4.1 Zielsetzung und Fragestellungen

Die übergeordnete Zielsetzung der Hauptstudie ist eine Charakterisierung der an Bullying beteiligten Rollen insbesondere hinsichtlich ihrer sozial-kognitiven und affektiven Reaktionen. Angestrebt wird dabei die Berücksichtigung und Differenzierung von Schul- und Cyberbullying, wofür der in Kapitel 2 pilotierte RoleGrid-Fragebogen (RoleGrid-off) um Items zu Cyberbullying erweitert wird (RoleGrid-on). Zur Erfassung der mentalen Reaktionen auf Schul- und Cyberbullying wird die gekürzte und leicht modifizierte Version des SKARB-Fragebogens eingesetzt (siehe Abschnitt 3.5.1 sowie Tabelle B13 im ESM). Somit ergeben sich folgende Teilziele und Fragestellungen für die Hauptstudie:

  1. (A)

    Kreuzvalidierung der faktoriellen Struktur des RoleGrid-off und Untersuchung der faktoriellen Struktur von RoleGrid-on: Lässt sich die in der Pilotstudie ermittelte Faktorenstruktur des RoleGrid replizieren? Welche faktorielle Struktur lassen die ergänzten Items zu Cyberbullying erkennen?

  2. (B)

    Kreuzvalidierung der faktoriellen Struktur des SKARB-Fragebogens: Lässt sich die in der Pilotstudie ermittelte Faktorenstruktur der SKARB-Fragebögen replizieren?

  3. (C)

    Bestimmung der Prävalenzraten und Vergleich der Kontexte: Wie häufig treten die Bullying-Rollen im Kontext von Schul- und Cyberbullying auf? Wie hoch sind die Überschneidungen zwischen beiden Kontexten?

  4. (D)

    Charakterisierung der Rollen hinsichtlich soziodemographischer und soziometrischer Merkmale: Zeigen sich die aus dem Forschungsstand erwartbaren Zusammenhänge der Rollen mit Geschlecht, Klassenstufe, Zuneigung, Ablehnung, Popularität und schulischer Leistung? Sind die Zusammenhangsmuster für die Rollen bei Schulbullying und die Rollen bei Cyberbullying ähnlich?

  5. (E)

    Charakterisierung der Rollen hinsichtlich sozial-kognitiver und affektiver Reaktionen auf Bullying: Zeigen sich die erwarteten Zusammenhänge zwischen den Rollen und Empathie, Moral Disengagement, Verantwortungsgefühl, Selbstwirksamkeitserwartung und Befürchtungen? Lassen sich Unterschiede zwischen Schul- und Cyberbullying-Rollen erkennen?

Der Forschungsstand zu soziodemographischen, soziometrischen und leistungsbezogenen Merkmalen der Rollen sowie deren sozial-kognitiven und affektiven Reaktionen auf Bullying sind in den Abschnitten 1.5.1 bis 1.5.5 zusammengefasst. Die Annahmen zu Forschungsfrage (D) leiten sich direkt daraus her und entsprechen für Geschlecht, Alter, Akzeptanz und Ablehnung den in Abschnitt 2.1 ausformulierten Hypothesen zur Pilotierung des RoleGrid. Da die Befunde der Pilotstudie weitgehend mit den Hypothesen in Einklang standen, werden diese auch für die Hauptstudie übernommen. Ergänzend wird angenommen, dass sich Opfer und Außenstehende durch eine geringe Popularität auszeichnen, während eine hohe Popularität typisch für Täter und Verstärker ist und auch die Verteidiger eher populär sind. Hinsichtlich Schulleistungen wird angenommen, dass insbesondere Verteidiger leistungsstark sind, während Täter und tendenziell auch Opfer schwächere Leistungen erbringen. Die Forschungslage zu den Rollen bei Cyberbullying ist diesbezüglich noch sehr schmal. Oftmals gehen die Befunde in eine ähnliche Richtung wie bei Schulbullying, mit Ausnahme der Opfer von Cyberbullying, die möglicherweise eher weiblich und kontrovers sind. Vorliegende Arbeit soll dementsprechend die Forschungslücken füllen und ausmachen, ob die für Schulbullying gefundenen Korrelate auch im Kontext Cyberbullying zutreffen.

In die Annahmen zu Forschungsfrage (E) hingegen fließen neben der Befundlage auch theoretische Überlegungen mit ein, die im Folgenden dargestellt werden. Grundsätzlich wird für die Rollen kontextunabhängig ein ähnliches Assoziationsmuster mit den sozial-kognitiven und affektiven Reaktionen erwartet. Die Befunde für Schul- und Cyberbullying stimmen weitgehend überein und es gibt bislang keine deutlichen Hinweise auf systematische Unterschiede zwischen beiden Kontexten. Mitunter mangelt es schlichtweg an Befunden zu Cyberbullying. Die Hypothesen werden dementsprechend allgemein für die Rollen formuliert, in der Annahme, dass sie für Schul- und Cyberkontext gleichermaßen gelten und dass Befunde von einem Kontext auf den anderen übertragen werden können. Inwiefern es möglicherweise doch zu unterschiedlichen Assoziationsmustern je nach Bullyingform kommt, soll explorativ untersucht werden.

Konkrete Annahmen zur Opfer-Rolle sind nur schwerlich zu treffen, da die Forschungslage zu Empathie und Moral Disengagement heterogen ist und keine Forschung zum Verantwortungsgefühl der Opfer vorliegt. Theoretisch wären gegensätzliche Argumentationsansätze denkbar: Sind Opfer aufgrund ihrer Erfahrungen besonders empathisch und verantwortungsbewusst oder sind sie dadurch gerade auf sich selbst fokussiert und wenig empfänglich für die Gefühle und Bedürfnisse anderer? Macht es ihnen die Erfahrung unmöglich derartige Schikanen zu verharmlosen oder zu rechtfertigen oder tun sie dies gerade aufgrund ihrer Erfahrungen? Der Zusammenhang dieser drei mentalen Reaktionen mit der Opfer-Rolle soll demnach explorativ aufgearbeitet werden. Daneben scheint es plausibel, dass sich Opfer aufgrund ihrer Wehrlosigkeit, die lange währenden Viktimisierungserfahrungen sowie ihre schwache soziometrische Stellung, als wenig selbstwirksam erleben und negative Konsequenzen befürchten, wenn es darum geht jemanden zu verteidigen.

Bezüglich der Täter- und auch der Verstärker-Rolle wird angenommen, dass diese wenig Empathie empfinden und viel Moral Disengagement betreiben. In Hinblick auf Verantwortungsbewusstsein ist zu vermuten, dass die dissozialen Rollen sich ihrer Verantwortung für eine gewaltfreie Klassengemeinschaft nicht bewusst sind und die moralischen Emotionen gering ausgeprägt sind. Zum Zusammenhang mit Verteidiger-Selbstwirksamkeit und Befürchtungen liegen relativ wenige empirischen Befunde vor. Theoretische Überlegungen können in gegensätzliche Richtungen gehen: Schülerinnen und Schüler in dissozialen Rollen sehen sich in einer mächtigen und sicheren Position, aus der heraus sie die Schikanen auch problemlos beenden könnten, ohne negative Konsequenzen fürchten zu müssen, oder Schülerinnen und Schüler in dissozialen Rollen glauben, nur mit dissozialem Verhalten ihre Position sichern zu können, sehen sich nicht dazu im Stande etwas gegen die Schikanen zu tun beziehungsweise fürchten negative Konsequenzen bei prosozialem, verteidigendem Verhalten. Zumindest bei verstärkendem Verhalten spricht die Forschungslage eher für letzteres.

Die Verteidiger-Rolle schließlich sollte mit viel Empathie, wenig Moral Disengagement, einem hohen Verantwortungsbewusstsein und einer hohen Verteidiger-Selbstwirksamkeit assoziiert sein. Aus der Logik des Bystander-Intervention-Modells heraus dürften Verteidiger überdies wenig Befürchtungen haben. Die Außenstehenden hingegen müssten verglichen mit den Verteidigern weniger Empathie, Verantwortungsbewusstsein und Selbstwirksamkeitsüberzeugung sowie mehr Moral Disengagement und Befürchtungen haben. Im Vergleich mit den dissozialen Rollen jedoch sollten Außenstehende mehr Empathie und weniger Moral Disengagement aufweisen. Es ist davon auszugehen, dass bei Außenstehenden die Empathie stark genug ausgeprägt ist, um dissoziales Verhalten zu hemmen, jedoch nicht stark genug, um prosoziales Verhalten zu motivieren. Umgekehrt ist Moral Disengagement so stark, dass prosoziales Verhalten gebremst wird, aber nicht so stark, dass dissoziales Verhalten erlaubt ist. Somit bleibt die Verhaltensoption der Passivität. Auch geringe Selbstwirksamkeitserwartung und ausgeprägte Befürchtungen hemmen vermutlich prosoziales Verhalten und begünstigen Passivität.

Aus empirischer Befundlage ergänzt mit theoretischer Argumentation können somit nachfolgende Hypothesen und Untersuchungsziele aufgestellt werden. Gerade die Auseinandersetzung mit der Außenstehenden-Rolle verdeutlicht, dass die jeweilige Vergleichsgruppe entscheidend ist. Ausgehend von bisheriger Forschungslage und erweitertem Bystander-Intervention-Modell ist davon auszugehen, dass Verteidiger und Pro-Bullying-Akteure diametral entgegengesetzte Positionen in Hinblick auf Empathie, Moral Disengagement und Verantwortungsbewusstsein einnehmen. Verteidiger zeichnen sich durch hohe Empathie, hohe Verantwortungsübernahme und geringes Moral Disengagement aus; Pro-Bullying-Akteure durch wenig Empathie und Verantwortungsübernahme sowie starkes Moral Disengagement. Die Hypothesen sind dementsprechend vor allem auf deren Kontrastierung ausgelegt. Für die Außenstehenden wird davon ausgegangen, dass diese sich hinsichtlich Empathie, Moral Disengagement und Verantwortungsgefühl im Mittelfeld zwischen Verteidigern und Pro-Bullying-Rollen befinden. In Hinblick auf Selbstwirksamkeit und Befürchtungen sollten die Außenstehenden den Verteidigern entgegengesetzt und den Opfern ähnlich sein. Sowohl Außenstehende als auch Opfer dürften eine geringere Selbstwirksamkeitsüberzeugung und stärkere Befürchtungen haben als Verteidiger.

  1. 1.1.

    Die Opfer-Rolle soll explorativ hinsichtlich Empathie untersucht werden.

  2. 1.2.

    Die Opfer-Rolle soll explorativ hinsichtlich Moral Disengagement untersucht werden.

  3. 1.3.

    Die Opfer-Rolle soll explorativ hinsichtlich Verantwortungsgefühl untersucht werden.

  4. 1.4.

    Die Opfer-Rolle geht mit geringer Verteidiger-Selbstwirksamkeit einher.

  5. 1.5.

    Die Opfer-Rolle geht mit hohen Befürchtungen einher.

  1. 2.1.

    Die Täter-Rolle geht mit geringer Empathie einher.

  2. 2.2.

    Die Täter-Rolle geht mit hohem Moral Disengagement einher.

  3. 2.3.

    Die Täter-Rolle geht mit einem geringen Verantwortungsbewusstsein einher.

  4. 2.4.

    Die Täter-Rolle soll explorativ hinsichtlich Verteidiger-Selbstwirksamkeit untersucht werden.

  5. 2.5.

    Die Täter-Rolle soll explorativ hinsichtlich Befürchtungen untersucht werden.

  1. 3.1.

    Die Verstärker-Rolle geht mit geringer Empathie einher.

  2. 3.2.

    Die Verstärker-Rolle geht mit hohem Moral Disengagement einher.

  3. 3.3.

    Die Verstärker-Rolle geht mit einem geringen Verantwortungsbewusstsein einher.

  4. 3.4.

    Die Verstärker-Rolle geht mit geringer Verteidiger-Selbstwirksamkeit einher.

  5. 3.5.

    Die Verstärker-Rolle soll explorativ hinsichtlich Befürchtungen untersucht werden.

  1. 4.1.

    Die Verteidiger-Rolle geht mit hoher Empathie einher.

  2. 4.2.

    Die Verteidiger-Rolle geht mit wenig Moral Disengagement einher.

  3. 4.3.

    Die Verteidiger-Rolle geht mit einem hohen Verantwortungsbewusstsein einher.

  4. 4.4.

    Die Verteidiger-Rolle geht mit hoher Verteidiger-Selbstwirksamkeit einher.

  5. 4.5.

    Die Verteidiger-Rolle geht mit wenig Befürchtungen einher.

  1. 5.1.

    Die Außenstehenden-Rolle zeichnet sich im Vergleich zu Verstärkern durch mehr und im Vergleich zu Verteidigern durch weniger Empathie aus.

  2. 5.2.

    Die Außenstehenden-Rolle zeichnet sich im Vergleich zu Verstärkern durch weniger Moral Disengagement und im Vergleich zu Verteidigern durch mehr Moral Disengagement aus.

  3. 5.3.

    Die Außenstehenden-Rolle geht mit einem geringen Verantwortungsbewusstsein einher.

  4. 5.4.

    Die Außenstehenden-Rolle geht mit geringer Verteidiger-Selbstwirksamkeit einher.

  5. 5.5.

    Die Außenstehenden-Rolle geht mit hohen Befürchtungen einher.

4.2 Methode

Die Erhebungen für die Hauptstudie fanden im Februar sowie im Juli 2018 in Klassen der Stufen 6 bis 10 statt. Sie wurden von 15 angehenden Lehrkräften im Rahmen ihrer wissenschaftlichen Arbeiten zur Ersten Staatsprüfung durchgeführt, welche alle von der Autorin betreut wurden. In diesem Rahmen wurden die Lehramtsstudierenden intensiv zum Thema Bullying und zum Einsatz der Fragebögen geschult und bekamen alle benötigten Unterlagen, also Fragebogen, Schulanschreiben und Elternbriefe zur Verfügung gestellt. Die künftigen Lehrkräfte kontaktierten persönlich, telefonisch oder per E-Mail Schulen in Baden-Württemberg, um die Teilnahmebereitschaft zu erfragen. Bei Interesse wurde den Schulen ein Informationsschreiben zukommen gelassen, in welchem Inhalt und Zweck der Befragung sowie das Vorgehen erklärt wurden. Auch ethische Aspekte wie Freiwilligkeit, Anonymität und Datenschutz wurden angesprochen. War die Teilnahmebereitschaft seitens der Schule gegeben, wurde über Elternbriefe das Einverständnis der Erziehungsberechtigten eingeholt. Die Befragung wurde dann in einer Schulstunde oder einer Doppelstunde durchgeführt. Lag die Einverständniserklärung bei weniger als einem Drittel der Klassenmitglieder vor, wurde von der Befragung abgesehen. Dies war bei einer Klasse der Fall. Die bei der Befragung anwesenden Schülerinnen und Schüler bekamen nach der Befragung als Dankeschön eine kleine Süßigkeit. Es wurden Anlaufstellen für den Fall von Bullying genannt, die sowohl von selbst Betroffenen aber auch von Klassenkameraden genutzt werden können. Die Klassenlehrkräfte wurden gebeten einen kurzen Fragebogen zu Hintergrundinformationen zur Klasse auszufüllen (siehe Anhang A3 im ESM). Sie erhielten zudem ein kleines Informationsschreiben zum Thema Bullying und nach Abschluss der wissenschaftlichen Arbeiten eine kurze Rückmeldung zu deren Ergebnissen.

4.2.1 Stichprobe

Insgesamt wurden 65 Klassen der Stufen 6 bis 10 von 15 verschiedenen Schulen erhoben. Es nahmen neun Realschulen, vier Gemeinschaftsschulen und zwei Gymnasien teil. Die teilnehmenden Klassen umfassten 1529 Schülerinnen und Schüler (47.0 % weiblich, drei fehlende Angaben), von denen 1174 (76.8 %, davon 48.8 % weiblich) an der Befragung teilnahmen. Gründe für die Nicht-Teilnahme waren Abwesenheit in der Erhebungsstunde (9.2 %), die fehlende Einverständniserklärung eines Erziehungsberechtigten (12.4 %) oder die eigene Entscheidung nicht an der Befragung teilnehmen zu wollen (1.7 %). Die Klassengröße umfasste 15 bis 29 Schülerinnen und Schüler (M = 23.5; SD = 3.87). Je Klasse nahmen 40–100 % der Klassenmitglieder an der Befragung teil. Die minimale Teilnehmerzahl pro Klasse betrug sieben Personen, die höchste Teilnehmerzahl in einer Klasse war 28. Durchschnittlich haben pro Klasse 18 Schülerinnen und Schüler teilgenommen.

Die befragten Schülerinnen und Schüler waren im Alter zwischen 10 und 17 Jahren (M = 13.1; SD = 1.19). Vollständige Informationen zur Herkunft (eigenes Geburtsland sowie Geburtsland der Eltern) lagen bei 1140 Jugendlichen vor. Von diesen hatten 42.8 % einen Migrationshintergrund. In den meisten Fällen bestand ein beidseitiger (22.7 %) oder einseitiger (14.6 %) Migrationshintergrund in zweiter Generation, das heißt beide Eltern oder ein Elternteil waren im Ausland geboren, nicht aber der teilnehmenden Personen selbst. Nur 5.5 % waren selbst im Ausland geboren. Häufigste außerdeutsche Geburtsländer der Eltern waren Türkei, Rumänien und Russland. Häufigstes außerdeutsches Geburtsland der Heranwachsenden war Syrien. Einen Überblick zur Stichprobenbeschreibung gibt Tabelle 4.1.

Tabelle 4.1 Stichprobenbeschreibung zur Hauptstudie

Von den Teilnehmenden bestätigten 57.3 % Schulbullying in der eigenen Klasse mitbekommen zu haben, 43.8 % hatten mitbekommen, wie jemand aus einer anderen Klasse oder Schule offline schikaniert wurde und 32.3 % hatten es bei ihnen nicht näher bekannten mitbekommen. Nur 8.7 % sagten aus, noch nie Schulbullying mitbekommen zu haben. Erfahrungen mit Schulbullying aus der Opfer-Perspektive berichteten 23.2 %, aus der Täter-Perspektive 12.2 % und aus einer ausschließlich neutralen Position 37.2 %. Erfahrungen aus verschiedenen Perspektiven hatten 10.7 % gemacht.

Cyberbullying hatten 27.6 % schon in der eigenen Klasse, 24.9 % bei Personen anderer Klassen und 28.9 % bei Unbekannten mitbekommen. Immerhin 35.4 % der Teilnehmenden gaben an, niemals Cyberbullying mitbekommen zu haben. Erfahrungen mit Cyberbullying aus der Opfer-Perspektive berichteten 15.7 %, aus der Täter-Perspektive 5.3 % und aus einer ausschließlich neutralen Position 35.8 %. Erfahrungen aus verschiedenen Perspektiven hatten 4.9 % gemacht. Ein eigenes Smartphone besaßen 93.2 % der Teilnehmenden, 92.5 % gaben an täglich oder mehrfach wöchentlich das Internet zu nutzen. Detailliertere Informationen zur Art und Weise, wie die Befragten Schul- und Cyberbullying mitbekommen hatten finden sich in Tabelle B17 des elektronischen Zusatzmaterials.

Zu 44 Klassen gaben Lehrkräfte (überwiegend Klassenlehrkräfte) weitere Hintergrundinformationen. Die meisten dieser Klassenverbände (84 %) bestanden seit der fünften Klasse, oftmals waren jedoch in der aktuellen Stufe neue Mitschülerinnen oder Mitschüler hinzugekommen (68 %). Für 22 Klassen wurde berichtet, dass es in der Klasse schon Bullying-Vorfälle gegeben hatte. In mehr als der Hälfte davon (64 %) war Bullying in mehreren Klassenstufen bekannt, am häufigsten wurden Schikanen in Stufe 7 berichtet. In fast allen Klassen mit Bullying-Problematik wurde etwas dagegen unternommen – nur für eine Klasse wurde berichtet, dass es sich von selbst geklärt hätte. Als Maßnahme wurden in 24 % der Klassen die Täter bestraft. Maßnahmen waren ansonsten vor allem Gespräche mit Opfern (100 %), mit Tätern (95 %), mit Eltern des Opfers (67 %), mit Eltern der Täter (52 %), mit einzelnen Mitschülern (76 %) sowie mit der ganzen Klasse (62 %). Die Gespräche wurden fast immer (95 %) als lösungsorientiert eingeordnet, teils auch als verständnisvoll (33 %) oder konfrontativ (24 %). Meist waren die Gespräche an keinem speziellen Anti-Bullying-Konzept orientiert (71 %). Genannte Konzepte in den übrigen Klassen waren die Systemische Mobbing-Intervention und der No-Blame-Approach. Die Gespräche wurden fast immer von der Klassenlehrkraft (95 %) und/oder einem Schulsozialarbeiter beziehungsweise einer Schulsozialarbeiterin (81 %) geführt. Seltener führten auch andere Lehrkräfte (24 %) oder die Schulleitung (33 %) entsprechende Gespräche. Auch wurde von einer Lehrkraft zusätzlich auf Absprachen des pädagogischen Personals untereinander hingewiesen. In den meisten Klassen konnte das Bullying durch die Maßnahmen gestoppt (38 %) oder reduziert (43 %) werden. In 19 % der Klassen kam es zu einer Problemverlagerung. Des Weiteren berichteten die Lehrkräfte, dass in 73 % der Klassen präventive Maßnahmen gegen Bullying ergriffen worden waren. Diese fanden in Stufen 5 bis 8 statt, am häufigsten jedoch in Stufen 5 und 6. In all diesen 32 Klassen gab es allgemeine Maßnahmen für ein gutes soziales Miteinander, wie klare Regeln zum sozialen Miteinander (81 %), regelmäßiger Klassenrat (75 %), Teambildungsmaßnahmen (84 %), Streitschlichter (25 %). Ergänzend wurden genannt Schullandheim, Klassenleiterstunden, Einzelstunden nach Bedarf und Schulsozialarbeit. Des Weiteren wurden für 21 Klassen spezielle Trainings zur Förderung sozialer Kompetenzen beschrieben (z. B. Projekttag oder Projektwoche). Namentlich genannt wurde in 11 Fällen der Anti-Mobbing-Koffer, weiterhin Lions Quest Erwachsen werden, STUPS Selbstbehauptungstraining und Workshops der mecodia-Akademie oder des Landesmedienzentrums. Auch eine Kooperation mit der Polizei wurde fünfmal genannt.

4.2.2 Instrumente und Datenerhebung

Für die Hauptstudie wurden die in den beiden Pilotstudien entwickelten Instrumente – das RoleGrid und der SKARB-Fragebogen – in leicht modifizierter Version eingesetzt (siehe Anhang A4 im ESM). Der Ablauf der Erhebung ist im Grunde wie bei den Pilotstudien. Zunächst wird mit den teilnehmenden Klassen der Untersuchungsgegenstand geklärt und eine Definition in folgendem Wortlaut vorgegeben:

Schikanieren ist, wenn einem Schüler oder einer Schülerin über einen längeren Zeitraum (mehrere Wochen) durch Mitschüler/innen immer wieder (mindestens wöchentlich) körperlicher oder psychischer Schaden zugefügt wird und er oder sie sich nicht dagegen wehren kann.

Es ist nicht Schikanieren, wenn Schüler/innen streiten, die gleich stark sind!

Die Definition ist auf der ersten Seite des Fragebogens abgedruckt und wird auch mündlich besprochen. Insbesondere wird erklärt, was psychischer Schaden bedeutet und Beispiele gesammelt. Ergänzt wurden gegenüber der Pilotstudie die konkreten Zeitangaben. Darauffolgend wird mit den Heranwachsenden erörtert, dass es unterschiedliche Möglichkeiten gibt, wie die übrigen Klassenmitglieder reagieren können, wenn jemand aus der Klasse schikaniert wird. In wenigen Sätzen werden die vier Rollen „(Mit-)Täter“, „Publikum“, „Helfer“ und „Unbeteiligte“ vorgestellt. Dazu werden die Beschreibungen der Rollen mittels Tageslichtprojektor gezeigt und die Schülerinnen und Schüler darauf hingewiesen, dass diese auf der zweiten Seite des Fragebogens abgedruckt sind und jederzeit eingesehen werden können. Die von den in der wissenschaftlichen Literatur etablierten Rollen „Täter und Assistent“, „Verstärker“, „Verteidiger“ und „Außenstehender“ abweichenden Bezeichnungen werden als intuitiver und altersgerechter angesehen.

Nach der inhaltlichen Aufklärung über das Thema der Befragung werden organisatorische Aspekte wie Anonymität und Freiwilligkeit geklärt. Die Schülerinnen und Schüler dürfen ankreuzen, ob sie an der Befragung teilnehmen möchten oder nicht. Im Falle einer Entscheidung für die Teilnahme werden sie um eine ehrliche Beantwortung gebeten und darauf hingewiesen, dass es um ihre persönliche Einschätzung geht und es daher keine falschen Antworten gibt. Gegebenenfalls wird in diesem Zuge die Sitzordnung angepasst und wenn möglich Sichtschutz zwischen den Teilnehmenden aufgestellt, um eine ungestörte Bearbeitung des Fragebogens zu ermöglichen.

Eingangs werden soziodemografische Angaben zu Geschlecht, Alter und Herkunftsfamilie sowie die letzten Zeugnisnoten in den Fächern Mathematik, Deutsch und der ersten Fremdsprache abgefragt. Es folgen drei soziometrische Items, welche erfragen, mit welchen Klassenkameraden der Schüler oder die Schülerin am liebsten (Liked-Most-Nominierungen) oder am wenigsten gern (Liked-Least-Nominierungen) etwas zusammen macht und wer aus der Klasse generell am beliebtesten ist (Popularitäts-Nominierungen). Diese Items wurden genutzt, um den Teilnehmenden das Prinzip der Peer-Nominierung zu erklären und ihnen wurde Gelegenheit gegeben, sich mit der Codierliste vertraut zu machen. Diese ordnet jedem Klassenmitglied eine Codenummer zu, welche an Stelle des Namens im Fragebogen eingetragen wird und so die Anonymität gewährleistet.

Nach diesem allgemeinen Teil werden folgende Teile des Fragebogens auf jeweils einer Seite präsentiert: 1. RoleGrid-off, 2. Fragen zu persönlichen Erfahrungen mit Schulbullying, 3. SKARBoff, 4. RoleGrid-on, 5. Fragen zu persönlichen Erfahrungen mit Cyberbullying, 6. SKARBon. Auf eine Variation der Reihenfolge wurde verzichtet, um die Bearbeitung sinnvoll zu strukturieren beginnend mit dem weiter bekannten Schulbullying hin zum weniger verbreiteten Cyberbullying. Die SKARB-Fragebögen wurden jeweils nach den RoleGrid-Fragebögen und allgemeinen Fragen anberaumt, damit durch erstere konkrete Erfahrungen kognitiv verfügbar gemacht werden, welche zur Beantwortung der SKARB-Fragebögen herangezogen werden können.

Das RoleGrid-off enthält wie die Pilotfassung 25 rasterförmig angeordnete Items zu den fünf Rollen (Opfer, (Mit-)Täter, Publikum, Helfer des Opfers, Unbeteiligte) bei fünf Formen von Schulbullying (Körperverletzung, verbale Verletzung, Rufschädigung, Ausgrenzung, Eigentums-verletzung). Es wird jeweils gefragt „Wird jemand aus deiner Klasse schikaniert, indem…?“. Opfer- und (Mit-)Täter-Rolle werden durch die Fragen „Wer?“ und „Von wem?“ erfasst. Es folgen kurze Fragen mit Bezug auf die Rollenbeschreibungen: „Wer ist Publikum? (guckt/hört zu, lacht)“, „Wer ist Helfer? (tröstet/verteidigt)“ und „Wer ist unbeteiligt? (hat nichts damit zu tun, macht nichts)“. Es wird betont, dass es um die aktuelle Situation in der Klasse geht und darum, wie sich die Klassenmitglieder typischerweise verhalten. Die Teilnehmenden werden darauf hingewiesen, dass sie eine Zeile überspringen können, wenn diese Art des Schikanierens bei ihnen in der Klasse zurzeit nicht auftritt. Sie werden weiterhin gebeten möglichst alle Klassenmitglieder zuzuordnen, wenn eine Form von Schikanieren auftritt. Trifft eine Beschreibung auf einen selbst zu, kann ein dafür vorgesehenes Kästchen angekreuzt werden.

Anschließend folgen allgemeine Fragen zu persönlichen Erfahrungen mit Schulbullying. Hier geht es nicht mehr ausschließlich um die aktuelle Situation in der Klasse, sondern darum, ob der Teilnehmende jemals mit Schulbullying in Berührung gekommen ist. Im Gegensatz zum RoleGrid werden an dieser Stelle explizit auch frühere Erfahrungen und Erfahrungen außerhalb der jetzigen Klassengemeinschaft erfragt. Außerdem geht es um das Bekanntschaftsverhältnis zum Betroffenen, die Perspektive, aus der es erlebt wurde (als Täter oder Opfer, gemeinsam mit Täter oder Opfer, aus neutraler Position, nachträglich erzählt bekommen), und wie schwer es fällt einzuschätzen, ob es sich um Schikanieren handelt.

Der SKARBoff-Fragebogen enthält die in der Pilotstudie ausgewählten 24 Items zu Empathie (6), Moral Disengagement (9), Verantwortungsgefühl (3), Verteidiger-Selbstwirksamkeit (3) und Befürchtungen (3), welche jeweils mit einer vierstufigen Ratingskala (nie – manchmal – meistens – immer) beantwortet werden. Der Itemstamm weist dabei jeweils klar auf den Schulkontext hin: „Wenn ich mitbekomme, wie jemand in der Schule schikaniert wird,…“.

Das RoleGrid-on enthält Items zu weiteren drei Formen von Bullying – nun bezogen auf Cyberbullying. Mit Ausnahme der physischen Formen ist hier eine ähnliche Unterteilung wie bei Schulbullying möglich, da die verbalen und nonverbalen Formen auch über digitale Medien ausgeübt werden können: direkte verbale Attacken, Rufschädigung sowie Ausgrenzung. Diese Formen werden unabhängig vom eingesetzten Device (z. B. Computer, Smartphone, Tablet) abgefragt, da diese einem schnellen technischen Wandel unterliegen und zudem inzwischen austauschbar einsetzbar sind (z. B. können Webseiten oder Instant-Messenger-Dienste mit verschiedenen Geräten aufgerufen werden). Auch wird keine Einschränkung auf bestimmte mediale Kommunikationsinhalte (z. B. Textnachrichten, Sprachnachrichten, Bilder, Videos) vorgenommen, um eine große Bandbreite abzudecken. Da zu den drei Formen von Cyberbullying wieder jeweils fünf Rollen abgefragt werden, ergeben sich insgesamt 15 Items für diesen Teil. Für die Bystander-Rollen wird nicht spezifiziert, ob sich diese Verhaltensweisen ebenfalls online oder auch offline abspielen. Es geht um die Erfassung von Verstärkern des Cyberbullying, Außenstehende bei Cyberbullying sowie Verteidigern des Cyberopfers. Der Einfachheit halber wird im Folgenden von Cyberverstärkern, Cyberaußenstehenden und Cyberverteidigern gesprochen, was nicht implizieren soll, dass sich die verstärkenden, passiv-meidenden und verteidigenden Verhaltensweisen notwendigerweise im Cyberspace zutragen.

Danach folgen wiederum die allgemeinen Fragen zu persönlichen Erfahrungen mit Cyberbullying (Bekanntschaftsverhältnis, Perspektive, Einschätzungsschwierigkeit) sowie zwei Fragen zu Medienbesitz und -nutzung. Der SKARBon-Fragebogen enthält die gleichen 24 Items wie der SKARBoff-Fragebogen, jedoch mit einem Itemstamm, der klar auf den Cyberkontext hinweist: „Wenn ich mitbekomme, wie jemand über digitale Medien schikaniert wird,…“. Als letztes Item wurde aus ethischen Gründen bewusst ein positiv konnotiertes Item zur Selbstwirksamkeitserwartung gewählt.

4.2.3 Auswertungsstrategie und statistische Analysen

Die statistischen Analysen der Hauptstudie wurden mit der Statistiksoftware IBM SPSS Statistics 27 sowie der Softwareumgebung R Version 3.6.3 (2020-02-29) durchgeführt. Zur Datenaufbereitung in R wurden haven 2.2.0 (Wickham & Miller, 2020), tidyverse 1.3.0 (Wickham, 2019) und sjlabelled 1.1.3 (Lüdecke, 2020) genutzt. Nach erster Begutachtung der Itemkennwerte und -verteilungen wurde die Faktorenstruktur beider RoleGrid-Fragebögen sowie beider SKARB-Fragebögen geprüft und die internen Konsistenzen der Skalen bestimmt. Dazu wurden folgende R-Pakete genutzt: lavaan 0.6–5 (Rosseel et al., 2019; siehe auch Rosseel, 2012), semTools 0.5–2 (Jorgensen et al., 2019), semPlot 1.1.2 (Epskamp, 2019), psych 1.9.12.31 (Revelle, 2020), GPArotation 2014.11-1 (Bernaards & Jennrich, 2014, siehe auch Bernaards & Jennrich, 2005), MVN 5.8 (Korkmaz, Goksuluk & Zararsiz, 2019, siehe auch Korkmaz et al., 2014) und MBESS 4.6.0 (Kelley, 2019). Die Intraklassenkorrelationen und Designeffekte für Item- und Skalenwerte konnten übersichtlich mit einer Funktion von Michael Hock (persönliche Kommunikation) generiert werden.

Für die Identifikation der Rollen wird das in der Pilotstudie zum RoleGrid erprobte und in den Abschnitten 2.3.4 und 2.5.1 begründete Kriterium von mindestens drei Nennungen für mindestens ein Item der Rolle eingesetzt. Die Prävalenzen der Rollen bei Schul- und Cyberbullying werden präsentiert, mit den selbstnominierten Rollen abgeglichen und Übereinstimmungen zwischen den beiden Kontexten ermittelt. Zur Charakterisierung der Rollen hinsichtlich soziodemographischer und soziometrischer Merkmale sowie ihrer sozial-kognitiven und affektiven Reaktionen auf Bullying sind grundsätzlich zwei Herangehensweisen möglich: Mehrere Rollen können im Stil einer Varianzanalyse hinsichtlich einer Outcome-Variable verglichen werden (lineare Mehrebenenregression) oder mehrere Prädiktoren können zur Kontrastierung zweier Rollen herangezogen werden (logistische Mehrebenenregression). Erste Entscheidungsprämisse ist die kausale Logik. Geschlecht und Alter oder Klassenstufe können nur als Prädiktoren gesehen werden. Bei den übrigen Variablen ist hingegen aufgrund des querschnittlichen Designs die Kausalfolge unklar und dementsprechend in beide Richtungen denkbar. In die Entscheidung fließen nun pragmatische Überlegungen ein, ob eine Variable erstens annähernd normalverteilt und somit gut geeignet als Outcome-Variable einer linearen Regression ist und ob zweitens die gleichzeitige Betrachtung mehrerer Variablen für notwendig erachtet wird. Bei den soziometrischen Variablen scheint es zwingend Zuneigung, Ablehnung und Popularität simultan zu betrachten, um die ausschlaggebende Variable ausmachen zu können. Die akademische Leistung hingegen steht in keinem engen theoretischen Zusammenhang mit anderen untersuchten Variablen und wird daher separat betrachtet. Auch für die fünf Skalen des SKARB-Fragebogens werden zunächst separate lineare Regressionen gerechnet, um generelle Unterschiede zwischen den Rollen feststellen zu können. Anschließend werden die in diesem Kontext besonders interessierenden Bystander-Rollen mittels logistischer Regressionen unter Einbezug aller fünf Skalen als Prädiktoren gegeneinander kontrastiert. Eingesetzte R-Pakete für die Mehrebenanalysen sind: lme4 1.1–23 (Bates et al., 2020, siehe auch Bates et al., 2015), lmerTest 3.1–2 (Kuznetsova, Brockhoff, Christensen & Jensen, 2020; siehe auch Kuznetsova et al., 2017), car 3.0–7 (Fox et al., 2020), broom.mixed 0.2.5 (Bolker et al., 2020) und r2glmm 0.1.2 (Jaeger, 2017).

4.3 Ergebnisse

Die Erhebungen verliefen reibungslos und ohne größere Zwischenfälle. Mit Instruktionen, Erklärungen und Antwortformat – sowohl Peer-Nominierung als auch Ratingskala – schienen die Befragten gut zurechtzukommen. Gehäufte Verständnisschwierigkeiten bei bestimmten Formulierungen oder Begriffen wurden von den Erhebungspersonen nicht zurückgemeldet. Die jüngeren Schülerinnen und Schüler benötigten allerdings etwas mehr Zeit zur Bearbeitung der Fragebögen, was jedoch unproblematisch war, da in den meisten Fällen eine Doppelstunde zur Verfügung stand. In der Regel wurde für die gründliche Einführung ins Thema und die Fragebogenbearbeitung in den sechsten Klassen knapp mehr als eine Schulstunde benötigt, sodass die übrige Zeit der Doppelstunde bei Bedarf zur Aussprache mit Schülerinnen und Schülern oder aber für Unterricht genutzt werden konnte. In den höheren Klassenstufen reichte zumeist eine Schulstunde aus.

4.3.1 Itemstatistiken

Wie schon aus Pilotstudie und bisheriger Forschung zu erwarten, weisen alle Items des RoleGrid eine linkssteile, schmalgipflige Verteilung mit dem Modus null auf. Dies war für die auf Cyberbullying bezogenen Items in ähnlichem Ausmaß der Fall wie für die auf Schulbullying bezogenen Items. Besonders extrem waren Schiefe und Exzess für die Opfer-Items. Im elektronischen Zusatzmaterial findet sich eine umfassende Tabelle mit allen relevanten Itemstatistiken für RoleGrid wie auch soziometrische Items (Tabelle B18). Diese enthält auch eine Aufstellung darüber, wie viele Personen je Item gar keine und wie viele Personen je Item mindestens drei Nominierungen erhalten haben. Hier fällt auf, dass im Kontext von Cyberbullying unabhängig von der Rolle die meisten Schülerinnen und Schüler keine Nominierung haben. Außerdem gibt es im Rollenvergleich besonders viele Heranwachsende, die keine Opfer-Nominierungen hatten, aber auch viele mit keiner Verteidiger-Nominierung. Weiterhin sind in der Tabelle auch die Intraklassenkorrelationen (ICC) und die Designeffekte eingetragen. Es lässt sich erkennen, dass ein beachtlicher Anteil der Varianz des Peer-nominierten Rollenverhaltens auf die Klasse zurückgeht. Dies gilt gleichermaßen für Schul- und Cyberbullying. Nur für die Opfer-Rolle sind ICC nahe null und Designeffekte kleiner als zwei. Besonders extrem sind ICC und Designeffekt für die Verstärker-Items (ICC = .542–.706).

Auch die Itemstatistiken zu SKARBoff und SKARBon gleichen jenen aus den Pilotstudien und können in Tabelle B19 des elektronischen Zusatzmaterials eingesehen werden. Die Probanden nutzen das Antwortspektrum bei allen Items vollständig aus (Spannweite 0–3). Modus und Median beträgt für die meisten Items eins oder zwei. Items, die extrem wenig Zustimmung finden (Modus und/oder Median gleich null), stammen vor allem aus den Skalen zu Moral Disengagement und Befürchtungen. Die visuelle Inspektion der Itemverteilungen zeigt, dass auch die übrigen Moral-Disengagement-Items eine linkssteile Verteilung aufweisen. Für die Empathie-Items fällt besonders im SKARBoff auf, dass die beiden Items zu affektiver Empathie ebenfalls eher linkssteil verteilt sind, während die beiden Items zu kognitiver Empathie eher rechtssteil und die beiden Items zu empathischer Anteilnahme relativ symmetrisch sind. Relativ symmetrisch verteilt sind auch die Antworten zu den Selbstwirksamkeits-Items sowie den Verantwortungs-Items, mit Ausnahme des linkssteil verteilten Items zu Scham (13). Generell sind die meisten Items eher platykurtisch. Leptokurtisch sind nur die Moral-Disengagement-Items mit Modus null (3, 10, 12, 16) sowie im SKARBon die Befürchtungs-Items mit Modus null (17on, 22on). Die Rate an Fehlwerten lag beim SKARBoff zwischen 1.6 % und 3.8 %, beim SKARBon zwischen 6.3 % und 8.8 %. Trotz genesteter Datenstruktur ist relativ wenig Varianz der Selbstberichtdaten der Klassenzugehörigkeit zuzuschreiben. Für nur ein Item des SKARBoff zu Mitgefühl hat der Designeffekt einen Wert von über zwei (15off: ICC = .10; Designeffekt = 2.69).

4.3.2 Faktorenstruktur der RoleGrid-Fragebögen

Ein erstes Ziel der Hauptstudie ist die Kreuzvalidierung der faktoriellen Struktur des RoleGrid, welche in der Pilotstudie in Einklang mit der theoretischen Konzeption gefunden wurde. Die zunächst berichteten Analysen beziehen sich daher ausschließlich auf die 25 Items zu Schulbullying (5 Rollen × 5 Bullyingformen). Vorbereitende Analysen weisen die Eignung der Daten für Faktorenanalysen nach (KMO = .817; MSA aller Items ≥ .74; Bartletts Test: χ2(300) = 15293.96; p < .001; anfängliche Kommunalitäten zwischen h2 = .255 und h2 = .627). Die Extraktionskriterien (Scree-Plot, Parallelanalyse, MAP-Test) sprechen überwiegend für fünf Faktoren, nur das Eigenwertkriterium spricht für sechs Komponenten. Die konfirmatorische Faktorenanalyse mit Maximum-Likelihood-Schätzer und robusten Standardfehlern sowie Santorra-Bentler-skalierter Teststatistik (estimator = „MLM“) zeigt indessen eine nicht befriedigende Passung der theoretisch begründeten Fünf-Faktorenstruktur: χ2(265) = 1775.40, p < .001 (Skalierungsfaktor = 1.3). Es liegt kein exakter Modellfit vor und auch das Verhältnis von χ2-Statistik zu Freiheitsgraden liegt deutlich über drei. Die inkrementellen Fit-Indizes liegen deutlich außerhalb des akzeptablen Bereichs (robuster CFI = .865; robuster TLI = .847). Nur RMSEA und SRMR haben annehmbare Werte (robuster RMSEA = .069, 90 % CI [.066, .073]; SRMR = .053).

Um eine erste Idee zu möglichen Fehlspezifikationen zu erhalten, wurde wie in der Pilotstudie nochmals eine exploratorische Hauptachsenanalyse (PAF) mit obliquer Rotation (Promax, Kappa = 4) gerechnet. Es ergibt sich eine gut interpretierbare Fünf-Faktoren-Lösung entsprechend der fünf Rollen. Allerdings lädt das Bully-Item zu Ausgrenzung etwas höher auf dem Verstärker-Faktor als auf dem Bully-Faktor. Weiterhin wurden die Modifikationsindizes in Kombination mit der erwarteten Veränderung der Parameterschätzung (EPC = expected parameter change) betrachtet. Aufgrund der enormen Anzahl möglicher Modifikationen, die eine signifikante Modellverbesserung erwarten lassen (150 MI > 4; vgl. Bühner, 2006, S. 290 f.), wurden nur jene 29 Modifikationsindizes mit einem Wert über 30 betrachtet. Auch diese deuten auf eine Kreuzladung des Ausgrenzungs-Bully-Items auf den Verstärkerfaktor hin. Dazu passend bestehen positive Residualkovarianzen zwischen einigen Täter- und Verstärker-Items. Das verbale Bully-Item weist hingegen eine negative Kreuzladung auf dem Verstärkerfaktor auf. Des Weiteren scheint das Ausgrenzungs-Bully-Item auch positiv auf den Außenstehenden-Faktor zu laden. Die Modifikationsindizes und EPC decken weiterhin auf, dass es insbesondere zwischen den Items einer Rolle Kovarianzen gibt, die nicht auf den Rollenfaktor zurückgehen (Residualkovarianz). Ein gewisser Anteil der Item-Varianz wird also nur mit einigen und nicht mit allen anderen Items zu dieser Rolle geteilt. Besonders auffällig ist die positive Residualkovarianz zwischen den Items zu physischem und materiellem Bullying (MI > 30 bei Opfer-, Täter-, Verstärker- und Verteidiger-Rolle), zu physischem und verbalem Bullying (MI > 30 bei Opfer-, Täter- und Außenstehenden-Rolle) sowie zwischen relationalem und ausgrenzendem Bullying (MI > 30 bei Opfer-, Täter- und Außenstehenden-Rolle). Auch separate exploratorische Faktorenanalysen mit den jeweiligen Items der einzelnen Rollen-Skalen lassen – wenn zwei Faktoren zugelassen werden – durchgängig eine Subgruppierung physisch + materiell versus relational + ausgrenzend erkennen, wobei häufig auch Nebenladungen bestehen und das verbale Item nicht eindeutig zuzuordnen ist. Die Extraktionskriterien sprechen für eine Komponente (Parallelanalyse, Eigenwertkriterium, Scree-Plot) oder zwei Faktoren (Parallelanalyse). Weiterhin gibt es auch negative Residualkovarianz zwischen Items einer Rolle, insbesondere zwischen Items zu physischem und relationalem Bullying (MI > 30 bei Opfer-, Täter- und Außenstehenden-Rolle), physischem und ausgrenzendem Bullying (MI > 30 bei Täter- und Außenstehenden-Rolle), materiellem und ausgrenzendem Bullying (MI > 30 bei Opfer- und Täter-Rolle) sowie zwischen verbalem und ausgrenzendem Bullying (MI > 30 bei Täter-Rolle). Nach Geschlecht getrennte Analysen zeigen zudem, dass der geringe Modellfit vor allem auf die Mädchen zurückzugehen scheint (Jungen: robuster CFI = .900, robuster TLI = .886, robuster RMSEA = .062, SRMR = .047; Mädchen: robuster CFI = .804, robuster TLI = .778, robuster RMSEA = .079, SRMR = .070).

Eine Reanalyse, bei der selektiv die Residualkovarianzen zwischen den theoretisch nahestehenden Bullyingformen (physisches und materielles sowie relationales und ausgrenzendes Bullying) für alle Rollen zugelassen wurden, kann den Modellfit signifikant verbessern (∆χ2(10) = 116.05, p < .001), doch ist die Modellpassung weiterhin nicht zufriedenstellend: χ2(255) = 1429.47, p < .001 (Skalierungsfaktor = 1.1), robuster CFI = .911, robuster TLI = .895, robuster RMSEA = .058, 90 % CI [.055, .060] und SRMR = .051. Von den 10 zugelassenen Residualkovarianzen erreichten drei kein signifikantes Niveau (relational + ausgrenzend bei Verstärkern und Verteidigern, physisch + materiell bei Außenstehenden). Das Modell ist in Abbildung C4 des Anhangs (ESM) dargestellt.

Auch für die 15 ergänzten Items zu Cyberbullying (5 Rollen × 5 Bullyingformen) wurden zunächst die Voraussetzungen für eine Faktorenanalyse geprüft. Bartletts Test auf Sphärizität wird signifikant (χ2(105) = 4896.56; p < .001), doch sind Kaiser-Meyer-Olkin-Koeffizient und Measure of Sample Adequacy nur mäßig (KMO = .683; MSA aller Items ≥ .61). Die anfänglichen Kommunalitäten der Items liegen zwischen h2 = .171 und h2 = .474. Eigenwertkriterium, Parallelanalyse und Scree-Plot sprechen für fünf Faktoren, MAP-Test hingegen für zwei. Für die theoretisch fundierte Fünf-Faktoren-Lösung zeigt die konfirmatorische Faktorenanalyse mit MLM-Schätzer keine zufriedenstellende Passung: χ2(80) = 523.80, p < .001 (Skalierungsfaktor = 1.4), robuster CFI = .871, robuster TLI = .831, robuster RMSEA = .070, 90 % CI [.064, .075] und SRMR = .048.

Um der mangelnden Passung auf den Grund zu gehen, wurden wiederum die Ergebnisse einer exploratorischen Hauptachsenanalyse mit Promax-Rotation sowie die extremen Modifikationsindizes (MI > 30) betrachtet. Die fünf Faktoren der exploratorischen Analyse entsprechen den fünf Rollen. Das Bully-Item zu Ausgrenzung lädt auf dem vorgesehenen Faktor, hat jedoch eine Nebenladung auf dem Verstärker-Faktor. Die Modifikationsindizes deuten auf Residualkovarianzen zwischen Täter-, Verstärker- und Außenstehenden-Items sowie Kreuzladungen dieser Items auf Täter-, Verstärker- und Außenstehenden-Faktor. Die einzige positive Residualkovarianz liegt zwischen den Täteritems bei verbalem und relationalem Cyberbullying vor, während der EPC für eine negative Residualkovarianz zwischen relationalem und ausgrenzendem Cyberbullying spricht. Da keine der implizierten Veränderungen theoretisch gut zu vertreten ist und der geringe KMO-Koeffizient vermuten lässt, dass die Korrelationen zwischen den Items grundsätzlich zu gering sind, um einen guten Modellfit zu erzielen, wurde auf eine Reanalyse mit einem modifizierten Modell verzichtet. Das theoretisch begründete Modell ist in Abbildung C5 des Anhangs (ESM) dargestellt.

4.3.3 Faktorenstruktur der SKARB-Fragebögen

Für die faktorenanalytische Untersuchung der SKARB-Fragebögen wurden grundsätzlich zwei Vorgehensweisen verfolgt: Zum einen wurden die klassenweise zentrierten Itemscores mit robustem ML-Schätzer analysiert, um Designeffekte zu minimieren, zum anderen wurden die Rohdaten mit robustem WLS-Schätzer analysiert, um dem ordinalen Charakter der vierstufigen Ratingskala Rechnung zu tragen. Mardia-Test und multivariater Q-Q-Plot zeigen deutliche Abweichungen von der multivariaten Normalverteilung für beide Fragebogenversionen, sowohl für Rohdaten als auch gruppenzentrierte Werte. Die univariate Schiefe der Items liegt bei maximal 1.5, die univariate Kurtosis bei maximal 2.0 (siehe auch Tabelle B19 im ESM). Aus diesem Grund wurde jeweils die robuste Version der Schätzer sowie die robusten Fit-Indizes gewählt.

Voranalysen bestätigen die Eignung der Daten für Faktorenanalysen unabhängig von Fragebogenversion und Zentrierung (KMO > .910; MSA aller Items ≥ .68 und nur bei den Items zu Befürchtung < .80; Bartletts Test signifikant). Die Ergebnisse der konfirmatorischen Faktorenanalysen mit MLM- und WLSMV-Schätzer sind in Tabelle 4.2 dargestellt. Es liegt keine exakte Modellpassung vor und die inkrementellen Fit-Indizes liegen unter dem akzeptablen Bereich. Die absoluten Fit-Indizes hingegen zeigen eine gute Passung an.

Tabelle 4.2 Teststatistiken und Fit-Indizes der konfirmatorischen Faktorenanalysen der SKARB-Fragebögen

Der Modellfit änderte sich nicht wesentlich, wenn als Datengrundlage ausschließlich die 6.- bis 8.-Klässler genutzt werden (N = 820), was der Altersspanne der Pilotstudie entspricht. Auch macht es keinen Unterschied, wenn jene Schülerinnen und Schüler ausgeschlossen werden, die angegeben hatten, niemals Schulbullying beziehungsweise Cyberbullying mitbekommen zu haben (Analysestichprobe NSKARBoff = 870, NSKARBoff = 610). Diskrepanzen ergaben sich bei den Fitindizes mit diesen Subsamples erst im Bereich der dritten Nachkommastelle.

Um Ideen für Möglichkeiten einer Modelloptimierung zu generieren, wurden nochmals exploratorische Faktorenanalysen basierend auf Intragruppen-Pearson-Korrelationen und polychorischen Korrelationen mit den Rohdaten gerechnet sowie die Modifikationsindizes betrachtet. Die Extraktionskriterien sprechen für drei bis fünf Komponenten. Auffällig ist, dass die Items zu Empathie und Verantwortungsübernahme durchweg auf einem gemeinsamen Faktor laden. Die Vier-Faktoren-Lösung ist am klarsten interpretierbar. Bei drei Faktoren werden Empathie und Verantwortungsübernahme zusätzlich mit Verteidiger-Selbstwirksamkeit zusammengefasst; bei fünf Faktoren separiert sich ein Verantwortungsfaktor, wobei die Verantwortungsitems jedoch größtenteils Doppelladungen mit dem Empathiefaktor aufweisen.

Aufgrund der enormen Anzahl möglicher Modifikationen, die laut Modifikationsindizes eine signifikante Modellverbesserung erwarten lassen, wurden zunächst jeweils nur jene Modifikationsindizes mit einem Wert über 20 betrachtet. Die für die verschiedenen Fragebogenversionen und Schätzmethoden ausgegebenen Modifikationsindizes sind nicht völlig identisch, doch lassen sich gewisse Übereinstimmungen erkennen. Mit Kreuzladungen fällt ein Item zur empathischen Anteilnahme (15: Bedürfnis zu trösten) auf, das durchgängig positiv mit Verantwortungs- und Selbstwirksamkeitsfaktor assoziiert ist. Weiterhin auffällig sind Kreuzladungen von Items zur Verantwortungsleugnung (8: geht mich nichts an; 21: nicht meine Sache) auf Verantwortungs- und Selbstwirksamkeitsfaktor. Die Residualvarianzen zwischen den Items einer Skala lassen wiederum Subfacetten der Konstrukte erkennen. Wiederholt zeigen sich beispielsweise Schuldzuweisung (10: nicht anders verdient + 16: selbst schuld) und Verantwortungsleugnung (8: geht mich nichts an + 21: nicht meine Sache) als Subfacetten des Moral Disengagement.

Als Grundlage für die Modellverbesserung wird im Folgenden aus pragmatischen Gründen nur die Berechnung mit klassenweise zentrierten Werten und MLM-Schätzer genutzt. Zunächst wurde entsprechend der exploratorischen Analysen ein Vier-Faktoren-Modell geschätzt, dessen Passung jedoch signifikant schlechter war als jene des Fünf-Faktoren-Modells (SKARBoff: ∆χ2(4) = 43.87, p < .001; SKARBon: ∆ χ2(4) = 141.68, p < .001).

Als Alternative wurden wie in der Pilotstudie die theoretisch begründbaren Residual-Kovarianzen zwischen den jeweiligen Indikatoren einer Subfacette (5 + 18 affektive Empathie, 1 + 11 kognitive Empathie, 15 + 23 empathische Anteilnahme, 3 + 14 Verharmlosung, 10 + 16 Schuld-zuweisung, 8 + 21 Verantwortungsleugnung, 2 + 13 moralische Emotionen, 4 + 9 Verteidigerwissen) zugelassen, was den Modellfit und die Fit-Indizes verbesserte (SKARBoff: ∆χ2(8) = 178.87, p < .001, CFI = .939, TLI = .928, RMSEA = .045, 90 % CI [.041, .049] und SRMR = .049; SKARBon: ∆ χ2(8) = 172.97, p < .001, CFI = .944, TLI = .934, RMSEA = .048, 90 % CI [.044, .053] und SRMR = .048). Im SKARBoff wurden alle theoriebasiert zugelassenen Residualkovarianzen auf einem Niveau von p < .05 signifikant, im SKARBon wurden nur die Residualkovarianzen zwischen den Items zu Verharmlosung und zu moralischen Emotionen nicht signifikant. Auffällig ist allerdings bei beiden Fragebögen die negative Residualkorrelation zwischen den beiden Items zu empathischer Anteilnahme. Das Modell mit den theoretisch hergeleiteten Residualkovarianzen ist im elektronischen Zusatzmaterial für beide Fragebögen abgebildet (Abbildungen C6 und C7).

Ein stärker empirisch geleitetes Vorgehen war, alle positiven Residualkorrelationen innerhalb einer Skala zuzulassen, sofern der entsprechende Modifikationsindex größer als 10 war. Dies betraf beim SKARBoff wieder weitgehend die Subfacetten (5 + 18 affektive Empathie, 1 + 11 kognitive Empathie, 3 + 14 Verharmlosung, 10 + 16 Schuldzuweisung, 8 + 21 Verantwortungsleugnung, 2 + 13 moralische Emotionen, 4 + 9 Verteidigerwissen), hinzu kamen Residualkovarianzen zwischen Item 23 (Mitgefühl) und Item 18 (tut mir selbst auch weh) sowie zwischen Item 16 (selbst schuld) und 7 (wird Grund geben) und 12 (selbst klarkommen). Der Modell-Fit war in diesem Fall wie folgt: χ2(232) = 594.52, p < .001, CFI = .945, TLI = .934, RMSEA = .043, 90 % CI [.039, .047] und SRMR = .046. Beim SKARBon hatten folgende Residualkovarianzen einen Modifikationsindex über 10: 5 + 18 affektive Empathie, 1 + 11 kognitive Empathie, 10 + 16 Schuldzuweisung, 8 + 21 Verantwortungsleugnung, 4 + 9 Verteidigerwissen sowie wieder Item 18 + 23 und Item 7 + 16. Erreicht wurde damit ein Modellfit von χ2(235) = 607.51, p < .001, CFI = .952, TLI = .944, RMSEA = .044, 90 % CI [.040, .049] und SRMR = .045. Insgesamt konnte somit durch das selektive Zulassen plausibler Residualkovarianzen ein annehmbarer Modellfit erreicht werden.

4.3.4 Reliabilitäten und Skalenstatistiken

Die Tabellen 4.3 und 4.4 geben Auskunft über die internen Konsistenzen, Verteilungsparameter sowie Intraklassenkorrelationen der Skalen von RoleGrid respektive SKARB-Fragebögen. Die internen Konsistenzen der Skalen des RoleGrid-off liegen etwas geringer als in der Pilotstudie, sind nichtsdestoweniger als gut einzustufen (Cronbachs α: .75–.84; McDonalds ω: .77–.88), wohingegen die internen Konsistenzen der meisten RoleGrid-on-Skalen nicht zufriedenstellend sind (Cronbachs α: .61–.76; McDonalds ω: .64–.77). Das Entfernen des in der Faktorenanalyse als problematisch identifizierten Items zu Ausgrenzungstäterschaft (Kreuzladung auf Verstärkerfaktor) würde zu keiner Verbesserung der Skalenreliabilität führen. Die Verteilung der Peer-Nominierungs-Skalen ist wie zu erwarten schmalgipflig und extrem linkssteil. Auffällig sind die hohen ICC und Designeffekte für alle Rollen-Scores mit Ausnahme des Opfers.

Tabelle 4.3 Interne Konsistenzen und Skalenstatistiken des RoleGrid
Tabelle 4.4 Interne Konsistenzen und Skalenstatistiken der SKARB-Fragebögen

Für die Skalen der SKARB-Fragebögen sind die internen Konsistenzen ähnlich hoch wie in der Pilotstudie und liegen damit in einem angemessenen bis guten Bereich (Cronbachs α: .68–.87; McDonalds ω: .70–.88). Auch hier würde das Entfernen auffälliger Items (Item 15, 8 und 21 mit Kreuzladungen auf Verantwortungs- und Selbstwirksamkeitsfaktor, Item 14 mit geringer Kommunalität und geringer Faktorladung) nicht zu einer Verbesserung von Cronbachs Alpha führen. Die Befürchtungen-Skala fällt sowohl offline als auch online durch ihre linkssteile, eher schmalgipflige Verteilung auf. Die ICC zeigen, dass ein gewisser – wenn auch relativ kleiner – Anteil der Varianz auf die Klassenzugehörigkeit zurückgeht. Nur für die Empathie-Skala des SKARBon erreicht der Designeffekt einen Wert von knapp über zwei und muss somit als groß eingestuft werden (vgl. Maas & Hox, 2005).

In Tabelle B20 des Anhangs (ESM) sind die Korrelationen zwischen den Skalen der RoleGrid-Fragebögen angeführt – sowohl für die nicht-transformierten als auch für die klassenweise zentrierten Mittelwertskalen. Ersteres ist aufschlussreich, da auch die Rollenzuweisung auf unzentrierten Werten beruht, zweiteres gibt Auskunft über die Zusammenhänge innerhalb der Klassenverbände. Dargestellt sind nur Pearsons Korrelationen, was laut Howell (2010) der Korrelationskoeffizient der Wahl ist. Von den unzentrierten Skalen korrelieren für RoleGrid-off und RoleGrid-on die Täter- und Verstärkerskala positiv. Des Weiteren gehen mehr Nennungen auf der Verstärker- und Verteidigerskala mit mehr Nennungen auf der Außenstehenden-Skala einher. Hingegen zeigt sich eine Diskrepanz bei der Täterskala: Im RoleGrid-off korreliert diese negativ mit der Außenstehenden-Skala, im RoleGrid-on positiv. Mit den klassenweise zentrierten Skalen zeigt sich ein anderes Muster: Nur im RoleGrid-off korrelieren Täter- und Verstärkerskala positiv. Fast alle übrigen Skalen korrelieren hingegen negativ – erhält eine Person also im Vergleich zum Klassenmittel überdurchschnittlich viele Nennungen auf einer Skala, erhält sie auf allen übrigen Skalen eher unterdurchschnittlich viele Nennungen. Relativ hohe Übereinstimmungen zeigen sich – unabhängig vom Korrelationstyp – für die Skala ein und derselben Rolle zwischen RoleGrid-off und RoleGrid-on.

Tabelle B21 des Anhangs (ESM) zeigt weiterhin die Korrelationen zwischen den Skalen der SKARB-Fragebögen – wiederum für unzentrierte und klassenweise zentrierte Mittelwertskalen, was in diesem Fall kaum einen Unterschied macht. Moral Disengagement ist negativ mit Empathie, Verantwortungsübernahme und Selbstwirksamkeitserwartungen assoziiert, welche untereinander positiv korrelieren. Am stärksten ist jeweils die Korrelation zwischen Empathie und Verantwortungsübernahme. Empathie und Verantwortungsübernahme gehen zudem mit Befürchtungen einher. Hohe Übereinstimmungen zeigen sich weiterhin zwischen denselben Konstrukten bei SKARBoff und SKARBon.

4.3.5 Prävalenz der Rollen bei Schul- und Cyberbullying

Die Zuordnung der Rollen erfolgt nach dem in der Pilotstudie erprobten Kriterium von mindestens drei Peer-Nominierungen für mindestens eines der Items einer bestimmten Rolle. Dieses Kriterium wurde getrennt für die Rollen bei Schulbullying (RoleGrid-off) und bei Cyberbullying (RoleGrid-on) angewendet. Die Häufigkeiten der fünf Rollen sowie die Anzahl derer, denen keine oder keine eindeutige Rolle zugeordnet werden kann, sind in Tabelle 4.5 für beide Bullyingformen aufgeführt.

Tabelle 4.5 Prävalenzen der Rollen bei Schulbullying (RoleGrid-off) und Cyberbullying (RoleGrid-on)

Generell sind die Prävalenzen der Rollen bei dieser Betrachtung relativ gering. Doch erhält im Fall von Schulbullying auch ein gutes Viertel (n = 422) der Heranwachsenden für mehr als eine Rolle mindestens drei Nominierungen und nimmt dementsprechend eine uneindeutige Rolle im Bullying-Geschehen ein. Fast die Hälfte davon (n = 190) hat die Außenstehenden-Rolle als Zweitrolle, was zu den positiven Korrelationen mit der Außenstehenden-Skala passt (vgl. Tabelle B20). Einen recht großen Anteil (n = 94) macht auch die Doppelrolle von Bully und Verstärker aus. Bei Cyberbullying sind von den Doppelrollen am häufigsten die Bully-Verstärker-Doppelrolle und die Verstärker-Außenstehenden vertreten. Die Prävalenzen der genau ausdifferenzierten Rollen sind im Anhang getrennt nach Geschlecht und Stufe dargestellt (Tabelle B22 im ESM). Im Folgenden werden nun jedoch diejenigen mit der Zweitrolle des Außenstehenden den reinen Rollen zugeschlagen. Tabelle 4.6 gibt einen Überblick über die sich so ergebenden Prävalenzen.

Tabelle 4.6 Prävalenzen der ausdifferenzierten Rollen bei Schulbullying (RoleGrid-off) und Cyberbullying (RoleGrid-on)

Der Anhang enthält weiterhin eine Tabelle (Tabelle B23 im ESM), die Auskunft darüber gibt, wie viele Personen je Rolle für mindestens eine Form drei Nennungen erhalten haben, ungeachtet dessen, wie die Nennungen für andere Rollen ausfielen. Betrachtet man die Viktimisierung ist direkt-verbales Bullying am häufigsten (70 Heranwachsende werden diesbezüglich von mindestens drei Klassenkameraden genannt), eng gefolgt von Gerüchten und Ausgrenzung. Vergleichsweise selten ist Viktimisierung durch körperliche Angriffe (35 Opfer) oder durch Zerstörung oder Entwendung des Eigentums (13 Opfer). Etwas anders sieht die Verteilung bei Betrachtung der Täter-Rolle aus: Am meisten Personen erfüllen das Kriterium von drei Nennungen für ausgrenzendes Bullying (258 Täter), gefolgt von rufschädigendem Bullying und direkt-verbalem Bullying. Am seltensten sind wiederum Täter, die körperlich oder materiell schikanieren. Interessant ist auch das Verhältnis von Tätern zu Opfern, das bei physischen Formen am geringsten (etwa 2:1) und bei ausgrenzendem Bullying am höchsten ist (4:1). Die meisten Verstärker, Verteidiger und Außenstehenden gibt es wiederum bei verbalem Bullying (222 bzw. 73 bzw. 353 Heranwachsende). Wenige Verteidiger gibt es insbesondere bei relationalen Bullyingformen – hier sind es weniger als halb so viele Verteidiger wie Opfer. Bei den übrigen Bullyingformen gibt es etwa so viele Verteidiger wie Opfer. Die Erscheinungsformen von Cyberbullying sind in der Klassengemeinschaft noch seltener zu beobachten als materielles Bullying. Die meisten Opfer und Täter gibt es bei verbalem und ausgrenzendem Cyberbullying (15 Opfer von verbalem und 12 von isolierendem Cyberbullying; je 30 Täter). Verstärker sind unabhängig von der Form ähnlich häufig vertreten. Verteidiger sind deutlich häufiger bei direkt-verbalem Cyberbullying als bei relationalen Formen (27 vs. 4). Hier gibt es auch die meisten Außenstehenden.

Die nach Klassen getrennte Auswertung der Rollen bei Schulbullying zeigt, dass es in 55 der 65 Klassen (85 %) mindestens ein Opfer oder eine Person mit Opfer-Doppelrolle gibt. In den Klassen ohne Opfer-Rolle sind in der Regel auch keine anderen Rollen vergeben. Nur in zwei Klassen ohne Opfer konnten andere Rollen identifiziert werden. Umgekehrt wurden in Klassen mit Opfern bis auf eine Ausnahme immer auch andere Rollen identifiziert. Pro Klasse gibt es meist ein bis zwei, maximal vier Opfer. Mindestens einen Täter oder eine Person mit Täter-Doppelrolle gibt es in 54 Klassen. Vornehmlich sind es pro Klasse zwei bis sechs Täter, im Extremfall bis zu 21. In zwei Klassen gibt es keinen Täter, obwohl in diesen Klassen ein Opfer identifiziert wurde, und in einer Klasse gibt es zwar Täter, aber kein Opfer. In etwa der Hälfte der Klassen konnte kein Verstärker oder Verstärker-Außenstehender identifiziert werden, maximal wurden in einer Klasse 14 Verstärker oder Verstärker-Außenstehende identifiziert. In weniger als der Hälfte der Klassen konnte mindestens ein Verteidiger oder Verteidiger-Außenstehender identifiziert werden, maximal waren es neun. In 25 Klassen gab es keine reinen Außenstehenden; in den übrigen 40 wurden je Klasse bis zu 13 Außenstehende identifiziert.

Hinsichtlich Cyberbullying ergibt die klassenweise Auswertung, dass es in 24 der 65 Klassen (37 %) mindestens ein Cyberopfer oder eine Person mit Opfer-Doppelrolle gibt und dass es in 18 Klassen mindestens einen Cyberbully oder eine Person mit Täter-Doppelrolle gibt. In 10 Klassen wurden Cyberopfer, doch keine Cybertäter identifiziert – in fünf Klassen war das Umgekehrte der Fall. In fünf Klassen wurden ausschließlich Cyberopfer und ansonsten keine Rollen identifiziert, in neun Klassen wurden Bully- oder Bystander-Rollen vergeben, obwohl kein Cyberopfer erkennbar war. Cyberverstärker oder Verstärker-Außenstehende wurden nur in 11 Klassen identifiziert (maximal 18 in einer Klasse), Cyberverteidiger oder Verteidiger-Außenstehende sogar nur in sechs Klassen (maximal 17 in einer Klasse). Reine Außenstehende bei Cyberbullying waren in 12 Klassen vertreten.

Zur Interpretation dieser Ergebnisse ist es sinnvoll auch Befunde dazu heranzuziehen, wie häufig die Befragten angaben, dass die Rolle aus einer anderen Klasse stamme. Bei Schulbullying geschah dies je nach Bullyingform für die Täter-Rolle 16- bis 91-mal, für die Verstärker-Rolle 16- bis 62-mal, für die Verteidiger-Rolle 10- bis 33-mal und für die Außenstehenden-Rolle 12- bis 32-mal; bei Cyberbullying je nach Bullyingform für die Täter-Rolle 35- bis 69-mal, für die Verstärker-Rolle 26- bis 42-mal, für die Verteidiger-Rolle 16- bis 36-mal und für die Außenstehenden-Rolle 18- bis 25-mal.

Für die folgende Auswertung werden Personen mit eindeutiger Rolle und Personen mit einer Außenstehenden-Zweitrolle zusammengefasst. Dies soll zum einen die Übersichtlichkeit der Darstellung gewährleisten, ohne jedoch all jene mit mehr als einer Rolle außen vor zu lassen, und zum anderen sicherstellen, dass die Gruppen ausreichend groß für die Analysen sind. Differenziert betrachtet werden zudem – soweit es die Fallzahlen zulassen – die Rollenkombinationen Bully-Opfer sowie Bully-Verstärker (Pro-Bullying-Akteure), welche in der Literatur bereits vielfach Erwähnung fanden.

4.3.6 Selbstnominierte Rollen bei Schul- und Cyberbullying

Das Phänomen vieler Mehrfachrollen ist im Übrigen auch für die Selbstnominierungen gegeben. Selbstnominierungsdaten liegen für 932 Befragungsteilnehmer zu Schulbullying und für 905 zu Cyberbullying vor. Bei Schulbullying nennen sich von diesen 34 % für mehrere Rollen und 31 % für keine Rolle. Fasst man wiederum jene mit eindeutiger Rolle und jene mit Außenstehenden-Doppelrolle zusammen, kann auf Basis der Selbstnennungen 9 % die Opfer-Rolle, 7 % die Täter-Rolle, 5 % die Verstärker-Rolle, 15 % die Verteidiger-Rolle und 8 % die Außenstehenden-Rolle zugeordnet werden.

Bei Cyberbullying geben sich die meisten selbst keine Rolle (74 %). Mehrfachrollen auf Basis von Selbstnominierungen sind bei Cyberbullying mit 6 % vergleichsweise selten. Weiterhin gibt es im Cyberkontext 5 % selbstgenannte Opfer, 1 % selbstgenannte Täter, 4 % selbstgenannte Verstärker, 5 % selbstgenannte Verteidiger und 5 % selbstgenannte Außenstehende.

Eine Tabelle mit den absoluten Häufigkeiten der selbstnominierten Rollen in Zusammenhang mit den fremdnominierten Rollen findet sich im Anhang (Tabelle B24 im ESM). Die Übereinstimmungen fallen gering aus. Von den fremdnominierten Opfern sehen sich rund 38 % selbst in der Opfer-Rolle. Umgekehrt werden nur ein Viertel der selbstbenannten Opfer auch von der Klasse als solche wahrgenommen. Auch von jenen, denen auf Basis der Peer-Nominierungen eine der Pro-Bullying-Rollen (Täter, Verstärker oder Täter-Verstärker) zugeordnet wurde, nennen sich nur knapp ein Drittel selbst für eine dieser Rollen. Knapp die Hälfte der selbstnominierten Pro-Bullying-Rollen erhält eine dieser Rollen auch durch Peer-Nominierung. Besonders groß ist die Diskrepanz bei Verteidigern und Außenstehenden. Rund 35 % der Peer-nominierten Verteidiger geben sich selbst diese Rolle und nur 13 % derer, die sich selbst als Verteidiger bezeichnen, erhalten auch entsprechende Peer-Nominierungen. Von den selbstgenannten Außenstehenden werden immerhin knapp 40 % auch von der Klasse als solche benannt, aber nur 16 % fremdnominierte Außenstehende ordnen sich auch selbst diese Rolle zu. Noch geringer sind die Übereinstimmungen im Kontext von Cyberbullying (siehe Tabelle B24 im ESM). Für einen tieferen Einblick findet sich im elektronischen Zusatzmaterial ergänzend eine Tabelle mit den Häufigkeiten, mit denen sich Teilnehmer für die unterschiedlichen Bullyingformen sowie für mindestens eine der Formen genannt haben, ungeachtet der Selbstnennungen für die übrigen Rollen (Tabelle B25).

4.3.7 Übereinstimmung der Rollen bei Schul- und Cyberbullying

Die korrelativen Übereinstimmungen der Rollenskalen von RoleGrid-off und RoleGrid-on wurden bereits in Tabelle B20 (ESM) präsentiert. An dieser Stelle soll dargestellt werden, inwiefern die auf Peer-Nominierungen basierende Rollenzuordnung zwischen Schul- und Cyberbullying übereinstimmt. Dargestellt sind die Ergebnisse in Tabelle 4.7.

Es ist ersichtlich, dass von denjenigen, die im Kontext von Schulbullying keine Rolle einnehmen, 97.5 % auch nicht in Cyberbullying involviert sind. Darüber hinaus nehmen aber auch von denjenigen, die bei Schulbullying eine Rolle ausfüllen, der Großteil (65–86 % je nach Rolle) keine Rolle bei Cyberbullying ein. Dementsprechend gering ist die Übereinstimmung: 14 % aller Schulopfer sind auch Cyberopfer, 8 % aller Schultäter auch Cybertäter, 3 % aller Schulverstärker auch Cyberverstärker, 19 % aller Schulverteidiger auch Cyberverteidiger und 13 % der Schulaußenstehenden auch Cyberaußenstehende. Im Fall jedoch, dass für Cyberbullying eine Rolle identifiziert wird, ist dies bei Opfern, Tätern, Verteidigern und Außenstehenden am häufigsten die gleiche Rolle wie bei Schulbullying. Schließt man jene ohne Rolle bei Cyberbullying aus, haben 59 % der Opfer, 52 % der Täter, 88 % der Verteidiger und 90 % der Außenstehenden bei Schulbullying auch bei Cyberbullying dieselbe Rolle. Nur die Verstärker bei Schulbullying sind bei Cyberbullying – sofern sie dort eine Rolle einnehmen – am häufigsten Außenstehende (60 %) und vergleichsweise selten Verstärker (12 %). Zusammengefasst haben 60 % von den Pro-Bullying-Akteuren bei Schulbullying auch eine Pro-Bullying-Rolle bei Cyberbullying, sofern sie dort überhaupt eine Rolle einnehmen.

Umgekehrt betrachtet sind die wenigsten, die bei Cyberbullying eine Rolle einnehmen, im Kontext von Schulbullying rollenlos (5 %). Die meisten, die in Cyberbullying involviert sind, nehmen also auch bei Schulbullying eine Rolle ein und dies ist oftmals dieselbe Rolle wie im Cyberkontext. Rund 48 % der Cyberopfer, 46 % der Cybertäter, 48 % der Cyberverteidiger und 44 % der Cyberaußenstehenden nehmen diese Rolle auch bei Schulbullying ein. Cyberverstärker haben bei Schulbullying hingegen meist eine uneindeutige Mehrfachrolle (51 %), oft aber auch die Bully-Verstärker-Doppelrolle (24 %) und nur selten die einfache Verstärker-Rolle (7 %). Fasst man die Pro-Bullying-Rollen zusammen zeigt sich, dass 59 % derer, die bei Cyberbullying eine der Pro-Bullying-Rollen einnehmen, auch bei Schulbullying eine dieser Rollen vertreten.

Tabelle 4.7 Übereinstimmung der Rollen im Kontext von Schul- und Cyberbullying

Interessant ist in diesem Zusammenhang auch die Auswertung auf Klassenebene. Alle 31 Klassen, in denen Rollen für Cyberbullying identifiziert werden konnten, weisen auch Rollen im Kontext Schulbullying auf. Umgekehrt formuliert: Es gibt keine einzige Klasse, in der Cyberbullying-Rollen, aber keine Schulbullying-Rollen zu finden sind.

4.3.8 Soziodemographische und soziometrische Merkmale der Rollen

Zur Charakterisierung der Rollen hinsichtlich ihrer soziodemographischen und soziometrischen Besonderheiten wurden ähnlich wie in der Pilotstudie zum RoleGrid logistische Regressionen gerechnet (glmer-Funktion des lme4-Paketes, family = binomial). Anders als in der Pilotstudie wurde als Vergleichsgruppe jedoch jeweils die Rolle der Außenstehenden gewählt. Mit den Außenstehenden kontrastiert wurden Opfer, Täter, Verstärker und Verteidiger. Da eine gleichzeitige Aufnahme soziodemographischer und soziometrischer Variablen als Prädiktoren zu Schätzproblemen führte, wurden separate Analysen durchgeführt: Zum einen wurden logistische Regressionen mit den Prädiktoren Geschlecht und Klassenstufe gerechnet, zum anderen weitere logistische Regressionen mit den Prädiktoren Zuneigung, Ablehnung und Popularität sowie Geschlecht als Kontrollvariable. Zuletzt wurde mittels linearer Regressionen separat die schulische Leistung in Abhängigkeit von der eingenommenen Rolle untersucht. Die bivariaten Korrelationen der RoleGrid-Skalen mit den soziodemographischen, soziometrischen und leistungsbezogenen Variablen finden sich in Tabelle B26 des Anhangs (ESM).

Die Ergebnisse der logistischen Regressionen für die Rollen bei Schulbullying mit den soziodemographischen Prädiktoren finden sich in Tabelle 4.8. Da nur eine Klasse aus Stufe 10 teilgenommen hatte, in der zudem keine Rollen vertreten waren, umfassen die Analysen nur Stufen 6 bis 9. Die Kontrollvariable Teilnehmerzahl wurde in keiner der Regressionen signifikant und daher aus den Analysen entfernt, was keinen Einfluss auf die gefundenen Effekte hatte. Da die Prävalenzen der Rollen bei Cyberbullying noch einmal wesentlich geringer ausfielen, werden für Cyberbullying nur die Geschlechtsunterschiede regressionsanalytisch geprüft. Die Klassenstufe wird nicht als Prädiktor aufgenommen, da die Rollen in den einzelnen Klassenstufen oftmals weniger als 10-mal vertreten waren, was wiederum zu Schätzproblemen führt. Anstelle dessen wurde getestet Alter als Prädiktor aufzunehmen, jedoch ist nicht unbedingt von einem linearen Zusammenhang zwischen Alter und Rolle auszugehen und durch Fehlwerte in der Altersvariable reduzierte sich der Stichprobenumfang noch weiter. Da Alter bei keiner der Analysen signifikant wurde und sich an den Geschlechtseffekten nichts änderte, werden die Ergebnisse von den Analysen ohne Einbezug von Alter berichtet.

Tabelle 4.8 Logistische Regressionen mit Random Intercepts zu den soziodemographischen Merkmalen der Rollen bei Schulbullying

Im Folgenden werden die Befunde zu den Rollen bei Schul- und Cyberbullying zunächst für Geschlechtsunterschiede und anschließend für den Stufenvergleich, jeweils unter Einbezug der deskriptiven Häufigkeitsverteilungen ausgeführt. Signifikante Geschlechtseffekte zeigen sich in den logistischen Regressionen zu Schulbullying für Verstärker und Verteidiger. Mädchen haben im Vergleich zu Jungen eine geringere Wahrscheinlichkeit Verstärker im Gegensatz zu Außenstehenden zu sein und eine höhere Wahrscheinlichkeit Verteidiger im Gegensatz zu Außenstehenden zu sein. Dass die Gruppe von Verstärkern vorwiegend aus Jungen besteht (69 %), wohingegen die Verteidiger überwiegend weiblich sind (84 %), während die Geschlechterverteilung bei Opfern und Außenstehenden in etwa ausgewogen ist, verdeutlicht auch Abbildung 4.1. Die Gruppe der Bully-Verstärker wurde in den Regressionen nicht eigens in den Fokus genommen, es lässt sich allerdings feststellen, dass hier der Mädchenanteil besonders gering ist.

Abbildung 4.1
figure 1

Geschlechterverteilung innerhalb der Rollen bei Schulbullying. Balkenlänge indiziert absolute Anzahl an Schülerinnen und Schülern in der entsprechenden Rolle. Prozentangaben geben den Anteil von Jungen und Mädchen bei der jeweiligen Rolle an

Bei Cyberbullying ist ein signifikanter Effekt des Geschlechts auf die Bully- und die Verteidiger-Rolle erkennbar. Bei Mädchen ist das Verhältnis von Tätern zu Außenstehenden geringer als bei Jungen (B = −1.69; SE = 0.69; p = .015; OR = 0.19; 95 % CI [0.05, 0.72]) und das Verhältnis von Verteidigern zu Außenstehenden höher als bei Jungen (B = 2.65; SE = 0.85; p = .002; OR = 14.10; 95 % CI [2.68, 74.6]). Die Geschlechteranteile für die Rollen bei Cyberbullying sind in Abbildung 4.2 visualisiert. Die bei Cyberbullying sehr kleine Gruppe der Bully-Verstärker ist hier nicht angegeben. Es lässt sich jedoch abermals festhalten, dass der Mädchenanteil gering ist (1 von 10).

Abbildung 4.2
figure 2

Geschlechterverteilung innerhalb der Rollen bei Cyberbullying Balkenlänge indiziert absolute Anzahl an Schülerinnen und Schülern in der entsprechenden Rolle. Prozentangaben geben den Anteil von Jungen und Mädchen bei der jeweiligen Rolle an

Signifikante Stufeneffekte zeigen sich bei Schulbullying für Täter und Verteidiger. Schülerinnen und Schüler der siebten und achten Klassenstufe haben im Vergleich zu Sechstklässlern eine geringere Wahrscheinlichkeit Täter im Gegensatz zu Außenstehenden zu sein. Acht- und Neuntklässler haben im Vergleich zu Sechstklässlern eine geringere Wahrscheinlichkeit Verteidiger im Gegensatz zu Außenstehenden zu sein. Zu beachten gilt jedoch, dass die Prävalenz der Außenstehenden deskriptiv deutlich über die Klassenstufen hinweg ansteigt: Von 10 % in den sechsten Klassen, über 20 % in den siebten auf rund 25 % in Stufe 8 und 9. Die Prävalenzen aller Rollen nach Klassenstufen getrennt sind in Abbildung 4.3 für Schulbullying dargestellt. Die Opferzahl bei Schulbullying ist deskriptiv in Stufe 7 am höchsten, variiert jedoch in einer recht engen Spanne von 4–8 %. Die Zahl der Täter bei Schulbullying hingegen scheint in den mittleren Klassenstufen am geringsten und in Klasse 9 am höchsten, doch kommt insbesondere in Stufe 8 ein hoher Anteil an Bully-Verstärkern hinzu. Auch der Anteil an reinen Verstärkern ist in Stufe 8 am höchsten. In den oberen Klassenstufen ist zudem der Anteil an Verteidigern geringer und liegt dort unter Prävalenz der Opfer. Die Bully-Opfer sind in dieser Grafik nicht separat aufgeführt, sondern den Mehrfachrollen zugeschlagen – von den 14 Bully-Opfern stammen acht aus Stufe 7 und vier aus Stufe 6. Der Anteil an Schülerinnen und Schülern, die das Kriterium für keine der Rollen erfüllen, sinkt von knapp der Hälfte der Sechstklässler auf gut ein Viertel der Acht- und Neuntklässler.

Aufgrund der geringen Fallzahlen können für Cyberbullying die Unterschiede zwischen den Stufen nur deskriptiv beschrieben werden. Die Rollenverteilung bei Cyberbullying für die einzelnen Klassenstufen ist in Abbildung 4.4 veranschaulicht. Ins Auge springt vor allem, dass der Anteil derer, denen keine Rolle zugeordnet werden kann, über die Stufen hinweg abnimmt: Während in den sechsten Klassen nur etwa 5 % mit einer Rolle in Cyberbullying involviert sind, sind es in den neunten Klassen rund 25 %. Deskriptiv ist der Anteil an Opfern in Stufe 8 am geringsten und in Stufe 9 am höchsten, wobei der Anteil an Tätern und Verstärkern in beiden Stufen vergleichsweise hoch ausfällt. Der Anteil an Tätern und Verstärkern nimmt über die Klassenstufen hinweg stetig zu. Auch die Außenstehenden sind in Stufe 8 verhältnismäßig häufig vertreten, wohingegen der Anteil an Verteidigern in Stufe 7 am höchsten ist. In Stufe 9 ist kein einziger Verteidiger gegen Cyberbullying identifizierbar.

Abbildung 4.3
figure 3

Prävalenz der Rollen bei Schulbullying nach Klassenstufen getrennt

Abbildung 4.4
figure 4

Prävalenz der Rollen bei Cyberbullying nach Klassenstufen getrennt

Im Anschluss an die Befunde zu den soziodemographischen Merkmalen sollen nun die Zusammenhänge mit den soziometrischen Variablen berichtet werden. Die Ergebnisse der logistischen Regressionen (glmer-Funktion des lme4-Paketes, family = binomial) sind in Tabelle 4.9 für Schulbullying und Tabelle 4.10 für Cyberbullying präsentiert. Variance Inflation Factor (VIF) und Toleranzstatistik geben keinen Hinweis auf Multikolinearität der soziometrischen Prädiktoren. Geringe erfahrene Zuneigung und vor allem hohe erfahrene Ablehnung in der Klasse erhöhen das Risiko bei Schulbullying Opfer anstelle Außenstehender zu sein. Hohe Ablehnung erhöht zudem auch das Risiko Cyberopfer gegenüber Cyberaußenstehender zu sein. Hohe Ablehnung und auch hohe Popularität bedeuten eine höhere Wahrscheinlichkeit Bully oder Verstärker bei Schulbullying oder Cyberbully zu sein. Einschränkend muss allerdings angemerkt werden, dass möglicherweise kein linearer Zusammenhang zwischen Popularität und Täterschaft im Gegensatz zur Außenstehenden-Rolle bei Schul- und Cyberbullying vorliegt und kein linearer Zusammenhang zwischen Abneigung und Cybertäterschaft (Interaktion zwischen Prädiktor und Log des Prädiktors wird signifikant, siehe Field, Miles & Field, 2012). Wird einem Klassenmitglied viel Zuneigung entgegengebracht so ist die Wahrscheinlichkeit höher, dass diese Person ein Verteidiger und kein Außenstehender bei Schulbullying ist. Einen deskriptiven Rollenvergleich für die drei soziometrischen Variablen bieten Abbildungen 4.5, 4.6, 4.7, 4.8, 4.9 und 4.10.

Tabelle 4.9 Logistische Regressionen mit Random Intercepts zu den soziometrischen Merkmalen der Rollen bei Schulbullying
Tabelle 4.10 Logistische Regressionen mit Random Intercepts zu den soziometrischen Merkmalen der Rollen bei Cyberbullying
Abbildung 4.5
figure 5

Mittelwertvergleich zwischen den Rollen bei Schulbullying hinsichtlich erfahrener Zuneigung (Fehlerindikatoren zeigen die Standardabweichung an, n ist innerhalb der Säulen abgedruckt)

Abbildung 4.6
figure 6

Mittelwertvergleich zwischen den Rollen bei Schulbullying hinsichtlich erfahrener Ablehnung (Fehlerindikatoren zeigen die Standardabweichung an, n ist innerhalb der Säulen abgedruckt)

Abbildung 4.7
figure 7

Mittelwertvergleich zwischen den Rollen bei Schulbullying hinsichtlich Popularität (Fehlerindikatoren zeigen die Standardabweichung an, n ist innerhalb der Säulen abgedruckt)

Abbildung 4.8
figure 8

Mittelwertvergleich zwischen den Rollen bei Cyberbullying hinsichtlich erfahrener Zuneigung (Fehlerindikatoren zeigen die Standardabweichung an, n ist innerhalb der Säulen abgedruckt)

Abbildung 4.9
figure 9

Mittelwertvergleich zwischen den Rollen bei Cyberbullying hinsichtlich erfahrener Ablehnung (Fehlerindikatoren zeigen die Standardabweichung an, n ist innerhalb der Säulen abgedruckt)

Abbildung 4.10
figure 10

Mittelwertvergleich zwischen den Rollen bei Cyberbullying hinsichtlich Popularität (Fehlerindikatoren zeigen die Standardabweichung an, n ist innerhalb der Säulen abgedruckt)

Auch die schulischen Leistungen wurden schließlich mittels linearer Mehrebenenregression (lmer-Funktion des lme4-Paketes) zwischen den im Bullying-Gefüge eingenommenen Rollen verglichen. Der Notenschnitt aus Mathematik, Deutsch und erster Fremdsprache im letzten Zeugnis diente dabei als Outcome-Variable, Geschlecht als Kontrollvariable. Die Verteidiger wurden als leistungsstärkste Gruppe als Referenzgruppe eingesetzt. Verglichen mit den Verteidigern wiesen Täter, Verstärker, Täter-Verstärker sowie Opfer bei Schulbullying schlechtere Schulleistungen (höhere Notenwerte) vor. Kein Unterschied hinsichtlich Notenschnitt zeigte sich zwischen Verteidigern und Außenstehenden bei Schulbullying. Im Kontext von Cyberbullying waren keine signifikanten Unterschiede zwischen den Rollen erkennbar. Die Ergebnisse sind in Tabelle 4.11 dargestellt, der deskriptive Vergleich in Abbildungen 4.11 und 4.12.

Tabelle 4.11 Lineare Regressionen mit Random Intercepts zur Vorhersage des Notenschnitts durch die eingenommenen Rollen bei Schul- und Cyberbullying
Abbildung 4.11
figure 11

Vergleich zwischen den Rollen bei Schulbullying hinsichtlich des Notenschnitts (Fehlerindikatoren zeigen die Standardabweichung an, n ist innerhalb der Säulen abgedruckt)

Abbildung 4.12
figure 12

Vergleich zwischen den Rollen bei Cyberbullying hinsichtlich des Notenschnitts (Fehlerindikatoren zeigen die Standardabweichung an, n ist innerhalb der Säulen abgedruckt)

4.3.9 Charakterisierung der Rollen hinsichtlich sozial-kognitiver und affektiver Reaktionen

Die bivariaten Zusammenhänge zwischen den Rollenskalen und den sozial-kognitiven und affektiven Reaktionen sind in einer Korrelationstabelle im elektronischen Zusatzmaterial (Tabelle B27) präsentiert. Angeführt sind Pearsons Korrelationskoeffizienten, obschon Kendalls Tau ein ähnliches Zusammenhangsmuster anzeigt. Grundsätzlich zeigen sich ähnliche Zusammenhänge im Kontext von Schulbullying (RoleGrid-off mit SKARBoff) wie im Kontext von Cyberbullying (RoleGrid-on mit SKARBon) und weitgehend auch über die Kontexte hinweg (RoleGrid-off mit SKARBon; RoleGrid-on mit SKARBoff). Auch die Korrelationen in Gesamtstichprobe oder innerhalb der Klassen sind nahezu identisch. Durchgängig klare Zusammenhänge zeigen sich zwischen Nennungen für die Verteidiger-Rolle mit hoher Empathie, hohem Verantwortungsgefühl und hoher Selbstwirksamkeitsüberzeugung sowie wenig Moral Disengagement. Das umgekehrte Muster zeigt sich für Täter und Verstärker, wobei die negative Korrelation zur Selbstwirksamkeitsüberzeugung nur schwach ausgeprägt und nur im Kontext von Schulbullying signifikant ist. Betrachtet man die Within-Group-Korrelationen, wird auch ein leicht negativer Zusammenhang von Täter- und Verstärker-Rolle mit Befürchtungen sichtbar. Nominierungen für die Opfer- und Außenstehenden-Rolle zeigen vorwiegend im Kontext von Schulbullying nennenswerte Korrelationen. So korreliert bei Schulbullying die Anzahl an Nennungen für die Opfer-Rolle positiv mit Empathie sowie schwach positiv mit Verantwortungsgefühl und schwach negativ mit Moral Disengagement. Teils ist auch eine positive Korrelation mit Befürchtungen erkennbar. Im Kontext von Cyberbullying wird keine dieser Korrelationen mit den Opfernennungen signifikant. Weiterhin korreliert bei Schulbullying die Anzahl an Nennungen für die Außenstehenden-Rolle negativ mit Moral Disengagement, sowie innerhalb der Klassen positiv mit Empathie und Verantwortung. Bei Cyberbullying bestehen diese Zusammenhänge nicht. Wer bei Cyberbullying als Außenstehender genannt wurde, berichtet tendenziell (p < .05) mehr Befürchtungen.

Im nächsten Schritt sollen die Rollen bei Schulbullying hinsichtlich ihrer sozial-kognitiven und affektiven Reaktionen verglichen werden. Aufgrund der relativ geringen Prävalenzen reiner Rollen wurden wie in den vorausgehenden Kapiteln Personen mit eindeutiger Rolle und Personen mit einer Außenstehenden-Zweitrolle zusammengefasst. Dies scheint vor allem sinnvoll, da die Auftretenshäufigkeit einzelner Rollen in den zur Kontrolle herangezogenen Vergleichsgruppen nach Geschlecht und Klassenstufe ansonsten extrem gering ausfiele (z. B. vier weibliche reine Verstärker, acht männliche reine Verteidiger, drei reine Verstärker und drei reine Verteidiger in der 9. Klassenstufe, siehe Tabelle B22). Für den Vergleich herangezogen werden die fünf theoretisch vorgesehenen Rollen: Opfer (zusammengefasst mit Opfer-Außenstehenden), Täter (zusammengefasst mit Täter-Außenstehenden), Verstärker (zusammengefasst mit Verstärker-Außenstehenden), Verteidiger (zusammengefasst mit Verteidiger-Außenstehenden) und reine Außenstehende. Des Weiteren wird auch die Täter-Verstärker-Doppelrolle in den Vergleich einbezogen, welche relativ häufig vertreten ist. Nicht untersucht werden hingegen Täter-Opfer sowie andere Doppelrollen aufgrund deren geringer Auftretenshäufigkeit. Auch Personen, denen keine Rolle oder mehr als zwei Rollen zugeordnet werden konnte, wurden von den Analysen ausgeschlossen, da es sich um sehr heterogene Gruppen handelt. Abbildungen 4.13, 4.14, 4.15, 4.16 und 4.17 zeigen die Skalenmittelwerte der untersuchten zusammengefassten Schulbullying-Rollen im deskriptiven Vergleich. Im Anhang finden sich ergänzend die Mittelwerte der SKARB-Skalen ausdifferenziert für alle reinen Rollen und Rollenkombinationen (Tabelle B28 im ESM). Hier finden sich des Weiteren die deskriptiven Statistiken der SKARB-Skalen nach Geschlecht und Stufe getrennt (Tabelle B29 im ESM).

Zur Prüfung von Rollenunterschieden bei Schulbullying unter Berücksichtigung der genesteten Datenstruktur sowie Kontrolle für Geschlecht und Klassenstufe wurden lineare Regressionsanalysen mit Random Intercepts in R gerechnet (lmer-Funktion des lme4-Paketes). Kriteriumsvariablen waren jeweils die Skalen des SKARBoff-Fragebogens. Als Referenzgruppe für den Rollenvergleich wurden die Verteidiger gewählt. Die Ergebnisse sind in Tabellen 4.12, 4.13, 4.14, 4.15 und 4.16 dargestellt. Werden die Rollen ohne Hinzunahme der Kontrollvariablen verglichen haben Verteidiger höhere Empathie- und Verantwortungswerte sowie niedrigere Moral-Disengagement-Werte als alle übrigen Rollen außer die Opfer. Zudem berichten Verteidiger höhere Selbstwirksamkeitserwartungen als Täter-Verstärker und Außenstehende. Bei Kontrolle für Geschlecht und Klassenstufe unterscheiden sich Verteidiger nur noch von den entgegengesetzten Extremgruppen signifikant: Verteidiger haben mehr Empathie und weniger Moral Disengagement als Täter und Täter-Verstärker sowie mehr Verantwortungsbewusstsein und mehr Selbstwirksamkeitsüberzeugung als Täter-Verstärker. Weiterhin haben Verteidiger unter Kontrolle von Geschlecht und Stufe weniger Befürchtung negativer Konsequenzen des Verteidigens als Opfer.

Abbildung 4.13
figure 13

Mittelwertvergleich zwischen den Rollen bei Schulbullying hinsichtlich Empathie im SKARBoff (Fehlerindikatoren zeigen die Standardabweichung an, n ist innerhalb der Säulen abgedruckt)

Abbildung 4.14
figure 14

Mittelwertvergleich zwischen den Rollen bei Schulbullying hinsichtlich Moral Disengagement im SKARBoff (Fehlerindikatoren zeigen die Standardabweichung an, n ist innerhalb der Säulen abgedruckt)

Abbildung 4.15
figure 15

Mittelwertvergleich zwischen den Rollen bei Schulbullying hinsichtlich Verantwortungsbewusstsein im SKARBoff (Fehlerindikatoren zeigen die Standardabweichung an, n ist innerhalb der Säulen abgedruckt)

Abbildung 4.16
figure 16

Mittelwertvergleich zwischen den Rollen bei Schulbullying hinsichtlich Selbstwirksamkeitsüberzeugung im SKARBoff (Fehlerindikatoren zeigen die Standardabweichung an, n ist innerhalb der Säulen abgedruckt)

Abbildung 4.17
figure 17

Mittelwertvergleich zwischen den Rollen bei Schulbullying hinsichtlich Befürchtungen im SKARBoff (Fehlerindikatoren zeigen die Standardabweichung an, n ist innerhalb der Säulen abgedruckt)

Ein in Grundzügen ähnliches analytisches Vorgehen wurde auch für den Rollenvergleich bei Cyberbullying eingesetzt. Wie bei Schulbullying wurden Personen mit reiner Rolle und Personen mit Außenstehenden-Zweitrolle zusammen gruppiert. Die bei Cyberbullying kaum vertretene Doppelrolle der Täter-Verstärker (10 Personen) wurde nicht mit in die Analysen einbezogen. Der deskriptive Mittelwertvergleich zwischen den verbleibenden fünf Rollen bei Cyberbullying ist wiederum in Abbildungen 4.18, 4.19, 4.20, 4.21 und 4.22 veranschaulicht.

Auch für die Rollen bei Cyberbullying wurden lineare Regressionsanalysen mit Random Intercepts in R gerechnet (lmer-Funktion des lme4-Paketes). Kriteriumsvariablen waren diesmal die Skalen des SKARBon-Fragebogens, Prädiktoren die Rollen bei Cyberbullying, Geschlecht und Klassenstufe. Aufgrund der geringen Fallzahlen wurden Klassenstufen sechs und sieben sowie acht und neun jeweils zusammengefasst. Die Ergebnisse sind ebenfalls in Tabellen 4.12, 4.13, 4.14, 4.15 und 4.16 dargestellt. Im reinen Rollenvergleich ohne Hinzunahme der Kontrollvariablen berichten Cyberverteidiger mehr Empathie, Verantwortungsbewusstsein und Selbstwirksamkeitsüberzeugung als Cyberbullies, -verstärker und -außenstehende, zudem weniger Moral Disengagement als alle anderen Rollen. Bei Hinzunahme von Geschlecht und Klassenstufe ist die Differenz zwischen Verteidigern und Bullies hinsichtlich Empathie, Verantwortungsbewusstsein und Selbstwirksamkeitserwartung signifikant und wiederum haben Verteidiger signifikant geringere Moral-Disengagement-Werte als die übrigen Rollen.

Abbildung 4.18
figure 18

Mittelwertvergleich zwischen den Rollen bei Cyberbullying hinsichtlich Empathie im SKARBon (Fehlerindikatoren zeigen die Standardabweichung an, n ist innerhalb der Säulen abgedruckt)

Abbildung 4.19
figure 19

Mittelwertvergleich zwischen den Rollen bei Cyberbullying hinsichtlich Moral Disengagement im SKARBon (Fehlerindikatoren zeigen die Standardabweichung an, n ist innerhalb der Säulen abgedruckt)

Abbildung 4.20
figure 20

Mittelwertvergleich zwischen den Rollen bei Cyberbullying hinsichtlich Verantwortungsbewusstsein im SKARBon (Fehlerindikatoren zeigen die Standardabweichung an, n ist innerhalb der Säulen abgedruckt)

Abbildung 4.21
figure 21

Mittelwertvergleich zwischen den Rollen bei Cyberbullying hinsichtlich Selbstwirksamkeitsüberzeugungen im SKARBon (Fehlerindikatoren zeigen die Standardabweichung an, n ist innerhalb der Säulen abgedruckt)

Abbildung 4.22
figure 22

Mittelwertvergleich zwischen den Rollen bei Cyberbullying hinsichtlich Befürchtungen im SKARBon (Fehlerindikatoren zeigen die Standardabweichung an, n ist innerhalb der Säulen abgedruckt)

In den Regressionsanalysen zu den sozial-kognitiven und affektiven Reaktionen auf Schul- und Cyberbullying zeigen sich nicht nur Unterschiede zwischen den Rollen, sondern auch Effekte der Kontrollvariablen Geschlecht und Klassenstufe. Geschlechtsunterschiede bestehen unabhängig von der Bullyingform – Schul- oder Cyberbullying – für vier der fünf Skalen: Mädchen berichten signifikant mehr Empathie, Verantwortungsbewusstsein und Befürchtungen, aber weniger Moral Disengagement als Jungen. Weiterhin geben sie in Bezug auf Schulbullying mehr Selbstwirksamkeitserwartungen an als Jungen. Im Vergleich zwischen den Klassenstufen berichteten Sechstklässler im Kontext von Schulbullying mehr Empathie und Verantwortungsbewusstsein, aber auch mehr Befürchtungen als alle höheren Klassenstufen, zudem mehr Selbstwirksamkeitserwartungen als Acht- und Neuntklässler. Im Kontext von Cyberbullying können keine signifikanten Unterschiede zwischen Stufen 6 und 7 versus 8 und 9 aufgedeckt werden. Zusatzanalysen mit der vollen verfügbaren Stichprobe (n = 1062–1100) – unabhängig von der aktuell eingenommenen Rolle bei Bullying – offenbaren jedoch sehr wohl Unterschiede zwischen den Klassenstufen: Ähnlich wie bei Schulbullying sind auch im Kontext von Cyberbullying Empathie, Verantwortungsbewusstsein, Selbstwirksamkeitsüberzeugungen und Befürchtungen in den höheren Klassenstufen geringer ausgeprägt. Moral Disengagement ist bei Einbezug der vollen Stichprobe sowohl in Bezug auf Schulbullying als auch in Bezug auf Cyberbullying in den höheren Klassenstufen stärker ausgeprägt.

Tabelle 4.12 Lineare Regressionen mit Random Intercepts zur Vorhersage von Empathie
Tabelle 4.13 Lineare Regressionen mit Random Intercepts zur Vorhersage von Moral Disengagement
Tabelle 4.14 Lineare Regressionen mit Random Intercepts zur Vorhersage von Verantwortungsbewusstsein
Tabelle 4.15 Lineare Regressionen mit Random Intercepts zur Vorhersage von Selbstwirksamkeitserwartungen
Tabelle 4.16 Lineare Regressionen mit Random Intercepts zur Vorhersage von Befürchtungen

Zur gezielten Kontrastierung der Bystander-Rollen unter gleichzeitiger Berücksichtigung aller Skalen des jeweiligen SKARB-Fragebogens und Kontrolle des Geschlechts wurden ergänzend logistische Regressionen mit Random Intercepts gerechnet (glmer-Funktion des lme4-Paketes, family = binomial). Dazu wurden jeweils drei Vergleichspaare betrachtet: Verteidiger versus Außenstehende (57 vs. 204 bei Schulbullying; 24 vs. 51 bei Cyberbullying), Verteidiger versus Verstärker (57 vs. 67 bei Schulbullying; 24 vs. 38 bei Cyberbullying) und Verstärker versus Außenstehende (67 vs. 204 bei Schulbullying; 38 vs. 51 bei Cyberbullying). In den meisten Analysen hat bei gemeinsamer Betrachtung der SKARB-Skalen und Kontrolle von Geschlecht keine der Skalen einen signifikant prädiktiven Wert für die eingenommene Rolle. Nur Moral Disengagement ist mit einer geringeren Wahrscheinlichkeit assoziiert Cyberverteidiger im Gegensatz zu Cyberaußenstehender zu sein (B =−3.21; SE = 1.42; p = .024; OR = 0.04; 95 % CI [0.00, 0.65]).

4.4 Diskussion

Zentrales Anliegen der Hauptstudie war es, die beiden neu entwickelten Fragebögen RoleGrid und SKARB zusammenzubringen und so das übergeordnete Ziel der vorliegenden Dissertationsschrift – eine Charakterisierung der Rollen hinsichtlich sozial-kognitiver und affektiver Reaktionen auf Bullying – zu erreichen. Dazu wurde zunächst noch einmal die faktorielle Struktur der Instrumente betrachtet, die Prävalenzraten der Rollen im Kontext von Schul- und Cyberbullying bestimmt und Zusammenhänge mit soziodemographischen wie soziometrischen Merkmalen geprüft, um die Rollen schließlich hinsichtlich Empathie, Moral Disengagement, Verantwortungsgefühl, Selbstwirksamkeitsüberzeugung und Befürchtungen zu vergleichen.

4.4.1 Beantwortung der Fragestellungen und Einordnung der Befunde

Die Befunde der Hauptstudie sollen im Folgenden eingehend dargelegt werden und die Teilfragestellungen im Einzelnen beantwortet werden.

(A) Kreuzvalidierung der faktoriellen Struktur des RoleGrid-off und Untersuchung der faktoriellen Struktur von RoleGrid-on:

Die theoretisch postulierte und in der Pilotstudie bestätigte Fünf-Faktoren-Struktur des RoleGrid erzielte in der Hauptstudie keine zufriedenstellende Modellpassung. Zwar ließen sich bei Schulbullying fünf Faktoren entsprechend der fünf postulierten Rollen erkennen, doch weisen Residualkovarianzen zwischen Bully- und Verstärker-Faktor sowie eine Kreuzladung vom Ausgrenzungs-Bully-Item auf den Verstärker-Faktor darauf hin, dass die Differenzierung zwischen diesen Rollen erschwert ist. Insbesondere ausgrenzendes Verhalten geht nicht ausschließlich mit aktivem Täter-Verhalten, sondern ebenfalls mit Bullying-begünstigendem Verhalten einher. Ohnehin ist bei Ausgrenzung vermutlich schwer zwischen aktiver Ausgrenzung und deren Befürwortung zu trennen. Weiterhin deuten Residualkovarianzen zwischen einzelnen Items ein und derselben Rolle auf Zusammenhänge hin, die nicht durch die Rolle allein erklärbar sind. Es zeichnet sich ein Muster ab, in dem physisches und materielles Bullying einerseits gegenüber relationalem und ausgrenzendem Bullying andererseits zusammengruppiert sind. Dies ist auch inhaltlich plausibel: Personen, die Gerüchte verbreiten oder andere ausgrenzen, müssen nicht zwangsläufig auch körperliche Gewalt gegen das Opfer oder sein Eigentum einsetzen – tun dies womöglich sogar seltener. Ebenso gibt es vielleicht auch bei den übrigen Rollen Subgruppen, deren ausgeübte Rolle spezifisch für bestimmte Formen von Bullying ist. Denkbar wäre beispielsweise, dass es Heranwachsende gibt, die sich gegen physische Formen von Bullying einsetzen, sich aber bei relationalen Formen heraushalten (oder umgekehrt). Das Bystander-Verhalten ist möglicherweise abhängig davon, ob physisches oder relationales Bullying vorliegt. Zu beachten ist in diesem Zusammenhang, dass physische Formen von Bullying deutlich seltener auftreten als relationale oder direkt-verbale Angriffe: Es gibt etwa doppelt so viele Personen, die drei Opfer-Nennungen für rufschädigendes, ausgrenzendes oder verbales Bullying erhalten als für physisches. Bei den Täter-Nominierungen ist das Ungleichgewicht noch stärker (siehe Tabelle B23). Dieses Muster zieht sich logischerweise auch durch die anderen Rollen, da Bystander-Verhalten für eine bestimmte Form von Bullying natürlich nur gezeigt werden kann, wenn diese Form von Bullying auch auftrat. Interessant ist, dass bei geschlechtergetrennter Analyse vor allem bei Mädchen der Modellfit schlecht ist. Gerade bei Mädchen scheint es also so, dass die Einnahme einer Rolle für eine bestimmte Bullyingform nicht zwangsläufig damit einhergeht diese Rolle auch bei anderen Formen von Bullying auszuüben.

Bei CyberbullyingCyberbullying war die Passung des Fünf-Faktoren-Modells noch geringer. Grundsätzlich war die Eignung der Daten für eine Faktorenanalyse aufgrund geringer Korrelationen zwischen den Items zweifelhaft. Dies lässt sich sicherlich auch darauf zurückführen, dass es generell wenige Nominierungen im Kontext von Cyberbullying gab. Der Großteil der Probanden erhielt für die Items zu Cyberbullying keine einzige Nominierung (70–90 % je nach Item). Dies führt zu einem weiteren Punkt, der kritisch anzumerken ist: Mit den Peer-Nominierungen liegen nicht-normalverteilte Zähldaten vor. Da es im für die Faktorenanalysen genutzten R-Paket lavaan bislang keine Link-Funktion für Zähldaten, wie beispielsweise negativ binomial, Poisson oder zero-inflated Poisson gibt, werden die Analysen den vorliegenden Daten nicht völlig gerecht, was das Auffinden der vermuteten Struktur erschwert.

Dass die Faktorenstruktur sich in den hiesigen Analysen nicht bestätigen ließ, spricht nicht grundsätzlich dagegen die Items zur Identifikation der Rollen zu nutzen. Zum einen müssten weiterführende Analysen ergründen, ob sich die Faktorenstruktur bei besserer Berücksichtigung der Dateneigenheiten klarer zeigt und ein besserer Modellfit erzielt werden kann. Bei nicht-normalverteilten Daten werden mit Maximum-Likelihood-Schätzung Modelle überproportional häufig abgelehnt, da Teststatistiken tendenziell überschätzt werden (Kline, 2011, S. 176 f.; Urban & Mayerl, 2014, S. 141), was möglicherweise trotz robuster ML-Schätzung nicht vollständig ausgeglichen werden konnte. Zum anderen basiert die Rollenzuweisung nicht auf dem Durchschnittswert über alle Formen hinweg. Es reicht, wenn auf mindestens einem der Items, das festgelegte Kriterium von drei Nennungen erreicht beziehungsweise überschritten wird. Es geht in dieser Arbeit darum, ob eine Rolle erkennbar ausgeübt wird – egal bei welcher oder bei wie vielen Arten von Bullying. Ein Verhaltensmuster muss nicht für mehrere Formen von Bullying gezeigt werden, um als Rolle zu gelten. Dies spricht dafür, dass es sich bei den Items vielmehr um formative als reflektive Indikatoren für das Konstrukt der Rollen handelt (Urban & Mayerl, 2014). Nicht die Rolle als latente Variable beeinflusst die Ausprägung auf allen Items, das heißt auf das Verhalten bei allen Bullyingformen, sondern die einzelnen Items definieren das Konstrukt der Rolle. Die Indikatoren können dabei unabhängig voneinander sein und jedes Item trägt zur Breite des Konstruktes bei. Da Messmodelle mit formativen Indikatoren jedoch statistisch unteridentifiziert sind, können sie nicht separat, sondern nur im Rahmen größerer Strukturgleichungsmodelle geschätzt werden.

Inhaltlich liefern die gerechneten Faktorenanalysen nichtsdestoweniger einen wichtigen Erkenntnisbeitrag, da bislang nicht empirisch geprüft wurde, wie konsistent das Rollenverhalten über verschiedene Formen von Bullying hinweg ist und ob das Rollenverhalten bei verschiedenen Bullyingarten auf eine latente Variable zurückzuführen ist. Fazit ist, dass die Fünf-Faktoren-Struktur das Peer-nominierte Rollenverhalten möglicherweise nicht optimal abbildet, es jedoch auch keine eindeutig bessere Lösung gibt und es wenig sinnvoll erscheint, einzelne Items zugunsten der internen Konsistenz, aber auf Kosten der Breite des Konstruktes, auszuschließen (siehe dazu auch Casper, Meter, Card & Rose, 2015).

(B) Kreuzvalidierung der faktoriellen Struktur des SKARB-Fragebogens:

Die Überprüfung der theoretisch herleitbaren und in der Pilotstudie erkennbaren Fünf-Faktoren-Struktur der SKARB-Fragebögen zeigt mit den Daten der Hauptstudie keinen exakten Modellfit. Insbesondere die inkrementellen Fit-Indizes (CFI, TLI) lassen erkennen, dass der Erklärungswert des Modells für die Daten gegenüber eines restriktiven Nullmodells nicht ausreichend ist. Dies lässt sich jedoch optimieren, indem theoretisch plausible Residualkovarianzen zwischen den Subfacetten der Konstrukte zugelassen werden. Die absoluten Fit-Indizes (RMSEA, SRMR) sprechen für eine gute Passung im Vergleich mit einem saturierten Modell. Es zeigen sich kaum Unterschiede zwischen SKARBoff und SKARBon. Insgesamt kann somit davon ausgegangen werden, dass die fünf Skalen des SKARB-Fragebogens die anvisierten Reaktionen auf Bullying angemessen abbilden, wenngleich sie keine homogenen Konstrukte messen.

(C) Bestimmung der Prävalenzraten und Vergleich der Kontexte:

Die Bestimmung der Prävalenz der Rollen erfolgte auf Basis der Peer-Nominierungen anhand eines absoluten Kriteriums von mindestens drei Nennungen für mindestens eine Form von Bullying. Betrachtet man ausschließlich die „reinen“ Rollen, das heißt Personen, die das Kriterium nur für eine einzige Rolle erfüllen, liegen die Prävalenzen für Schulbullying deutlich unter jenen, die in Metaanalysen oder groß angelegten Studien berichtet werden (siehe Abschnitt 1.3.2). Anzumerken ist in diesem Zusammenhang, dass mittels RoleGrid gewissermaßen eine Punktprävalenz abgefragt wird: Es wird danach gefragt, ob es aktuell jemanden in der Klasse gibt, der schikaniert wird. In vielen anderen Studien hingegen werden Zeiträume von mehreren Wochen bis zu einem Jahr abgefragt oder der Zeitraum nicht näher spezifiziert (Cook, Williams, Guerra & Kim, 2010). Mit 4 % Opfern und 9 % Tätern befinden sich die Häufigkeiten zudem durchaus in einem Bereich, der in Studien gefunden wurde, bei denen – wie in dieser Studie – auf eine genauere Umsetzung der Definitionskriterien bei der Erfassung von Bullying geachtet wurde. So wurden in der deutschen Stichprobe der aktuellsten HBSC-Studie aus dem Erhebungsjahr 2018 8 % Opfer und 4 % Täter identifiziert (Fischer, John, Melzer et al., 2020). Dass das Verhältnis von Opfern zu Tätern hier umgekehrt scheint, ist vermutlich darauf zurückzuführen, dass es sich um Selbstberichtdaten handelt, bei denen Selbstdarstellungstendenzen wahrscheinlich zu einer Unterschätzung der Täterzahlen führen, andererseits jedoch auch Opfer verdeckter Schikanen identifiziert werden können. Die gefundenen 20 % Außenstehende entsprechen der bisherigen Befundlage (siehe Abschnitt 1.3.5). Die relative Anzahl der aktiven Bystander-Rollen, die mittels RoleGrid identifiziert werden konnten, ist hingegen mit je rund 2.5 % Verstärkern und Verteidigern deutlich geringer als in vorausgehenden Studien, was nicht allein auf das relativ strenge Zuordnungskriterium zurückgeführt werden kann. In der Pilotstudie konnten mit demselben Kriterium immerhin 4 % Verstärker und knapp 8 % Verteidiger identifiziert werden. Auch mit einem ähnlich strengen Kriterium bei Olthof et al. (2011) konnten 6 % Verstärker und 18 % Verteidiger ausgemacht werden. Knauf et al. (2017) identifizierten mit einem noch strengeren Kriterium von mindestens sechs Nennungen mittels PRQ 20 % Pro-Bullying-Akteure (incl. Täter, Assistenten, Verstärker) und 11 % Verteidiger.

Mögliche Ursachen für die geringe Verstärker- und Verteidigerzahl in der aktuellen Studie können in der Art der Erfassung liegen: Im RoleGrid wird explizit danach gefragt, wie sich ein Schüler oder eine Schülerin üblicherweise verhält, was dem Konzept der Rolle entspricht. Dies könnte zu zurückhaltenderen Nominierungen führen, als wenn gefragt würde, ob jemand überhaupt ein bestimmtes Verhalten zeigt. In einer groß angelegten Studie von Waasdorp (2018) wurden 65 % der Heranwachsenden einer latenten Klasse zugeordnet, für die keine der abgefragten Bystander-Verhaltensweisen typisch ist. Dies entspricht in der vorliegenden Arbeit der Gruppe derer, die für keine Rolle das Kriterium von mindestens drei Nennungen erfüllen (35 % bei Schulbullying, 84 % bei Cyberbullying). Weiterhin wurden die Rollen separat für die verschiedenen Bullyingformen abgefragt. Es ist also denkbar, dass eine Person bei unterschiedlichen Bullyingformen (bei denen ja auch unterschiedliche Opfer betroffen sein können) unterschiedliche Rollen einnimmt. Dies schlägt sich in einer hohen Rate an Personen mit zwei oder mehr Rollen nieder (ca. 28 %). Häufigste Zweitrolle ist dabei die des Außenstehenden (ca. 12 %). Es ist durchaus plausibel, dass Personen, die bei einer Art von Bullying ein aktives Rollenverhalten zeigen, sich in anderen Situationen heraushalten. Fasst man diejenigen mit reiner Rolle und diejenigen mit Außenstehenden-Zweitrolle zusammen, kommt man auf 6 % Opfer, 13 % Täter, 6 % Verstärker und 5 % Verteidiger. Hinzu kommen 6 %, die eine Täter-Verstärker-Doppelrolle haben. Die Verstärker- und Verteidigerzahl ist im Vergleich zu bisherigen Studien nach wie vor gering, während die Anzahl an Opfern und aktiv am Bullying Beteiligten zwar ebenfalls recht niedrig, aber im Bereich voriger Studien liegt.

Bei Cyberbullying gab es weniger Doppelrollen und es macht kaum einen Unterschied, ob die Außenstehenden-Zweitrolle zusammengefasst oder separat betrachtet wurde: Es gab 1.7 % Opfer (1.6 % reine), 2.3 % Täter (2.2 % reine), 2.9 % Verstärker (2.3 % reine), 1.6 % Verteidiger (1.6 % reine) und 5.6 % Außenstehende. Diese Zahlen liegen unter den meisten bisher berichteten Prävalenzen zu Cyberbullying. Dies liegt vermutlich daran, dass nur ein Teilbereich des Cyberbullying – nämlich das Cyberbullying innerhalb der Klassengemeinschaft – abgefragt und die Methode der Peer-Nominierung verwendet wurde. Cyberbullying-Vorfälle, die sich außerhalb der Klassengemeinschaft oder für die Klassengemeinschaft verdeckt abspielen, wurden somit nicht erfasst. Andererseits wurden auch im Rahmen der neusten HBSC-Studie in Deutschland 1.3 % Opfer von Cyberbullying und 2.0 % Cyberbullies identifiziert (Fischer, 2020). In Hinblick auf die geringen Verteidiger-Zahlen könnte es sein, dass Interventionen im Cyberspace eher indirekt oder verdeckt ablaufen, wenn die entsprechenden Möglichkeiten online gegeben sind (z. B. Inhalte zu melden oder Personen einzeln anzuschreiben), weil dies weniger Aufwand kostet sowie weniger Kompetenzen und soziale Stellung benötigt (vgl. Kazerooni et al., 2018). Auch kann es sein, dass Ereignisse – schikanierendes wie auch verstärkendes oder prosoziales Verhalten im Cyberspace – zwar beobachtet werden, nicht aber konkreten Personen zugeordnet werden konnten. Es ist dementsprechend zu vermuten, dass die tatsächlichen Zahlen höher ausfallen. Möglich wäre allerdings auch, dass das Verhalten im Cyberspace nicht so konsistent ist oder nicht so konsistent wahrgenommen wird, weshalb die Benennung für eine der Rollen schwerfällt und Personen mit klarer Rolle wirklich seltener sind. Die Befunde zeigen nichtsdestoweniger, dass Bullying im Klassenverband nicht ausschließlich auf dem Schulgelände stattfindet. Ein nicht zu vernachlässigender Anteil von Bullying in der Klassengemeinschaft findet (auch) im Cyberspace statt. In 65 Klassen gibt es immerhin 25 Heranwachsende, die mittels digitaler Medien schikaniert werden – und zwar auf eine Art und Weise, dass es die übrigen Klassenmitglieder mitbekommen.

Auf Klassenebene zeichnet sich in knapp 90 % der Klassen eine Bullying-Dynamik für Schulbullying ab und in knapp 40 % der Klassen eine Bullying-Dynamik für Cyberbullying. Entsprechend der Annahmen des Participant-Role-Ansatzes (Salmivalli et al., 1996) konnten in Hinblick auf Schulbullying in Klassen mit Opfern bis auf eine Ausnahme immer auch weitere Rollen identifiziert werden. Dass es eine Klasse mit Opfer, aber keinen weiteren Rollen gab, könnte daran liegen, dass die Täter nicht aus dem Klassenkontext stammen. Die Möglichkeit dies im Fragebogen anzugeben, wurde von den Befragten selten genutzt, vermutlich weil das Peer-Nominierungsverfahren mit Codenummern an sich schon kognitiv beanspruchend war. Alternativ könnte es sein, dass die Täter so subtil agieren, dass nicht klar ist, wo beispielsweise Gerüchte herkommen, und dass sich die übrigen Klassenmitglieder nicht klar dazu positionieren. Dass Täter- oder Bystander-Rollen auftraten, obwohl kein Opfer erkennbar war, war ebenfalls selten (in zwei Klassen) und ist möglicherweise mit dem Entwicklungsstadium des Bullying-Gefüges erklärbar. So kommt es in der Explorationsphase (siehe Abschnitt 1.2.1) zu gestreuten Angriffen durch die Täter – die Bully-Rolle zeichnet sich also bereits ab und eventuell positionieren sich auch weitere Klassenmitglieder als Verstärker, Verteidiger oder Außenstehende dazu, ohne dass das Opfer schon klar feststeht. Bei Cyberbullying gibt es häufiger Klassen, in denen zwar Opfer, aber keine weiteren Rollen auffielen (fünf Klassen), oder in denen keine Opfer, wohl aber andere Rollen erkennbar waren (neun Klassen). Dies deutet darauf hin, dass sich die Verhaltensmuster im Cyberkontext weniger klar abzeichnen – entweder, weil sich die Personen weniger deutlich positionieren oder weil es im Cyberspace schlechter erkennbar ist.

Die Auftretenshäufigkeit der verschiedenen Erscheinungsformen von Schulbullying entspricht mit Blick auf die Viktimisierung der Erwartung, dass direkt-verbales Bullying am häufigsten auftritt, gefolgt von relationalen Bullyingformen und am seltensten physische Angriffe auf Personen oder deren Eigentum. Die meisten Täter gibt es hingegen bei ausgrenzendem Bullying, was wiederum die Frage nach der Differenzierbarkeit von aktiv-initiierendem Ausgrenzen und dessen Verstärkung aufwirft. Verstärker sind bei verbalem Bullying am häufigsten und bei ausgrenzendem Bullying am zweithäufigsten. Verteidiger gibt es vor allem bei direkten Formen von Bullying (physisch und verbal). Bei Cyberbullying scheinen mit Blick auf Opfer und Täter direkt-verbale und ausgrenzende Aktionen ähnlich häufig aufzutreten. Dies ist anders als in bisherigen Studien, in denen ausgrenzendes Bullying vergleichsweise selten war, und mag daran liegen, dass sich die Befragung auf den Klassenkontext bezog und hier die Ausgrenzung auch mit digitalen Mitteln geläufiger ist als bei Cyberbullying ohne diesen expliziten Gruppenbezug. Rein digitale Gruppen können leichter verlassen oder gewechselt werden als eine Schulklasse, die soziale Medien als erweiterndes Umfeld nutzt. Ausgrenzung ist bei stark durchlässigen rein-digitalen Gruppen weniger gut möglich als in digitalen Gruppen, zu denen es ein nicht-digitales Pendant gibt, welches nicht leicht ersetzbar ist (z. B. Klassengruppe bei einem Instant Messenger oder Klassenforum). Verteidiger treten hauptsächlich bei direkt-verbalem Cyberbullying in Erscheinung. Eine offene Positionierung gegen Bullying findet also bei Schul- wie bei Cyberbullying vor allem bei direkten Angriffen auf die Person oder auch bei Eigentumsverletzungen statt. Seltener sichtbar eingegriffen wird bei Schikanen, die einen weniger klaren Regelverstoß darstellen, die subtiler erfolgen, auch von Lehrkräften möglicherweise weniger wahrgenommen und weniger geahndet werden und die leichter zu verharmlosen oder zu rechtfertigen sind. Insgesamt wird deutlich, dass die Häufigkeit der Bystander-Rollen nicht gleichmäßig von der Opferzahl abhängt – vielmehr scheint die Verteilung der Rollen abhängig von der Bullyingform.

Was die Überlappung von Schul- und Cyberbullying anbelangt sind in Einklang mit der Forschung (siehe Abschnitt 1.3.7) etwa die Hälfte der Cyberopfer auch Opfer von Schulbullying und 77 % der Cyberbullies auch Täter oder Täter-Verstärker bei Schulbullying. Umgekehrt werden nur 14 % der Opfer von Schulbullying auch online schikaniert und nur 8 % der Schulbullying-Täter schikanieren zusätzlich online. Von denen, die bei Schulbullying eine Täter-Verstärker-Doppelrolle haben, sind 30 % auch bei Cyberbullying Täter, Verstärker oder Täter-Verstärker. Diese Übereinstimmungswerte gleichen jenen, die in Studien mit Selbstberichtsdaten ermittelt wurden. Neu sind die Befunde zu den Bystander-Rollen. Auch hier lassen sich gewisse Überlappungen erkennen. Von den Verstärkern bei Cyberbullying haben zwar die wenigsten eine klare Verstärker-Rolle bei Schulbullying, doch nimmt ein Viertel bei Schulbullying die Täter-Verstärker-Doppelrolle ein. Etwa die Hälfte der Online-Verstärker hat im Kontext von Schulbullying keine klare Rolle. Umgekehrt sind Schulbullying-Verstärker im Online-Kontext – sofern sie hier überhaupt eine Rolle haben – am ehesten Außenstehende. Die Hälfte der Online-Verteidiger verteidigt auch bei Schulbullying und die Offline-Verteidiger sind zu 88 % auch online Verteidiger, sofern sie im Online-Kontext überhaupt eine Rolle haben. Ein ähnliches Muster zeigt sich bei Außenstehenden. Prosoziale und passive Verhaltensmuster scheinen also recht stabil über die Kontexte, während die Verstärker-Rolle weniger konsistent erscheint und eine stärkere Durchlässigkeit zu anderen Rollen deutlich wird (stärker passiv bei Cyberbullying, stärker aktiv-schikanierend bei Schulbullying). Interessant ist wieder die Auswertung auf Klassenebene: Es gibt keine einzige Klasse, in der eine reine Cyberbullying-Problematik vorliegt. In allen Klassen, in denen Cyberbullying erkennbar ist, tritt auch Schulbullying auf.

(D) Charakterisierung der Rollen hinsichtlich soziodemographischer und soziometrischer Merkmale:

Aufbauend auf die Bestimmung der Rollen und deren Prävalenzen war die Analyse von Geschlechtsunterschieden, Unterschieden zwischen den Klassenstufen sowie Zusammenhängen mit soziometrischen Variablen und der Schulleistung das Ziel. Bei den Opfern von Schulbullying ist das Geschlechterverhältnis relativ ausgewogen, es gab keinen signifikanten Unterschied. Dies entspricht nicht den Befunden groß angelegter Studien und Metaanalysen (Cook, Williams, Guerra & Kim, 2010; Inchley et al., 2016; OECD, 2019), in denen männliche Opfer überwiegen, wohl aber anderen Peer-Nominierungsstudien (Espelage et al., 2003; Herrmann, 2010; Knauf et al., 2017; Schäfer & Korn, 2004a) und auch den Befunden der Pilotstudie zum RoleGrid. Deskriptiv ist der Opferanteil in Stufe 7 am höchsten, doch gibt es keinen signifikanten Effekt der Klassenstufe auf die Wahrscheinlichkeit Opfer gegenüber Außenstehendem zu sein. Von den soziometrischen Variablen erhöht insbesondere hohe Ablehnung, aber auch geringe Zuneigung das Risiko Opfer gegenüber Außenstehendem zu sein. Dies passt zur bisherigen Forschungslage (z. B. Knauf et al., 2017; Pouwels et al., 2016). Dass kein signifikanter Zusammenhang mit (geringer) Popularität gefunden wurde, mag daran liegen, dass auch die Vergleichsgruppe der Außenstehenden relativ geringe Popularitätswerte erzielt. Deskriptiv liegen die durchschnittlichen Popularitätsnennungen für Opfer nahe null. Interessanterweise erhöht bei Berücksichtigung der soziometrischen Variablen das weibliche Geschlecht das Viktimisierungsrisiko. Die Opfer-Rolle geht erwartungsgemäß mit schlechter schulischer Leistung einher – dieser Effekt wird im Vergleich mit den leistungsstarken Verteidigern signifikant.

Auch bei den Opfern von Cyberbullying ist das Geschlechterverhältnis ausgewogen. Den deskriptiv höchsten Opferanteil gibt es in Stufe 9, doch ist interessanterweise der Opferanteil in einer Klassenstufe darunter am geringsten. Hohe erfahrene Ablehnung erhöht auch bei Cyberbullying das Risiko Opfer gegenüber Außenstehendem zu sein. Eine erhaltene Ablehnungsnennung mehr verdoppelt die Odds Opfer statt Außenstehender zu sein. Im Gegensatz zu Schulbullying zeigt sich kein signifikanter Zusammenhang mit Zuneigung. Auch unterscheiden sich Opfer von Cyberbullying nicht hinsichtlich ihres Notenschnitts von Cyberverteidigern.

Erstaunlicherweise zeigt sich bei den Tätern von Schulbullying nicht die übliche Ungleichverteilung hinsichtlich des Geschlechts. Nur bei den Täter-Verstärkern nehmen Jungen mit 90 % deutlich überhand. Das Verhältnis von Tätern zu Außenstehenden ist in Stufen 7 und 8 signifikant geringer als in Stufe 6, was zum Teil aber auch auf höhere Zahlen an Außenstehenden zurückzuführen ist. Weiterhin muss berücksichtigt werden, dass zu den Tätern auch die Täter-Verstärker hinzugezählt werden können. Obgleich der Täteranteil in Stufe 8 mit 11 % am geringsten ausfällt, kommen hier nochmals ebenso viele Täter-Verstärker hinzu. Nimmt man Täter und Täter-Verstärker als aktiv an Bullying beteiligte Akteure zusammen, schwankt deren Anteil zwischen 16 % (Stufe 7) und 23 % (Stufe 9). Es lässt sich kein klarer ansteigender, absteigender oder quadratischer Trend erkennen. Wiederum in Einklang mit der Forschungslage ist die Täter-Rolle mit hoher Popularität, aber auch Ablehnung assoziiert. Täter und ebenso Täter-Verstärker erzielen auch unter Kontrolle von Geschlecht schlechtere Schulleistungen als Verteidiger.

Für Täter bei Cyberbullying zeigt sich, dass diese im Einklang mit metaanalytischen Befunden (S. Guo, 2016) eher männlich sind. Auch von den 10 Täter-Verstärkern bei Cyberbullying sind neun männlich. Zwar ist die Forschungslage durchaus heterogen und es gibt auch Auffassungen, nach denen Mädchen sich häufiger Cyberbullying bedienen, weil dies für sie ein einfacher und sicherer (anonymer) Weg sei Beziehungen zu manipulieren (Snell & Englander, 2010). Generell war relationales Cyberbullying in dieser Studie jedoch selten und von den identifizierten sieben relationalen Cyberbullies sind alle männlich. In diesem Zusammenhang kritisch anzumerken ist natürlich, dass Mädchen möglicherweise subtiler agieren und daher in Peer-Nominierungsstudien seltener als Täter benannt werden können. Über die Klassenstufen hinweg nimmt der Prozentsatz an Tätern von unter 1 % auf über 4 % zu. Wie bei Schulbullying ist die Täter-Rolle bei Cyberbullying mit Popularität, aber auch Ablehnung assoziiert. Cybertäter unterscheiden sich hinsichtlich ihrer akademischen Leistung nicht von Cyberverteidigern.

Die Verstärker bei Schulbullying sind erwartungsgemäß eher männlich. Den deskriptiv höchsten Anteil an Verstärkern findet man in Stufe 8, doch ist hier auch der Anteil an Außenstehenden am höchsten, sodass der Effekt nicht signifikant wird. Zusammen betrachtet ist der Anteil aller Pro-Bullying-Rollen in Stufen 8 und 9 mit jeweils 30 % am höchsten, verglichen mit 25 % in Stufe 6 und 20 % in Stufe 7. Wie die Täter-Rolle ist auch die Verstärker-Rolle mit Popularität und Ablehnung assoziiert und wie die Täter erzielen auch die Verstärker schlechtere Schulleistungen als die Verteidiger.

Bei den Verstärkern von Cyberbullying sind hingegen die Geschlechter etwa gleichmäßig vertreten. Der Prozentsatz an Verstärkern nimmt über die Klassenstufen von unter 1 % auf über 9 % zu. In Abgrenzung zu den Außenstehenden konnte kein signifikanter Effekt für die soziometrischen Variablen entdeckt werden. Auch unterscheidet sich der Notenschnitt der Cyberverstärker nicht signifikant von dem der Cyberverteidiger.

Von den VerteidigernVerteidigern bei Schulbullying ist wie erwartet die deutliche Mehrheit (84 %) weiblich. Das Verhältnis von Verteidigern zu Außenstehenden ist in Stufen 8 und 9 signifikant geringer als in Stufe 6. Während in Stufe 6 noch 6 % Verteidiger 10 % Außenstehenden gegenüberstehen, sind es in Stufen 8 und 9 nur noch unter 3 % Verteidiger gegenüber rund 25 % Außenstehenden. Dies passt zum Forschungsstand, dass Verteidiger eher jünger sind beziehungsweise in den höheren Klassenstufen seltener in Erscheinung treten (vgl. Abschnitt 1.5.4). In Stufe 7, wo es verglichen mit den anderen Stufen den höchsten Opferanteil und den geringsten Anteil an Pro-Bullying-Akteuren gibt, ist die Verteidigerzahl interessanterweise am höchsten. Von den soziometrischen Variablen ist es die erhaltene Zuneigung, die die Odds Verteidiger gegenüber Außenstehendem zu sein erhöht. Die Verteidiger erbringen des Weiteren bessere Schulleistungen als alle übrigen Rollen bis auf die Außenstehenden. Dies steht im Einklang mit den Befunden von Knauf et al. (2017) und bestätigt zudem, dass entsprechende Befunde zu prosozialem Verhalten im Allgemeinen (Caprara et al., 2000; Q. Guo et al., 2018) auch für den Sonderfall von Hilfeverhalten bei Schulbullying gelten.

Die VerteidigerVerteidiger bei Cyberbullying sind ebenfalls eher weiblich (zu 77 %). Wie bei Schulbullying zeigt sich deskriptiv der höchste Verteidigeranteil in Klassenstufe 7. In Stufe 9 kann hingegen kein einziger Cyberverteidiger identifiziert werden. Für die Verteidiger-Rolle im Kontext von Cyberbullying wurden keine Zusammenhänge mit soziometrischen Variablen und Notenschnitt gefunden.

Unter den Außenstehenden bei Schulbullying ist das Geschlechterverhältnis in etwa ausgeglichen. Über die Klassenstufen hinweg entwickelt sich der Anteil an Außenstehenden von 10 % in Stufe 6 über 20 % in Stufe 7 zu rund 25 % in Stufen 8 und 9. Informativ ist neben diesen deskriptiven Befunden, dass sich das Verhältnis von Außenstehenden zu Opfern über die Klassenstufen nicht signifikant verändert, wohl aber werden es verhältnismäßig mehr Außenstehende als Verteidiger. Außenstehende zeichnen sich durch weniger erfahrene Ablehnung als Opfer, Täter und Verstärker aus, durch weniger erhaltene Zuneigung als Verteidiger und durch weniger Popularität als Täter und Verstärker. Dieses Muster passt zu dem soziometrischen Bild, das die bisherige Forschung von Außenstehenden zeichnet. Auch der Befund, dass Außenstehende als einzige Rolle ähnlich gute Noten erbringen wie Verteidiger, gleicht der einzigen bekannten Studie zu den schulischen Leistungen der Participant Roles (Knauf et al., 2017).

Jungen und Mädchen sind auch unter den Außenstehenden von Cyberbullying etwa gleich oft vertreten. Der Anteil von Außenstehenden steigt von unter 2 % in Stufe 6 auf fast 10 % in Stufe 8, geht jedoch in Stufe 9 noch einmal auf knapp 7 % zurück. Im Vergleich zu Opfern und Tätern werden Außenstehende bei Cyberbullying weniger abgelehnt und sind weniger populär als Täter. Cyberaußenstehende unterscheiden sich in ihrer akademischen Leistung nicht von Cyberverteidigern.

Die Befunde der Hauptstudie können mit Augenmerk auf den untersuchten Variablen wie folgt zusammengefasst werden: Das Geschlechterverhältnis ist unabhängig von der Bullyingform bei Opfern und Außenstehenden etwa ausgeglichen, bei den Pro-Bullying-Rollen in Richtung Jungen und bei der Verteidiger-Rolle in Richtung der Mädchen verschoben. Im Stufenvergleich zeichnet sich kein einheitlicher Trend ab. Bei Schulbullying ist der Opferanteil deskriptiv in Stufe 7 am höchsten, der Anteil an Pro-Bullying-Rollen in dieser Stufe jedoch am geringsten und der Anteil an Verteidigern wiederum am höchsten. Weder für die einzelnen Rollen noch in der Zusammenschau lässt sich ein über alle Stufen ein ansteigender oder abfallender Trend erkennen. Allein der Anteil an Außenstehenden steigt bis Stufe 8 an und hält dann das Niveau. Deutlich zeigt sich auch, dass Verteidiger in den beiden höheren Klassenstufen seltener sind (signifikanter Effekt mit Außenstehenden als Referenzgruppe). Zusammengefasst sind weiterhin die Pro-Bullying-Rollen in den beiden oberen Klassenstufen deskriptiv häufiger vertreten. Bei Cyberbullying ist es so, dass der Anteil an Tätern und Verstärkern über die Klassenstufen hinweg stetig steigt, sich bei den Opfern hingegen kein ansteigender oder abfallender Trend erkennen lässt, obgleich der Opferanteil in Stufe 9 am höchsten ist. Die Verteidigerquote ist in Stufe 7 am höchsten, die Außenstehendenquote in Stufe 8. Hinsichtlich des soziometrischen Status zeichnen sich Opfer insbesondere dadurch aus, dass sie von vielen Klassenkameraden abgelehnt werden. Opfer von Schulbullying haben zudem wenig Zuneigungsnominierungen. Täter werden – unabhängig von der Bullyingform – als sehr populär wahrgenommen, aber auch von vielen abgelehnt. Dasselbe Muster zeigt sich für die Verstärker von Schulbullying. Die Verteidiger bei Schulbullying erhalten viele Zuneigungsnominierungen. Keine Zusammenhänge mit soziometrischen Variablen zeigen sich bei multivariater Analyse für Cyberverstärker und Cyberverteidiger. Leistungsunterschiede sind nur zwischen den Rollen von Schulbullying zu erkennen: Verteidiger übertreffen mit ihrem Notenschnitt alle übrigen Rollen bis auf die Außenstehenden. Weitgehend zeigen sich also die erwarteten Zusammenhänge und Unterschiede und die Befunde ähneln sich für Schul- und Cyberbullying. Teils werden Effekte nur im Kontext von Schulbullying signifikant, was jedoch auch durch die geringere Stichprobengröße bei Cyberbullying mitbedingt sein kann. Bei der Interpretation der Befunde zu den Cyberbullying-Rollen muss zudem berücksichtigt werden, dass die signifikanten Ergebnisse teils auch auf die eingenommene Rolle im Kontext von Schulbullying zurückgehen könnten, da es hohe Überlappungen der Rollen zwischen Schul- und Cyberbullying gab.

(E) Charakterisierung der Rollen hinsichtlich sozial-kognitiver und affektiver Reaktionen auf Bullying:

Finale Zielsetzung der Hauptstudie war schließlich eine Charakterisierung der Rollen hinsichtlich Empathie, Moral Disengagement, Verantwortungsgefühl, Verteidiger-Selbstwirksamkeit und Befürchtungen im Kontext von Schul- oder Cyberbullying. Für Schulbullying zeigen sich konsistent – sowohl mit Rohwerten als auch klassenweise zentrierten Werten, sowohl mit Pearsons als auch Kendalls Koeffizient – bivariate Korrelationen von Täter-, Verstärker- und Verteidiger-Nominierungen mit Empathie-, Moral-Disengagement- und Verantwortungswerten. Diese gehen alle in die erwartete Richtung. Schwache Zusammenhänge zeigen sich weiterhin zwischen Selbstwirksamkeitserwartung und Verstärker-Nominierungen (negativ) und Verteidiger-Nominierungen (positiv) sowie zwischen Moral Disengagement und Außenstehenden-Nominierungen (negativ). Die bivariaten Korrelationen für Cyberbullying fallen grundsätzlich geringer aus. Konsistente Zusammenhänge zeigen sich vor allem für die Täterschaft (wenig Empathie und Verantwortungsübernahme, viel Moral Disengagement) und das Verteidigen (viel Empathie und Selbstwirksamkeitsüberzeugung, wenig Moral Disengagement). Dass die genannten Korrelationen sowohl innerhalb der Gesamtstichprobe als auch innerhalb der Klassen (Within-Group-Korrelationen) nachweisbar sind, spricht dafür, dass sie nicht auf Unterschiede zwischen den Klassen zurückgehen. Als Vergleichsgruppe für die multivariaten Analysen wurden jeweils die Verteidiger gewählt, welche alle Stufen des Bystander-Intervention-Modells durchlaufen und sich dementsprechend von den übrigen Rollen durch viel Empathie, wenig Moral Disengagement, viel Verantwortungsgefühl, hoher Selbstwirksamkeitsüberzeugung und geringe Befürchtungen abheben sollten.

Die Opfer von Schul- oder Cyberbullying unterscheiden sich kaum von den Verteidigern. Opfer sind ähnlich empathisch und verantwortungsbewusst wie Verteidiger und haben interessanterweise auch ähnlich stark ausgeprägte Selbstwirksamkeitsüberzeugungen und Befürchtungen. Nur bei Kontrolle von Geschlecht und Stufe zeigen Opfer von Schulbullying signifikant mehr Befürchtungen als Verteidiger. Opfer von Cyberbullying berichten zudem mehr Moral Disengagement als Cyberverteidiger. Diese Befunde tragen somit zu einer recht dünnen Forschungslage zu den sozial-kognitiven und affektiven Reaktionen der Opfer bei und decken auf, dass Opfer den Verteidigern in dieser Hinsicht recht ähnlich scheinen.

Die Täter bei Schul- und Cyberbullying sind weniger empathisch, weniger verantwortungsbewusst und mehr moralisch losgelöst als Verteidiger. Gleiches gilt für die Täter-Verstärker bei Schulbullying. Bei Kontrolle von Geschlecht und Stufe wird bei Schulbullying allerdings nur die Täter-Verteidiger-Differenz für Empathie signifikant, während sich bei Moral Disengagement und Verantwortungsgefühl nur die Täter-Verstärker und Verteidiger signifikant voneinander unterscheiden. Cybertäter haben auch bei Kontrolle von Geschlecht und Stufe weniger Empathie und Verantwortungsgefühl sowie mehr Moral Disengagement als Verteidiger. Die Täter-Verstärker bei Schulbullying sowie die Täter bei Cyberbullying erleben sich zudem als weniger selbstwirksam, etwas gegen das Bullying unternehmen zu können, als die Verteidiger. Täter und Täter-Verstärker unterscheiden sich nicht von Verteidigern hinsichtlich ihrer Befürchtung negativer Konsequenzen. Die Ergebnisse stehen in Einklang mit der Befundlage zu Empathiemangel und Moral Disengagement und stärken die dünne Befundlage zum schwach ausgeprägten Verantwortungsgefühl von Tätern. Darüber hinaus liefern sie neue Erkenntnisse zu deren Selbstwirksamkeitserwartungen: Aktiv am Bullying Beteiligte scheinen sich selbst nicht dazu in der Lage zu sehen, etwas gegen die Schikanen zu tun.

Für die Verstärker bei Schul- und Cyberbullying zeigt sich ein ähnliches Muster wie für die Täter. Auch sie sind weniger empathisch, weniger verantwortungsbewusst und mehr moralisch losgelöst als Verteidiger. Allerdings bleibt bei Kontrolle von Geschlecht und Stufe nur der Effekt von Moral Disengagement bei Cyberbullying signifikant, bei Schulbullying bleibt kein Effekt signifikant. Cyberverstärker erleben sich zudem als weniger selbstwirksam als Cyberverteidiger, wenn Geschlecht und Stufe nicht als Kontrollvariable aufgenommen wird. Weder im Schul- noch im Cyberkontext unterscheiden sich Verstärker hinsichtlich ihrer Befürchtungen von Verteidigern. Bei gleichzeitiger Berücksichtigung aller Skalen sowie Kontrolle von Geschlecht ist keine der sozial-kognitiven und affektiven Variablen prädiktiv für die Differenzierung zwischen Verstärkern und Verteidigern oder zwischen Verstärkern und Außenstehenden. Grundsätzlich gehen die Befunde also in Richtung der bisherigen Forschungslage und der Annahmen des erweiterten Bystander-Intervention-Modells, werden jedoch bei Berücksichtigung von Kontrollvariablen und bei gleichzeitiger Betrachtung nicht signifikant.

Die Verteidiger bei Schul- und Cyberbullying sind empathischer, verantwortungsbewusster und weniger moralisch losgelöst als alle übrigen Rollen. Weiterhin berichten Verteidiger bei Schulbullying eine höhere Selbstwirksamkeitserwartung als Außenstehende und Täter-Verstärker, Verteidiger bei Cyberbullying eine höhere Selbstwirksamkeitserwartung als alle übrigen Rollen außer die Opfer. Bei Kontrolle von Geschlecht und Stufe bleiben oftmals jedoch nur die Kontraste zu der entgegengesetzten Extremgruppe der Täter beziehungsweise der Täter-Verstärker signifikant, nicht aber jene zu den anderen Bystander-Rollen. Verteidiger unterscheiden sich nicht hinsichtlich ihrer Befürchtungen von den anderen Rollen. Werden Außenstehende und Verteidiger unter Einbezug aller Skalen sowie Geschlecht kontrastiert, wird einzig Moral Disengagement im Kontext von Cyberbullying signifikant: Mehr Moral Disengagement verringert die Odds Verteidiger statt Außenstehender zu sein. Wiederum stehen die Befunde in Einklang mit bisheriger Forschungslage und aus dem Bystander-Intervention-Modell hergeleiteten Modell, doch sind die Unterschiede zu den übrigen Bystander-Rollen bei Berücksichtigung der Kontrollvariablen nicht signifikant und bei gleichzeitiger Analyse scheint vor allem Moral Disengagement relevant.

Außenstehende bei Schul- und Cyberbullying sind im Vergleich zu den Verteidigern weniger empathisch, weniger verantwortungsbewusst, weniger selbstwirksam und mehr moralisch disengaged. Diese Unterschiede werden jedoch – mit Ausnahme von Moral Disengagement bei Cyberbullying – bei Kontrolle von Geschlecht und Stufe nicht signifikant. Dies steht auch in Einklang mit dem Befund, dass bei gleichzeitiger Berücksichtigung aller Skalen und Kontrolle von Geschlecht nur Moral Disengagement prädiktiv für die Differenzierung zwischen Außenstehenden und Verteidigern ist.

Die Befunde gehen im Großen und Ganzen in Richtung der Erwartungen, allerdings zeigen sich oftmals keine signifikanten Unterschiede mehr, wenn für Geschlecht und Stufe kontrolliert wird. Mädchen berichten mehr Empathie, mehr Verantwortungsbewusstsein – im Kontext von Schulbullying auch mehr Selbstwirksamkeitserwartungen – und weniger Moral Disengagement, sind häufiger in der Verteidiger-Rolle und seltener in Pro-Bullying-Rollen vertreten. Über die Klassenstufen hinweg scheinen Empathie, Verantwortungsbewusstsein und Selbstwirksamkeitserwartungen, aber auch Befürchtungen abzunehmen, während Moral Disengagement in höheren Klassenstufen höher ausfällt. Dazu passend die grobe Tendenz, dass in den beiden höheren Klassenstufen Pro-Bullying-Rollen sowie Außenstehende häufiger, Verteidiger hingegen seltener vertreten sind. Effekte der sozial-kognitiven und affektiven Variablen werden offenbar durch stärkere Geschlechts- und Stufeneffekte überlagert. Grundsätzlich zeigen sich keinerlei den Erwartungen entgegengesetzte Befunde. Überraschend ist nur, dass Befürchtungen vor negativen Konsequenzen, wenn man etwas gegen das Bullying unternimmt, nicht relevant für die eingenommene Rolle zu sein scheinen. Für alle übrigen Skalen gehen bei separater Betrachtung die Unterschiede zwischen den Rollen in die erwartete Richtung. Die Unterschiede zwischen Schul- und Cyberbullying sind dabei minimal. Wiederum muss berücksichtigt werden, dass es hohe Überlappungen der Rollen zwischen Schul- und Cyberbullying gab und die signifikanten Ergebnisse bei Cyberbullying daher teils auch auf die eingenommene Rolle im Kontext von Schulbullying zurückgehen könnten.

4.4.2 Reflexion des methodischen Vorgehens

Viele der getroffenen methodischen Entscheidungen sind bereits im Rahmen der Pilotstudien ausführlich diskutiert worden: So wurde in Abschnitt 2.5.2 zum RoleGrid bereits die Zweckhaftigkeit von Peer-Nominierungen, das gewählte Zuordnungskriterium sowie der Umgang mit den Besonderheiten der Daten (genestete nicht-normalverteilte Zähldaten) eingehend erläutert. In Abschnitt 3.5.2 zum SKARB-Fragebogen wurden ferner die Gestaltung dieses Instruments und die Analyse der daraus resultierenden Daten kritisch betrachtet. Die in den Pilotstudien verfolgte Auswertungsstrategie wurde in der Hauptstudie weitergeführt, jedoch entsprechend der gesammelten Erfahrungen und gezogenen Schlussfolgerungen angepasst.

Das Kriterium von mindestens drei Nennungen für mindestens ein Item zur Zuordnung der entsprechenden Rolle wurde beibehalten und gleichermaßen für RoleGrid-off und RoleGrid-on eingesetzt. Die faktorielle Analyse der beiden RoleGrid-Fragebögen erfolgte auf Basis der Rohwerte mit robustem Maximum-Likelihood-Schätzer, was mangels Spezifikationsmöglichkeiten der Verteilungsform für Zähldaten in lavaan die sinnvollste Option scheint. Damit musste allerdings hingenommen werden, dass es bei nicht-normalverteilten Daten eher zu fälschlichen Ablehnungen eines Modells kommt, während Parameter eher fälschlich als signifikant erkannt werden (Kline, 2011, S. 176 f.; Urban & Mayerl, 2014, S. 141), falls die Korrektur durch den robusten Schätzer nicht ausreichend ist. Auf zusätzliche Analysen mit getrimmten oder klassenweise zentrierten Daten, zur Einschätzung des Einflusses von Extremwerten respektive genesteter Struktur, wurde in der Hauptstudie verzichtet, da sich in der Pilotstudie kaum Unterschiede gezeigt hatten. Der geringe Modellfit für fünf Faktoren bei RoleGrid-off und insbesondere RoleGrid-on kann als Hinweis darauf verstanden werden, dass es möglicherweise keine latente Rollenvariable gibt, die das Rollenverhalten bei allen Bullyingformen bedingt. Dies steht im Einklang mit der Logik der Rollenzuordnung. Es wird kein Mittelwert über alle Formen von Bullying gebildet. Ausschlaggebend ist vielmehr, dass mindestens für eine Bullyingform der Cut-off-Wert von drei Nennungen erreicht wird. Dies bedeutet natürlich auch, dass sich in den Rollengruppen Personen sammeln, die diese Rolle nur für unterschiedliche einzelne Bullyingformen oder aber für mehrere verschiedene Bullyingformen einnehmen.

Für die Prüfung der Faktorenstruktur der SKARB-Fragebögen wurden zwei alternative Strategien verglichen (MLM-Schätzer mit klassenweise zentrierten Daten und WLSMV-Schätzer mit ordinalen Rohdaten), welche zu ähnlichen Befunden kamen. Eine ausreichende Modellpassung wurde nur bei Zulassen von Residualkovarianzen innerhalb der Skalen erreicht, was andeutet, dass die Skalen keine homogenen Konstrukte messen. Vielmehr lassen sich theoretisch nachvollziehbare Subfacetten ausmachen. Zugunsten der inhaltlichen Breite der Konstrukte wurde nicht versucht, diese durch Ausschluss von Items zu homogenisieren.

Während die Stichprobengröße in den Pilotstudien etwas unter dem empfohlenen Minimum von 10-mal mehr Probanden als zu schätzende Parameter lag, war sie in der Hauptstudie näher am Optimum von 20-mal mehr Probanden (Kline, 2011). Für das RoleGrid konnten 1529 Probanden für die Schätzung von 60 beziehungsweise mit Residualkovarianzen 70 Parametern des RoleGrid-off und 40 Parameter des RoleGrid-on herangezogen werden. Für die 58 beziehungsweise mit Residual-kovarianzen 65 Parameterschätzungen standen beim SKARBoff 972 und beim SKARBon 933 Probanden zur Verfügung.

Hauptzielsetzung des Projektes war eine Charakterisierung der Rollen. Dazu wurde eine Vielzahl verschiedener Variablen herangezogen, die aufgrund der begrenzten Stichprobengröße nicht alle gemeinsam, sondern in inhaltlich zusammenhängenden Gruppen betrachtet wurden. Zunächst wurden die soziodemographischen Variablen Geschlecht und Klassenstufe zur Vorhersage der Rollen bei Schulbullying genutzt. Als Vergleichsgruppe dienten jeweils die Außenstehenden, die eine klarer definierte Gruppe als die Rollenlosen darstellen (siehe Abschnitt 2.5.3). Sie werden zwar mit dem Bullying-Geschehen in Zusammenhang gebracht (was bei den Rollenlosen unklar ist), verhalten sich aber passiv und stellen so eine geeignete neutrale Vergleichsgruppe dar. Dies ermöglicht inhaltlich aussagekräftige Vergleiche. Da die Geschlechterverteilung bei den Außenstehenden ausgewogen ist, deuten signifikante Geschlechtereffekte auf eine ungleiche Verteilung der Geschlechter bei der untersuchten Rolle. Beim Stufenvergleich hingegen muss berücksichtigt werden, dass der Anteil an Außenstehenden über die Stufen hinweg zunimmt. Die gefundenen negativen Stufeneffekte deuten also auf ein geringeres Verhältnis von Verteidigern und Tätern zu Außenstehenden in den höheren KlassenstufenFootnote 1, nicht aber unbedingt auf eine generell geringere Verteidiger- oder TäterprävalenzFootnote 2. Wichtig ist in diesem Zusammenhang zu erwähnen, dass es sich um rein querschnittliche Befunde handelt, die einen Vergleich zwischen den Klassenstufen, nicht aber Rückschlüsse auf Entwicklungsverläufe zulassen. Die Rollenprävalenzen bei Cyberbullying wurden aufgrund der geringen Fallzahlen rein deskriptiv verglichen.

Im nächsten Schritt wurden die soziometrischen Variablen als Prädiktoren für die eingenommene Rolle – wieder im Vergleich zu den Außenstehenden – herangezogen. Aufgrund des querschnittlichen Designs können keinerlei Kausalschlüsse gezogen werden. Ebenso denkbar wäre prinzipiell gewesen, die Rollen als Prädiktoren und die soziometrischen Variablen als Outcome zu deklarieren. Vorteil der gewählten Vorgehensweise ist jedoch, dass die soziometrischen Variablen gemeinsam betrachtet und so die ausschlaggebenden Variablen identifiziert werden konnten.

Weiterhin wurden die Rollen hinsichtlich ihrer schulischen Leistungen verglichen. Da hierzu kaum empirische Befunde vorliegen wurde der Notenschnitt separat betrachtet und als Outcome-Variable behandelt. Dies ist in erster Linie eine pragmatische Entscheidung, da nicht für jedes Rollenpaar eine separate Analyse gerechnet werden muss. Letztlich bleibt natürlich auch hier offen, ob die eingenommene Rolle die schulische Leistung bedingt oder umgekehrt oder ob eine nicht erfasste Drittvariable ausschlaggebend ist. Als Vergleichsgruppe wurden hier die Verteidiger gewählt, da sich diese deskriptiv als leistungsstärkste Gruppe erwiesen. Die jeweiligen Kontraste mit leistungsschwächeren Rollen lassen erkennen ab welchem Notenabstand der Effekt signifikant ist.

Für die sozial-kognitiven und affektiven Variablen wurden zunächst einzelne Analysen mit den Rollen als Prädiktoren gerechnet. Für Empathie und Moral Disengagement gibt es schon viel Evidenz, für Verantwortungsgefühl, Verteidiger-Selbstwirksamkeit und Befürchtungen hingegen sollte zunächst separat geprüft werden, ob überhaupt Unterschiede zwischen den Rollen gefunden werden. Wieder wurden die Verteidiger als Vergleichsgruppe gewählt, da sie gemäß der Hypothesen und des erweiterten Bystander-Intervention-Modells (siehe Abschnitt 1.4.1) den Gegenpol zu den Pro-Bullying-Rollen in puncto Empathie, Moral Disengagement und Verantwortungsgefühl und den Gegenpol zu den Außenstehenden in puncto Verteidiger-Selbstwirksamkeit und Befürchtungen bilden. Erst in einem abschließenden Analyseschritt wurden alle fünf sozial-kognitiven und affektiven Variablen zur Kontrastierung der Bystander-Rollen zusammengebracht. Die Befunde hierzu sind jedoch – insbesondere bei Cyberbullying – mit äußerster Vorsicht zu betrachten, da sich die ohnehin geringen Fallzahlen der Bystander-Rollen durch Fehlwerte in den SKARB-Skalen nochmals reduzierten. So gab es beispielsweise nur 24 Cyberverteidiger und 38 Cyberverstärker. Die Prävalenz von Verteidigern und Verstärkern lag sowohl bei Schul- als auch Cyberbullying unter den Erwartungen. Aufgrund der Neuheit des Erhebungsinstruments und da insbesondere die Rollen im Kontext von Cyberbullying bislang nie mittels Peer-Nominierung erfasst wurden, waren die Auftretenshäufigkeiten der Rollen im Voraus jedoch schwer abschätzbar. Nachteil der geringen Rollenprävalenzen war zudem, dass kein Spielraum blieb, für die Rolle im jeweils anderen Kontext zu kontrollieren. Bei den in Cyberbullying Involvierten nahmen jeweils etwa die Hälfte dieselbe Rolle bei Bullying ein, was bedeutet, dass die signifikanten Ergebnisse für die Cyberbullying-Rollen teils auch auf die Rolle im Schulkontext zurückgehen könnte. Ausschließlich jene zu betrachten, die die entsprechende Rolle nur bei Cyberbullying einnehmen, hätte die Stichprobengröße weiterhin stark minimiert. Generell ist der Anteil derer, die nur bei Cyberbullying eine Rolle einnehmen und bei Schulbullying rollenlos sind verschwindend gering (5 %).

Das grundsätzliche Vorgehen mit den Rollen als Kategorien zu arbeiten, statt mit den Rollenskalen, hat den Vorteil, dass relativ klare Verhaltensmuster miteinander verglichen werden können, während bei Nutzung der Rollenskalen als Outcome-Variable die Ausprägung auf den jeweils übrigen Rollenskalen kontrolliert werden müsste. Die Arbeit mit den Kategorien entspricht zudem eher dem ursprünglichen Rollen-Gedanken des Participant-Role-Ansatzes. Für alle Analysen ist dabei bewusst eine Vergleichskategorie zu wählen, welche für die Fragestellung am aussagekräftigsten ist. So wurden für die Analysen der soziodemographischen und soziometrischen Variablen die Außenstehenden als neutrale Vergleichsgruppe gewählt, sodass das Chancenverhältnis eine der aktiven Rollen versus die passive Rolle des Außenstehenden einzunehmen eruiert wird. Vorteil gegenüber den Rollenlosen als Vergleichsgruppe besteht darin, dass dadurch Klassen ohne jegliche Bullying-Dynamik (ausschließlich Rollenlose) nicht in die Auswertungen eingehen. Eine interessante Alternative für die Untersuchung der Rollen über die Klassenstufen hinweg wären die Opfer zur Gegenüberstellung gewesen. Dies hätte Aussagen darüber erlaubt, wie viele Täter, Verstärker, Verteidiger und Außenstehende es in den verschiedenen Stufen je Opfer gibt. Da dies für den Geschlechtervergleich jedoch weniger aussagekräftig wäre, waren für die gemeinsame Analyse von Geschlecht und Stufe die Außenstehenden eine geeignetere Vergleichsgruppe. Bei den Analysen zur schulischen Leistung sowie zu den sozial-kognitiven und affektiven Reaktionen hingegen wurden entsprechend der Hypothesen die Verteidiger als Referenzgruppe gewählt. Beide Vorgehensweisen sind in der Literatur zu finden (Außenstehende als Referenzgruppe: Nickerson & Mele-Taylor, 2014; Verteidiger als Referenzgruppe: Waasdorp & Bradshaw, 2018). Bei den logistischen Regressionen wurden einzelne Analysen für jeden dichotomen Rollenvergleich gerechnet. Eine etwas elegantere Lösung wären multinominale logistische Regressionen gewesen, die allerdings nicht ohne Weiteres mit der glmer-Funktion hätte umgesetzt werden können und bei denen es letztlich auch zu dichotomen Rollenvergleichen mit einer festgelegten Referenzgruppe kommt. Eine weitere interessante Alternative ist die optimale Skalierung der Verhaltensweisen, bei der die Rollen in eine Rangfolge gebracht und dann die ordinale Skala in eine kontinuierliche Variable umgewandelt wird (vgl. Song & Oh, 2018). Auch gibt es Publikationen, die sich für die Nutzung kontinuierlicher Maße für jedes Rollenverhalten aussprechen, da dies die Variabilität der Verhaltensweisen besser abbildet, die Ausschöpfung der vollen Datenmenge erlaubt und die Festlegung eines zu einem gewissen Grade willkürlichen Zuordnungskriterium umgeht (Casper et al., 2015; Pronk et al., 2015). Aufgrund der Zielsetzung einer Charakterisierung der Rollen wurde nichtsdestoweniger ein kategoriales Vorgehen vorgezogen.

4.4.3 Ausblick

Aus Ergebnissen und methodischer Reflexion lassen sich Ideen herleiten, wie die Befunde mit alternativen oder ergänzenden Auswertungsstrategien und gegebenenfalls größeren Stichproben vertieft werden könnten. So wäre es in zukünftigen Untersuchungen interessant, die Verhaltensmuster bei unterschiedlichen Bullyingformen genauer zu betrachten. Hierzu wäre eine Clusteranalyse oder latente Klassenanalyse geeignet, um herauszufinden, ob sich ähnliche Doppelrollen wie in dieser Studie zeigen (z. B. Außenstehenden-Zweitrolle, Täter-Verstärker-Doppelrolle). Interessant wäre in dieser Hinsicht auch ein Abgleich mit Latenten Klassennalysen auf Basis von Selbstberichtsdaten (Schultze-Krumbholz et al., 2018; Waasdorp & Bradshaw, 2015). Weiterhin könnte geprüft werden, ob sich Bullyingform-spezifische Subgruppen der Rollen erkennen lassen. Insbesondere die Zuordnung des Täter-Items bei Ausgrenzung ist von Interesse. Des Weiteren könnten Schul- und Cyberbullying gemeinsam untersucht und so eine Aussage darüber getroffen werden, ob Verhaltensmuster über Bullyingform und Kontext hinweg stabil sind oder nur bei einzelnen Bullyingformen oder nur in einem Kontext gezeigt werden. Sollte sich eine Untergruppierung nach Bullyingform oder Kontext als sinnvoll erweisen, würden sich anschließende Vergleiche dieser Subgruppen anbieten (z. B. Vergleich von reinen Schulverteidigern, reinen Cyberverteidigern und Verteidigern in beiden Kontexten; oder Vergleich von Verteidigern bei physischem vs. relationalem Bullying). Auch eine intensivere Auseinandersetzung mit den Pro-Bullying-Rollen wäre in Form eines Vergleichs zwischen reinen Tätern, reinen Verstärkern und Täter-Verstärkern aufschlussreich.

Ferner sollte die Bedeutung des Geschlechts für die berichteten Reaktionen auf Bullying und die eingenommene Rolle näher untersucht werden. So könnte beispielsweise die Messinvarianz beider Instrumente für Jungen und Mädchen geprüft werden. In der vorliegenden Studie konnten Geschlechtsunterschiede hinsichtlich Rollenverhalten und mentalen Reaktionen identifiziert werden und das Geschlecht wurde als Kontrollvariable in alle Analysen aufgenommen. In Folgestudien sollte jedoch getestet werden, ob gefundene Zusammenhänge zwischen mentalen Reaktionen und Rollen auch separat für beide Geschlechter gelten (vgl. auch Jolliffe & Farrington, 2006b; Nickerson & Mele-Taylor, 2014). Überaus spannend wäre auch zu hinterfragen, ob die sozial-kognitiven und affektiven Reaktionen auf Bullying möglicherweise die Funktion eines Mediators oder Moderators für den Zusammenhang zwischen Rolle und Geschlecht oder Rolle und Stufe haben. Sind die Geschlechts- und Stufenunterschiede hinsichtlich Verteidiger-Rolle und Pro-Bullying-Rollen eventuell durch entsprechende Geschlechts- und Stufenunterschiede in Empathie, Verantwortungsbewusstsein und Moral Disengagement vermittelt?

Auch wäre es mit größerer Stichprobe und entsprechender theoretischer Vorarbeit interessant, mehr Variablen zusammenzubringen, die in dieser Studie nur einzeln betrachtet wurden – so könnte beispielsweise geklärt werden, inwiefern soziometrische Position und sozial-kognitive und affektive Reaktionen zusammenhängen oder es zu Wechselwirkungen kommt. Unterscheiden sich beispielsweise soziometrisch Beliebte, Abgelehnte, Unbeachtete und Kontroverse hinsichtlich ihrer Reaktionen auf Bullying (z. B. höhere Selbstwirksamkeitserwartungen bei soziometrisch Beliebten, die einen starken Rückhalt in der Klasse haben, vgl. DeSmet et al., 2014) Moderiert der soziometrische Status, ob beispielsweise Empathie oder Verantwortungsbewusstsein auch wirklich in verteidigendem Verhalten resultieren (siehe auch Pöyhönen et al., 2010) oder ob Personen mit hohem Moral Disengagement eher Täter, Verstärker oder Außenstehende sind?

Darüber hinaus könnten Mehrebenenanalysen mit Random Slopes der individuellen Prädiktoren sowie weiteren Prädiktoren auf Klassenebene aufschlussreiche Erkenntnisse liefern. So sollte aufgeklärt werden, inwiefern sich der Zusammenhang zwischen Rollen und mentalen Reaktionen zwischen verschiedenen Klassen unterscheidet und mit welchen Merkmalen der Klasse dies verbunden ist. Als Klassenlevel-Prädiktoren kommen unter anderem die klassenweise aggregierten Maße (z. B. durchschnittliches Empathielevel in einer Klasse) in Frage, welche die deskriptive Klassennorm repräsentieren. Entscheidend ist möglicherweise aber auch das wahrgenommene kollektive Ausmaß der entsprechenden Reaktionen. Untersucht wurde im Zusammenhang mit Bullying schon das kollektive Moral Disengagement (Allison & Bussey, 2017; Gini et al., 2015; Kollerová, Soukup & Gini, 2018; Thornberg et al., 2019) sowie die kollektive Selbstwirksamkeit (Barchia & Bussey, 2011a; Thornberg et al., 2019). Sowohl das wahrgenommene kollektive Ausmaß an Moral Disengagement in der Klasse als auch die Einschätzung der Fähigkeit, als Klasse gemeinsam gegen Bullying vorgehen zu können, zeigten dabei einen Einfluss auf die Bullying-Dynamik auf Klassenebene. Bislang nicht untersucht wurde das kollektive Verantwortungsbewusstsein oder kollektive Befürchtungen. Auch zum wahrgenommenen Ausmaß an Empathie innerhalb der Klasse sind keine Studien bekannt. Neben den tatsächlichen und wahrgenommenen deskriptiven Normen wären sicherlich auch die wahrgenommenen präskriptiven Normen von Interesse: Empfinden die Klassenmitglieder beispielsweise, dass von ihnen Empathie und Verantwortungsübernahme erwartet wird? Oder gilt in einer Klasse Moral Disengagement als „cool“? Neben diesen Klassenlevel-Prädiktoren, die eng mit den hier untersuchten Konstrukten verknüpft sind, haben sicher auch davon unabhängige Klassenmerkmale wie Klassenklima oder Klassenführung einen Einfluss. Von besonderem Interesse wäre in diesem Zusammenhang natürlich der Effekt von Präventionsmaßnahmen. Einen weiter gefassten Ausblick zu möglichen weiterführenden oder ergänzenden Forschungsvorhaben, die nicht direkt an die Hauptstudie anknüpfen, gibt Abschnitt 5.5.