Zusammenfassung
Die im Zuge der Coronapandemie erfolgten Kontakt- und Ausgangsbeschränkungen führten zu einer Konjunktur von Videochat-Plattformen. Dieser Beitrag nimmt die aktuelle Relevanz von Videochats zur Organisation des privaten und beruflichen Alltags in Online-Meetings zum Ausgangspunkt und widmet sich der Videochat-Plattform Zoom aus medienwissenschaftlicher Perspektive. Diskutiert werden sowohl die Zurichtungen und Reglementierungen des Privaten, die spezifisch sind für die durch Webchats installierten (Un-)Sichtbarkeitsregime, als auch die Videochat-spezifischen Routinen und medienpraktischen Spezifika, die unmittelbare Auswirkungen auf Formen der Gemeinschaftsbildung haben. Zudem aktualisiert die aktuelle Situation eine Medien- und Kulturfiktion des u. a. Philosophen und Vordenkers der Internetgesellschaft Paul Virilio, die nach einer zeitgemäßen Neubewertung verlangt. Die Prämisse des vorliegenden Beitrags ist dabei, dass unsere aktuelle Kultur als eine Medienkultur des Videochattens bezeichnet werden kann.
Schlüsselwörter
- Zoom
- Videochat
- Videokonferenz
- Webchat
- Home-Office
- Kulturtechnik
- Digitale Kultur
- Telepräsenz
- Social Distancing
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Teil eines eigenen Skripts eines Zoom-Meetings einer hier namentlich nicht genannten deutschsprachigen Arbeitsgruppe vom 15.04.2021. Das Skript ist anonymisiert, d. h. beispielsweise Personennamen wurden in „Kollege“ oder „Kollegin“ geändert.
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Eine ebenso metaphorische Verwendung vormals genuin georäumlicher Termini für das partizipative Beisammensein menschlicher Kommunikanten erhielt ich als Einladung via E-Mail zu einer Teamsitzung, in welcher ein „Zoom-Raum“ als „Treffpunkt“ bezeichnet wurde.
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Andere Studien stützen diese Daten durch Befragungen von Userinnen vgl. Nguyen et al. 2020.
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Diese Form der Vagheit über den Kreis von Empfängerinnen technisch in Echtzeit ausgesendeter Botschaften ließe sich medienhistorisch bis zum frühen analogen Rundfunk zurückführen. Nicht umhin eröffnete Albert Einstein seine Rede anlässlich der Eröffnung der Funkausstellung in Berlin am 22. August 1930, die zugleich live über Rundfunk ausgestrahlt wurde, mit der Begrüßung: „Verehrte An- und Abwesende!“
- 5.
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Ergebnis einer von mir durchgeführten, anonymisierten, nicht repräsentativen Befragung und von fortwährender Einschätzung der universitären Corona-Situation durch die Studierenden meiner Online-Seminare. Wo nicht anders angegeben, wertet dieses Kapitel Antworten der Befragung sowie die eigenen Angaben der Studierenden aus.
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Den Begriff der „synthetischen Situation“ für Zoom-Meetings entlehne ich Karin Knorr Cetina (2009). In Anschluss an den Soziologen Erving Goffman entwickelte sie dieses Konzept, welches den Interaktionsbegriff auch auf technisch-medial vermittelte Kommunikation ausweitet. Dies geschehe qua s. g. skopischer Medien, die sie als Technologien versteht, die distanzierte Ereignisse und Handlungen audiovisuell wahrnehmbar machen.
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Zu diesem letzten Punkt in Bezug auf Videochats siehe insb. Mondada 2010.
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Ebenda kommentiert Virilio: „Wir leben in einer geradezu paradoxen Kultur: Alles kommt an, ohne daß es abreisen, geschweige denn sich von der Stelle bewegen müßte.“ (S. 343).
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Ich danke Maren Schuster und Carolin Merx für Literaturhinweise. Ebenso gilt mein Dank den Studierenden meiner Videochat-Seminare, die mir auf Nachfrage fortwährend ihre damit einhergehenden Erfahrungen, Eindrücke, Medienpraktiken und Routinen schildern und reflektieren. Nicht zuletzt gilt mein Dank zwei anonymen Reviewern, die maßgeblich halfen, die Argumentation dieses Papers zu verbessern.
Literatur
Bailenson JN (2021) Nonverbal overload: a theoretical argument for the causes of Zoom fatigue. TMB 2(1):1–6
Faulstich W (1997) ‚Jetzt geht die Welt zugrunde …‘: ‚Kulturschocks‘ und Medien-Geschichte: Vom antiken Theater bis zu Multimedia. In: Ludes P, Werner A (Hrsg) Multimedia-Kommunikation. Theorien, Trends und Praxis. Springer VS, Wiesbaden, S 13–35
von Foerster H (1981) Observing systems. Intersystems Publications, Seaside
Foucault M (1971) L’Ordre du Discours. Gallimard, Paris
Goffman E (1981) Forms of talk. Basil Blackwell, Oxford
Iqbal M (2020) Zoom revenue and usage statistics. Business of apps. https://www.businessofapps.com/data/zoom-statistics/. Zugegriffen am 15.05.2021
Jandrić P et al (2020) Teaching in the age of Covid-19. Postdigit Sci Educ 2(3):1069–1230
Knorr Cetina K (2009) The synthetic situation: interactionism for a global world. Symb Interact 32(1):61–87
Latour B (1996) Trains of thought: piaget, formalism, and the fifth dimension. Common Knowl 6(3):170–191
Luhmann N (1997) Die Kunst der Gesellschaft. Suhrkamp, Frankfurt am Main
Maye H (2010) Was ist eine Kulturtechnik? Zeitschrift für Medien- und Kulturforschung 1:121–135
McLuhan M (1995 [1964]) Die magischen Kanäle. Understanding Media. Verlag der Kunst, Dresden/Basel
McLuhan M, Fiore Q (2014 [1967]) Das Medium ist die Massage. Ein Inventar medialer Effekte. Tropen, Stuttgart
Mondada L (2010) Eröffnung und Prä-Eröffnung in medienvermittelter Interaktion: Das Beispiel Videokonferenzen. In: Lorenza M, Schmitt R (Hrsg) Situationseröffnungen. Zur multimodalen Herstellung fokussierter Interaktion. Narr, Tübingen, S 277–334
Negroponte N (1998) Beyond digital. Wired. https://www.wired.com/1998/12/negroponte-55. Zugegriffen am 09.04.2021
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O’Brien W, Yazdani Aliabadi F (2020) Does telecommuting save energy? A critical review of quantitative atudies and their research methods. Energy Build 225(10):1–15
Ong D, Moors T, Sivarama V (2014) Comparison of the energy, carbon and time costs of videoconferencing and in-person meetings. Comput Commun 50:86–94
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Virilio P (1990) Das dritte Intervall. Ein kritischer Übergang. In: Decker E, Weibel P (Hrsg) Vom Verschwinden der Ferne. Telekommunikation und Kunst. DuMont, Köln, S 335–346
Virilio P (1996) Das dritte Intervall. In ders.: Fluchtgeschwindigkeit. Carl Hanser, München/Wien, S 19–36
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Borbach, C. (2022). Medienanthropologie: Videochat-Kultur – Corona, Zoom und Paul Virilios „Terminal-Bürger“. In: Klimczak, P., Newiak, D., Petersen, C. (eds) Corona und die anderen Wissenschaften. ars digitalis. Springer Vieweg, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-36903-3_1
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