Das demokratische Ideal der politischen Gleichheit setzt normativ eine gleichmäßige Repräsentation aller Bürgerinnen und Bürger voraus. „Allerdings klafft (…) zwischen dem Ziel politischer Gleichheit und ihrer tatsächlichen Realisierung eine große Lücke“ (Dahl 2006: 11). Diese manifestiert sich in Form eines sozialen Ungleichgewichtes der politisch Beteiligten, das sich zuungunsten ressourcenschwächerer Personengruppen ausformt. Empirisch unbestreitbar, ist die theoretische Verbindung von sozialen und politischen Merkmalen längst nicht derart eindeutig. Vor diesem Hintergrund hat sich diese Arbeit der Ergründung von Faktoren gewidmet, die ursächlich für eine sozial verzerrte Inanspruchnahme politischer Teilhaberechte verantwortlich sind. Im Forschungsfokus steht das soziale Kapital, das aus einer Netzwerkperspektive heraus theoretisiert und mit sozialstrukturellen sowie rationalen Handlungstheorien verknüpft wurde. Mit Blick auf die strukturelle Sozialkapitalkomponente wurde folgende Forschungsfrage entwickelt: Inwieweit erklärt die Einbindung in formelle und informelle soziale Netzwerke die differenzielle politische Beteiligung sozioökonomischer Statusgruppen? Um den Wert politisch relevanten Sozialkapitals abzuschätzen, wurden verschiedene Hypothesen mit Bezug auf quantitative (e. g. Anzahl, Größe) und qualitative Elemente (e. g. Mitgliedschaftsstatus, Vereinstyp, Reichweite und soziale Zusammensetzung) formeller und informeller Beziehungskonstellationen formuliert. Die Zielvorstellung dieser Arbeit bestand ausdrücklich sowohl in der statistischen Bestätigung als auch in der theoretischen Begründung jener Zusammenhänge.

Zur Testung der theoretischen Annahmen wurde ein quantitatives Messinstrument konzipiert, das unter anderem eine modifizierte Methode zur Erfassung egozentrierter Netzwerke beinhaltet. Als Untersuchungseinheiten wurden zwei Stadtteile ausgewählt, deren Populationen im Mittel die größtmögliche Varianz hinsichtlich der interessierenden Variablen aufweisen. Für die Beteiligung an der Bundestagswahl 2013 konnte die größte Divergenz stadtteilbezogener Wahlbeteiligungsquoten in der Stadt Köln zwischen den Vierteln Hahnwald (88,7 %) und Chorweiler (42,5 %) identifiziert werden, die analog beträchtliche sozialstrukturelle Ungleichheiten aufweisen. Dieser kleinräumige Analyserahmen konvergierte mit der Perspektive, dass sich relevante Informationen über soziale wie politische Eingebundenheiten erst unter Bezugnahme auf das sozialräumliche Umfeld gewinnen lassen. Im Zuge der schriftlich durchgeführten Befragung konnten 314 auswertbare Fälle generiert werden, die sich mit Anteilen von 142 (Hahnwald) und 172 Befragten (Chorweiler) auf die jeweiligen Wohnräume verteilen. Auf Basis des geringen Stichprobenumfangs war eine Gegenüberstellung der Stadtteile mit inferenzstatistischen Methoden nicht durchführbar. Als Konsequenz der datenbezogenen Einschränkungen konzentrierte sich die empirische Analyse zunächst ausschließlich auf die Individualebene und prüfte die Funktion politisch relevanten Sozialkapitals als Erklärungsmechanismus einer ressourcenabhängigen Partizipation (Untersuchungsmodelle 1 und 2). Daraufhin wurden sozialräumliche Bedingungen der sozialen und politischen Teilhabe anhand beschreibender Methoden abgeschätzt (Untersuchungsmodell 3).

Im Folgenden werden die Ergebnisse der Hypothesentests zusammenfassend präsentiert, der Mehrwert theoretisch begründeter Erklärungsstrategien beurteilt und eine Beantwortung der Forschungsfrage angestrebt (vgl. Abschnitt 6.1). Daran anschließend werden Grenzen dieser Untersuchung diskutiert und Anschlusspunkte für weitere Forschungsvorhaben sowie gesellschaftspolitische Maßnahmen dargelegt (vgl. Abschnitt 6.2, 6.3).

6.1 Zusammenfassung der Ergebnisse und Beantwortung der Forschungsfrage

Als gedankliche Steigerung des Matthäus-Effektes formulierte diese Untersuchung soziale Erfolge, die sich auf Basis sozioökonomischer Ressourcen konstituieren und weiterhin politische Erfolge nach sich ziehen. Diese Verknüpfungen bildeten die Ausgangslage für die untersuchungsleitenden Thesen der Individualzusammenhänge (T1 und T2), welche um eine sozialräumliche Komponente ergänzt wurden (T3). Die Ergebnisse der empirischen Analyse werden im Folgenden zusammenfassend und mit Bezug auf die Forschungsfrage dargestellt.

In einem ersten Schritt konnte ein Einfluss sozialer Statusvariablen auf die individuelle Vernetzung nachgewiesen werden, gleichwohl die Hypothesen in Abhängigkeit der jeweils wirkmächtigen Ressource nur in Teilen zu bestätigen waren (T1). So wurde für die formellen Netzwerkstrukturen und die geografische Reichweite ein gestalterischer Einfluss des Einkommens belegt, wohingegen die Größe und Homophilie informeller Netzwerke substanziell über die Formalbildung beeinflusst wurden. Auch die theoretische Verknüpfung von Ressourcen und Netzwerkelementen ist nur mit Abstrichen gelungen. Obgleich sich mitunter deutliche Varianzen zwischen den Statusgruppen offenbarten, kam den einzelnen Erklärungsfaktoren auf multivariatem Niveau keine außerordentliche Erklärungskraft zu. Einen besonderen Stellenwert nahm indes die Integration in den eigenen Stadtteil ein, die weitestgehend ressourcenunabhängig agiert und mit der bindenden Variante sozialen Kapitals konvergiert. Darüber hinaus deuten die empirischen Befunde eine Verbindung zwischen Sozialkapitalqualität und sozialen Merkmalen an, wobei ressourcenschwächere Personen vorwiegend bindendes Sozialkapital akkumulieren (e. g. keine oder exklusive Vereine, viele Verwandte, geringe Reichweite) und statushöhere Personengruppen gleichfalls über die brückenbildende Form verfügen. Letztere wurde als erfolgsversprechender für die politische Teilhabe charakterisiert.

Diese wurde in einem zweiten Schritt fokussiert, wobei differierende Beteiligungsniveaus in Abhängigkeit der individuellen Netzwerkeinbindung aufgezeigt werden konnten (T2). Die Hypothesen waren derweil einzig für die quantitativen Netzwerkelemente sowie den Mitgliedschaftsstatus zu bestätigen, wohingegen für die übrigen qualitativen Merkmale allenfalls tendenzielle Aussagen abzuleiten waren. Politisierende Wirkungen sozialer Netzwerke entfalteten sich primär über die Kultivierung ziviler Fähigkeiten sowie persönliche Rekrutierungen und partiell über die Informationsvielfalt. Hinsichtlich des Vertrauens zeigten sich mehrheitlich schwache Effekte, die dessen zentraler Position in Putnams Konzept widersprechen. Mit Verweis auf die Heterogenität politischer Beteiligung ist anzunehmen, dass ein basales Vertrauen in politische Institutionen vor allem tradierte und ein grundlegendes Misstrauen eher protestorientierte Beteiligungsformen begünstigt. Zwar wurde dies im Rahmen der Untersuchung nicht abschließend bestätigt, jedoch wird die Formulierung unterschiedlicher Erklärungsstrategien für unterschiedliche Teilhabeformate ausdrücklich befürwortet. Angesichts der geringen Effekte qualitativer Aspekte sind ferner kaum fundierte Aussagen über die politischen Wirkungen einer unterschiedlichen Sozialkapitalqualität abzuleiten. Wohl aber deutet sich ein positiver Zusammenhang zwischen brückenbildendem Sozialkapital und politischem Engagement an (e. g. zivilgesellschaftliche Vereine, Reichweite und soziale Zusammensetzung).

Im dritten Schritt konnten sozialräumliche Untersuchungen relevante Unterschiede hinsichtlich der sozialen Vernetzung und des politischen Partizipationsverhaltens zwischen Hahnwald und Chorweiler aufzeigen, die nicht in Gänze auf die individuelle Ausstattung mit sozioökonomischen Ressourcen zurückzuführen sind (T3). Überraschend offenbarten sich die größten Partizipationsdifferenzen hinsichtlich tradierter und etablierter Formen, was klassischen Befunden über die soziale Schieflage politischer Teilhabe maßgeblich entgegensteht. Aufgrund des deskriptiven Verfahrens waren die Hypothesen zwar formal nicht zu bestätigen, jedoch legen die Ergebnisse nahe, dass der soziale Kontext in Abhängigkeit seiner soziokulturellen Komposition Wirkungen auf die Anwohnerschaft entfaltet. Diesbezüglich wurde argumentiert, dass objektive wie subjektiv wahrgenommene Gebietszustände spezifische Lebenswelten und soziale Kulturen schaffen, die Verhalten und Einstellungen aufgrund der sozialräumlichen Nähe und geteilten Erfahrungskontexten überindividuell habitualisieren. Als Schlüsselressource für den unterschiedlichen Umgang mit Kollektivgutproblematiken wurde die spezifische Ausstattung der Stadtteile mit sozialem Kapital identifiziert. In Anbetracht einer starken Stadtteilintegration wurde Hahnwald ein hohes Maß an bindendem Sozialkapital zugesprochen, welches jedoch zusätzlich Brücken nach außen schlägt und darüber auch externe Effekte hervorruft. In Analogie zu Putnams Italienstudie wurde Hahnwald mit den nördlichen und partizipativen Regionen charakterisiert, wohingegen Chorweiler jene süditalienischen Provinzen abbildet, denen mit Sozialkapital gleichsam die Grundlage für effektives kollektives Handeln mangelt.

Anknüpfend an die statistischen Ergebnisse ist nun die Forschungsfrage dieser Arbeit zu beantworten. Wie angenommen ist für diese Stichprobe eine formative Wirkung sozialen Kapitals auf die politische Partizipation nachzuweisen. Soziale Netzwerke sozialisieren in hohem Maße partizipationsrelevante Fähigkeiten und Werte, die den Grundstein für kollektives Handeln legen. Da die strukturelle Ausgestaltung dieser Netzwerke wesentlich durch soziale Statusvariablen geprägt ist, bilden diese in der Tat einen missing link zwischen statusbedingten Ressourcen und politischer Teilhabe. Oder anders ausgedrückt: Der empirisch vielfach bestätigte und theoretisch defizitäre Zusammenhang zwischen Ressourcen und Partizipation wird zu einem nicht unerheblichen Teil über sozialkapitalrelevante Elemente formeller und informeller Natur erklärt (r Status Partizipation. Mitgliedschaften Netzwerkgröße = ,127). Damit bestimmen nicht die Ressourcen selbst die politische Beteiligung einer Person, sondern erst deren Überführung in Sozialkapital.

Betreffs des sozialen Kapitals bestätigen sich damit einerseits Bourdieus Ausführungen um die Notwendigkeit einer gewissen ökonomischen und kulturellen Grundausstattung zum Aufbau der sozialen Form. Andererseits ermöglichen erst Putnams konzeptuelle Modifikationen eine Übertragung der gruppeninternen Vorteile auf öffentliche Interessen wie der politischen Teilhabe. Hinsichtlich der politischen Ungleichheit lässt dies den wenig hoffnungsvollen Schluss zu, dass sich gesellschaftliche und politische Strukturen stets reproduzieren und die aktuelle Situation ohne zusätzliches Kapital kaum veränderbar scheint. Gleichsam deutet die sozialräumliche Untersuchung eine Determiniertheit sozialen Kapitals von interindividuellen Prozessen an, demnach die Sozialkapitalproduktion ohne spezifische (soziale) Rahmenbedingungen, wie dem durchschnittlichen sozioökonomischen Status im Wohngebiet, prekär erscheint. Schlussendlich lassen sich die (1) individuellen und (2) kontextuellen Ergebnisse dieser Untersuchung wie folgt pointieren:

(1):

Angestellte weisen eine höhere soziale und politische Teilhabe auf als Arbeiterinnen und Arbeiter.

(2.a):

Angestellte aus Hahnwald weisen eine höhere soziale und politische Teilhabe auf als Angestellte aus Chorweiler.

(2.b):

Arbeiterinnen und Arbeiter aus Hahnwald weisen eine höhere soziale und politische Teilhabe auf als Arbeiterinnen und Arbeiter aus Chorweiler.

Abschließend ist darauf hinzuweisen, dass sozialräumliche Strukturen, wie dargelegt, nicht vollständig auf eine sozioökonomische Existenz zu reduzieren sind, sondern auf einer höheren Aggregatebene zusätzliche Faktoren die soziale wie politische Teilhabe tangieren. In Übereinstimmung zu Putnams einleitendem Zitat scheinen diese Mechanismen in benachteiligten Wohngebieten aber nur selten zu greifen. Auf unterstützende Maßnahmen zum Aufbau stadtteilspezifischen Sozialkapitals ist in Abschnitt 6.3 einzugehen. Zuvor wird auf Grenzen dieser Arbeit verwiesen, die insbesondere methodische Aspekte berühren.

6.2 Grenzen und Forschungsbedarf

Eine grundlegende Errungenschaft dieser Untersuchung besteht in der Einbindung informeller Netzwerke in eine schriftliche Mehrthemenbefragung, wozu ein eigenes Messinstrument konstruiert wurde. Entsprechend sinnvoll erscheint es, abschließend die Vorzüge, aber auch die Grenzen und Forschungsbedarfe dieser Methode abzuwägen. Daraufhin werden weitere Aspekte dieser Untersuchung kritisch begutachtet.

Im Bereich der Netzwerkgröße offenbarten sich zunächst Schwierigkeiten mit dem dritten Namensgenerator, der durchschnittlich weitaus weniger Beziehungen ermittelte als aufgrund des alltäglichen Bezugs zu erwarten war (Hilfe bei praktischen Arbeiten). Für dieses Phänomen kommen grundsätzlich zwei Erklärungen infrage. Zum einen wurde der gesamte Fragekomplex von einigen Befragten als überaus zeitintensiv geschildert, weshalb eine gesunkene Motivation bei dieser letzten Teilfrage zu bilanzieren ist. Zum anderen ist auf die uneindeutige Formulierung des Stimulus zu verweisen, der auf sehr unterschiedliche Tätigkeiten abzielt. Obgleich der Pretest keine Probleme mit diesem Item anzeigte, können derartige Unklarheiten zu einer Unterschätzung des Teilnetzwerkes geführt haben. Da rund 40 % der Befragten niemanden bei dieser Frage benennen, sind in jedem Fall grundlegende Probleme mit diesem Stimulus indiziert. Ob nun aber ein Ausschluss oder eine Reformulierung des Indikators zu einer adäquateren Messung der Netzwerkgröße verhilft, ist über weitere qualitative Testungen zu ermitteln. Davon abgesehen hat sich die Erhebung der Netzwerkpersonen über verschiedene Stimuli als zielführend erwiesen. Trotz der vergleichsweise hohen Komplexität hat die Fragekonstruktion nicht zu drastischen Ausfällen geführt und auch die simultane Erfassung starker und schwacher Beziehungskonstellationen ist wie erhofft gelungen.

Zur Sammlung qualitativer Netzwerkmerkmale wurden indes Namensinterpretatoren eingesetzt und erwogen, dass fünf Alteri als Proxys für das egozentrierte Netzwerk fungieren können. Dieser Fokus ist letztlich als nicht ausreichend zu bewerten, um das Gesamtnetzwerk angemessen zu repräsentieren. Verschärft wurde diese Problematik durch den Auswahlmodus der Alteri, der emotional nahestehende Personen begünstigte. Informationen über diese Alteri sollten Ego zwar besonders gut verfügbar sein, weshalb sie als weitestgehend valide einzustufen sind, jedoch konnten schwächere Beziehungskonstellationen auf dieser Grundlage nicht abschließend beurteilt werden. So bleibt in Bezug auf die geografische Reichweite und die soziale Zusammensetzung etwa offen, ob die mehrheitlich schwachen Zusammenhänge auf fehlende Verknüpfungen oder aber die Messung zurückzuführen sind. An dieser Stelle manifestiert sich der klassische Zielkonflikt zwischen Aufwand und Ertrag. Da Informationsvielfalt in der Regel mit Motivationsverlusten einhergeht, ist es unter den gleichen Untersuchungsbedingungen nicht angeraten, mehr Informationen über eine größere Anzahl an Alteri zu generieren. Zur Steigerung des analytischen Mehrwertes lassen sich aus dieser Arbeit jedoch zwei grundsätzliche Empfehlungen für weitere Forschungsvorhaben ableiten. Zum einen erscheint in Abhängigkeit der Untersuchungsziele eine Reduktion der erfassten Informationen sinnvoll, sodass für gegebenenfalls mehr Alteri weniger Details erfragt werden. Zum anderen ist eine Anpassung des Auswahlsystems erforderlich, um starke und schwache Beziehungen paritätisch interpretieren zu können. Ungeachtet dieser Einschränkungen ist insgesamt zu resümieren, dass sich das Instrument zur Erfassung informeller Netzwerkstrukturen bewährt hat. Diese Arbeit demonstriert, dass egozentrierte Netzwerke auch in schriftlichen Befragungen zweckmäßig und nutzbringend erhoben werden können und leistet damit einen Beitrag zur dringend erforderlichen Weiterentwicklung konkreter Methoden. Grundlegend konnte eine Relevanz informeller Beziehungskonstellationen belegt werden, die im Weiteren mittels groß angelegter Studien zu bestätigen ist.

Im Bereich formeller Netzwerke sind unterdessen Mängel rund um die Skalenbildungen der Vereinsformen zu bekunden, die aber nicht die eigentliche Fragekonstruktion tangieren. Einerseits war eine Typenbildung auf Grundlage empirischer Argumente nicht umzusetzen, sodass diese plausibilitätsgeleitet erfolgen musste. Andererseits gestaltete sich die geringe Gesamtzahl an Vereinsmitgliedern problematisch, die zudem häufig in mehreren Vereinen vertreten waren. Unter der Bedingung, die Fallzahlen nicht zu weit herabzusetzen, war eine disjunkte Typenbildung schließlich nicht realisierbar. Infolgedessen sind die entsprechenden Ergebnisse nicht als valide zu betrachten, sondern lassen sowohl deutliche Unter- als auch Überschätzungen möglich erscheinen. Es bleibt zu vermuten, dass sich solche Skalenproblematiken in größeren Stichproben vermeiden lassen und folglich auch die politikrelevanten Wirkungen differenter Vereinstypen sichtbarer werden. Da sich im Allgemeinen vielversprechende Tendenzen auftaten, wird ausdrücklich empfohlen, den Forschungsfokus auch künftig nicht nur auf das Niveau, sondern verstärkt auch auf die Art der institutionalisierten Teilhabe zu legen.

Demgegenüber sind die teils geringen Effekte der theoretischen Erklärungsfaktoren vornehmlich auf Schwächen in der Operationalisierung zurückzuführen. Im politischen Bereich ist die Informationsthese durch den Bezug auf konkrete Aktivitäten letztlich als zu spezifisch und die Rekrutierungsthese, die Einladungen zu sämtlichen Beteiligungsformen und Zeitpunkten summiert, im Gegenzug als zu unspezifisch zu werten. Netzwerkbezogene Erklärungsfaktoren basieren hingegen überwiegend auf Mittelwertindizes, die Zustimmungen zu allgemeinen Äußerungen beinhalten und insgesamt nur eine begrenzte Aussagekraft besitzen (z. B. Trubel). Gleichwohl lassen sich verschiedene Argumente ableiten, die den Stellenwert dieser Merkmale rechtfertigen und grundsätzlich eine stärkere theoretische Fokussierung vergleichbarer empirischer Studien herausfordern. Eine sorgfältige Operationalisierung scheint unter den dargelegten Gesichtspunkten jedoch zwingend erforderlich.

Bedauerlich sind indes datenbezogene Einschränkungen, die sich trotz gewissenhafter Planung und Durchführung der Erhebung in Form einer geringen Stichprobengröße manifestierten. Diese wurde letztlich als unzureichend für eine inferenzstatistische Gegenüberstellung der Stadtteile gewertet. Die alternativen Methoden lassen jedoch wenigstens Deutungen darüber zu, dass in den Stadtteilen ähnliche Mechanismen zwischen Ressourcen, Netzwerken und Partizipation wirksam werden. Aufgrund der Positionierung der Stadtteile als Extremfälle können diese als relativ allgemeingültige und somit potenziell generalisierbare Muster interpretiert werden. Zur Ableitung statistisch haltbarer Aussagen ist aber eine Ausweitung des Untersuchungsgegenstandes auf mehrere Fälle und eine größere Grundgesamtheit notwendig. Trotz fehlender statistischer Bestätigung hat der kleinräumige Fokus aufschlussreiche Einblicke in lokale Eigenheiten und sozialräumliche Bedingungen eröffnet, die in der persönlichen Vorabauseinandersetzung um Informationen über lebensweltliche Situationen und aktuelle Bedarfslagen ergänzt wurden. Insgesamt betont diese Arbeit ausdrücklich den Mehrwert kleinräumiger Betrachtungen und einer intensiven und explizit auch subjektiven Beschäftigung mit dem Untersuchungsgegenstand. Der Fokus auf statistische Großeinheiten ist in vielen Fällen unzureichend und verschleiert den Blick für die tatsächlich handelnden Menschen in ihren spezifischen Kontexten.

Angesichts der nachfolgenden Schlussbetrachtung, die unter anderem Anschlusspunkte für gesellschaftspolitische Maßnahmen auf Basis der sozialräumlichen Erkenntnisgewinne erörtert, ist zuletzt auf die geringe Bildungsvarianz dieser Stichprobe zu verweisen. Insbesondere den Befragten aus Chorweiler ist im Vergleich zur Gesamtpopulation eine überdurchschnittlich hohe Formalbildung zu attestieren. Dieser Befund ist für schriftliche Befragungen zwar nicht unerwartet, fungiert aber als Indikator dafür, dass die Stichprobenauswahl das Stadtbild nicht optimal repräsentiert. In diesem Sinne ist zu mutmaßen, dass auch ihre soziale wie politische Partizipation im Mittel sogar noch überschätzt wurde und die abgeleiteten Zusammenhänge in der Realität noch ausgeprägter sein könnten.

6.3 Schlussbetrachtung

Das Ziel dieser Arbeit bestand in der Ermittlung von Bestimmungsfaktoren politischer Partizipation, um auf dieser Grundlage die differenzielle Beteiligung sozioökonomischer Statusgruppen zu erklären. Die Untersuchung reproduziert zunächst die klassische Positivverknüpfung von statusbedingten Ressourcen und politischer Teilhabe, akzentuiert im weiteren Verlauf jedoch die Relevanz sozialer Netzwerke zur Erklärung dieser Verbindung. Zusammengefasst sind ressourcenreichere Personen in günstigere Netzwerkkonstellationen eingebettet, die eine politische Aktivität erkennbar stimulieren, wobei informellen Beziehungen ein besonderes Politisierungspotenzial zuzuschreiben ist. Die politische Beteiligung wird somit maßgeblich über das individuelle Vermögen an sozialem Kapital bestimmt.

Die Diskussion um das soziale Kapital wurde schließlich anhand des Vergleiches zweier Stadtteile fortgeführt, die als relevante Bezugsrahmen sozialer Austausch- und Lernprozesse sowohl dessen Entstehung als auch Nutzung prägen. Auf der einen Seite hat sich in Hahnwald eine beteiligungsfreundliche Kultur entwickelt, die intersubjektive Kooperation über soziale Normen gewährleistet. Auf der anderen Seite gestaltet sich die Situation in Chorweiler, das Merkmale eines sozial benachteiligten Wohnviertels aufweist, durchaus prekär. Allgemeine Unzufriedenheiten, aktuelle Unsicherheiten und Enttäuschungen manifestieren sich in einer sozialen Apathie, sodass mangelndes Sozialkapital eine politische Teilhabe in Form klassischer Kollektivgutproblematiken weitestgehend blockiert. Maßnahmen zur Durchsetzung kooperationsrelevanter Normen in benachteiligten Stadtteilen bestehen nun grundsätzlich in der Etablierung stabiler Netzwerke, in der Präsenz positiver Vorbilder oder aber in der Anwendung externer Sanktionen und normativer Regelungen. Eine sanktionsfähige Lenkung konstituiert etwa die Einführung einer Wahlpflicht. Diese Überlegung tangiert wesentlich den Befund, dass die soziale Ungleichverteilung politischer Partizipation in dieser Untersuchung am größten hinsichtlich tradierter Beteiligungsformen ausfällt. Da eine Wahlpflicht aber ihrerseits Probleme aufwirft und zudem kaum zu einer umfassenden und intrinsisch aktiven Bürgerbeteiligung anregt, wird dieses Argument hier nicht weiter vertieft. Stattdessen soll die Existenz stabiler Netzwerke und Rollenvorbilder in strukturschwachen Wohngebieten diskutiert werden.

Bezogen auf den Bestand sozialer Netzwerke betont Coleman ausdrücklich die Vorteile dauerhafter sozialer Strukturen zum Aufbau und Erhalt sozialkapitalrelevanter Beziehungen. Dem entgegenstehend wurde nun aber ein zunehmender Bedeutungsverlust etablierter institutioneller Eingebundenheiten formuliert, vor dessen Hintergrund ehemals identitätsstiftende Bindungen wie machtpolitische Steuerungsmöglichkeiten an Relevanz verlieren (u. a. Gewerkschaften, Kirchen). Wie gezeigt werden konnte, sind einige soziale Gruppen besser in der Lage als andere, auf die sich verändernden Bedingungen zu reagieren. Während sie neuartige informelle Gruppenbildungen forcieren, spitzt sich die soziale Isolation anderer Bevölkerungsgruppen weiter zu. Infolge des verminderten Sozialkapitals können auch dessen Multiplikatoreffekte auf andere Kapitalien nicht hinreichend genutzt werden, sodass sich längerfristig eine ernstzunehmende Abwärtsspirale herausbildet. So resultieren aus sozialen Benachteiligungen negative Erfahrungen, die sich in sozialer und politischer Passivität äußern und vice versa. Zur Herstellung von (politischer) Parität ist es folglich notwendig, dieses System negativer Rückkopplungen aufzubrechen. Eine aktuelle Brisanz erhalten diese Entwicklungen zusätzlich durch neuere rechtspopulistische Bewegungen, welche die Suche nach Identifikations- und politischen Ausdrucksmöglichkeiten der sogenannten Modernisierungsverliererinnen und -verlierer für ihre Zwecke instrumentalisieren. Doch trägt die Hervorhebung von Feindbildern und gesellschaftlichen Konfliktlinien kaum zu einer dauerhaften, brückenbildenden und inklusiven sozialen Einbindung bei. Basierend auf der Brüchigkeit etablierter Netzwerke und der Schwierigkeit, selbständig neue Strukturen zu schaffen, die gleichermaßen identitätsstiftend wie sozialkapitalrelevant sind, erscheint es erforderlich, im sozialen Umfeld selbst günstige Bedingungen zur Produktion sozialen Kapitals zu implementieren und kollektives Handeln von außen anzustoßen.

Vorteilhafte Voraussetzungen können sich beispielsweise in Form positiver Rollenvorbilder konstituieren. Jedoch beziehen sich Rollenmodelle in Wohngebieten in der Regel auf allgemeine Gebietseigenschaften wie die Arbeitslosenquote, die Sozialhilferate oder den Anteil höherer Berufe und sind demnach in benachteiligten Stadtteilen naturgemäß wenig positiv geformt. Die sozialräumliche Nähe zu ähnlich Benachteiligten verstärkt vielmehr die subjektive Wahrnehmung, von der Mainstream-Gesellschaft ausgeschlossen zu sein. Übereinstimmend berichteten mehrere Betroffene, sich allein gelassen zu fühlen und den Eindruck zu haben, dass sich für sie ohnehin nichts zum Besseren verändert (vgl. Abschnitt 4.5.3). Ein primäres Ziel externer Eingriffe muss daher in der Reduzierung jener negativen Empfindungen liegen, welche negative Rückkopplungsmechanismen in Gang setzen. Zum einen müssen politische Lokalvertretungen aktiv in den Prozess eingreifen und besser zugeschnittene Anreizstrukturen aufbauen. Wie sich gezeigt hat, tragen Flyer, Informationsstände oder ähnliches nicht wesentlich zur Entwicklung sozialen oder politischen Interesses bei. Zum anderen bedarf es kommunikativer Austauschprozesse, die den Anwohnenden vermitteln, dass ihren Bedürfnissen und Meinungen Aufmerksamkeit zuteilwird und sich kollektives Handeln durchaus lohnen kann. Auch in der politischen Sphäre ist dahingehend zu sensibilisieren, die Artikulation des politischen Willens als reale Chance und nicht als vernachlässigbare Pflicht zu begreifen. Dazu sind allerdings zuverlässige, glaubwürdige, bedarfsgerechte und möglichst niedrigschwellige institutionelle Arrangements erforderlich. Zentral erscheint somit der Aufbau sozialer Praktiken, in denen die Beteiligten Anerkennung erfahren, eine öffentliche Sichtbarkeit erzielen und positive Erfahrungen im Umgang mit kooperativem Handeln machen. Vormals über tradierte gesellschaftspolitische Institutionen gewährleistet, werden nun verstärkt informelle Gruppenbildungen zur Stärkung des (politischen) Selbstvertrauens notwendig.

Ein elementarer Schritt zum Aufbau solcher informellen Beziehungen besteht zunächst in der Bereitstellung institutioneller Angebote im Privat- und Freizeitbereich. Jene, im besten Fall nicht kostenintensiven, Arrangements erweitern den sozialen Möglichkeitsraum und erleichtern es, mit anderen Menschen spontan und unverbindlich in Kontakt zu treten. Jedoch impliziert die alleinige Verfügbarkeit an Anreizstrukturen noch nicht deren tatsächliche Nutzung und auch eine intakte und aktive Gemeinschaft ist längst kein zwingendes Resultat. In jedem Fall erscheint es in diesem Zusammenhang nicht ausreichend, unreflektiert monetäre Mittel für Freizeitarrangements, nutzbare Freiräume oder öffentliche Programme zur Verfügung zu stellen. Vielmehr ist auch hier eine gezielte Aktivierungspolitik notwendig, welche die tatsächlichen Bedarfe der Anwohnenden im direkten Austausch erörtert und entsprechend berücksichtigt. Darüber hinaus erscheint es sinnvoll, vorhandene Sozialkapitalstrukturen zu ermitteln und zielgerichtet auf diesen Bestand aufzubauen. Da Sozialkapital schlussendlich als Nebenprodukt sozialer Interaktionen erzeugt wird, sollten sich gesellschaftspolitische Zielsetzungen weniger an messbaren Ergebnisvorstellungen orientieren, sondern den Fokus auf kulturelle Gemeinschaften, kooperative Zusammenarbeit und geteilte Interessenlagen legen. In dem Sinne können partizipative Teilhabemöglichkeiten im Stadtteil den Grundstein für solidarische Austauschbeziehungen legen.

Alles zusammengenommen betont diese Arbeit die Rückführung der politischen Inaktivität ressourcenschwacher Personengruppen auf ihr limitiertes Sozialkapitalvermögen, wodurch kollektives Handeln generell unwahrscheinlich wird. Um der politischen Ungleichheit sozialer Statusgruppen entgegenzuwirken, ist demnach an der Stellschraube Sozialkapital zu drehen. Und Sozialkapital aufbauen bedeutet soziale Netzwerke aufbauen.