In dieser empirischen Forschungsarbeit wird die polizeiliche Präventionsarbeit untersucht. Dazu ist es erforderlich, das Forschungsfeld abzustecken. Das geschieht durch eine Beschreibung von Funktionsbereichen der Polizei, die sich einerseits intensiv mit jungen Menschen befassen und andererseits präventiv wirksam werden sollen (Abschnitt 2.3), nachdem zuvor die Grundstruktur der Polizei in Deutschland (Abschnitt 2.1) sowie deren Rolle und Selbstverständnis (Abschnitt 2.2) erläutert wurden. Die Idee zu dieser Untersuchung ist im Promotionskolleg Bildung als LandschaftFootnote 1 gereift und von der Annahme getragen, dass die Polizei mit ihrer Präventionsarbeit mindestens informelle Lerngelegenheiten bietet, sofern sie nicht sogar in formellen Bildungssettings aktiv wird. Als Grundlegung für den erziehungswissenschaftlichen Kontext wird der Begriff pädagogisches Handeln verwendet und für diese Arbeit nutzbar gemacht (Abschnitt 2.4).

Polizeiliches Handeln gilt gemeinhin als Inbegriff der Ausübung von Staatsgewalt. In der Präventionsarbeit treffen pädagogische Vermittlungsansprüche und polizeiliche Durchsetzungsansprüche von Normen zusammen. Vom repressiven Charakter genuin polizeilicher Arbeit dürfte eine große Strahlkraft ausgehen, zumindest auf die Wahrnehmung präventiver Aktivitäten. Die sich daraus ergebenden Herausforderungen werden einerseits durch Annährungen an die polizeiliche Zwangsausübung und andererseits an der Relevanz pädagogischer Macht deutlich (Abschnitt 2.5).

2.1 Struktur und Aufgaben der Polizei im Überblick

Wenn von Polizei die Rede ist, wird zumeist von der Polizei gesprochen. Streng genommen ist es eine sehr vereinfachende Bezeichnung, denn die Polizei gibt es in Deutschland nicht (vgl. Groß 2019, S. 4). Das wird weder ihrer Aufgabenvielfalt noch den existierenden Organisationsformen gerecht. Polizei ist bekanntlich Ländersache (Art. 30 GG).Footnote 2 Bei 16 Bundesländern führt das zu 16 unterschiedlichen Polizeisystemen mit verschiedenen Strukturen und einer Aufgabenvielfalt, die von der Bekämpfung von Schwerkriminalität mit Spezialeinsatzkommandos bis zur Präventionsarbeit mit Kindern und Jugendlichen an Schulen reicht. Trotz dieser formalen Eigenständigkeit und regionalen Unterschieden gibt es eine Vielzahl an Gemeinsamkeiten, die eine Koordination der Zusammenarbeit über die Landesgrenzen hinweg ermöglicht. Mindestens ebenso wichtig ist, dass die Bürgerinnen und Bürger im Wesentlichen das gleiche von der Polizei erwarten können, unabhängig davon ob sie in Bayern, Brandenburg oder Bremen leben. So wird es auch in dieser Darstellung sowie in der Forschungsarbeit insgesamt, nicht um landespezifische Besonderheiten, Aufbau- und Organisationsfragen gehen, sondern um die Präventionsarbeit der Polizei in Deutschland allgemein. Es wird daher auch von der Polizei gesprochen, trotz aller Heterogenität im deutschen Polizeiwesen. „Funktional lässt sich bei fast allen deutschen Polizeien eine Trennung zwischen uniformierter Schutzpolizei, Kriminalpolizei und Wasserschutzpolizei ausmachen“ (Groß 2019, S. 6), wobei es Sinn macht, auch bei dieser groben Unterscheidung die Schutzpolizei zwischen dem WachdienstFootnote 3 und der BereitschaftspolizeiFootnote 4 zu differenzieren. Die Aufgaben der Polizei können von ihrer juristischen Systematik her vereinfacht in zwei große Bereiche untergliedert werden. Auf der Basis des jeweiligen Landespolizeirechts ist sie für die Abwehr von Gefahren für die öffentliche Sicherheit zuständig. Neben der Verhinderung von Straftaten durch polizeiliche Zwangsmaßnahmen gehören auch die eher zwangsfreie Gefahrenvorsorge und die Verhütung von Straftaten zur Prävention.Footnote 5 Das polizeirechtliche Verständnis von Prävention umfasst Maßnahmen mit und ohne Zwang. Das Strafrecht ist Bundesrecht.Footnote 6 Die polizeiliche Aufgabenzuweisung und die polizeilichen Befugnisse zur Strafverfolgung sind der Strafprozessordnung (StPO) zu entnehmen. Für die Arbeit mit jungen Menschen sind weiterhin die Besonderheiten des Jugendkriminalrechts von Bedeutung. In der juristischen Terminologie ist Strafverfolgung Repression und Gefahrenabwehr Prävention. Beides, also präventive und repressive Polizeimaßnahmen können im Rahmen der gesetzlichen Möglichkeiten mit Zwang durchgesetzt werden. Für die Formen von Prävention, die Gegenstand dieser Untersuchung sind, nämlich die Gefahrenvorsorge und die Verhütung von Straftaten, bedarf es einer sprachlichen Klärung, die den inhaltlichen Unterschied ausdrückt. Es wird daher im Sinne von Arbeitsdefinitionen zwischen genuin polizeilichem Handeln und polizeilicher Präventionsarbeit unterschieden.

Genuin polizeiliches Handeln beschreibt Aktivitäten der Polizei im sicherheitsbehördlichen und justiziellen staatlichen System, in dem durch unmittelbare Beeinflussung des Handelns, psychisch wirkende Abschreckung, Ermittlungen oder Sanktionierungen gesellschaftliche Regeln und gesetzliche Normen durchgesetzt werden. Dagegen sollen mit polizeilicher Präventionsarbeit Einstellungs- und Verhaltensänderungen erreicht werden, ohne dabei in die Rechte Dritter einzugreifen.

Wenn das Merkmal einer zwangsfreien Verhaltensbeeinflussung als charakteristisches Merkmal der polizeilichen Präventionsarbeit in den Mittelpunkt der Betrachtung gerückt wird, „fallen große und für die polizeiliche Aufgabenerfüllung (Wahrung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit) wichtige Handlungsweisen durch das Raster. Hierbei handelt es sich um repressives Vorgehen im Rahmen der Strafverfolgung, der Abwehr von Gefahren und der Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten. Die polizeilichen Maßnahmen zielen nicht auf die Veränderung der gegenüberstehenden Personen, sondern auf die Ahndung und Abschreckung von weiteren Rechtsverstößen“ (Asmus 2011, S. 11).

Als Kontrast dazu gehören zur präventiven Arbeit mit Kindern die Verkehrssicherheitsarbeit, die allgemeine bzw. primäre Kriminalprävention sowie in Teilen der Umgang mit jugendlicher Delinquenz (im Detail siehe hierzu Abschnitt 2.3).

Diese Etablierung von Aufgaben in der Polizei, die nicht ohne weiteres als EingriffsverwaltungFootnote 7 deklariert werden können, ist nicht selbsterklärend und auch nicht unumstritten (vgl. z. B. Schilling 2020, 40 f., 281 ff.). Verständlich wird diese Form der präventiven Arbeit durch die Rolle und das Selbstverständnis der Polizei. Gleichzeitig bedarf es auch einer Betrachtung der Entwicklung der Präventionsarbeit in Deutschland, denn nur so nimmt das für diese Untersuchung relevante Forschungsfeld Konturen an.

2.2 Rolle und Selbstverständnis der Polizei

Die Geschichte der Polizei als Institution ist eng mit obrigkeitsstaatlichem Denken, militärischen Traditionen und Taktiken verknüpft.Footnote 8 Bildungsimpulse in die Mitte der Gesellschaft hinein lassen sich nach heutigem Verständnis von solchen Prägungen kaum erwarten. Dieser Habitus entsprach dem Zeitgeist im Kaiserreich und erhielt im Nationalsozialismus eine totalitäre Prägung.Footnote 9 Eine sich daraus ergebende Organisationskultur wirkte auch in den ersten Jahrzehnten der Bundesrepublik Deutschland. In Ausbildung und Selbstverständnis wurde an tradierte militärische Muster angeknüpft (vgl. Haselow und Kissmann 2003, S. 129; Groß et al. 2008, S. 17). Der Beginn des sogenannten Kalten Krieges rechtfertigte die Anlehnung an militärische Strukturen. „In den Jahren zwischen 1967 und 1972 vollzog sich dann ein Umbruch in den Polizeien der Bundesrepublik“ (Groß et al. 2008, S. 18). „In den 70ziger Jahren standen sich damit emanzipatorische Entwicklungen und autoritär geprägte Gesellschafts- und Machtstrukturen, die weiterhin an Befehl und Gehorsam ausgerichtet waren, entgegen und führten zu Rollenkonflikten“ (Haselow und Kissmann 2003, S. 130). Die gesellschaftlichen Veränderungen wirkten auch in der Polizei tiefgreifend. Staatlichkeit war kein überhöhter Selbstzweck mehr, sondern sollte für die Bürgerinnen und Bürger das Gemeinwesen organisieren. So muss dann auch die Polizei partnerschaftlich auf Augenhöhe für die Bürgerinnen und Bürger da sein. Für Institutionen mit repressiven Aufgaben und Befugnissen und einer Bürgernähe diametral entgegenstehenden Organisationskultur war das keine leichte Aufgabe.

„Prinzipiell müssen sich Polizeien, die sie steuernde Politik und die Gesellschaft die Frage stellen, welche Schwerpunkte in der Kriminalitätsbekämpfung gesetzt werden sollen und welche Präventionsstrategien Erfolg versprechen. Damit verbunden ist die grundlegende Frage der Ausrichtung der Polizei, bei der ein dienstleistungsorientiertes Modell einer ,Bürgerpolizeiʻ dem Modell einer ‚Staatspolizeiʻ, die primär öffentliche Institutionen verteidigt und schützt, gegenüber steht. In jedem Fall zentral für die Legitimation der Polizeien in einer freiheitlichen Gesellschaft bleiben klare demokratische Werthaltungen, die auch unter den schwierigen Arbeitsbedingungen in der Polizei sowie bei vermehrten Angriffen auf Polizeibeamtinnen und -beamte garantiert sein müssen“ (Groß 2019, S. 10).

Vergessen werden darf auch nicht, dass die Volkspolizei in der DDR bis zur Wiedervereinigung Deutschlands eine andere Entwicklung nahm. „Die strukturellen Umbrüche in Staat und Gesellschaft waren für die Deutsche Volkspolizei als herrschaftssichernde und Rechtskonformität kontrollierende Organisation in der DDR neben den persönlichen Verunsicherungen auch mit dem Verlust kollektiver Orientierungen verbunden“ (Asmus 2007, S. 72). Bis dahin kultivierten Volkspolizisten „eine obrigkeitsstaatliche Haltung im Umgang mit dem Publikum, die zugleich aus der Imagination der Volksnähe lebte“ (Gieseke 2003, S. 113). „Dabei wurde die eigentümliche Verschmelzung von nachrichtendienstlichen Tätigkeiten, originär polizeilichen, erzieherischen, politischen und sozialpädagogisch-betreuenden Aufgaben explizit in Absetzung von den westdeutschen Entwicklungen formuliert“ (Hornborstel 2000, S. 197).

Heute ist das Bild einer Bürgerpolizei Teil des formulierten institutionellen Selbstverständnisses.Footnote 10 Polizeiliches Handeln beschränkt sich nicht auf Gesetzesvollzug im rechtspositivistischen Sinne. „Mit rechtlichen Begriffen der Gefahrenabwehr und der Strafverfolgung wird die Funktion von Polizei in unserer Gesellschaft nur unzureichend erfasst“ (vgl. Kommission zur Untersuchung des Reformbedarfs in der Niedersächsischen Polizei, S. 18, zit. nach Kniesel et al. 1996, S. 1109). In Polizeikreisen wird von der Erwartungshaltung der Bürgerinnen und Bürger ausgegangen, dass die Polizei „sich kümmert“ (Dohr und Wiedemann 1996, S. 1110).

Die Polizeidienstvorschrift „Führung und Einsatz der Polizei“ (PDV 100) – ist die Basis aller weiteren bundesweit gültigen Polizeidienstvorschriften. Vor allen fachlichen Ausführungen ist umfassend „Rolle und Selbstverständnis“ (Bundesministerium des Innern 2012, Ziff. 1.1) der Polizei in der Bundesrepublik Deutschland formuliert. In dieser normativen Orientierung für alle Polizeibeschäftigten wird das berufliche Verhältnis zu anderen gesellschaftlichen Akteurinnen und Akteuren und eben zu Bürgerinnen und Bürgern formuliert. Das Verständnis von einer Bürgerpolizei wird in dieser Vorschrift z. B. durch folgende Passagen beschrieben: „Die Polizei hat sich bei ihrem Tätigwerden nicht nur an der Sicherheitslage, sondern am Sicherheitsgefühl der Bevölkerung zu orientieren. […] Auch muss sie sich Anlass unabhängig um Bürgernähe […] bemühen. Sicherheitsprobleme können letztlich nur gemeinsam mit dem Bürger gelöst werden“ (Bundesministerium des Innern 2012, Ziff. 1.1). Diese gesellschaftliche Rolle der Polizei ist eine Grundvoraussetzung für die Normvermittlung jenseits der Modi von Abschreckung.

2.3 Präventionsarbeit der Polizei mit Kindern und Jugendlichen

Wie bereits erwähnt, erstreckt sich die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen auf die Verkehrssicherheitsarbeit, die Kriminalprävention und die Jugendsachbearbeitung (polizeiliche Ermittlungen zu Jugendkriminalität). Angesprochen werden dadurch, entsprechenden gesetzlichen Regelungen folgend Minderjährige (junge Menschen bis zur Vollendung des 18. LebensjahresFootnote 11) und Heranwachsende (Personen im Alter von 18 bis 21 JahrenFootnote 12). Jenseits dieser Arbeitsbereiche kommt es natürlich situativ auch zu Berührungspunkten mit anderen Organisationsbereichen der Polizei, wie z. B. mit Beamtinnen und Beamten der Schutzpolizei im Wachdienst. Zwischen den drei Arbeitsfeldern – Verkehrssicherheitsarbeit, Kriminalprävention und Jugendsachbearbeitung – lassen sich Zusammenhänge ausmachen, die bisweilen zur Sprache kommen, aber in den bestehenden Diskursen nicht systematisch thematisiert werden (vgl. Abschnitt 4.4). So werden in der Praxis Zusammenhänge zwischen Mobilität und Delinquenz hergestellt. Junge Menschen sind wegen ihrer hohen Unfallbeteiligung eine Risikogruppe im Straßenverkehr und fallen häufiger mit der Begehung von Straftaten auf, womit sich eine Verknüpfung von Verkehrsunfall- und Kriminalprävention begründen lässt. „Kriminalprävention ist eine alternative, nicht punitive Antwort auf die Herausforderung, Kriminalität als gesellschaftliches Phänomen oder als individuelles Ereignis zu verhindern, zu mindern oder in ihren Folgen gering zu halten“ (Steffen 2014, S. 5). Diese allgemeine Zielsetzung kriminalpräventiver Arbeit gilt auch für die Polizei. Es soll verhindert werden, dass junge Menschen Opfer von Straftaten werden, und sie selbst möglichst nicht delinquent handeln. Die Kriminalprävention in ihrer aktuellen Gestalt ist nicht unumstritten, weil damit die Zunahme sicherheitsfixierter Präventionsdiskurse sowie die Marginalisierung sozialpädagogischer Denk- und Handlungslogiken durch die verstärkte kriminalpräventive Programmierung Sozialer Arbeit verbunden wird (vgl. Dollinger und Schabdach 2013, S. 183). Frehsee (2011, S. 356 ff.) sieht die Gefahr einer Ablösung des „Förderungsparadigmas“ der Sozialpädagogik durch das „Störungsparadigma“ der Polizei.

Ähnlich argumentieren Feltes und Schilling (2015, S. 55), die eine Präventionsarbeit befürchten, die nur auf „Abschreckung und punitiven Ansätzen beruht“ und auf eine Selbstdarstellung der Polizei ausgerichtet ist. Prävention wird für die Arbeit der Polizei insbesondere dann eine Herausforderung, wenn in der Praxis Repression und Prävention zusammentreffen. Das ist in der polizeilichen Jugendsachbearbeitung der Fall, in der es zunächst, der kriminalistischen Handlungslehre folgend, um polizeiliche Ermittlungen geht, aber wegen der Betonung von Erziehung im Jugendstrafrecht auch Prävention von Bedeutung ist (vgl. Dietsch und Gloss 2005, S. 120 f.). Wegen der beschriebenen Zusammenhänge sind die Arbeitsfelder Verkehrssicherheitsarbeit, Kriminalprävention und Jugendsachbearbeitung für diese Untersuchung von Bedeutung und werden nachfolgend beschrieben. Begonnen wird mit der Verkehrsunfallprävention, weil die Verkehrserziehung auf eine schulische Tradition verweisen kann, die bis zu den Anfängen der Motorisierung des Verkehrs zu Beginn des 20. Jahrhunderts zurückreicht und eine lange Verbindung zwischen schulischen und polizeilichen Aufgaben markiert. Schon damals ging es wegen der steigenden Anzahl von Verkehrsunfällen um das Lernen von Verkehrsregeln (Raithel et al. 2007, S. 323 ff.).

2.3.1 Verkehrsunfallprävention

Die „Kernaufgabe der polizeilichen Verkehrssicherheitsarbeit ist die Verhütung von Verkehrsunfällen und damit der Schutz von Leib und Leben sowie wesentlichen Sachwerten“ (Günzel et al. 2009, S. 64). Das Ziel dieser Arbeit ist es, die Verkehrsunfallzahlen im Straßenverkehr zu senken und die subjektive Sicherheit der Verkehrsteilnehmerinnen und Verkehrsteilnehmer zu stärken (vgl. Günzel et al. 2009, S. 176). Zu diesem Handlungsfeld gehört auch die Verkehrsunfallprävention.Footnote 13 Wie bei der Kriminalprävention handelt es sich bei der Verkehrsunfallprävention um kein exklusives polizeiliches Betätigungsfeld,Footnote 14 sondern um eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die auch im Auftrag der öffentlichen Schulen zu finden ist. Die „Mobilitäts- und Verkehrserziehung ist eine übergreifende Bildungs- und Erziehungsaufgabe der Schule. Sie umfasst Aspekte von Sicherheitserziehung und Sozialerziehung sowie von Umweltbildung und Gesundheitsförderung für eine verantwortungsvolle Teilnahme am Straßenverkehr“ (Ständige Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland 2012, S. 2).Footnote 15 Die Schülerinnen und Schüler sollen lernen, sich sicher im Straßenverkehr zu bewegen und „die Teilnahme am Straßenverkehr als ein auf Partnerschaft gerichtetes, soziales Handeln […] verstehen“ (Limbourg 2011, S. 404). Die Bedeutung dieser Lernziele unterstreicht die Verkehrsunfallstatistik. Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene gelten als Risikogruppen im Straßenverkehr, weil sie überproportional häufig in Verkehrsunfälle verwickelt werden und der Straßenverkehrstod die häufigste Todesursache in diesem Alter ist (vgl. Günzel et al. 2009, S. 401, 453, 458). Aus diesem Grund und wegen ihrer spezifischen Expertise wirken Verkehrssicherheitsberaterinnen und Verkehrssicherheitsberater der Polizei (vgl. Bundesministerium des Innern 2012, Ziff. 2.1.3.2) an der VerkehrserziehungFootnote 16 junger Menschen in den Schulen mit und sind darüber hinaus in Kindertageseinrichtungen aktiv (vgl. Ständige Konferenz der Innenminister und -senatoren der Länder 2009, S. 56).

2.3.2 Kriminalprävention

„Während die Verkehrsprävention der Polizei eine lange Tradition hat und gewinnbringende Kooperationen z. B. mit den Verkehrswachten seit Jahrzehnten einschließlich notwendiger Finanzierungsmöglichkeiten (Sponsoring) gegeben sind, ist das Feld der Kriminalprävention in den letzten zwanzig Jahren explosionsartig besetzt worden“ (Feltes und Schilling 2015, S. 36). „Kriminalprävention ist – je nach Situation und Bedarf – darauf gerichtet, einen, eine Gruppe von oder alle Normadressaten von normbrecherischem Verhalten abzuhalten, das mit Strafe bedroht ist oder mit dem das Strafrecht zu Lasten eines Tatzuständigen eine andere Sanktion oder sonstige avisierte Rechtsfolge verbindet“ (Bottke 2006, S. 793). Zur Strukturierung der Kriminalprävention wird auf eine zeitliche Unterscheidung zurückgegriffen, die ursprünglich aus der Prävention psychischer Erkrankungen stammt (vgl. Caplan 1964, S. 26 ff.). Dieser „herkömmlichen Unterscheidung“ (Coester 2018, S. 50. Fußnote 16) folgend wird zwischen primärer, sekundärer und tertiärer KriminalpräventionFootnote 17 unterschieden (vgl. z. B. Bottke 2006, S. 793 ff.; Schneider 2008, S. 553 ff.) Die primäre Kriminalprävention zielt auf die Normenverdeutlichung und Stabilisierung des Rechtsbewusstseins in der gesamten Bevölkerung ab (Generalprävention). Diese Prävention wird ganz allgemein durch Erziehung und Sozialisation bewirkt. Die Einübung regelkonformen Verhaltens erfolgt durch Eltern, Lehrer und insgesamt durch das soziale Umfeld. Die Polizei wirkt an diesen unspezifischen Präventionsmaßnahmen mit, wie die Präventionsmedien des Programms Polizeiliche KriminalpräventionFootnote 18 anschaulich illustrieren.Footnote 19 Die Polizei hat für die hauptamtliche WahrnehmungFootnote 20 dieser Aufgabe spezifische Organisationsbereiche eingerichtet (vgl. Bundesministerium des Innern 2012, Ziff. 2.1.2.3), in denen die Präventionsarbeit mit jungen MenschenFootnote 21 von Präventionsbeamtinnen und PräventionsbeamtenFootnote 22 durchgeführt wird. Gleichzeitig beginnt hier das Aktionsfeld der kommunalen Kriminalprävention (vgl. z. B. Pütter 2006; Bubenitschek et al. 2014, S. 4 f.; Schreiber 2014; Bossert 2019, S. 227 ff.), die das Zusammenwirken örtlich relevanter Präventionsträger wie Kommunalbehörden, Polizei, Justiz, Medien, Schulen, Kirchen, Vereine, Verbände und die Bevölkerung fördern will. So stellt dann auch das Programm Innere Sicherheit des Bundes und der Länder fest: „Kriminalität von Kindern und Jugendlichen ist eine gesamtgesellschaftliche Herausforderung. […] Die Polizei kann dazu nur einen Teilbeitrag leisten. […] Präventionsprogramme sind insbesondere auf kommunaler Ebene, in Schulen, Vereinen und privaten Initiativen zu verstärken“ (Ständige Konferenz der Innenminister und -senatoren der Länder 2009, S. 27 f.). Mit der sekundären Kriminalprävention sollen tatförderliche Strukturen reduziert, die Tatbegehungsschwelle erhöht und der Taterfolg minimiert werden (Spezialprävention). Die Normenverdeutlichung im Einzelfall (z. B. die sogenannte GefährderanspracheFootnote 23) gehört ebenfalls dazu. Sie soll von der konkreten Tatbegehungen abhalten und idealerweise ein dauerhaftes regelkonformes Verhalten bewirken. Der Vollständigkeit halber sei noch die tertiäre Kriminalprävention erwähnt. Diese Präventionsphase, deren Gestaltung primär die Aufgabe der Justiz und der Sozialarbeit ist, dient der Resozialisierung und Verhinderung der Wiederholung von Straftaten.

2.3.3 Jugendsachbearbeitung

Ähnlich wie in der Kriminalprävention waren in den 1990er Jahren auch in der repressiven Arbeit bezogen auf junge Menschen umfangreiche Entwicklungen zu verzeichnen. Es wurden in der Polizei Organisationseinheiten eingerichtet, die das Ziel haben, der Jugendkriminalität wirksamer zu begegnen. Die Aufklärung von Straftaten und der polizeiliche Umgang mit minderjährigen Opfern und Zeugen wurde in die Verantwortung von Jugendsachbearbeiterinnen und Jugendsachbearbeitern gelegt (vgl. Landeskriminalamt Niedersachsen 2014b, S. 3 ff.; Kühnel 2015, S. 332). Jugendstaatsanwältinnen, Jugendstaatsanwälte, Jugendrichterinnen und Jugendrichter (vgl. Breymann und Plewig 2016) sowie das polizeiliche Fachpersonal sollten für den Umgang mit Kindern und Jugendlichen qualifiziert werden.

Die Jugendsachbearbeitung dient zur Bewältigung der Jugendkriminalität, so führt es zumindest die Polizeidienstvorschrift 382 (PDV 382) „Bearbeitung von Jugendsachen“, in ihrem Vorwort aus. „Für die Polizei gilt besonders im Jugendbereich der Grundsatz: ‚Prävention geht vor Repression‘“ (Bundesministerium des Innern 1996, S. 7; vgl. auch Feltes und Schilling 2015, S. 39). „Das Jugendstrafrecht verweist auf Erziehung als zentrales Mittel, um Legalbewährung zu erreichen (§ 2 Abs. 1 JGG). An die Stelle einer tatbezogenen Strafe soll angesichts der Besonderheiten von Jugendlichen bzw. Heranwachsenden, zumindest in den meisten Fällen, eine erzieherische Behandlung treten. Allerdings ist Erziehung nicht eindeutig definiert; sie kann ebenso mit strafenden wie mit pädagogischen Maßnahmen in Verbindung gebracht werden“ (Dollinger und Schabdach 2013, S. 21). Unabhängig von der vermutlich in jedem Einzelfall sehr kontrovers diskutierbaren Frage, wie mit jugendlicher Delinquenz umzugehen sei, will das Jugendstrafrecht der noch nicht abgeschlossenen Persönlichkeitsentwicklung junger Menschen Rechnung tragen. „Das Verständnis der Jugendkriminalität als eines separaten Teils der Gesamtkriminalität ist uns heute nahezu selbstverständlich“ (Walter und Neubacher 2011, S. 23). Zugrunde liegt die Erkenntnis, dass Strafnormverletzungen im Jugendalter normal sind. Sie gehören zum Entwicklungsprozess von Jugendlichen und treten episodenhaft auf. Nach einem gewissen Höhepunkt im Alter von 18 bis 19 Jahren nimmt die Wahrscheinlichkeit der Begehung von Straftaten ab dem 21. Lebensjahr ab. Bei jugendtypischen Delikten „handelt es sich größtenteils um Bagatelldelikte“ (Kühnel 2015, S. 331; siehe auch Dollinger und Schmidt-Semisch 2011, S. 11), also Handlungen die eher geringe Schäden verursachen.

Besondere Aufmerksamkeit widmet die Polizei Jugendlichen, die sie als Mehrfach- oder IntensivtäterFootnote 24 bezeichnet. Durch den personenbezogenen Ermittlungsansatz sollen minderjährige Intensivtäter frühzeitig erkannt und im Zusammenwirken von Polizei, Jugendhilfe und Justiz delinquente Auffälligkeiten vermindert werden (kritisch hierzu Emig 2011). In der polizeilichen Arbeitsorganisation sind Mehrfach- oder Intensivtäter einer bestimmten Jugendsachbearbeiterin bzw. einem bestimmten Jugendsachbearbeiter zugewiesen. Alle Straftaten, deren diese Person verdächtig ist, fallen in die Zuständigkeit dieses Sachbearbeitenden.

Das Spezifische an der Jugendsachbearbeitung ist, dass die Ermittlungstätigkeit einerseits zweifelsfrei von Rechtseingriffen gekennzeichnet ist, also genuin polizeilichem Handeln zuzuordnen ist. Dazu gehört es, sich mit dem Handeln und den Persönlichkeiten der Tatverdächtigen intensiv auseinanderzusetzen. Andererseits soll der Umgang mit den Kindern und Jugendlichen auch den mit der Bearbeitung von Jugendsachen verbundenen Präventionszielen gerecht werden. „Innerhalb der polizeilichen Jugendarbeit sind die Übergänge zwischen Schutz, Intervention und Prävention fließend“ (Steffen 2015, S. 559).

Die Opferperspektive von Jugendlichen darf bei der Betrachtung polizeilichen Handelns und dessen pädagogischer Wirkung nicht unberücksichtigt bleiben. Wie bei den charakterisierenden Merkmalen von Jugendkriminalität bereits ausgeführt, sind junge Menschen auch deutlich häufiger Opfer von Straftaten als Angehörige anderer Altersgruppen. „Das liegt an der vergleichsweise risikoreicheren Lebensführung sowie an der eingeschränkten Wahrnehmung von Gefahren“ (Walter und Neubacher 2011, S. 353). Sie werden häufig Opfer von Gleichaltrigen. Der Opferschutz muss jedoch über den Kontext von Jugendkriminalität hinausreichen. Schon allein wegen der Schadensintensität ist in diesem Zusammenhang z. B. die Verletzung von Kindern und Jugendlichen durch elterliche und sexuelle Gewalt von Bedeutung.

2.4 Pädagogisches Handeln in der polizeilichen Präventionsarbeit

Wenn Polizei auf die Zukunft gerichtet ohne Drohung, Abschreckung und Anwendung unmittelbaren Zwangs, Verhalten von Personen beeinflussen will, stellt sich die Frage nach der Klassifizierung dieses Handelns. Das eröffnet den Raum, Bezüge zur Erziehungswissenschaft als Reflexionswissenschaft (vgl. Lenzen 1996, S. 207) von Bildung und Erziehung zu suchen.

Allein schon die teilweise an Schulen, also an einem formalen Bildungsort, stattfindende polizeiliche Präventionsarbeit, lässt die Relevanz von Lernen und Erziehung vermuten. Polizistinnen und Polizisten handeln in pädagogischen Settings, wenn sie am Bildungsort Schule in Lernsituationen, insbesondere in den Unterricht, eingebunden sind oder außerschulisch Lerngelegenheiten schaffen. Der polizeilich gebräuchliche Begriff Verkehrserziehung markiert pädagogische Intentionen. Da das Jugendstrafrecht vom Leitgedanken der Erziehung bestimmt ist, können in der polizeilichen Jugendsachbearbeitung ebenfalls pädagogische Aspekte vermutet werden.

Erziehung ist ein „ziemlich allgemeiner Allgemeinbegriff“ (Treml 2000, S. 60). „Erziehung ist eine soziale Konstruktion, um den Zustand von Personen zu ändern“ (Prange 2011, S. 311). Allerdings ist nicht jede Verhaltensbeeinflussung Erziehung im pädagogischen Sinne. So scheidet z. B. genuin polizeiliches Handeln aus, da es unmittelbar in die Handlungsmöglichkeiten von Personen eingreift und in der Regel auch keine Freiheitsgrade im Umgang mit polizeilichen Weisungen beinhaltet. Charakteristisch ist vielmehr die Schaffung von Lerngelegenheiten. Wenn in dieser Arbeit von Lernen gesprochen wird, ist damit insbesondere gemeint, dass man „etwas weiß oder kann, was man vorher nicht gewusst oder gekonnt hat“ (Giesecke 2015, S. 24). Auf theoretischer Ebene umfasst pädagogisches Denken und Handeln die „Aufforderung zur Selbstständigkeit“Footnote 25, die „pädagogische Transformation gesellschaftlicher Einflüsse und Anforderungen“Footnote 26, die „Bildsamkeit als Bestimmtsein des Menschen“Footnote 27 und den „nicht-hierarchischen Ordnungszusammenhang der menschlichen Gesamtpraxis“Footnote 28 (Benner 2015a, S. 130, Tabelle). In einer Theorie der Praxis bezieht sich pädagogisches Handeln auf die Kommunikation mit einer anderen Person zu Themen, die sich auf Lernen beziehen. Es bedarf weiterhin Zeit, diese Themen zu artikulieren (vgl. Prange und Strobel-Eisele 2015, S. 42 ff.). Der Vorteil dieser Definition liegt in seiner großen Weite. „Es gibt eine unübersehbare Zahl von Handlungen, Verhaltensweisen, Arrangements, die wir ohne zu zögern als pädagogisch bezeichnen können“ (Prange und Strobel-Eisele 2015, S. 12). Dagegen beschreibt Erziehung nur einen Ausschnitt der Gesamtheit möglicher pädagogischer Handlungen.

Im folgenden kurzen Aufriss der Grenzen des Erziehungsbegriffs wird der Vorteil der Weite des Begriffs pädagogisches Handeln für diese Forschungsarbeit deutlich. In dieser Studie werden polizeiliche Handlungen untersucht, mit denen normatives Denken und Handeln junger Menschen beeinflusst werden sollen. Auch wenn Schulen einen Erziehungsauftrag haben und von Eltern eine Erziehungsleistung erwartet wird, weisen professionelle soziale Hilfs- und Unterstützungssysteme auf eine Vielzahl potenziell erzieherisch tätiger Akteurinnen und Akteure hin. Nicht nur die große Zahl in unterschiedlichen Kontexten erzieherisch tätiger Personen (vgl. z. B. Ellinger und Hechler 2013, S. 94), sondern auch die Vielfalt der Erziehungsverständnisse in Theorie und Praxis weisen auf eine unüberschaubare Anzahl an Bildern von Erziehung hin (vgl. z. B. Oelkers 1991; Scheunpflug 2006b, S. 47 f.; Oelkers 2008, S. 83; Benner 2015b). Es besteht also die Gefahr, dass als Erziehung untersucht wird, was zuvor als Erziehung definiert wurde (vgl. Winkler 2010, S. 64). Für eine hypothesengenerierende Untersuchung verbindet sich mit der Nutzung des Erziehungsbegriffs die Gefahr einschränkender Vorannahmen, wenn Erziehung im Kontext vorhandener Diskurse definiert wird. Die potenziell lenkende Funktion des Erziehungsbegriffs zeigt sich schon alleine im Spanungsfeld von technokratischen und emanzipatorischen Definitionsmöglichkeiten (vgl. Oelkers 2008, S. 103 ff.). Daran anschließend dürfte es kaum leistbar sein, eine konsistente Kasuistik erzieherischer Handlungen zu entwerfen. „Das heißt, durch die Hinwendung zum Begriff des pädagogischen Handelns wird der Betrachtungsrahmen erweitert und ein Begriff verwendet, der die grundlegende Struktur und das Ziel von pädagogischen Aktivitäten so allgemein wie möglich abzeichnet. Der Erziehungsbegriff wird hierbei neben Unterrichten und Beraten u. a. unter dem Oberbegriff des pädagogischen Handelns inkludiert“ (Brade 2009, S. 27 f.).

Vor dem Hintergrund des eher begrenzten empirischen Erkenntnisstandes zu polizeilichem Handeln in der Präventionsarbeit und der maximalen Offenheit eines rekonstruktiven, hypothesengenerierenden Untersuchungsansatzes (vgl. Abschnitt 4.1), erscheint es auch aus methodischen Gründen erforderlich, diese Weite auf begrifflicher Ebene zu gewährleisten. „Zugleich ergibt sich die Favorisierung des Terminus des pädagogischen Handelns aus der Tatsache, dass der Blick auf den pädagogisch Tätigen gerichtet wird, wenn es um die Untersuchung der operativen Perspektive geht“ (Brade 2009, S. 29). Die in dieser Untersuchung verwendete Definition ermöglicht eine berufsunabhängige Nutzung des Begriffs pädagogisches Handeln, unabhängig von der spezifischen Professionalität der agierenden Akteurinnen und Akteure.

Gleichzeitig darf nicht unerwähnt bleiben, dass nicht jegliche Präventionsarbeit aus polizeilicher Perspektive mit pädagogischem Handeln gleichzusetzen ist. Die Grenzen dürften immer dann erreicht werden, wenn Abschreckung und damit Zwang handlungsleitend wird. So haben normenverdeutlichende Gespräche in der Form von sogenannten Gefährderansprachen einen erzieherischen Charakter. In solchen Gesprächen wird Jugendlichen verdeutlicht, dass die Polizei aufgrund ihres bisherigen Verhaltens damit rechnet, dass sie auch weiterhin Straftaten begehen und sie damit rechnen müssen, schnell als potenzielle Tatverdächtige in Betracht zu kommen. Zwar handelt es sich aus polizeirechtlicher Perspektive nur dann um eine Zwangsmaßnahme, „wenn sie lenkend in die Willensbetätigungsfreiheit eingreift“ (Reuter 2019, S. 239). Dagegen fehlt es nach Ansicht von Gloss an einer polizeilichen Aufgabenzuweisung für Gefährderansprachen. Die Anwendungspraxis sei daher differenziert und kritisch zu betrachten (vgl. Gloss 2010, S. 338).

Durch den Modus der Abschreckung wird auf reine Normverdeutlichung gesetzt. Es wird Druck ausgeübt und eine pädagogische Normvermittlung ausgeschlossen.Footnote 29 Diese GrenzziehungFootnote 30 zeigt, dass polizeiliche Präventionsarbeit nicht per se als pädagogisches Handeln zu bezeichnen ist und die Grenzen zwischen genuin polizeilicher Arbeit und polizeilicher Präventionsarbeit eng beieinander liegen.

2.5 Relevanz von polizeilichem Zwang und pädagogischer Macht in der Präventionsarbeit

Ein weiterer Zugang zur polizeilichen Präventionsarbeit liegt in Handlungsoptionen polizeilicher Arbeit, die von Durchsetzungsmodi geprägt sind. In der Präventionsarbeit geht es zumindest vordergründig nicht um Zwangsanwendungen. Die Polizei wird, unabhängig davon, ob sie Zwang anwendet oder nicht, immer als eine Institution wahrgenommen, die zur staatlichen Gewaltausübung berufen ist. Daher bedarf es zur Fundierung des Kontextes dieser Forschungsarbeit überblicksartiger Erläuterungen zur Relevanz von polizeilichem Zwang und pädagogischer Macht in der Präventionsarbeit. Die Betrachtung der genuin polizeilichen und der pädagogischen Perspektive auf die Beeinflussung des Verhaltens junger Menschen ist schon allein deshalb wichtig, weil die gesetzlich fixierten Befugnisse und Pflichten der Polizei ein relativ starres Korsett bilden. Pädagogische Settings scheinen dagegen größere Freiräume für die emanzipatorische Entwicklung von Kindern und Jugendlichen bereitzustellen. Bei aller offenkundigen polizeilichen Machtfülle zur Durchsetzung von Regeln, darf die vergleichsweise implizite Machtausübung von Pädagoginnen und Pädagogen zur Beeinflussung junger Menschen nicht ausgeblendet bleiben. Wenn die Polizei ihren traditionellen Auftrag ausweitet und durch Präventionsarbeit Normen vermittelt, wird die Rolle von Zwang in besonderem Maße reflexionsbedürftig, weil sich der Handlungsrahmen verändert. Für die theoriegeleitete Erfassung dessen, was polizeiliche Präventionsarbeit ausmacht, bedarf es der Klärung, wie in diesem Handlungsfeld Macht ausgeübt und Verhalten beeinflusst wird. Der juristischen Terminologie folgend, ist genuin polizeiliches Handeln darauf ausgerichtet, erforderlichenfalls unmittelbaren Zwang auszuüben. Um diese charakteristischen Merkmale der Polizeiarbeit zu erfassen, erfolgen über eine Annäherung an Verständnisse von Gewalt Erläuterungen zur Zwangsausübung als ein Teil der Staatsgewalt (vgl. Weber 1984, S. 91). Die Frage der pädagogischen Beeinflussung des Denkens und Handelns anderer Personen wird mit dem Begriff pädagogische Macht aufgegriffen.

Annäherungen an Verständnisse von Gewalt

„Gewalt ist einer der schillerndsten und zugleich schwierigsten Begriff der Sozialwissenschaft“ (Imbusch 2003, S. 26). „Die Probleme der Gewaltforschung beginnen bereits mit der genauen Festlegung, was als Gewalt gelten soll“ (Heitmeyer und Hagan 2003, S. 16). „Beinahe alle genaueren Untersuchungen des Phänomens Gewalt zeigen, dass dieses nicht nur extrem vielgestaltig ist, sehr unterschiedliche Qualitäten besitzen kann und es nicht nur eine beträchtliche Spannweite an (gängigen) Definitionen gibt, sondern auch vielfältige Auseinandersetzungen um die mögliche Definitionshoheit dessen, was Gewalt jeweils ist oder sein soll“ (Heitmeyer und Hagan 2003, S. 15). „Sowohl in der Wissenschaft als auch im Alltagsverständnis gibt es keine einheitliche Auffassung von ,Gewaltʻ“ (Schubarth 2010, S. 16). „Wo Gewalt beginnt – darüber gehen die Meinungen auseinander. Für manche ist eine Hänselei schon ,Gewaltʻ oder ,Mobbingʻ, für andere beginnt ,Gewaltʻ erst mit Raufereien und für wieder andere fängt ,Gewaltʻ gar erst bei Verletzungen oder Sachbeschädigungen an“ (Schubarth 2010, S. 18).

Ein anderes Verständnis von Gewalt ist das der legitimen Staatsgewalt. „Die öffentliche Gewalt wird dem Staat […] nicht als Selbstzweck eingeräumt, sondern im Interesse des Gemeinwohls“ (Grimm 2003, S. 1298). Eine freiheitlich demokratische Ordnung hat dem Gemeinwohl zu dienen. Sie kann erforderlichenfalls mit legitimierter Gewalt aufrechterhalten werden (vgl. Schäfer und Thompson 2011, S. 9). Transferiert auf die Verwaltungspraxis wird die Anwendung von Gewalt „als Kern der Polizeiarbeit angesehen. In dieser Hinsicht ist die Beziehung zwischen Gewalt und Polizeiarbeit weit davon entfernt, als problematisch zu gelten; vielmehr gilt sie als fundamental unbestritten“ (Brodeur 2003, S. 259). In der polizeilichen Praxis ist Gewalt aus zwei Perspektiven von Bedeutung. „Die Polizei zieht Gewalt zum Schutz anderer auf sich und wendet als ultima ratio auch selbst Gewalt an“ (Hamm und Sander 2018, S. 91). Für das genuin polizeiliche Handeln ist das juristische Verständnis von Gewalt bedeutsam. Auch im Strafrecht hat sich bisher kein einheitlicher Gewaltbegriff herausgebildet. Regelmäßig ist als Gewalt die Entfaltung körperlicher Kraft durch eine Person zu verstehen, die auf das Tatsubjekt oder das Tatobjekt physisch einwirkt, und dabei eine spürbare Wirkung entfaltet (vgl. Kastner 2018a, S. 970 f.). Die Klärung von Gewalt kann nicht ausgeklammert werden, weil sie unmittelbar mit der genuinen Funktion der Polizei verbunden ist. Die Polizei ist Teil der Staatsgewalt und besitzt die besondere Befugnis, legitim physische Gewalt auszuüben. Mit der Breite des Verständnisses von Gewalt, das hier nur umrissartig beschrieben wurde, stellt sich die Frage, ob der Begriff Gewalt präzise genug für die Zwecke dieser Arbeit ist. Allein schon die unterschiedlichen Bedeutungshöfe, Gewalt eher neutral als Kraft oder abwertend als Gewalttätigkeit zu verstehen, können zu Missverständnissen führen. Unbeachtet bleiben darf auch nicht, bei allen Beschreibungen von Gewalt, dass normative Standortgebundenheiten und spezifische Kontexte eine Rolle spielen. Hilfreicher scheint es dagegen zu sein, den Begriff Zwang zu verwenden, wie im folgenden Abschnitt gezeigt wird.

Zwangsausübung als Teil der Staatsgewalt

Freiheit wird durch die Ausübung der Macht anderer, insbesondere durch die Ausübung von Zwang begrenzt. Diese Einschränkungen individueller Entfaltungsmöglichkeiten ergeben sich durch Sanktionen bzw. Sanktionierungsmöglichkeiten sowie durch materielle und strukturelle Zwänge (vgl. Giddens 1995, S. 228 ff.). Da sich die polizeiliche Präventionsarbeit aus dem Kontext der genuin polizeilichen Arbeit heraus entwickelt, ist die juristische Definition von Zwang ebenfalls von Bedeutung.

Zwang ist eine „Bezeichnung dafür, dass jemand fremdbestimmt durch gezielte äußere Einwirkung zu einem bestimmten Verhalten in Gestalt eines Handels, Duldens oder Unterlassens oder zu einem bestimmten Denken gezwungen wird, das dem bewussten eigenen Willen des Betroffenen eigentlich zuwiderläuft. Bezogen auf den Rechtsbereich gewinnt diese Definition an Konturen, wenn man sie mit Rechtspflichten bzw. Rechtsansprüchen koppelt. […] Im öffentlichen Recht ist der Bürger auf Grund des Über-/Unterordnungsverhältnisses, das zwischen ihm und dem Staat besteht, der staatlichen Gewalt unterworfen“ (Kastner 2018b, S. 2702).

Das Spannungsfeld zwischen Zwang und Freiheit ist ein prägendes Merkmal gesellschaftlichen Zusammenlebens insgesamt. So sichern z. B. verfassungsrechtliche Grundrechte nie grenzenlos individuelle Rechtspositionen, sie werden immer durch Rechtspositionen anderer Personen begrenzt. In juristischen Diskursen wird von Grundrechtsschranken gesprochen (vgl. Weber 2019).

Für die Polizei ist die Befugnis zur Anwendung von unmittelbarem Zwang von besonderer Bedeutung und länderspezifisch gesetzlich geregelt. Für Bundesbehörden ergeben sich die Befugnisse aus dem Verwaltungsvollstreckungsgesetz (VwVG-Bund) und aus dem Gesetz über den unmittelbaren Zwang bei Ausübung öffentlicher Gewalt durch Vollzugsbeamte des Bundes (UZwG-Bund).Footnote 31

Pädagogische Macht

Jegliche Einflussnahme auf das Denken und Handeln eines anderen Subjekts geht mit Machtausübung einher.Footnote 32 Die Rolle von Machtausübung ist für die theoretische Fundierung der polizeilichen Präventionsarbeit deshalb so zentral, weil an ihr der grundlegende Unterschied zwischen polizeilichem und pädagogischem Handeln deutlich wird. In beiden Kontexten soll Verhalten beeinflusst werden. Der augenfällige Unterschied liegt in der inhaltlichen Qualität und in den angestrebten Zielen.

Die Polizei soll die staatliche Ordnung aufrechterhalten. Kennzeichen und Alleinstellungsmerkmal polizeilicher Macht ist Zwang. Die Formen von zulässiger staatlicher Gewalt sind dem Grunde nach definiert, auch wenn sie im Detail immer wieder diskutiert werden (vgl. Behr 2019, S. 25 f.; Abdul-Rahman et al. 2019). Genuin polizeiliches Handeln beinhaltet immer die Option der zeitlich befristeten Überwältigung. Am deutlichsten wird das in der physischen Gewaltanwendung sichtbar, z. B. bei der Verhaftung einer Person.

Pädagogisches Handeln kann ebenfalls als zielgerichtetes Handeln verstanden werden und impliziert damit das Vorhandensein von Macht und deren Anwendung (vgl. Prange 2010, S. 22). Im Gegensatz zu definierten polizeilichen Befugnissen, mit denen die Bestimmung von Verhalten möglich ist, steht Pädagoginnen und Pädagogen keine Technologie (vgl. Luhmann und Schorr 1979) zur Verfügung, die Lernen determinieren kann. Pädagogisches Handeln bezieht sich auf ein Lernen nach freiem Entschluss. Gleichzeitig werden auch in einer emanzipatorischen Erziehung Lernprozesse gelenkt und damit Macht ausgeübt.

Erziehung ist immer mit Freiheitsgraden verbunden und kann nicht in Modi von Konditionierung (vgl. Oelkers 2008, S. 105) erfolgen. Die Gewährleistung von Freiheit in pädagogischen Situationen begrenzt die Möglichkeit der Machtausübung von Pädagoginnen und Pädagogen. Im Unterschied zur Polizei dürfen sich Pädagoginnen und Pädagogen nicht anderer Personen bemächtigen. Das Verhalten von Kindern und Jugendlichen lässt sich nicht von Lehrpersonen steuern (vgl. Reichenbach 2011, S. 136). Die Freiheit des Individuums in Lernsituationen ist allerdings nicht mit Regellosigkeit oder normativer Beliebigkeit zu verwechseln. „Es gibt also im Bereich der Erziehung wie in so gut wie jedem anderen Lebensbereich Vorschriften und Regeln, die zu beachten sind, für die Erzieher ebenso gut wie für die Kinder und die Lernenden allgemein. Pflichten sind ein sozial-kultureller Tatbestand, der sich vernünftigerweise nicht leugnen lässt“ (Prange 2010, S. 14).

Schlussfolgerungen

Macht wird in unterschiedlicher Weise ausgeübt. Für die Polizei ist die Ausübung von Zwang ein zentrales Element ihrer Arbeit. Das macht Polizei mächtig. Auch pädagogisches Handeln ist von Machtausübung geprägt, nur nicht so offenkundig. Asymmetrie und Abhängigkeit sind Grundbedingungen des Aufwachsens, der Beziehung Erwachsener zu jungen Menschen und damit Bestandteil jeglichen pädagogischen Handelns (vgl. Reichenbach 2011, S. 58). Der Zweck pädagogischer Machtausübung liegt im Anstoßen von Lernprozessen. Für die polizeiliche Präventionsarbeit ergeben sich daraus veränderte Machtverhältnisse. Jenseits der genuin polizeilichen Praktiken zur Normdurchsetzung soll durch die Präventionsarbeit ein Beitrag dazu geleistet werden, dass Individuen die gesetzlich formulierten Normen, aber auch die darüber hinausgehenden Ordnungsvorstellungen der Gesellschaft übernehmen. Das muss durch Einsicht in den Normsinn erfolgen. Andernfalls sind die Normen nicht in den Individuen präsent. Sie können dann nur durch Sanktionen und damit im Modus der Abschreckung aufrechterhalten werden, was dann wieder zu genuin polizeilichen Praktiken führt. Allerdings kann die Einsicht zur Normübernahme nicht in die individuelle Freiheit der Lernenden gestellt werden. Vielmehr soll jenseits der individuell möglichen Normübernahme gesellschaftlich legitimierter Zwang ausgeübt werden. Zumindest für die Werteerziehung, damit auch für die Normvermittlung, wird deutlich, dass es kein ergebnisoffenes Lernangebot geben kann. Es geht um gesellschaftlich verbindliche Regeln, deren Gültigkeit nicht individuell zur Disposition gestellt werden können.

Für das Erkenntnisinteresse dieser Forschungsarbeit ist die Macht-Frage von grundlegender Bedeutung, weil die polizeiliche Präventionsarbeit über die Sphäre der polizeilichen Macht hinausgeht und Räume pädagogischer Macht erreicht. Am deutlichsten sichtbar wird der Unterschied der Handlungsoptionen in der bereits erwähnten Technologiefrage. Polizeiliche Befugnisse sind für genuin polizeiliches Handeln gemacht (vgl. Abschnitt 2.1) und nicht für pädagogische Settings, die darüber hinaus auch noch von einem Technologiedefizit geprägt sind. Für die Beeinflussung des Verhaltens anderer Personen ist diese Differenzierung von grundlegender Bedeutung.