In Anschluss an die Theoretisierung sozialer Netzwerke als zentraler Erklärungsfaktor politischer Beteiligung wird im vorliegenden Kapitel das Untersuchungskonzept dieser Arbeit entwickelt. Dies beinhaltet zunächst die Herleitung und Formulierung der grundlegenden Forschungsfrage (vgl. Abschnitt 3.1). Daran anschließend werden die zentralen Begriffe dieser Arbeit präzisiert und der empirische Forschungsstand zur sozialen Netzwerkeinbettung dargelegt (vgl. Abschnitte 3.2, 3.3). Dessen Diskussion soll Stärken und Schwächen der aktuellen Auseinandersetzung aufzeigen und damit Anknüpfungspunkte für die weitere Konzeptualisierung liefern. Auf dieser Grundlage werden schließlich theoretische Erklärungsstrategien, das empirische Forschungsmodell und statistisch überprüfbare Hypothesen generiert (vgl. Abschnitte 3.4, 3.5).

3.1 Forschungsperspektive und Forschungsfrage

In der theoretischen Auseinandersetzung wurde expliziert, warum bis dato keine hinreichend überzeugende Erklärung für den empirisch starken Zusammenhang zwischen sozioökonomischen Ressourcen und politischer Partizipation existiert. Diese Untersuchung zielt nun darauf, gegebene theoretische Lücke mit Hilfe der individuellen Einbindung in soziale Netzwerke zu beleuchten.

Grundlegend ist der Blick auf soziale Netzwerke kein neues Phänomen in der politischen Partizipations- und Demokratieforschung. Vielmehr akzentuieren Verba, Schlozman und Brady (1995: 390), dass „the nonpolitical institutions of civil society have long been at the heart of theories of democracy“. So beurteilte Tocqueville freiwillige Vereinigungen bereits 1835 als wesentliche Grundlage funktionierender, da gelebter, Demokratien (vgl. de Tocqueville 2004 [1835]; Freitag 2001: 91; Kern 2004: 113). Der auf ihn zurückgehende Ausdruck Schulen der Demokratie, mit dem er die politische Schlüsselfunktion zivilgesellschaftlicher Assoziationen umschreibt, ist längst zum geflügelten Wort in der Partizipationsforschung avanciert. Seine Ausführungen bilden schließlich den Ausgangspunkt der sozialen Netzwerkforschung an der Schnittstelle zu politischer Beteiligung und Demokratie. Als richtungsweisend für die moderne Auseinandersetzung mit dieser Thematik hat sich ferner die Civic Culture-Studie von Almond und Verba (1963) erwiesen. Innerhalb dieser Untersuchung demonstrieren sie unter anderem einen positiven Einfluss freiwilliger Vereinigungen auf die politische Aktivität ihrer Mitglieder und attestieren ihnen in der Folge eine demokratiestärkende Funktion (vgl. ebd.: 318). Obgleich diese Studie teils erheblicher methodischer Kritik ausgesetzt ist, ebneten die Autoren den Weg für eine neue Sichtweise in der politischen Partizipations- und Kulturforschung (vgl. Mohrenberg 2006: 121 f.). Das politische Potenzial sozialer Netzwerke wurde schließlich Ende des 20. Jahrhunderts insbesondere von Verba et al. (1995) und Putnam (1993, 2000) im Rahmen der vormals diskutierten Konzepte Civic Voluntarism Model und Sozialkapital aufgegriffen (vgl. Abschnitte 2.3, 2.4). Speziell letzteres hat die heutige Netzwerkforschung in Reichweite, Methodik und Einfluss nachdrücklich stimuliert.

Diese Untersuchung schließt an den politischen Wert sozialer Netzwerke an, erweitert den Bezugsrahmen jedoch um eine Ressourcenperspektive. Wie vormals dargelegt, wurde die Rückführung sozialer Einbindungen auf sozioökonomische Statusvariablen bislang nur unzureichend behandelt, wobei es den dargelegten Ansätzen an einem systematischen und theoretisch ausdifferenzierten Bezug auf jene Ressourcen im Kontext politisch relevanter Netzwerke mangelt. Angelehnt an die Ausführungen Bourdieus wird in dieser Arbeit nun angenommen, dass die individuelle Kapitalausstattung der Netzwerkeinbettung vorgelagert ist, die sozioökonomischen Ressourcen demnach die Quantität wie Qualität sozialkapitalrelevanter Beziehungen beeinflussen. Unter dieser Prämisse soll die politische Passivität statusschwacher Personengruppen erklärbar werden. Folglich wird erstens erwartet, dass bestimmte Personen aufgrund eines begrenzten Kapitalvolumens nur wenig Sozialkapital akkumulieren, wodurch ihnen zweitens der Zugang zu wesentlichen partizipationsbezogenen Mechanismen sozialer Einbindungen versperrt bleibt, was sich drittens in einer geringen politischen Teilhabe äußert. In dieser Perspektive bilden die sozialen Netzwerke sonach einen missing link, eine theoretische Erklärungsgröße für den empirisch unbestreitbaren Zusammenhang zwischen sozioökonomischen Ressourcen und politischer Partizipation. Die erwartete Beziehung zwischen den drei Komponenten lässt sich ferner als eine Erweiterung des Matthäus-Effektes, der insbesondere in der sozialen Netzwerkforschung einen Stellenwert erlangt hat, interpretieren: Wer auf Grundlage individueller Ressourcen sozialen Erfolg hat, wird auch politischen Erfolg habenFootnote 1. Die grundlegende Forschungsperspektive zusammenfassend wird für diese Untersuchung folgende Forschungsfrage formuliert: Inwieweit erklärt die Einbindung in formelle und informelle soziale Netzwerke die differenzielle politische Beteiligung sozioökonomischer Statusgruppen?

Die Arbeit fokussiert entsprechend nicht nur die Aufdeckung empirischer Zusammenhänge, sondern explizit auch deren theoretische Begründung. Zu diesem Zweck werden im weiteren Verlauf dieses Kapitels theoretische Erklärungsstrategien ausgearbeitet, die gemeinsam mit den Erkenntnissen aus dem aktuellen Forschungsstand in das empirische Untersuchungsmodell einfließen. Auf dieser Basis soll ein umfassender Beitrag um den Wert sozialer Netzwerke und politisch relevanten Sozialkapitals geleistet werden. Aufgrund der Vieldeutigkeit der zentralen Konzepte werden diese zunächst einer zweckgebundenen Eingrenzung unterzogen.

3.2 Präzisierung zentraler Begriffe

Im Mittelpunkt dieser Untersuchung stehen die Begriffe Sozialkapital und soziale Netzwerke, welche nunmehr seit Jahrzehnten relevante Größen in vielfältigen wissenschaftlichen Disziplinen abbilden und in den unterschiedlichsten Feldern thematisiert werden. Dennoch, oder vielmehr deswegen, existieren für beide Konzepte weder allgemeingültige Definitionen noch wissenschaftlich einheitliche Konventionen über ihren Gebrauch. Damit im weiteren Verlauf Klarheit über deren Verwendung besteht, werden die Begriffe im Folgenden für die Zwecke dieser Arbeit präzisiert. Diese Eingrenzung baut auf den vorherigen theoretischen Darstellungen auf und korrespondiert mit den grundlegenden Forschungszielen, erhebt aber keinen Anspruch auf Universalität.

3.2.1 Sozialkapital

Der Begriff des sozialen Kapitals wird im Wesentlichen entlang der Konzeption von Putnam verwendet, die einen direkten Bezug zum Themenfeld der politischen Beteiligung bereithält. An seinem Entwurf sind jedoch zwei wesentliche Konkretisierungen definitorischer und methodischer Art vorzunehmen.

Definitorisch ist Sozialkapital bei Putnam entweder als multidimensionales Konzept zu verstehen, das unter den Sammelbegriff des sozialen Kapitals alle möglichen Dimensionen fasst, oder aber als Konzept, in dem die sozialen Netzwerke den übrigen Dimensionen strukturell vorgelagert sind. In der zweiten Auffassung wird Sozialkapital definiert als „connections among individuals – social networks and the norms of reciprocity and trustworthiness that arise from them“ (Putnam 2000: 19). Dies impliziert weiter eine konzeptuelle Trennung der einzelnen Bestandteile. Tatsächlich existieren Hinweise dafür, dass „sich die theoretisch unterscheidbaren Komponenten auch empirisch sehr deutlich unterscheiden“ (Franzen/Pointner 2007: 86). Dieses Argument aufgreifend wird im Folgenden auf die hier dargelegte Definition Bezug genommen und eine terminologische Differenzierung der Einzelelemente angestrebt. Der Begriff Sozialkapital wird schließlich für die sozialen Netzwerke reserviert, innerhalb derer kulturelle Elemente wie Reziprozität und Vertrauen generiert werden können.Footnote 2

Erste Präzisierung: Sozialkapital besteht aus sozialen Netzwerken, welche die Ausbildung von Reziprozitätsnormen und Vertrauen ermöglichen.

Methodisch ist des Weiteren eine Konkretisierung der von Putnam verwendeten Analyseebenen vorzunehmen. In Abhängigkeit des spezifischen Untersuchungsziels versteht er Sozialkapital entweder als individuelles oder als kollektives Gut, welches entweder privaten oder öffentlichen Nutzen stiftet (vgl. Putnam 2000: 20). Eine solche Durchmischung der gesellschaftlichen Ebenen hat jedoch analytische Uneindeutigkeiten zur Folge und birgt das Potenzial für vielfältige Fehlinterpretationen. Notwendige konzeptionelle Klarheit liefert an dieser Stelle Essers differenziertere Betrachtung sozialen Kapitals, das er in die Teilbegriffe Beziehungs- und Systemkapital zergliedert. Während das Systemkapital „ganz von den einzelnen Akteuren abgelöst“ ist und als öffentliches Gut der Makroebene definiert wird (Esser 2000: 256), handelt es sich bei dem Beziehungskapital um eine persönliche Ressource der Mikroebene, auf die eine Person über ihre „unmittelbaren und mittelbaren Beziehungen zu anderen individuellen Akteuren zugreifen kann“ (ebd.: 242). In aggregierter Form kann auch Beziehungskapital externe Effekte bereitstellen, ist dabei aber vom Systemkapital zu unterscheiden. Analog zum Beziehungskapital wird Sozialkapital im Folgenden als individuelle Handlungsressource mit privatem Nutzen aufgefasst, wobei jedoch immer die Möglichkeit der Aggregation in größeren sozialen Kontexten, wie einem Wohngebiet, mitgedacht ist (vgl. Koob 2007: 263).

Zweite Präzisierung: Sozialkapital ist eine individuelle Ressource, die interne und in aggregierter Form auch externe Effekte erzeugen kann.Footnote 3

Zusammenfassend wird Sozialkapital in dieser Untersuchung als individuelle Ressource verstanden, die auf der Netzwerkeinbettung einer Person basiert. Die sozialen Netzwerke bilden weiter die strukturelle Grundlage zur Ausbildung von Normen und Vertrauen als kulturelle Dimensionen sozialen Kapitals. Obgleich Sozialkapital primär internen Nutzen stiftet, kann sich dieser auch auf einen größeren sozialen Kontext ausdehnen.

3.2.2 Soziale Netzwerke

Soziale Netzwerke bezeichnen entweder personale Beziehungsstrukturen oder einen „spezifischen Koordinationsmodus gesellschaftlicher und politischer Interaktion“ (Marx 2010: 96). Während der Fokus in erster Lesart auf zwischenmenschlichen Beziehungen liegt, sind mit der zweiten Herangehensweise auch Beziehungen zu Organisationen oder Institutionen impliziert. Da sich diese Untersuchung ausschließlich auf miteinander agierende Personen konzentriert, wird unter sozialen Netzwerken zunächst allgemein das „Gesamt an sozialen Beziehungen zwischen einer definierten Menge von Personen“ verstanden (Röhrle 1994: 1). Von Interesse sind dabei ausschließlich Beziehungen, die auf freiwilliger Basis und nicht als Resultat jedweden Zwangs geschlossen werden. Aus den spezifischen Beziehungsgeflechten lassen sich weiter Aussagen über das soziale Handeln der betreffenden Personen und die Strukturen ihrer sozialen Welt ableiten (vgl. Marx 2010: 97; Mitchell 1969: 2).Footnote 4

Erste Präzisierung: Soziale Netzwerke bestehen aus freiwilligen Beziehungen zwischen einer angebbaren Anzahl an Personen.

Im Alltag sind Personen gewöhnlich in zahlreiche Netzwerke eingebettet, die entweder formal organisiert sind oder informellen Charakter besitzen (vgl. Marx 2010: 97). In empirischen Untersuchungen stehen meist institutionalisierte Formen sozialer Einbindung im Zentrum, weil diese im Vergleich zu informellen Beziehungskonstellationen stabiler, strukturierter, verpflichtender, weniger zahlreich und somit insgesamt besser erfass- und messbar sind (vgl. Bühlmann/Freitag 2004: 329 f.; Gabriel et al. 2002: 39; Newton 1999: 10; Putnam/Goss 2001: 25). Allerdings kommt auch den persönlichen und direkten Beziehungen eine zentrale Bedeutung zu: „In the first place they are the very substance of society – its basic woven fabric“ (Newton 1999: 10; vgl. auch Putnam 2000: 95). Tatsächlich werden durch die Konzentration auf formelle Mitgliedschaften relevante Aspekte sozialer Einbettung vernachlässigt und die gesellschaftliche Einbindung von Personen systematisch unterschätzt. Im Folgenden wird der Tatsache Rechnung getragen, dass soziale Integration nicht nur in formellen Assoziationen, sondern in den unterschiedlichsten gesellschaftlichen Bereichen stattfinden kann (vgl. Abendschön 2013: 103; Putnam/Goss 2001: 25). Dabei werden unter formellen Beziehungen sämtliche Bindungen gefasst, die auf Mitgliedschaften in Vereinen, Verbänden oder Organisationen beruhen, wohingegen informelle Beziehungen persönliche Bindungen in familiären oder freundschaftlichen, beruflichen oder privaten Kontexten abbilden (vgl. Abschnitt 2.4.5).

Zweite Präzisierung: Soziale Netzwerke bestehen aus formellen und informellen Beziehungen zwischen Menschen.

Mit dem Einbezug alltäglicher und nicht-organisierter Beziehungen sind nun theoretisch sämtliche Kontakte zwischen Menschen unter dem Stichwort sozialer Netzwerke zu summieren. Da eine solch allumfassende Konzeption allerdings wenig zweckdienlich wäre, wird dem Begriff im Weiteren eine gewisse zeitliche Stabilität unterstellt. Somit bilden zufällige und willkürliche (Gruß-)Bekanntschaften wie nicht wiederkehrende Zusammentreffen zwischen Menschen keinen Teil der Begriffsauslegung (vgl. Gabriel et al. 2002: 39; Marx 2010: 97).

Dritte Präzisierung: Soziale Netzwerke bestehen aus zeitlich relevanten Beziehungen zwischen Menschen.

Darüber hinaus werden mit dem Begriff der sozialen Netzwerke seit einigen Jahren verstärkt Internetplattformen wie Facebook oder Twitter assoziiert, auf denen die Beteiligten miteinander kommunizieren und interagieren. Diese Untersuchung beschäftigt sich jedoch ausschließlich mit physischen, nicht-digitalen Beziehungen zwischen Menschen, sodass Online-Netzwerke keine Berücksichtigung in dieser Netzwerkkonzeption finden.

Vierte Präzisierung: Soziale Netzwerke bestehen aus nicht-digitalen Beziehungen zwischen Menschen.

Zusammenfassend werden soziale Netzwerke als abgrenzbare Gruppe von Personen verstanden, die miteinander in Beziehung stehen. Diese Beziehungen werden auf freiwilliger Basis im Rahmen formeller oder informeller Bezugskontexte geschlossen. Sofern der Kontakt nicht nur einmalig oder sehr kurzlebig stattfindet, sind Dauer und Regelmäßigkeit persönlicher Treffen ebenso wenig von Relevanz wie Inhalt, Ziel, Zweck oder Eigenschaft der Beziehung. Ferner sind mit dem Begriff keine Angaben über hierarchische oder machtbezogene Verhältnisse innerhalb der sozialen Beziehung impliziert. Nachfolgend werden die sozialen Netzwerke in der aktuellen empirischen Auseinandersetzung betrachtet.

3.3 Empirischer Forschungsstand

Der aktuelle Forschungsstand über soziale Netzwerke wird zunächst im Zusammenhang zur politischen Partizipation diskutiert. Beeinflusst vom Tocquevillschen Grundgedanken und angelehnt an die Ergebnisse von Verba, Schlozman und Brady (1995) sowie Putnam (1993, 2000) existiert inzwischen eine nicht unerhebliche Zahl empirischer Studien über die politische Relevanz sozialer Einbindungen. Wie in Abschnitt 3.1 herausgestellt, wird darin aber mehrheitlich kein direkter Bezug zum sozioökonomischen Status hergestellt. Daher erfolgt im Anschluss ein Überblick über empirische Untersuchungen im Bereich ressourcenbedingter Netzwerkeinbettung. Die Diskussion des Forschungsstandes soll relevante Positionen aber auch Grenzen der aktuellen Auseinandersetzung aufzeigen, die schließlich in das empirische Untersuchungsmodell einfließen.Footnote 5

3.3.1 Soziale Netzwerke und politische Partizipation

Die überwiegende Mehrheit der Untersuchungen über partizipationsrelevante Netzwerke konzentriert sich einseitig auf formelle oder informelle Netzwerkeinbettungen. Dementsprechend verläuft auch die Erörterung des empirischen Forschungsstandes differenziert nach diesem Kriterium.

Formelle Netzwerke und politische Partizipation

Mitgliedschaften in Vereinen, Organisationen oder VerbändenFootnote 6 stellen regelmäßige und meist dauerhafte soziale Beziehungsgeflechte dar, die für Putnam (1993: 90) herausragende Kontexte zum Erlernen von Kooperation, Kommunikation sowie partizipationsrelevanter Werte und Normen darstellen. In diesem Sinne ist anzunehmen, dass jene Mitgliedschaften die politische Partizipationswahrscheinlichkeit einer Person befördern. Tatsächlich ist ein solcher Zusammenhang mittlerweile für zahlreiche Länder und unterschiedliche Personengruppen nachgewiesen, wobei die Stärke der Effekte jedoch in Abhängigkeit des Institutionstypus, der Mitgliederstruktur sowie weiterer Mitgliedermerkmale variiert.

Eines dieser Merkmale ist das Niveau der Vereinsaktivität, wobei Putnam (2000: 58) betont, dass „not merely nominal membership, but active and involved membership“ eine Relevanz zuzuschreiben ist. Diese Sichtweise bestätigen Kunz und Gabriel (2000: 62 f., 68) anhand der Analyse unterschiedlicher Freiwilligenorganisationen. Während eine Mitgliedschaft zwar grundsätzlich die politische Teilhabe einer Person begünstigt, ist eine aktive Mitgliederrolle in diesem Zusammenhang als besonders vorteilhaft hervorzuheben. Auch Terriquez (2011: 597) differenziert zwischen aktiven und passiven Mitgliedern einer US-amerikanischen Gewerkschaft und belegt, dass erst ein gewisser Grad an Aktivität die Entwicklung von civic skills und damit die politische Teilhabe befördert. In diesem Sinne charakterisiert sie aktive Personen schließlich als selbstbewusster und eher befähigt, ihre Interessen zu formulieren und zu artikulieren als passive Mitglieder. Vergleichbare Zusammenhänge weist Teorell (2003: 62) für die Mitglieder schwedischer Freiwilligenorganisationen nach und führt die politische Teilhabe der aktiven Mitglieder gleichermaßen auf die vereinsinduzierte Kultivierung partizipationsrelevanter Werte zurück. Darüber hinaus belegt er jedoch zusätzlich ein höheres politisches Beteiligungsniveau der passiven Mitglieder im Vergleich zu den Nichtmitgliedern, das er auf das Rekrutierungspotenzial formeller Assoziationen zurückführt. Diese Befunde bestätigen demnach nicht nur die Funktion sozialer Netzwerke als politische Sozialisations- und Rekrutierungsinstanzen, sondern relativieren zudem eine allzu hohe Bedeutung aktiver Mitgliedschaften. Da Partizipationsanfragen und -aufforderungen auch weniger stark eingebundene Mitglieder erreichen, können ebenso passive Personen von einer Vereinsmitgliedschaft profitieren. Noch deutlicher finden Wollebæk und Selle (2002, 2003) in Norwegen keine bemerkenswerten Unterschiede zwischen aktiven und passiven Mitgliedern, sodass sie Freiwilligenorganisationen schließlich allgemein „as networks of political influence, even for those not actively involved“ beschreiben (Wollebæk/Selle 2002: 57).

In Bezug auf den Vereinstypus heben verschiedene Untersuchungen die Bedeutung politisch orientierter Vereine auf die individuelle Wahlbeteiligung beziehungsweise die allgemeine politische Partizipation hervor (vgl. Freitag 2005: 686, 2010: 440; Freitag/Stadelmann-Steffen 2010: 440; Schulz/Bailer 2012: 13). Jedoch sind solche Mitgliedschaften zum einen bereits selbst als politische Beteiligung zu werten, zum anderen ist fraglich, inwieweit diese Zusammenhänge als Wirkungen sozialer Netzwerke zu interpretieren sind. Die Existenz von Selbstselektionseffekten ist an dieser Stelle wahrscheinlich und im weiteren Verlauf dieses Abschnittes anknüpfend zu diskutieren (vgl. zum Überblick Hooghe 2003; Quintelier 2013). Darüber hinaus stellen weitere empirische Untersuchungen die Relevanz einer politischen Vereinsausrichtung generell infrage. So belegen Stolle und Rochon (1998: 61) anhand von Umfragedaten aus den USA, Deutschland und Schweden eine positive Assoziation zwischen politischer Aktivität und sämtlichen Formen von Freiwilligenorganisationen. Gleichermaßen finden Wollebæk und Selle in zwei empirischen Untersuchungen keine signifikanten Unterschiede zwischen den Politisierungspotenzialen politischer und nicht-politischer Organisationstypen. Am vorteilhaftesten für soziales und politisches Engagement sei schlussendlich aber die Mitgliedschaft in beiden Typen (vgl. Wollebæk/Selle 2002: 54, 2003: 84). Indes betonen Putnam (1993, 2000) sowie Verba, Schlozman und Brady (1995) ausdrücklich den Wert nicht-politischer Vereinigungen, die unabhängig der spezifischen Vereinsziele die politische Teilhabe einer Person anheben. Empirisch untermauert wird diese Einschätzung von Erlach (2005: 42 f.) anhand der Häufigkeit politischer Diskussionen, die bei Mitgliedern sämtlicher nicht-politischer Vereine grundsätzlich höher ausfällt als bei Nichtmitgliedern. Dementgegen ermitteln Gabriel et al. (2002: 211) differierende Politisierungsmöglichkeiten in Abhängigkeit der jeweiligen Vereinsausrichtung. Im Gegensatz zu interessenbasierten und karitativ ausgerichteten Organisationen haben Sportvereine keinerlei Auswirkungen auf die Unterstützung des politischen Systems oder der demokratischen Institutionen durch ihre Mitglieder. Vergleichbar bestätigen Alexander et al. (2012: 54 f.) sowie Schulz und Bailer (2012: 13) eine stärker politisierende Wirkung interessenbasierter im Vergleich zu freizeitorientierten Gruppierungen.

Ein weiteres Merkmal institutionalisierter sozialer Integration betrifft die Anzahl an Vereinsmitgliedschaften. Im empirischen Diskurs besteht weitestgehend Einigkeit darüber, dass die politische Aktivität einer Person mit der Zahl ihrer Mitgliedschaften zunimmt (vgl. Kunz/Gabriel 2000: 63). Darüber hinaus belegen sowohl Alexander et al. (2012: 55) als auch Wollebæk und Strømsnes (2008: 249, 259), dass die Quantität sogar einen entscheidenderen Einfluss auf die individuelle Partizipationsentscheidung ausübt als der Grad der Aktivität und Intensität. Besonders positiv für die politische Teilhabe sei überdies das Engagement in mehreren Vereinen unterschiedlicher Ausrichtung, da unter diesen Bedingungen die Wahrscheinlichkeit besonders hoch ist, in Kontakt zu unterschiedlichen Aufgaben und Personengruppen und somit heterogenen Meinungen und Interessen zu kommen. Im Weiteren belegen mehrere empirische Untersuchungen einen positiven Zusammenhang zwischen multiplen Vereinsmitgliedschaften und politischem Interesse, sozialer und politischer Toleranz sowie dem sozialen Vertrauen (vgl. Coffé/Geys 2007: 401; Quintelier 2013: 186; Wollebæk/Selle 2002: 54, 2003: 84). Damit bestätigen neuere empirische Studien einen kumulativen Effekt institutionalisierter Mitgliedschaften, den Almond und Verba (1963: 320) bereits vor rund fünf Jahrzehnten proklamiert haben: „[M]embership in one organization increases an individual’s sense of political competence, and membership in more than one organization leads to even greater competence“.

Über die reine Anzahl an Vereinsmitgliedschaften hinausgehend unterscheidet Paxton (2002: 270 f.) in einem internationalen Vergleich zwischen isolierenden (u. a. Gewerkschaften, religiöse Vereine) und verbindenden (u. a. soziale und kulturelle Gruppierungen) Vereinstypen, wobei sie sich explizit an Putnams Differenzierung bindender und brückenbildender Netzwerke orientiert (vgl. Putnam 2000: 22; Abschnitt 2.4.5). Übereinstimmend mit Putnam weist sie im Weiteren einen positiven Einfluss brückenbildender respektive verbindender Vereinigungen auf die Demokratie eines Landes nach, während abgrenzende Assoziationen tendenziell negative Effekte ausüben. Insgesamt zeichnet sie jedoch kein allzu optimistisches Bild über den Zusammenhang zwischen Sozialkapital und Demokratie, für den es insgesamt nur wenige empirische Belege gebe (vgl. Paxton 2002: 254). Die positiven Wirkungen brückenbildender Vereinigungen bekräftigen indes Coffé und Geys (2007: 401) in einer belgischen Studie, indem sie zeigen, dass sich die Mitglieder dieser Vereine hinsichtlich sozialer wie politischer Haltungen von den Mitgliedern bindender Vereine unterscheiden. Zusammenfassend offenbaren sich in ihrer Untersuchung keinerlei Verknüpfungen zwischen der Mitgliedschaft in bindenden Assoziationen und der Kultivierung staatsbürgerlicher Einstellungen. Nakhaie (2008: 854) charakterisiert in einer kanadischen Studie zwar grundsätzlich beide Arten des Sozialkapitals als positive Prädiktoren der politischen Partizipation, stellt jedoch ebenfalls brückenbildende Netzwerke ins Zentrum. Diese sind in besonderem Maße zur Verbreitung politischer Informationen und zum Aufbau interpersonalen Vertrauens geeignet, sodass politische Aktivitäten ermöglicht werden.

Insgesamt existiert eine relativ große Bandbreite empirischer Studien, die zumeist positive Zusammenhänge zwischen formaler Netzwerkeinbindung und politischer Beteiligung berichten. Allerdings offenbaren sich je nach Land, Methode, Datenbasis und Operationalisierung zum Teil widersprüchliche Befunde und einige Untersuchungen verweisen zudem auf die Existenz von Selbstselektionseffekten. Demnach steigert die Vereinstätigkeit nicht die politische Beteiligung, sondern Vereine bilden vielmehr ein Sammelbecken für politisch ohnehin Interessierte. Bislang existiert noch kein abschließendes Urteil über die Verbreitung von Selbstselektionseffekten; denkbar ist außerdem, dass sowohl Sozialisations- als auch Selbstselektionseffekte existieren, die miteinander interagieren (vgl. Erlach 2005; van der Meer/van Ingen 2009; Quintelier 2013; Hooghe 2003). Vergleichsweise wenig Aufmerksamkeit wird zudem der Frage gewidmet, ob eine Vereinsmitgliedschaft alle Formen politischer Beteiligung gleichermaßen positiv beeinflusst. Erste Befunde deuten an, dass besonders legale und organisationsbezogene Partizipationsformen sowie nicht-individuelle politische Aktivitäten von einer Vereinseinbindung profitieren (vgl. Gabriel/Völkl 2008: 292; Kunz/Gabriel 2000: 63 ff.; Steinbrecher 2009: 70 f.).

Informelle Netzwerke und politische Partizipation

Im Vergleich zur formellen Integration ist die empirische Datenlage im Bereich informeller Netzwerkeinbindung und politischer Partizipation relativ begrenzt. So stellen verhältnismäßig wenig Forschende persönliche Beziehungskonstellationen ins Zentrum ihrer Analysen, wodurch eine wichtige Form sozialer Eingebundenheit weitestgehend ausgeblendet wird.

Die Bedeutung informeller Netzwerke akzentuieren Gabriel und Völkl (2008: 277 f., 293) im Rahmen einer europaweiten Studie, die sich neben der formalen Mitgliedschaft in Freiwilligenorganisationen auch auf informelle soziale Hilfeleistungen konzentriert. Letztere sind in Europa im Allgemeinen weiter verbreitet als das formelle soziale Engagement und bilden zudem einen wesentlichen Aspekt traditioneller Partizipation und vor allem politischer Protestaktivitäten ab. Im Zusammenhang mit politischen Rekrutierungsprozessen belegen Verba et al. (1995: 144 f.) des Weiteren eine höhere Quantität politischer Partizipationseinladungen aus informellen denn formellen Netzwerken. Während sie jedoch deren Erfolgswahrscheinlichkeit als etwa gleich hoch bewerten, räumt Teorell (2003: 61) politischen Aufforderungen aus dem Familien-, Freundes- oder Nachbarschaftskreis sogar eine höhere Erfolgsaussicht ein.

La Due Lake und Huckfeldt (1998: 581) fokussieren ferner die Entstehung politisch relevanten Sozialkapitals und akzentuieren, dass dieses nicht etwa in institutionalisierten Kontexten gebildet wird, sondern „is indeed generated in personal networks; that it is a by-product of the social interactions with a citizen’s discussants“. Der alltägliche und informelle Austausch über politische Inhalte steigert die individuelle Expertise, die wiederum eine politische Aktivität wahrscheinlicher macht (vgl. Abschnitt 2.3). Politische Diskussionen im Rahmen sozialer Netzwerke und ihr Einfluss auf die politische Partizipation stehen ebenfalls in einer japanischen Studie von Ikeda und Richey (2005: 256) im Fokus. Ihrer Argumentation folgend sind horizontale informelle Netzwerke, die sich durch eine besondere Nähe und persönliche Bekanntheit auszeichnen, hervorragend zum politischen Meinungsaustausch und der Verbreitung relevanter Informationen geeignet. Während größere Vereins- oder Organisationskontexte Hemmungen verursachen können, über meinungsbildende Themen zu diskutieren, verlieren sich diese im persönlichen Umfeld. Die Tendenz, sich bei der Konfrontation mit andersartigen Meinungen aus öffentlichen Debatten herauszuhalten, ist hinreichend belegt und eine der Hauptannahmen der Schweigespirale der Kommunikationswissenschaftlerin Noelle-Neumann (vgl. Noelle-Neumann 1993; Scheufele/Eveland 2000: 27 f.). Anders als das institutionalisierte Vereinsumfeld schafft die alltägliche Konversation somit „an opportunity to cultivate political opinions, and thus forms one of the essential starting points for civic life“ (Ikeda/Richey 2005: 243).

Im Weiteren existieren einige empirische Hinweise darauf, dass die partizipationssteigernden Wirkungen informeller Netzwerke von quantitativen sowie spezifischen qualitativen Merkmalen abhängen. Intuitiv plausibel wirkt das Argument, dass mit der Größe sozialer Netzwerke auch die Möglichkeiten der individuellen Politisierung steigen. Unter der Prämisse, dass mit der Größe auch die Offenheit sozialer Netzwerke zunimmt, existieren in größeren Netzwerken neben starken auch schwache Bindungen. Insbesondere letztere offerieren einer Person heterogene Ansichten, Meinungen und politische Informationen, die über das eigene Wissen hinausgehen (vgl. Granovetter 1973). Da politisches Wissen und die Expertise sowohl individuelle Kosten und Hürden einer politischen Beteiligung senken als auch zu einer Aktivität motivieren, stehen große Netzwerke grundsätzlich in einem Positivverhältnis zur politischen Beteiligung (vgl. La Due Lake/Huckfeldt 1998: 573, 582). Daneben belegen Scheufele et al. (2004: 321, 332) eine hohe Relevanz der sozialstrukturellen Zusammensetzung sozialer Netzwerke, wobei sie heterogenen Netzwerken einen besonderen Stellenwert einräumen. Da diese die Konstituierung unterschiedlicher Meinungsbilder und die individuelle Kompromissbereitschaft fördern, darüber hinaus Diskussionsmöglichkeiten vervielfältigen und nichtredundante Informationen vermitteln, wird die kognitive Aktivität insgesamt stärker angeregt als in homogenen Beziehungsnetzwerken. Auf dieser Basis resümieren sie prägnant, dass „it is these types of exchanges that are the soul of democracy and that ultimately enable and motivate individuals to become more knowledgeable and participatory citizens“ (ebd.: 332).

Zusammenfassend lässt sich anhand des empirischen Forschungsstandes ein durchaus positiver Einfluss der sozialen Integration auf die politische Partizipation aufzeigen. Dies gilt in besonderem Maße für die formelle Netzwerkeinbindung, wenngleich empirische Studien kein einheitliches Bild zeichnen und teils unterschiedliche Faktoren herausheben. Auch informellen Netzwerken wird ein grundlegendes Politisierungspotenzial eingeräumt, wobei ihr Wert primär in der Verbreitung politischer Informationen, der politischen Rekrutierung und Mobilisierung sowie der politischen Meinungsbildung liegt. Allerdings existieren derzeit vergleichsweise wenige systematische Untersuchungen in diesem Bereich, sodass Putnam und Goss (2001: 26) mit Blick auf die Möglichkeiten persönlicher Netzwerke konstatieren, dass „die Entwicklung neuer Methoden zur Identifizierung und Messung des informellen Sozialkapitals (…) hohe Priorität“ besitzt.

3.3.2 Sozioökonomische Ressourcen und soziale Netzwerke

Der empirische Forschungsüberblick über den Zusammenhang zwischen sozioökonomischen Ressourcen und sozialer Integration erfolgt aus Gründen der Übersichtlichkeit ebenfalls getrennt nach formeller und informeller Netzwerkeinbindung.

Sozioökonomische Ressourcen und formelle Netzwerke

Der Großteil empirischer Studien um den Zusammenhang zwischen Vereinsmitgliedschaften und sozioökonomischen Ressourcen beschreibt eine positive Assoziation dieser Größen. So kommen Li et al. (2003: 519) in einer Längsschnittstudie in Wales und England zu dem grundlegenden Ergebnis, dass „people in higher socio-cultural positions are more likely to take part in civic associations“, wobei diese mit Angehörigen der Arbeiterklasse und formal gering Gebildeten verglichen werden. Letzteren ist aufgrund ihrer geringen Beteiligung in institutionalisierten Organisationen somit der Zugang zu formellem Sozialkapital weitestgehend entzogen (vgl. ebd.: 506).

Analog zu diesen Befunden wird in der empirischen Forschung mehrheitlich auf die Ressourcen Bildung, Einkommen und Berufsstatus Bezug genommen, wobei insbesondere ein positiver Einfluss der Formalbildung vielfach belegt ist. Die Forschungsergebnisse zusammenfassend steigert eine hohe Bildung im Allgemeinen die Organisationsfreude, die Empathiefähigkeit sowie das Problem- und Selbstbewusstsein einer Person, was sich wiederum in einem höheren Sozialvermögen in Form formeller Mitgliedschaften bemerkbar macht (vgl. Bekkers 2005: 445 ff.; Bühlmann/Freitag 2004: 339; Freitag 2001: 97; McPherson/Rotolo 1996; Wilson 2000: 220). Darüber hinaus dokumentiert Freeman (1997: 159 ff., 162 f.) einen positiven Zusammenhang zwischen der Formalbildung einer Person und ihrer Wahrscheinlichkeit, von anderen Personen zu einer sozialen Teilhabe aufgefordert zu werden. Die soziale Rekrutierung bildet ihrerseits einen Erklärungsfaktor für die höhere soziale Partizipation jener Personengruppen. Zusammenfassend stellt die Formalbildung gemäß Wilson (2000: 220) „the most consistent predictor of volunteering“ dar.

Auch in Bezug auf das Einkommen werden überwiegend positive Befunde im Zusammenhang mit einer Vereinstätigkeit berichtet. Während Freitag (2001: 97) für die Schweiz der Bildung vergleichbare Einkommenseffekte nachweist, zeigt Freeman (1997: 152 ff.), dass die Wahrscheinlichkeit sozialen Engagements zwar mit dem Einkommen steigt, die für diese Tätigkeit individuell aufgewendeten Stunden aber parallel sinken. Aufgrund des geringeren Freizeitbudgets statushoher Personen und der sonach hohen Opportunitätskosten einer Vereinstätigkeit verlagert sich ihr soziales Engagement von einer aktiven Teilhabe auf nominale und spendenbezogene Mitgliedschaften (vgl. Abschnitt 2.3.1). Bekkers (2005: 446) findet indes keine Bestätigung für diese Beziehungen und belegt grundsätzlich, dass sich höhere Gehälter nicht nachteilig auf eine soziale Partizipation und deren zeitliche Komponente auswirken. Zudem gelten einkommensstarke Personen als besonders attraktiv für eine formelle Beteiligung, sodass sie im Durchschnitt häufiger zu einer sozialen Teilhabe eingeladen werden als andere Personengruppen. In einer Schweizer Studie beleuchten Bühlmann und Freitag (2004: 339) des Weiteren materielle Ressourcen, die sie über den Hausbesitz operationalisieren, und weisen für dieses Merkmal ebenfalls positive Effekte auf die Wahrscheinlichkeit einer Vereinsmitgliedschaft nach. Nicht festzustellen sind anhand ihrer Daten indes Zusammenhänge zum beruflichen Status. Diesbezüglich können andere empirische Studien aber durchaus eine positive Beziehung zwischen Freiwilligenengagement und einer hohen beruflichen Qualifizierung, die mit spezifischen Wissensvorräten einhergeht, aufzeigen. So beteiligen sich primär Personen, die aufgrund ihrer (Aus-)Bildung und Erwerbssituation überdurchschnittliche Qualifikationen mitbringen, in zivilgesellschaftlichen Organisationen (vgl. Bühlmann/Schmid 1999: 42; Freitag 2001: 97).

Neben Einkommens- und Bildungseinflüssen geht Bekkers (2005: 447) in einer niederländischen Studie zusätzlich auf die Kircheneinbindung ein, die ebenfalls positiv mit formellen Netzwerken, insbesondere der Mitgliedschaft in politischen Vereinigungen sowie multiplen Vereinsmitgliedschaften, assoziiert ist. Wenngleich die Religiosität keine sozioökonomische Ressource darstellt, ist sie dennoch Bestandteil vieler empirischer Studien in diesem Bereich und auch Putnam betont ihren besonderen Stellenwert für das Sozialkapital.Footnote 7 Hingegen ist die Bedeutung der Konfessionszugehörigkeit empirisch nicht eindeutig zu beurteilen. Einige Untersuchungen verweisen auf die liberale Tradition der protestantischen Kirche, die das Vereins- und Gemeinwesen fördert, wohingegen die hierarchisch organisierte katholische Kirche der Entwicklung horizontaler Beziehungen und zivilen Engagements tendenziell entgegenstehe (vgl. Curtis et al. 2001: 785 f.; Putnam 1993: 107; Verba et al. 1995: 245 f., 320 f.). Andere Studien unterstreichen indes den positiven Einfluss der katholischen Religionszugehörigkeit, die in besonderem Maße gemeinschaftliche Werte hervorbringt und so eine Vereinstätigkeit begünstigt (vgl. Offe/Fuchs 2001: 445). Gabriel et al. (2002: 115) finden ausgehend von der Kirchenbindung eindeutig positive Effekte auf die formelle Integration – und zwar unabhängig der jeweiligen Konfession. Des Weiteren existieren Hinweise darauf, dass die Religiosität womöglich weniger als individuelles denn als kontextbezogenes Merkmal zu betrachten ist, da die Kirche, etwa durch die Bereitstellung von Räumen, Gelegenheiten zu Vereinsaktivitäten offeriert (vgl. Offe/Fuchs 2001: 445).

Während sich der überwiegende Teil empirischer Studien mit der individuellen Teilhabe in Freiwilligenorganisationen befasst, beziehen Gabriel et al. (2002: 110 f.) außerdem freizeitbezogene Vereine in ihre Untersuchung ein und differenzieren drei Typen zivilgesellschaftlicher Assoziationen. Anhand von Daten des World Values Survey weisen sie schließlich nach, dass ein hoher sozialer Status (Bildung, Einkommen, Schicht) die Wahrscheinlichkeit einer Mitgliedschaft in einem Sportverein allgemein positiv beeinflusst. Ebenso ist eine Verknüpfung zu den verschiedenen Interessengruppen ableitbar, wobei sich vor allem eine Erwerbstätigkeit positiv und eine Nichtbeschäftigung negativ auswirken. Zmerli (2008: 62) bewertet diesen Befund als „wenig überraschend, reflektiert diese Form der Mitgliedschaft doch hauptsächlich Bedürfnisse, die sich an der persönlichen Erwerbstätigkeit orientieren“. Einzig in Bezug auf soziale und kulturelle Organisationen zeigen sich keine eindrucksvollen Zusammenhänge zwischen sozialem Status und sozialer Teilhabe (vgl. Gabriel et al. 2002: 115 ff.).

Zusammenfassend erscheint auf Basis der dargelegten Studien weitestgehend gesichert, dass sich Personen hohen sozialen Status häufiger in formell organisierten Vereinen engagieren als ressourcenschwache Personen. Mindestens in Bezug auf die klassischen Indikatoren (Bildung, Einkommen, Berufsstatus) besteht ein grundlegender Konsens, der auf eine positive Assoziation schließen lässt und sich zudem auf unterschiedliche Organisationstypen erstreckt.

Sozioökonomische Ressourcen und informelle Netzwerke

Analog zu den Ausführungen im Bereich der politischen Partizipation ist die empirische Datenlage auch im Kontext informeller Netzwerke und sozioökonomischer Ressourcen allenfalls als dünn zu bezeichnen. Nichtsdestotrotz deuten einige empirische Studien auf eine positive Verknüpfung zwischen Ressourcen und persönlicher Vernetzung hin.

In Bezug auf die Größe informeller Netzwerke sind insbesondere für die Ressourcen Bildung und Einkommen signifikant positive Zusammenhänge belegt. So weist Andreß (1999: 141, 159) nach, dass ökonomisch schwache Verhältnisse häufig mit einer sozialen Isolation einhergehen. Die Betroffenen ziehen sich weitestgehend eigeninitiiert aus dem Großteil ihrer Sozialbeziehungen zurück, sodass ihre Netzwerke schließlich merklich kleiner als die anderer Personen ausfallen. Zusätzlich verstärkt eine anhaltende Arbeitslosigkeit den Rückzug ins Private und bedingt somit eine weitere Verengung der bereits kleinen Netzwerke (vgl. ebd.: 167; Blasius et al. 2008: 91 ff.; Häußermann 2003: 150). Diesbezüglich beschreibt Oevermann (1969: 305) eine fehlende Motivation jener Personen, neue Kontakte außerhalb des bekannten Netzwerkes zu knüpfen. Darüber hinaus offenbart sich mit Blick auf die Reichweite informeller Netzwerke eine lokale Konzentration der Sozialkontakte unterer Statusgruppen. Die räumliche Ausgedehntheit der Netzwerke ist im unteren Einkommens- und Bildungsbereich sowohl in Bezug auf Verwandte als auch enge Freundschaften überaus gering, wobei die Arbeitslosigkeit wiederholt einen verstärkenden Faktor darstellt. Insbesondere geringe monetäre Ressourcen sowie eine schwache berufliche Mobilität beeinträchtigen die geografische Reichweite informeller Netzwerke immens (vgl. Andreß 1999: 169; Blasius et al. 2008: 94 f.; Häußermann 2003: 150). Auch Wilson (1987: 60) identifiziert soziale Isolationstendenzen bei Personen aus sozioökonomisch benachteiligten Wohnräumen, welche er als „the lack of contact or of sustained interaction with individuals and institutions that represent mainstream society“ definiert. Da er sich jedoch lediglich auf den afroamerikanischen Bevölkerungsteil Chicagos bezieht, ist eine Generalisierbarkeit dieser Befunde fraglich.

Grundsätzlich sind solche wortortnahen Kontakte als bindendes Sozialkapital und Beziehungen, die über das direkte räumliche Umfeld hinausgehen, als brückenbildendes Sozialkapital aufzufassen (vgl. Putnam 2000: 22 f.; Putnam/Goss 2001: 28; vgl. auch Woolcock/Narayan 2000). Mit dieser Differenzierung sind des Weiteren Unterschiede in der sozialen Zusammensetzung persönlicher Beziehungsnetzwerke verbunden, wobei in empirischen Studien wesentlich zwei Aspekte betrachtet werden. Zum einen belegen Andreß (1999: 167) und Blasius et al. (2008: 94) eine Verknüpfung des sozialen Status mit dem Anteil verwandtschaftlicher Beziehungen im Netzwerk. Während sich die Sozialbeziehungen sozioökonomisch schwächerer Personengruppen aus anteilig mehr Verwandten zusammensetzen, bestehen die sozialen Netzwerke statushöherer Personen verstärkt (auch) aus nicht-verwandtschaftlichen Beziehungen. Zum anderen wird häufig auf Tendenzen sozialer Homophilie verwiesen.Footnote 8 Blasius et al. (2008: 100) zeigen diesbezüglich, dass Personen mit einer höheren Formalbildung überproportional häufig Beziehungen zu Menschen mit vergleichbarem Bildungsniveau aufweisen. Da Personen wechselseitig von den Ressourcen ihrer Netzwerkpersonen profitieren, streben insbesondere Menschen mit einem hohen Sozialstatus eine gewisse statusbezogene Homogenität in ihrem Netzwerk an (vgl. Bourdieu 1983: 191). Allerdings knüpfen auch die Angehörigen unterer Einkommensklassen mehrheitlich statusgleiche Kontakte, wobei diese Tendenz sowohl fremd- als auch selbstbestimmt sein kann. Während sie im Sinne Bourdieus instrumentellem Sozialkapitalverständnis kaum dauerhafte Austauschbeziehungen zu anderen Statusgruppen unterhalten können, kann eine Gruppe strukturell Gleichgesinnter auch psychische Stabilität schaffen und unter psychologischen Gesichtspunkten selbst gesucht werden. Alles zusammengenommen finden sich die sozialstrukturell heterogensten Netzwerke somit bei den mittleren Bildungs- und Einkommensgruppen, die Sozialkontakte aus allen sozialen Schichten in ihre sozialen Netzwerke integrieren (vgl. Blasius et al. 2008: 102 f.; Oevermann 1969: 305).

Insgesamt existieren somit einige empirische Studien, die einen positiven Zusammenhang zwischen informeller sozialer Integration und sozioökonomischer Ressourcenausstattung nahelegen. Seine signifikanten Ergebnisse zusammenfassend vermerkt Andreß (1999: 185) diesbezüglich: „[I]m unteren Einkommensbereich wohnen Verwandte, mit denen Kontakt gepflegt wird, eher in der Nähe, die Anzahl der Kontakte mit Freunden und Bekannten ist geringer, mehr Personen berichten, daß [sic!] sie keinen Freund oder Bekannten haben“. Demnach scheinen sowohl die Netzwerkgröße als auch deren Reichweite und Heterogenität, bezogen auf den Anteil nicht-familiärer Beziehungen, mit steigenden Ressourcen zuzunehmen. Allerdings bedarf es weiterer systematischer Untersuchungen, um die dargelegten Ergebnisse und Tendenzen empirisch zu untermauern.

Zusammenfassend ist auf Basis des empirischen Forschungsstandes ein positiver Einfluss der individuellen sozialen Vernetzung auf die politische Partizipation der oder des Einzelnen festzustellen, wobei sowohl formellen als auch informellen Netzwerken mehrheitlich ein positiver Einfluss attestiert wird. Zudem scheint die soziale Integration maßgeblich durch die sozioökonomische Ressourcenausstattung beeinflusst zu sein. Einschränkend ist anzumerken, dass die Datenlage im Bereich informeller sozialer Netzwerke bislang vergleichsweise wenig gesichert ist und an dieser Stelle weiterhin großer Forschungsbedarf besteht. Im folgenden Abschnitt wird der Blick auf ein weiteres, vielmehr grundlegendes, Defizit der empirischen Forschung gerichtet.

3.3.3 Das Erfordernis kleinräumiger Analysen

Die Mehrheit der Studien im Bereich der empirischen Partizipationsforschung fokussiert Großstädte oder gar ganze Länder als Untersuchungsobjekte. Die darin ermittelten Durchschnittswerte offenbaren meist nur marginale Unterschiede im politischen Verhalten jener Großeinheiten. Beispielsweise bewegt sich die durchschnittliche Wahlbeteiligung in deutschen Großstädten häufig nur wenige Prozentpunkte um den bundesdeutschen Gesamtdurchschnitt (vgl. Schäfer et al. 2013). Mitunter substanzielle Unterschiede innerhalb dieser Einheiten werden durch statistische Aggregationen nivelliert. So sind Großstädte realiter durch eine hohe interne Heterogenität gekennzeichnet; Merkmale wie Arbeitslosigkeit, Einkommen, Lebensstile oder eben das Partizipationsverhalten streuen bereits auf engstem Raum, sodass ein Vergleich städtischer Durchschnittswerte oft nur wenig Aussagekraft besitzt. Jene innerstädtische Heterogenität ist die Folge sozialer Segregationsprozesse und kann mittels kleinräumiger Analysen sichtbar gemacht werden. Der Fokus auf kleinere räumliche Gebiete erhöht die Varianz zwischen den Einheiten und macht den Blick frei für vielfältige Informationen und spezifische Eigenschaften der einzelnen Teilbereiche (vgl. Schäfer 2012: 245). Demnach können auf diese Weise Merkmale berücksichtigt werden, die bei einer weniger differenzierten Betrachtung auf einer höheren Ebene übersehen werden. Tatsächlich demonstrieren empirische Stadtteilvergleiche, dass sich hinter der durchschnittlichen Wahlbeteiligung einer Großstadt zum Teil gravierende Unterschiede verbergen (vgl. Abschnitt 4.1). Jene Divergenzen können schließlich im Zusammenhang mit der sozialen, ökonomischen oder kulturellen Lage des Stadtteils und der in ihm lebenden Personen betrachtet und spezifische Aussagen über die Einheiten abgeleitet werden.

Neben diesem empirischen spricht auch ein inhaltliches Argument für den Bezug auf kleinere Untersuchungseinheiten. Menschen sind keine isolierten Individuen, sondern werden durch den sozialen Kontext, in dem sie leben, beeinflusst (vgl. Coleman 1988: 105 ff.; Abschnitt 2.4.1.2). Zweifelsohne kann eine Stadt oder ein Land einen solchen Kontext darstellen. Es existieren nationale wie regionale Handlungsmöglichkeiten und -restriktionen, wie Gesetze, Traditionen, Normen oder kulturelle Gegebenheiten, die das Handeln und Verhalten eines Individuums prägen. Berechtigterweise ist allerdings anzunehmen, dass kleinere räumliche Einheiten einen höheren Einfluss auf das alltägliche Handeln ausüben als ein weitgefasster Kontext. Dieses Argument findet sich etwa bei Putnam, der kleineren Gemeinden ein größeres Potenzial zur Genese und Aufrechterhaltung sozialen Kapitals bescheinigt als Großstädten. Für ihn ist soziales Engagement letztlich sogar mehr eine Frage des „where they are [anstelle des] who they are“ (Putnam 2000: 206). Noch deutlicher formulieren Pappi und Wolf (1984: 282), dass „allein die von Ego wahrgenommene Umwelt einen Einfluß [sic!] auf das Verhalten von Ego ausübt“. Diesen Gedanken weiterführend sollte schließlich weniger der übergeordnete Rahmen als vielmehr das unmittelbare Umfeld ausschlaggebend für individuelles Handeln sein. Aufbauend auf diesen Überlegungen sowie der Tatsache, dass ein erheblicher Teil des Privatlebens in der eigenen Nachbarschaft verbracht wird, werden in dieser Untersuchung Stadtteile als geografisch abgegrenzte soziale Kontexte gewählt, deren Auswahl in Abschnitt 4.1.1 dargelegt wird (vgl. Petermann 2015: 181).

3.4 Theoretische Erklärungsstrategien

Die aktuelle Forschungsdebatte liefert Hinweise, die für eine Auffassung sozialer Netzwerke als missing link zwischen sozioökonomischen Ressourcen und politischer Teilhabe sprechen. Die Existenz einer solchen Verbindung ist eine empirische Frage und wird entsprechend im empirischen Teil dieser Arbeit behandelt. Deren Erklärung ist jedoch zunächst theoretischer Natur. Ohne angemessene Begründungen würde sich das Problem des sozioökonomischen Standardmodells – hohe empirische Evidenz bei geringer theoretischer Erklärungsleistung – lediglich auf eine andere Ebene verlagern. Daher werden nun auf Basis der bisherigen theoretischen wie empirischen Erkenntnisse Erklärungsstrategien abgeleitet, die in die empirische Analyse eingebunden werden. Diese Darstellung erhebt keinerlei Anspruch auf Vollständigkeit, sondern stellt lediglich eine relevanzorientierte Auswahl theoretischer Ansätze dar. Da es sich jeweils um angenommene Wirkmechanismen handelt, werden diese im Weiteren als Thesen bezeichnet. Zunächst stehen Zusammenhänge zwischen Ressourcen und sozialen Netzwerken sowie sozialen Netzwerken und politischer Partizipation im Vordergrund. Daran anschließend werden Erklärungen um einen Einfluss des sozialen Kontextes entwickelt.

3.4.1 Statusabhängigkeit der sozialen Netzwerke

Alle Erklärungen um eine Verbindung zwischen sozioökonomischen Ressourcen und formeller wie informeller Vernetzung lassen sich letztlich auf den Sozialstatus einer Person zurückführen. Daher sind Wechselwirkungen zwischen den einzelnen Ansätzen wahrscheinlich und liegen der nachfolgenden Darstellung implizit zugrunde. Behandelt werden in diesem Kontext die (1) Fokus-, (2) Isolations-, (3) Defizit- und (4) Instrumentalisierungsthese.

(1) Fokusthese: Der Aufbau sozialer Beziehungen bedarf zuvorderst reale Gelegenheiten zur Kontaktaufnahme, die zugleich das Kernelement der Fokustheorie von Feld (1981) beschreiben. Demnach entstehen soziale Beziehungen, wenn zwei oder mehr Personen auf Grundlage eines gemeinsamen Interesses, eines geteilten Ziels oder einer Aktivität miteinander interagieren. Die Bezugnahme auf ein gemeinsames Objekt ist der Fokus, der Individuen miteinander verbindet. Der soziale Kontext besteht nun aus einer Vielzahl verschiedener Fokusse, wobei der Arbeitsplatz, Schulen und Universitäten, Vereine oder auch informelle Treffpunkte sowie der Familienkreis typische Beispiele darstellen (vgl. ebd.: 1016). An dieser Stelle sind zwei Aspekte von besonderer Relevanz. Zum einen bringt ein Fokus Personen in Kontakt zueinander und ermöglicht die Entstehung sozialer Beziehungen. Zum anderen strukturieren Fokusse soziale Netzwerke im Hinblick auf sozialstrukturelle Merkmale. Unter der Prämisse, dass ähnliche Menschen ähnliche Fokusse teilen, entstehen auf Basis einer spezifischen Gelegenheit relativ homogene Netzwerke (vgl. ebd.: 1018 f.). Die Ressourcen Bildung, Einkommen und die berufliche Beschäftigung eröffnen einer Person nun systematisch Gelegenheiten zur Initiierung sozialer Kontakte. So offerieren die prägenden Jahre der Schul- und Studienzeit wesentliche Opportunitäten, da über Jahre hinweg mit den gleichen Personen auf ein gemeinsames Ziel hingearbeitet wird (z. B. der Schulabschluss). Zwischen den Mitgliedern dieser peer-groups entwickeln sich schließlich nicht selten dauerhafte persönliche Beziehungen (vgl. Hirschle 2009: 9; Mewes 2010: 65). Darüber hinaus strukturieren ökonomische Ressourcen formelle wie informelle Möglichkeiten der individuellen Freizeitgestaltung, wodurch sich weitere Gelegenheiten zur Entwicklung und Aufrechterhaltung persönlicher Beziehungen ergeben. Zuletzt stellt der Arbeitsplatz selbst einen zentralen Möglichkeitsraum zwischenmenschlicher Kontaktaufnahme dar. Personengruppen, denen es an diesen Ressourcen mangelt, bleibt als Fokus neben dem Familien- und Verwandtenkreis zumeist einzig das Wohnumfeld, welches jedoch zweifelsohne auch eine wichtige Opportunität darstellt. „[D]enn persönliche Beziehungen entstehen immer noch meist im direkten Face-to-Face-Kontakt am Wohnort“ (Fuhse 2008: 81). Insgesamt ist die Fokusthese primär zur Beschreibung informeller Beziehungsnetzwerke relevant und bietet verschiedene Möglichkeiten zur Erklärung des Zusammenhangs zwischen Sozial- und Netzwerkstruktur. Diese beziehen sich insbesondere auf die Menge an Gelegenheiten, die Konzentration auf Wohnort und Familie sowie der strukturellen Gleichheit jener Opportunitäten.

(2) Isolationsthese: Unter dem Stichwort der Isolationsthese werden eigeninitiierte Rückzugstendenzen ressourcenschwacher Personen aus persönlichen Netzwerken fokussiert, demnach dieser Ansatz weniger den Aufbau als vielmehr die Aufrechterhaltung sozialer Beziehungen behandelt. Ursächlich verantwortlich für die fortschreitende Beschränkung auf wenige familiäre Kontakte sind zunächst geringe ökonomische Ressourcen. Nicht nur die Mitgliedschaft in Vereinen, sondern auch die Pflege privater Bindungen erfordert in der Regel einen gewissen monetären Einsatz. Sind etwa Fahrtkosten oder Konsumausgaben für Waren und Dienstleistungen im Freizeitbereich nicht zu leisten, kann dies eine schrittweise Abkehr von (kostenintensiven) freundschaftlichen Beziehungen bedingen (vgl. Andreß 1999: 159 ff.). Zusätzlich zu direkten monetären Einflüssen können Gefühle von Scham, Selbstzweifeln oder Resignation Isolationsmechanismen verstärken. Aus beiden Antrieben muss nicht zwangsläufig eine vollständige soziale Isolation erfolgen, jedoch verschiebt sich der soziale Fokus zunehmend auf verwandtschaftliche Beziehungen und auf Personen mit vergleichbarem Sozialstatus. In diesen Konstellationen ist nicht nur mit geringeren finanziellen Belastungen zu rechnen, sondern auch Scham und Selbstzweifel sollten eher eine marginale Rolle spielen. Marquardsen und Röbenack (2008: 480) beschreiben in einer qualitativen Studie, wie sich jene Tendenzen im Falle einer Arbeitslosigkeit verdichten und neben finanziellen und emotionalen Bürden ebenso ungleiche Lebenswelten und fehlende Reziprozität verantwortlich sind. So ziehen sich arbeitslose Personen aus vielen sozialen Kreisen zurück, da sie die Lebenswelten ihrer Sozialkontakte nicht mehr teilen und zudem ein Nehmen, ohne in näherer Zukunft eine Gegenleistung erbringen zu können, als belastend empfinden. Insgesamt bietet die Isolationsthese durch den Bezug auf geringe finanzielle Mittel und damit verbundene negative Gefühlswelten, Argumente für die Anzahl formeller sowie die Größe, Reichweite und Zusammensetzung informeller Netzwerkstrukturen.

(3) Defizitthese: Im Rahmen der Defizitthese werden soziale Kompetenzen als notwendige Voraussetzung zur Entwicklung persönlicher Beziehungsnetzwerke betrachtet und eine Verbindung zum sozialen Status hergestellt. Das Argument einer sozial bedingten Kompetenzausstattung leitet sich aus den soziolinguistischen Arbeiten von Bernstein (1972) und Oevermann (1969, 1972) ab. So wird die sprachliche Ausdrucksfähigkeit eines Kindes gemäß Bernstein durch die soziale Umwelt sozialisiert, woraufhin soziale Schichten anhand ihrer spezifischen Sprachcodes zu unterscheiden sind. Diese erweisen sich auch unter Kontrolle der Intelligenz als überaus stabil. Auch Oevermann (1969: 301) formuliert eine Assoziation bestimmter Sprechweisen mit subkulturellen Milieus und führt die linguistische wie kognitive Entwicklung auf milieuspezifische kulturelle Traditionen sowie objektive Bedingungen der Sozialstruktur zurück. Er interpretiert sprachliche Codes als ein implizites Regelwerk, das

„einerseits soziologisch – vermittelt über die Analyse der Struktur von Sozialbeziehungen in einem Rollengefüge – aus den objektiven Strukturbedingungen ableitbar ist, andererseits aber dem Individuum – wie Wertstandards und Rollennormen – als zu erlernendes Regelsystem sozial vorgegeben ist, im Sozialisationsprozess erworben wird und situativ das Sozialverhalten steuert“ (Oevermann 1972: 338).

Angelehnt an die ungleiche Verteilung sprachlicher Fähigkeiten sind ebenso positive Beziehungen zwischen sozialer Lage und sozialer Kompetenzausstattung denkbar, wobei vergleichbare Mechanismen unterstellt werden. Demnach sollten ressourcenstarke Personengruppen über entsprechend mehr soziale Kompetenzen verfügen als ressourcenschwache Personen, was sich schließlich in der sozialen Vernetzung manifestiert. So werden Personen, die Sozialkompetenzen wie Prosozialität, Problembewusstsein, Empathie, Reziprozität oder Organisationsfähigkeit internalisiert haben, beispielsweise häufiger zu einer organisationalen Teilhabe eingeladen als andere Personen (vgl. Wilson 2000: 220). Über die soziale Rekrutierung hinausgehend bewirken jene Kompetenzen auf der individuellen Ebene außerdem ein gesteigertes Interesse an und Bewusstsein für soziale Angelegenheiten. Damit sind höhere Statusgruppen aufgrund inkorporierter Sozialkompetenzen sowohl intrinsisch als auch extrinsisch motiviert, an sozialen Prozessen teilzuhaben und soziale Kontakte zu knüpfen. In diesem Zusammenhang beschreibt Oevermann (1969: 305) eine Beschränkung ressourcenschwacher Personen auf enge Primärbeziehungen, wohingegen der Kontakt zu anderen und vor allem unbekannten Personen nur selten gesucht wird. Im Lichte dieser Erklärungsrichtung wird diese Tendenz auf ein Defizit an sozialen Fähigkeiten zum Aufbau neuer Beziehungen zurückgeführt. Insgesamt verweist die Defizitthese demnach auf einen strukturellen Zusammenhang zwischen sozioökonomischen und sozialen Ressourcen, der sich in einer unterschiedlichen sozialen Vernetzung widerspiegelt.

(4) Instrumentalisierungsthese: Die Instrumentalisierungsthese reflektiert die traditionsreiche Auseinandersetzung über die Nutzbarmachung kultureller, ökonomischer und symbolischer Güter und zentriert die Motivation, den eigenen Status über relevante soziale Netzwerke aufrechtzuerhalten beziehungsweise zu verbessern. In Bezug auf institutionalisierte Mitgliedschaften illustriert Weber, dass

„die Zugehörigkeit zu irgend einem [sic!] Verein für den Mittelstand direkt zur Legitimation als Gentleman gehört (…). Wer da nicht hineinkommt (…), der kommt nicht in die Höhe. Die Demokratie in Amerika ist kein Sandhaufen, sondern ein Gewirr exklusiver Sekten, Vereine und Klubs. Diese stützen die Auslese der an das amerikanische Leben überhaupt Angepaßten [sic!], stützen sie, indem sie ihnen zur geschäftlichen, zur politischen, zu jeder Art von Herrschaft im sozialen Leben verhelfen“ (Weber 1911: 53 f.).

Mit den Parallelen zu ständischen Prinzipien betont er einerseits die strukturfestigende Wirkung der Vereinslandschaft und hebt Vereinsmitgliedschaften andererseits als Instrument des sozialen Aufstiegs hervor (vgl. ebd.: 55 f.). Der festigende Charakter ergibt sich aus der reproduktiven Struktur des Vereinswesens. Da der Beitritt zu profitablen Vereinen einzig ressourcenstarken Personengruppen gestattet ist, verbleibt auch sämtlicher Nutzen in diesem elitären Kreis. Ohne weitere Vorteile durch andere Mitglieder zu bilanzieren, entfalten exklusive Mitgliedschaften somit von Natur aus prestigeträchtige Wirkungen. Im Sinne Veblens (2011: 79) sind derartige Mitgliedschaften als demonstrativer Konsum sozioökonomisch starker Personengruppen zu verstehen, die ihnen als „Zeugnis finanzieller Macht“ und damit der Präsentation von Status dienen. Mehr noch leitet sich über die schichtspezifische Differenzierung des Konsums gesellschaftliches Ansehen ab. Vergleichbar erörtert Bourdieu (1987: 388 f.) separierende Effekte bestimmter Konsumgüter und -gewohnheiten. So besteht eine erprobte Strategie der höchsten sozialen Klasse zur sozialen Distinktion in der exklusiven Aneignung gesellschaftlich relevanter Güter. Diese werden entweder qua Seltenheit oder aufgrund materieller oder kultureller Zugangsbeschränkungen als legitime Güter charakterisiert. Obgleich sich Veblen und Bourdieu nicht explizit mit formellen Assoziationen auseinandersetzen, erscheint es gerechtfertigt, auch bestimmten Vereinen ein Instrumentalisierungspotenzial für Mechanismen der Distinktion und Statusdemonstration einzuräumen. Fraglos besitzt das Vereinswesen aufgrund seines breit gefächerten Spektrums gesellschaftliche Differenzierungsmöglichkeiten, welche die Beitrittsmotivationen statushoher Schichten positiv beeinflussen mögen. Jenseits formeller Assoziationen können auch einfluss- und ressourcenreiche Beziehungen im dargestellten Sinn genutzt werden. Insbesondere sozioökonomisch starke Personen konzentrieren sich in ihren sozialen Netzwerken auf mindestens gleichrangige Personen, da von ihnen höhere Investitionsrenditen als von ressourcenschwachen Personen zu erwarten sind (vgl. Bourdieu 1983: 191). Andersherum können positionell schwächere Netzwerkpersonen dem eigenen Ansehen in bestimmten Kontexten sogar abträglich sein. Zusammenfassend erklärt die Instrumentalisierungsthese den Zusammenhang zwischen Sozial- und Netzwerkstruktur über statusbezogene Wirkungen sozial relevanter Netzwerke, die insbesondere für höhere Statusgruppen gültig sind.

3.4.2 Politisierungspotenziale sozialer Netzwerke

Die Thesen um das Zusammenspiel zwischen sozialer Vernetzung und politischer Beteiligung werden im Folgenden unter vier politisierende Funktionen sozialer Netzwerke subsumiert, die als (1) Sozialisations-, (2) Rekrutierungs-, (3) Informations- und (4) Lernthese umschrieben werden. Die einzelnen Erklärungsstrategien sind dabei nicht als unabhängig zu betrachten, sondern können sich in Teilen überschneiden und wechselseitig ergänzen.

(1) Sozialisationsthese: Im Rahmen der Sozialisationsthese werden Vereine und Organisationen in Tocquevill’scher Lesart als Schulen der Demokratie betrachtet; als Sozialisationsinstanzen, die ihre Mitglieder mit demokratie- und partizipationsrelevanten Kompetenzen (civic skills) ausstatten. Jene kommunikativen und organisationalen Fähigkeiten werden im ausdrücklich nicht-politischen Umfeld erworben, kultiviert und schließlich von den Netzwerkmitgliedern internalisiert. In der Folge lassen sich diese zunächst unpolitischen Fähigkeiten in den politischen Bereich übertragen, wo sie ein Engagement erleichtern. Durch die Inkorporation jener Kompetenzen entsteht eine gewisse (Selbst-)Sicherheit mit deren Umgang, die sowohl direkte Beteiligungskosten in Form zeitlichen und finanziellen Aufwandes als auch indirekte Hürden in Form persönlicher Hemmungen reduziert (vgl. u. a. Brady et al. 1995; Putnam 1993, 2000; Teorell 2003; Terriquez 2011; Verba et al. 1995). Obgleich Putnam (2000: 95) informellen Konstellationen keinen vergleichbaren Stellenwert zur Genese politischer Fertigkeiten zugesteht, erscheint eine funktionale Übertragung durchaus möglich. Erste empirische Hinweise für diesen Transfer liefern Verba et al. (1995: 312), die sowohl beruflichen Kontexten als auch religiösen Einbindungen eine hohe Relevanz zuschreiben.Footnote 9 Obwohl Effekte der Konfessionszugehörigkeit empirisch nicht eindeutig geklärt sind und auch eine länderübergreifende Generalisierbarkeit religionsbezogener Einbindungen zumindest zweifelhaft erscheint, betonen solche Befunde die Bedeutung privater Zusammenhänge (vgl. Abschnitt 3.3.2). So werden auch in nicht-institutionalisierten Bereichen Feiern geplant, wichtige Angelegenheiten diskutiert oder der Familienurlaub organisiert, wodurch informelle Netzwerke gleichermaßen als training ground für zivile Fertigkeiten fungieren (vgl. Verba et al. 1995: 369). Die Sozialisationsthese bietet demnach mit Bezug auf die politisierenden Wirkungen der civic skills Argumente für eine positive Assoziation zwischen formeller sowie informeller Vernetzung und politischer Beteiligung.

(2) Rekrutierungsthese: Die Rekrutierungsthese nimmt Bezug auf die Tatsache, dass politische Aktivitäten nicht immer spontan ablaufen und auch die Fähigkeit zur Partizipation (Zeit, Geld, civic skills) allein nicht ausschlaggebend für eine Beteiligung ist. Faktisch werden viele Personen erst dann politisch aktiv, wenn sie von anderen direkt dazu aufgefordert werden. Solche Partizipationseinladungen können sowohl aus dem formellen Vereinskontext als auch aus dem persönlichen Umfeld entsendet werden. Gleichwohl scheint der Erfolg der Rekrutierungsversuche weniger vom Ort als von der persönlichen Nähe zu den Anfragenden bestimmt zu sein (vgl. u. a. Brady et al. 1999; Pollock 1982; Teorell 2003; Verba et al. 1995; Wollebæk/Selle 2003). Neben direkten Anfragen zur politischen Beteiligung vollziehen sich in sozialen Netzwerken zudem indirekte Mobilisierungsprozesse. Durch den kommunikativen Austausch sowie die Einbindung in verschiedenartige Entscheidungsprozesse werden politische Stimuli gesetzt, die für eine politische Teilhabe sensibilisieren. Auch in diesem Fall ist der ursprüngliche Zweck der Zusammenkunft in der Regel nicht politisch, kann sich jedoch auf politische Inhalte ausweiten. So können sich beispielsweise alltägliche Konversationen unwillkürlich, oder auch beabsichtigt, auf politische Themen verlagern (vgl. Verba et al. 1995: 370). Auf diese Weise werden in beiden Arten sozialer Netzwerke Mechanismen in Gang gesetzt, die politische Einstellungen sowie politisches Interesse intensivieren und darüber zur politischen Aktivität motivieren. Demnach leitet die Rekrutierungsthese politisierende Wirkungen sozialer Netzwerke aus direkter Aufforderung sowie indirekter Anregung zur politischen Beteiligung durch andere Personen aus formellen und informellen Konstellationen ab.

(3) Informationsthese: Mit der Informationsthese wird das Argument vertieft, dass in sozialen Netzwerken neben alltäglichen oder kontextbezogenen Themen auch über politische Inhalte gesprochen wird. In diesem Sinne werden soziale Netzwerke als Informationsschaltstellen aufgefasst, die ihre Mitglieder mit politisch relevanten Informationen ausstatten und auf diese Weise eine politische Teilhabe anregen (vgl. Gabriel et al. 2002; Ikeda/Richey 2005; La Due Lake/Huckfeldt 1998; Putnam 2000; Nakhaie 2008; Verba et al. 1995; Wollebæk/Selle 2002, 2003). Die politisierenden Wirkungen relevanter Informationen entfalten sich dabei über verschiedene Mechanismen. Zuvorderst reduzieren soziale Netzwerke die Beschaffungs- und Verarbeitungskosten politikbezogener Informationen. Grundlegendes politisches Wissen sowie Neuigkeiten über an- und bestehende Mitwirkungsmöglichkeiten werden in formellen und informellen Beziehungskonstellationen scheinbar mühelos über Diskussionen und Konversationen mit anderen Personen vermittelt. Das Vereinskollektiv hilft dem Individuum darüber hinaus, komplexe Informationen kognitiv zu verarbeiten. Durch die offenen Kommunikationskanäle sinken somit die Informationskosten, die üblicherweise im Vorfeld einer Partizipationsentscheidung entstehen (vgl. Coleman 1991: 402 f.; La Due Lake/Huckfeldt 1998: 581). Im Weiteren sorgen soziale Netzwerke für die Vervielfachung relevanter Informationen, die besonders in formellen Assoziationen umgehend eine Vielzahl an Personen erreichen. In informellen Netzwerken sind in diesem Zusammenhang primär schwache Beziehungen von Nutzen, die Brücken zu anderen Netzwerken schlagen (vgl. Granovetter 1973). Als Informationsplattformen steigern soziale Netzwerke zudem die politische Expertise einer Person und schaffen einen motivationalen Partizipationsanreiz. So profitieren Vereinsmitglieder über Vorträge, Diskussionen oder Veröffentlichungen von dem (Experten-)Wissen anderer Mitglieder oder externer Personen, wohingegen informelle Netzwerke über geringe Hemmschwellen vor allem die individuelle Meinungsbildung fördern (vgl. Ikeda/Richey 2005: 256). Insgesamt erklärt sich die politisierende Wirkung sozialer Netzwerke im Rahmen der Informationsthese über die Verfügbarkeit und Verbreitung politisch relevanter Informationen.

(4) Lernthese: Die Lernthese integriert schließlich die kulturelle Dimension sozialen Kapitals in den Erklärungszusammenhang politischer Beteiligung und beschreibt die Entwicklung partizipationsrelevanter Werte, Normen, Vertrauen sowie die Vertrauenswürdigkeit als Produkt sozial-kognitiver Lernprozesse. So werden jene Einstellungen und Verhaltensorientierungen in sozialen Netzwerken über die Konfrontation mit positiven Rollenvorbildern, durch Beobachtung, Interaktion und Imitation vermittelt (vgl. Bandura 1963, Goerres 2010). Nachfolgend tragen sie unter anderem entscheidend zum kollektiven Handeln bei und bilden somit eine wesentliche Voraussetzung politischer Teilhabe (vgl. Almond/Verba 1963; Putnam 1993, 2000). Besonders hervorzuheben sind in diesem Zusammenhang Vereine und Organisationen, die zentrale Stätten zum Aufbau generalisierter Reziprozitäts- und Vertrauensformen repräsentieren. Als Netzwerke gegenseitiger Verpflichtungen stellen sie normative Verhaltensregeln auf und gewährleisten faires und kooperatives Verhalten (vgl. Putnam 2000: 20 f.). Daneben können Normen, Werte und Vertrauen jedoch auch in informellen Beziehungskonstellationen weitergegeben und erlernt werden, wobei gemäß dem Closure-Argument insbesondere geschlossene Netzwerke mit starken Beziehungen zum Aufbau und zur Durchsetzung sozialer Normen geeignet sind (vgl. Coleman 1988: 105–108). Mit der Lernthese wird politische Partizipation demnach über den netzwerkinduzierten Erwerb relevanter Normen, Werte und Vertrauen zur kooperativen Durchsetzung gemeinschaftlicher Ziele erklärt.

3.4.3 Einflüsse des sozialen Kontextes

Im Anschluss an den empirischen Diskurs wurden Argumente dargelegt, die neben individuellen Bestimmungsfaktoren auch kontextuelle Einflüsse auf die soziale wie politische Partizipation nahelegen. Entsprechend sind die aufgeführten Erklärungsstrategien um Mechanismen zu ergänzen, die sich aus dem sozialen Umfeld ergeben. Diese Effekte tangieren den sozialen Kontext Stadtteil, wobei physische und soziale Faktoren von Relevanz sind. Diese werden im Folgenden unter den Stichworten (1) Struktur-, (2) Reputations- und (3) soziale Ansteckungsthese gefasst.

(1) Strukturthese: Strukturelle Effekte beziehen sich auf physische Opportunitäten, wie Verkehrsanbindungen oder öffentliche Einrichtungen, die Menschen in ihrem Wohngebiet zur Verfügung stehen. Diese Merkmale sind absolut, auf einer dem Individuum übergeordneten Ebene angesiedelt und daher für die oder den Einzelnen im Weitesten unveränderbar. Während verfügbare Einrichtungen zahlreiche Möglichkeiten zur sozialen und politischen Beteiligung eröffnen, verstärken fehlende Angebote objektive und subjektiv empfundene Benachteiligungen. Insbesondere in sozial prekären Wohnräumen, in denen es vergleichsweise häufig an strukturellen Gelegenheiten mangelt, können unzureichende Möglichkeiten bei den dort Lebenden zu einer defensiven Resignation führen. Neben dem vollständigen Verzicht auf soziale respektive politische Aktivitäten sind Verlagerungen der Aktivitäten in andere Stadtteile oder auf andere Aktivitäten mögliche und wahrscheinliche Reaktionen (vgl. Friedrichs 2014: 294 f., Galster/Killen 1995; Hastings 2009: 519 ff.; Heuwinkel 1981: 70 ff.; Rosenbaum et al. 2002). Übertragen auf die formelle Netzwerkebene bestimmt folglich die Ausprägung der lokalen Vereinslandschaft die assoziativen Opportunitäten einer Person. Im informellen Bereich sind vor allem institutionelle Angebote im Freizeitbereich von Bedeutung, „weil sie Gelegenheiten bieten, Menschen mit ähnlichen Interessen zusammenzubringen“ (Petermann 2015: 181). Ebenso wird die politische Sphäre durch das (Nicht-)Vorhandensein politischer Einrichtungen und gegebenenfalls der Politikerpräsenz in einem Stadtteil beeinflusst. Strukturelle Effekte thematisieren somit Stadtteileinflüsse, die sich aus dem grundlegenden Möglichkeitsraum für die Anwohnerschaft ergeben.

(2) Reputationsthese: Mit der Reputationsthese werden Prozesse der Diskriminierung beziehungsweise Stigmatisierung formuliert, die auf den stereotypen Ruf eines Stadtteils zurückgreifen. Solche Reputationen beruhen auf subjektiven Bewertungen innerhalb eines sozialen Kontextes und können sowohl positive als auch negative Effekte nach sich ziehen. Zum einen kann das Ansehen die institutionelle Ausstattung eines Gebietes und damit strukturelle Effekte beeinflussen, da sich bestimmte Geschäfte, soziale oder politische Einrichtungen in Abhängigkeit der jeweiligen Reputation in einem Stadtteil ansiedeln. Zum anderen kann der Ruf eines Wohngebietes auch auf dessen Bewohnerinnen und Bewohner übertragen werden. Unabhängig persönlicher Eigenschaften und objektiver Tatsachen werden ihnen aufgrund ihres Wohnortes positive oder negative Charakteristika zugeschrieben und somit Möglichkeiten eröffnet beziehungsweise entzogen. Beispielsweise kann die Stadtteilreputation Chancen der individuellen Teilhabe in politischen oder zivilgesellschaftlichen Institutionen lenken und auch im informellen Beziehungsspiel relevant werden, was im Sinne Bourdieus primär nutzbringende Beziehungen betreffen sollte. Von negativen Stigmatisierungen sind in der Regel Armutsgebiete oder Stadtteile mit einem hohen Anteil an Sozialbauwohnungen betroffen, wobei die Wirkung der Reputationseffekte von gewissen Schwellenwerten abhängig ist. Erst wenn eine kritische Masse an Personen die Meinung über ein Wohngebiet teilt, geht dessen Ruf in die öffentliche Meinung über (Friedrichs 2014: 294; Galster 2008: 6). Die Reputationsthese beschreibt demnach Effekte des Stadtteils, die auf dessen Ruf in einem größeren sozialen Kontext basieren und sonach Chancen der Anwohnenden steuern.

(3) Soziale Ansteckungsthese: Die These sozialer Ansteckung rekurriert auf soziale Merkmale, auf Grenzen und Möglichkeiten, die sich die Menschen eines Wohngebietes gegenseitig eröffnen. So prädestiniert die unmittelbare Nachbarschaft aufgrund der sozialräumlichen Nähe und des geteilten Erfahrungskontextes für soziale Lernprozesse. Durch Beobachten von Rollenvorbildern, durch Imitation und anschließender Internalisierung werden Verhaltensweisen in Interdependenz mit der sozialen Umwelt sozialisiert. Indem die Personen eines sozialen Gebietes ihr Verhalten bewusst oder unbewusst wechselseitig beeinflussen, entsteht mit der Zeit „eine lokale ‚Kultur‘ bzw. ein Milieu, dem sich auch diejenigen nicht entziehen können, die ihm bisher nicht angehörten“ (Häußermann 2003: 149; Herv. im Orig.). Folglich beeinflusst die objektive oder subjektiv wahrgenommene Umwelt in einem Stadtteil jenseits persönlicher Eigenschaften, wie etwa der Ressourcenausstattung, das individuelle Verhalten. Übertragen auf die soziale und politische Partizipation sollten eben jene Beteiligungsraten in benachteiligten Stadtteilen aufgrund fehlender Rollenvorbilder vergleichsweise gering ausfallen. Umgekehrt begünstigt die Existenz positiver Rollenvorbilder in sozioökonomisch starken Wohngebieten eine individuelle Teilhabe an sozialen wie politischen Prozessen. In der Regel beziehen sich soziale Ansteckungseffekte auf Eigenschaften eines Stadtteils, wie etwa die Arbeitslosenquote oder der Anteil höherer Berufe, und ihre Auswirkungen auf individueller Ebene. Neben objektiven Kennzahlen können jedoch auch aggregierte Merkmale, Einstellungen oder Wahrnehmungen der Anwohnenden herangezogen werden, wobei an dieser Stelle primär das Sozialkapital herauszustellen ist. Auch diesbezüglich wird angenommen, dass ein sozialkapitalreicher Wohnort positive Konsequenzen auf das individuelle Verhalten hat und umgekehrt (vgl. Blasius et al. 2008: 11; Friedrichs 2014: 291 ff., 298; Galster 2008: 5; Putnam 2000: 20; Schroeder 2015: 201 ff.).Footnote 10 Die These sozialer Ansteckung beschreibt demnach Effekte des Stadtteils, die über die Gegenwart von Rollenvorbildern individuelles Verhalten auf sozialer wie politischer Ebene beeinflussen.

3.5 Empirisches Untersuchungsmodell und Hypothesen

Gemäß der grundlegenden Forschungsperspektive zielt diese Untersuchung auf die Funktion politisch relevanten Sozialkapitals als Erklärungsfaktor einer ressourcenabhängigen Teilhabe am politischen Prozess. Mit Blick auf die strukturelle Komponente sozialen Kapitals wurde folgende Forschungsfrage ausgearbeitet: Inwieweit erklärt die Einbindung in formelle und informelle soziale Netzwerke die differenzielle politische Beteiligung sozioökonomischer Statusgruppen? (vgl. Abschnitte 3.1, 3.2). Durch den ausdrücklichen Bezug auf beide Formen sozialer Netzwerke soll zum einen einer empirischen Ausklammerung und zum anderen jüngeren Entwicklungen begegnet werden. So liegt der wissenschaftliche Fokus bislang eindeutig auf der Erforschung institutionalisierter Einbindungen im Rahmen offizieller Vereine, Verbände und Organisationen, wobei mehrheitlich eine positive Verbindung zur politischen Teilhabe gezogen wird (vgl. Abschnitt 3.3). Neuere Befunde aus der Sozialkapitalforschung stellen allerdings eine zukünftige Relevanz jener Eingebundenheiten infrage. Beispielhaft expliziert Putnam (2000) für die USA eine Abnahme vereinsorientierter Einbettungen, die sich insbesondere im Grad des aktiven Engagements und der persönlichen Identifikation manifestiert. Auch für die Bundesrepublik lässt sich anhand des ALLBUS eine langsame, aber stetig fortschreitende Abkehr von Vereinen nachweisen. Während die Befragten im Jahr 1988 noch in durchschnittlich 0,12 Vereinen organisiert waren, sind es 2008 im Durchschnitt nur noch 0,08 (vgl. Zentralarchiv 1988; Terwey/Baltzer 2015). Auf dieser Basis erscheint eine zunehmende Verlagerung der sozialen Partizipation von formellen in informelle Kontexte denkbar, was eine Erfassung persönlicher Beziehungskonstellationen umso erforderlicher macht.Footnote 11 Denn letztlich führt der bisherige Schwerpunkt auf institutionalisierte Netzwerke nicht nur zu einer systematischen Unterschätzung der sozialen Eingebundenheit einer Person, sondern mutmaßlich auch zu einer Unterbewertung des Politisierungspotenzials sozialer Netzwerke (vgl. Putnam/Goss 2001: 26). Zur adäquaten Abschätzung jener politisierenden Wirkungen erscheint auf Basis der empirischen Auseinandersetzung zudem eine differenzierte Betrachtung sozialer Netzwerkstrukturen fruchtbar. So sind neben zahlenmäßigen Aspekten vermehrt Hinweise auf eine politische Relevanz qualitativer Verschiedenheiten abzuleiten. Um der Breite und Vielfältigkeit sozialer Einbindungen gerecht zu werden, werden in dieser Untersuchung folglich sowohl formelle und informelle soziale Netzwerke als auch quantitative und qualitative Merkmale derselben berücksichtigt (vgl. Abbildung 3.1).

Jene Differenzierungen sozialer Netzwerke einschließend, ist die Forschungsfrage auf Basis der vorangegangenen theoretischen wie empirischen Konzeptualisierung weiter in drei Untersuchungsmodelle zu zergliedern. Diese werden über drei untersuchungsleitende Thesen repräsentiert und bilden nachkommend den übergeordneten Rahmen für die empirische Analyse:

T1::

Die individuelle Ausstattung mit sozioökonomischen Ressourcen beeinflusst die soziale Netzwerkeinbindung der oder des Einzelnen.

T2::

Die individuelle Einbindung in soziale Netzwerke beeinflusst die politische Partizipation der oder des Einzelnen.

T3::

Der soziale Kontext beeinflusst die soziale Netzwerkeinbindung sowie das politische Partizipationsverhalten der oder des Einzelnen.

Die ersten beiden Thesen fokussieren jeweils individuelle Merkmale und beschreiben einerseits eine formative Wirkung statusabhängiger Ressourcen auf die sozialen Netzwerke (T1), andererseits einen politischen Einfluss jener Netzwerkelemente (T2). Entsprechend bilden die verschiedenen Aspekte sozialer Einbindung im ersten Untersuchungsmodell die abhängigen Variablen und stellen im zweiten Untersuchungsmodell die zentralen unabhängigen Variablen dar (vgl. Abbildung 3.1). Im dritten Untersuchungsmodell verschiebt sich der Analysefokus schließlich auf aggregierte Merkmale, wobei ein prägender Einfluss der sozialräumlichen Umwelt auf die soziale wie politische Teilhabe angenommen wird (T3). Obgleich solche Kontexteffekte erwartungsgemäß weniger stark ins Gewicht fallen sollten als Individualeffekte, kann die Gegenüberstellung sozialer Kontexte aufschlussreiche Erkenntnisse über die Randbedingungen partizipativer Handlungen liefern (vgl. Friedrichs 2014: 301; Abschnitt 3.3.3). Demgemäß bildet die soziale Umwelt in betreffenden Analysen die unabhängige Variable, während die sozialen und politischen Aktivitäten jeweils die abhängigen Variablen beschreiben. Abbildung 3.1 liefert einen schematischen Überblick über die in der statistischen Analyse zentrierten Untersuchungsmodelle, Zusammenhänge und Variablen.

Abbildung 3.1
figure 1

(Quelle: Eigene Darstellung)

Grafische Darstellung des empirischen Untersuchungsmodells

Die grafische Darstellung des empirischen Untersuchungsmodells illustriert ebenfalls einen zentralen Stellenwert der theoretisch begründeten Erklärungsstrategien (vgl. Abschnitt 3.4). Mit Verweis auf die eingangs genannte Forschungsfrage besteht das Ziel dieser Arbeit nämlich nicht nur in der empirischen Untermauerung des Zusammenspiels zwischen sozioökonomischen Ressourcen, sozialen Netzwerken und politischer Partizipation, sondern ebenso in dessen theoretischer Begründung. Diese umfasst neben individuellen Anreizen und Motivationsstrukturen gleichfalls direkte Kosten und persönliche Hürden partizipativer Handlungen. Zusätzlich zu diesen individuellen Mechanismen berücksichtigen Einflüsse des sozialen Kontextes sozialräumliche Eigenarten, lebensweltliche Besonderheiten und politische Bedingungen. Zusammengefasst wird damit ein Forschungskonzept kreiert, das sozialstrukturelle, Rational Choice-basierte und netzwerkorientierte Modelle zur Erklärung politischer Teilhabe kombiniert und diese um sozialräumliche Faktoren erweitert.

Ausgehend von der forschungsleitenden These des ersten Untersuchungsmodells (T1) werden zunächst Hypothesen zum Zusammenhang zwischen individueller Ressourcenausstattung und formeller sowie informeller Netzwerkeinbindung formuliert. Im Feld der institutionalisierten Netzwerke haben sich in der Forschungsdebatte neben der reinen Anzahl an Vereinsmitgliedschaften zudem der Mitgliedschaftsstatus (aktiv/passiv) und der Vereinstypus als aussichtsreiche qualitative Merkmale erwiesen (vgl. Abbildung 3.1). Auf Basis der spezifischen Vereinszwecke werden bei Letzterem instrumentelle und expressive Vereine kontrastiert (vgl. Abschnitt 4.3.1). Im informellen Bereich werden zusätzlich zur Größe die geografische Reichweite sowie die sozialstrukturelle Zusammensetzung persönlicher Beziehungsnetzwerke betrachtet. Die Berücksichtigung des Vereinstypus und der qualitativ-informellen Netzwerkelemente greift die Dichotomie bindendes versus brückenbildendes Sozialkapital auf, wobei zivilgesellschaftlich orientierte Mitgliedschaften/sozialstrukturelle Vielfalt als brückenbildende und interessenbasierte Mitgliedschaften/sozialstrukturelle Ähnlichkeit als bindende Variante charakterisiert werden. Mit Bezug auf die theoretischen Erklärungsstrategien werden grundlegend positive Einflüsse der sozioökonomischen Ressourcen auf die quantitativen Merkmale sozialer Netzwerke prognostiziert. Darüber hinaus sollte eine hohe Ressourcenausstattung mit einer höheren Aktivität, einer eher gesellschaftsorientiert-instrumentellen Vereinsausrichtung, einer höheren Reichweite und sozialer Heterogenität einhergehen. Im Einzelnen werden im ersten Untersuchungsmodell folgende Hypothese analysiert:

H1.1::

Je höher die individuelle Ausstattung mit sozioökonomischen Ressourcen, desto größer ist die Anzahl an Mitgliedschaften in formellen Assoziationen.

H1.2::

Eine hohe individuelle Ausstattung mit sozioökonomischen Ressourcen wirkt stärker positiv auf die Wahrscheinlichkeit einer aktiven als einer passiven Mitgliedschaft in formellen Assoziationen.

H1.3::

Eine hohe individuelle Ausstattung mit sozioökonomischen Ressourcen wirkt stärker positiv auf die Wahrscheinlichkeit einer Mitgliedschaft in instrumentellen Assoziationen als auf eine Mitgliedschaft in expressiven Assoziationen.

H1.4::

Je höher die individuelle Ausstattung mit sozioökonomischen Ressourcen, desto größer ist das informelle soziale Netzwerk.

H1.5::

Je höher die individuelle Ausstattung mit sozioökonomischen Ressourcen, desto höher ist die geografische Reichweite des informellen sozialen Netzwerkes.

H1.6::

Je höher die individuelle Ausstattung mit sozioökonomischen Ressourcen, desto heterogener ist die soziale Zusammensetzung des informellen sozialen Netzwerkes.

Im Folgenden werden nun Hypothesen zur politischen Partizipation und formeller sowie informeller Netzwerkeinbindung entlang der zweiten Untersuchungsthese (T2) abgeleitet. In Anschluss an die theoretische und empirische Auseinandersetzung wird angenommen, dass in sozialen Netzwerken Politisierungsprozesse vonstattengehen, die das individuelle Involvement und die Motivation steigern, die Kosten und Hürden politischer Handlungen senken und somit letztlich eine politische Teilhabe begünstigen. Mit Blick auf die einzelnen Netzwerkelemente ist zu erwarten, dass die politische Stimulierung bei einer größeren Anzahl, Aktivität und gesellschaftlichen Relevanz individueller Vereinsmitgliedschaften sowie bei großen, weitläufigen und heterogenen Beziehungsnetzwerken vervielfacht wird.Footnote 12 Entsprechend sind im Kontext des zweiten Untersuchungsmodells folgende Hypothesen zu überprüfen:

H2.1::

Je größer die Anzahl an Mitgliedschaften in formellen Assoziationen, desto höher ist die individuelle politische Partizipation.

H2.2::

Eine aktive Mitgliedschaft in formellen Assoziationen wirkt stärker positiv auf die individuelle politische Partizipation als eine passive Mitgliedschaft in formellen Assoziationen.

H2.3::

Eine Mitgliedschaft in instrumentellen Assoziationen wirkt stärker positiv auf die individuelle politische Partizipation als eine Mitgliedschaft in expressiven Assoziationen.

H2.4::

Je größer das informelle soziale Netzwerk, desto höher ist die individuelle politische Partizipation.

H2.5::

Je höher die geografische Reichweite des informellen sozialen Netzwerkes, desto höher ist die individuelle politische Partizipation.

H2.6::

Je heterogener die soziale Zusammensetzung des informellen sozialen Netzwerkes, desto höher ist die individuelle politische Partizipation.

Die These des dritten Untersuchungsmodells (T3) beschreibt zuletzt Einflüsse des direkten Wohnumfeldes auf das Verhalten und Handeln der Anwohnenden. Grundlegend wird angenommen, dass Personen aus sozioökonomisch privilegierten Stadteilen auch unabhängig ihrer individuellen Ressourcenausstattung eine höhere soziale und politische Beteiligung aufweisen als Personen aus sozioökonomisch schwachen Stadtteilen und zudem über eine, im dargelegten Sinn, günstigere Ausgestaltung ihrer informellen Beziehungsstrukturen verfügen. Die Kontexteffekte sollten in erstgenannten Gebieten entsprechend positiv ausfallen, sodass für die Wirkungen des sozialen Umfeldes folgende Hypothesen formuliert werden:

H3.1::

Unabhängig der sozioökonomischen Ressourcenausstattung sind Personen aus sozial privilegierten Stadteilen häufiger und eher aktiv in Vereinen engagiert als Personen aus sozial benachteiligten Stadtteilen.

H3.2::

Unabhängig der sozioökonomischen Ressourcenausstattung sind die sozialen Netzwerke von Personen aus sozial privilegierten Stadteilen größer und weisen weniger lokale und verwandte Alteri auf als die sozialen Netzwerke von Personen aus sozial benachteiligten Stadtteilen.

H3.3::

Unabhängig der sozioökonomischen Ressourcenausstattung beteiligen sich Personen aus sozial privilegierten Stadteilen häufiger politisch als Personen aus sozial benachteiligten Stadtteilen.