns, devise strategies for involvement in decision-making, and achieve political, social and cultural action to meet those needs. Through such a process people see a closer correspondence between their goals in life and a sense of how to achieve them, and a relationship between their efforts and life outcomes“ (Nutbeam 1998, S. 354). Mit Blick auf die Arbeitswelt intendiert das Empowerment die Förderung der Handlungsfähigkeit von Erwerbspersonen im Sinne ihrer Einflussnahme und Mitgestaltung konkreter Arbeitsbedingungen (vgl. Arneson und Ekberg 2006). Bei Empowerment handelt es sich um eine potenziell verhältnis- wie verhaltensbezogene Gesundheitsressource. Dies reflektiert auch die Unterscheidung von strukturellem und psychologischem Empowerment (Spreitzer 2008, S. 54 ff.). Demnach berührt strukturelles Empowerment die Machtteilung zwischen Führungskräften und Geführten. Hierbei soll relevante Entscheidungsmacht entlang der Hierarchie an Beschäftigte zur Selbstgestaltung und -kontrolle ihrer Arbeit delegiert werden.

Psychologisches Empowerment rekurriert hingegen auf „a set of psychological states that are necessary for individuals to feel a sense of control in relation to their work“ (Spreitzer 2008, S. 56). Es spricht somit die Seite des subjektiven Erlebens von Empowerment an, das vier kognitive Dimensionen umfasst (Spreitzer 2008, S. 57): das arbeitsbezogene Sinnerleben, das auf die Arbeitsaufgaben gerichtete Selbstwirksamkeitserleben, das Erleben von Arbeitsautonomie und der eigenen Wirkmächtigkeit auf Arbeitsergebnisse und -prozesse. Psychologisches und strukturelles Empowerment bedingen sich wechselseitig, denn: Erwerbspersonen werden Optionen strukturellen Empowerments nicht nutzen, wenn es ihnen an Überzeugungen eigener Wirkmächtigkeit mangelt; solche Überzeugungen geraten ihrerseits an Grenzen, wenn organisationsintern strukturelle Voraussetzungen dafür fehlen (vgl. Spreitzer 2008).

2.2 Soziale Zugehörigkeit als Gesundheitsressource

Bei sozialer Zugehörigkeit handelt es sich um ein menschliches Grundbedürfnis, das darin besteht, „als Zugehöriger zu einer Gruppe anerkannt zu werden…Anerkanntsein zielt hier auf ein Sein wie andere, ein Gleichsein als Mit-Gliedsein, als Mit-Drinsein“ (Popitz 1999, S. 140 f.). Dieses Grundbedürfnis aktualisieren Menschen auch in Erwerbsarbeitsorganisationen, in denen sie tätig sind. Das Erleben sozialer Zugehörigkeit kann sich hier auf den Kolleg:innenkreis bzw. die Belegschaft insgesamt, spezifische Berufsgruppen, Teams oder Arbeitsbereiche und die gesamte Organisation richten. Soziale Zugehörigkeit ist ein dynamischer sozialer Prozess der Selbstbindung und der Anerkennung durch relevante Andere. Selbstbindung bezeichnet die Handlungsfähigkeit zur Herstellung und Aufrechterhaltung sozialer Zugehörigkeit (Popitz 1999, S. 141). Im Anschluss an Meyer und Allen (1997, S. 11 ff.) lassen sich drei Dimensionen der (Selbst-)Bindung von Mitarbeitenden an Organisationen unterscheiden: Emotionales oder affektives Commitment richtet sich auf das emotionale Eingebundensein bzw. die emotionale Identifikation mit oder die Loyalität zu einer Organisation. Die Wertebindung oder das normative Commitment bezieht sich auf Gefühle moralischer Verpflichtung gegenüber einer Organisation, während sich die pragmatische Bindung (continuance commitment) primär an den erwarteten (im)materiellen Vorteilen oder Kosten orientiert, die mit dem Verbleib in einer Organisation verbunden sind.

Das Erleben sozialer Zugehörigkeit bildet einen bedeutsamen Prädiktor beruflicher Sinnerfüllung (vgl. Schnell 2018, S. 15 f.). Demnach ist die Sinnerfüllung durch Arbeit und Beruf eng mit dem Erleben der Zugehörigkeit zu Kolleg:innen, Unternehmen als Sozialgebilden und z. T. auch zu Kund:innen verknüpft (vgl. Ehresmann und Badura 2018). Für das Erleben beruflicher Sinnerfüllung bzw. sinnhafter Arbeit sind vor allem zwei psychosoziale Zugehörigkeitsmechanismen bedeutsam (Rosso et al. 2010, S. 111 f.): Menschen binden sich an soziale Gruppen bzw. soziale Gebilde, wenn diese für sie eine besondere Bedeutung aufweisen, insbesondere im Vergleich zu anderen sozialen Gebilden. Zudem kann das Erleben sozialer Zugehörigkeit auf Gefühlen interpersonaler Nähe und Verbundenheit, z. B. mit Kolleg:innen, basieren. Die sozialen Beziehungen am Arbeitsplatz werden als bedeutsam erlebt, da sie Rückhalt und soziale Unterstützung bieten.

Soziale Zugehörigkeit erweist sich in Unternehmen als relevante Gesundheitsressource, wenn sie mit dem Erleben sozialer Anerkennung und Unterstützung verbunden ist und Mitarbeitende sich als Teil eines für sie bedeutsamen größeren Ganzen verstehen. Die psychische Gesundheit entwickelt sich hierbei aus dem Erleben des Wertvollseins für andere (Ehresmann und Badura 2018, S. 57). Insbesondere das emotionale Commitment bildet eine zentrale moderierende Einflussgröße zwischen der Organisationskultur und dem subjektiv erlebten Gesundheitszustand von Mitarbeitenden (Badura und Ehresmann 2016).

3 Die Betriebsfallstudie und das methodische Vorgehen

Im Folgenden werden der Fallstudienbetrieb und dann das methodische Vorgehen vorgestellt.

3.1 Das IT-Dienstleistungsunternehmen

Bei dem Fallstudienbetrieb handelt es sich um ein mittelgroßes Unternehmen der IT-Dienstleistung, das einer Unternehmensgruppe angehört. Das Unternehmen entwickelt überwiegend kundenindividuelle Softwarelösungen und bietet Schulungs- bzw. Beratungsdienstleistungen an. Die Organisationsform des Unternehmens entspricht weitgehend einer Adhokratie, die durch ein Minimum an Hierarchie, dezentrale Entscheidungsfindung, ein geringes Maß an Formalisierung sowie eine direkte Abstimmung von Teammitgliedern in selbstorganisierten Projektteams geprägt ist (vgl. Newell et al. 2009).

Im Unternehmen existiert unterhalb der Geschäftsführungsebene nur eine Führungsebene. Diesen Führungskräften sind mehrere Projektteams bzw. Tätigkeitsgruppen, wie Tester:innen, zugeordnet. Die in ihrer Zusammensetzung relativ stabilen Projektteams bearbeiten teils eine geringere Anzahl von Projekten längerer Laufzeit, teils mehrere Projekte mit mittlerer bzw. kurzer Laufzeit.

Die relativ hohe personelle Stabilität wie zeitliche Dauer der Teams fördert eine vertrauensbasierte Kooperation, Zugehörigkeitserleben und soziale Unterstützung. Gleichwohl müssen sich die selbstorganisierten Projektteams an ökonomischen Ergebniserwartungen orientieren, deren Realisierung auch für das Fortbestehen der Teams bedeutsam ist. So können personelle Veränderungen in Teams bzw. Auflösungen von Teams erfolgen, wenn Anschlussperspektiven der Projektfinanzierung ausbleiben.

Das vorherrschende Arbeitskonzept im Unternehmen orientiert sich an selbstorganisierter Projektarbeit auf Basis agiler Arbeitsweisen, primär auf Basis des Scrum-Frameworks. Hierbei erfolgt in den multiprofessionell besetzten Projektteams eine Ausdifferenzierung von Arbeits- und Führungsrollen, z. B. Scrum-Master, Anforderungsmanager:in, Entwickler:in und Tester:in. Die agile Arbeitsweise nach der Scrum-Methodik orientiert sich an 14-tägigen Sprints, in denen bei kontinuierlicher und enger Einbindung von Kund:innen funktionsfähige Teilprodukte programmiert werden (vgl. hierzu Rolfes und Brandes in diesem Band).

Die kontinuierliche Integration von Kund:innen in den IT-Entwicklungsprozess und die Selbstkoordination der Arbeit im Team geht einher mit relativ hohen Anforderungen an Interaktionsarbeit – mit Kund:innen, zwischen den Teammitgliedern und an unternehmensinternen Schnittstellen der Teams, etwa zu Kolleg:innen anderer Teams oder zu Führungskräften. Die agile Entwicklungsarbeit ist bei der Entwicklung kundenindividueller technischer Lösungen mit hohen Flexibilitätsanforderungen verbunden. So gilt es, sich verändernde Anforderungen und Erwartungen von Kund:innen an IT-Lösungen aufzunehmen, mit Unwägbarkeiten im Entwicklungsprozess umzugehen (z. B. zeitlichen Verzögerungen, Wechsel aufseiten der Kunden:innen oder im Team). In der Zusammenarbeit über räumliche Grenzen hinweg wird oft mehrfach täglich, mitunter ungeplant, mit Kund:innen kommuniziert und interagiert. Beschäftigte müssen dabei auf die Menschen, mit denen sie kooperieren, situativ-flexibel eingehen sowie mit nicht vorhersehbaren Situationen und Anforderungen, wie spontanen Änderungswünschen, umgehen. Die IT-Beschäftigten erleben die relativ enge Zusammenarbeit mit Kund:innen oft als Ressource ihrer Arbeit; sie schätzen insbesondere die Vielfalt ihrer Arbeitstätigkeit, das Kennenlernen neuer Kund:innenunternehmen und Arbeitsfelder. Gerade bei längerer Projektdauer oder wiederholter Kooperation entwickeln sich zwischen Projektteams und Kund:innen oft vertrauensbasierte Kooperationsbeziehungen, die von Mitarbeitenden positiv bewertet werden. Ihnen ist es wichtig, mit Kund:innen wertschätzend zusammenzuarbeiten. Aus ihrer Sicht ergibt sich ein hohes Maß der Sinnhaftigkeit ihrer Arbeit, wenn sie für Kund:innen einen möglichst hohen Gebrauchswert oder Produktnutzen erzielen. Gleichwohl birgt die Interaktionsarbeit mit Kund:innen auch psychosoziale Belastungsquellen, etwa bei Zeitverzögerungen von Projekten oder überbordenden Leistungsansprüchen von Kund:innen. Wenn Teams diese Kooperationsprobleme mit Kund:innen nicht selbst lösen können, erhalten sie Unterstützung durch Führungskräfte.

3.2 Das methodische Vorgehen

Dem Projekt FlexiGesA liegt ein Mix quantitativer und qualitativer Methoden zugrunde. Datengrundlage dieses Artikels bilden qualitative leitfadengestützte Interviews und Gruppendiskussionen mit verschiedenen Rolleninhaber:innen. Es konnten zunächst anhand einer (qualitativen) Bestandsanalyse (Zeitraum: Mitte/Ende 2018) zentrale Belastungen und Gesundheitsressourcen identifiziert werden. Auf Basis der festgestellten Belastungen und Ressourcen wurden mit ausgewählten Beschäftigtengruppen Maßnahmen im Unternehmen geplant und sukzessive erprobt (2019).

Im Rahmen der Bestandsaufnahme wurden im qualitativen Part leitfadengestützte Interviews und Gruppendiskussionen geführt:

  • Ein Interview mit der Koordinatorin des Projektes (August 2018).

  • Ein Interview mit der Geschäftsführung (Oktober 2018)

  • Zwei Gruppendiskussion mit Entwicklungsteams und eine Gruppendiskussion mit Mitarbeitenden, die bei Kunden und Kundinnen vor Ort tätig sind (Oktober/November 2018).

Fokussiert wurde die aktuelle Arbeitssituation in Bezug auf die gesundheitlichen Ressourcen und Belastungen insbesondere hinsichtlich der Interaktionsarbeit mit Kund:innen bei agiler Projektarbeit.

Nach der betrieblichen Entwicklung und Erprobung gesundheitsbezogener Interventionen wurden erneut qualitative Erhebungen durchgeführt, um deren Wirksamkeit zu überprüfen. Im Rahmen der ersten Evaluation der eingeführten Maßnahmen wurden folgende Gespräche geführt, deren Kernergebnisse für diesen Beitrag berücksichtigt wurden:

  • Zwei Gruppendiskussionen mit zwei Entwicklungsteams (Februar 2021) mit insgesamt 10 Teilnehmer:innen, in denen die Beschäftigten zu ihrer aktuellen Arbeitssituation inklusive Belastungen und Ressourcen und zu ihren Erfahrungen mit der Intervention der Anwendung von Legoboards befragt wurden.

  • Ein Interview mit der Geschäftsführung (Februar 2021) und eine Gruppendiskussion mit Führungskräften (Februar 2021 mit 7 Teilnehmer:innen). Ein inhaltlicher Schwerpunkt der Interviews war dabei die Sichtweise der Führungskräfte/Geschäftsführung auf die eigenen Rollen wie auch die Entwicklungen und Herausforderungen in der Coronapandemie.

  • Eine Gruppendiskussion mit der Arbeitsgruppe zur Entwicklung, Umsetzung und Verstetigung gesundheitsförderlicher Maßnahmen im Unternehmen (März 2021 mit 4 Teilnehmer:innen) zur Evaluation des Projekts.

Die Gespräche wurden protokolliert, transkribiert und inhaltsanalytisch ausgewertet. Die unterschiedlichen Erhebungszeitpunkte der Gruppendiskussionen bzw. qualitativen Interviews ermöglichte es u. a. Veränderungen in der Wahrnehmung und im Erleben von Gesundheitsressourcen aus Sicht der Beschäftigten durch die Coronapandemie und darauf gerichteter betrieblicher Krisenbewältigungsstrategien zu rekonstruieren (vgl. Becke et al. 2022).

4 Veränderungen von Gesundheitsressourcen aufgrund der Coronapandemie

Im Folgenden werden aus Sicht der Beschäftigten Veränderungen der Gesundheitsressourcen des Empowerments und der sozialen Zugehörigkeit vor dem Hintergrund der Coronapandemie rekonstruiert und aufgezeigt, welche betrieblichen Maßnahmen zum Erhalt bzw. der Revitalisierung dieser Gesundheitsressourcen unternommen wurden. Die Pandemie wirkte auf der betrieblichen Ebene als unerwarteter exogener Schock, der mit einer Disruption des bisherigen betrieblichen Arbeitsmodells verbunden war: Die digital gerahmte Arbeit der IT-Entwicklung wurde nun nicht mehr überwiegend am Betriebsstandort geleistet, sondern aus Gründen des Infektions- und Gesundheitsschutzes in die private Häuslichkeit der Beschäftigten verlagert, sodass eine Abkehr von der betrieblich eingespielten Präsenzkultur erfolgte. Die Beschäftigten und Führungskräfte nahmen die Pandemie als zentralen ,Störfaktor‘ der Entwicklung und Erprobung gesundheitsfördernder Interventionen wahr.

4.1 Veränderung der Gesundheitsressource des Empowerments

Die Projektarbeit bietet ein hohes Maß an strukturellem Empowerment, denn die Projektteams verfügen aufgrund ihrer Selbstorganisation über relativ große aufgabenbezogene und arbeitszeitliche Autonomiespielräume. Die Selbstorganisation der Teamarbeit wird von den IT-Entwickler:innen als Empowerment erlebt, erschließt sie ihnen doch relative große Freiheitsgrade, ihre Arbeit selbsttätig zu gestalten und sich weiterzuentwickeln. Die Entwicklungsarbeit nach agilen Prinzipien, wie Transparenz und Feedback, erleben die Beschäftigten überwiegend als Lernchance, vertrauensfördernd und unterstützend. Die offene Fehlerkultur beinhaltet die Offenlegung und Ansprache von Problemen und Hindernissen sowie das gezielte Angehen von Lösungen. Überdies akquirieren die Teams im Rahmen ihrer engen projektbasierten Kooperation mit Kund:innen oft auch Anschlussaufträge.

In der qualitativen Bestandsaufnahme wurden allerdings auch Grenzen des Empowerments durch Selbstorganisation deutlich. So kritisierten Entwickler:innen in Gruppendiskussionen eine „Übersteuerung der Selbstorganisation“, die sie zum einen auf Probleme der Grenzregulation der Teams gegenüber Eingriffen von ,außen‘, d. h. ungeplanter Anforderungen und Anfragen seitens Kund:innen, Führungskräfte oder auch von teamexternen Kolleg:innen zurückführten. Dadurch kann der Workload unkontrolliert steigen, indem neue Projekte angenommen oder Aufgaben verteilt werden, ohne vorher die zeitlichen Kapazitäten der einzelnen Mitarbeitenden bzw. des Teams zu kennen. Dies kann mitunter zu Arbeitsintensivierung, Überlastung und Stress bei den Teammitgliedern führen. Die IT-Entwickler:innen nahmen diese Übersteuerung der Selbstorganisation als Einschränkung ihrer Autonomie und ihres Empowerments wahr, wenn sie zu wenig bzw. zu spät einbezogen und ihre teamintern verfügbaren zeitlichen wie personellen Kapazitäten unzureichend berücksichtigt wurden. Überdies wurde die Grenzregulation nach außen auch dadurch erschwert, dass – vor allem bei der parallelen Bearbeitung mehrerer und oft kürzerer Projekte – teaminterne Schwierigkeiten einer vorausschauenden Kapazitätsplanung auftraten.

Im Rahmen des FlexiGesA-Projekts wurden hierzu als Interventionsmaßnahme Legoboards zur besseren Visualisierung und Steuerung der Arbeitsauslastung in den IT-Entwicklungsteams entwickelt und in Teams, die unterschiedliche Typen der Projektarbeit charakterisierten, erprobt. Dabei handelte es sich um ein Team, das wenige und längere Projekte bearbeitete, und ein Multiprojektteam mit Projekten kürzer und mittlerer Laufzeit.

Durch das Anbringen eines Legoboards im gemeinsamen Büro wurde allen Teammitgliedern ermöglicht, ihre Auslastung in den zu bearbeitenden Projekten mittels Legosteinen zu veranschaulichen und durch Umstecken der Legosteine die Kapazitätsplanung zeitnah zu aktualisieren. Auf einer Zeitleiste von mehreren Monaten wurden die verplanten und freien Kapazitäten der Teammitglieder, des Gesamtteams und der einzelnen Projekte abgebildet. Es zeigte sich, dass insbesondere Multiprojektteams von der Übersicht über ihre zeitlichen Kapazitäten und den Auslastungsgrad der Teammitglieder profitierten. Die Anwendung der Legoboards bedeutete einen Zuwachs an strukturellem Empowerment, da die Multiprojektteams nun in die Lage versetzt wurden, eigene Kapazitätsgrenzen frühzeitig zu erkennen und diese auch im Rahmen der Grenzregulation bei externen Anfragen zu kommunizieren. Das Empowerment erstreckte sich vor allem auf die Steuerung der Arbeitsmenge. Das Legoboard bot ihnen eine Argumentationshilfe und Legitimationsgrundlage dafür, externe Projektanfragen zu verschieben oder im Einzelfall sogar abzusagen, wenn die Kapazitäten des Teams bzw. einzelner Mitarbeitenden mit spezifischer Fachexpertise bereits verplant waren. Das Legoboard stellte allerdings nur ein Hilfsmittel für die Selbstorganisation bereit. Die Teams waren im Rahmen der Grenzregulation gleichwohl gefordert, die teaminterne Auslastungssteuerung gegenüber internen wie externen Kooperationspartner:innen in Aushandlungsprozessen zu realisieren, etwa durch Argumentations- und Überzeugungsarbeit.

Die Legoboard-Anwendung förderte überdies das teaminterne Empowerment, da mithilfe der Legoboards zeitliche und qualifikatorische Interdependenzen multipler Projektbearbeitung leichter erkennbar wurden, sich frühzeitiger problematische Belastungssituationen des Teams und einzelner Mitglieder absehen ließen und erweiterte flexible Planungskapazitäten erschlossen werden konnten, etwa durch die Einbeziehung von Projektlebenszyklen, wie Zeiten für Akquisition und projektbezogene Servicetätigkeiten nach Projektende. Zudem konnten individuelle Urlaubs- und Weiterbildungszeiten und mögliche krankheitsbedingte Fehlzeiten bei der Kapazitätsplanung mit Legoboards nun besser berücksichtigt werden.

Die Coronapandemie bedeutete einen harten Einschnitt für die Fortführung der Kapazitätssteuerung mit Legoboards, da diese an den kopräsenten Austausch der Teammitglieder im Betrieb gebunden war. Als die IT-Entwicklungsarbeiten pandemiebedingt in das Homeoffice der Beschäftigten verlagert wurden, bedeutete dies zunächst, diese gesundheitsfördernde Intervention einzustellen.

Nachdem die Beschäftigten sich im Homeoffice eingerichtet hatten, entstand der Wunsch, wieder mit dem Legoboard zu arbeiten und es begann eine Phase, in der Alternativoptionen entwickelt und ausprobiert wurden. Vonseiten der Beschäftigten wurde u. a. versucht, eine digitale Onlineversion der Legoboards zu entwickeln. Auch gab es den Versuch, via Videokonferenz das Legoboard umzustecken, aber es wurde deutlich, dass das dauerpräsente Legoboard dadurch nicht ersetzt werden konnte. Mit Abklingen der Coronapandemie wurden neue, hybride Arbeitsmodelle entwickelt, in denen auch hybride Teammeetings mit Legoboards stattfanden. Hierbei erfuhr das Legoboard eine Renaissance. Das neue hybride Arbeitskonzept sieht keine festen Arbeitsplätze mehr vor, sondern setzt auf ein flexibles Raumbuchungssystem. In der Erprobung befinden sich nun Versuche, Räume zu bestimmten Zeitfenstern dauerhaft für Teams am Unternehmensstandort zu buchen, dort das Legoboard und Kameras zu installieren, sodass in hybriden Teammeetings das Legoboard gemeinsam aktualisiert werden kann. Inwiefern sich diese innovativen Lösungsansätze zur Stärkung des Gesundheitsressource des Empowerments als tragfähig erweisen, ließ sich gegen Ende des FlexiGesA-Projekts noch nicht abschließend beurteilen.

4.2 Veränderung der Gesundheitsressource sozialer Zugehörigkeit

Das ausgeprägte Erleben sozialer Zugehörigkeit und des starken betrieblichen Zusammenhalts wurde im Fallstudienbetrieb aus unterschiedlichen Quellen gespeist: Als bedeutsam erwies sich hierfür die Möglichkeit, flexibel, selbstorganisiert und relativ selbstbestimmt zu arbeiten. Dies entsprach weitgehend den Sinnansprüchen der Beschäftigten an ihre Arbeit und war mit einer hohen Arbeitszufriedenheit verbunden. Die erfahrene Arbeitsautonomie begünstigte das Erleben sozialer Verbundenheit mit dem Unternehmen (vgl. Deci und Ryan 2012).

Als eine zweite bedeutsame Quelle des Erlebens sozialer Zugehörigkeit erwies sich das ,agile Mindset‘ (vgl. Hofert 2018; Dweck 2017) als Bündel normativer Erwartungen an Beschäftigte, die sich auf ihre Arbeitshaltungen und Verhaltensdispositionen beziehen und die Selbstorganisation der Projektteams flankieren (vgl. Becke 2020). Diese normativen Erwartungen zielen auf eine arbeits- und organisationskulturelle Integration der Mitarbeitenden und auf eine hohe Identifikation mit dem agilen Arbeitskonzept. Als Kernelemente des agilen Mindsets gelten Lern-, Entwicklungs- und Veränderungsbereitschaft, Transparenz über Arbeitsprozesse und -ergebnisse herzustellen sowie die Bereitschaft zu Selbstreflexion und Feedback (vgl. Hofert 2018). Überdies wird von den Beschäftigten die Bereitschaft erwartet, IT-Lösungen in enger Kooperation mit Kund:innen zu entwickeln. IT-Entwickler:innen des Fallstudienbetriebs verweisen auf ein organisationskulturell erweitertes Verständnis des agilen Mindsets, das gegenseitige Fürsorge und Achtsamkeit auf das Wohlergehen der Teammitglieder einschließt. In den Gruppendiskussionen mit den IT-Beschäftigten wurde ihre hohe Identifikation mit diesem betriebsspezifisch geprägten agilen Mindset deutlich. Es wird von betrieblicher Seite dadurch gefördert, dass bei der Personalrekrutierung großer Wert auf die Passung neuer Mitarbeitender zur Organisationskultur des Unternehmens gelegt wird.

Das Unternehmen setzte vor der Coronapandemie auf eine Präsenzkultur, bei der der (informelle) kollegiale Austausch eine wichtige Basis für das Erleben sozialer Zugehörigkeit bildete. Hierbei fand auch ein enger Austausch über die Teamgrenzen hinaus statt, der von Beschäftigten sehr geschätzt wurde – als Quelle der Inspiration und Kreativität, als Möglichkeit wechselseitigen Lernens und persönlicher Weiterentwicklung sowie als Potenzial sozialer Unterstützung bei Herausforderungen des Arbeitsalltags. Ein wichtiger informeller betrieblicher Kommunikationsort war die Begegnung an der Kaffeemaschine.

Die Verlagerung der IT-Entwicklungsarbeit ins Homeoffice der Beschäftigten erweis sich aus Sicht der Beschäftigten als Beeinträchtigung des sozialen Zugehörigkeitsgefühls und bedeutsamer psycho-sozialer Belastungsfaktor (vgl. auch Keller et al. 2017). Von vielen Mitarbeitenden wurde der Verlust der sozialen Zugehörigkeit zum Kolleg:innenkreis als besonders einschneidende Veränderung erlebt, die durch die virtuellen Formate nicht ausgeglichen werden konnte. Damit wurde auch die große Bedeutung der räumlich kopräsenten Zusammenarbeit und des direkten Austauschs für Mitarbeitende deutlich. Die nonverbale Kommunikation erlebten die Beschäftigten in den digitalen Meetings als stark eingeschränkt, was zu Lasten des informellen Austauschs ging. Zudem fehlte auch der direkte Austausch im erweiterten Kolleg:innenkreis:

„Ja, genau diese Kaffeemaschinen-Kommunikation fehlt, also wir können viele Kollegen nicht mehr sehen oder unterhalten. Das bindet schon auch die, die Kollegen miteinander. Das ist schon ein soziales Verhalten. Also es fehlt, ich glaube, das wird bei allen fehlen, aber auf der anderen Seite von zu Hause zu arbeiten, ist ja… Sofort bist du am Computer und du musst nicht fahren unbedingt bis zur Firma… Ich habe schon vermisst, meine Kollegen, die nochmal zu sehen“ (Gruppendiskussion mit den IT-Entwickler:innen).

Zwar war es technisch möglich, sich auch digital während der Arbeit von Zuhause zu erreichen und auszutauschen. Dennoch wurde hier ein Unterschied in der Qualität des Austausches wahrgenommen: Die nun ausschließlich technisch vermittelte digitale Kommunikation bot weniger Gelegenheit zum spontanen Austausch als bei räumlich-zeitlicher Kopräsenz. Die digitalen Austauschformate waren stärker formalisiert und eher zweckgebunden. Die Teams als stabile soziale Arbeitseinheit und als bedeutsame Ressource sozialer Verbundenheit gerieten insbesondere zu Beginn der Coronapandemie stärker unter Druck. So waren krisenbedingte Auftragseinbußen aufzufangen; zugleich gestaltete sich die Projektakquisition ungleich schwieriger als zuvor. Dies erforderte mitunter einen krisenbedingten Wechsel von Teammitgliedern und stellte daher erhöhte Anforderungen an die Teamintegration. Gleichwohl bildeten die Projektteams im Rahmen der Umstellung auf das Arbeiten im Homeoffice für viele Beschäftigte nach wie vor eine Konstante und somit auch eine Bewältigungsressource in einer unsicheren Zeit. Die Unternehmensleitung unterstützte die Betriebsbindung von Beschäftigten vor allem durch flexible Kurzarbeitsregelungen, wodurch es gelang, Entlassungen vorzubeugen.

Dennoch reduzierte sich das Zugehörigkeitsgefühl zum Unternehmen und zu Kolleg:innen durch das nun beständige Arbeiten im Homeoffice. Vor allem die alleinstehenden Beschäftigten erlebten dies als Prozess der Vereinzelung bzw. sozialen Isolation. Als problematisch erwies sich aus Sicht der Beschäftigten, dass es mit Kolleg:innen, zu denen keine direkte Arbeitsbeziehung bestand, keine Berührungspunkte mehr gab:

„Die Leute […], ich sage mal der soziale Kleber, den finde ich schon relativ stark. Aber ist natürlich auch davon abhängig, dass man sich halt eben sieht und, das Problem ist ja nicht so, dass alle zuhause sind sozusagen und sich nur virtuell im Team sehen, sondern das fast komplett flöten geht“ (Quelle: Gruppendiskussion mit Führungskräften).

Während der Pandemie wurde die Relevanz der Zugehörigkeit für die Mitarbeitendenbindung deutlich:

„Also, die ganzen Unternehmen arbeiten virtuell. Das funktioniert auch tatsächlich besser als gedacht, und offensichtlich funktionieren auch Neueinstellungen irgendwie auf diese Weise. Und ja, wenn ich eh nicht da sein muss, wo der Arbeitgeber sitzt, dann kann ich mir vielleicht auch das eher danach aussuchen, dass es ein super-spannendes Projekt oder ein super-toll bezahlter Job ist oder beides oder was auch immer. Und dann muss man natürlich, müssen wir als [Unternehmen] natürlich dann gegen an und sagen ja, das sind unsere Projekte und wir sind, wir sind das Team. Und ja, das ist, glaube ich, ein bisschen schwieriger oder ein bisschen Herausforderungen, zumindest das irgendwie immer zu kriegen“ (Gruppendiskussion mit Führungskräften).

Die soziale Ressource der Zugehörigkeit schwächte sich in der Krise aus Sicht der Beschäftigten ab. Gerade diese Gesundheitsressource band Mitarbeitende an das Unternehmen und machte dessen besondere Attraktivität für die Mitarbeitenden aus. Durch die räumliche Distanzierung verlor diese Ressource an Stärke und Prägnanz. Insbesondere der informelle und teamübergreifende Austausch entfiel größtenteils. Während der Coronapandemie entschloss sich ein Teil der Beschäftigten zu anderen Unternehmen abzuwandern. Die erlebte Erosion der Zugehörigkeit hat offenbar eine qualitative Verschiebung der Mitarbeitendenbindung zur Folge: Während die sozio-emotionale Bindung durch das beständige Arbeiten im Homeoffice beeinträchtigt wurde, gewann bei einem Teil der Beschäftigten die stärker individuelle Kosten und Nutzen abwägende pragmatische Bindung an Bedeutung (vgl. Mayer und Allen 1997). Da das Unternehmen aus Sicht dieser Beschäftigten den Bindungsanker sozialer Zugehörigkeit eingebüßt hatte, orientierten sie sich stärker nach außen. Aufgrund der nun seit der Pandemie erweiterten Ortsunabhängigkeit des Arbeitens in der IT-Branche wurden alternative Arbeitgebende mit anderen Vorzügen, beispielsweise höhere Gehaltszahlungen, als vergleichsweise attraktiver wahrgenommen.

Das Unternehmen reagierte auf diese Entwicklung mit Maßnahmen zur Revitalisierung des Zugehörigkeitsgefühls. Hierfür wurde u. a. eine Arbeitsgruppe ins Leben gerufen, die sich mit der Unternehmensentwicklung beschäftigte. Für die Mitarbeitenden wurden die Selbstorganisation und das Empowerment gestärkt, indem sie sich in Arbeitsgruppen an der zukünftigen Entwicklung eines hybriden Arbeitsmodells und einer entsprechenden kooperationsförderlichen Raumgestaltung im Unternehmen beteiligen konnten. Zur Förderung des informellen und teamübergreifenden Austausches realisierten die Arbeitsgruppen neue Ideen: Eine digitale Kaffeepause, ein Chat-Roulette, bei dem randomisiert Kontakte für den digital gerahmten informellen Austausch zugewiesen werden, sowie das Hospitieren bei Kolleg:innen während Auftragslücken. Gegen Ende des FlexiGesA-Projekts bewirkten dieses Maßnahmenbündel und die umfassende Beteiligung der Beschäftigten an der Entwicklung des hybriden Arbeitsmodells eine Stabilisierung des Zugehörigkeitserlebens.

5 Fazit und Ausblick

Unsere empirischen Ergebnisse legen nahe, bei der Entwicklung neuer hybrider Arbeitskonzepte, bei denen IT-Beschäftigte im Wechsel zwischen Homeoffice, Betrieb bzw. in Kundenunternehmen arbeiten, die explizite Stärkung der Gesundheitsressourcen sozialer Zugehörigkeit und des Empowerments systematisch zu berücksichtigen.

Für Beschäftigte, so zeigt dieses betriebliche Fallbeispiel, hat das Erleben sozialer Zugehörigkeit einen zentralen Stellenwert als emotional bedeutsamer Bindungsanker. Soziale Zugehörigkeit gilt es daher gerade auch in hybriden Arbeitskonzepten zu fördern. Unsere Befunde deuten zudem darauf hin, dass die beiden Gesundheitsressourcen des Empowerments und der sozialen Zugehörigkeit nicht unabhängig voneinander sind. So kann ein verstärktes strukturelles Empowerment im Sinne einer Beteiligung an der Neuausrichtung des Unternehmens auch die Betriebsbindung von Beschäftigten stärken.

Für das Empowerment durch Selbstorganisation erweist sich in agilen Arbeitskonzepten eine weitreichende teambasierte Steuerung der Arbeits- und Personalkapazitäten und damit auch der Arbeitsmenge als hochgradig bedeutsam, um die Grenzregulation der Teams zu stärken und die Gesundheit der Beschäftigten zu erhalten. Mit Blick auf hybride Arbeitsformen sind entsprechende Ansätze zu entwickeln bzw. zu adaptieren, die es Entwicklungsteams ermöglichen, ihre Auslastungssituation zu erkennen und regelmäßig zu reflektieren, damit sie ihre Auftragsmenge auf individueller wie auf Teamebene im Sinne einer gesundheitsfördernden Grenzregulation steuern können. Die langfristige Tragfähigkeit solcher Ansätze erfordert unterstützende betriebliche Rahmenbedingungen, wie lernorientierte gesundheitssensible Führungs- und Arbeitskulturen.

Die Coronakrise hat gezeigt, wie wichtig der Erhalt von Gesundheitsressourcen ist. Im Rahmen einer gesundheitsfördernden Organisationsentwicklung sollte daher nicht nur auf die Identifizierung, Entwicklung und Stärkung, sondern auch auf die mögliche Beeinträchtigung und die Regeneration von Gesundheitsressourcen geachtet werden. Dadurch kann die Beschäftigungsfähigkeit von Mitarbeitenden auch in hybriden Arbeitskonzepte nachhaltig gestaltet werden (vgl. Bleses und Friemer 2022). Überdies sind gesundheitssensible flexible Arbeitsstrukturen von nicht zu unterschätzendem Wert für die Mitarbeitendenbindung.