Basierend auf der Konzeptualisierung sozialer Netzwerke als Bindeglied einer statusabhängigen Partizipation wurden im vorherigen Kapitel Hypothesen um die soziale und politische Einbindung abgeleitet. Zur statistischen Überprüfung dieser Annahmen werden nun Daten benötigt, die die zentralen Konstrukte angemessen abbilden. Bislang existieren jedoch kaum kleinräumige Erhebungen, die sämtliche spezifizierten Forschungsbestandteile einbinden, wobei insbesondere informelle Netzwerkstrukturen häufig nur unzureichend behandelt werden. Da bereits vorhandene Daten insgesamt als unvollständig oder zu ungenau für eine sekundärstatistische Untersuchung bewertet werden, wird im Folgenden eine Primärerhebung angestrebt. Infolgedessen widmet sich dieses Kapitel der Darlegung des empirischen Forschungsdesigns, welches die Auswahl der Untersuchungseinheiten sowie deren Begründung, die Methode der Datenerhebung und die Entwicklung des Messinstrumentes umfasst (vgl. Abschnitte 4.1, 4.2, 4.3). Geschlossen wird dieser Teil mit praktischen Informationen, der Feldphase und einem Überblick über zentrale datenanalytische Aspekte (vgl. Abschnitte 4.4, 4.5, 4.6).

4.1 Der Untersuchungsgegenstand

Nachkommend erfolgt zunächst eine begründete Auswahl der empirischen Untersuchungseinheiten, welche daraufhin auf Basis amtlicher Statistiken und lebensweltlicher Hintergründe skizziert werden. Dieser Abschnitt dient folglich nicht nur der Darstellung, sondern auch der persönlichen Annäherung an die ausgewählten Stadtteile und ist in diesem Sinne gleichfalls als explorative Vorphase für die Entwicklung des Messinstrumentes zu werten.

4.1.1 Auswahl der Untersuchungseinheiten

Die Auswahl der Untersuchungseinheiten korrespondiert mit einer Forschungslücke in der politischen Partizipationsforschung, die durch einen Mangel an kleinräumigen Untersuchungen bedingt ist. Wie in Abschnitt 3.3.3 dargelegt, konzentriert sich das Gros empirischer Studien auf den Ländervergleich, den nationalen Kontext oder die Ebene von Großstädten. Durch diesen Fokus wird vernachlässigt, dass die politische Teilhabe bereits in deutlich kleineren Kontexten, wie innerhalb einer Stadt, erheblich differieren kann. Um solche innerstädtischen Unterschiede abbilden zu können, werden in dieser Untersuchung Stadtteile als zentrale Untersuchungseinheiten gewählt. Stadtteile bilden geografisch klar abgrenzbare Einheiten innerhalb eines größeren Kontextes, die einerseits groß genug sind, um Unterschiede infolge sozialer Segregationsprozesse widerzuspiegeln, andererseits jedoch klein genug bleiben, um sozialräumliche Besonderheiten angemessen erfassen zu können. Die Bestimmung der einzelnen Fälle stützt sich im Weiteren auf eine Studie der Bertelsmann Stiftung zur Bundestagswahl 2013, in der nicht nur Städte, sondern insbesondere auch Stimmbezirke und eben Stadtteile in den Mittelpunkt gerückt werden (vgl. Schäfer et al. 2013). Der Bezug auf die Beteiligung an Wahlen stellt auch aus sachlicher Perspektive ein geeignetes Auswahlkriterium dar. Da diese Beteiligungsform von einem relativ breiten Teil der Bevölkerung genutzt wird, kann die nachfolgende Auswahl nach vergleichsweise objektiven Kriterien erfolgen (vgl. Abschnitt 2.1.3). In der Bertelsmann-Studie wurden nun Informationen über 640 Stimmbezirke sowie 1.004 Stadtteile aus 28 Großstädten der Bundesrepublik gesammelt und deren Wahlbeteiligung jeweils mit statistischen Indikatoren wie der Arbeitslosenquote oder der Kaufkraft verknüpft. Auf dieser Basis lassen sich schließlich empirisch haltbare Aussagen über Sozialräume mit einer hohen respektive niedrigen Wahlbeteiligung ableiten. Zusammengefasst ist die durchschnittliche Wahlbeteiligung in allen untersuchten Einheiten erwartungsgetreu hoch mit dem jeweiligen sozialen Status verbunden, demnach sich sozioökonomisch starke Gebiete durch eine hohe Beteiligungsquote auszeichnen und vice versa (vgl. Schäfer et al. 2013: 9–13).

Während sich die in dieser Untersuchung postulierten Individualzusammenhänge bereits anhand eines einzelnen Stadtteils überprüfen lassen, sind potenzielle Kontexteffekte nur mittels eines Vergleichs aufzudecken. Um sozialräumliche Besonderheiten und deren Einflüsse auf das individuelle Partizipationsverhalten sichtbar zu machen, sollten die Untersuchungseinheiten Variationen in den interessierenden Eigenschaften aufweisen. Unter dieser Prämisse werden im Folgenden zwei Stadtteile auf der Basis von Unterschieden ausgewählt. Die Bestimmung der Stadtteile erfolgt damit als positive Fallauswahl, wobei methodisch dem most similar systems design gefolgt wird. Nach dieser Auswahlmethode werden Fälle herangezogen, die sich „in Bezug auf die interessierende unabhängige und abhängige Variable unterscheiden, sich aber bezüglich möglicher Drittvariablen sehr ähnlich sind“ (Bernauer et al. 2015: 102 f.; vgl. Jahn 2006: 175; Jansen 1999: 49; Przeworski/Teune 1970). Die notwendige Varianz wird durch die Bezugnahme auf elektorale Beteiligungsraten als Selektionskriterium gewährleistet (abhängige Variable), mit denen, wie dargelegt, sozioökonomische Differenzen assoziiert sind (unabhängige Variablen). Um die äußeren Rahmenbedingungen weitestgehend konstant zu halten, werden Stadtteile aus derselben Großstadt ausgewählt, die entsprechend dasselbe politische System, dasselbe Wirtschaftssystem sowie vergleichbare Bildungsinstitutionen (u. a.) aufweisen. Da die externe Varianz folglich gering ist, dürfen etwaige Veränderungen der abhängigen Variable auf herangezogene Erklärungsfaktoren zurückgeführt werden. Darüber hinaus wird die experimentelle Varianz durch das Heranziehen zweier Extremfälle – Stadtteile, die in den relevanten Eigenschaften größtmöglich variieren – maximal vergrößert. Begründet werden kann dieses Vorgehen zum einen mit der voraussichtlich höheren Sichtbarkeit sozialer Kontexteffekte, zum anderen darf mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit von allgemeinen Mustern ausgegangen werden, sofern sich die vermuteten Individualeffekte in beiden Extremfällen nachweisen lassen. Eine Übertragbarkeit auf weniger extreme Fälle erscheint auf dieser Grundlage denkbar.

Bezugnehmend auf die Daten der Bertelsmann-Studie werden zur Bestimmung der Extremfälle nun die Stadtteilwahlbeteiligungen der untersuchten Großstädte verglichen. Tabelle 4.1 gibt einen Überblick über die durchschnittliche Wahlbeteiligung einer Stadt sowie über deren jeweils höchste und niedrigste Stadtteilwahlbeteiligung. In Bezug auf die Beteiligungsraten sind zunächst durchaus Variationen zwischen den einzelnen Städten zu erkennen, wobei Aachen (78,7 %) und Magdeburg (63,7 %) die größten Unterschiede zum gesamtdeutschen Durchschnitt (71,5 %) verzeichnen. Allerdings sind die Abweichungen von 7,2 beziehungsweise 7,8 Prozentpunkten allenfalls als moderat einzustufen.

Tabelle 4.1 Wahlbeteiligungsquoten in deutschen Großstädten (Bundestagswahl 2013)

Des Weiteren offenbart sich ein Zusammenhang zwischen Einwohnerzahl und städtischer Wahlbeteiligung, die sich mit steigender Bevölkerungszahl zunehmend dem Bundesdurchschnitt annähert. Im Gegensatz zu den weniger bevölkerungsreichen Städten Aachen und Magdeburg weicht die Wahlbeteiligung in den vier größten Städte kaum mehr vom nationalen Durchschnitt ab (Berlin: 72,5 %; Hamburg: 70,3 %; München: 71,2 %; Köln: 72,5 %). Dieser Befund entspricht dem in Abschnitt 3.3.3 dargelegten empirischen Argument, demnach die Varianz mit der Größe der herangezogenen Einheiten sinkt. Mit Blick auf die einzelnen Stadtteile wird diese Tendenz ungleich deutlicher, denn hinter den Durchschnittswerten einer Stadt verbergen sich mitunter beachtliche Unterschiede. Beispielsweise bewegt sich die durchschnittliche Wahlbeteiligung in Hamburg innerhalb einer Spannweite von 53,3 % (Rothenburgsort) und 86,9 % (Lemsahl-Mellingstedt). Basierend auf diesen Erkenntnissen wird nun für jede Stadt die Differenz zwischen der höchsten und der niedrigsten Stadtteilwahlbeteiligung berechnet und die Ergebnisse in eine Rangfolge gebracht (vgl. Tabelle 4.2). In dieser Listung rangiert die Stadt Köln mit einer Beteiligungsdifferenz von 46,2 Prozentpunkten mit beachtlichem Abstand auf dem vordersten Platz. Demnach ist Köln durch eine sehr hohe interne Heterogenität charakterisiert, die durch die durchschnittliche Wahlbeteiligung verschleiert wird.

Tabelle 4.2 Rangfolge der Stadtteilwahlbeteiligungsdifferenzen in deutschen Großstädten (Bundestagswahl 2013)

Einschränkend ist an dieser Stelle auf die zum Teil sehr unterschiedliche Anzahl der herangezogenen Stadtteile beziehungsweise Bezirke zu verweisen. Sofern diese Differenzen lediglich auf der Größe der Städte beruhen, sind sie aufgrund maximal möglicher Zergliederungen unproblematisch. In einigen Städten wären jedoch theoretisch kleinteiligere Analysen möglich, die in der Praxis aufgrund datenbezogener Einschränkungen nicht umgesetzt werden konnten. Da eben diese Aufteilung in kleinere Bezirke besagte innerstädtische Varianz erhöht, ist auf dieser Basis tatsächlich kein abschließendes Urteil über die größten Beteiligungsunterschiede zu fällen. Ein Vergleich der einwohnerstärksten Städte verdeutlicht die Problematik einer ungleichen Datenbasis. Während für München lediglich 25 und für Berlin sogar nur 12 Bezirke herangezogen werden konnten, gingen für Köln (86) und Hamburg (103) deutlich mehr Stadtteile in die Analyse ein; entsprechend größer fallen dort die Beteiligungsunterschiede aus. Davon abgesehen belegt aber ein Vergleich der Städte mit ähnlicher Datenbasis (z. B. Hamburg, Düsseldorf), dass die Tendenz einer verzerrten Wahl in Köln besonders stark ausgeprägt ist. Damit scheint die Bestimmung dieser Stadt als Untersuchungsgegenstand durchaus zielführend für die Bearbeitung der Fragestellungen zu sein. Hinter den Beteiligungsquoten verbergen sich die Kölner Stadtteile Hahnwald (88,7 %) und Chorweiler (42,5 %), deren sozialstrukturelle Merkmale im nachfolgenden Abschnitt illustriert werden.

4.1.2 Sozialstruktureller Kontext

Als Untersuchungsobjekte wurden mit Köln-Hahnwald und Köln-Chorweiler zwei Stadtteile ausgewählt, deren Bewohnerinnen und Bewohner mindestens im elektoralen Bereich ein sehr differenzielles politisches Partizipationsverhalten aufweisen.Footnote 1 Inwieweit diese Unterschiede mit sozialstrukturellen Verschiedenheiten einhergehen, soll an dieser Stelle anhand eines Überblicks über stadtteilbezogene statistische Kennzahlen objektiv beurteilt werden.Footnote 2

Der Stadtteil Hahnwald liegt im Südwesten von Köln und gehört dem Stadtbezirk Rodenkirchen an (vgl. Abbildung 4.1). Auf einer Fläche von 2,99 km2 leben insgesamt 2.065 Menschen, die sich auf rund 900 Haushalte verteilen. Die Anwohnenden beschreiben ihren Stadtteil selbst als eines der exklusivsten Villenviertel Deutschlands, in dem normative Bauanweisungen beispielsweise die Mindestgröße eines Grundstückes auf 2.000 m2 festlegen (vgl. IG Hahnwald o. J.).

Abbildung 4.1
figure 1

(Quelle: Stadt Köln 2017a: 2)

Geografische Lage der Stadtteile Hahnwald und Chorweiler

Demgegenüber ist Chorweiler im Kölner Norden im gleichnamigen Stadtbezirk Chorweiler angesiedelt. In diesem Stadtteil leben 13.324 Personen in rund 5.200 Haushalten auf einer Fläche von 1,92 km2. Damit beläuft sich die Bevölkerungsdichte auf annähernd 7.000 Personen/km2, wohingegen in Hahnwald nur etwa 700 Personen einen Quadratkilometer bewohnen. Aufgrund der hohen Bevölkerungsdichte sowie des hohen Anteils an Sozialbauwohnungen gleicht Chorweiler in typischer Weise dem Bild einer Großsiedlung (vgl. Kurtenbach 2017: 95). Tatsächlich werden in diesem Stadtteil 71,1 % der Mietwohnungen öffentlich gefördert, woran eine verbreitete soziale Benachteiligung abzulesen ist (Hahnwald: 0 %). Diese Kennwerte spiegeln sich in den Raten stadtteilbezogener Arbeitslosigkeit wider. Während die Arbeitslosenquote in Hahnwald nur bei 1,6 % liegt, gehen in Chorweiler 17 % der erwerbsfähigen Personen zwischen 15 und 65 Jahren keiner erwerbsmäßigen Beschäftigung nach. Diese Quote fällt damit mehr als doppelt so hoch aus wie der Kölner Gesamtdurchschnitt (8,1 %). Ein besonderes Problem dieses Stadtteils stellt überdies die hohe Jugendarbeitslosigkeit dar (10,8 %; Köln Gesamt: 5,3 %).

Analog zu den vorherigen Kennzahlen differiert auch die formale Bildung erheblich zwischen den beiden Stadtteilen. In Hahnwald weist rund die Hälfte der Haushalte mindestens das (Fach-)Abitur auf (47,6 %), wohingegen dieser Anteil in Chorweiler lediglich bei 15,9 % liegt und damit geringer ausfällt als der Anteil der Haushalte ohne Schulabschluss (17,7 %). Die Bildung dient der Forschungsgruppe um Schäfer neben weiteren Sozialindikatoren wie der Kaufkraft und der Arbeitslosigkeit ferner als Grundlage für eine milieubezogene Einordnung der Stadtteile. Alles zusammengenommen weisen sie 96,3 % der Haushalte aus Hahnwald ökonomisch stärkeren Milieus (Konservativ-Etablierte, Liberal-Intellektuelle und Performer) und 81,6 % der Haushalte aus Chorweiler ökonomisch schwächeren Milieus (Hedonisten, Prekäre und Traditionelle) zu (vgl. Schäfer et al. 2013: 133). Tatsächlich gehören in Chorweiler „rund zwei Drittel der Haushalte allein dem Einzelmilieu der Hedonisten an, die Mehrzahl der sonstigen Milieus ist hier inexistent“ (ebd.: 129). Charakteristisch für Chorweiler ist darüber hinaus eine hohe ethnisch-kulturelle Durchmischung der Bevölkerung, die sich im Jahr 2017 aus 94 unterschiedlichen Nationalitäten zusammensetzt. Dabei weisen 80,9 % der Anwohnenden einen Migrationshintergrund auf (Hahnwald: 23,3 %) und der Ausländeranteil beläuft sich auf 40,3 % (Hahnwald: 12,1 %; vgl. Stadt Köln 2017a: 22).

Der Überblick über die wesentlichen statistischen Kennzahlen spiegelt die Prozesse der sozialen Segregation in der Stadt Köln anschaulich wider. Entsprechend der theoretischen Erwartungen sind die ausgewählten Stadtteile durch hohe sozioökonomische Unterschiede gekennzeichnet, die ihren Ausdruck in einer extrem ungleichen Wahlbeteiligung finden. Insgesamt können mit den Daten amtlicher Statistiken zwar objektive Gegebenheiten erfasst werden, woraus jedoch noch keine Aussagen über subjektive Empfindungen und persönliche Erfahrungen der Menschen abzuleiten sind (vgl. Kurtenbach 2017: 101). Jene lebensweltlichen Bezüge sind daher im Folgenden zu zentrieren.

4.1.3 Lebensweltlicher Kontext

Jenseits objektiver Durchschnittswerte existieren zwischen Wohngebieten und den zugehörigen Personen in der Regel weitere Unterschiede, die subjektive Erfahrungen und somit das tatsächliche Leben und Wohnen in einem Stadtteil umschließen. Zwecks Annäherung an jene lebensweltlichen Rahmenbedingungen wurden diverse Gebietserkundungen und Beobachtungen vorgenommen sowie Gespräche und Diskussionen mit Anwohnenden und Stadtteilkundigen geführt. Denn ein Zugang zum Denken, Handeln und zu kulturellen Eigenheiten ist erst durch einen intensiven Kontakt zu erreichen (vgl. Girtler 2001: 54). Die Ergebnisse der persönlichen Kontaktaufnahme offerieren schließlich subjektive Erkenntnisse über den Untersuchungsgegenstand, die in die anschließende Phase der Datenerhebung und deren Vorbereitung einfließen. Diese Form der Auseinandersetzung gleicht daher einer explorativen Voruntersuchung, die mit der Vorgabe einer möglichst offenen, vorurteilsfreien und beobachtenden Herangehensweise verknüpft ist.

Hahnwald

Im Stadtteil Hahnwald wurde am 12.08.2015 eine erste Gebietserkundung vorgenommen. Erwartungsgetreu erwies sich der Stadtteil zum einen als sehr weitläufig, woran die geringe Bevölkerungsdichte und die großzügig bemessenen Grundstücke Anteil haben. Zum anderen erweckten die unmittelbare Nähe zum naturgeschützten Forstbotanischen Garten sowie zahlreiche ausgedehnte Gartenanlagen den Eindruck eines grünen und naturnahen Stadtteils. Neben Doppelhäusern, die optisch zum Teil wie Einzelhäuser wirkenFootnote 3, ist das Gebiet geprägt durch ausladende Anwesen, die verschiedene architektonische Besonderheiten aufweisen. Ergänzt wird das Erscheinungsbild des Stadtteils durch eine ordentliche, gepflegte und zudem ruhige Umgebung, in der wenigstens tagsüber sehr wenig Straßenverkehr und Lärm vorherrscht. Im Weiteren ist Hahnwald als reine Wohnanlage konzipiert, sodass vor Ort keinerlei Geschäfte, Schulen, Kirchen, freizeitbezogene oder sonstige institutionelle Einrichtungen vorzufinden sind. Somit muss sowohl für die berufliche Tätigkeit als auch private alltägliche Anliegen der Stadtteil verlassen werden. Auch sonst waren zum Zeitpunkt der Begehung nur wenige Menschen außerhalb ihres Grundstücks anzutreffen, sodass sich eine Kontaktaufnahme entsprechend schwierig gestaltete. Augenfällig war überdies das hohe Sicherheitsbedürfnis vieler Anwohnenden, das durch den präsenten privaten Sicherheitsdienst pointiert wurde. Nichtsdestotrotz überwog bei dieser Begehung ein dörflich-gediegener Gesamteindruck.

Gelegenheiten zur persönlichen Kontaktaufnahme ergaben sich schließlich bei dem Besuch des ansässigen Sommerfestes (22.08.2015). Mit der Intention, über die Methode der teilnehmenden Beobachtung Verhalten und Interaktionen in ungekünstelten Situationen zu erfassen, wurden die Teilnehmenden zunächst unspezifisch beobachtet und schließlich offen und direkt mit ihnen interagiert (vgl. Legewie 1995). Nach anfänglicher Distanz konnte mit Hilfe einer Schlüsselperson der Kontakt zu verschiedenen Gruppierungen aufgenommen werden, wobei sich die meisten Anwesenden aufgeschlossen, interessiert und kommunikativ zeigten. Im Verlauf mehrerer Gespräche wurde unter anderem beschrieben, wie jene Personen aufgrund ihres Wohnortes unter Klischees und Vorurteilen zu leiden haben. Die Befürchtung, im Kölner Raum als „überhebliche Reiche“ wahrgenommen zu werden, wurde artikuliert und gleichzeitig nachdrücklich das Gegenteil betont. Leider gebe es von außen selten Versuche, diese Vorurteile zu überprüfen und möglicherweise abzubauen. Der Stadtteil selbst wurde mehrheitlich als „schöner Ort zum Leben“ geschildert, der „perfekt für Kinder“ sei und sich insgesamt durch eine „ruhige Wohnatmosphäre“ wie eine „sympathische Nachbarschaft“ auszeichne. Indes war jedoch von Beginn an eine räumliche Trennung der Teilnehmenden zu beobachten, die sich in zwei Großgruppen manifestierte. Nicht nur räumlich, sondern auch optisch schienen sich Zugezogene und Alteingesessene zumindest stückweise voneinander abzugrenzen. In diesem Zusammenhang berichtete ein Ehepaar, das sich erst kürzlich in Hahnwald niedergelassen hat, von einer relativ schwierigen Anschlussfähigkeit, die das „Knüpfen neuer Kontakte“ kompliziere. Diese Tatsache wird mutmaßlich mitbedingt durch das Fehlen institutioneller Arrangements, sodass das Leben entweder im Privaten oder in einem anderen Stadtteil stattfindet. Der Großteil der Personen sprach sich jedoch überwiegend positiv über diesen Sachverhalt aus, da Supermärkte, Kioske oder Lokale das Gesamtbild des Wohngebietes beeinträchtigen würden. Ebenso wenig wurden weitere infrastrukturelle Anbindungen, die aktuell aus einer Busverbindung bestehen, als notwendig erachtet. Nach Offenlegung der eigentlichen Motive des Besuches sowie einer Skizzierung des Forschungsinteresses, zeigten sich viele Personen interessiert an dem Untersuchungsvorhaben und äußerten sich neugierig bis geschmeichelt darüber, dass ihr Stadtteil für eine Studie ausgewählt wurde. Auf Basis dieser Erkenntnisse scheint eine Motivierung der Zielpersonen zur kooperativen Teilnahme an der Befragung nicht unmöglich.

Insgesamt erweckte der Stadtteil einen sehr wertbeständigen, gut strukturierten und situierten sowie zum Teil dörflichen Eindruck. Die Menschen aus Hahnwald kennen sich zwar untereinander, nehmen neue Personen aber offensichtlich nicht immer direkt in ihren Kreis auf. Gänzlich fremde Personen werden zudem zunächst mit Distanz, Skepsis oder sogar Argwohn betrachtet, wie ebenfalls aus einigen Gesprächen zu schließen war.

Chorweiler

Dem Stadtteil Chorweiler wurde sich ebenfalls zunächst über Gebietserkundungen genähert (28.08.2015), wobei ein wesentliches Ziel darin bestand, die Realität mit dem medial vermittelten Bild eines sozialen Brennpunktes abzugleichen. Auf den ersten Blick wird das Stadtbild tatsächlich von großen Wohnanlagen, einem Einkaufszentrum und grau-gelbem Beton dominiert. Dieser Eindruck wird jedoch durch eine weitläufige Parkanlage, die sich nur wenige Gehminuten vom Zentrum entfernt erstreckt, teilweise enthärtet.Footnote 4 Darüber hinaus wirkt das Zentrum durch die großen Wohnanlagen zwar eintönig und insgesamt etwas abgenutzt, jedoch sind die Straßen und öffentlichen Plätze nicht auffallend schmutzig oder derangiert, wie es aufgrund zahlreicher Darstellungen zu erwarten war. Der Stadtteil zeichnet sich des Weiteren dadurch aus, dass alles Notwendige unmittelbar vor Ort verfügbar ist (u. a. Supermärkte, Bekleidungsgeschäfte, Arztpraxen, Kirchen), infolgedessen der vergleichsweise weite Weg in die Kölner Innenstadt oder in umliegende Stadtteile nicht (häufig) unternommen werden muss. Ungeachtet der Parkanlage scheint der zentrale Liverpooler Platz jedoch auch an einem Sommertag Dreh- und Angelpunkt des sozialen Lebens zu sein. Viele Menschen sitzen am oder spazieren über den Platz und halten sich am nahegelegenen Einkaufszentrum auf. Dabei verhalten sie sich weder freundlich noch unfreundlich, aber distanziert, sodass erste Kontaktversuche weitestgehend ergebnislos verliefen. Da somit insgesamt kein intensiver Kontakt aufgebaut werden konnte, wurde ein anderer Weg gewählt, sich dem Untersuchungsgegenstand anzunähern: „Wenn ich etwas wissen will über einen bestimmten Ortsteil oder eine Siedlung, so frage ich kompetente Leute danach“ (Girtler 2001: 32).

In einem offenen Gespräch berichtete ein Mitarbeiter der Sozialraumkoordination Chorweiler am 23.09.2015 unter anderem von den Menschen, ihren Bedarfen und den Problemen des Stadtteils. Ein wichtiges Anliegen war ihm zunächst die Abschwächung der, teils medial, verbreiteten Vorurteile über den Stadtteil. Tatsächlich sei Chorweiler „ein schöner Ort zum Leben mit schnellem Zugang zu ländlichen Gebieten“, wobei auch die Kriminalität kein derart großes Problem sei wie häufig dargestellt. Mit Blick auf das „verschlissene Stadtbild“ wurden zum einen unklare Zuständigkeiten zwischen Stadt, Wohnungsunternehmen und anderen Institutionen identifiziert, zum anderen würden die Anwohnenden selbst nur wenig Interesse an verschönernden oder aufwertenden Maßnahmen aufbringen. Beispielhaft wurde hier die Umgestaltung des Daches des Einkaufszentrums als private Nutz- und Freizeitfläche genannt, wobei sich weniger die Installation der notwendigen Geräte als vielmehr deren Instandhaltung als problematisch erwiesen. Da sich schließlich niemand verantwortlich fühlte, sei dieses Gelände nunmehr dermaßen verwahrlost, dass „man dort problemlos eine Folge The Walking Dead drehen könnte. Überall nur verrostete und überwucherte Spielanlagen“. Auch der Großteil der Wohnhäuser sei in einem schlechten Zustand, wobei viele der Menschen akute Mängel nicht ansprechen oder sich sogar gegen deren Ausbesserung aussprechen. Primär seien die Befürchtungen, die Wohnungen wären nach den Sanierungsarbeiten „zu nobel“ und „die Mieten entsprechend zu hoch“, für jene Entwicklungen verantwortlich. Die Ansicht, „nichts Gutes ohne Gegenleistung oder negative Folgen“ (z. B. Wohnungskündigung) zu erhalten, sei weit verbreitet, sodass die Lage inzwischen sehr festgefahren ist. Dieser Stillstand werde im Weiteren durch die Tatsache verstärkt, dass sich die Menschen einander weitestgehend fremd sind. Obwohl es in diesem Stadtteil allgemein nur wenig Fluktuationen gibt, kenne kaum jemand andere Personen aus der direkten Nachbarschaft. Mitbedingt durch die unterschiedlichen Nationalitäten und den zum Teil enormen Verständigungsproblemen, verhindere diese Form der Isolation das Entstehen eines Gemeinschaftsgefühls sowie wechselseitige Kooperation und Koordination. Überdies fühlten sich die Menschen aus Chorweiler nicht nur untereinander isoliert, sondern auch vom weiteren Kölner Raum ausgeschlossen. Zum einen aufgrund der objektiven Entfernung zum Stadtzentrum, zum anderen aufgrund subjektiver Wahrnehmungen. Im direkten Zusammenhang mit dem Untersuchungsvorhaben wurde ferner eine mehrheitliche politische Inaktivität in Chorweiler beschrieben. Das politische Interesse sei nur schwach ausgeprägt und politische Aktivitäten überaus selten. Daran anknüpfend stelle auch die Motivierung der Zielpersonen zu einer Teilnahme an der Untersuchung eine große Herausforderung dar. Insgesamt vermittelte dieses Gespräch erste Eindrücke über den Stadtteil und wichtige Hinweise über den Untersuchungsgegenstand. Einschränkend basieren diese Einblicke aber überwiegend auf einer außenperspektivischen Sichtweise, die sich zudem aus der berufsbedingten täglichen Konfrontation mit aktuellen Problem- und Bedarfslagen speist.

Zur Erfassung persönlich-subjektiver Erfahrungen wurde daher zusätzlich der Kontakt zu einem in Chorweiler lebenden Studenten aufgenommen (11.10.2016). Aus dieser Innenperspektive heraus wurde eine grundlegend optimistischere Darstellung des Stadtteils und seiner Anwohnerschaft geliefert. Es wurden durchweg positive Erfahrungen berichtet, die sich wie folgt zusammenfassen: Chorweiler sei ein „stark unterschätzter Stadtteil“ mit „wenig Kriminalität“, „freundlichen und hilfsbereiten Menschen“ sowie einem grundsätzlich „angenehmen Wohnumfeld“. Diese Wahrnehmungen wurden indes von einem Caféinhaber sowie einem Mitglied der Lokalpolitik (SPD) geteilt, die ebenfalls in Chorweiler leben und sich spontan dem Gespräch anschlossen. Betreffend lokaler Vergemeinschaftungen wurde die genannte Einschätzung fehlender nachbarschaftlicher Kontakte, und somit allgemein mangelnden Sozialkapitals, deutlich abgeschwächt. Dies ließ sich gleichfalls in verschiedenen Interaktionen mit anderen Anwohnenden beobachten. In der vergleichsweise kurzen Gesprächsdauer wurden die Beteiligten häufig von anderen Personen gegrüßt, angesprochen oder in kurze Gespräche mit unterschiedlichen Anliegen verwickelt. Als problematisch wurden in diesem Zusammenhang jedoch interethnische Spaltungen herausgestellt. Demzufolge haben sich in Chorweiler viele Gruppierungen auf Basis ethnischer Zugehörigkeiten herausgebildet, die untereinander nur selten in Kontakt treten und sich größtenteils mit Skepsis und Argwohn gegenüberstehen. Insbesondere türkischstämmige Personen würden nahezu vollständig geschlossene und ethnisch homogene Kreise bilden, die nicht selten sprachliche Barrieren verstärken und somit eine Integration in den Stadtteil hemmen. Ferner wurde das Mobilisierungspotenzial in diesem Stadtteil wiederholt als schwach bewertet. Da es grundsätzlich schwer sei, die Menschen zu politischen oder sozial relevanten Aktivitäten zu bewegen, sollte auch die Motivation an einer, unter anderem, politikbezogenen Untersuchung mutmaßlich gering ausfallen.

Insgesamt lieferte der direkte Kontakt mit den Stadtteilen, ihren Anwohnenden und Ortskundigen wichtige, interessante und relevante Einblicke in die jeweiligen sozialräumlichen Bedingungen. Erwartungsgetreu offenbarten sich zahlreiche Unterschiede, die sich im Stadtbild sowie im Verhalten der Menschen widerspiegeln. Solche Unterschiedlichkeiten sind im Hinblick auf die Untersuchungsziele zwar durchaus beabsichtigt und wünschenswert, bergen jedoch auch große Herausforderungen für die Gestaltung und Durchführung der Datenerhebung, die im Anschluss an die Begründung der Erhebungsmethode geschildert wird. Bestandteil dieser Darstellung sind ebenso weitere praktische Anforderungen an das Messinstrument, die sich in den Gesprächen mit den Stadtteilkundigen herauskristallisiert haben.

4.2 Methode der Datenerhebung

Zur Analyse der Forschungsannahmen stehen wie eingangs dargelegt keine ausreichenden sekundärstatistischen Daten zur Verfügung, sodass eine Primärerhebung durchgeführt werden muss. Bei der nun folgenden Darstellung der Erhebungsmethode wird sowohl auf deren Vorteile als auch Schwierigkeiten verwiesen. Wie den skizzierten Herausforderungen während der verschiedenen Phasen der Vorbereitung und Datenerhebung begegnet wird, ist Bestandteil nachkommender Abschnitte, auf die an entsprechenden Stellen verwiesen wird.

In Abschnitt 3.5 wurde ein Untersuchungsmodell entwickelt, das einer quantitativen Überprüfung bedarf. So besteht das Ziel nicht in der Erörterung subjektiver Beweggründe einzelner Personen oder der Genese unterschiedlicher Typen politisch Partizipierender, sondern in der statistischen Überprüfung der aufgestellten Hypothesen. Die Methode entspricht folglich die einer hypothesentestenden Untersuchung, welche die theoretischen Vermutungen mit den realen Gegebenheiten abgleicht. Indem eine einmalige Momentaufnahme vorgenommen wird, nimmt die Untersuchung das Design einer Querschnittsuntersuchung an. Obgleich somit zwar grundsätzlich keine Kausalaussagen abgeleitet werden dürfen, kann die Messung dennoch berechtigte Erwartungen über Kausalzusammenhänge auf Basis der theoretischen Annahmen ermöglichen (vgl. Stein 2014: 142). In die Entscheidung über die konkrete Methode der quantitativen Datenerhebung müssen sowohl finanzielle als auch zeitliche und organisatorische Überlegungen einfließen. Zunächst sind persönliche oder telefonische Befragungen aufgrund des erforderlichen monetären und personellen Einsatzes nicht realisierbar. Der zeitliche Aufwand ist ohne eine unterstützende Forschungsgruppe außerordentlich hoch, wobei nicht nur die Dauer des eigentlichen Interviews, sondern ebenso die oftmals langwierige Phase der Kontaktanbahnung zu bilanzieren ist (vgl. Reuband 2014: 648). Demgegenüber stehen webbasierte Befragungsdesigns, die in der Regel deutlich weniger kosten- und zeitintensiv durchführbar sind (vgl. Zerback et al. 2009: 15). Die Schwierigkeiten dieser Methode liegen vielmehr im Bereich der Rekrutierung von Befragungspersonen und somit auch in der Repräsentativität von Stichproben. Da im Vorfeld keine digitalen Kontaktdaten vorhanden beziehungsweise problemlos zu generieren sind, müsste die Kontaktaufnahme über einschlägige Webseiten oder Social Media-Angebote erfolgen. Bei einem solchen Verfahren ist jedoch mit erheblichen Verzerrungen sowohl im Bereich des Under- als auch Overcoverage zu rechnen (vgl. Baur/Florian 2009: 109).

Nach Abwägung sämtlicher Kosten- und Nutzenaspekte wird schließlich eine standardisierte schriftliche Befragung als Erhebungsmethode gewählt, die im Vergleich zu anderen Methoden eine Reihe von Vorteilen hat: Sie ist verhältnismäßig kostengünstig durchzuführen und gewährleistet zudem eine hohe Erreichbarkeit, da die Zielpersonen nicht persönlich angetroffen werden müssen (vgl. Reuband 2001: 308 f.). Da die oder der Forschende auch in der tatsächlichen Befragungssituation nicht anwesend ist, ist die Erhebung auch in zeitökonomischer Hinsicht vergleichsweise günstig, wobei sich gleichfalls der zeitliche Druck für die Befragten minimiert. Die anonyme Befragungssituation führt überdies zu ehrlicheren Antworten, sodass Effekte sozialer Erwünschtheit weitestgehend reduziert werden und Beschönigungstendenzen einzig in Bezug auf das erwünschte Selbstbild zu erwarten sind. Der Wegfall sogenannter Interviewereffekte kann folglich zu einer Erhöhung der Datenqualität beitragen (vgl. Reuband 2001: 308, 2014: 648). Damit sind schriftliche Befragungen „nicht bloß ein Mittel der zweiten Wahl (…), sondern stehen durchaus als Mittel der ersten Wahl mindestens gleichrangig neben den anderen Verfahren“ (Reuband 2001: 330; Herv. im Orig.).

Die Abwesenheit der oder des Interviewenden birgt jedoch auch potenzielle Schwierigkeiten, wobei die größte Herausforderung in der Motivierung der Zielpersonen liegt. Diese muss bei schriftlichen Befragungen primär über das Anschreiben und das optische Erscheinungsbild des Fragebogens erfolgen. Insbesondere für Chorweiler lassen sich aus den vormals dargestellten Gesprächen sinnvolle Implikationen zur Gestaltung der Fragebögen ableiten (vgl. Abschnitt 4.4). Des Weiteren können sich die Befragten bei (Verständnis-)Schwierigkeiten nicht unmittelbar an die befragende Person wenden, sodass zusätzliche Kontaktmöglichkeiten zu implementieren sind (vgl. Abschnitt 4.5.3). Um möglichst viele Verständnisprobleme a priori zu vermeiden, wird zudem ein qualitativer Pretest mit einem sozialstrukturell unterschiedlichen Teilnehmerfeld durchgeführt (vgl. Abschnitt 4.3.2). Die Ergebnisse des Pretests mögen ferner einem möglichen Bildungsbias wenigstens partiell entgegenwirken. Die Tatsache, dass Personen geringer Formalbildung im Allgemeinen die größten Schwierigkeiten mit schriftlichen Fragebögen haben, ist vor allem mit Blick auf die ausgewählten Stadtteile und den zum Teil hohen Bildungsdifferenzen ihrer Anwohnenden problematisch. Aufgrund dessen stellen sich besondere Anforderungen an die Entwicklung eines standardisierten Messinstruments, die neben dem qualitativen Testverfahren außerdem durch Empfehlungen aus dem lebensweltlichen Rahmen unterstützt wird. Über bildungsbezogene Schwierigkeiten hinausgehend, existieren in Chorweiler aufgrund der hohen ethnischen Diversität zusätzlich sprachliche Hürden, die mindestens ebenso schwer wiegen und denen ebenfalls im Weiteren zu begegnen sein wird (vgl. ebd.: 649; Schneekloth/Leven 2003: 30; Abschnitte 4.1.3, 4.4, 4.5.2). Eine letzte Herausforderung schriftlicher Befragungen besteht in der fehlenden Kontrolle der Befragungssituation. Wenngleich grundsätzlich nicht auszuschließen ist, dass der Fragebogen von mehr als einer Person beantwortet wird, scheint dieses Problem in der Praxis vernachlässigbar zu sein (vgl. Reuband 2014: 649). Die Erhebung der Daten findet schließlich in drei Phasen statt, deren Ablauf in den nachfolgenden Abschnitten geschildert wird (vgl. Abschnitt 4.5). Dem vorangestellt sei zunächst die Entwicklung des Messinstruments.

4.3 Das Messinstrument

Die Entwicklung eines geeigneten Messinstrumentes umfasst verschiedene Arbeitsschritte, die im Wesentlichen die Operationalisierung der zentralen Konzepte, einen Eignungstest der gewählten Frage- und Antwortkategorien und gegebenenfalls eine Anpassung derselben umfassen. Die verschiedenen Phasen der Fragebogenerstellung sowie dessen abschließende Beschreibung sind Bestandteil der folgenden Ausführungen.

4.3.1 Operationalisierung zentraler Konzepte

Vor der Fragebogenerstellung müssen die zentralen Konzepte politische Partizipation und soziale Netzwerke im Hinblick auf die formulierten Forschungsannahmen messbar gemacht werden. Die höchsten Anforderungen werden dabei an die Operationalisierung der informellen sozialen Netzwerke gestellt, da sich bislang kein Standardinstrument zu deren Erhebung etabliert hat. Diese werden im Anschluss an die politische und formell-soziale Partizipation dargelegt.

Politische Partizipation

Zur Erfassung des politischen Engagements haben sich in der empirischen Partizipationsforschung verschiedene Strategien durchgesetzt, die von Brady (1999: 742 ff.) als Aktionen-, Institutionen- und Problemansatz gefasst werden. Unter Anwendung des Aktionenansatz wird unmittelbar nach politischen Aktivitäten der Zielpersonen gefragt. Aufgrund seiner Einfachheit wird dieses Verfahren in empirischen Befragungen zwar am häufigsten eingesetzt, jedoch werden die retrospektiven Anforderungen an die Befragten als problematisch eingestuft. Zusätzlich zu einem Nichterinnern kann ein Nichtwahrnehmen, wenn Befragte bestimmte Aktivitäten nicht als politisch einstufen, die tatsächliche Aktivität unterschätzen. Demgegenüber untersucht der Institutionenansatz partizipatorische Handlungen in Abhängigkeit organisationaler und institutioneller Eingebundenheiten. Bei dieser Methode besteht allgemein die Gefahr, dass politische Aktionsformen, die von den Befragten nicht direkt mit einer sozialen Einbindung assoziiert werden (z. B. Wählen), nicht berücksichtigt werden. Zudem werden Überschneidungen zwischen politischer und sozialer Partizipation forciert, sodass der Ansatz für diese Untersuchung nicht geeignet ist. Der Problemansatz zentriert ferner Bedürfnisse, Bedenken und Probleme der Befragten und erhebt, wie häufig sie politisch-partizipative Mittel zu deren Artikulation beziehungsweise Lösung einsetzen. Dieses Vorgehen erscheint im Lichte des Forschungsvorhabens als zu zeitintensiv, zu anspruchsvoll und nicht zweckmäßig, da das Ziel nicht in der Erhebung von Bedarfs- oder Motivationsstrukturen besteht. Außerdem basieren nicht alle Tätigkeiten unmittelbar auf spezifisch zu nennenden Bedürfnissen, sondern beispielsweise auch auf privaten Rekrutierungen oder normativen Grundlagen.

Diese Untersuchung bezieht sich schließlich grundlegend auf den Aktionenansatz, an dem jedoch einige Spezifikationen vorgenommen werden. Zunächst erfolgt aufgrund retrospektiver, motivationaler und zeitlicher Aspekte keine offene Abfrage politischer Partizipation, sondern den Befragten wird eine Liste konkreter politischer Akte vorgelegt. Mit diesem Vorgehen wird zudem das Problem des Nichtwahrnehmens, wenngleich es in schriftlichen Befragungen nicht vollständig auszuschließen ist, minimiert. Im Weiteren ist auf Basis dieser Vorgabe zu entscheiden, in welcher qualitativen Bandbreite die politische Beteiligung erhoben wird. Angesichts der vielfältigen Möglichkeiten politischer Willensäußerung wird dieses Spektrum bewusst breit angelegt und umfasst konventionelle, unkonventionelle sowie digitale Partizipationsformen. Auf Akte politischer Gewalt wird indes verzichtet, da diese Formen generell nur wenig verbreitet sind (vgl. Tabelle 4.3, Abschnitte 2.1.2, 2.1.3).

Tabelle 4.3 Operationalisierung politische Partizipation

Über diesen qualitativen Aspekt hinausgehend sind ebenso quantitative Erfordernisse zu beachten. Auf der einen Seite gilt die Zielvorstellung, möglichst viele Beteiligungsformen in die Liste zu integrieren, um systematische Verzerrungen zu reduzieren und das tatsächliche politische Partizipationspotenzial nicht zu unterschätzen. Auf der anderen Seite ist es in schriftlichen Mehrthemenumfragen wenig zielführend, die Befragten mit einer unverhältnismäßigen Aufzählung zu konfrontieren und sonach ihre Motivation zu unterminieren. Ganz abgesehen davon, dass das heutige politische Partizipationsrepertoire eine allumfassende Erhebung per se unwahrscheinlich macht (vgl. van Deth 2003: 175). Aus diesem Grund erfolgt eine theorie- und evidenzbasierte Auswahl zentraler und möglichst eindeutig politischer Formen, die sich qualitativ auf einen breiten Bereich stützt.

Bei der Erfassung der politischen Teilhabeintensität sind außerdem konzeptuelle Entscheidungen im Hinblick auf mögliche zeitliche Eingrenzungen zu treffen. Unter Beachtung retrospektiver Kapazitäten erscheint die Erhebung politischer Aktivitäten innerhalb eines gewissen Zeitrahmens zwar zweckmäßig, um tatsächliche Tätigkeiten treffend zu erinnern, erfasst jedoch unter Umständen nicht das gesamte Partizipationspotenzial einer Person. Zur Lösung dieses Dilemmas – große oder keine Zeitfenster führen zu verzerrten Erinnerungen, kleine Zeitfenster zu fehlenden Informationen – wird dem Vorgehen des ALLBUS gefolgt und die politische Beteiligung sowohl über die aktuelle Teilhabe innerhalb eines Zweijahreszeitraums als auch über die lebenszeitbezogene Aktivität erhoben (vgl. Tabelle 4.3). Zuletzt ist die Bedeutung potenzieller Partizipation zu beachten. Unter der Prämisse, dass Verhaltensabsichten in tatsächliches Verhalten münden können, spiegeln auch jene Einstellungen eine gewisse politische Involviertheit wider. Infolgedessen wird nicht nur manifestes Verhalten, sondern auch jene latente Partizipationsdimensionen erfragt.

Formelle soziale Netzwerke

Bei der Erhebung formeller Netzwerke sind mit Blick auf die Hypothesen die Aspekte der Mitgliedschaft, der Aktivität sowie des Vereinstypus zu berücksichtigen. Die Erfassung der reinen Mitgliedschaft ist vergleichsweise unkompliziert und folgt dem nunmehr etablierten Vorgehen klassischer Bevölkerungsumfragen (vgl. z. B. Baumann et al. 2019; ESS 2018; Inglehart et al. 2014). Dabei wird analog zur politischen Partizipation keine offene Abfrage gestellt, sondern die Befragten erhalten eine Liste mit Vereinen, Organisationen und Verbänden, an der sie ihre jeweiligen Mitgliedschaften abstreichen. Die Zusammenstellung der Aufzählung wird nachfolgend in Verbindung mit den Vereinstypen aufgegriffen. Auch die Abfrage des Aktivitätsgrades ist häufig Bestandteil empirischer Umfragen, deren Herangehensweisen allerdings differieren. Beispielsweise nehmen die Befragten im World Values Survey eine Selbsteinschätzung aktiver oder passiver Mitgliedschaften vor (vgl. Inglehart et al. 2014: 3). Diese Variante ermöglicht zwar eine einfache und schnelle Bearbeitung, steigert jedoch auch die Wahrscheinlichkeit einer verschiedenartigen Interpretation auf Basis von Selbstbild und tatsächlichem Engagement. Aus diesem Grund wird in Anlehnung an den ALLBUS und den European Social Survey der Grad der institutionellen Eingebundenheit über konkrete Fragen zur Teilnahme an vereinsinternen Veranstaltungen und der ehrenamtlichen Mitarbeit gemessen (vgl. ESS 2018: 36; Terwey/Baltzer 2015: 692 ff.). Darüber hinaus sind im Rahmen der dritten untersuchungsleitenden These strukturelle Effekte beziehungsweise lokale Beteiligungen relevant, die über Angaben zur Ortsansässigkeit des jeweiligen Vereins ermittelt werden (vgl. Tabelle 4.4).

Tabelle 4.4 Operationalisierung formelle Netzwerke

Bezüglich der Auswahl der abzufragenden Vereine sind einige inhaltliche und konzeptuelle Anforderungen zu beachten. Aufgrund der Theoretisierung unterschiedlicher Vereinstypen sind für die Zusammenstellung Assoziationen aus verschiedenen zivilgesellschaftlichen Sphären zu erheben. Aussichtsreich erscheint in diesem Zusammenhang das Vorgehen von Erlach (2005: 51), der zwischen instrumentellen, expressiven und gemischt ausgerichteten Vereinen differenziert. Die Unterscheidung nach gesellschaftlich relevanten und freizeitbezogenen Zwecken korrespondiert mit den hypothetisierten Zusammenhängen dieser Untersuchung und stellt sonach eine adäquate Grundlage zur Auswahl der Vereine dar. Unter dieser Vorgabe muss die Liste möglicher Vereine zwar hinreichend breit angelegt sein, jedoch gilt in quantitativer Sicht wiederholt das Argument einer ökonomischen Herangehensweise für die Befragten. Unter Motivationsaspekten ist die Auswahl so weit als möglich zu begrenzen. Angesichts dieser Zielvorgaben wird versucht, den Befragten einen angemessenen Querschnitt über aktuell relevante Vereine und Organisationen zu liefern. Um die soziale Partizipation aber nicht durch fehlende, individuell bedeutsame Angebote zu unterschätzen, wird zusätzlich eine offene Antwortkategorie eingebettet.Footnote 5 Darüber hinaus ist auch bei der sozialen Partizipation die Vorgabe eines zeitlichen Rahmens zu erwägen. Während in Bezug auf die Mitgliedschaften primär aktuelle Eingebundenheiten von politischer Relevanz sein sollten, muss der Rahmen hinsichtlich vereinsbezogener Aktivitäten flexibler gestaltet sein. Beispielsweise bietet nicht jeder Verein jederzeit Veranstaltungen an, weshalb die Aktivität innerhalb einer möglichen Spanne von zwei Jahren gemessen wird (vgl. Tabelle 4.4).

Informelle soziale Netzwerke

Informelle Netzwerke werden mit Methoden der sozialen Netzwerkanalyse erhoben, wobei diese Untersuchung speziell auf die Erfassung egozentrierter Netzwerke zielt. Im Gegensatz zu Gesamtnetzwerken, die spezifische, zahlenmäßig limitierte und nach außen klar abgrenzbare Gruppierungen (z. B. Schulklassen) abbilden, werden bei dieser Art alle möglichen Kontakte (Alteri) einer fokalen Person (Ego) berücksichtigt (vgl. Fenicia et al. 2010: 311; Wolf 2010: 471). Zur Erfassung der persönlichen Beziehungen werden zunächst sogenannte Namensgeneratoren eingesetzt, in deren Anschluss Namensinterpretatoren weitere Eigenschaften der von Ego aufgelisteten Alteri ermitteln. Da diese Instrumente bislang vergleichsweise selten in schriftlichen Befragungen Anwendung finden und infolgedessen kein einheitliches Vorgehen existiert, werden diese nachfolgend kurz diskutiert und für die Zwecke dieser Untersuchung fruchtbar gemacht.

Namensgeneratoren:

Bei dem Verfahren der Namensgeneratoren werden je nach Untersuchungsziel spezifische Stimuli gesetzt, mittels derer die Größe sozialer Netzwerke erhoben wird. So listet Ego sämtliche Personen aus dem persönlichen Umfeld auf, die ihr oder ihm anlässlich einer oder mehrerer Fragen in den Sinn kommen (vgl. Jansen 1999: 74 ff.; Wolf 2006: 248, 2010: 472). In der Praxis existieren diesbezüglich unterschiedliche Herangehensweisen, die sowohl inhaltliche Variationen in Abhängigkeit der Forschungsannahmen als auch konzeptionelle Unterschiede basierend auf dem Zielkonflikt zwischen Erhebungsaufwand und Ertrag spiegeln. Ein grundlegendes Instrument stellt etwa die Konzeption von Burt (1984) dar, die auf den Stimulus wichtige Angelegenheiten besprechen verweist.Footnote 6 Den Vorteilen einer schnellen, wenig aufwendigen und kostengünstigen Erhebung sozialer Netzwerke steht die Erfassung vorwiegend starker Beziehungen gegenüber. Durch die Ausblendung weiterer sozialer Konstellationen werden wichtige Informationen und verknüpfte Ressourcen vernachlässigt. Demgegenüber fokussieren McCallister und Fischer (1978: 137) vielfältige soziale Kontexte, wie zum Beispiel den Beruf, die Freizeit oder den Haushalt, und kreieren insgesamt zehn Namensgeneratoren, die konkrete Interaktionen, Formen der sozialen Unterstützung sowie Beziehungsarten zwischen Ego und den Alteri einbeziehen. Mit diesem Verfahren werden zahlreiche Informationen generiert, starke und schwache Beziehungen erhoben und die Analyse multiplexer Beziehungen möglich gemacht. Jedoch müssen sich die Befragten in viele unterschiedliche Situationen hineinversetzen, was den Aufwand vervielfacht und das Instrument insbesondere für Mehrthemenumfragen nur wenig geeignet macht. Bezugnehmend auf die jeweiligen Nachteile haben Kecskes und Wolf (1996: 40 f.) gewissermaßen eine Synthese beider Ansätze geschaffen. Sie reduzieren die Anzahl sozialer Kontexte auf drei Situationen, wobei sich eine erkennbar am Burt-Indikator orientiert und die übrigen praxis- wie freizeitbezogene Gelegenheiten umfassen. Durch die gezielte Kombination sozialer Bezugsrahmen werden sowohl starke als auch schwächere Beziehungen berücksichtigt. Die zusätzliche Erfassung reziproker Beziehungselemente erfordert jedoch mindestens einen weiteren Namensgenerator pro Kontext, was das Instrument wiederum etwas aufwendiger machtFootnote 7.

Aufgrund der überwiegenden Vorteile folgt diese Untersuchung weitestgehend der Methodik von Kecskes und Wolf. Angelehnt an dieses Instrumentarium werden die informellen Netzwerke ebenfalls über drei Namensgeneratoren erfasst, die auch inhaltlich den Bereichen wichtige Angelegenheiten, Freizeit und Interessen und praktische Unterstützung entsprechen, jedoch in ihren spezifischen Formulierungen angepasst werden (vgl. Tabelle 4.5). Auf die Erfassung reziproker Beziehungselemente wird indes aus forschungsökonomischen Abwägungen verzichtet, zumal sich die Hoffnung, mit dieser Methode tatsächlich wechselseitige Beziehungsmuster darstellen zu können, bislang kaum erfüllt hat (vgl. Wolf 2010: 473, Fußnote). Schlussendlich werden durch dieses Vorgehen relevante Informationen über verschiedenartige Beziehungskonstellationen bei vergleichsweise geringem Aufwand generiert und dem beschriebenen Zielkonflikt bestmöglich begegnet. Hinsichtlich eines zeitlichen Rahmens, innerhalb dessen betreffende Interaktionen zwischen Ego und Alter stattgefunden haben sollen, ist grundsätzlich eine Balance zwischen Erinnerungsvermögen und Gewährleistung der situativen Anreize zu finden. Es ist anzunehmen, dass ein Zeitfenster von drei Monaten beiden Ansprüchen hinlänglich gerecht wird und in der Folge mit ausreichend zuverlässigen Angaben zu rechnen ist. Zuletzt ist eine Vorgabe maximal zu nennender Alteri zu erwägen. Da eine unbegrenzte Zahl in schriftlichen Befragungen grundsätzlich problematisch ist, wird die Anzahl möglicher Alteri auf zehn Nennungen pro Namensgenerator beschränkt. Auf Basis empirischer Untersuchungen, die unterschiedliche, aber mehrheitlich geringere Netzwerkgrößen ausweisen, erscheinen systematische Verzerrungen durch diese Begrenzung unwahrscheinlich (vgl. Wolf 2006: 248).

Namensinterpretatoren:

Zur weiteren Bestimmung des sozialen Netzwerkes erheben Namensinterpretatoren nun spezifische Informationen über die erfassten Alteri. Diese Informationen variieren je nach Forschungsvorhaben in Inhalt und Anzahl, sollten generell aber nicht zu zahlreich ausfallen und sich überdies auf einen Gegenstandsbereich konzentrieren, über den Ego relativ gesicherte Aussagen treffen kann. So hält die theoretische wie empirische Diskussion über Egos Kenntnisse und somit die Qualität der Alteri-Daten weiter an. Im Allgemeinen werden jedoch wenigstens „Egos Angaben über soziodemographische und sozioökonomische Merkmale der Alteri als relativ zuverlässig und gültig angesehen“ (Wolf 2006: 261; vgl. auch Serdült 2005: 11; Wolf 2010: 475). Jene personenbezogenen Basismerkmale stehen auch in dieser Untersuchung im Zentrum und werden gemeinsam mit der Beziehungsform als Indikator für die soziale Heterogenität informeller Netzwerke erhoben (vgl. Tabelle 4.5). Daneben fungiert der Wohnort im Wesentlichen als Merkmal der geografischen Reichweite. Zudem werden mit der Kontaktfrequenz spezifische Informationen über die Ego-Alter-Beziehung ermittelt und die Häufigkeit politischer Diskussionen soll erste Einblicke in das Politisierungspotenzial informeller Netzwerke ermöglichen.

Tabelle 4.5 Operationalisierung informelle Netzwerke

Im Idealfall stehen der oder dem Forschenden ausreichend Mittel und Kapazitäten zur Verfügung, um derartige Informationen über alle Personen des sozialen Netzwerkes zu sammeln. Im Normalfall – und insbesondere in Mehrthemenbefragungen – wird jedoch eine Beschränkung auf eine bestimmte Anzahl an Alteri notwendig. Diese fungieren im Weiteren als Proxys für das gesamte egozentrierte Netzwerk. Da die Bearbeitung der netzwerkbezogenen Fragen vergleichsweise aufwandsintensiv ist, werden die Namensinterpretatoren in dieser Erhebung lediglich für fünf Alteri eingesetzt. Die Auswahl dieser Personen kann nun entweder den Befragten selbst überlassen werden, wobei mit einer Bevorzugung enger Netzwerkkontakte aufgrund der besseren Verfügbarkeit an Informationen zu rechnen ist. Oder es kann ein Zufallsverfahren angewendet werden, was in schriftlichen Befragungen aufgrund fehlender Kenntnisse über die Netzwerkgröße nur schwer realisierbar ist. Konkrete Instruktionen, die eine Zufallsauswahl in der Theorie gewährleisten, sind in der Praxis eher irre- denn zielführend. Um die Auswahl schließlich möglichst einfach zu gestalten, werden in dieser Untersuchung schlicht die ersten fünf Personen berücksichtigt. Durch den Fokus des ersten Namensgenerators besteht damit zwar grundsätzlich die Gefahr einer Überrepräsentanz starker Beziehungen. Jedoch belegen verschiedene empirische Studien maximal drei starke Beziehungen pro befragter Person, sodass dieses Problem vernachlässigbar scheint und auch schwächere Beziehungen in der Auswahl vertreten sein sollten (vgl. Burt 1984: 332; McCallister/Fischer 1978: 138).

Im Anschluss an die Namensinterpretatoren werden häufig Merkmale der Beziehungen zwischen den Alteri erhoben, sodass Aussagen über die Dichte egozentrierter Netzwerke abzuleiten sind (vgl. Serdült 2005: 10; Wolf 2006: 257 f.). In der Praxis stößt dieses Vorhaben jedoch oft an die Grenzen der Machbarkeit und ist daher nur in Umfragen angeraten, deren konkretes und einziges Ziel die Analyse egozentrierter Netzwerke ist. Da zudem kein untersuchungsspezifischer Mehrwert abzuleiten ist, wird an dieser Stelle auf die Erhebung von Alter-Alter-Dyaden verzichtet. In einem nächsten Schritt werden diese Konzeptionen sowie die erste Version des vollständigen Fragebogens nun einem kognitiven Pretest unterzogen.

4.3.2 Kognitiver Pretest

Ein schriftlicher Fragebogen ist aufgrund seiner Standardisierung nach Beginn der Feldphase nicht mehr zu verändern, weshalb Frageverständnis, Formulierungen von Fragen und Antworten sowie technische Anweisungen klassischerweise im Vorfeld getestet werden (Porst 2014: 189–205; Prüfer/Rexroth 2000; Weichbold 2014). Zuerst wurde das Messinstrument am 19.10.2016 in einer Expertenrunde, bestehend aus fünf Promovierenden sozialwissenschaftlicher Disziplinen der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, im Hinblick auf praktische Aspekte, optische Gestaltung sowie Aufbau und Inhalt diskutiert. Dank ihrer Kenntnisse der empirischen Sozialforschung konnten vor allem Schwachstellen methodischer Art, die Frageformulierung oder die Antwortvorgaben betreffend, korrigiert werden. Zudem wurden praktische Hinweise für das Begleitschreiben und die Gestaltung des Fragebogens angebracht.

In überarbeiteter Version wurde der Fragebogen daraufhin mittels eines kognitiven Pretestverfahrens erprobt, wobei die Technik des lauten Denkens Anwendung fand. Bei dieser Methode werden die Teilnehmenden gedanklich in eine reale Befragungssituation versetzt und gebeten, den Fragebogen wahrheitsgemäß auszufüllen und während ihres Antwortprozesses sämtliche Gedankengänge zu verbalisieren (concurrent think aloud). Dadurch gibt dieses Verfahren insbesondere Aufschluss über die Interpretation der Fragen und Frageinhalte, die Zuordnung der Antworten zu den formalen Antwortkategorien und den Abruf der intendierten Informationen. Zudem werden Erkenntnisse über das Interesse, die Aufmerksamkeit und die gestellten Ansprüche generiert (vgl. Faulbaum et al. 2009: 97; Porst 2014: 193; Wänke 1996: 48). Um das Frageverständnis unterschiedlicher Personengruppen vergleichen zu können, wurden für den Pretest sozialstrukturell möglichst unähnliche Personen in unterschiedlichen Kontexten rekrutiert (vgl. Tabelle 4.6).

Tabelle 4.6 Stichprobenmerkmale des kognitiven Pretests

Die Durchführung der insgesamt zehn Tests wurde bestmöglich dem Modus der tatsächlichen Befragung angepasst, wobei die Teilnehmenden zusätzlich vor Beginn folgende schriftlich formulierte Instruktion erhielten: Bitte sagen Sie mir bei den folgenden Fragen alles, was Ihnen durch den Kopf geht oder an was Sie denken, bevor Sie die Frage beantworten. Sagen Sie bitte auch Dinge, die Ihnen vielleicht unwichtig erscheinen. Mit dem Einverständnis der Teilnehmenden wurden sämtliche Pretests auditiv aufgezeichnet und darüberhinausgehend aufschlussreiche nonverbale Kommunikation hinsichtlich Mimik, Gestik und Körpersprache schriftlich dokumentiert (vgl. Porst 2014: 202 f.). Die einzelnen Gespräche fanden im Zeitraum von Dezember 2016 bis Januar 2017 in bewusst entspannter Atmosphäre und Umgebung statt, die im Gegensatz zu Experimentalbedingungen Offenheit begünstigen und Druck reduzieren.

Die Technik des lauten Denkens funktionierte trotz der ungewohnten Situation bei den meisten Teilnehmenden problemlos; einzig zwei Personen mussten unterdessen wiederholt auf die Offenlegung ihrer Gedankengänge und Schwierigkeiten hingewiesen werden (ID 03 und ID 04). Die protokollierten verbalen und nonverbalen Äußerungen wurden anschließend den einzelnen Fragen zugeordnet und im Zusammenhang mit den sozialen Merkmalen der Teilnehmenden qualitativ-interpretativ ausgewertet. Sowohl in der Quantität als auch in der Qualität der geäußerten Gedanken zeigten sich erwartungsgetreu deutliche Unterschiede in Abhängigkeit der sozialstrukturellen Merkmale. Besonders offensichtlich waren Schwächen in der Frage- oder Antwortformulierung folglich immer dann, wenn alle beziehungsweise sehr unterschiedliche Personen unverkennbar Probleme hatten. Die zentralen Änderungen am Messinstrument werden im Folgenden überblickartig und thematisch geclustert dargelegt.

  • Bearbeitungszeit und Umfang: Ursprünglich wurde für den Fragebogen eine Bearbeitungszeit von 20 Minuten prognostiziert. Realiter lag die durchschnittliche Ausfüllzeit jedoch bei 44 Minuten. Wenngleich der Pretest aufgrund der kritischen Perspektive nicht der gewöhnlichen Befragungssituation gleichzusetzen ist, wird der Umfang des Fragebogens vor der Feldphase deutlich reduziert. Gekürzt werden primär Fragen, die vielfach als zu komplex wahrgenommen wurden und deren Bearbeitungszeit dadurch als unverhältnismäßig zu ihrem Ertrag eingestuft wird (z. B. Ökonomische Selbsteinschätzung; s. u. Beteiligung an Wahlen).

  • Frageformulierung: Aus Sicht der Teilnehmenden mangelte es einigen Frageformulierungen an Klarheit und Verständlichkeit. Beispielsweise wurde der Ausdruck Im Folgenden finden Sie einige Aussagen, die man hin und wieder von Menschen hört. Kreuzen Sie zu jedem Satz an, inwieweit Sie diesem zustimmen bzw. nicht zustimmen von nahezu allen Personen nicht oder zumindest nicht umgehend sinnhaft erfasst, sondern mehrheitlich auf die Häufigkeit des Hörens dieser Aussagen bezogen. Als Konsequenz wird auf die eindeutige Frage Wie stark stimmen Sie folgender Aussage zu? ausgewichen. In ähnlicher Weise wird mit vergleichbaren Verständnisproblemen verfahren.

  • Institutionenvertrauen: Mehrfach wurden fehlende Berührungspunkte zu den verschiedenen Institutionen der Bundesrepublik und daraus resultierend Unsicherheiten bei der Beantwortung ausgedrückt. Eine Folge dieser Distanz war eine durchweg lange Bearbeitungszeit, der durch die Ergänzung Geben Sie eine Einschätzung ab, auch wenn Sie bislang keine persönlichen Erfahrungen mit dieser Einrichtung gemacht haben entgegengewirkt werden soll. Zusätzlich wird die Existenz einer mittleren Antwortkategorie deutlicher hervorgehoben, die unschlüssigen Befragten durchaus als Ausweichmöglichkeit dienen kann.

  • Beteiligung an Wahlen: Die Abfrage einer Beteiligung an der Landtagswahl 2015, der Kommunalwahl 2015, der Europawahl 2014 oder der Bundestagswahl 2013 führte ebenfalls durchgehend zu Schwierigkeiten. Entweder gab es Erinnerungsprobleme hinsichtlich einer eigenen Teilnahme oder die Frage wurde als versteckter Wissenstest interpretiert. Da das entsprechende Wahljahr selten aus dem Gedächtnis abzurufen war, äußerten viele die Sorge, die Frage enthalte womöglich falsche Angaben und versuche auf diese Weise Wissenslücken aufzudecken. Aufgrund dieser negativen Wahrnehmung und des hohen zeitlichen wie kognitiven Aufwandes wird diese Frage vollständig aufgegeben.

  • Formelle Netzwerke: Die Testung des Instrumentes zur Erfassung formeller Netzwerke offenbarte, dass Nichtmitgliedern an dieser Stelle keine Antwortmöglichkeit angeboten wurde. Dieser Umstand impliziert insbesondere auswertungsanalytische Probleme. So ist schließlich nicht ersichtlich, ob tatsächlich keine Vereinsmitgliedschaft vorliegt oder aber keine Antwort abgegeben wurde. Zur Umgehung dieses Problems wird der Vereinsauswahl die Filterfrage Sind Sie aktuell Mitglied in einem Verein? vorgeschaltet.

  • Informelle Netzwerke: Die meisten Rückmeldungen bezogen sich erwartungsgemäß auf die Erhebung informeller Netzwerke. Zusammenfassend sind die einführenden Instruktionen hinsichtlich Länge, Prägnanz und Verständlichkeit zu überarbeiten. So wurden im Bereich der Namensgeneratoren die Felder für die Alteri-Kürzel nicht hinreichend erläutert oder als solche kenntlich gemacht, weshalb teils vollständige Namen, teils Oberbegriffe wie Eltern oder Arbeitskollegin angegeben wurden. Da die durchschnittliche Netzwerkgröße zudem deutlich höher ausfiel als einschlägige Studien vermuten ließen, wird die maximal Anzahl an Alteri auf 20 pro Stimulus angehoben. Als größtes Problem bei den Namensinterpretatoren kristallisierte sich das Übertragungsfeld für die ersten fünf Personen heraus. Dieses wurde häufig übersehen, sodass das stetige Rückerinnen Zeit und Nerven verbrauchte. Zudem schien nicht deutlich gewesen zu sein, dass die Alteri unter Umständen generatorenübergreifend auszuwählen sind. Eine übersichtliche Gestaltung zur schnellen visuellen und kognitiven Erfassung erscheint daher unerlässlich. Zuletzt wird die Frage zur politischen Diskussion zwischen Ego und Alter aufgegeben, da diese Thematik bereits informationsreicher mit einer anderen Frage abgedeckt wird.

  • Politische Partizipation: Analog zu den formellen Netzwerken akzentuierten die Testergebnisse auch hinsichtlich dieser Fragebatterie die Notwendigkeit einer zusätzlichen Antwortkategorie. Da sich die Teilnehmenden geneigt zeigten, bei jeder Frage eine Antwort abgeben zu wollen und darüber hinaus auch hier eine Unterscheidung zwischen negativer und fehlender Antwort ermöglicht werden soll, wird als vierte Antwortmöglichkeit die Kategorie kein Interesse implementiert.

Insgesamt lieferte der Pretest wertvolle Erkenntnisse über den Aufbau, die Gestaltung und den Inhalt des Fragebogens, die an dieser Stelle nicht allumfassend beschrieben werden können. Mit Blick auf die anvisierten Stadtteile war insbesondere die Testung der Frageformulierungen bei sozialstrukturell unterschiedlichen Personen aussagekräftig und ergab wesentliche Hinweise, um dem potenziellen Bildungsbias bestmöglich entgegenzuwirken. Der Aufbau des finalen Fragebogens wird nachfolgend geschildert.

4.3.3 Beschreibung des Fragebogens

Der Fragebogen umfasst 10 Seiten und 28 übergeordnete Fragen, aus denen sich schließlich 329 Variablen ableiten lassen. Die Fragen sind größtenteils standardisiert, demnach bis auf wenige Ausnahmen geschlossene Antwortkategorien vorgegeben sind. Des Weiteren ist der Fragebogen aufgrund diverser Stadtteilbezüge in zwei Versionen konzipiert (Hahnwald und Chorweiler) und in sechs Themenbereiche gegliedert, die nun in gebotener Kürze skizziert werden (vgl. Anhang A, Anhang D.1 im elektr. Zusatzmaterial).

(1) Kontakte und Vertrauen: Zu Beginn des Fragebogens werden Aspekte der sozialen Einbindung in den eigenen Stadtteil sowie die Vertrauensdimensionen erhoben. Diese Themen wurden bewusst an den Anfang gesetzt, um einen vergleichsweise leichten Einstieg in die Befragung zu ermöglichen. Nach der individuellen Wohndauer, welche mutmaßlich als Schwellenwert für soziale Kontexteffekte fungiert (Frage 1), werden erste Angaben über die geografische Reichweite des freund- und verwandtschaftlichen Netzwerkes erhoben (Frage 2). Neben der faktischen Verfügbarkeit lokaler Kontakte stellen Ressourcen, die aus dem nachbarschaftlichen Umfeld erwachsen, zentrale Momente der sozialen Integration in den Stadtteil dar (Frage 3). Daran anschließend wird der Fokus auf das spezifische Vertrauen gelegt, welches sich grundlegend auf das Instrument des European Social Survey bezieht, jedoch weiter in allgemeines Vertrauen und Vertrauen in persönlich Bekannte differenziert wird (vgl. ESS 2014: 4). Das generalisierte Vertrauen wird über das Institutionenvertrauen erfragt, wobei die Frageformulierung des ALLBUS auf Basis des Pretests geringfügig verändert wurde (vgl. Terwey/Baltzer 2015: 875 ff.). Durch die Verwendung klassischer Skalierungen werden die Angaben zum Vertrauen im Weiteren (inter-)national vergleichbar (Fragen 4 und 5).

(2) Interesse an Politik und Wahlen: Der zweite Themenbereich erfasst zunächst das grundlegende Interesse an Politik anhand einer fünfstufigen Skala (Frage 6) sowie die Nutzung diverser Medien für politische Inhalte (Frage 7). Jene Kanäle fungieren im Weiteren als wesentliche Kontrollvariablen, um den Einfluss persönlicher Netzwerke bei der Vermittlung und Verbreitung politischer Informationen separieren zu können. Frage 8 eruiert daraufhin die persönliche Parteineigung anhand eines Standarditems zu individuellen Parteipräferenzen, welches insbesondere auch Aufschluss über die Stärke bestehender Parteibindungen gibt (vgl. Falter/Schoen 2014: 265; Verba et al. 1995: 348, 555). Daran anschließend wird die Verhaltensintention einer Beteiligung an der kommenden Bundestagswahl über vier Wahrscheinlichkeitskategorien erhoben (Frage 9). Da jeder beziehungsweise jedem Befragten diesbezüglich wenigstens eine Tendenz unterstellt werden kann, wird auf eine mittlere Antwortkategorie verzichtet.

(3) Vereinsmitgliedschaften, Alltagsbeziehungen und Zusammenarbeit: Der dritte Themenblock zentriert die individuelle Einbindung in soziale Netzwerke. Die Erfassung formeller sozialer Netzwerke erfolgt wie in Abschnitt 4.3.1 geschildert, wird jedoch unter Bezugnahme auf die Ergebnisse des Pretests um eine Filterfrage für Nichtmitglieder ergänzt (Frage 10). An die Häufigkeit und den Erfolg sozialer Partizipationseinladungen aus dem persönlichen Umfeld (Frage 11) schließt sich die Erhebung weiterer informeller Gruppierungen an (Frage 12). Um den Befragten diesbezüglich keine Einschränkungen zu setzen, wurde in dem Fall eine offene Abfrage gewählt. Frage 13 fokussiert schließlich die Ermittlung informeller Netzwerke. Aufgrund des innovativen Charakters in schriftlichen Umfragen wurde ein eigenes Instrument entwickelt, das basierend auf den Erkenntnissen des Pretests weiter verbessert wurde. Ein besonderer Wert wurde dabei auf die optische Gestaltung der Namensinterpretatoren gelegt (vgl. Abschnitte 4.3.1, 4.3.2). Zuletzt erfolgt in diesem Bereich die Abfrage der sogenannten civic skills (Frage 14). Die Frageformulierung orientiert sich an Verba et al. (1995: 559–562), nimmt jedoch eine Ausweitung auf unterschiedliche soziale Konstellationen und somit potenzielle Entstehungskontexte formeller wie informeller Natur vor.

(4) Politische Beteiligung und politische Informationen: Der vierte Themenbereich widmet sich primär der Erhebung der politischen Beteiligung, die über vier Kategorien erfragt wird (Frage 15; vgl. Abschnitte 4.3.1, 4.3.2). Bei der anschließenden Erfassung politischer Rekrutierungen erfolgt abermals eine differenzierte Aufstellung alltäglicher Beziehungskonstellationen, die unter anderem den politischen Wert informeller Beziehungen bestimmen sollen (Frage 16; vgl. Verba et al. 1995: 556–559). In gleicher Weise wird die Häufigkeit politischer Diskussionen erhoben (Frage 18). Gemeinsam mit Frage 17, die Informationen über politische Mitwirkungsmöglichkeiten umfasst, bildet diese Variable den Grundstein zur Ermittlung der politischen Informiertheit vermittels sozialer Netzwerkstrukturen. Der Abschnitt schließt mit der Erfassung der politischen Frühsozialisation, die als Kontrollvariable in die Untersuchung eingeht (Frage 19).

(5) Allgemeine Aussagen: Der fünfte Teil besteht aus einer Sammlung unterschiedlicher Themen, die in Form positiv respektive negativ formulierter Aussagen präsentiert werden, zu denen die Befragten ihre Zustimmung auf einer vierstufigen Skala ausdrücken sollen (Frage 20). Wiederholt wurde auf eine mittlere Kategorie verzichtet, da die Items weder Wissensfragen noch sensitive Themen berühren. Ziel dieses Komplexes ist die anschließende Zusammenführung einzelner Aussagen zu Skalen, die verschiedene Thesen und Konzepte aus dem theoretischen Rahmen berühren (u. a. Reziprozität, politische Wirksamkeit).

(6) Statistische Personenangaben: Die Erfassung der sozialen Merkmale erfolgt am Ende des Fragebogens, da mit einer nunmehr gesunkenen Aufmerksamkeit der Befragten zu rechnen ist. Neben den soziodemografischen Basisangaben zu Geschlecht, Alter (offene Abfrage) und Familienstand (Fragen 21), ist in dieser Untersuchung zudem die aktuelle Haushaltsgröße als Bestandteil des informellen Netzwerkes von Relevanz (Frage 22). Daraufhin erfolgt die Ermittlung der Staatsangehörigkeit, eines Migrationshintergrundes und des formellen Bildungsgrades (Fragen 23 und 24). Um den Einfluss religiöser Kontexte analysieren zu können, werden im Weiteren sowohl die Glaubensrichtung als auch die Häufigkeit des Besuchs der entsprechenden Glaubenseinrichtung erfragt (Frage 25). Die Religionszugehörigkeit wird dabei ebenso wie der höchste Schulabschluss über typische Kategorien erhoben, welche jeweils um eine offene Antwortkategorie ergänzt werden. Mit Frage 26 wird schließlich der ökonomische Status der Befragten anhand des monatlich verfügbaren Haushaltsnettoeinkommens erhoben. Da diese Frage auch in anonymen Befragungen allgemein nur widerwillig beantwortet wird, sind die Einkommensintervalle zur Vermeidung einer relevanten Zahl an Ausfällen vergleichsweise breit gefasst. Um das Ausweichen auf eine neutrale Kategorie (z. B. keine Angabe) nicht zu forcieren, wird bewusst auf eine solche Möglichkeit verzichtet. Der Fragebogen schließt mit Angaben zum Erwerbsstatus (Frage 27) und dem beruflichen Prestige (Frage 28), das auf Basis der Stellung im Beruf ermittelt wird (vgl. Hoffmeyer-Zlotnik 2003). Der berufliche Status bildet schließlich gemeinsam mit Einkommen und Bildung den sozioökonomischen Status einer Person ab.

4.4 Praktische Anforderungen

Die Auswahl der Untersuchungseinheiten, die Bestimmung der Erhebungsmethode und die Konzeption des Messinstrumentes stellen einige Anforderungen, die im Vorfeld der Datenerhebung zu berücksichtigen sind. Eine zentrale Herausforderung schriftlicher Befragungen besteht in der Motivierung der Zielpersonen, die primär durch das Begleitschreiben und das Fragebogendesign erzeugt werden muss. Eine sorgfältige Gestaltung ist daher vor allem in inhaltlicher, aber auch in optischer Hinsicht zwingend erforderlich (vgl. Reuband 2001: 309). Damit verbunden ist eine Reihe praktischer Aspekte, die nun überblickartig illustriert werden.

  • Fragebogengestaltung: Um den ersten Eindruck eines allzu umfangreichen Fragebogens zu vermeiden, werden die Fragen unter Beachtung der Lesbarkeit auf möglichst wenige Seiten gesetzt. Außerdem schafft eine abwechslungsreiche sowie farblich unterlegte Frage- und Antwortkonstruktion eine gewisse optische Variation, die allerdings nicht zu herausfordernd ausfallen darf. Betreffs möglicher Bildungsbarrieren wird ferner auf leichte und eindeutige Formulierungen, auch komplexerer Fragen, geachtet. Treffend bemerkt Dillman (1978: 133) in diesem Zusammenhang, dass „the end result must be aesthetically pleasing and look easy to do to motivate respondents to complete it“.

  • Identifikationsnummer: Zur Realisierung gezielter und ökonomischer Nachfassaktionen wird auf jedem Fragebogen eine laufende Nummer vermerkt (vgl. Abschnitt 4.5.2). Auch wenn ein solches Vorgehen unter Anonymitätsaspekten offensichtlich problematisch ist, bleibt diese Methode bislang weitestgehend alternativlos. Daher ist es die Aufgabe des beiliegenden Anschreibens, eine wohlbegründete Erklärung der Identifikationsnummer zu liefern und die Anonymität der Daten zuzusichern (vgl. Reuband 2001: 313; Schnell et al. 2011: 355).

  • Begleitschreiben: Das Anschreiben vermittelt auf maximal einer Seite wesentliche Informationen über die Bearbeitung, verweist auf die Relevanz der Studie, versichert die Anonymität der Daten und fängt im besten Fall alle Einwände der Befragten im Vorfeld auf (vgl. Dillman 1978: 165 ff.; Reuband 2001: 309; Schnell et al. 2011: 355). Da die Erläuterung der Identifikationsnummer überaus technisch anmutete und für Laien wenig verständlich und demotivierend erschien, riet die Experten-Diskussionsrunde übereinstimmend von einer ausführlichen Beschreibung ab. Diese Entscheidung ist mit Blick auf die Responserate durchaus diskutabel (vgl. Abschnitt 4.5.3). Ferner wird auf Anraten der Stadtteilkundigen Chorweilers nachdrücklich die individuelle Bedeutung für den Erfolg der Untersuchung betont. Explizite Stadtteilbezüge sowie ein Foto der Forschenden sollen zudem persönliche Bezüge herstellen und Vertrauen wecken, wohingegen auf einen Verweis zum Promotionsvorhaben verzichtet wird (vgl. Dillman 1978: 167). Zuletzt werden verschiedene Kontaktmöglichkeiten aufgeführt, die bei Rückfragen und Schwierigkeiten mit dem Fragebogen zu nutzen sind.

  • Umschlaggestaltung und Porto: Den ersten Eindruck erweckt jedoch nicht das Anschreiben, sondern der Umschlag. Da Chorweiler-Kundige von einer offiziellen und allzu formellen Gestaltung abrieten, wird schließlich eine Grafik der Stadt Köln und der Titel Studie: Leben in Köln sowie Ihr Stadtteil – Jetzt teilnehmen! aufgedruckt (vgl. Dillman 1978: 150; Anhang D.2 im elektr. Zusatzmaterial). Einer gängigen Empfehlung folgend wird des Weiteren ein weißer Umschlag im C5-Format gewählt, der neben Fragebogen und Anschreiben einen Rückumschlag mit ausgefülltem Adressfeld sowie dem Aufdruck Porto zahlt Empfänger enthält. Zusätzlich wird im Begleitschreiben betont, dass für die Rücksendung keine Kosten anfallen.

  • Übersetzungen: Eine besondere Herausforderung dieser Untersuchung besteht in den teils sehr unterschiedlichen Sprachkenntnissen der Zielpersonen, weshalb eine ausschließlich deutsche Fragebogenversion zu erheblichen Verzerrungen führen kann (vgl. El-Menouar 2014: 792; Reuband 2014: 647). Nach intensivem Austausch mit den Stadtteilkundigen erscheint schließlich eine Übersetzung ins Türkische sinnvoll, wohingegen weitere Translationen nicht zwingend erforderlich seien (vgl. Abschnitt 4.5.2). Die größte Schwierigkeit entsprechender Übersetzungen liegt nun in der korrekten und sinnhaften Übertragung der ausgearbeiteten Skalen und Konzepte. Daher erfüllt der angeworbene Übersetzer nicht nur die Anforderung, türkischer Muttersprachler zu sein, sondern er besitzt ebenso einen akademischen sozialwissenschaftlichen Abschluss und Vorerfahrungen mit empirischen Umfragen (vgl. El-Menouar 2014: 792). Nach der Berücksichtigung aller inhaltlichen, optischen und praktischen Aspekte widmet sich das Vorhaben nun der Phase der Datenerhebung.

4.5 Die Phase der Datenerhebung

Die Darstellung der methodisch-organisatorischen Details der Datenerhebung dient im Wesentlichen der intersubjektiven Nachvollziehbarkeit der Untersuchung. So werden in diesem Rahmen die Stichprobenauswahl, die konkrete Untersuchungsdurchführung sowie Reaktionen und Anmerkungen der Teilnehmenden während der Feldphase berichtet. Aus ihren Kommentaren lassen sich sowohl Rückschlüsse auf den Fragebogen und die Responserate als auch aufschlussreiche Informationen über die Personen beider Stadtteile ableiten.

4.5.1 Stichprobenziehung

Für die Stichprobe wird eine Zielgröße von 400 Personen pro Stadtteil anvisiert. Dieser Umfang erscheint ausreichend, um relevante Unterschiede zwischen den Gruppen herauszuarbeiten und gleichfalls unter (forschungs-)ökonomischen Gesichtspunkten noch praktikabel. Da in Chorweiler rund sechsmal so viele Personen wie in Hahnwald leben, handelt es sich gemäß dieser Zielvorgabe um eine disproportionale Stichprobe. Werden für beide Gruppen separate Datenanalysen vorgenommen, ist dieser Umstand grundsätzlich unproblematisch. Sofern sie jedoch zu einer Stichprobe zusammengefasst werden, müssen die Daten zum Ausgleich der unterschiedlichen Auswahlwahrscheinlichkeiten gewichtet werden (vgl. Abschnitt 4.6.2).

Die Schätzung der notwendigen Bruttostichprobe ist bei schriftlichen Befragungen aufgrund der deutlich variierenden Rücklaufquoten empirischer Studien nur bedingt zuverlässig (vgl. Porst 1996: 11; Hippler 1988). Neben uneindeutigen Richtwerten halten sich in der Umfrageforschung zudem die Vorbehalte, mit postalischen Befragungen seien grundsätzlich nur geringe Ausschöpfungen zu realisieren. Dem ist entgegenzuhalten, dass unter Einhaltung der Total Design Method (TDM) zu Aufbau, Design und Durchführung auch in schriftlichen Umfragen Quoten zwischen 50 und 60 % erreicht werden können (vgl. Dillman 1978; Reuband 2001: 308, 2014: 646; Abschnitte 4.4, 4.5.2). Darüber hinaus sind in dieser Untersuchung erhebliche Unterschiede in den Responseraten beider Stadtteile einzukalkulieren. Analog zur politischen Beteiligung ist auch in sozialwissenschaftlichen Befragungen mit einer geringeren Teilnahmebereitschaft und -fähigkeit sozioökonomisch schwächerer Personengruppen zu rechnen (vgl. Reuband 2001: 307). Auf Basis dieser Überlegungen und im Austausch mit einem renommierten Umfrageforscher der Heinrich-Heine-Universität wird für Hahnwald schließlich eine Rücklaufquote von annähernd 60 % als möglich erachtet, wohingegen für Chorweiler eine Responserate von maximal 20 % geschätzt wird. Entsprechend werden in die Bruttostichprobe 700 Personen aus Hahnwald und 2.000 Personen aus Chorweiler einbezogen. Der Anteil an Personen mit türkischem Migrationshintergrund (21 %) wird proportional zum Umfang der Bruttostichprobe berücksichtigt, sodass für Chorweiler 400 der Fragebögen in doppelter Sprachausführung bereitgestellt werden (vgl. Stadt Köln 2017a: 21).

Die Stichprobenziehung erfolgt in zwei Schritten. Als Primäreinheiten wurden zunächst die Stadtteile auf Basis theoretischer und empirischer Vorüberlegungen ausgewählt (vgl. Abschnitt 4.1.1). Aus diesen werden nun wiederum einzelne Haushalte als Sekundäreinheiten bestimmt. Das Auswahlverfahren der Zielhaushalte beruht auf einer einfachen Zufallsauswahl, demnach jedes Element die gleiche Chance besitzt, in die Stichprobe aufgenommen zu werden (vgl. Häder/Häder 2014: 285). Üblicherweise werden daraufhin in einem dritten Schritt die Zielpersonen eines Haushaltes zufällig ermittelt, wobei sich in der Umfragepraxis der Schwedenschlüssel (Kish Grid) und der Geburtstagsschlüssel (Last-Birthday oder Next-Birthday) als Auswahlmethoden etabliert haben. Da eine zielgerichtete Personenauswahl jedoch zusätzliche Verweigerungen provoziert, wird auf diesen Schritt verzichtet. Mit Blick auf die Responserate scheinen potenzielle Verzerrungen, die durch die Überrepräsentanz zeitlich flexibler oder thematisch interessierter Personen entstehen, vernachlässigbar. Überdies fehlt es an Kontrollmöglichkeiten, die gewährleisten, dass der Fragebogen auch tatsächlich und ausschließlich von der ausgewählten Person beantwortet wird (vgl. Häder/Häder 2014: 291 f.; Heckel/Hofmann 2014: 111 f.; Schlinzig/Schneiderat 2009: 24).

Die Ziehung der Sekundäreinheiten erfolgt im Idealfall auf Basis vollständiger Adresslisten aus dem Einwohnermelderegister. Alternativ kommt in der Praxis häufig die Random-Route-Methode zum Einsatz, die auch in dieser Untersuchung Anwendung findet. Bei dieser Auswahlstrategie werden die Zielhaushalte ausgehend von einem Startpunkt und einer exakten, vorher festgelegten Begehungsanweisung direkt im Feld ermittelt. Diese Regelung muss für jede mögliche Situation eindeutig ausgewiesen sein, sodass zu keiner Zeit Ungewissheiten oder Alternativmöglichkeiten auftreten. Beispielsweise sind Laufrichtung und Straßenseite sowie das Verhalten bei Sackgassen festzulegen. Bei der Begehung wird schließlich in Abhängigkeit der Zielvorgabe jeder x-te Haushalt in die Stichprobe aufgenommen (vgl. Häder/Häder 2014: 290 f.; Heckel/Hofmann 2014: 108; Noelle-Neumann 1963: 128 ff.). Dieses Verfahren musste an die besonderen Beschaffenheiten der ausgewählten Sozialräume angepasst werden. Die Modifikationen werden nachfolgend im Zusammenhang mit der konkreten Erhebungsdurchführung geschildert.

4.5.2 Durchführung der Erhebung

Die Datenerhebung erfolgte im Zeitraum vom 07. März bis zum 05. April 2017, wobei die Phase des Erstkontaktes parallel mit der Stichprobenziehung vollzogen wurde. Nach dem Erstkontakt wurden zwei weitere Nachfassaktionen durchgeführt, die nachweisbar zur Erhöhung der Rücklaufquote beitragen (vgl. Tabelle 4.7). So dienen sie generell kooperationsbereiten Personen als Erinnerung und betonen zudem die Sinnhaftigkeit der Forschung und die Bedeutung der eigenen Teilhabe. Dadurch können in zunehmendem Maße auch skeptische oder demotivierte Personen sowie Personen aus unteren Alters- wie Sozialschichten für die Befragung gewonnen werden. Inwieweit die Rekrutierung zunächst unkooperativer Zielpersonen allerdings die Qualität der Daten beeinträchtigt, ist noch zu prüfen (vgl. Dillman 1978: 180 f.; Kunz 2010: 129; Petermann 2005: 58 ff.; Reuband 2001: 320 ff.; 329; vgl. Abschnitte 4.6.1, 4.6.2). Aufgrund ökonomischer Abwägungen und der Stichprobenziehung im Feld wurden sämtliche Fragebögen und Anschreiben eigenständig per Einwurf in die Zielhaushalte gebracht. Wie im vorherigen Abschnitt bereits angedeutet, musste die Auswahlstrategie der Haushalte angesichts der sozialräumlichen Besonderheiten teils deutlich modifiziert werden.

In Hahnwald war es zur Realisierung der Bruttostichprobe notwendig, jeden 1,3ten Haushalt zu berücksichtigen. Dies verlangte in der Praxis näherungsweise die Auslassung jedes vierten Haushaltes. Eine Begehungsanweisung konnte entsprechend einzig für die Auswahl der auszulassenden Haushalte zum Tragen kommen; insbesondere, wenn das betreffende Wohnhaus mehr als einen Haushalt beherbergte. Für diese Fälle wurde im Vorfeld definiert, ob beispielsweise der untere/obere beziehungsweise der linke/rechte Briefkasten auszuwählen war. In Chorweiler musste hingegen jeder 2,5te Haushalt erfasst werden. Da dieser Stadtteil einen dichten Siedlungsraum mit Hochhäusern bis zu 100 Haushalten darstellt, musste gezielt jedes dieser Wohnhäuser aufgesucht werden. Um dennoch eine zufällige Auswahl der Haushalte zu gewährleisten, kamen innerhalb der Hochhäuser vordefinierte Strategien zur Anwendung, die insbesondere spezielle Zählpraktiken an den Briefkästen in Batteriemontage beinhalteten (z. B. beginnend von oben links jeder dritte Briefkasten). In beiden Stadtteilen wurden genannte Prozedere bis zum Erreichen der Zielstichprobe fortgesetzt. Auf diese Weise konnte trotz der notwendigen Anpassungen eine Zufallsauswahl sichergestellt werden, zumal eine willkürliche Selektion, bei der etwa nur besonders zugängliche Haushalte einen Fragebogen erhalten, strikt vermieden wurde (vgl. Löffler/von der Heyde 2014: 20).

Eine Woche nach dem Erstkontakt wurde ein Erinnerungsschreiben in Postkartenformat an alle Befragten ausgegeben (vgl. Dillman 1978: 183 ff.). Neben einem Dank an diejenigen, die bereits an der Befragung teilgenommen haben, dient die erste Nachfassaktion primär der sanften Erinnerung an den Fragebogen und sollte daher vor allem Personen mit einer ohnehin vergleichsweise hohen Teilnahmebereitschaft mobilisieren. Nach Ablauf von drei Wochen erfolgte schließlich der Drittkontakt, in dessen Zuge ein neues Anschreiben, ein Ersatzfragebogen und ein weiterer Rücksendeumschlag ausgehändigt wurden. Im Gegensatz zur Postkarte insistiert die zweite Nachfassaktion deutlich dringlicher auf einer Teilnahme und richtet sich klassischerweise ausschließlich an Personen, die bislang keinen Fragebogen zurückgesendet haben (vgl. Anhang D.3, D.4 im elektr. Zusatzmaterial).Footnote 8

Tabelle 4.7 Phasen der Datenerhebung

Um die Verweigerinnen und Verweigerer bestimmen zu können, wurden die Fragebögen im Vorfeld mit einer Identifikationsnummer versehen, die ihre Entsprechung auf einer Blanko-Liste hatte (vgl. Abschnitt 4.4). Auf dieser Liste wurden nun bei Einwurf der Fragebögen die exakten Adressen für jede Nummer notiert. Insbesondere in Chorweiler erwies sich diese Herangehensweise als überaus zeitintensiv, da jeder Briefkasten der Batteriemontage unzweideutig festgehalten werden musste (z. B. Adresse, 3. Reihe von links, 5. Briefkasten von oben). Dieses Vorgehen verkomplizierte sich durch die türkischen Fragebogenversionen, für die eine eigene Liste an Identifikationsnummern mitgeführt wurde. Das Hauptproblem solcher Zuordnungsnummern liegt jedoch in der Aufrechterhaltung des Glaubens an die Anonymität der Befragung. Da die Adresslisten jederzeit getrennt von den bereits eingegangenen Fragebögen aufbewahrt und direkt im Anschluss an die dritte Erhebungsphase vernichtet wurden, war die Anonymität der Daten faktisch zu keinem Zeitpunkt gefährdet (vgl. Abschnitt 4.5.3).

Die Entscheidung, welche Haushalte zusätzlich eine türkische Fragebogen-, Anschreiben- und Postkartenversion erhalten, wurde gemäß namensbasierter Verfahren getroffen. Ursprünglich auf typische Namen einer ethnischen Gruppierung beschränkt, wendet sich die Umfragepraxis mittlerweile verstärkt charakteristischen Buchstabenkombinationen zu. In dieser Erhebung erfolgte eine Orientierung an relevanten Silben der türkischen Sprache, wobei an dieser Stelle beispielhaft die Buchstabenfolgen öz, und genannt seien. Obwohl türkische Haushalte auf diese Weise hinreichend gut zu identifizieren sind, fallen möglichweise einige Personen infolge interethnischer Ehen durch das Raster (vgl. El-Menouar 2014: 791; Schnell et al. 2013: 11, 20). Da in diesen Fällen aber nicht mit systematischen Ausfällen aufgrund fehlender Deutschkenntnisse zu rechnen ist, ist dieses Problem weitestgehend zu vernachlässigen. Im Folgenden werden nun persönliche und aufschlussreiche Erfahrungen, die während der Phase der Datenerhebung gemacht wurden, berichtet.

4.5.3 Erfahrungen im Feld

Damit sich grundlegende Verständnisschwierigkeiten, Probleme mit dem Messinstrument oder allgemeine Nachfragen nicht direkt in den Responseraten niederschlagen, wurden den Befragten verschiedene Möglichkeiten zur Kontaktaufnahme geboten, die auch vielfach genutzt wurden. Ihre Äußerungen ermöglichen ferner Rückschlüsse auf die Qualität des Fragebogens, des methodischen Vorgehens sowie die Aufnahme der Befragung in beiden Stadtteilen. Die zahlreichen Rückmeldungen und persönlichen Eindrücke während der Feldphase werden nun möglichst prägnant dargestellt und interpretativ bewertet.Footnote 9

Die meisten Nachfragen kreisten erwartungsgemäß um das Thema der Anonymität, wobei diesbezügliche Unsicherheiten primär die gezielten Nachfassaktionen betrafen. So monierten mehrere Personen aus Hahnwald, dass offensichtlich bekannt sei, wer an der Befragung teilgenommen hat und diese demgemäß nicht anonymisiert sein könne. Nach Erläuterung und trotz Verständnis für das Prozedere wurde eine eigene Teilnahme jedoch mehrfach ausgeschlossen. Symptomatisch ist des Weiteren, dass Bedenken um die Vertraulichkeit der Daten ausschließlich aus dem Stadtteil Hahnwald geäußert wurden. Tatsächlich fördert die kritische Distanz, die insbesondere bei Angehörigen des intellektuellen und/oder alternativen Milieus auftritt, derartiges Misstrauen (vgl. Schneekloth/Leven 2003: 30). Demgegenüber ließen sich für Chorweiler teils konträre Verhaltensweisen feststellen, wenn etwa Namen oder Adressen auf den Umschlägen vermerkt wurden. Resümierend erscheint es wahrscheinlich, dass Zweifel in puncto Anonymität von weiteren Zielpersonen geteilt und sonach die Responserate negativ beeinflusst wurde. Der Sinnhaftigkeit einer ausführlichen Beschreibung der Rücklaufnummer steht allerdings die motivationsmindernde Wirkung technischer Erläuterungen gegenüber. Eine praktikable Lösung könnte hier unter Umständen ein zusätzlicher Begleitzettel, auf dem das Verfahren für Interessierte vollständig erläutert wird, darstellen.

Als weiterer Grund für eine Teilhabeverweigerung wurde aus Hahnwald mehrfach die Abfrage „zu persönlicher Angaben, vor allem über das Einkommen“ herangezogen (03.04.2017). Da die Erfassung des Einkommens eine klassische sensitive Frage darstellt, ist dieses Verhalten in Befragungen grundsätzlich nicht ungewöhnlich (vgl. Engel/Schmidt 2014: 342). Auch aus Chorweiler kritisierte eine Anruferin, dass der Fragebogen „sehr viele private Angaben“ enthalte und fragte: „Wer will die haben und wofür?“ (05.04.2017). Tatsächlich ging es ihr vorwiegend um den Hintergrund der Umfrage, der auch mehrere Personen aus Hahnwald nachdrücklich interessierte. Mit Blick auf diese Nachfragen wäre es womöglich ratsam gewesen, das Promotionsvorhaben im Begleitschreiben zu erwähnen. So zeigten sich viele Personen eher geneigt, eine reale Person zu unterstützen als eine abstrakte Institution wie die Universität. Ein zentrales Anliegen aus Hahnwald bestand weiter in der Ergründung des konkreten Verfahrens der Stichprobenziehung. Plakativ wunderte sich eine Person, wie ausgerechnet er in die Auswahlgesamtheit gelangen konnte, da er nur sporadischen Kontakt zu seiner Nachbarschaft pflegt: „Man sagt sich Hallo oder redet über das Wetter. Aber das war es dann auch“ (31.03.2017). Relevante Aussagen über das Leben im Stadtteil könne er daher nicht liefern.

Zusammengefasst tangierten die Nachfragen aus Hahnwald mehrheitlich methodische Themen, während einige Personen aus Chorweiler unter anderem Überforderungen mit dem Fragebogen oder einzelnen Fragen äußerten. Ein Befragter versuchte seine Schwierigkeiten im direkten Gespräch zu klären, wobei seine Nachfragen sehr gezielt waren und zum Teil generelle Problematiken mit den Standardinstrumenten aufdeckten (14.03.2017). Beispielsweise beschrieb er die Frage zum Vertrauen in das Gesundheitswesen (Frage 5) als zu unspezifisch, um eine pauschale Einschätzung über Ärzte, Krankenkassen wie auch Krankenhäuser abgeben zu können. Im Weiteren wurde offenbar, dass er sich in Chorweiler sowohl sozial isoliert als auch von den politischen Partizipationsmöglichkeiten enttäuscht fühlte („Hier in Chorweiler ist ja nichts“). Er wolle seine politische Meinung äußern und sich beteiligen, weiß jedoch nicht, wie dies zu bewerkstelligen ist. An solchen Aussagen manifestieren sich zwei grundlegende Sachverhalte, die im weiteren Verlauf zu überprüfen sind: Zum einen scheint es in Chorweiler nur wenige Angebote zur politischen Partizipation vor Ort zu geben, zum anderen scheinen selbst Politikinteressierte nur wenig über die diversen Beteiligungsmöglichkeiten zu wissen.

Bezugnehmend auf die weiteren Rückmeldungen aus diesem Stadtteil stellt diese Person jedoch eher eine Ausnahme dar. So äußerte der Großteil ein grundlegendes Desinteresse an politischen Themen, infolgedessen auch der Fragebogen nicht beantwortet werden wolle („Ich komme ja nicht aus dem Haus. Außerdem interessiert mich Politik nicht“; 14.03.2017). Trotz dieser Selbsteinschätzung beschwerte sich diese Person in der Folge vehement über sämtliche politische Parteien, Angela Merkel und die Flüchtlingspolitik („Die sollen alle wieder weg“). Vergleichbare Aussagen waren aus Chorweiler häufiger zu hören und offenbarten die mitunter große Frustration, die sich bei diesem Thema angestaut hat. Mehrmals wurde die Auffassung vertreten, dass viel für ausländische und im Besonderen geflüchtete Personen getan werde, während sie selbst von niemandem wahrgenommen werden. Vermutlich liegt hier ein Teil der verbreiteten (Politik-)Verdrossenheit und (politischen) Passivität begründet.

Neben solch konkreten Bezügen inhaltlicher oder methodischer Art erzählten viele Personen spontan über ihren Stadtteil und brachten positive wie negative Argumente für diesen an. Während einige den Vorstadtcharakter Chorweilers mit der direkten Verfügbarkeit sämtlicher Alltagsnotwendigkeiten lobten und keine negativen Erfahrungen zu berichten hatten, waren gegenteilige Meinungen indes häufiger zu hören. Hervorzuheben sind dabei Ressentiments gegenüber anderen Anwohnenden und dem Stadtteil selbst, vor allem aber die Klischees, die mit dem Wohnort Chorweiler verbunden sind. Entgegen der Erwartungen, die sich aus der explorativen Vorphase speisten, äußerten auch mehrere Befragte aus Hahnwald, dass der Stadtteil „kein gutes Untersuchungsobjekt für die Studie“ darstelle (31.03.2017). Denn die Anwohnenden hätten generell nur „wenig Interesse an solchen Dingen und auch an anderen Menschen“ (16.03.2017). Demgegenüber stehen jedoch zahlreiche positive Bemerkungen über den Stadtteil sowie interessante Gespräche über die Befragung, die unter anderem im Rahmen der zweiten Nachfassaktion vor Ort geführt wurden.

Im Ganzen waren die beobachteten Reaktionen wie telefonischen oder digitalen Rückmeldungen in dieser Phase der Datenerhebung sehr divers. Während sich einige begründet für eine Verweigerung entschuldigten, fühlten sich andere „genervt von der Masse an Papier“ (Hahnwald, 03.04.2017) oder äußerten im Feld ihren Unmut über die Befragung. Übereinstimmend war in sämtlichen Hochhäusern Chorweilers zu beobachten, wie Fragebögen umgehend zerrissen oder unbeachtet neben die Briefkästen geworfen wurden. Auch ein Hausmeister berichtete verärgert, dass seit Tagen überall im Eingangsbereich Fragebögen herumliegen würden. Darüber hinaus teilte ein Anrufer emotional mit: „Ich finde, das ist Quatsch! Sie fragen so Sachen und dann erzählen die Medien wieder, hier laufen nur Terroristen rum…“ (06.04.2017). Offenbar sind in Chorweiler auf der einen Seite Angst und Skepsis („vor allem Ältere müssen aufpassen“; 04.04.2017), auf der anderen Seite Motivationslosigkeit und Desinteresse an Befragungen weit verbreitet. Tatsächlich fungieren prekäre Stadtteile vergleichsweise häufig als Objekte sozialwissenschaftlicher Untersuchungen und medialer Berichterstattungen, wie auch mehrere Personen berichteten. So scheinen es viele Menschen schlicht überdrüssig zu sein, als Studiensubjekte betrachtet zu werden, wodurch sich eine Art Umfragemüdigkeit oder sogar Widerstand eingestellt haben könnte. Zuletzt ist anzumerken, dass in dieser Erhebungsphase viele Nachfragen über einen verpflichtenden Charakter aufkamen. Ein solches Empfinden mag wiederum zu einer höheren Rücklaufquote in Chorweiler beigetragen haben.

4.6 Datenqualität und -analyse

Im Anschluss an die Feldphase müssen die erhobenen Daten nun der empirischen Analyse zugänglich gemacht werden. Dies beinhaltet die Schritte der Dateneingabe und -aufbereitung sowie der Bereinigung der Stichprobe um fehlende und fehlerhafte Angaben. Darauf aufbauend werden die Validierung der Daten sowie die Bildung relevanter Skalen geschildert, bevor abschließend die Analysemethoden skizziert werden.

4.6.1 Datenaufbereitung und Stichprobenbereinigung

Die Rohdaten werden zunächst manuell in die Statistik- und Analysesoftware SPSS transferiert, gemäß des Codeplans kodiert und mit entsprechenden Variablen- und Wertelabels versehen. Bei der Definition fehlender Werte ist ferner die Unterscheidung inbegriffen, ob keine Angabe gemacht wurde oder aus anderen Gründen keine brauchbaren Informationen über das Item verfügbar sind (vgl. Anhang A im elektr. Zusatzmaterial).

Der nächste Schritt der Datenaufbereitung umfasst diverse Nachkodierungen, die infolge offener Antwortkategorien notwendig werden. Die offenen Angaben im Bereich der Vereinsmitgliedschaften (N = 16) und der Bildungsabschlüsse (N = 17) können nach Einzelabwägungen vergleichsweise problemlos in die formalen Antwortkategorien übertragen werden (z. B. ID 15: VERDI = Gewerkschaft; ID 220: Habilitation = Hochschulabschluss). Hingegen ist die einzige Angabe einer anderen Religionszugehörigkeit nicht hinreichend zu identifizieren und entsprechend als fehlender Wert zu kodieren (ID 134). Zudem ist die offen abgefragte Staatsangehörigkeit als numerische Variable zu erfassen. Relevante Rekodierungen sind überdies im Bereich der sozioökonomischen Merkmale vorzunehmen. So wurde das Einkommen als Haushaltsnettoeinkommen in vordefinierten Intervallen erhoben und ist auf Grundlage der Kategorienmittelwerte in das individuelle Äquivalenzeinkommen zu überführen.Footnote 10 Die Bildung wurde in Form des höchsten Schulabschlusses gemessen und ist für die statistische Analyse sinnvollerweise in Bildungsjahre zu rekodieren, wobei sich das Vorgehen weitestgehend am Vorschlag des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP) orientiert (vgl. Krenz 2008: 23 f.).Footnote 11 Darüber hinaus wird die erfasste Stellung im Beruf nach dem Vorbild von Wolf (1995: 114) in die Magnitude-Prestigeskala (MPS) transferiert, um das berufliche Prestige der Befragten adäquat abzubilden.

Nach der Datenaufbereitung erfolgt im Weiteren eine Bereinigung der Stichprobe, bei der fehlerhafte Werte korrigiert oder eliminiert werden (vgl. Lück/Landrock 2014: 403 ff.; Schnell et al. 2011: 399 f.; Wittenberg et al. 2014: 140 ff.). Strategien zur Identifizierung von Eingabefehlern oder anderen falschen Angaben lassen sich unter dem Stichwort der Plausibilitätstests summieren. Bei diesen Verfahren ist zunächst eine Sichtung der Häufigkeitsverteilungen aller Variablen angeraten, um ungültige Werte außerhalb des definierten Wertebereiches aufzuspüren und zudem die Sinnhaftigkeit der höchsten und niedrigsten Ausprägungen bei offenen Abfragen zu prüfen. Kodierungsfehler (z. B. 11 statt 1), nicht sinnhafte Werte (z. B. Alter = 300) oder ungleiche Bezeichnungen (z. B. Ukraine und Ukrainisch) werden auf diese Weise umgehend berichtigt. Hingegen werden logische Widersprüche zwischen zwei oder mehreren Variablen erst mit Hilfe von Konsistenztests, bei denen relevante Variablen miteinander kreuztabelliert werden, sichtbar. Hinsichtlich des Umgangs mit potenziellen Unstimmigkeiten stützt sich das weitere Vorgehen auf die Grundsätze von Lück und Landrock (2014: 406). Demgemäß werden Werte erstens behalten, wenn diese nicht eindeutig fehlerhaft sind, zweitens als fehlend definiert, wenn diese eindeutig fehlerhaft sind und drittens ersetzt, wenn diese fehlerhaft sind und der wahre Wert hinreichend sicher abzuleiten ist. Diese Prozedere werden nun jeweils an einem Beispiel erläutert.

Logische Widersprüche treten etwa im Zusammenhang mit der achten Frage auf (Parteipräferenz), die als aufeinander aufbauende Teilfragen konstruiert ist. So bestimmen neun Befragte die Stärke ihrer Parteineigung ohne vorher eine Partei genannt zu haben. Da mit diesem Antwortverhalten mutmaßlich nur die Offenlegung der persönlichen Parteivorliebe vermieden werden sollte und die Angaben zur Parteibindung zudem sehr differenziell ausfallen, erscheint es legitim, die Angaben zur Bindungsstärke beizubehalten und die Parteipräferenz jeweils auf keine Angabe zu setzen. Schwerer wiegen indes logische Inkonsistenzen im Bereich der beruflichen Position. So beschreiben 54 Personen ihren beruflichen Status, obwohl sie sich im Vorfeld als nicht erwerbstätig charakterisiert haben. Dies betrifft überwiegend Personen im Rentenstatus (N = 36). Da diese Angaben die empirischen Berechnungen systematisch verzerren würden, werden sie im Folgenden als fehlend markiert. Des Weiteren berichten fünf Personen über ihre Vereinsaktivitäten, ohne eine aktuelle Vereinsmitgliedschaft aufgeführt zu haben. Diese Widersprüchlichkeit ist mutmaßlich auf die unterschiedliche Operationalisierung der Teilfragen im Hinblick auf den zeitlichen Rahmen zurückzuführen. Es wird entschieden, die zugehörigen Vereinsmitgliedschaften jeweils auf Ja zu setzen.Footnote 12 Schlussendlich besteht ein wesentliches Ziel der Überprüfung solcher Inkonsistenzen in der Ableitung von Aussagen über die Datenqualität der Stichprobe. Mit Ausnahme der beruflichen Tätigkeit weisen insgesamt vergleichsweise wenige Befragte logische Widersprüche in ihrem Antwortverhalten auf, sodass die Qualität der Daten auf dieser Basis grundsätzlich als zufriedenstellend bewertet wird.

Im Zuge der Stichprobenbereinigung ist auch über den Umgang mit fehlenden Werten zu entscheiden, wobei die maximal geduldete Anzahl fehlender Antworten je Untersuchungseinheit festzulegen ist. In dieser Studie wird der Empfehlung von Wittenberg et al. (2014: 169) gefolgt, demnach jene Fälle aus dem Datensatz entfernt werden, „deren Anzahl fehlender Werte mehr als zwei Standardabweichungen oberhalb des Mittelwertes entfernt liegt“. Das arithmetische Mittel der ausgelassenen Items liegt bei 23,41 (SD = 46,11), sodass gemäß dieser Richtlinie alle Fälle eliminiert werden, die mehr als 115 fehlende Werte aufweisen. Dies betrifft insgesamt elf Untersuchungseinheiten (ID: 37, 63, 66, 86, 95, 131, 163, 184, 280, 302, 307) beziehungsweise 3,4 % der Stichprobe, die sich durch den Ausschluss auf 314 Fälle reduziert. Ein weiterer Bestandteil der Datenbereinigung ist üblicherweise die Suche nach extremen Fällen, sogenannten Ausreißern. Diese können in der statistischen Analyse unter Umständen zu erheblichen Verzerrungen führen und sind etwa mittels Boxplots zu identifizieren. Zu diesem Stand der Untersuchung weisen die Variablen allerdings durchweg eine relativ geringe Anzahl an Antwortkategorien auf. Da diese keine starken Differenzierungen erlauben, ist eine Ausreißer-Analyse an dieser Stelle nur bedingt sinnvoll und wird im weiteren Verlauf, insbesondere nach der Bildung von Skalen, aufzugreifen sein (vgl. Abschnitt 4.6.3). Lohnenswert ist in diesem Kontext zudem ein Blick auf die verschiedenartigen Aussagen, die zu Frage 20 ausgearbeitet wurden. Da dort positiv sowie negativ formulierte Items enthalten sind, kann eine Ausreißer-Analyse Aufschluss über Verständnisprobleme der Befragten liefern.

4.6.2 Externe Stichprobenvalidierung

Nach der Datenbereinigung wird schließlich eine Ausschöpfungsquote von 11,6 % erzielt, wobei in Hahnwald 20,3 % (N = 142) und in Chorweiler 8,6 % (N = 172) der Bruttostichproben realisiert wurden. Im Allgemeinen erhöhen geringe Responseraten die Wahrscheinlichkeit von Verzerrungen. So sind in einer solchen Stichprobe überproportional häufig Personen vertreten, die viel Zeit zur Verfügung haben, ein intrinsisches Interesse an der Thematik besitzen oder eine Teilnahme in irgendeiner Form als obligatorisch ansehen. Hingegen werden schlecht erreichbare oder schwer zu überzeugende Personengruppen bei kleineren Umfragegrößen in der Regel nur unzureichend erfasst. Zur Überprüfung hinreichender Repräsentativität empfiehlt sich daher ein Abgleich des Samples mit relevanten Merkmalen der Grundgesamtheit. Vor einer solchen Analyse ist bei disproportionalen Stichproben grundsätzlich eine Gewichtung der Stadtteile zu erwägen. Da die Anwendung von Designgewichten aber ihrerseits mit erheblichen Verzerrungen verbunden ist, wird trotz der bestehenden Überrepräsentation der Befragten aus Hahnwald (Oversampling) begründet davon Abstand genommen.Footnote 13 Infolgedessen wird jedoch auch die externe Validierung nicht für die gesamte Stichprobe, sondern separat für jeden Stadtteil durchgeführt. Als Referenzwerte gehen jeweils die Stadtteildurchschnittswerte amtlicher Statistiken aus dem Jahr 2017 ein (vgl. Krebs/Menold 2014: 435; Tabelle 4.8).

Tabelle 4.8 Demografische Merkmale der Stichprobe und der Gesamtpopulation (Mittelwert oder Prozent)

Die Verteilung der Geschlechter spiegelt das durchschnittliche Verhältnis in beiden Stadtteilen geeignet wider, wohingegen der Altersdurchschnitt deutlich über den mittleren Werten der Kölner Statistik liegt. Tatsächlich haben an dieser Befragung unverhältnismäßig viele Rentnerinnen und Rentner (38 %) teilgenommen, demnach jene Personen, die vergleichsweise viel Zeit zur Beantwortung eines Fragebogens haben. Diese Tatsache reflektiert partiell die vorangegangene Entscheidung, auf eine zufällige Personenauswahl zugunsten der Responserate zu verzichten und somit eine Verzerrung der Stichprobe herauszufordern (vgl. Abschnitt 4.5.1).Footnote 14 Das höhere Durchschnittsalter findet zudem eine Entsprechung in der großen Anzahl verheirateter Personen, deren Anteil insbesondere in Hahnwald erkennbar den Durchschnitt der Gesamtpopulation übersteigt. Demgegenüber ist in Chorweiler die deutliche Unterrepräsentanz der Haushalte mit Kindern hervorzuheben, was mutmaßlich auf zeitliche Barrieren schließen lässt.

In Bezug auf die Bildung ist jeweils eine deutliche Verzerrung zu referieren, die unter Bilanzierung der unterschiedlichen Bewertungsgrundlagen noch schwerer wiegt. Mit der zahlenmäßigen Überlegenheit hoch und höher gebildeter Personen reproduziert diese Untersuchung den klassischen Bildungsbias schriftlicher Umfragen (vgl. Reuband 2014: 649). Obgleich die Stichprobe in puncto Bildung als nicht valide zu bezeichnen ist, bleiben die existierenden Stadtteilunterschiede aber anschaulich auf einem höheren Niveau erhalten. Vergleichbares ist im Kontext der anteilsmäßigen Migration zu konstatieren. Diese fällt in beiden Stichproben erwartungsgetreu niedriger als in der entsprechenden Grundgesamtheit aus, bildet die Unterschiede zwischen den Stadtteilen jedoch näherungsweise ab.Footnote 15 Die Arbeitslosenquoten entsprechen wiederum annähernd den Angaben der amtlichen Statistik. Insgesamt ist die externe Validität in einigen Bereichen (Alter, Bildung, Migration) als nicht optimal einzustufen. Dieser Umstand ist zu weiten Teilen auf die Erhebungsform zurückzuführen und spiegelt mitunter klassische Verzerrungen schriftlicher Umfragen. Da die grundlegenden Unterschiede zwischen den Stadtteilen erhalten bleiben, diese folglich dieselben Verzerrungen aufweisen, ist dieses Ergebnis zwar als nicht allzu schwerwiegend zu bewerten, sollte aber bei der weiteren Interpretation der Forschungsergebnisse berücksichtigt werden.

Zuletzt ist darauf hinzuweisen, dass die Repräsentativität durch die Nachfassaktionen zu einem gewissen Grad verbessert wurde (vgl. Tabelle 4.9; Abschnitt 4.5.2). So wurden mit dem Drittkontakt tendenziell jüngere und ressourcenschwächere Schichten zu einer Teilnahme bewegt. Der höhere Anteil fehlender Werte demonstriert jedoch auch eine weniger sorgfältige Bearbeitung des Fragebogens durch diese Befragtengruppe. Es wäre allerdings voreilig, dadurch Rückschlüsse auf die grundsätzlich Datenqualität abzuleiten. Zudem sind jene „Widersprüche in den Einstellungen und Meinungslosigkeit (…) Bestandteil der sozialen Realität und bedürfen der Berücksichtigung“ (Reuband 2001: 322).

Tabelle 4.9 Stichprobenmerkmale nach Erhebungsphase (Mittelwert oder Prozent)

4.6.3 Zentrale Skalenbildungen

Zur weiteren Vorbereitung auf die statistische Analyse sind nun einzelne Variablen zu Skalen und Indizes zusammenzufassen. Die Konstruktion der zentralen Skalen im Bereich politischer Partizipation und formeller wie informeller Netzwerke wird in diesem Abschnitt detailliert dargelegt (vgl. Abschnitt 4.3.1). Die Zusammensetzung weiterer Skalen, die sich auf theoretische Erklärungs- und Kontrollgrößen beziehen, findet sich überblickartig in Anhang B (elektr. Zusatzmaterial).

Politische Partizipation

Zur Messung der politischen Beteiligung wurden in dieser Untersuchung 18 politische Aktivitäten (1 = kein Interesse, 2 = käme in Frage, 3 = schon einmal gemacht, 4 = in den letzten zwei Jahren gemacht) sowie die Mitgliedschaft in einer politischen Partei (0 = kein Mitglied, 1 = Mitglied) erfasst. Um das Gesamtkonstrukt der politischen Partizipation abzubilden, sollen die einzelnen Angaben zu einem Mittelwertindex verrechnet werden. Dieses Vorgehen setzt zunächst eine Angleichung der verschiedenen Skalenniveaus voraus. Da eine Überführung der einen Variable in den Wertebereich der jeweils anderen nicht möglich beziehungsweise mit erheblichen Informationseinbußen verbunden ist, werden alle Variablen stattdessen standardisiert (z-transformiert). Die Festsetzung der Mittelwerte auf 0 und der Standardabweichungen auf 1 kann zwar unter Umständen nachfolgende Interpretationen erschweren, ermöglicht aber in jedem Fall die Indexbildung ursprünglich unterschiedlicher Einheiten (vgl. Wittenberg et al. 2014: 182 f.). Im Weiteren signalisiert Cronbachs Alpha von α = ,909 eine hohe interne Skalenkonsistenz. Demnach messen die verwendeten Items das theoretische Konstrukt adäquat und die Bildung der Skala PolitischePartizipation ist unter Reliabilitätsaspekten gerechtfertigt.

Problematisch erscheint indes die große Anzahl ausgeschlossener Fälle (52,9 %), welche maßgeblich auf die hohe Item-Nonresponse bei der Partizipationsform Wählen zurückzuführen ist (42,7 %). Überraschenderweise ist der Anteil an Nichtwahlberechtigten in diesem Zusammenhang nur von untergeordneter Bedeutung (8,9 %). Der weitere Umgang mit den fehlenden Werten ist daher über die Frage zu bestimmen, ob die Ausfälle systematisch oder zufällig zustande gekommen sind. Zur Überprüfung dieser Frage werden relevante Merkmale der Verweigerinnen und Verweigerer mit denen der übrigen Befragten verglichen. Auf Basis der in Tabelle 4.10 ausgegebenen Zusammenhangsmaße sind keine signifikanten Differenzen zwischen den herangezogenen Merkmalen der Befragten mit und ohne Angabe zur Beteiligung an Wahlen festzustellen. Sofern nun keine statistisch relevanten Unterschiede zwischen den Gruppen existieren, ist auch das Vorliegen systematischer Ausfälle eher unwahrscheinlich. Vielmehr scheinen Darstellung und Positionierung des Items im Fragebogen, das erkennbar von den übrigen Partizipationsformen abweicht, für die hohe Anzahl fehlender Werte verantwortlich. In diesem Sinne wird als hinreichend gesichert angenommen, dass die fehlenden Angaben nicht systematisch von einer anderen Variable abhängen, demnach völlig zufällig sind (missing completely at random) und in der empirischen Analyse entsprechend ignoriert werden dürfen (vgl. Schnell et al. 2011: 428). Mit Blick auf den Stichprobenumfang wird allerdings bei statistischen Verfahren, die auf Korrelationsmatrizen beruhen, ein paarweiser Werteausschluss angestrebt.

Tabelle 4.10 Demografische Merkmale der Befragten mit und ohne Item-Nonresponse (Wählen)

Da die übrigen Beteiligungsformen ebenfalls verhältnismäßig viele fehlende Angaben aufweisen (11–14 %), ist auch über deren Behandlung zu entscheiden. Ein Ausschluss sämtlicher fehlender Werte würde die Stichprobe annähernd halbieren und ist somit wenig sinnvoll. Daher wird ein weniger rigides Verfahren gewählt und bei der Skalenbildung alle Fälle berücksichtigt, die mindestens zwei Drittel gültige Antworten abgegeben haben. Mit dieser Methode bleiben schließlich 86 % der Untersuchungseinheiten erhalten.

In der grafischen Auswertung der Partizipationsskala werden ferner drei Extremwerte (Ausreißer) identifiziert, die zwischen 1,5 und 3 Quartilsabständen vom Mittelwert entfernt liegen; unter strengerer Auslegung, die Abweichungen von 2 Standardabweichungen anzeigt, wären sogar elf Befragte betroffen (vgl. Wittenberg et al. 2014: 165 f.). Theoretisch-argumentativ ist zum einen ein Ausschluss dieser Einheiten plausibel, da die Untersuchung die Gesellschaft möglichst genau abbilden soll, was in der Regel über Aussagen nahe dem Mittelwert geschieht. Zum anderen ist ebenso ein Einbezug derselben in die statistische Analyse legitim, da es sich bei den Beobachtungswerten um echte Messwerte handelt, welche die empirische Realität abbilden. Infolge dieses Dualismus wird erst im Rahmen der statistischen Modelle geprüft, inwieweit diese Ausreißer die Ergebnisse verzerren und auf dieser Grundlage eine Entscheidung über Ein- oder Ausschluss forciert.Footnote 16

Schließlich ist an dieser Stelle noch die Validität des Mittelwertindexes zu prüfen. Die Partizipationsskala korreliert hochsignifikant positiv (p < 0,001) mit relevanten Merkmalen der politischen Einbindung (z. B. Parteibindung: rs = ,276; Wahlabsicht: rs = ,321; politisches Interesse rs = ,421; alle ordinalskaliert), sodass zumindest näherungsweise eine Kriteriumsgültigkeit angenommen werden kann (vgl. Schnell et al. 137; Wittenberg et al. 2014: 256). Im Hinblick auf die formale Validität erscheint hingegen eine einheitliche Struktur politischer Partizipation anlässlich der in Abschnitt 2.1.2 dargelegten theoretischen und empirischen Klassifizierungen unwahrscheinlich (vgl. Wittenberg et al. 2014: 256, 261 ff.). Tatsächlich offenbart eine explorative Faktorenanalyse die Existenz vier trennscharfer Dimensionen, die gemeinsam 63 % der Varianz erklären (vgl. Tabelle 4.11). Diese Dimensionen seien nun kurz hinsichtlich Zusammensetzung und potenzieller Typenbildung zu interpretieren.

Die erste Dimension umschließt digitale Möglichkeiten der politischen Einflussnahme (Online-Abstimmung, Online-Petition, Online-Beiträge und Online-Protest) und ist entsprechend als Online-Partizipation zu charakterisieren. Demgegenüber weist die zweite Dimension positive Ladungen der Beteiligungsformen Parteimitarbeit, Politikerkontakt, Spenden und Parteimitgliedschaft auf. Da diese Mitwirkungsmöglichkeiten klassische Formen politischen Engagements repräsentieren, werden diese im Folgenden unter das Stichwort traditionelle Partizipation gefasst. Die verbleibenden Faktoren divergieren entlang der Konventionalitätsdimension. Während auf dem dritten Faktor vorwiegend niedrigschwellige Beteiligungsformen laden (Konventionelle Partizipation: Wählen, Referendum, Unterschriftensammlung), kennzeichnet der vierte Faktor eine protestorientierte Partizipation (Unkonventionelle Partizipation: Flashmob, Blockade/Besetzung). Darüber hinaus können einige Items nicht eindeutig einer der vier Dimensionen zugeordnet werden, was unter anderem auf die Operationalisierung der Beteiligungsformen zurückzuführen ist. So wurde etwa auf eine Differenzierung in genehmigte und ungenehmigte Demonstrationen verzichtet, wodurch diese Teilhabeform sowohl Ladungen auf der konventionellen als auch der unkonventionellen Dimension aufweist. Daneben scheinen die Ziele, Zwecke und Aktivitäten der Formen Bürgerinitiative und Kundgebung zu breit gefächert, um eine trennscharfe Zuordnung zu gewährleisten.

Tabelle 4.11 Dimensionen politischer Partizipation

Zusammenfassend ist der politischen Partizipationsskala erwartungsgetreu keine Eindimensionalität zu attestieren. Um der Komplexität politischer Teilhabe gerecht zu werden, geht nachfolgend nicht nur die Gesamtskala politischer Beteiligung in die empirische Analyse ein (Politische Partizipation), sondern es werden zusätzlich vier Subskalen entlang der extrahierten Dimensionen berücksichtigt (Traditionelle, Konventionelle, Unkonventionelle und Online-Partizipation). Diese werden analog zur Partizipationsskala als Mittelwertindizes der standardisierten Items gebildet. Da aus den vormals identifizierten fehlenden Werten jeweils nur minimale Verzerrungen resultieren, können bei diesen Skalen sämtliche Antworten einbezogen werden. Die Teilskalen politischer Beteiligung sind jeweils homogen, reliabel und mögen im Folgenden etwaige Unterschiede in relevanten Zusammenhängen oder Gruppen herausstellen.

Formelle Netzwerke

Die formellen sozialen Netzwerke wurden anhand der Mitgliedschaften in 18 verschiedenen Vereinen und Organisationen in Form dichotomer Variablen erhoben (0 = kein Mitglied, 1 = Mitglied). Diese werden zu einem Summenindex – exklusive der Mitgliedschaft in einer politischen Partei – addiert (Anzahl Vereinsmitgliedschaften). Im Zuge der Reliabilitätsanalyse wird für diese Skala ein Cronbachs Alpha von α = ,642 ermittelt, das auf eine ausreichende innere Konsistenz schließen lässt. Auf formale Validität (Homogenität) ist hingegen nicht zu prüfen, da zur Abbildung eines möglichst breiten Spektrums zivilgesellschaftlicher Bereiche bewusst heterogene Vereine ausgewählt wurden (vgl. Abschnitt 4.3.1). Die Verwendung einer solchen qualitativ komplexen Gesamtskala ist für allgemeinere Analyse zwar grundlegend zielführend, impliziert aber immer auch „einen erheblichen Verlust an analytischer Bedeutung der Indikatoren“ (Gabriel et al. 2002: 45).

Dieses Informationsdefizit soll durch die Bildung instrumenteller, expressiver und gemischter Teilskalen aufgefangen werden. Die Abbildung unterschiedlicher Vereinstypen folgt zunächst keinen empirischen Kriterien, sondern wird theoretisch-inhaltlich anhand vorab bestimmter Merkmale per Summenbildung vorgenommen (Anzahl instrumentelle, expressive und gemischte Vereinsmitgliedschaften). Zwar fallen die internen Konsistenzen dieser Skalen nicht zufriedenstellend aus (instrumentell: α = ,235; expressiv: α = ,406; gemischt: α = ,398). Jedoch stellt dies primär ein Ergebnis der schiefen Randverteilungen auf die mittlere Interkorrelation der Items dar, sodass dieser Umstand letztlich nicht allzu schwer wiegt. Nichtsdestotrotz soll eine hierarchische Clusteranalyse Aufschluss über etwaige empirische Muster liefern, die die Vereinstypen möglicherweise geeigneter repräsentieren (vgl. Abbildung 4.2). Zusammengefasst liefert diese Analyse jedoch keine inhaltlich überzeugenden Gruppierungen, sodass an der theoriegeleiteten Variante festgehalten wird.Footnote 17

Abbildung 4.2
figure 2

(Anmerkungen: Dendrogramm der hierarchischen Clusteranalyse mit Ward-Verknüpfung. N = 312. Quelle: Eigene Darstellung)

Hierarchische Beziehungen zwischen Vereinsformen

Zusätzlich zu den additiven Skalen wird die mehrfach kategoriale Variable Vereinstypus konstruiert, welche die Merkmalsausprägungen 0 = kein Mitglied, 1 = instrumenteller Verein, 2 = expressiver Verein, 3 = gemischter Verein annehmen kann. Als weiteres qualitatives Merkmal individueller Vereinsmitgliedschaften wird zudem eine Variable benötigt, die den Mitgliedschaftsstatus einer Person erfasst. Zu diesem Zweck wird zwischen einem aktiven und einem passiven Status differenziert und jeweils ein additiver Index gebildet (Anzahl aktive Vereinsmitgliedschaften und Anzahl passive Vereinsmitgliedschaften). Dabei gelten Mitgliedschaften dann als aktiv, wenn an Veranstaltungen oder Aktivitäten des Vereins teilgenommen und/oder auf ehrenamtlicher Basis mitgearbeitet wurde. Alle übrigen Mitgliedschaften werden entsprechend als Passivmitgliedschaften gewertet. Auch in diesem Fall ist für die statistische Analyse zusätzlich eine kategoriale Variable erforderlich, welche die Ausprägungen 0 = kein Mitglied, 1 = aktives Mitglied, 2 = passives Mitglied umfasst (Mitgliedschaftsstatus). Zuletzt zählt eine weitere Skala die Anzahl lokaler Mitgliedschaften, demnach alle Mitgliedschaften in Vereinen, die im eigenen Stadtteil angesiedelt sind (Anzahl lokale Vereinsmitgliedschaften).

Informelle Netzwerke

Zur Erfassung der informellen Netzwerke wurden verschiedene Namensgeneratoren und -interpretatoren eingesetzt, die quantitative und qualitative Informationen über die individuelle Vernetzung bereitstellen. Um die Größe informeller Netzwerke abzubilden, wird ein Summenindex gebildet, der die Anzahl persönlicher Beziehungen über die drei Namensgeneratoren hinweg zählt (Anzahl Netzwerkpersonen). Unter Berücksichtigung der geringen Itemanzahl ist Cronbachs Alpha von α = ,590 durchaus als akzeptabel zu bewerten, zumal die jeweiligen Stimuli explizit unterschiedliche Beziehungsdimensionen fokussieren. Dieses Argument fordert nun aber gleichzeitig eine Berücksichtigung der Einzelitems heraus. Um der Vielschichtigkeit sozialer Beziehungen nachzukommen, schließt die empirische Analyse ebenfalls die Variablen Rat bei wichtigen Entscheidungen, Freizeit und Interessen und Hilfe bei praktischen Arbeiten ein. Diese beschreiben die Anzahl an Netzwerkpersonen je Namensgenerator/Beziehungsbereich, wobei an dieser Stelle jeweils keine Anpassungen angezeigt sind.

In Bezug auf die Gesamtskala ist wiederholt eine vergleichsweise hohe Anzahl fehlender Werte zu konstatieren (N = 71), wobei diverse Rückmeldungen im Verlauf der Feldphase nahelegen, dass der hohe kognitive Aufwand primär für die Antwortverweigerung (keine Angabe) verantwortlich ist. Zum Ausschluss systematischer Verzerrungen wird analog zur Beteiligung an Wahlen geprüft, inwiefern sich die Verweigernden in relevanten Merkmalen von den übrigen Befragten unterscheiden. Die Ergebnisse zusammenfassend ist auch an dieser Stelle aller Voraussicht nach von zufälligen Ausfällen auszugehen, da die Gruppen keine signifikanten Differenzen aufweisen. Obgleich damit eine nennenswerte Beeinflussung der Ergebnisse unwahrscheinlich ist, erscheint die drastische Reduzierung des Stichprobenumfangs nicht unproblematisch.

Weitere Skalenbildungen werden im Bereich der qualitativen Netzwerkelemente notwendig, die auf die Reichweite und Zusammensetzung informeller Netzwerke rekurrieren. Basierend auf Egos Informationen über maximal fünf Alteri werden sämtliche Skalen nachfolgend als Mittelwertindizes gebildet. Problematisch gestaltet sich derweil die Tatsache, dass lediglich die Hälfte der Befragten (50,8 %) Angaben über alle Alteri liefert. Die Frage, wie viele gültige Alteri-Angaben jeweils für die Skalenkonstruktion vorausgesetzt werden, mündet schließlich in einem Zielkonflikt zwischen Stichprobenumfang und Messgenauigkeit. Tabelle 4.12 veranschaulicht dieses Problem anhand der Gegenüberstellung verschiedener Mittelwertindizes, die ohne, unter moderaten (mindestens drei gültige Angaben) und unter strengen (fünf gültige Angaben) Restriktionen gebildet wurden.

Tabelle 4.12 Geografische Reichweite und soziale Zusammensetzung nach Skalenrestriktionen (Mittelwerte)

Die Skala Geografische Reichweite beinhaltet Angaben über den Wohnort der einzelnen Alteri (ursprünglicher Wertebereich: 1 = gleicher Haushalt, 2 = gleicher Stadtteil, 3 =  gleiche Stadt, 4 = gleiches Land, 5 = anderes Land) und kann Werte zwischen 1 (geringe Reichweite) und 5 (hohe Reichweite) annehmen. Ein Vergleich der verschiedenen Skalenkonstruktionen demonstriert nun eine erhebliche Stichprobenreduktion unter moderaten und strengen Bedingungen, wohingegen sich die mittleren Skalenwerte jeweils nur geringfügig voneinander unterscheiden. Die Verzerrungen durch fehlende Werte scheinen demnach in einem akzeptablen Rahmen zu bleiben. Ein weiterer Index misst den Anteil derjenigen Personen, die im selben Stadtteil wie Ego leben (Lokale Alteri) und spannt einen Wertebereich von 0 (keine lokalen Alteri) bis 1 (nur lokale Alteri). An dieser Stelle fallen die Verzerrungen tendenziell stärker ins Gewicht: Werden von Ego nur wenige Alteri in den Namensinterpretatoren beschrieben, sind dies zumeist Ehepersonen, die in der Regel im selben Haushalt leben. Aus diesem Grund wird eine weitere Skala exklusive der Ehepartnerinnen und Ehepartner gebildet, die erwartungsgemäß weniger stark verzerrt ist (Lokale Alteri ohne Eheperson). Dies trifft ebenso auf die Skala der geografischen Reichweite zu, die unter Ausschluss der Eheleute einen Mittelwert von 2,84 (SD = 0,70; N = 233) aufweist. Welche Skalen schließlich Verwendung finden, ist an gegebener Stelle empirisch zu entscheiden.

Die soziale Zusammensetzung wird zum einen über den Index Soziale Homophilie gemessen, der die Merkmale Geschlecht, Alter, Bildung, Beschäftigungsverhältnis und Staatsangehörigkeit heranzieht und für jedes Merkmal die Gleichheit zwischen Ego und Alter ermittelt. Der Mittelwert aus allen Beziehungen und Merkmalen beschreibt schließlich Egos Tendenz zur sozialen Homophilie (0 = nicht homophil und 1 = homophil). Tabelle 4.12 offenbart in diesem Fall nur unerhebliche Verzerrungen durch fehlende Alteri-Angaben. Zum anderen misst die Skala Verwandte Alteri den Anteil an familiären und verwandtschaftlichen Beziehungen in Egos Netzwerk. Wiederholt wird zusätzlich eine Vergleichsskala exklusive der Ehepersonen gebildet (Verwandte Alteri ohne Eheperson), wobei auch diesbezüglich in der empirischen Auseinandersetzung zu entscheiden ist, welche Skala jeweils herangezogen wird.

Insgesamt scheinen sich die Verzerrungen, die bei den Mittelwertbildungen aufgrund der relativ hohen Anzahl fehlender Alteri-Angaben erwartet wurden, in einem moderaten Rahmen zu bewegen. Zugunsten der Fallzahlen wird daher bei allen Skalenkonstruktionen auf konditionale Vorgaben verzichtet.

Sozioökonomischer Status

Zuletzt ist die Zweckmäßigkeit eines Indexes zum sozioökonomischen Status, bestehend aus Einkommen, Bildung und beruflichem Prestige, zu prüfen. Aufgrund der hohen Beteiligung von Rentnerinnen und Rentnern existieren nur vergleichsweise wenige gültige Angaben über das Berufsprestige (N = 166; vgl. Abschnitt 4.6.2). Werden zusätzlich jene Fälle gefiltert, die Auskunft über ihre berufliche Tätigkeit geben, ohne aktuell tatsächlich erwerbsmäßig beschäftigt zu sein, reduziert sich die Stichprobe weiter auf 113 Untersuchungseinheiten (vgl. Abschnitt 4.6.1). Vor diesem Hintergrund ist eine Berücksichtigung dieser Variable in einem Index nicht sinnvoll. Da nun aber die Merkmale Einkommen und Bildungsjahre hochsignifikant positiv korrelieren und eine Indexbildung auch unter Reliabilitätsaspekten denkbar ist (r = ,436; p < 0,001; α = ,607), werden die standardisierten Variablen zu einer Mittelwertskala zusammengefasst (Status). Die Sinnhaftigkeit einer verschlankten Statusskala ist im Rahmen der empirischen Analyse zu testen. An dieser Stelle erscheint es wahrscheinlich, dass eine Verwendung der einzelnen Variablen fruchtbarer und informativer ist und das analytische Potenzial entsprechend erhöht wird.

4.6.4 Analyseverfahren

Ein Fokus dieser Arbeit liegt auf der vergleichenden Betrachtung sozialstrukturell unterschiedlicher Stadtteile. Auf dieser Basis sollen charakteristische Vernetzungs- und Partizipationsmuster aufgedeckt, aber auch die Existenz ähnlicher Mechanismen mit dem Potenzial der Übertragung auf weniger extreme Fälle überprüft werden. Dieses Vorhaben ist in Anbetracht des generierten Stichprobenumfangs (N = 314) nur mit deutlichen Einschränkungen realisierbar. In multivariaten Analysen würde das Splitten der Stichprobe etwa zu nicht akzeptablen Fallzahlen führen (Hahnwald: N = 142; Chorweiler: N = 172). Zugunsten robusterer Ergebnisse wird daher zunächst auf eine Gegenüberstellung der Stadtteile verzichtet, infolgedessen die Hypothesen des ersten und zweiten Untersuchungsmodells ausschließlich auf Basis der Gesamtstichprobe analysiert werden. Der angestrebte Vergleich sozialer Kontexte wird darauffolgend im Rahmen des dritten Untersuchungsmodells aufgegriffen, wobei sich vorwiegend deskriptiver Verfahren bedient wird.

Zur statistischen Überprüfung der Individualzusammenhänge zwischen sozioökonomischen Ressourcen, sozialen Netzwerken und politischer Partizipation werden insbesondere regressionsanalytische Verfahren eingesetzt. Diese modellieren Zusammenhänge zwischen einer abhängigen und mehreren unabhängigen Variablen, wobei das spezifische Verfahren über das Skalenniveau der abhängigen Variable bestimmt wird. Ist diese metrisch skaliert, werden die Einflüsse der erklärenden Variablen auf die Zielvariable mittels multipler linearer Regressionsanalysen getestet (i. E. Anzahl Vereinsmitgliedschaften, Anzahl Netzwerkpersonen, geografische Reichweite, soziale Homophilie, politische Partizipation). Der Vergleich der Effektstärken erfolgt anhand der standardisierten Regressionskoeffizienten (Beta-Werte) und die Modellgüte wird über den korrigierten Determinationskoeffizienten R2 geschätzt. Für jedes Modell werden des Weiteren standardmäßig die Voraussetzungen linearer Regressionen überprüft und diagnostizierte Abweichungen, die unter Umständen Fallausschlüsse oder Transformationen der abhängigen oder unabhängigen Variablen bedingen, an entsprechender Stelle berichtet (vgl. zum Überblick Urban/Mayerl 2011: 177–273). Die übrigen abhängigen Variablen sind hingegen mehrfach kategorial (i. E.: Mitgliedschaftsstatus, Vereinstypus), sodass statistische Zusammenhänge mittels multinomialer logistischer Regressionsverfahren untersucht werden. Mit dieser Methode wird geprüft, inwiefern eine Merkmalsausprägung der unabhängigen Variable die Chance beeinflusst, einen aktiven respektive passiven Status aufzuweisen oder einem bestimmten Vereinstypus anzugehören. Zur Interpretation dieser Beziehungen werden die Effektkoeffizienten (Odds Ratios) herangezogen und die Modellgüte anhand eines Pseudo-R2 geschätzt, wobei in diesem Fall das Bestimmtheitsmaß nach McFadden genutzt wird (vgl. Gautschi 2010: 228).

Sozialräumliche Einflüsse auf die soziale und politische Partizipation werden schließlich anhand multipler korrespondenzanalytischer Verfahren untersucht. Im Zentrum der Mehrfachkorrespondenzanalysen, auch als Homogenitätsanalysen bezeichnet, steht die Aufdeckung grundlegender geografischer Strukturen zwischen den Variablen. So werden bei diesem Verfahren (latente) orthogonale Dimensionen auf Basis der größtmöglichen Unterschiede zwischen (manifesten) kategorialen Daten bestimmt. Auf diese Weise wird ein zweidimensionaler Raum produziert, in dem sich die einzelnen Merkmale auf Basis ihrer relationalen Ähnlichkeiten und ihrer Nähe respektive Distanz zum Ursprung interpretieren lassen. Folglich werden die Annahmen über den sozialen Kontext primär anhand der grafischen Ausgabe der Prozedur dargestellt und ausgewertet. Der Erklärungsbeitrag jeder Dimension wird über die Summe der Diskriminationsmaße jeder Variable je Dimension berechnet (vgl. Blasius 2001: 199; Gabler 1993: 22; Gifi 1990: 81).