Zusammenfassung
Im Zuge der letzten Weltwirtschaftskrise ist die Wirtschaftswissenschaft stark in die Kritik geraten. Von allen Seiten regen sich vehemente Zweifel an ihren führenden Ansätzen und ihrer gesellschaftlichen Position als (akademischer) Reflexionsinstanz der Wirtschaft. Mehr noch: Ihr wird die Verantwortung für den Crash übertragen – sei es als Komplizin, sei es als Verursacherin. Der Grund für diese Anschuldigung ist in der Pragmatik der Wirtschaftswissenschaft zu suchen: Wie jede moderne Wissenschaft beschreibt sie ihren Gegenstand nicht nur, sondern gestaltet ihn maßgeblich mit – durch Definitionen, Zusammenhangsbehauptungen, Berechnungsverfahren, Politikberatung, Entscheidungshilfen, Algorithmen, Erfolgskriterien usw.
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Notes
- 1.
Für einen Überblick siehe Pahl (2011) und die Diskussion in Pahl und Sparsam (2013a). Es gibt zahlreiche Stimmen, welche diese Kritik auf „überzogene Erwartungen“ an die Disziplin zurückführen (Köllmann 2010, S. 112).
- 2.
Ich benutze diese von Anderson (1979; vgl. kritisch Elbe 2008) etablierte Bezeichnung lediglich zur Abgrenzung gegen jedweden ‚Partei-‘ und ‚Weltanschauungsmarxismus‘.
- 3.
Ich verwende beide Bezeichnungen synonym. Deckungsgleich sind ebenfalls die in der Debatte gängigen Namen Soziologie ökonomischen Denkens und Sociology of Economics.
- 4.
Für jüngere Beiträge aus dem deutschsprachigen Raum siehe Maeße et al. (2017).
- 5.
Man könnte deswegen genauso gut danach fragen, welchen Beitrag die Soziologie der Wirtschaftswissenschaft zum Verständnis der kapitalistischen Produktionsweise leistet.
- 6.
Siehe dazu in aller Ausführlichkeit Müller (1992).
- 7.
Diese Heteronomie der Wissenschaft bei Marx rekonstruiert Rosenberg (1974).
- 8.
Marx äußert diese Kritik im Zuge seiner Auseinandersetzung mit Proudhon.
- 9.
Die gravierenden Unterschiede in der Marx-Rezeption und in den normativen Auffassungen der im Folgenden dargestellten Ansätze können aus Platzgründen nicht behandelt werden.
- 10.
Vergleichbar kritisiert Sohn-Rethel in seiner Dissertation (2012[1936], S. 71), dass sich die Grenznutzentheorie nur mit „Gedankendingen“ beschäftige, aber nicht mit der empirischen Realität einer Volkswirtschaft.
- 11.
Der an Lukács (z. B. 1970[1923], S. 213–215) anschließende ‚Webermarxismus‘ identifiziert die ‚formale‘ Rationalität der modernen Wissenschaft – verkörpert in Logik, Mathematik, Kausalität, theoretischen Systemen usw. – als eine Art ‚Super-Ideologie‘ kapitalistischer Verhältnisse. In der „Dialektik der Aufklärung“ etwa konstatieren Max Horkheimer und Theodor W. Adorno (2004[1944], S. 31), die moderne Wissenschaft setze „Denken und Mathematik in eins“. Laut Herbert Marcuse (2004[1941], S. 306) greift die der Maschinerie entspringende „instrumentalistische Vorstellung technologischer Rationalität fast auf den gesamten Bereich des Denkens“ über. Dieses Verständnis führt zu einer prinzipiellen Kritik am Wesen der Wissenschaft, die nicht mehr genauer zwischen den unterschiedlichen Gehalten wissenschaftlicher Disziplinen unterscheiden muss.
- 12.
Zu dieser Diagnose siehe Wingens (1998, S. 29).
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Sparsam, J. (2022). Zur Soziologie der Wirtschaftswissenschaften. In: Der Einfluss der Wirtschaftswissenschaft auf Wirtschaftspolitik und Ökonomie. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-36857-9_3
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Publisher Name: Springer VS, Wiesbaden
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