In Kap. 4 wurde gezeigt, dass entgegen der Annahme unseres theoretischen Modells investive Statusarbeit nicht das einzige typischeFootnote 1 biographische Orientierungsmuster von Mittelschichtenangehörigen ist. Neben ihr haben wir mit der Orientierung am Berufsstolz und der Gemeinschaftsorientierung zwei weitere Modi der Lebensführung gefunden. In diesem Kapitel wenden wir uns nun den Praktiken der Lebensführung zu. Wie wird ein bestimmter Lebensführungsmodus tagtäglich und im Lebensverlauf in den verschiedenen Lebensbereichen vollzogen? Dafür geben die biographischen Orientierungen einen Rahmen ab; sie bestimmen aber nicht allein, welcher Praktiken sich jemand bedient. Das zentrale Ergebnis, das der Blick auf die Praktiken schnell zeigt, lässt sich bereits vorab so zusammenfassen: Ob jemand investive*r Statusarbeiter*in ist oder ein am Berufsstolz oder an Gemeinschaft orientiertes Leben führt – alle setzen Praktiken investiver Statusarbeit ein. Sämtliche Interviews sind von Schilderungen durchzogen, in denen es darum geht, durch bestimmte Aktivitäten den eigenen beruflichen Status zu sichern oder weiter zu verbessern. Während also die investive Statusarbeit im engeren Sinne, als biographische Orientierung, nur bei einem Teil unserer Fälle vorliegt, bildet die investive Statusarbeit im weiteren Sinne, also als Ressourceneinsatz zur Statussicherung und -verbesserung, die geteilte sozioökonomische Basis der drei Lebensführungsmodi. Um Praktiken investiver Statusarbeit kommen Mittelschichtenangehörige – unabhängig von ihrer biographischen Orientierung – offenbar nicht herum.

Da das so ist, können wir im ersten Schritt die Praktiken unabhängig von den sie rahmenden biographischen Orientierungen nach ‚Investitionsarenen‘ sortieren (Abschn. 5.1). Ökonomisches und kulturelles Kapital wird vor allem in bildungs- und erwerbsbezogenen Aktivitäten sowie in Finanzmarktaktivitäten investiert und reinvestiert. Dies ist unmittelbare und primär auf die eigene Person bezogene Statusarbeit. Eingebettet ist diese in soziale Beziehungen, die auf verschiedene Weisen unterstützend wirken und auch als soziales Kapital aufgebaut und vermehrt werden können. In der Elternrolle kann man weiterhin intergenerationale Statusarbeit leisten, also die eigenen Kinder auf investive Statusarbeit hin ausrichten und bei dieser unterstützen. Schließlich wird nach reflexiver Statusarbeit als Gestaltung der Bedingungen zukünftiger eigener Statusarbeit gefragt. Im Anschluss an diese Kategorisierung der Arenen werden die unterschiedlichen biographischen Planungsmodi, die den Praktiken zugrunde liegen, genauer betrachtet (Abschn. 5.2). Sie reichen von ambitionierter und erfolgreicher langfristiger Planung über einen Inkrementalismus, der von einer unbekümmerten Zuversicht getragen wird, und einem ‚Bounded Planning‘ bis hin zu abwehrender Planungsresignation. Im Anschluss werden Begrenzungen investiver Statusarbeit in der Sach-, der Zeit- und der Sozialdimension aufgezeigt (Abschn. 5.3). Schließlich wird der Frage nachgegangen, was in den Augen der Befragten ‚gute Statusarbeit‘ ausmacht, welchen ethischen Kriterien die eingesetzten Praktiken also genügen müssen, und was umgekehrt als unethisch gilt (Abschn. 5.4). Hier spielt ‚Leistung‘ als Bewertungskriterium eine zentrale Rolle und wir identifizieren mit der ‚symbolischen‘ oder legitimatorischen Statusarbeit eine weitere, im theoretischen Modell nicht explizit herausgearbeitete Art von Praktiken.

Bei der legitimatorischen Statusarbeit ist die Verbindung zur zunächst ausgeklammerten biographischen Orientierung augenfällig: Es wird sich zeigen, dass die Lebensführungen von Mittelschichtenangehörigen auf einer handlungspraktischen Ebene über ein Set an Praktiken beschrieben werden können, die sich bis zu einem gewissen Punkt auch ohne den Blick auf die jeweiligen biographischen Orientierungen nachvollziehen lassen. Aber natürlich stellen diese nicht bloß einen ‚Überbau‘ des ‚schönen Geredes‘ dar, gegenüber dem sich das praktische Tun beliebig verselbstständigen kann. Auch wenn Praktiken investiver Statusarbeit in allen drei gefundenen biographischen Orientierungsmustern eine Rolle spielen, ist der Stellenwert dieser Praktiken doch ein jeweils anderer. Investive Statusarbeiter*innen ‚bekennen‘ sich zu diesen Praktiken und sind offen darauf aus, immer weitere Statusverbesserungen für sich zu realisieren; mit bloßer Statussicherung geben sie sich, außer unter sehr ungünstigen Umständen, nicht zufrieden. In der am Berufsstolz orientierten und bis zu einem ‚Sättigungspunkt‘ auch in der gemeinschaftszentrierten Lebensführung stellen durch Praktiken investiver Statusarbeit erreichte Statusverbesserungen willkommene Nebenfolgen eines biographisch anders ausgerichteten Strebens dar; und für beide Modi der Lebensführung ist Statussicherung eine notwendige Ermöglichungsbedingung. Während also für investive Statusarbeiter*innen, wie Steffen Mau et al. (2019) ausführen, Statussicherung als ein ausgebremstes, resigniertes Aufstiegsstreben verstanden werden kann, sieht das bei den anderen beiden Lebensführungsmodi anders aus. So weisen einige Befragte angebotene Beförderungen zurück; andere grenzen sich explizit von dem Erfolgsstreben anderer ab; wieder andere schwärmen gerade von denjenigen Lebensphasen, in denen sie mit wenig Geld improvisieren mussten. Kurz: Der subjektive Sinngehalt und damit der praktische Stellenwert der investiven Statusarbeit müssen auch aus der rahmenden biographischen Orientierung heraus verstanden werden.

5.1 Praktiken der investiven Statusarbeit

Im Interviewmaterial lässt sich über ausnahmslos alle Fälle hinweg eine große Spannbreite von Praktiken finden, die darauf zielen, den sozioökonomischen Status zu verbessern und damit investive Statusarbeit im weiteren Sinne sind. Im Zentrum der folgenden Ausführungen stehen Investitionsaktivitäten, die sich explizit oder implizit in den erhobenen Interviews zeigen. Die Statusdarstellungen, die im theoretischen Modell angedacht sind, können dabei kaum eine Rolle spielen, denn sie werden über den gewählten methodischen Zugang wenig sichtbar. So schildern Interviewpartner*innen, meist beiläufig, dass sie sich Autos und Eigenheime kaufen, Motorrad fahren, in den Urlaub fliegen, Bio-Lebensmittel essen, in ihrer Freizeit in Restaurants, Theater und Museen gehen, Tanzkurse und Erlebnisparks besuchen. Sie servieren fair gehandelten Tee, lassen uns in wohl ausgestatteten Wohnzimmern mit langen Bücherwänden Platz nehmen; schauen „lieber Arte als RTL2“ (I29: 1277). Sie tragen Schmuck, haben Tätowierungen, gehen zu Fußmassagen, Frisör*innen und Kosmetiker*innen. Diese zumeist sehr beiläufigen Bemerkungen zeigen an, dass andere methodische Zugänge genutzt werden müssen, um nachvollziehen zu können, ob und wie die Interviewpartner*innen solche Statusdarstellungen strategisch einsetzen, um sie als Kapital zu investieren und ihre Kapitalausstattung zu mehren.

Im Folgenden wird zunächst anhand von Bildungsanstrengungen gezeigt, dass diese eine zentrale Rolle für die Statusarbeit spielen, aber je nach biographischer Rahmung sehr unterschiedliche Bedeutung in der Lebensführung annehmen – ein Befund, der auch für die anderen Investitionspraktiken gilt, aber an diesem Beispiel gut pars pro toto ausbuchstabiert werden kann. Im Anschluss daran wird auf Investitionen in der Erwerbssphäre und auf dem Finanzmarkt eingegangen. Darauffolgend wird ein Blick auf die Pflege sozialer Beziehungen als Unterstützung investiver Statusarbeit und als Arena eigener Praktiken der Statusarbeit geworfen. Anschließend wird das weite Feld der intergenerationalen Statusarbeit thematisiert, welche sich in den Interviews als einer der Themenbereiche herausstellt, in denen am explizitesten über Statusaspirationen gesprochen wurde. Im Anschluss daran wird noch kurz reflexive Statusarbeit betrachtet.

5.1.1 Bildung – eine polykontexturale Investitionsarena

Bildung stellt eine zentrale Aktivität der Statusarbeit dar. Unsere Interviewpartner*innen studieren an Fachhochschulen und Universitäten, sie absolvieren – teils mehrere – Berufsausbildungen, sie besuchen Abendgymnasien und Kurse an Volkshochschulen, sie promovieren. Sie durchlaufen eine „bestialische Ausbildung“ (I05) und entscheiden sich statt für „pillepalle“ für „vernünftige“ Ausbildungen (I21); sie finanzieren sich zweite Studiengänge mit mehreren Nebenjobs und investieren „im fünfstelligen Bereich“ in Fortbildungsmaßnahmen (I06).

Bildung wird im gesellschaftlichen Common Sense als einer der zentralen Aufstiegswege betrachtet. In der Allensbach-Umfrage zur „Generation Mitte“ aus dem Jahr 2018 belegen „gute Schulbildung“ (85 % Zustimmung) und „gute Berufsausbildung“ (76 % Zustimmung) zwei der ersten drei Plätze als Antwort auf die Frage: „Was entscheidet Ihrer Ansicht nach heutzutage vor allem über die Erfolgs- und Zukunftschancen junger Menschen?“ (Köcher 2018). Bildung stellt auch innerhalb unseres Samples insofern die am häufigsten vorzufindende Aufstiegsstrategie dar, als dass zunächst jeder Besuch einer Bildungsinstitution, der über die Schulpflicht hinausgeht, als eine Praxis zu bewerten ist, die jene Bildungsressourcen mehrt, die als kulturelles Kapitel eingesetzt werden und somit die Lebenschancen verbessern können. Bei näherer Betrachtung werden allerdings sehr unterschiedliche Motive mit Bildungsanstrengungen verbunden. Deshalb soll am Beispiel der Bildung ein Sachverhalt vorgeführt werden, der sich auch bei jeder der weiteren geschilderten Investitionsaktivitäten finden ließe: Bildungsanstrengungen nehmen stark variierende sinnhafte Bedeutungen im Rahmen der unterschiedlichen Lebensführungsmodi ein: Personen mit investiver Statusarbeit als biographischem Orientierungsmuster zeigen ein sehr viel stärker ökonomisch-instrumentelles Verhältnis zu Bildung als Personen, die sich biographisch an Berufsstolz oder an Gemeinschaften orientieren.

Ein Fallbeispiel, in dem Bildung klar mit einem sozioökonomischen Statusaufstieg verbunden ist, stellt das Interview mit Frau Brilla dar, die wir schon kurz in Abschn. 4.3 als investive Statusarbeiterin vorgestellt hatten. Sie absolviert nach der mittleren Reife eine Ausbildung zur Rechtanwaltsgehilfin. Nach mehrjähriger Anstellung in diesem Bereich in verschiedenen Firmen beschließt Frau Brilla – inspiriert von ihrem damaligen Partner, der Akademiker war – ein Abendgymnasium zu besuchen. Sie erzählt, sie habe zu sich selbst gesagt:

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Bereits bei der Entscheidung für die Form der Weiterbildung spielt der gleichzeitige Erhalt des Lebensstandards eine wichtige Rolle. Frau Brilla absolviert das Gymnasium erfolgreich und erzählt, dass das für sie eine „Offenbarung“ und eine „Initialzündung“ gewesen sei und ihr einen „enormen Schub“ gegeben habe und dass sie „mit dem Abitur in der Tasche gedacht habe, vielleicht kann ich jetzt im Job Karriere machen.“ (I29: 559) Als naheliegendste Option erschien ihr zunächst ein BWL-Studium:

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Frau Brilla richtet sich in ihrer Entscheidung zum einen deutlich daran aus, was sie als den „Markt der Zukunft“ (1) betrachtet, und zielt damit klar auf eine ökonomische Verwertbarkeit des Studiums. Sie entscheidet sich nur gegen diese Option, weil sie wiederum ihren Lebensstandard nicht senken will, denn das würde bedeuten, dass sie ihre Haupterwerbstätigkeit aufgeben müsste.

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Diese Passage weist auf einen hohen Reflexionsgrad des Entscheidens hin. Das Kriterium für die Entscheidungsfindung besteht darin, sich ein „handwerkliches Rüstzeug“ (2) zu erarbeiten, wobei die folgende Elaboration konkretisiert, dass es darum ging, die zukünftige Arbeitsmarktentwicklung abzuschätzen und sich durch entsprechende Weiterbildungen eine günstige Ausgangsposition und eine hohe Employability zu erarbeiten. Frau Brilla beschreibt daraufhin, wie sie in den folgenden Jahren abends nach ihrer Erwerbstätigkeit verschiedene Fortbildungen absolvierte und im Anschluss in der Tat einen gehobenen Verwaltungsposten im Unternehmen annimmt.

Dieser Fall stellt ein besonders eindrückliches Beispiel dafür dar, wie Bildungsabschlüsse für ihren Tauschwert absolviert werden. Auch im Fall von Herrn Steinhauer, der das Studium mit einer ähnlich gelagerten Motivation absolviert, wird es explizit seinem erwarteten Nutzen nach gegen andere Bildungsoptionen abgewogen:

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Auch in diesem Fall wird das Studium als Investition gedeutet, die einen möglichst hohen Ertrag in möglichst kurzer Zeit sichern soll: „Ich hab mich schon aufs Studieren konzentriert, //mhm// ja? Deswegen auch Mindeststudienzeit.“ (I30: 942).

Im Kontrast dazu stehen Fälle, in denen das Studium nicht von seinem vorweggenommenen Ende her gedacht, sondern als eigene biographische Phase des Ausprobierens und der Selbst- und Milieuerkundung beschrieben wird. So berichtet der Interviewpartner Herr Engelbrecht, er habe bei der Studienwahl im Anschluss an seinen Wehrdienst eine „große Ratlosigkeit“ verspürt und sei „planlos“ gewesen. Bereits die Aufnahme des Studiums steht also nicht so sehr unter einem investiven Vorzeichen, sondern scheint eher der Erwartung eines Normallebenslaufes zu folgen. Er ‚entscheidet‘ sich schließlich für Wirtschaftswissenschaften, ohne diese ‚Wahl‘ allerdings zu begründen. Bald stellt er jedoch fest, dass der Lehrstoff ihn „ÜBERHAUPT nicht interessiert“ (I07: 547), und er habe „halt irgendwann gesagt, also nee, also das ist irgendwie füllt mich das hier nicht aus“ (I07: 549); schließlich habe er „gemerkt, dass das ähm nicht meine Klientel ist, die Kommilitonen und das Fach“ (I07: 31). Daraufhin wechselte er zum Studienfach Germanistik, wo er sich „von den Kommilitonen deutlich wohler gefühlt [habe] als bei den ähm Wirtschaftswissenschaften.“ (I07: 576) In diesen Passagen wird erkennbar, dass die Bewertungskriterien in starkem Kontrast zu den Fallbeispielen stehen, in denen Bildungsanstrengungen um ihres Ertrages Willen auf sich genommen wurden. Es geht Herrn Engelbrecht darum, vom Inhalt des Studiums ‚ausgefüllt‘ zu werden und seine „Klientel“ zu finden beziehungsweise herauszufinden, welches seine „Klientel“ ist. Darin zeigt er deutlich Parallelen zu Herrn Wisch, der nach Lehre, Wehrdienst und Fach-Abitur „zwangsläufig studiert“ habe.Footnote 2 Auch seine Beschreibungen und Erzählungen zu dieser Episode kreisen um die Universität als Ort der Gemeinschaft, in der er eine „ganz schöne Truppe“ gefunden habe, und darum, was diese „Gang“ an der Universität für ‚verrückte Geschichten‘ erlebt habe (I03: 304–321). In den Fallbeispielen der investiven Statusarbeit spielen die Fachhochschule oder das Abendgymnasium als Lebenswelt beziehungsweise als Milieu keine Rolle. Herr Engelbrecht und Herr Wisch hingegen rücken ihre „Suche nach habitueller Übereinstimmung“ (Bohnsack 1996) ins Zentrum ihrer Entscheidungen.

Alle hier besprochenen Fälle greifen auf die Investitionsstrategie Bildung zurück, sie deuten sie aber vor dem Hintergrund ihrer biographischen Orientierungen sehr unterschiedlich: als Zeit-, Kraft- und Finanzinvestition auf der einen Seite oder als Forum für die Identitäts- und Milieufindung auf der anderen Seite. Allerdings antwortet etwa auch Herr Nikolaidis, für den wir in Kap. 4 gezeigt haben, dass bildungsbezogener Berufsstolz die zentrale biographische Orientierung darstellt, auf die Frage, welche Rolle Beschäftigungssicherheit für seine Arbeit an der Universität gespielt habe: „ja man investiert erst und bekommt dann irgendwann was zurück.“ Trotz der intrinsischen Bildungsmotivation werden die Unsicherheiten, die mit der Beschäftigung an der Universität einhergehen also registriert und durch Hoffnung auf eine spätere Rendite – in Form einer statussichernden Professur – legitimiert. Es ist wichtig, diese Beobachtung festzuhalten, denn so wird ersichtlich, wie auch Personen, bei denen die investive Statusarbeit nicht im Zentrum der biographischen Orientierung steht, durchaus investive Statusarbeit in einem weiteren Sinne betreiben. Auch hier spielen Überlegungen zur Rentabilität eine Rolle. Diese Personen legen jedoch zum einen in der Deutung, Bewertung und Beschreibung der Investitionsepisoden andere Schwerpunkte. Zum anderen wird die investive Praxis in andere Begründungszusammenhänge eingebettet. Wie in Abschn. 4.3 zur investiven Statusarbeit als biographischer Orientierung dargestellt, nehmen Statusinvestitionen in diesen Fällen einen eigentümlichen Selbstzweckcharakter an, den sie bei den beiden anderen biographischen Orientierungsmustern nicht haben.

5.1.2 Erwerbsbezogene Statusarbeit

Grob der Sequenzierung eines ‚Normallebenslaufs‘ folgend, stoßen wir im zeitlichen Anschluss an die Schilderung von Bildungsanstrengungen bald auf die zweite zentrale Investitionsaktivität der Statusarbeit: die Erwerbstätigkeit.

Die Erwerbstätigkeit nimmt nicht nur bei jenen, die eine biographische Orientierung an investiver Statusarbeit zeigen, eine zentrale Stellung in der biographischen Erzählung und in der Lebensführung ein. Auch wenn etwa Personen mit Gemeinschaftsorientierungen der Erwerbstätigkeit vergleichsweise weniger Raum in der biographischen Erzählung einräumen, so ist die zentrale Bedeutung des Erwerbslebens doch unübersehbar. So lassen sich Interviews finden, in denen Sphären wie Freizeit, gesellschaftliches Engagement oder Freundeskreise in der Eingangserzählung keine Erwähnung finden und selbst die eigene Familie nur als Randnotiz erwähnt wird – es finden sich aber umgekehrt schlicht keine Interviews, in denen die Erwerbstätigkeit in ähnlicher Weise peripher abgehandelt wird. Dieser Umstand kann bereits als Hinweis darauf gelesen werden, dass Erwerbstätigkeit als eine zentrale Arena gesellschaftlicher Bewährung gesehen wird – auch wenn bestimmte Modi der Lebensführung anderen Arenen ebenfalls eine hohe Bedeutung beimessen. Weiterhin stellen Einnahmen aus der Erwerbstätigkeit – soweit sich das aus den Angaben der Interviewten rekonstruieren lässt – in allen Fällen die zentrale Einkommensquelle und damit die dominante Quelle des sozioökonomischen Status dar. Wie noch gezeigt werden wird, werden diese Einkommen zwar, wenn möglich, von Erbschaften, Renditen und Unterstützungszahlungen ergänzt. Im Sample der Mittelschichtenangehörigen findet sich aber niemand, der unter Verzicht auf die Einkommen aus seiner Erwerbstätigkeit seinen sozioökonomischen Status halten könnte.Footnote 3

Der vorherrschende Modus des Bezugs auf die eigene Erwerbstätigkeit besteht dabei allerdings nicht darin, zu plausibilisieren, wie man das Geld verdient, das man zum Leben braucht, sondern eher darin, zu umreißen, wer man ist. Dass der Erwerbstätigkeit über die reine Einkommensfunktion hinaus Bedeutung zugemessen wird, zeigt sich unter anderem darin, dass ein deutlicher Unterschied zwischen Haupttätigkeit und Nebenjobs gemacht wurde. Über alle drei Orientierungen hinweg finden sich Passagen, in denen Interviewteilnehmer*innen berichten, wie sie teils von Jugendtagen an Nebenjobs annehmen, die sie „nur so zum Geld verdienen“ (I11: 34) ausüben. In frühen Lebensjahren werden diese Ferienjobs in der Regel noch direkt mit Konsumwünschen verbunden. So berichtet Herr Schulz über seine erste Erwerbstätigkeit:

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In späteren Lebenslaufphasen dient das Jobben eher dazu, Ausbildungsphasen zu finanzieren, die sich nicht direkt rentieren. Frau Keller etwa ermöglicht sich das Absolvieren des Fachabiturs durch: „drei, vier Jobs nebenbei, die ganze Zeit. //mhm// Ähm was echt mega anstrengend war.“ (I18: 110) Die Beteuerung, „nebenbei immer gejobbt“ zu haben, scheint dabei auch als Ausweis der Selbstständigkeit zu dienen, indem untermauert wird, dass man nichts geschenkt bekommen habe. Dass diese Differenzierung in berufliche Haupttätigkeit und Nebentätigkeit über alle drei Orientierungen hinweg zu finden ist, ist in zweierlei Hinsicht aufschlussreich. Zum einen geraten Personen aller Orientierungen über ihren Lebensverlauf hinweg in Phasen, in denen es nötig ist, als ‚anspruchslos‘ verstandene Tätigkeiten auszuführen. Der ökonomische Spielraum der eigenen Statusgestaltung muss insofern teils selbst erarbeitet werden und ist nicht fraglos gegeben. Zum anderen wollen die Personen über alle drei Orientierungen hinweg verstanden wissen, dass es in ihrem Hauptberuf eben um mehr als nur um ein ‚bloßes Auskommen‘ geht. Selbst jene, die sich die investive Statusarbeit als Kern der biographischen Orientierung aneignen und für die wir im ersten Teil eine Indifferenz gegenüber dem Gehalt ihrer Tätigkeiten herausgearbeitet haben, trennen die Erzählung zu ihrer Haupterwerbstätigkeit deutlich von jenen Beschäftigungen ab, die sie nur übergangsweise oder nur nebenbei annehmen, um sich „bisschen Grundstock” (I30: 931) für ihr berufliches Hauptprojekt zu erarbeiten.

Welche Bedeutung nimmt die Erwerbstätigkeit nun für die investive Statusarbeit ein? In einer sehr engen Perspektive ist der Verkauf der eigenen Arbeitskraft gerade keine Investition, denn Lohnarbeit wird ja erst nötig, da keine eigenen ökomischen Ressourcen vorhanden sind, die mit ausreichender Rendite investiert werden könnten, um sich von der Notwendigkeit der Veräußerung der eigenen Arbeitskraft zu befreien. Nimmt man von dieser sehr engen Perspektive allerdings ein wenig Abstand, kann man durchaus formulieren, dass die Erwerbstätigkeit für die Interviewten die Sphäre darstellt, in der sie kulturelles Kapital in ökonomisches Kapital konvertieren und letzteres damit mehren können, was strategische Abwägungen investiver Natur beinhaltet. Berufliche Erwerbspraxis kann einen Gebrauchswert haben – das wurde besonders bei jenen Personen deutlich, bei denen Berufsstolz im Zentrum der Lebensführung steht. Diese orientieren sich in ihrer beruflichen Praxis nicht vorderhand an dem erwirtschafteten Einkommen, sondern daran, ‚sehr gut‘ zu sein und darin von anerkannten Kolleg*innen bestätigt zu werden. Für investive Statusarbeiter*innen steht demgegenüber der Tauschwert im Vordergrund der beruflichen Praxis. Wie schon bezüglich Bildungsanstrengungen gezeigt, absolvieren investive Statusarbeiter*innen Abschlüsse, um sie nachher in Form einer Erwerbstätigkeit zu monetarisieren. Die Erwerbstätigkeit stellt damit also im strengen Sinne erst den Ort dar, an dem kulturelles Kapital in Form von Bildungsabschlüssen eingesetzt werden kann, um ökonomisches Kapital in Form von Einkommen, Rentenansprüchen usw. zu mehren. Ohne eine ‚adäquate‘ Anstellung zahlt sich die Investition in Bildungsabschlüsse aus sozioökonomischer Perspektive nicht aus. Vor diesem Hintergrund erscheint die Suche nach einem Arbeitsplatz, in der zwischen Aspekten des Gebrauchswerts (wie ‚Qualität‘ der Arbeit oder das Betriebsklima) und des Tauschwertes (finanzielle Entlohnung, Pensionsansprüche) abgewogen wird, als Teil einer investiven Praxis. Gerade die Fälle des Akademikers Herr Nikolaidis und des Musikers Herr Röseler haben aber auch gezeigt, dass – egal wie stark der Gebrauchswert der beruflichen Tätigkeit als implizites Handlungsmotiv wirkt – der Tauschwertcharakter unter kapitalistischen Bedingungen ein unhintergehbarer Bestandteil von Lohnarbeit ist. Insofern scheint es zumindest nicht überraschend, dass beide, die eine deutliche biographische Orientierung am Berufsstolz zeigen, an einem bestimmten Punkt ihrer Biographie auf Positionen wechseln, die sie vorrangig als ‚Brotberuf‘ verstehen.

Während diese Stellenwechsel also als ein Umschwenken auf eine stärkere Tauschwertorientierung in der Erwerbssphäre gelesen werden können, lassen sich auch andere Formen finden, in denen Wechsel der Arbeitsstelle als Statusarbeit verstanden werden können. Stellenwechsel können auf zwei unterschiedliche Weisen gerahmt werden. Einige Wechsel werden in einen Verlauf eingebettet, in dem die Interviewteilnehmer*innen versuchen, einen ‚Mindeststandard‘ zu erreichen beziehungsweise einen erreichten ökonomischen Standard unter besseren Arbeitsbedingungen zu erhalten – und somit schließlich das ‚kleinste Übel‘ zu realisieren. Die Interviewten sprechen dann etwa davon, sie versuchten, Stellen zu verlassen, die „monoton“ (I30: 955), „fürchterlich“ (I30: 952), „traumatisierend“ (I18: 836), ein „Knochenjob“ (I18: 933), „blöd“ (I14: 718), „unangenehm“ (I14: 712) waren oder deren Vergütung “n Witz“ (I21:724) gewesen sei. Andere Stellenwechsel werden hingegen als Ausweis einer „Karriere“ präsentiert, in der man sich „durch verschiedene Firmen durchgearbeitet“ (I30: 64–65) hat. Letztere Variante zeigt sich in jenen Lebensführungen, die an Berufsstolz und an investiver Statusarbeit orientiert sind.Footnote 4 In diesen beiden Modi der Lebensführung geht es gerade darum, nicht ‚nur‘ eine hinreichend entlohnte und sichere Stelle zu finden, sondern durch einen Aufstieg über das ‚Mittelmäßige‘ oder das ‚Notwendige‘ hinaus tätigkeitsbezogene Exzellenz oder ökonomischen Aufstieg realisieren zu können.

Eine andere Unterform der erwerbsbezogenen Statusarbeit stellt die Entscheidung dar, sich selbstständig zu machen. Selbstständigkeit wird in den Interviews zum einen unter dem Leitmotiv der Autonomie verhandelt. So berichtet etwa eine Ernährungsberaterin, die Selbstständigkeit habe es ihr ermöglicht, einerseits eine eigene Lebensführung zu etablieren, die unabhängig von dem als beengend erlebten bäuerlichen Milieu war, dem sie entstammte; andererseits habe sie so zeitlich flexibel sein können:

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Zum anderen wird Selbstständigkeit aber auch unter dem Leitmotiv des ökonomischen Erfolgs verhandelt. So erzählt der Handwerker Herr Steiger, dass er neben seiner Angestelltentätigkeit zusätzlich noch eine eigene Firma habe, um möglichst viel Geld zu verdienen. Er berichtet, dass er sich nach vielen Anstellungen nun selbstständig mache, denn

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Während die Wechsel der Arbeitsstelle teils geradezu als spontane Aktionismen beschrieben werden, werden diejenigen Erzählungen und Beschreibungen, die von beruflicher Selbstständigkeit handeln, in der Regel in längere Zeitverläufe eingewoben. Das mag in erster Linie daran liegen, dass es sich hier um eine investive Praxis handelt, die ein höheres ökonomisches Startkapital erfordert. So spricht etwa Herr Martin prägnant davon, es habe „nen paar Jahre gedauert und dann/das die ganze Maschinerie ins Laufen bringen.“ (I38: 1107).

Eine weitere Form der erwerbsbezogenen Statusarbeit besteht in unseren Fällen in organisationsinternen Aufstiegen innerhalb von Verwaltungen, Gesundheits- und Schulorganisationen oder Firmen. So berichtet der Verwaltungsangestellte Herr Molchau, er habe sich

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Während in dieser Darstellung der Aufstieg so präsentiert wird, dass er durch die institutionelle Struktur vorgezeichnet sei, berichtet im Kontrast dazu etwa die Arzthelferin Frau Schröder, dass sie „erst mit kleineren Sachen angefangen“ (I21: 350) habe und im Anschluss stückweise mehr Verwaltungsaufgaben übernommen habe, um schließlich in einer Stelle zu arbeiten, für die sie keinen formalen Namen findet, und die sie in Abgrenzung zur körperlich anstrengenden Tätigkeit als Arzthelferin schlicht als „Sesselpupser-Job“ bezeichnet: „Und ähm (.) durch diese unterschiedlichen Tätigkeiten ist dann mein Gehalt denn halt auch immer höher geworden [Auslassung] aber die Stelle hat sich immer wieder //ja// verändert, erweitert “ (I21: 1381, 1397–1409). Der organisationsinterne Aufstieg verläuft hier also nicht so sehr im Sinne einer ‚vorgezeichneten Laufbahn‘, sondern die Interviewte schafft sich durch verschiedene Fortbildungen und Aufgabenübernahmen eine ‚eigene Stelle‘, für die sie dann auch eine idiosynkratische Bezeichnung verwendet. Die Art des organisationsinternen Aufstiegs scheint sich zum einen nach der Beschaffenheit der Organisation zu richten, zum zweiten aber auch nach der Art der biographischen Orientierung – während die Arzthelferin Frau Schröder ihren Aufstieg als einen Kampf gegen Widrigkeiten erlebt, wird der gemeinschaftsorientierte Herr Molchau von der Zuversicht getragen, er werde der vorgezeichneten Laufbahn entsprechend aufsteigen können.

Eine letzte, eher randständige Form der erwerbsbezogenen Statusarbeit besteht in Kriminalität. So berichtet etwa eine Befragte, dass sie in ihrer Jugend Drogen verkauft habe. Sie präsentiert dies zwar eher als Ausweis ihres inzwischen abgelegten ‚schlechten Umgangs‘ und verantwortungslosen Lebensstils – der Verkauf von Drogen bietet aber auch eine erwerbsbezogene Chance des sozioökonomischen Statusaufstieges.Footnote 5 In einem anderen Fall schildert ein Befragter eine Auseinandersetzung mit der „Steuerfahndung“ wegen des Vorwurfs der Steuerhinterziehung. Der Befragte beteuert zwar auch im Interview: „eigentlich habe ich ja auch nichts gemacht, ne?“, gibt aber an, dass er auf Empfehlung seines Steuerberaters und seines Anwalts schließlich eine Selbstanzeige vornimmt und die resultierende Zahlung ihn „mal ein paar Jahre zurückgeworfen“ (I37: 1372) habe. Vor dem Hintergrund dieser etwas unklaren Darstellung ist zumindest zu vermerken, dass Steuerhinterziehung eine Form der kriminellen Statusarbeit darstellen kann.

Erwerbstätigkeit, Wechsel der Arbeitsstelle, Selbstständigkeit und organisationsinterne Aufstiege stellen Praktiken dar, mit denen die Mittelschichtenangehörigen ihren Status verbessern können. Neben diesen eng an die Erwerbssphäre gebundenen Praktiken, lassen sich aber auch noch eine Reihe anderer Arenen der Statusarbeit ausmachen.

5.1.3 Finanzinvestitionen

Eine weitere Form der Statusarbeit besteht in Finanzinvestitionen, in denen die Investition ökonomischen Kapitals etwa in Aktien direkt zu dessen Mehrung führen soll. In den Interviews tauchen solche direkten Investitionspraktiken nur in wenigen Fällen in der Stehgreiferzählung beziehungsweise im Rahmen der immanenten Nachfragen auf – nämlich dort, wo sie ökonomisch möglich sowie auf Mehrung des Kapitals ausgerichtet sind und funktionieren. In der Mehrzahl der Fälle jedoch wurde der Themenkomplex der Vermögensbildung und Altersvorsorge erst im exmanenten Nachfrageteil thematisch und dort eher als Problem denn als Chance verhandelt.

Entscheidend für den Stellenwert und die Bewertung von Finanzinvestitionen ist das verfügbare ökonomische Kapital. Im theoretischen Modell ist festgehalten, dass die Lebensführungen in den Mittelschichten von einer Grundspannung durchzogen seien, da es einerseits durch investive Praxis etwas zu gewinnen, andererseits aber eben auch etwas zu verlieren gibt. Der Blick auf die Praktiken der Finanzinvestition deutet an, dass sich diese Spannung hinsichtlich der Ressourcenausstattung in Form zweier unterschiedlicher Erfahrungswelten differenziert.

Unsere erste Erhebungswelle wurde von der Annahme geleitet, dass ein Einkommen von 100–150 % des Haushaltsäquivalenzeinkommens im Rahmen der Mittelschichten bereits auf ein hohes ökonomisches Kapital schließen lasse. In den entsprechenden Interviews wurde jedoch bald deutlich, dass in dieser Einkommensgruppe Ressourcen nur sehr begrenzt als Kapital verstanden und benutzt werden. In diesen Fällen enthalten die entsprechenden Passagen kaum Erläuterungen und Beschreibungen dazu, wie Finanzinvestitionen als Chance dafür gesehen wurden, den vorhandenen Kapitalstock auszubauen. Vielmehr dominieren hier Motive von Sorge, Unsicherheit und dem Versuch, einen als gefährdet verstandenen Lebensstandard zu erhalten. Obere Zielmarke scheint in dieser Ressourcengruppe eine Lebensführung wie die von Herrn Schulz darzustellen, der sich als verbeamteter Hausbesitzer zufrieden damit zeigt, dass er „zumindest soweit abgesichert“ sei, dass „ich gut leben kann.“ (I08: 1143) Erzählungen zum Stellenwert von Finanzinvestitionen in den Lebensführungen stehen hier also nicht so sehr unter dem Leitmotiv einer Mehrung des Vermögens. In dem Großteil dieser Gespräche geht es vielmehr um die Absicherung eines erreichten Lebensstandards auch für das Alter, und man zielt, wenn überhaupt, auf kleine Zinserträge. Die Befragten leisten etwa Zuzahlungen zu betrieblicher oder privater Altersvorsorge und geben an, sie hätten „ziemlich traditionell das gemacht mit so Riesterrente und sowas, also die Geschichten“ (I08: 1181).

Angesichts dieser Beobachtung werden in die zweite Erhebungswelle auch Personen aufgenommen, deren Haushaltsäquivalenzeinkommen über 150 % des Medians liegt, vereinzelt sogar über 200 %. Erst in dieser Gruppe – die Judith Niehues (2017, 5) als „einkommensstarke oder obere Mitte (150 bis 250 % des Medianeinkommens)“ bezeichnet – finden sich Fälle, in denen Motive an Bedeutung gewinnen, die nicht nur auf Sicherung zielen, sondern auf einen über die sichernde Funktion hinausgehenden Gewinn. Auch diese Finanzinvestitionen werden von den meisten Befragten als unsicheres und unüberschaubares Gebiet verstanden. Eine Ausnahme stellt Frau Brilla dar, die selbst beruflich in der Vermögensverwaltung tätig ist und mit Selbstsicherheit über ihre erfolgreichen Investitionen am Finanzmarkt spricht, da sie „mit dieser Materie tagein tagaus beschäftigt ist, dann ähm (.) bleibt immer wieder was hängen.“ (I29: 1306–1307) Im Kontrast dazu berichtet etwa Herr Huber von erfolglosen und frustrierenden Finanzmarktinvestitionsversuchen:

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Im Anschluss an diese Erfahrung habe er stattdessen in den Kauf eines Waldstücks investiert:

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Die Abkehr vom Finanzmarkt und die Investition in das Waldstück wird vom Interviewten einerseits mit der Hoffnung auf eine langfristige Anlagesicherheit verbunden („kann ich meinen Kindern vererben“ (1213), „gibt es ja schon länger“ (15)). Andererseits deutet sich zu Beginn der Passage auch hier ein Misstrauen gegenüber Berater*innen an, denen er vorwirft, sich an seinen Investitionen zu bereichern. Die Bewertung von Finanzmarktinvestitionen ist hier von dem Motiv der Abhängigkeit geprägt – und widerspricht damit dem Anspruch auf Autonomie, die gerade den investiven Statusarbeiter*innen so wichtig ist. Am Ende der Passage deutet Herr Huber auch an, dass der Wechsel der Investition für ihn mit finanziellen Verlusten einhergegangen ist. Zumindest in der retrospektiven Rationalisierung deutet er diese jedoch als Kosten, die er bereit gewesen sei zu bezahlen, um das Gefühl zu bekommen, er sei in seiner Investitionspraxis nun nicht mehr auf die Beratung durch andere angewiesen. Hier deutet sich also ein Konflikt an: Gerade jene Personen, die durch eine intensivierte investive Statusarbeit über Ressourcen verfügen, die sie in Form von Finanzmarktinvestitionen als Kapital einsetzen könnten, erfahren den Finanzmarkt als eine Investitionsarena, in der sie auf andere angewiesen sind und sich nicht ‚gegen eine feindliche Umwelt allein durchschlagen‘ können. Frau Brilla bildet dabei die ‚glückliche‘ Ausnahme, da sie qua beruflicher Beschäftigung zum einen Ressourcen besitzt, die sie als ökonomisches Kapital einsetzen kann, und sich zum anderen qua Professionalisierung die Kompetenz zuschreibt, selbst kundige Entscheidungen am Finanzmarkt zu treffen.

Was hier für Finanzmarktinvestitionen beobachtet werden kann, scheint auch für Finanzberatungen im weiteren Sinne zu gelten. Auf Nachfrage berichten viele Befragte, dass sie Finanzberatungen in Anspruch genommen haben. Auch hier prägen jedoch Enttäuschungen und schlechte Erfahrungen das Bild, und die Erzählungen zu Beratungsgesprächen sind teils von Ärger und Misstrauen geprägt:Footnote 6

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Die Motive von Vertrauensverlust und dem Gefühl von Ohnmacht werden hier besonders drastisch ausformuliert. In der Tat lassen sich aber in einer Reihe von Interviews sehr vergleichbare Formulierungen finden, in denen die Erfahrung geschildert wird, „der Willkür der Großen nachher ausgesetzt“ (I06) zu sein, sich „irgendwie da übern Tisch ziehen zu lassen oder weiß der Geier was“ (I34), beziehungsweise an jemanden zu geraten, „der auch verkaufen wollte“ (I40). Das Gefühl fehlenden Vertrauens scheint sich dabei gerade vor dem Handlungsdruck zu entfalten, der durch die Aussicht auf eine mangelnde staatliche Absicherung entsteht. Eine Reihe von Befragten berichtet davon, dass sie sich in Finanzfragen eher von Bekannten, Partner*innen und Familienmitgliedern beraten lassen oder sich Vermögensberater*innen über Freunde empfehlen lassen – in der Hoffnung, das sei ein Indikator für Vertrauenswürdigkeit.

Als vergleichsweise sicher und durchschaubar gilt dagegen der Erwerb von Immobilien. So berichtet etwa Herr Steinhauer, dass er auf Grund familialer Streitigkeiten kein Eigenheim besitze und stattdessen ein Ferienhaus gekauft habe:

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Die Beschreibung der Bewältigung des nicht erfüllten Wunsches nach dem Haus ist eigentümlich ambivalent: Auf der einen Seite argumentiert Herr Steinhauer, dass das entgangene Grillen im eigenen Garten durch die Spaziergänge an der Nordsee kompensiert wird, auf der anderen Seite ist das Ferienhaus eben vor allem „Investmentobjekt“ (3) und muss als solches gewartet werden, obwohl man „wenig von“ (3) hat. Die Vermutung liegt nahe, dass die auf der Oberfläche entschuldigende Formulierung, das klinge jetzt „großkotzig“ (1), auf den eigentlichen Orientierungsgehalt verweist, wonach das Grillen im eigenen Garten vor allem ein Statusausweis gewesen wäre, der nun durch den Besitz eines Ferienhauses ausgeglichen wird, das man praktischerweise selbst wieder im Sinne wirtschaftlicher Rationalität bewirtschaften kann.Footnote 7 Der Hauskauf wurde dabei über einen Kredit finanziert, dessen Abzahlung nun einen großen Posten ausmacht:

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Bereits hier lässt sich eine Vermischung der Motive von Kapitalmehrung und Absicherung erkennen: Die Investition trägt nicht den Charakter, auf sicherer Basis eine weitere Mehrung zu erreichen, sondern unter gegenwärtigem Verzicht wird versucht, ein Kapital bereitzustellen, das mindestens der Absicherung, womöglich aber auch der Mehrung dienen soll. Bei unseren Befragten scheint diese Ambivalenz gerade für den Erwerb von Immobilien typisch. Es handelt sich um eine der häufiger zu beobachtenden Investitionsformen, wobei die erworbenen Immobilien in der Regel selbst bewohnt werden.Footnote 8 In der ‚eigenen Wohnung‘ oder dem ‚eigenen Haus‘ zu wohnen wird dabei als eine der sichereren Investitionsformen verstanden und ist gleichzeitig eine eigene Form der Statusdarstellung und der Selbstversicherung der Zugehörigkeit zur Mittelschicht. So formuliert etwa der Volkshochschuldozent Herr Nikolaidis:

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Der Erwerb von Wohneigentum wird dabei in der Regel über Kredite finanziert. Die Aufnahme von großen, langfristig angelegten Krediten gilt in den Interviews als legitime Investitionsstrategie. Solche Kredite können als Ausweis eines habitualisierten Planungs- und Investitionskalküls verstanden werden. Eine typische Aussage in dieser Hinsicht ist etwa die Bemerkung: „Äh ja äh die wichtigste Altersvorsorge ist/sind die vier Wände hier. (.) Die wird abbezahlt sein, spätestens wenn ich sechzig bin.“ (I03: 685–686). Einen entsprechenden Kredit zum Kauf einer Immobilie aufnehmen zu können, deutet dabei auf einen Planungshorizont hin, der es erlaubt, über die unmittelbare Notwendigkeit hinaus zu denken. So erzählt etwa Herr Schulz, dass Fragen langfristiger Planung und Investition sich ihm überhaupt erst eröffnet hätten, als er keine Zeitverträge mehr hatte: "okay jetzt weiß ich, ich bin relativ abgesichert und kann dann überhaupt erst mal nachdenken, wie sieht meine Zukunft für die nächsten fünf oder zehn Jahre aus“ (I08: 1160–1161). Damit werden zum Immobilienkauf aufgenommene Kredite nicht in gleichem Maße als Ausweis ‚schwerer Zeiten‘ verstanden, wie das etwa bei kurzfristigen Dispo-Krediten der Fall ist, die eher als Strategie der Krisenbewältigung dargestellt werden denn als Teil einer planvollen investiven Lebensführung: „Aber dann halt, ja, bin ich halt immer so hinterher. Das ist/äh (.) den Ausgaben hinterher gehinkt. Also den (.) äh, wenn ich dann gejobbt habe, gings darum, wieder mein Konto aufzufüllen, //mhm// dass es wieder auf Null kam.“ (I09: 793–795).

Dass immobilienbezogene Kredite ein Ausweis von Planungssicherheit und Investitionskalkül sind, zeigt sich u. a. auch in der Darstellung Herrn Bergers, der berichtet, seine Frau und er hätten aufgrund der finanziellen Planungssicherheit, über die sie als Beamte zu verfügen glaubten, einen Kredit für einen Hauskauf aufgenommen, der sie nun, nach ausbleibenden Lohnerhöhungen, in finanzielle Schwierigkeiten bringe:

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Die Aufnahme des Kredites ist hier also eher Ausweis der Erwartung einer planbaren Zukunft und eines nicht nur stabilen, sondern steigenden Erwerbseinkommens. Der Befragte deutet bereits an, dass diese Erwartung enttäuscht worden ist und seine Strategie der Altersvorsorge ihn nun in finanzielle Bedrängnisse führt. Es finden sich weitere Berichte darüber, dass Interviewteilnehmer*innen in der Gegenwart Belastungen und Verzicht auf sich nehmen, um ihre Altersvorsorge zu sichern:

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Hier wird sehr deutlich, dass die Altersvorsorge eng an die Erfahrung von Verzicht hier und heute geknüpft ist – ein Motiv, das in einer ganzen Reihe der Interviews zu finden ist. Dass diese langfristige Planungsperspektive auf Kosten unmittelbarer Bedürfnisbefriedigung geht, zeigt sich etwa in der Wiedergabe einer Uneinigkeit darüber in der Paarbeziehung der Lehrerin Frau Traute und ihres Ehemannes:

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Finanzinvestitionen werden hier nicht so sehr als Chance zu Verbesserung des eigenen Status empfunden, sondern als eine Zumutung gegenwärtigen Verzichts. Bei allen Mittelschichtsangehörigen verinnerlicht scheint das im theoretischen Modell als Teil der Investitionspraktik postulierte „Deferred Gratification Pattern“ (Abschn. 2.2.3) also nicht zu sein.

Dort, wo ‚Sicherung‘ ein zentrales Motiv von Finanzinvestitionspraktiken darstellt, werden diese häufig vor dem Hintergrund eines enttäuschten Bezuges zu staatlichen Sicherungsangeboten verhandelt. Unter den älteren Interviewteilnehmer*innen wird dabei der – teils verwehrte – Anspruch darauf formuliert, eine Absicherung durch die gesetzliche Rente zu erhalten:

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Unter den jüngeren Interviewteilnehmer*innen scheint diese Hoffnung teils resigniert relativiert zu werden. So berichtet etwa Herr Huber:

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Wie gezeigt, verfügt Herr Huber über Ressourcen, mit denen er auf diese Resignation mit privaten Spar- und Investitionsplänen reagieren kann, die sogar auf Mehrung des Kapitals ausgerichtet sind. In Fällen, in denen keine Ressourcen für solche Praktiken vorhanden sind, zeigen sich Tendenzen des Fatalismus beziehungsweise des Ausblendens von Fragen der Altersvorsorge. So kann man etwa in einer rationalisierenden Bewegung die fundamentale Unsicherheit der Zukunft betonen und daraus ableiten, ohnehin lieber ‚im Jetzt zu leben‘:

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Oder jemand anders:

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Im Hinblick auf Finanzinvestitionen lässt sich also festhalten, dass ohnehin nur jene Personen über ausreichende ökonomische Ressourcen verfügen, um diese als Kapital einzusetzen, die in der oberen Mittelschicht verortet sind und ihre Lebensführung an investiver Statusarbeit orientieren. Die Personen mit anderen Orientierungen der Lebensführung verfügen im erhobenen Sample nicht über einen ausreichenden Grundstock an Kapital. In diesen Fällen stellt die Beschäftigung mit der Altersvorsorge meist das am weitesten in die Zukunft greifende Planungsfeld ihrer Lebensführung dar – richtet sich aber eher auf die Hoffnung, den Lebensstandard über private Absicherungen oder schlichtes Sparen halten zu können. Damit deutet sich eine Diskrepanz an: In der öffentlichen Diskussion wird das Feld der Finanzinvestitionen als Arena von Chancen verhandelt – etwa von Friedrich Merz (2019) mit seinem Plädoyer für eine „Kultur des Aktiensparens“; doch bis in die mittleren Mittelschichten hinein werden Finanzinvestitionen eher als eine Zumutung verstanden.

5.1.4 Paarbeziehungen und weitere Sozialbeziehungen

In Kap. 2 wird bereits erwähnt, dass neben dem ökonomischen und dem kulturellen Kapital das soziale Kapital eine wichtige Rolle für die Statusarbeit spielen könnte. Ein zentrales Feld stellt hier die intergenerationale Statusarbeit dar, in der Eltern die investive Praxis der Kinder durch explizite und implizite Unterstützungsleistungen rahmen und einüben – dieser Bereich wird weiter unten gesondert behandelt. In den Interviews hat sich ferner gezeigt, dass Mittelschichtenangehörige die sozialen Beziehungen, die sie eingehen und in die sie eingebettet sind, nutzen können, um investive Praktiken zu rahmen, zu stützen und voranzutreiben. Im Unterschied zu Finanzinvestitionen ist dabei das Verhältnis zwischen Input und Output der Investition oftmals sehr viel vermittelter und verschlungener.

Um mit Unterstützungen durch Freund*innen und Bekannte zu beginnen: Die ‚Privatsphäre‘, der Freundschaften und Bekanntschaften zugeordnet werden, wird in der Regel von der Erwerbssphäre, in der explizite investive Praxis stattfindet, abgegrenzt. Betrachtet man jedoch die Lebensführung im Zusammenhang, zeigt sich, dass Freundschaften und Bekanntschaften wichtige Funktionen für die investive Praxis einnehmen können. Dazu sind in einem weiten Sinne des psychosozialen Ausgleichs und der emotionalen Unterstützung zum Beispiel Gespräche, gemeinsame Hobbies und „schöne Truppe[n]“ (I03: 304) zu verstehen, im Rahmen derer Personen investive Praktiken zeitweise suspendieren, um sie so auf Dauer ausüben zu können.

Im Sinne eines Bridging-Sozialkapitals stellen Freundschaften und Bekanntschaften aber auch ein Netzwerk von „Weak Ties“ dar (Granovetter 1973), durch das jemand über Hörensagen an Erwerbspositionen oder Investmentempfehlungen gelangen kann. Ein Beispiel dafür stellt die bereits diskutierte Szene dar, in der der Hauptschullehrer Herr Schulz nach seinem Referendariat an eine Stelle gelangt: „und hab dann von irgendjemand gehört, hier der kennt da jemanden, frag doch mal nach‘“ (I08: 707–708). In einem anderen Beispiel gründet Herr Martin zusammen mit einem Bekannten, den er über einen Freund kennengelernt hat, eine Firma:

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Während in diesen beiden Fällen private Netzwerke Gelegenheiten für die eigene Statusarbeit bieten, nutzen Personen in anderen Fällen berufliche Netzwerke. So berichtet ein Befragter, dass er dank eines bestehenden Netzwerkes eine berufliche Krise bearbeiten kann: „Und ich hatte GAR nichts, ich stand plötzlich mit GAR nichts da. Ja (.) nun hatte ich ja auch ein Netzwerk und das hat mich zum Glück aufgefangen“ (I11: 348–350). Das Fehlen solcher beruflichen Netzwerke kann umgekehrt zu Statusproblemen führen. So erzählt Herr Martin, dass in der Filmbranche, in der er arbeitet, der berufliche Erfolg darauf beruhe, Zugang zu einem professionellen Netzwerk zu erlangen, über das man Aufträge bekommen kann:

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Weiterhin finden sich aber auch Passagen, in denen die Interviewteilnehmer*innen von direkten finanziellen Unterstützungen durch Freund*innen und Bekannte berichten. So erzählt wiederum Herr Martin, dass seine Berufseinstiegsphase von finanziellen Schwierigkeiten geprägt und er in dieser Zeit auf finanzielle und sachbezogene Unterstützung seiner Freund*innen angewiesen gewesen sei:

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In dieser Passage berichtet Herr Martin in einem sehr konkreten, engen Sinne davon, dass sein beruflicher Verlauf von Phasen gekennzeichnet sei, in denen er „die ganze Maschinerie“ noch nicht „ins Laufen“ gebracht habe – in der er also durch seine Erwerbstätigkeit nicht selbst für seinen Status sorgen kann. Die finanzielle Unterstützung durch seinen Freund ermöglicht es ihm, diese Situation als eine ‚Durststrecke‘ zu deuten und an seinem beruflichen Projekt festhalten zu können und nicht auf Jobs zurückgreifen zu müssen, durch die er unmittelbar Geld verdienen könnte.

Hier zeigt sich ein markanter Unterschied. In Interviews mit gemeinschaftszentrierten Gesprächspartner*innen finden sich keine klaren Trennungen zwischen beruflichen und privaten Netzwerken. Akteure, die sich an Berufsstolz orientieren, scheinen hingegen stärker berufliche Netzwerke zu nutzen, die sich aus Personen zusammensetzen, die im gleichen beruflichen Feld tätig sind. Im Fall von investiven Statusarbeiter*innen schließlich spielen Unterstützungsnetzwerke kaum eine Rolle, da viel Wert auf eine autonome Leistungsfähigkeit gelegt wird.Footnote 9

Eine wichtige Sonderform dieser für Praktiken der Statusarbeit hilfreichen sozialen Beziehungen stellen Paarbeziehungen dar. Diese können auf sehr unterschiedliche Weisen als Teil der Statusarbeit einer Person fungieren. Eine erste Möglichkeit ist, dass der eigene Status über den Status des Partners oder der Partnerin definiert wird. So berichtet etwa Herr Nikolaidis über die Situation, in der er eine prestigeträchtige Stelle aufgeben muss, nach einer Anschlussbeschäftigung sucht und mit seiner Partnerin dafür in ein ländliches Gebiet zieht:

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Trotz der ironischen Distanzierung gegenüber dem Interviewer zeigt sich hier, dass der Befragte nicht nur vom festen Einkommen der Partnerin, sondern auch von deren Berufsprestige, über das sich Möglichkeiten des Aufbaus neuen sozialen Kapitals eröffnen, profitiert. Das Berufsprestige des/der Partner*in kann in diesem Sinne ‚abfärben‘ und den eigenen Status erhöhen.

Der weitaus größere Teil der statusbezogenen Bedeutung von Paarbeziehungen richtet sich aber zum einen auf Formen der gemeinsamen Statusarbeit und zum anderen auf die Unterstützung der Statusarbeit des Partners oder der Partnerin. Explizit stellen Interviewpartner*innen einen Bezug zwischen den eigenen Statusoptionen und -strategien einerseits und ihren Paarbeziehungen anderseits her, wo es um Beratung und direkte finanzielle Unterstützung geht, etwa wenn der Architekt Herr Winkler erzählt:

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Herr Martin berichtet, er habe sich Geld von seiner Partnerin geliehen und gibt auch an, es später zurückbezahlt zu haben: „Und am Anfang als wir nach C-Stadt gezogen sind, hat sie ja die Miete bezahlt. Und dann haben wir meine Miete quasi an/also die Schulden angeschrieben.“ (I38: 1173–1175) In diesen beiden Fällen spielen Partner*innen auch als Berater*innen explizit eine wichtige Rolle. Herr Martin berichtet, dass seine Partnerin ihn dazu gedrängt hat, eine planvollere Lebensführung zu praktizieren:

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Während in diesem Beispiel abstrakt von einem „Druck“ die Rede ist, berichtet er später konkret, dass seine Partnerin ihm geholfen und ihn darin angewiesen habe, wie eine Selbstständigkeit richtig anzugehen sei:

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In dieser Passage tritt die Freundin zum einen als Beraterin auf, die dazu rät, kurzfristige Gewinne zugunsten langfristiger Investitionen zurückzustellen, indem sie hilft, einen Plan aufzustellen und der ‚Verlockung‘ zu widerstehen, auf Kosten langfristigen Erfolges jene Jobs anzunehmen, die unmittelbar Einkommen versprechen. Darüber hinaus nimmt sie in der „gemeinsame[n] Entscheidung“ auch eine Rolle aktiver, ermöglichender Unterstützung ein: Die „Konsequenzen“ mitzutragen, bedeutet hier, dass die Partnerin mit ihrer Festanstellung eine sichere finanzielle und emotionale Basis bildet, auf deren Grundlage der Partner eine Risikoinvestition tätigen und die entsprechenden Durststrecken überbrücken kann: „Sie war fest angestellt und sie/sie ist quasi von uns beiden diejenige, die die Kontinuität //ja// hat //ja// und bringt und nen/nen planbares Leben //mhm// führt.“ (I38: 1180–1181) Wie in den theoretischen Vorüberlegungen in Abschn. 2.2.2 bereits angesprochen, kann das Paar hier als ein „Composite Actor“ verstanden werden, da die Lebensführungen und Investitionsstrategien aufeinander abgestimmt sind und einander gegenseitig voraussetzen.

Neben diesen expliziten Unterstützungsleistungen wird in den theoretischen Vorüberlegungen und in einer Reihe einschlägiger Forschungsarbeiten besonders der implizit bleibende ermöglichende Charakter betont, den über Partnerschaften verknüpfte Lebensführungen füreinander einnehmen (Solga und Wimbauer 2005; Treas und Drobnič 2010; Behnke 2012). Im Einklang mit diesen Forschungsarbeiten übernehmen auch in unserem Sample die Frauen – soweit sich das aus den Interviews rekonstruieren lässt – den größten Teil der Haus- und Sorgearbeiten. Auch hier ist in einem weiten Sinne zunächst an emotionale und psychosoziale Unterstützung zu denken, die auf der ‚Hinterbühne‘ der Reproduktion von Arbeitskraft durch Statussuspension dient (Abschn. 2.2.3). Dazu kommt die partnerschaftliche Arbeitsteilung, etwa in Gestalt der Entlastung investiver Statusarbeiter*innen von Haus- und Sorgearbeiten, die der/die Partner*in übernimmt. Dass die Übernahme von Hausarbeiten unterstützende Wirkung auf die eigenen Chancen für Statusarbeit hat, wird sehr selten expliziert, etwa wenn Herr Winkler über die Zeit berichtet, in der er seine Freundin kennenlernte:

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In der Regel werden Fragen der häuslichen Arbeitsteilung nicht in Bezug zu den Möglichkeiten des eigenen Statusstrebens gesetzt. In den Interviews, in denen die eigene Berufsbiographie eine zentrale Stellung einnimmt, werden Aspekte der Arbeitsteilung folglich zumeist erst im exmanenten Nachfrageteil thematisch und auch dort etwas unwirsch ‚unter ferner liefen‘ abgehandelt. Beispielhaft dafür steht eine Passage, in der der Facharbeiter Herr Wisch, dessen Ehefrau ihre eigene Erwerbstätigkeit für elf Jahre unterbricht, um für die gemeinsamen Kinder zu sorgen, darstellt, dass die Arbeitsteilung sich „eingespielt“ habe und der Ehefrau ‚passe‘:

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Die Betonung, die Arbeitsteilung habe sich „eingespielt“ (2), findet deutliche Parallelen in anderen Interviews, in denen zum Beispiel die Rede davon ist, jede*r mache, wonach er oder sie einen „Drang“ verspüre und wozu man „Lust“ habe, und auf diese Weise würde sich die Arbeitsteilung ‚einpendeln‘. Darstellungen wie diese dienen der Versicherung, dass es ‚mit dem Haushalt schon seine Richtigkeit habe‘, auch wenn die gefundenen Arrangements noch stark einer traditionellen ‚Hausfrauenehe‘ ähneln, in der die Frau Arbeiten übernimmt, die explizit als ‚Unterstützung‘ des gemeinsamen Statusprojektes, aber eben nicht als eigenes Statusstreben gerahmt werden.Footnote 10

Neben der traditionellen ‚Hausfrauenehe‘ finden sich gerade unter den jüngeren Befragten Zuverdienermodelle, in denen die Partnerin in geringem Maße erwerbstätig ist und im Rahmen dessen einen größeren Teil der Haus- und Sorgearbeit übernimmt. So erzählt etwa Frau Traute, wie sie als Lehrerin halbtags arbeitet und deshalb mehr Aufgaben in der Hausarbeit übernimmt:

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Die zitierten Passagen weisen darauf hin, dass es eine enge Verknüpfung zwischen den biographischen Entscheidungen in Paarbeziehungen geben kann. Das Zentrum der Statusarbeit ist hier nicht so sehr die eigene Biographie, sondern vielmehr der gemeinsame Haushalt.Footnote 11 Die Arbeitsteilung dieser gemeinsamen Statusarbeit ist dabei zum einen von ökonomischer Rationalität geprägt – nach der jene*r der Partner*innen einer Erwerbstätigkeit nachgeht, der/die bessere Verdienstaussichten hat. Zum anderen bestimmen tradierte Rollenmuster hier die gemeinsame Statusarbeit. Die hohe implizite Selbstverständlichkeit aufeinander bezogener und voneinander abhängiger, aber asymmetrischer Statuspraktiken innerhalb von Paarbeziehungen stellt insofern besonders für die Frauen die Perspektive einer ‚individuellen Lebensführung‘ in Frage. Gemeinsame, auf impliziten normativen Konzeptionen basierende Abstimmungspraktiken werden in den Interviews von beiden Seiten zumeist eher in Form der impliziten Routine als der expliziten statusorientierten Entscheidung diskutiert, wofür beispielhaft diese beiden Passagen stehen können:

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Und:

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Im Kontrast zu den weiter oben erwähnten erwerbs- oder finanzbezogenen Investitionspraktiken, werden sowohl alltägliche Arbeitsteilung als auch erwerbsbiographische Unterbrechungen für Care-Arbeiten nicht als Arenen der Statusarbeit verstanden, sondern unter den Motiven der ‚Egalität‘ und der ‚persönlichen Präferenzen‘ präsentiert. Auffällig ist dabei, dass diese Arbeitsteilungen über alle drei Orientierungsmuster hinweg als stark sedimentierte, implizite und damit letztlich verdeckte Formen oder Voraussetzungen – bis hin zu Ermöglichungen – von Statusarbeit wirken.

Unter Bedingungen ausreichender Kapitalausstattung lässt sich die gleiche Beobachtung auch dort machen, wo Hausarbeiten an bezahlte Dienstleister*innen übertragen werden. So berichtet Herr Martin: „Wir sind beide keine großen (.) Putzer, deswegen haben wir ne Putzfrau.“ (I38: 1749–1750) Auch hier werden die Chancen der eigenen Statusarbeit erweitert, indem Hausarbeiten externalisiert werden – diese Ermöglichung wird aber nicht reflexiv als Investitionsstrategie präsentiert. Am explizitesten als Investition wird diese Externalisierung in folgender Schilderung der Lehrerin Frau Traute ausgewiesenFootnote 12:

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Auch wenn hier von einer Investition gesprochen wird, deutet der argumentative Kontext darauf hin, dass diese nicht darauf zielt, sich zeitliche Ressourcen zu erkaufen, um durch ex- oder intensivierte Erwerbstätigkeit beim Statusstreben einen ‚Extraprofit‘ zu erwirtschaften. Das externalisierende Arrangement mag zwar faktisch so wirken, wird aber nicht so verstanden, sondern als Unterstützung bei der Statussuspension – mehr Zeit dafür, worauf man „Lust“ hat und was man „in der Freizeit machen“ will.

In einem anderen Interview berichtet Herr Steinhauer davon, wie er seine Mutter zur Pflege in einem osteuropäischen Pflegeheim untergebracht hat. Die Verhandlung dieser Entscheidung wird vordergründig auf der Ebene ihrer persönlichen Beziehung diskutiert, etwa indem Herr Steinhauer konkludiert: „Sie lebt in ihrer Welt, ich lebe in meiner Welt (…) alles gut.“ (I30: 420) Auch hier wird nicht diskutiert, wie die Auslagerung der Pflegetätigkeit eine Intensivierung seiner individuellen Statusarbeit ermöglicht. Als funktionales Äquivalent zu bezahlten Dienstleistern in der Care-Arbeit können – insbesondere bei der Kinderbetreuung – auch die Großeltern eingesetzt werden, damit man zeitliche Freiräume gewinnt, um der eigenen Erwerbstätigkeit oder beruflichen Weiterbildung nachgehen zu können. So berichtet eine selbstständige Ernährungsberaterin:

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Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass der Zusammenhang zwischen individueller Statusarbeit und sozialen Beziehungen weniger eindeutig und explizit ist, als der Bezug auf Statusstreben in Beschreibungen und Erzählungen, die die Erwerbssphäre und die Sphäre der Finanzinvestitionen betreffen.Footnote 13 Beratung, finanzielle Unterstützung und Hilfeleistungen haben in den biographischen Erzählungen eher ergänzenden Charakter: Freund*innen, Bekannte und Familie sind dort ‚eingesprungen‘, wo man in der eigenen Statusarbeit auf Schwierigkeiten und Durststrecken trifft. Das ‚Zentrum‘ der Statusarbeit besteht aber in als individuell zurechenbar gedeuteten Praktiken.

Außerdem zeigt sich, dass sich der Bezug auf soziale Beziehungen je nach biographischer Orientierung stark unterscheidet. So spielen soziale Beziehungen sowohl in ihrem Gebrauchswertcharakter als auch in ihrem Tauschwertcharakter besonders in der Lebensführung gemeinschaftsorientierter Personen eine zentrale Rolle. Dort finden sich zum einen unumwundene Hinweise darauf, dass man über die Hilfe anderer weitergekommen sei. Mehr noch: In den entsprechenden Fällen ziehen die Befragten geradezu einen Stolz daraus, entsprechend ‚sozial eingebunden‘ zu sein. Dies dient dort als eine Praxis der Statusdarstellung. So scheint der Hinweis, einen „total netten Freundeskreis“ (I19: 967–968) zu haben, ein Statusausweis ‚an sich‘ zu sein. Die entsprechenden Kreise zeigen dabei aber hohe Kontinuitäten; Loyalität spielt eine wichtige Rolle im Bezug zueinander.

In Fällen hingegen, in denen die Orientierung an Berufsstolz dominiert, dient der Bezug auf „Leute […], die, […] die auf der gleichen Welle sind“ (I05), als Hinweis darauf, dass man ‚in gewissen Kreisen‘ Ansehen genießt und diese als Forum des weiteren Aufstiegs versteht. Die Logik des Sozialbezugs scheint hier dem Sprichwort zu folgen: ‚If you're the smartest person in the room, you're in the wrong room‘. Man ist zum Aufstieg zwar auf andere Personen angewiesen, lässt diese aber auf dem Weg hinter sich.

Investive Statusarbeiter*innen schließlich fallen durch die Abwesenheit von persönlich als wichtig angesehenen sozialen Beziehungen jenseits der eigenen Familie auf. Bekanntschaften werden hier allenfalls für Hinweise darauf verwendet, einen Lebensstandard zu haben, in dem man gemeinsam mit anderen Sport treiben, Motorrad fahren, reisen, essen, usw. kann. Damit wird gezeigt, dass man sich Freundschaften – und die dazugehörigen Konsumpraktiken – leisten kann. Abseits dessen spielen soziale Beziehungen im Rahmen der stolzen Darstellung als ‚eine*r, der/die sich allein durchschlagen kann‘ kaum eine Rolle. So berichtet etwa Herr Huber (durchaus kritisch), dass seine außerfamilialen Beziehungen teils durch starke Statusdarstellungen gekennzeichnet waren:

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Im Fallkontext zeigt sich, dass der in einem Dorf lebende Handwerker in der „Stadt“ auch eine milieubezogene Fremdheitserfahrung gemacht hat – es ist allerdings auffällig, dass Herr Huber nicht berichtet, sich andere Freund*innen gesucht zu haben, sondern: „Sitze ich lieber im Wald. //ja// Ja //ja// ist so, weil ich habe den ganzen Tag mit so vielen Leuten zu tun und wenn ich dann mal meine Ruhe habe, ist jetzt wirklich mittlerweile nur noch (.) ruhig.“ (I37: 775–777) Statusdarstellungen beschränken sich in diesen Fällen in der Regel allenfalls auf die eigene Kernfamilie beziehungsweise die Partnerschaft. So wurde bereits erwähnt, wie Herr Huber in der Eingangserzählung zu Protokoll gibt: „geheiratet, zwei Kinder, Haus, Hund, so richtig nach/wie’s sein soll“. Die Familie wird hier nicht nur als eine wirtschaftende Einheit aufgefasst, sondern zum einen als eine ‚anerkannte Lebensform‘ vorgestellt: Wenn man sie ‚vorweisen‘ kann, verschafft das Respektabilität. Zum anderen deutet sich an, dass man sich dieses ‚respektable Leben‘ auch finanziell leisten kann.

5.1.5 Intergenerationale Statusarbeit

Zu den engsten sozialen Beziehungen gehört neben der Partnerschaft auch die Elternschaft, in der intergenerationale als stellvertretende Statusarbeit betrieben wird – und von Mittelschichteltern auch normativ erwartet wird. Es geht um Praktiken, die die Statussicherung und möglichst den Statusaufstieg der Kinder befördern sollen. Bei der Arbeit am Status der eigenen Nachkommen handelt es sich aus der Perspektive der Eltern einerseits insofern nicht um eine je ‚individuelle‘ Statusarbeit, als dass die Förderung des Status der Kinder eher auf eine Form des ‚familialen Status‘ zu zielen scheint. Die Sicherstellung des Status der Kinder kann zum anderen aber auch als eine individuelle Statusarbeit konzipiert werden, wenn etwa die langfristige finanzielle Abhängigkeit der Kinder als mögliche faktische Gefährdung des eigenen Status verstanden wird oder der Statusabstieg der Kinder Zweifel an der eigenen ‚Statussolidität‘ aufzuwerfen droht, insofern er als Hinweis darauf gelesen werden könnte, dass der eigene Status ebenfalls nicht gesichert sein könnte (Birkelbach 2001).

Aus der Perspektive der Kinder entscheidet die elterliche intergenerationale Statusarbeit darüber, über welches Startkapital sie für die eigene investive Praxis verfügen. Das wird besonders offensichtlich im Fall von direkten Unterstützungszahlungen innerhalb der Familie. Diese Zahlungen werden in den Interviews als Unterstützungen der investiven Praxis der Kinder präsentiert. Es geht also in der intergenerationalen Statusarbeit gerade nicht darum, selbst ein so großes Vermögen anzuhäufen, dass die Kinder in einer Situation „sorgenfreien Reichtums“ (Groh-Samberg 2009) – wie Oberschichtenangehörige – keine eigene Statusarbeit mehr leisten müssten und ihr Auskommen nur mehr durch das Erbe ihrer Eltern finanzieren könnten.

Eine häufig zu findende Form der finanziellen Unterstützung ist die regelmäßige Zahlung von Geldbeträgen von Eltern an ihre Kinder in Ausbildungsphasen (Friedrich 2016). In einigen Fällen gehen die finanziellen Unterstützungen auch über die Ausbildungszeiträume hinaus. So berichtet etwa ein Architekt, dass er und seine Familie es sich nicht leisten können, eine Eigentumswohnung zu kaufen. Deshalb gibt sein Vater ihm einen Kredit, den er nur zurückzahlen muss, wenn er und seine Frau sich scheiden lassen:

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Hier wird in einer extremen Form deutlich, dass die regelmäßige Zahlung von Geldbeträgen als eine Gefährdung der Autonomie der eigenen Lebensführung verstanden werden kann. Dementsprechend finden sich teils Beteuerungen der Unabhängigkeit der eigenen beruflichen Entscheidung darüber, dass man von den Eltern im beruflichen Verlauf nicht unterstützt wird: „Dadurch, dass ich äh seitdem ich aus/Zuhause ausgezogen bin kein Geld mehr von denen gekriegt habe //mhm// und ich selbstständig war, das/war das für die auch egal.“ (I38: 964–966)Footnote 14 Wie weiter unten noch näher dargestellt werden wird, stellt sich das Beharren auf der Autonomie des eigenen Statusprojektes besonders ausgeprägt in Fällen dar, die einer Orientierung am Berufsstolz oder an investiver Statusarbeit zuzuordnen sind.

Um unterstützend zu wirken, müssen soziale und finanzielle Hilfsleistungen durch die Eltern nicht konkret stattfinden – es genügt, wenn sie als unaktualisierter Möglichkeitshorizont ein ‚Sicherheitsnetz‘ der eigenen Statusarbeit darstellen. Das zeigt sich, wenn Herr Martin, der sich ohne Berufsausbildung in der Filmbranche selbstständig macht und dabei lange Durststrecken erlebt, bemerkt, er habe „immer gewusst äh wenn alle Stricke reißen, kann ich immer noch zu meinen Eltern ziehen.“ (I38: 1714).

Neben diesen direkten Unterstützungsleistungen finden sich auch Beschreibungen von Situationen, in denen die Investition in den eigenen Status mit der Hoffnung verbunden wird, den Statusgewinn den Kindern ‚weitergeben‘ beziehungsweise ‚hinterlassen‘ zu können. So berichtet etwa Herr Steiger über seine Entscheidung zum Hauskauf:

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Die Hoffnung auf den „wow Effekt“ (4) trägt dabei eine doppelte Konnotation: Zum einen kann die Passage so gelesen werden, dass man die Kinder mit den eigenen Errungenschaften beeindrucken und sie damit zum Publikum der eigenen Statusdarstellung machen will. Zum anderen verfügen dann später die Kinder aber auch selbst über ein Statusobjekt, mit dem sie andere beeindrucken können, und der Statuserfolg kann damit ‚vererbt‘ werden. Auch Herr Nikolaidis erwähnt diese Hoffnung darauf, den Kindern die Statusarbeit durch den eigenen Statuserfolg zu erleichtern, bezieht sich aber auf Bildungsabschlüsse, die als kulturelles Kapital fungieren sollen:

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Die Investition in den eigenen Status strahlt hier – so zumindest die Erwartung – wie beim Halo-Effekt auf die eigenen Kinder aus.Footnote 15

Neben diesen Praktiken direkter Weitergabe und Unterstützung finden sich auch solche Aktivitäten intergenerationaler Statusarbeit, in denen explizit oder implizit bestimmte Haltungen der Lebensführung und des Statusstrebens eingeübt werden sollen, die es den Kindern ermöglichen, ‚aus eigener Kraft‘ den Status der Eltern zu reproduzieren oder zu überflügeln. Man denke hier nur an die Passage zurück, in der Herr Schulz berichtet, er habe sich seine erste Kamera als 16-Jähriger durch die Arbeit auf einer Baustelle finanziert, weil der Vater ihm gesagt habe: „dann verdiene sie dir“. Der eigene hohe Status kann aus dieser Perspektive geradezu als Gefährdung des Statusstrebens der Kinder gelesen werden. So berichtet Herr Steinhauer, er und seine Frau hätten die Tochter auf eine teilprivate, integrative Schule geschickt, damit sie

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Für Herrn Steinhauer, der – wie an anderer Stelle ausgeführt – die Lebensführung als Kampf versteht, besteht die intergenerationale Statusarbeit einerseits darin, auch seine Kinder auf diesen Kampf vorzubereiten, indem er deren Selbstständigkeit fördert. Andererseits hält er aber auch ein spezifizierendes Konzept dafür bereit, wie die Ausbildung der Tochter aussehen solle:

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Die Passagen, in denen bezüglich der eigenen Kinder am explizitesten über intergenerationale Statusarbeit gesprochen wird, stammen – wie in der gerade zitierten Aussage – aus Interviews mit investiven Statusarbeiter*innen. An anderer Stelle spricht Herr Steinhauer bedauernd darüber, dass er für die Zukunft seiner Kinder „noch keinen Masterplan entwickelt“ habe – der Planungsanspruch, der die eigene Lebensführung kennzeichnet, wird hier also ungebrochen auf die Kinder übertragen. Auch die in Abschn. 4.3 bereits behandelte Eingangspassage des Interviews mit Herrn Huber zeigt deutlich ein Statusmotiv mit Bezug auf seine Kinder:

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Die investive Statusarbeiterin Frau Schröder berichtet davon, dass sie ihren Sohn gezielt auf eine Schule „weiter außerhalb“ geschickt haben, in der Hoffnung, er könne so problemloser in den Abiturzweig wechseln, falls er das schaffen sollte:

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Wie schon in der vorigen Passage zeigt sich auch hier eine Ambivalenz darin, ob das Statusmotiv als Wunsch des Kindes („Papa, ich will studieren gehen“) oder als eigene Aufforderung („such dir die schönste Uni“) präsentiert wird. Frau Schröder verhandelt diese Spannung explizit:

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In der Passage flammt ein kurzer Zweifel auf, ob die Entscheidung des Kindes wirklich „freiwillig“ ist oder ob Kinder nicht so „beeinflussbar“ seien, dass sie dem Willen der Eltern keinen eigenen entgegensetzen könnten. Ein Konflikt zwischen Freiwilligkeit und Statusstreben wird zumeist aber nur dort kritisch kommentiert, wo er als gesellschaftliches Problem ausgemacht wird. So argumentiert etwa Herr Schulz:

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Auf persönlicher Ebene hingegen scheint dieser Konflikt über zwei Wege gelöst beziehungsweise verdeckt zu werden. Zum einen sprechen Eltern über die Zukunft ihrer Kinder häufig mit einer Form von Gewissheit, die sie als Eltern aufgrund eines ‚privilegierten Wissens‘ besäßen. In diesen Einschätzungen scheinen sich dann kognitive und normative Erwartungen zu vermischen, etwa wenn die Buchhalterin Frau Michels sehr bestimmt über die Zukunft ihres Sohnes spricht:

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Der zweite Weg der Verdeckung des potentiellen Konfliktes besteht darin, dass den Kindern implizit unterstellt wird, der Korridor ihrer Freiwilligkeit schließe ohnehin nur Handlungsoptionen ein, die den Eltern als opportun erscheinen. Was die Kinder für eine Ausbildung absolvieren sollen, will man dann zum Beispiel nicht bestimmen – dass sie aber vielleicht keine Ausbildung machen wollen, kommt im elterlichen Vorstellungshorizont nicht vor.

Es ist auffällig, dass gerade für jene, die Statusarbeit als besonders zentral und zugleich erschöpfend präsentieren, der Bezug auf die Kinder eine legitimierende Funktion erhält. So bezieht sich der investive Statusarbeiter Herr Huber explizit auf seine Kinder, um die eigene Statusorientierung zu rechtfertigen:

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Wie bereits in Abschn. 4.3 herausgearbeitet, scheint sich in dem Bezug auf „ein Baumhaus oder ein Blockhaus“ (3) eher eine Ausbruchsphantasie zu dokumentieren, die sich als Teil einer Lebensführung erweist, in der das Streben nach sozioökonomischem Status eine zentrale Stellung einnimmt, als eine ‚echte‘ alternative Form der Lebensführung, deren Umsetzung in Frage käme. Der Bezug auf den Status der Kinder könnte hier also als Entlastung von einer individuellen Begründungspflicht gelesen werden: ‚Weil ich Kinder habe, muss ich mein Leben so statusorientiert führen, wie ich es tue.‘

Entgegen der Betonung der „freiwillige[n] Basis“ (7) spezifiziert Herr Huber an anderer Stelle, dass er durchaus konkretere, in diesem Fall stark geschlechterdifferenzierte Konzeptionen davon hat, welche Statuspositionen die Kinder einnehmen sollen:

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In den bisherigen Passagen stellen die Wahl von Schule und Ausbildung die zentralen Aktivitäten der intergenerationalen Statusarbeit dar. Die Praktiken, auf die sich im Interviewmaterial diesbezüglich Hinweise finden, reichen von Beratung und Förderung – so berichtet Herr Martin etwa, wie die Mutter ihm mit „mach was Vernünftiges“ (I38: 936–937) zu einer bestimmten Form der Statusarbeit rät – bis zu Beeinflussung durch monetäre Unterstützung. Herr Martin selbst reproduziert mit Blick auf die Erwartung der Zukunft seiner Kinder seinen eigenen Anspruch darauf, das eigene Kind nicht „auf so ne elitäre Schule“ zu schicken, denn: „Also das/da glaub da lernt man nichts genug (.) fürs Leben. //ja// Man muss alle Schichten kennen, um dann zu verstehen wie die Gesellschaft funktioniert.“ (I38: 1687–1688) Er trifft diese Einschätzung allerdings vor dem Hintergrund der Gewissheit, dass das Kind aufgrund seiner sozialen Herkunft keine Statusprobleme haben werde:

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Die Sorglosigkeit, mit der Herr Martin sich auf die Zukunft und die Berufswahl des Kindes bezieht, spiegelt hier also ein Ausstattungsniveau wider, in dem Statussorgen nicht aufkommen und dem Kind deshalb eine relativ große Wahlfreiheit zugestanden wird. Im Kontext des Samples stellt das eine privilegierte Sonderstellung dar, in der mit einem hohen ökonomischen Kapital eine hohe Statussicherheit und dementsprechend ein Gestus der Gelassenheit einhergeht. Dass selbst diese Großzügigkeit Grenzen hat, zeigt sich allerdings in einer Nebenbemerkung:

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Während es bis hier um Formen der Statusarbeit geht, in denen explizit über Anspruch und Strategie verhandelt wird, finden sich darüber hinaus in den Interviews Hinweise auf Praktiken der intergenerationalen Statusarbeit, die nicht als solche verhandelt und präsentiert werden, aber dennoch als Formen der Einübung und Reproduktion von Statusarbeit gelesen werden können und als habitualisierte intergenerationale Statustransmission wirken. Aufgrund des thematischen Schwerpunktes auf die eigene Biographie beziehen sich die entsprechenden Passagen in erster Linie auf das Verhältnis zwischen den Interviewpartner*innen und deren Eltern. So berichtet etwa auch der gemeinschaftsorientierte Herr Winkler beiläufig davon, wie seine Eltern mit ihm, als er jung war, ein geldvermitteltes Entlohnen von Leistung einüben: „Blöd war natürlich, dass wir dann immer Gartenarbeit machen mussten. @(.)@ //ja// Disteln ausstechen bis meine Eltern gesagt haben, für jede Distel gibt‘s zwei Pfennig.“ (I09: 255–257) Die frühe Einübung des Umgangs mit Geld wird auch im Interview mit Frau Brilla thematisch, wenn sie darüber spricht, dass die Eltern als Vertriebene aus Ostpreußen „nicht so toll angesehen“ seien und einen schwierigen „finanziellen Status“ hätten:

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„[M]it Geld sorgsam um[zu]gehen“ (1–2) und „vorsichtig“ (3) zu sein, deutet Frau Brilla hier in der Rückwendung als unausgesprochene, aber ‚logische‘ Konsequenz der finanziell knappen Lage der Eltern.

Auf ähnlich implizite Praktiken weisen Passagen hin, in denen Interviewteilnehmer*innen etwa davon berichten, dass ihnen als Kindern eine Reihe von Freizeitaktivitäten und Hobbies ermöglicht werden, die als ‚Hochkultur‘ einer Form des frühen Aufbaus kulturellen Kapitals gelesen werden können. So etwa, wenn Frau Traute berichtet:

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Die Rückwendung – die sicherlich dadurch gefärbt ist, dass Frau Traute heute als Musiklehrerin auf die gelernten Fähigkeit zurückgreifen kannFootnote 16 – deutet nicht nur die Spannbreite der unterschiedlichen kulturellen Möglichkeiten an, die Frau Traute als Kind hat, sondern trägt in der Bemerkung, sie habe sich „nicht so verpflichtet gefühlt“ (5–6), eben auch die Konnotation, dass diese Möglichkeiten auch als anstrengend und verpflichtend erlebt werden konnten.

Teils scheinen aber auch hier sehr explizite Formen der intergenerationalen Statusarbeit auf. So berichtet Herr Berger etwa von der ‚Hausaufgabenhilfe‘ seiner Eltern, die klar darauf ausgerichtet war, ihm einen Statusaufstieg zu ermöglichen:

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Auch hier wird wieder die Ambivalenz zwischen Wahlfreiheit („Beruf aussuchen“ (12–13)) und Statusaufstieg („Arzt werden“ (19)) deutlich. Gerade der Fall von Herrn Berger zeigt aber weiterhin auch eine Kontinuität in der Form der intergenerationalen Statusarbeit. So stellen die Angst vor drohendem Schulversagen und die Versuche, das Kind zum Lernen und Leisten zu ermuntern, zentrale Themen in seiner Auseinandersetzung mit seinem eigenen Kind dar.

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Herr Berger erzählt daraufhin, dass eine Reihe von Eltern an der Kompetenz des Lehrers zweifeln würden – was ebenfalls als eine Form des Umgangs mit intergenerationaler Statusangst gelesen werden kann. Im Kontrast dazu reagieren Herr Berger und seine Frau, indem sie dem Lehrer ihr Vertrauen aussprechen und seinen Empfehlungen auch entgegen den Reaktionen des Kindes folgen würden:

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Entgegen der Semantik der Freiwilligkeit, die das Feld der intergenerationalen Statusarbeit erst einmal bestimmt, wird der Wille des Sohnes hier explizit übergangen – allerdings mit der Begründung, dass ihm das ultimativ helfen würde, da er in der „kriegsentscheidend[en]“ Klasse dann gute Noten schreiben und damit auf eine bessere Schule kommen würde.

Die Darstellungen zeigen ein weites Feld intergenerationaler Statusarbeit. Obwohl Geburt und Erziehung von Kindern sowohl mit hohen direkten Kosten einhergehen als auch – gerade für die Frauen in Mittelschichtsfamilien – hohe Opportunitätskosten in Sachen eigener Statusarbeit mit sich bringen, zielen eine ganze Reihe von Praktiken darauf, den Statuserhalt oder möglichst -aufstieg von Kindern zu ermöglichen.Footnote 17 Zum einen werden durch eigene Statusarbeit die ‚Startbedingungen‘ der Kinder wesentlich mitbestimmt, zum anderen lassen sich eine Reihe von Hinweisen darauf finden, dass direkte Unterstützungsleistungen die investive Praxis der Kinder rahmen. Weiterhin besteht intergenerationale Statusarbeit auch darin, explizit oder implizit Praktiken investiver Statusarbeit einzuüben. In dieser Hinsicht droht potentiell eine Unsicherheit: Was, wenn die Kinder nicht in der gleichen Weise und im gleichen Maße Statusarbeit betreiben wollen? Dieser potentielle Konflikt wirft allerdings nur sehr selten konkrete handlungspraktische Probleme auf. Da ein großer Teil der Praktiken eher als habituelles implizites Wissen wirkt, erscheint die Gefahr, dass die eigenen Kinder dem Status in ihrer Lebensführung nicht den gleichen Stellenwert einräumen wollen, schlicht nicht vorstellbar. Umso irritierender ist es dann freilich, wenn das im Einzelfall oder sogar massenhaft – wie etwa in den Generationskonflikten der späten 1960er Jahre – dann doch geschieht.

5.1.6 Reflexive Statusarbeit

Im theoretischen Modell werden zwei verschiedene Ausrichtungen von Praktiken investiver Statusarbeit unterschieden: Basale Praktiken zielen darauf ab, direkt unter gegebenen und hingenommenen Rahmenbedingungen in Richtung einer Statusverbesserung zu wirken, während reflexive Praktiken darauf ausgerichtet sind, die Rahmenbedingungen dieser basalen Praktiken zu verbessern. In der tagtäglichen Praxis der Lebensführung scheint diese Unterscheidung eher ein Kontinuum aufzuspannen als eine klar abgrenzende Dichotomie: Ist es nicht auch eine reflexive Praxis, durch das Eingehen einer traditionellen Paarbeziehung Haus- und Sorgearbeiten zu externalisieren und damit die Grundlagen dafür zu schaffen, in der Erwerbssphäre noch konzentrierter Arbeit zu verrichten, die als ‚Leistung‘ anerkannt und finanziell entlohnt wird? Oder ist es nicht auch eine reflexive Praxis, nach einigen Jahren erschöpfender Berufserfahrung ein Studium aufzunehmen, mit dem Ziel, durch den erreichten Abschluss die Stellung auf dem Arbeitsmarkt zu verbessern? Oder ist es nicht auch intersubjektive reflexive Statusarbeit, wenn Eltern ihren Kindern den Weg zu erfolgreicher investiver Statusarbeit bahnen?

Beispiele wie diese zeigen, dass die Klärung der Frage, was basale und was reflexive Statusarbeit ist, beim Verständnis derer ansetzen muss, die bestimmte Praktiken einsetzen. Versteht man die Unterscheidung zwischen basal und reflexiv in solch einer subjektivierten Lesart, zeigt sich in der Tat, dass die Interviewpartner*innen einige Praktiken so rahmen, dass sie damit ‚auf eine andere Ebene‘ wechseln. Sie treten gewissermaßen neben sich, vergegenwärtigen sich die Rahmenbedingungen, unter denen sie bestimmte Praktiken investiver Statusarbeit einsetzen, und überlegen, ob sie nicht etwas tun können, damit die Rahmenbedingungen günstiger für zukünftige eigene basale Statusarbeit aussehen. Der entscheidungsförmige Duktus, in dem reflexive Statusarbeit gerade umrissen wurde, passt durchaus dazu, dass sie zumeist reflektierter praktiziert wird als oftmals habitualisierte basale Statusarbeit. Man darf reflexive Statusarbeit allerdings nicht so verstehen, dass hier ein völlig anderes Niveau an Überblick, Abwägung und Besonnenheit vorliegt.

Generell gilt, dass unsere Gesprächspartner reflexive Statusarbeit sehr wenig ansprechen. Da diese, wie gerade gesagt, typischerweise stärker bewusst reflektiert wird als basale Statusarbeit, deutet das darauf hin, dass sie in der Tat kaum praktiziert wird. Am meisten erwähnt wird räumliche Mobilität als eine Praktik reflexiver Statusarbeit. Eine ganze Reihe von Personen berichtet sehr selbstverständlich davon, dass sie im Rahmen der eigenen Ausbildung und Erwerbstätigkeit innerhalb Deutschlands umgezogen sind. Ein in Kap. 4 bereits angesprochener Kontrast besteht hier besonders darin, dass jene Personen, die eine gemeinschaftsorientierte Lebensführung zeigen, auch eine starke lokale Kontinuität zeigen beziehungsweise bei Umzügen Anstrengungen unternehmen, um sich neue Gemeinschaften zu erschließen oder durch Pendeln eine enge Verbindung mit bestehenden Gemeinschaften beizubehalten – während Personen, die wir den anderen beiden biographischen Orientierungen zuordnen, grundsätzlich ein höheres Mobilitätspotential aufweisen. Sie verbringen einzelne Studiensemester oder mehrjährige Forschungsaufenthalte im Ausland, sind bereit „n paar Kilometer [zu] fahren, um Leute zu finden, die, (..) die auf der gleichen Welle sind“ (I05: 152–153), unternehmen für ihre Arbeitgeber*innen „vier, fünf, sechs Reisen im Jahr […] von mehreren Tagen.“ (I38: 1289–1290) Dort, wo Auslandsaufenthalte zum Beispiel als Teil eines Anforderungsprofils verstanden werden, sind in solchen Mobilitätsepisoden Elemente basaler investiver Praktiken zu erkennen.

Über diese kurzfristigen Mobilitäten hinaus erscheint es aber gerade für investive Statusarbeiter*innen charakteristisch, sich überregional zu bewerben, um den geeignetsten Kontext ihrer Statusarbeit zu finden. So wurde in Abschn. 4.3 bereits gezeigt, wie sich Herr Huber in seiner Eingangserzählung damit brüstet, „deutschlandweit“ Zusagen auf seine Bewerbungen bekommen zu haben. Der Handwerker Herr Steiger unternimmt sogar mehrere Anläufe, um mit seiner Familie ins europäische Ausland auszuwandern, um dort „lukrative Jobangebote“ (I06: 249) anzunehmen. Die räumliche Flexibilität fügt sich hier in die in Abschn. 5.1.4 erwähnte schwache Einbindung in lokale Netzwerke.

Während diese Formen der langfristigen oder kurzfristigen Wanderung darauf gerichtet sind, die eigenen Bildungs- oder Erwerbschancen zu verbessern, findet sich in dem Interview mit Herrn Nikolaidis eine weitere Form der Statusverbesserung durch räumliche Mobilität. Nach einer beruflichen Krise zieht der Befragte zusammen mit seiner Frau in ein ländliches Gebiet, da sie dort eine passende Erwerbsposition findet. Der Befragte berichtet über diese Erfahrung:

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Herr Nikolaidis berichtet hier von einer Art Big-Fish-Little-Pond-Effect, nach dem das eigene wahrgenommene Berufsprestige durch den Wechsel einer Bezugsgruppe ansteigt. In diesem konkreten Fall bilanziert er sogar, dass er durch den Umzug außerdem eine „feste Stelle“ bekommen und damit auch „den ganzen finanziellen Stress“ nicht mehr habe. Neben diesen ‚handfesten‘ finanziellen Vorteilen durch einen sichereren Arbeitsplatz, einen höheren Verdienst und niedrigere Lebenshaltungskosten berichtet er aber auch davon, dass er sein Berufsprestige – beziehungsweise das seiner Frau – in der dörflichen Umgebung besser als soziales Kapital einsetzen kann.Footnote 18

Auf Formen kollektiver reflexiver Statusarbeit – etwa ein Engagement in einer Gewerkschaft oder Elterninitiative – finden sich in unserem Sample nur sehr vereinzelt Hinweise. So berichtet Frau Uhlig, sie sei an der Gründung eines Betriebsrates beteiligt. Sie erzählt, wie sie in einer Anstellung unter sehr unregelmäßigen Arbeitszeiten leidet und in Reaktion darauf zusammen mit Kolleg*innen in einer ähnlichen Situation einen Betriebsrat gründet:

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Durch diesen kollektiven Zusammenschluss können die Betroffenen ihre Situation verbessern. Abseits dessen spielen gewerkschaftliche Organisationen in den Erzählungen darüber, wie die Mittelschichtenangehörigen, mit denen wir gesprochen haben, ihren Status verbessern können, kaum eine Rolle. Zwar geben einige Gesprächspartner*innen auf Nachfrage an, sie seien in einer Gewerkschaft Mitglied – haben dann aber Probleme, sich an deren korrekten Namen zu erinnern. Wo politisches Engagement thematisch wird, handelt es sich in der Regel um Erzählungen aus der Jugendphase, die eher als „Moratorium der Adoleszenzkrisenbewältigung“ (Oevermann 2009, 41) gerahmt werden, denn als Artikulation von Statusaspirationen. Die geringe Rolle, die kollektive Problemlösungsprozesse für die investive Praxis spielen, ist nicht zuletzt deshalb auffällig, weil im externen Nachfrageteil explizit nach Orten und Gelegenheit gefragt wird, an denen sich die Befragten mit politischen Fragen auseinandergesetzt haben. Die Antworten auf die Frage waren aber in aller Regel sehr sporadisch und allgemein. Statusarbeit ist bei unseren Befragten in der Regel ein individualisiertes und auf basale Praktiken setzendes Geschäft.

5.1.7 Explizite und implizite Praktiken investiver Statusarbeit

Die Ausführungen zu den verschiedenen investiven Praktiken haben gezeigt, dass diese nur zum Teil explizit als solche verhandelt werden. Sowohl im Bereich der Bildung als auch im Bereich der Erwerbstätigkeit nimmt der ‚Gebrauchswert‘ eine zentrale Stellung in der Orientierung ein. Sozioökonomischer Status wird in vielen Interviews erst dann strategisch relevant, wenn ein Lebensstandard als gefährdet scheint, der als gegeben vorausgesetzt wurde – das wird etwa im Fall des Musikers Herrn Röseler sehr deutlich. Bevor diese Gefährdung virulent wird, überwiegen jedoch andere Bewertungskriterien, wie etwa das Arbeitsumfeld oder der Spaß an der beruflichen Praxis. Eine Ausnahme bilden investive Statusarbeiter*innen: Diese zeichnen sich durchgehend durch einen instrumentellen Zugang zu Bildung und Erwerbstätigkeit aus – was schlicht daran liegt, dass sie ein ‚uferloses Statusstreben‘ zeigen und damit nie einen Punkt erreichen, an dem sie es ‚geschafft haben‘; sie erleben ihren Status insofern immer als ‚gefährdet‘ und suchen ihn weiter auszubauen, so dass andere, intrinsische Motivationen für Bildung und Erwerbstätigkeit nie zentralen Stellenwert erlangen können.

Die Unterscheidung von investiver Statusarbeit als biographischem Orientierungsmuster und als Praktiken der Lebensführung stellt sich bei den Finanzinvestitionen ebenfalls als bestimmend heraus – hier allerdings auch deshalb, weil jene Personen, die ihre Lebensführung zentral an sozioökonomischem Status ausrichten, in unserem Sample auch die höheren Ressourcenausstattungen vorzuweisen haben. Damit haben sie disponibles Kapital, das nicht in der alltäglichen Lebensführung aufgebraucht wird, sondern strategisch zur Vermehrung eingesetzt werden kann. Allerdings zeigen die Passagen, in denen sie über ihre Investitionserfahrungen berichten, dass insbesondere Finanzmarktinvestitionen als undurchsichtiges Spiel erlebt werden, in dem man sich auf Berater*innen verlassen muss. Das steht allerdings im Konflikt dazu, dass investive Statusarbeit als biographische Orientierung als ein ‚Einzelkampf‘ rekonstruiert wird. Damit scheint es gerade jenen Personen, die das nötige disponible Kapital für Finanzinvestitionen zur Verfügung haben, an dem Vertrauen zu mangeln, das sie benötigten, sofern sie sich nicht selbst beruflich mit dem Thema beschäftigen. In Fällen mit vergleichsweise niedrigerer Ressourcenausstattung stehen Fragen der Finanzinvestition viel stärker unter dem – ebenfalls als gefährdet und unsicher erlebten – Motiv der Sicherung. Investitionen in die eigene Immobilie stellen hier die zentrale Strategie dar.

Am explizitesten wurden Statusaspirationen im Feld der intergenerationalen Statusarbeit verhandelt. Das kann zum einen als ein Ausweis einer „Bildungspanik“ (Bude 2011) gelesen werden. Zum anderen – und das schließt sich nicht aus – kann das Sprechen über die eigenen Kinder aber auch die Möglichkeit eröffnen, jene Statusstrategien zu explizieren, die in Bezug auf die eigenen Statusambitionen implizit bleiben. So fällt auf, wie wenig im Sprechen über die eigenen Kinder thematisiert wird, dass diese vielleicht ihre Leben anders führen wollen, als Statusarbeit in Form des Besuches von Privatschulen, Nachhilfe oder anspruchsvollen Ausbildungen und Studiengängen nachzugehen. Der ‚selbstverständlich vorausgesetzte Lebensstandard‘, dessen Thematisierung in der eigenen biographischen Rückwendung in den Hintergrund rückt, sobald er erst einmal erreicht wird, rückt in der intergenerationalen Statusarbeit in den Vordergrund.

Dass Statusarbeit teils verdeckten Charakter hat, wird besonders dort erkennbar, wo sie über soziale beziehungsweise intime Beziehungen praktiziert wird. So wird Arrangements, die relevanten Einfluss auf die Chancen der eigenen Statusarbeit haben, wie etwa der ungleichen Aufteilung und Externalisierung von Haus- und Sorgearbeiten oder der psychosozialen Unterstützung durch Familie und Freund*innen, zumeist nicht der faktisch gegebene Ermöglichungscharakter zuerkannt; sondern sie werden als ‚Privatangelegenheit‘ von Fragen der Erwerbschancen und -strategien abgetrennt und wirken damit als Schatteninvestitionen. Intensiver noch betrifft diese subjektive Unterscheidung von ‚Statusarbeit‘ und ‚sonstiger Lebensführung‘ jene Strategien, die sich zum Beispiel auf Fragen des Körperkapitals, der Statusdarstellung, der Partnerwahl oder der Externalisierung sozialer und ökologischer Folgekosten beziehen. Rekonstruiert man die Investitionslogik aus der Binnenperspektive der Akteure, bleiben diese Bereiche weitestgehend ‚unsichtbar‘. Diese Beobachtungen weisen noch einmal darauf hin, dass gezieltes Statusstreben nicht auf reflektierten Entscheidungen beruhen muss, sondern im Modus der routinierten Selbstverständlichkeit ablaufen kann.

5.2 Berufsbiographische Entscheidungsmodi

Bis hierher haben wir uns die verschiedenen Aktivitätsbereiche vergegenwärtigt, in denen Praktiken investiver Statusarbeit vorkommen. Nun wollen wir die eine der beiden kulturellen Rahmungen dieser Praktiken näher betrachten: den im theoretischen Modell postulierten Planungsimperativ (Abschn. 2.2.1). Die kulturelle Anrufung der Mittelschichtenangehörigen lautet diesbezüglich, dass sie ihre Aktivitäten investiver Statusarbeit auf anspruchsvolle Weise entscheidungsförmig vollziehen sollen – als eine zeitlich längerfristig angelegte, sachlich einen breiten Horizont an Gesichtspunkten einbeziehende und sozial die unterschiedlichen Standpunkte berücksichtigende Planung (Schimank 2005, 307–370). Wie für andere Situationen komplexen Entscheidens auch ist für Praktiken investiver Statusarbeit zu fragen: Inwieweit ist Planung in diesem Sinne überhaupt möglich – und was geschieht, wenn sie mehr oder weniger unmöglich ist?

Die Darstellung zu Bildungsinvestitionen hat bereits deutlich darauf hingewiesen, dass bei diesen Praktiken investiver Statusarbeit sehr unterschiedliche Planungshorizonte zugrunde liegen – und dass das stark von der jeweiligen biographischen Orientierung abhängt. Während Frau Brilla als investive Statusarbeiterin einen weit in die Zukunft ausgreifenden Plan aufstellt, in dem sowohl das Ziel als auch einzelne Zwischenschritte definiert sind, entscheidet sich Herr Wisch – ein Gemeinschaftsorientierter – eher kurzfristig und stärker an seinen Freunden orientiert als an einem beruflichen Zielhorizont für das Studium.

Ein genauerer Blick auf die empirischen Daten zeigt, dass zwischen Planungsanspruch und Planungschance unterschieden werden muss. Im Fall von Frau Brilla geht ein hoher Planungsanspruch mit guten Planungschancen einher. Durch ihre abgeschlossene Ausbildung und ihre feste Anstellung hat sie die Chance, ihre beruflichen Statusambitionen über gezielte Weiterbildungsaktivitäten zu verfolgen. Gleichzeitig zeigt sich auch ein entsprechender Anspruch. Die bildliche Beschreibung, in der Frau Brilla „auf einem großen (.) Blatt Papier“ plant, was sie „die nächsten zehn Jahre tun würde“, stellt eine mit Stolz präsentierte, geradezu idealtypische Szene dafür dar. Gerade vor dem Horizont des geglückten Ineinandergreifens von Anspruch und Chance in diesem Fall wird jedoch deutlich, dass sich auch andere Kombinationen der Merkmalsausprägungen bezüglich dieser beiden Optionen finden lassen (Tab. 5.1).

Tab. 5.1 Planungsanspruch/Planungschance.

So gibt es Fälle, in denen zwar ein Anspruch auf Planung zu erkennen ist, der sich jedoch durch restriktive Rahmenbedingungen wie zum Beispiel mangelnde Ressourcenausstattungen und unvorhergesehene Wendungen nicht in die Tat umsetzen lässt. Resultat ist ein Inkrementalismus, der von den Interviewpartner*innen als defizitär erklärt wird. Sie bekennen sich also nicht zum „Sich-Durchwursteln“ (Lindblom 1959), sondern erleben es vor dem Hintergrund des Planungsimperativs als ‚Bounded Planning‘: Trotz der Erfahrung, dass Pläne, die diese Bezeichnung verdienen, ohnehin scheitern, versuchen sie zumindest noch zu planen, so gut es eben geht. Im Kontrast dazu finden sich jedoch auch Fälle, in denen die Chance einer umsetzbaren Planung durchaus gegeben ist, die Interviewpartner*innen aber keine Ambitionen und Ansprüche zeigen, langfristige Planungen aufzustellen und umzusetzen. Der Entscheidungsmodus, der sich in diesen Fällen zeigt, wird nicht in gleichem Maße als problematisch qualifiziert, sondern ist eher durch eine Form des Weltvertrauens gekennzeichnet, die eine unbekümmerte Zuversicht – entsprechend Artikel 3 des Rheinischen Grundgesetzes: „Et hätt noch emmer joot jejange“ – befördert. Schließlich finden sich Fälle, in denen weder eine Chance zur Umsetzung von Plänen noch ein Anspruch darauf zu erkennen ist. Diese Fälle sind durch geringe Ressourcenausstattungen und wiederholte Erfahrungen des Scheiterns gekennzeichnet, in deren Folge der Planungsanspruch deutlich verringert oder sogar gänzlich aufgegeben wird, weshalb wir von Planungsresignation sprechen.

Im Folgenden sollen kurze Fallbeispiele diese Typen illustrieren, wobei der Typ der erfolgreichen Planungspraxis bereits mit dem Fallbeispiel von Frau Brilla illustriert ist, das daher nicht noch einmal aufgerufen werden soll.

Unbekümmerte Zuversicht

Der biographische Entscheidungsmodus der unbekümmerten Zuversicht stellt aus theoretischer Perspektive eine Überraschung dar. Die soziostrukturellen Voraussetzungen dafür, seine Lebensführung planvoll zu strukturieren, erscheinen als gegeben – sie werden aber nicht genutzt. Der Planungsimperativ wirkt nicht als normative Anrufung.

Ein Fallbeispiel, dessen Entscheidungshorizont durch unbekümmerte Zuversicht gekennzeichnet ist, ist Herr Schulz, der dem Typ der gemeinschaftszentrierten Lebensführung zugeordnet wird. Bereits in dessen Eingangserzählung war ja die Abwesenheit des Bestrebens auffällig, die eigene Berufsbiographie in der Selbstpräsentation als ein planvolles Projekt vorzustellen. Auch in den Passagen zur Ausbildung und zum Berufseinstieg zeigen sich zwar überraschende Wendungen – etwa, wenn Herr Schulz ein Lehramtsstudium aufnimmt, weil die Diplomstudiengänge voll sind; wenn er als Hauptschullehrer arbeitet, obwohl er Gymnasial-Lehramt studiert hat; oder wenn er als Sportlehrer arbeitet, obwohl er Politik und Biologie studiert hat. Doch diese situativen Anpassungen werden nicht in Form einer negativen biographischen Verlaufskurve präsentiert, in der sie als Dokumente dafür stünden, dass die eigenen Pläne angesichts des Wirkens unbeeinflussbarer Kräfte nicht aufgehen. Im Gegenteil: Die Wendungen stehen zwar in der biographischen Erzählung dafür, dass sich das Leben nicht vorhersagen und folglich auch nicht planen lässt; doch sie sollen bezeugen, dass ‚sich die Dinge dennoch fügen‘ und es gar keiner Pläne bedarf.

Dieses Motiv findet sich nicht nur im Bereich der Erwerbstätigkeit, sondern zieht sich auch durch andere Lebensbereiche: So erzählt Herr Schulz von einem Ferienjob in der Jugend auf dem Bau, in dem er sich zunächst „komisch“ und „schlimm“ fühlt, weil der Habitus und der Dialekt ihm fremd gewesen seien; bald findet er sich aber in die Gruppe ein und habe es schließlich „ganz schön“ gefunden. Seine Frau, eine Krankenschwester, lernt er durch eine Sportverletzung, wegen der er ins Krankenhaus muss, kennen, und bewertet diese Koinzidenz nach dem Motto: Alles hat auch seine guten Seiten. Schließlich fremdelt er zunächst damit, in ein Nachbardorf zu ziehen, ist dann aber froh über die Möglichkeit, dort zusammen mit seinen „Kumpels“ ein eigenes Haus bauen zu können. Mögen diese verschiedenen Erzählungen auch zum Teil rationalisierenden Charakter haben, dokumentieren sie für Herrn Schulz doch vorrangig, dass man dem ‚Lauf der Dinge‘ vertrauen darf, dass unerwartete Wendungen nicht nur ‚irgendwie gutgehen‘, sondern wahrscheinlich sogar besser ausgehen werden als ursprünglich erwartet.

Das Vertrauen als stabilisierendes Element dieses Entscheidungsmodus scheint dabei auf drei Grundlagen zu beruhen. Zum ersten dokumentiert es sich besonders in jenen Passagen, in denen die Gemeinschaft als auffangendes und unterstützendes Netzwerk auftritt. Was Herr Schulz in seiner Lebensführung als ihn tragende Gemeinschaften erlebt, wirkt faktisch über seinen Lebensverlauf hinweg häufig als soziales Kapital, das ihm sozioökonomische Statuschancen verschafft – vom Ferienjob über eine Partnerschaft, in der die Frau relevante Anteile der Sorgearbeit leistet, über Hauseigentum bis hin zu seiner Erwerbsposition. Zum zweiten beruht die Möglichkeit des Vertrauens damit auch auf einer ökonomischen Ressourcenausstattung, die es Herrn Schulz ermöglicht, ‚die Dinge auf sich zukommen zu lassen‘, damit sie sich schließlich fügen können – also studieren zu können, ohne auf einen konkreten Beruf abzuzielen, oder auf die Empfehlung eines Bekannten zu warten, dass an einer Schule ein Lehrer gesucht werde, statt den ‚nächstbesten Job‘ annehmen zu müssen, womit er sich in Form einer pädagogischen Tätigkeit bei einer Bank „schon eigentlich […] abgefunden“ hat. Schließlich beruht dieses Vertrauen drittens auf einer Reihe von Erfahrungen im Lebensverlauf, in dem ‚die Dinge sich eben gefügt haben‘. Die Erfahrung, dass selbst wenig elaborierte Pläne durch unbeeinflussbare Wendungen aufgegeben werden müssen, sich aber unter Bedingungen einer entsprechenden Ressourcenausstattung durch ‚glückliche Fügungen‘ schließlich erübrigen, stabilisiert einen Optimismus bezüglich dieser Form von Fügung, in der er „durch Zufall genau das richtige erwischt“ habe.

‚Bounded Planning‘

Im Gegensatz zur unbekümmerten Zuversicht steht ein Inkrementalismus, der als problematisch gedeutet und in dem das Fehlschlagen von Planungsansprüchen als blockierend erfahren wird. Diese Form des Inkrementalismus ist nicht vertrauensbasiert, sondern wird als eine defizitäre Form der Planung erlebt, in der zwar immer wieder aufs Neue versucht wird, zu ‚planen, so gut es eben geht‘, wobei die Protagonisten die Begrenztheit des Erreichbaren und die Wahrscheinlichkeit des Scheiterns vorwegnehmen. Insofern kann dieser Entscheidungsmodus als ein ‚Bounded Planning‘ bezeichnet werden.

Ein Fallbeispiel, in dem die eigene Biographie im Modus des ‚Bounded Planning‘ präsentiert wird, ist das Interview mit dem Zimmerer Herrn Steiger. Als Handwerker im Bausektor erzählt er nicht nur, dass seine Lebensführung großen Unsicherheiten ausgesetzt ist, sondern findet sich vor allem makroökonomischen Zyklen ausgesetzt, die er eher als kollektives Verhängnis erlebt: Die Episoden seines Lebens enden wiederholt mit einem Markteinbruch, der ihn zwingt, sich nach neuen Märkten umzusehen. So zieht er nach der Lehre zunächst „immer mehr“ (I06: 213) Kreise um seinen Wohnort. Als schließlich „der Einbruch“ (I06: 215) seiner Branche folgt, beschließen seine Familie und er, in ein Land auszuwandern, das „qualifizierte Arbeitskräfte“ (I06: 217) brauchte. Zwei Ansätze dazu scheitern jedoch, und auch anschließende Umzüge innerhalb Deutschlands führen nicht dazu, dass er „halt einen gewissen Standard (.) schon erreicht“ (I06: 60). Nachdem er sowohl in größeren Firmen als auch in kleineren Start-Ups gearbeitet hat, steht Herr Steiger zum Zeitpunkt des Interviews kurz davor, sich selbstständig zu machen.

Er macht in seinem biographischen Verlauf immer wieder Anläufe, sich mit dem gemeinschaftsorientierten Horizont, erfolgreich zu „wurzeln“ (I06: 1051), Ziele zu setzen und diese dann zu erreichen. Dabei macht er jedoch wieder und wieder die Erfahrung, dass seine Vorhaben revidiert werden müssen, worauf er eine neue Möglichkeit sucht. Daraus entsteht eine vorsichtig-sondierende Einstellung zur Welt, in der er zum einen in der Selbstwahrnehmung keine besonders hohe Agency besitzt: Die Entwicklungen können von ihm nicht verändert oder beeinflusst werden, sie können ihn auch überrollen und sind, anders als bei Herrn Schulz, nicht prinzipiell optimistisch einzuschätzen, sondern eher pessimistisch. Zum anderen verlangt er sich aber mehr Agency ab: Man muss in seinen Handlungen immer wieder versuchen, die neuen Rahmenbedingungen zu verarbeiten und sich ihnen anzupassen. Dieses Motiv lässt sich anhand der berufsbiographischen Erfahrungen erkennen, scheint aber auch Herrn Steigers politische Einschätzung gesellschaftlicher Entwicklungen zu kennzeichnen. Auf die exmanente Frage, ob es in letzter Zeit eine Situation gegeben habe, in der er sich Sorgen um die Zukunft der Gesellschaft gemacht habe, setzt er zu längeren Beschreibungen und Argumentationen an, die ebenso diffusen wie apokalyptischen Charakter haben. So sagt er, dass „irgendwas im GANGE ist“, und „es werden garantiert Veränderungen kommen, die uns alle in irgendeiner Art und Weise betreffen werden. (.) Und ich hoffe einfach nur, dass wir da mit einem blauen Auge rauskommen“; und stellt sich schließlich „natürlich die Frage, wie/was kann man als Einzelner MACHEN?“ (I06: 974–977) Insofern lässt sich auch eine resignierende Haltung zur Möglichkeit der Erfüllung seiner eigenen Planungsansprüche erkennen: Man kann zwar planen, aber immer nur bis zum nächsten Zusammenbruch. Insofern nimmt der biographische Entscheidungsmodus die Form an, das Terrain zu sondieren und Entwicklungen und Risiken abzuschätzen. In Kontrast zur unbekümmerten Zuversicht in das ‚Sich-fügen der Dinge‘ zeigt sich hier also ein ‚Bounded Planning‘, das zum einen auf der Annahme beruht, dass Pläne scheitern oder nur eine sehr begrenzte Zeit über aufrechtzuerhalten sind, das zum anderen aber einen viel deutlicheren Planungsanspruch erkennen lässt, als das im Modus der unbekümmerten Zuversicht der Fall ist.

Dieser Entscheidungsmodus zeigt sich auch in der Form der biographischen Erzählung. Die Passagen sind in Episoden strukturiert, die einem immer wiederkehrenden Muster folgen – was auch von Herrn Steiger selbst thematisiert wird, indem er Ereignisse als „natürlich“ (I06: 803) scheiternd markiert. Das Erzählmuster ist: Eine schwierige Situation zwingt dazu, neu anzusetzen. Diese Wegscheide wird verhältnismäßig detailliert geschildert. Der darauffolgend, als Plan an der Wegscheide gewissermaßen schon angelegte Weg wird dann knapp abgehandelt, wobei das ‚dicke Ende‘ oft schon vorweggenommen wird. Wo Herr Schulz davon ausgeht, dass sich ‚die Dinge schon fügen werden‘, geht Herr Steiger davon aus, immer wieder neu Krisenbewältigung betreiben zu müssen. Gerade weil die Personen die Erfahrung machen, dass sich nichts ‚einfach fügt‘, erhalten sie begrenzte Planungsansprüche trotz aller Fehlschläge aufrecht.

Planungsresignation

Der vierte Entscheidungsmodus lässt sich dort finden, wo im biographischen Verlauf keine erfolgreichen Planungen zu erkennen sind, nicht ersichtlich ist, dass Planungschancen bestehen, und von den Interviewpartner*innen kein entsprechender Anspruch mehr erhoben wird. Im Gegensatz zum ‚Bounded Planning‘ geht es hier nur noch darum, ‚sich über Wasser zu halten‘ – im Extremfall: ‚den Tag zu überstehen‘, ohne die Hoffnung, dass es morgen besser wird.

Ein Fall, an dem der Kontrast zwischen Planungsresignation und dem Modus der unbekümmerten Zuversicht deutlich wird, ist das Interview mit Frau Uhlig, das bereits in Abschn. 4.4.2 erwähnt wird. Ihr Fallbeispiel zeigt auch, dass sich biographische Entscheidungsmodi über den Lebensverlauf hinweg wandeln können. Ihre Erzählung wird durch eine biographische Krise gekennzeichnet: Kurz nach der deutschen Wiedervereinigung zieht die gelernte Wirtschaftskauffrau mit ihrem Mann und ihren beiden Kindern in ein ländliches Gebiet in Westdeutschland, wo sie bald darauf ein Haus kaufen und ein weiteres Kind bekommen. Ende der 1990er Jahre verlässt der Ehemann Frau Uhlig, die bis dahin als Hausfrau und Kinderbetreuerin gearbeitet hatte, und die drei Kinder, ohne Unterhaltszahlungen zu leisten. Von dieser Situation an scheint der Verlauf von der Erfahrung bestimmt zu sein, „allein gelassen“ (I35: 40) zu sein – was sie vor dem Hintergrund ihrer Gemeinschaftsorientierung zum einen als eine Einsamkeitserfahrung beschreibt, was zum anderen aber auch die Konnotation trägt, ‚mit nichts‘ dazustehen, also ökonomische Statusunsicherheit zu erfahren. Die Praxis der investiven Statusarbeit steht von da an nur mehr unter dem Motiv einer Planungsresignation, da sie „so immer gejobbt“ (I35: 42) habe, indem sie Zeitungen ausgetragen und Putzstellen angenommen habe.Footnote 19

Es geht bei dieser Form der Statusarbeit nicht mehr um das Durchsetzen eines Aufstiegsanspruchs, sondern nur noch um das kurzfristige Bemühen, die ‚größten Löcher zu stopfen‘; langfristiger Zielhorizont – in weiter Ferne, aber noch nicht gänzlich aus den Augen verloren – ist die Wiederherstellung des Ausgangszustandes vor der biographischen Krise. Dieser Ausgangszustand – also in diesem Fall die Lebensführung, die Frau Uhlig in der DDR verwirklichen kann – stellt freilich selbst nur eine Form der ‚Flickschusterei‘ dar; nur eben eine, die von der Erfahrung getragen wird, dass man sich durch findige Kombination verschiedener Stellen und eine hohe Belastbarkeit einen guten Lebensstandard erarbeiten kann:

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Hier ist Frau Uhlig noch zuversichtlich aufgrund der Erfolgserlebnisse, die ihr die mit Stolz präsentierte Findigkeit verschafft. Frau Uhlig stellt heraus, dass sie mit ihrer Lebenssituation und ihrer Erwerbsstelle zufrieden ist. Auch die Betreuungssituation der Kinder fügt sich passend in dieses Arrangement. In diesem Fallbeispiel scheint eine Lebensführung im Modus der unbekümmerten Zuversicht insofern erst durch die Erfahrung des Verlassen-Werdens und die Ressourcenprobleme, die damit einhergehen, in eine Planungsresignation umzukippen, in der es nur mehr darum geht, sich und die Kinder ‚über die Runden zu bringen‘. Die von ihr mitinitiierte Gründung eines Betriebsrates stellt hier eine interessante Form der Statusarbeit dar, in der Frau Uhlig in einer kollektiven Form versucht, ein Mindestmaß an Statussicherheit zu erreichen.Footnote 20

Lebensplanung zwischen Appell und Faktizität

Die Falldarstellungen zu den vier Ausprägungen der berufsbiographischen Entscheidungsmodi ermöglichen, die theoretischen Überlegungen zum Planungsimperativ zu konturieren. Dass der Planungsimperativ als kulturell auferlegter Selbstanspruch immer schon ein tendenziell überfordernder Appell gewesen ist, dokumentiert sich etwa am Genre der Bildungsromane: Was für langweilige Protokolle der Planerfüllung wären sie, gäbe es keine Ressourcenknappheiten und Unwägbarkeiten, die aber eben ubiquitär nicht erst in der modernen Gesellschaft sind. Manchen gelingt auch heutzutage dennoch halbwegs ein „Leben nach Plan“ (Schimank 2015, 17–19). Alle anderen hingegen erfahren ein mehr oder weniger großes Spannungsverhältnis zwischen dem Planungsimperativ und der Faktizität der je eigenen Umsetzung der gemachten Pläne – weil ihre Chancen der Umsetzung zu gering sind.Footnote 21

Um Planungschancen zu haben – also Chancen, dem Planungsimperativ gerecht zu werden – bedarf es zunächst eines Mindestmaßes an Ressourcen. Hat man diese nicht, ist der Planungsimperativ eine als nicht erfüllbar erlebte Zumutung, vor der man schnell resignativ kapituliert, und die Ambitionen der Lebensführung müssen sich darauf beschränken, sich nur noch irgendwie halbwegs über Wasser zu halten. Bei etwas günstigerer Kapitalausstattung, aber einer als weitgehend unwägbar erlebten Umwelt wird der Planungsimperativ immer noch als eine Zumutung erfahren, der man nur sehr begrenzt entsprechen kann; aber ein ‚Bounded Planning‘ erscheint einem doch als geeignetes Mittel, um sich zumindest behaupten zu können. Der Entscheidungsmodus der unbekümmerten Zuversicht schließlich zeigt, dass es auch Ausprägungen der Lebensführung gibt, in denen eine ermöglichende Ressourcenausstattung zwar durchaus gegeben ist, der Planungsimperativ aber nicht als Anrufung erfahren wird. In dieser unbekümmerten Zuversicht beziehen die Befragten geradezu einen amüsierten Stolz daraus, dass sie sich in ihrem Leben zwar durchaus immer angestrengt hätten, sich aber letztlich durch Glück alles zum Guten gewendet habe. Planung – wie sie im Idealtypus angedacht ist – als Strategie scheint erst dann wichtig zu werden, wenn es gilt, auf Erfahrungen von Statusunsicherheit zu reagieren. Es könnte insofern also als ein ‚Schlechtwetterimperativ‘ bezeichnet werden: Solange sich Statuserfolg einstellt, stellt Planung eine Strategie neben anderen dar; erst bei Misserfolg wird – sofern die Ressourcenausstattung das erlaubt – versucht, grundlegende Änderungen vorzunehmen und diese im Modus der Planung zu präsentieren.

5.3 Grenzen der investiven Statusarbeit

Im theoretischen Modell der investiven Statusarbeit als Modus der Mittelschichtenlebensführung sind die Praktiken der Statusarbeit nicht nur einfach auf Verbesserung des eigenen Status ausgerichtet, sondern sind überdies schrankenlos. Es gibt keine Obergrenze des Statusstrebens. In den folgenden Darstellungen wird zunächst gefragt, ob und wie sich eine solche Schrankenlosigkeit empirisch vorfindet. Im Anschluss daran wird darauf eingegangen, dass sich in den analysierten Praktiken durchaus eine Reihe von Begrenzungen investiver Statusarbeit finden lassen – in der Sach-, der Zeit- und der Sozialdimension.

5.3.1 Schrankenlosigkeit des Statusstrebens

Die im theoretischen Modell postulierte Schrankenlosigkeit der investiven Statusarbeit stellt die empirische Analyse vor gewisse Herausforderungen: So können sozialpsychologische Mechanismen der Rationalisierung die Deutungen beruflicher Verläufe dahingehend lenken, dass jene Ziele, die nicht erreicht werden, in der Retrospektive nicht mehr im rekonstruierten Zielhorizont auftauchen. Eine schrankenlose Praxis spiegelt sich dann nicht in einer schrankenlosen Erzählung wider. Der Fuchs hat, wie in Äsops Fabel nachzulesen, die unerreichbaren Trauben ja eigentlich von Beginn an nicht gewollt. In der rekonstruktiven Analyse der biographisch-narrativen Interviews wird allerdings Schrankenlosigkeit dann erkennbar, wenn sich Hinweise darauf finden, dass bestimmte Praktiken sich an Aspirationsniveaus ausrichten, die potentiell unbegrenzt sind. Es geht also um nicht näher definierte, im Niveau zunächst unbestimmte Leistungsbewährungen.

Eine Passage aus dem Interview mit Herrn Steinhauer, die weiter oben schon einmal als Indiz für den Tauschwertcharakter von Bildungsinvestitionen angeführt wird, deutet auf eine ebensolche Form der Schrankenlosigkeit hin:

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Der Interviewte berichtet hier, dass er, entgegen der naheliegenden Option, eine Meisterschule zu besuchen, ein Studium aufnimmt. Im Rahmen seiner Handlungsoptionen erscheint ihm dies als die ambitionierteste Möglichkeit, in seinen sozioökonomischen Status zu investieren.

Dass Schrankenlosigkeit als Teil eines Modus der Lebensführung fungieren kann, wird auch deutlich, wenn der investive Statusarbeiter Herr Martin auf die Frage, ob sich seine beruflichen Erwartungen erfüllt hätten, antwortet:

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Der Interviewte argumentiert, dass die Bewertung seines beruflichen Verlaufs und seiner Lebensführung abhängig davon sei, wie groß sein beruflicher Erfolg ausfalle. Als Bewertungsmaßstab wird dabei deutlich eine fortdauernde unbeschränkte Bewegung des Statusaufstieges angelegt. Zielpunkt ist nicht ein Stillstand, sondern eine Position, von der aus man sich Verbesserungen erwarten kann, wobei kein bestimmter Lebensstandard angestrebt wird, sondern es eben „weiter nach oben“ (7) geht.

Eine ebenfalls uferlose, aber anders gelagerte Aspiration wird bei jenen Fällen deutlich, deren Lebensführung sich am Berufsstolz ausrichtet: ein Streben nach Exzellenz als eine Bemühung, ‚herauszuragen‘ und sich zu ‚vervollkommnen‘. Im Kontrast zu der Passage aus dem Interview mit Herrn Steinhauer fällt hier allerdings auf, dass das Streben nicht tauschwert-, sondern gebrauchswertorientiert gelagert ist: Es geht Herrn Röseler als Musiker, Herrn Nikolaidis als Wissenschaftler und Frau Renner als Schneiderin nicht darum, mit ihren beruflichen Praktiken in einer sozioökonomischen Statushierarchie so hoch aufzusteigen, wie sie können. Alle drei orientieren sich in erster Linie an der beruflichen Tätigkeit innewohnenden Erfolgs- und Anerkennungskriterien. Der sozioökonomische Status ist von diesen Aspirationen freilich nicht entkoppelt. Er kann einerseits ein Nebenprodukt der Verfolgung dieser Aspirationen darstellen: Mit voranschreitender Qualifizierung steigen grundsätzlich die Möglichkeiten einträglicherer Konzertauftritte, die Chancen für eine finanziell absichernde Professur oder für lukrativere Schneideraufträge, etwa für Maßanzüge.Footnote 22 Andererseits kann ein ‚konzentriertes‘ Streben nach beruflicher Exzellenz nur dann stattfinden, wenn gleichzeitig ein hinreichendes Maß investiver Statusarbeit praktisch geleistet wird – insofern stellt diese eine Voraussetzung beziehungsweise ein Mittel zum Zweck dar.

Damit ist bereits eine Form der Begrenzung der Praxis investiver Statusarbeit angesprochen. Gerade in denjenigen Lebensführungen, die sich an Berufsstolz ausrichten, werden Praktiken investiver Statusarbeit nur bis zu dem Punkt eingesetzt, an dem der sozioökonomische Status Ausweis der eigenen Exzellenz ist oder an dem die sozioökonomischen Grundlagen gesichert sind, um fokussiert nach beruflicher Exzellenz zu streben. Mehr noch: Zu explizites Statusstreben, das sich an ökonomischen Kriterien ausrichtet, läuft Gefahr, gegen die „illusio“ (Bourdieu und Wacquant 2006, 128) des Feldes zu verstoßen, und kann zur ‚Exkommunikation‘ führen. Neben dieser Form der Begrenzung investiver Statusarbeit finden sich aber, auch für die beiden anderen biographischen Orientierungen, noch eine Reihe weiterer. Begrenzung heißt dabei nicht nur Einschränkung, sondern auch Konturierung: Grenzen geben Form. Die Beschreibung verschiedener Dimensionen dieser Begrenzung ermöglicht folglich ein besseres Verständnis der Formen, die Praktiken investiver Statusarbeit annehmen.

Im Weiteren wird zwischen Begrenzungen in der Sach-, in der Zeit- und in der Sozialdimension unterschieden:

  • In der Sachdimension geht es darum, welche Grenzen bestimmen, was die Akteure tun, um Statusarbeit zu leisten, und was sie inhaltlich von Statusarbeit abgrenzen. Ein wichtiger Schwerpunkt dieser Form von Begrenzung ist die Frage, wie das Verhältnis zwischen Erwerbssphäre und Freizeit verstanden wird. Sachlich begrenzen Akteure somit ihre Statusarbeit, indem sie eingrenzen, dass sie ‚nicht alles‘ tun würden, um ihren Status zu verbessern, und indem sie umgekehrt auch betonen, dass sie ‚nicht nur‘ an ihrem Status arbeiten.

  • In der Zeitdimension geht es darum, dass unsere Interviewpartner*innen nicht immer investive Statusarbeit leisten. Im Unterschied und in Ergänzung zur Zeitbudgetforschung und den Forschungen zur alltäglichen Lebensführung wird der Schwerpunkt der Darstellung hier aber nicht auf der alltäglichen Zeitstrukturierung liegen. Vielmehr wird in einer biographischen Perspektive gefragt, ob sich in bestimmten Lebensphasen Anstrengungen investiver Statusarbeit verdichten. Es gibt biographisch ‚heiße‘ Phasen, in denen besonders verbissen am Status gearbeitet wird.

  • In der Sozialdimension schließlich geht es darum, wie konkrete oder imaginierte Bezüge auf andere Personen oder Personengruppen die eigenen Statusaspirationen und -strategien formen. An wem orientieren sich Mittelschichtenangehörige, um festzustellen, dass es für sie ‚genug‘ ist mit dem Statusstreben – oder dass sie sich noch weiter steigern sollten?

5.3.2 Begrenzungen in der Sachdimension

Zwei Arten von Begrenzungen investiver Statusarbeit in der Sachdimension können unterschieden werden. Zum einen sprechen Interviewpartner*innen an, dass sie bestimmte Praktiken investiver Statusarbeit nicht einsetzen würden. Zum anderen weisen auch investive Statusarbeiter*innen darauf hin, dass Statusarbeit ‚nicht alles‘ in ihrem Leben ist.

Verzicht auf bestimmte Praktiken investiver Statusarbeit

Aus verschiedenen Gründen können Personen darauf verzichten, sich bestimmter Praktiken investiver Statusarbeit zu bedienen. Diese Praktiken werden ja nicht nur daraufhin beurteilt, ob sie erfolgversprechend hinsichtlich der Erreichung bestimmter Statusziele sind. Personen können durchaus erfolgversprechende Praktiken für sich ablehnen, weil sie ihren moralischen Anforderungen nicht gerecht werden. So berichtet die Krankenpflegerin Frau Keller, dass sie eine Anstellung aufgibt, weil sie den dortigen Umgang mit den Patient*innen nicht mehr ertragen kann.

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In der anschließenden langen Beschreibung der Missstände auf der Station wird deutlich, dass die Begrenzung ihrer Bereitschaft, sich auf diese Art von Statusarbeit einzulassen, nicht nur in der eigenen Überforderung und Erschöpfung liegt, sondern in ihrer Konfrontation mit dem Leiden ihrer Patient*innen: „Ähm aber das schlimmste ist einfach, ähm wie die Patienten darunter leiden.“ (I18: 839–840) Ähnlich spricht etwa Frau Renner davon, dass sie aus ökologischen Gründen nicht für einen Großkonzern arbeiten will, der ihr eigentlich eine sichere Berufsperspektive mit hohem Einkommen gewährt.

Eine andere Nuancierung der sachlichen Begrenzung ist in Szenen zu erkennen, in denen Personen sich gegenüber Praktiken verwehren, die sie nicht unter Bezug auf allgemeine ethische Standards kritisieren, sondern von denen sie herausstellen, dass sie ihnen ‚nicht liegen‘. Dabei verschwimmt häufig die Grenze dazwischen, ob sie ‚nicht wollen‘ oder ‚nicht können‘. So stellt Herr Schulz deutlich heraus, dass er den ihm angebotenen Posten als Schuldirektor ausschlägt, weil er Sorge hat, nicht die nötigen Fertigkeiten zu haben. Der sozioökonomische Statusgewinn, den er erzielen könnte, sei es nicht wert, seine Position als Lehrer aufzugeben:

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Auch in dieser Passage zeigt sich wieder eine Form der Statusarbeit, die nicht primär tauschwertorientiert ist: Herr Schulz bezieht sich auf seine Erwerbstätigkeit nicht vorderhand als Praxis, die dazu dienen soll, seinen sozioökonomischen Status zu verbessern, sondern als eine, in der er machen kann, was ihm „am meisten Spaß macht“ (I08: 996). Die Divergenz zwischen diesen beiden Kriterien ist solange unproblematisch, wie sie faktisch nicht auseinanderfallen: Solange Herr Schulz die Erfahrung macht, dass er seine Statusaspirationen erreicht, indem er eben tut, was ihm „am meisten Spaß macht“, wird der potentielle Konflikt nicht handlungsrelevant. Im konkreten Fall der möglichen Beförderung jedoch konfligieren die beiden Kriterien, und Herr Schulz entscheidet sich gegen die Beförderung und damit gegen einen Statusaufstieg.

Dieser Fall weist damit auf eine Grenze hin, ab der der Konflikt zwischen institutionalisierter sozioökonomischer Statusordnung und eigener biographischer Orientierung virulent wird: Sobald Personen den sozioökonomischen Status, den sie angestrebt haben, erreicht haben, können sie sich anderen berufsbiographischen Orientierungen widmen. Herr Schulz rechnet sich selbst, wie in Abschn. 4.1 erläutert, der „Oberschicht“ (I08: 1491) zu (vgl. Holubek-Schaum 2019). Dies zeigt an, dass er hinsichtlich seines Lebensstandards einen ‚Sättigungspunkt‘ erreicht hat, weshalb er sich nun für seinen präferierten Lehrerberuf und gegen die bessere Bezahlung entscheiden kann. Bevor dieser ‚Sättigungspunkt‘ erreicht ist, sind jedoch widerstreitende biographische Orientierungen, moralische Anforderungen an ‚gute Arbeit‘ oder Ansprüche auf eine ‚interessante‘ Arbeit nur auf Kosten einer Statusdefizienz gegenüber den eigenen Anforderungen durchzusetzen.

Eine weitere Form des Verzichts auf bestimmte Praktiken investiver Statusarbeit besteht darin, dass Akteure überlastet beziehungsweise überarbeitet sind und daher die Art von Statusarbeit, die dazu geführt hat, nicht länger fortführen wollen oder können. Der Fall von Herrn Huber, der einen Schlaganfall erleidet, ihn als Ergebnis seiner Überarbeitung sieht und daraufhin die Arbeitsstelle wechselt, ist hier sicherlich ein Extremfall:

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Während Herr Huber hier von körperlichen Grenzen berichtet, erzählt Frau Keller ganz ähnlich, dass sie ihren Beruf wechselt, weil sie überanstrengt ist, fügt zur Legitimierung allerdings noch hinzu, dass sie die Erwerbssphäre nicht mit Anforderungen in anderen Bereichen der Lebensführung vereinbaren kann – womit bereits die zweite Art von sachlichen Begrenzungen hineinspielt:

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Es ist auffällig, dass auch Herr Huber ganz ähnlich über solch eine berufliche „Hyperinklusion“ (Göbel und Schmidt 1998) spricht, in der die Anforderungen in der Erwerbssphäre dazu führen, dass er andere Bereiche der Lebensführung vernachlässigt, wenn er bereits in der Eingangserzählung berichtet: „Ja, bin relativ viel am Arbeiten, eigentlich viel zu viel, nehm mir viel zu wenig Zeit für die Familie“.Footnote 23 (I37: 46–47) Bei ihm führt diese Einschätzung jedoch nicht zu einer Korrektur der Arbeitssituation. Frau Keller hingegen zeigt eine „Doppelorientierung“Footnote 24, bemisst also ihre Belastungsgrenze vor dem Hintergrund der doppelten Anforderungen durch „Privatarbeit und Erwerbstätigkeit“ (Becker-Schmidt 2003, 13).Footnote 25

Verhältnis von Erwerbstätigkeit und Freizeit

Die zweite Art von sachlicher Begrenzung der investiven Statusarbeit – Erwerbstätigkeit und Beruf dominieren zwar die Lebensführung, sind aber nicht ‚alles‘ – zeigt sich insbesondere in der Verhältnisbestimmung von Freizeit und Erwerbstätigkeit. Dabei geht es nicht vorrangig darum, wie viel Zeit der Freizeit eingeräumt wird, sondern in welche Beziehung diese beiden Sphären der Lebensführung zueinander gesetzt werden. Mit Bezug auf die Arbeit am sozioökonomischen Status ist zunächst zu unterscheiden, ob in der Freizeit andere Formen der Statusarbeit ausgeübt werden oder ob sie der Suspension von investiver Statusarbeit dient. Dabei stellt die Statussuspension ein weites Feld von Praktiken dar, die man dahingehend weiter sortieren kann, ob eine Orientierungskontinuität mit dem Beruf oder eine Verlagerung der Orientierung vorliegt (Abb. 5.1).

Abb. 5.1
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(Quelle: Eigene Darstellung)

Freizeit und Statusarbeit.

In der ersten Variante wird die Freizeit genutzt, um neben der Haupterwerbstätigkeit andere Arten investiver Statusarbeit zu betreiben. Dazu gehören die bereits diskutierten Nebenjobs, von denen einige Gesprächspartner*innen berichten, aber auch der Fall von Herrn Huber, der neben seiner Anstellung zusätzlich noch als selbstständiger Handwerker arbeitet. Jene Befragte, die neben der Erwerbstätigkeit ihr Vermögen investiv einsetzen, indem sie Wohnungen kaufen, in Stand halten und vermieten oder sich um ihre Aktiendepots kümmern, tun dies ebenfalls in ihrer Freizeit. Im weiteren Sinne gehören auch Care-Arbeiten zu dieser Variante des Verhältnisses von Beruf und Freizeit. Sie dienen zwar nicht der eigenen Statusarbeit, wirken sich aber als Unterstützung und Stabilisierung der Statusarbeit des Partners oder der Partnerin aus. Zur Fortsetzung der Statusarbeit in der Freizeit sind schließlich auch jene Praktiken zur systematischen Erhaltung der eigenen körperlichen Fitness und Gesundheit zu zählen, die der beruflichen Arbeit gleichsam ‚zuarbeiten‘. Der Umgang mit dem eigenen ‚Körperkapital‘ deutet sich in den erhobenen Interviews allerdings nur an. In einer ‚objektivistischen‘ Lesart könnten solche Formen der Freizeitgestaltung, in denen Befragte etwa berichten, zum „Frisör“, zur „Kosmetikerin“, zum „Pilates-Kurs“ zu gehen oder bestimmte Sportarten zu betreiben, durchaus als Statusarbeit, genauer als Investition in „Körper-Kapital“ (Bourdieu 1979, 345) konzeptualisiert werden, die sich vermittelt über Gesundheit, Fitness, Schönheit und ‚Sexiness‘ etwa in Form von erfolgreichen Bewerbungsgesprächen, prestigereicher Partner*innenwahl, der Möglichkeit eines längeren Erwerbslebens, Rückzahlungen von Krankenkassen oder mehr ‚Leistungsfähigkeit‘ rentieren kann (Brunnett 2009; Schorb 2010). Der Investitionscharakter dieser Freizeitpraktiken wird in den Interviews jedoch nie thematisch explizit. Er deutet sich allenfalls an, wenn etwa Herr Steinhauer auf die Frage nach seiner Freizeitgestaltung berichtet:

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In dieser Darstellung wird die prekäre gesundheitliche Situation und die mangelnde körperliche Fitness mit der Gefahr verbunden, dass es sich „erledigt“ (6) haben könnte, wobei Herr Steinhauer offenlässt, ob er sich auf seine auf berufliche Leistung zentrierte Lebensführung bezieht oder auf sein Leben schlechthin. In einer solchen Passage wird damit die ‚körperliche Fundierung‘ investiver Statusarbeit thematisiert – allerdings eben nur über deren Gefährdung. Diese Dimensionen der Statusarbeit könnten mit anderen empirischen Herangehensweisen besser ausgeleuchtet werden. So könnten sich der strategische – und eventuell schambehaftete – Einsatz des eigenen Körpers bei der Darstellung des eigenen Status als implizite, habitualisierte Praktiken investiver Statusarbeit eher in der teilnehmenden Beobachtung als im lebensgeschichtlichen Interview zeigen.

Im Kontrast zu solchen Fortsetzungen der Statusarbeit in der Freizeit stehen jene Freizeitgestaltungen, in denen keine investive Statusarbeit geleistet wird, sondern gerade umgekehrt eine temporäre Suspension davon stattfindet. Eine extreme Form stellen hier sicherlich Fälle dar, in denen die Befragten – die nicht zufälligerweise eine biographische Orientierung auf investive Statusarbeit zeigen – in ihrer knappen Freizeit buchstäblich nichts tun, da sie von ihrer Erwerbstätigkeit zu erschöpft sind:

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Daran, wie Herr Steinhauer das „Loch“ (5), in das er falle und aus dem er sich nicht mehr „raus kriege“ (6), schildert und es als „gefährlich“ einstuft, dass er nichts für sich tue, wird deutlich, dass er nicht so sehr daran leidet, keine Freizeitbeschäftigung zu haben, sondern eher daran, dass seine Erschöpfung ihm keine Freizeitgestaltung erlaubt. Auffällig ist hier die Wortwahl, dass er am Wochenende versuche „zu tanken“ (7–8). Darin kommt zum Ausdruck, dass für investive Statusarbeiter*innen wie ihn auch die Suspension von Statusarbeit dieser dient – hier, weil im Nichtstun am Wochenende der ‚Treibstoff‘ für die anstrengende Berufstätigkeit über die Woche ‚getankt‘ wird. An den Feierabenden, in denen er „in ein Loch“ fällt, scheint nicht einmal dies noch möglich zu sein.

Andere Befragte sind weniger erschöpft und berichten von unterschiedlichen Freizeitaktivitäten wie zum Beispiel dem Spielen mit der eigenen Modelleisenbahn, Restaurant- oder Kinobesuchen, Bastelarbeiten, Musizieren oder verschiedenen Sportarten. Einige nutzen dabei die Freizeit, um solche Orientierungen zu enaktieren, die in der Erwerbssphäre keinen Platz finden, können zum Beispiel kreative Fähigkeiten ausleben oder ihrer ‚geselligen Ader‘ freien Lauf lassen. Daneben gibt es aber diejenigen Fälle, bei denen auch in der Suspension von Statusarbeit eine Kontinuität biographischer Orientierungen und Praktiken gewahrt wird. Der in Sphären differenzierten Lebensführung entspricht kein entsprechend differenzierter biographischer Orientierungsrahmen. Ein prägnantes Fallbeispiel hierfür ist Herr Schulz, der einerseits seine Freizeit deutlich als Möglichkeit der Suspension ausweist:

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Die Freizeit, seine Familie und sein Wohnhaus werden als ein Ausgleich zum „stressigen Beruf“ verstanden. Während Stress und Entspannung hier also in einem komplementären Verhältnis stehen, lassen sich mit Hinblick auf Orientierungen und Praktiken übergreifende Kontinuitäten erkennen. Schon in Abschn. 4.1 wird gezeigt, dass der Bezug zu seinen langjährigen „Fußballkumpels“ für Herrn Schulz ein zentrales Forum gemeinschaftsbezogener Anerkennung darstellt und dass diese „Fußballkumpels“ auch ein geschlechtsdifferenziertes Netzwerk bilden, das dem Aufbau und der Sicherung sozioökonomischer Ressourcen dient – etwa beim gemeinsamem Hausbau oder bei der Vermittlung seiner Stelle als Hauptschullehrer. Das Verhältnis von Fußball und berufsbezogener Statusarbeit ist aber auch noch insofern bezeichnend, als dass sich in der Passage, in der Herr Schulz davon berichtet, wie er sich in der Schule Anerkennung erarbeitet habe, dieselben Orientierungen dokumentieren, die auch für die Passagen kennzeichnend sind, in denen es um Herrn Schulz als Fußballer geht:

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Zunächst fällt die doppelte positive Selbstbeschreibung als „guter und harter Fußballer“ (7) auf und als der einzige, auf den „die Jungs“ (7–8) gehört hätten. Herr Schulz besteht in der Situation als Lehrer gerade nicht, indem er in einer typischen Lehrerrolle auftritt, beziehungsweise auftreten muss. Er kann – das ist die Pointe der Anekdote – ‚der sein, der er ist‘ und ist gerade dadurch auch beruflich erfolgreich: Sowohl im „harte[n] Fußballer“ als auch im ‚Umgrätschen‘ zeigt sich das Selbstbild eines ‚direkten Typen‘, der keine Kontakthemmungen mit den Schülern hat und deswegen von ihnen angenommen wird – denn auch wenn das ‚Umgrätschen‘ eine gewaltsame Dimension hat und die abschließende anekdotische Schilderung der auf diesem Wege herbeigeführten Unterordnung der Schüler dies zusätzlich betont, wird es vor allem in Zusammenhang damit gebracht, was für ein „Fußballer“ er ist.

Die Einordnung des Geschehens dient weiterhin als Bestätigung der Vorhersage des Schulleiters, dem Herr Schulz ja zuschreibt, mit „ich geb Ihnen mal die Sportstunde“ antizipiert zu haben, dass Herr Schulz durch seine ‚direkte Art‘ Erfolg bei diesen Schülern haben wird. Hier zeigt sich also dessen enge Orientierung an Ratschlägen und Bewertungen aus dem sozialen Umfeld, in diesem Fall des Vorgesetzten, der aber als „Kollege“ angesprochen wird und sich damit in eine Gruppe verlässlicher Unterstützer einreiht, in der auch die „Fußballkumpels“ stehen. Schließlich fällt an dieser Episode die Beschreibung der Schüler als „Jungs“ auf. Das deutet, nachdem er die Schüler kurz zuvor schon als „verwaist“ beschrieben hat, darauf hin, dass sich Herr Schulz als jemand fühlt, der von ihnen gebraucht und angenommen wird. In diesem ‚Gebraucht-Werden‘ liegt ein Element seiner Gemeinschaftsorientierung, das auch seine langfristige und enge Bindung in die Vereinsgemeinschaft und an seine „Fußballkumpels“ trägt.

Wie Herr Schulz in der Erwerbssphäre seine investive Statusarbeit leistet, steht also in deutlicher Kontinuität zu jenen Orientierungen, die sich auch in seiner Freizeit dokumentieren. Die Freizeit ist hier also nicht etwas ‚ganz anderes‘, das er von den Praktiken seiner Statusarbeit abtrennt – aber sie ist auch nicht einfach eine Arena, in der man der Statusarbeit ‚zuarbeitet‘. In anderen Fällen lassen sich solche Kontinuitäten durchaus finden: Frau Michels bietet in ihrer Freizeit Yoga-Kurse an. Dieses Hobby ermöglicht ihr eine anleitende Position einzunehmen – ebenso wie in ihrem Beruf als Buchhalterin, in dem sie sich als „Führungsperson“ (I28: 975) versteht. Auch Frau Renner hat es in ihrem Hobby des Tanzens soweit gebracht, dass sie andere darin unterrichtet, und wird also auch in dieser Freizeitbeschäftigung von jener Orientierung daran, „sehr gut“ (I40: 1949) werden zu wollen, geleitet, die sie in ihrem Beruf antreibt.

Damit steht diese Art der Beziehung zwischen Erwerbssphäre und Freizeit im Kontrast zu jener Form der Suspension, in der die Freizeit gerade dazu dient, solche Orientierungen auszuleben, für die es in der Erwerbssphäre keinen Platz gibt. Herr Röseler erzählt, dass er in seiner Freizeit politische „Dokumentarfilme“ drehe und die entsprechenden Produktionsphasen „sehr diszipliniert und (.) gründlich (.) durchlebt“ (I05: 142) habe. Dabei betont er allerdings, er würde „keine Hochzeit filmen und keine (..) Werbefilme, würd ich gar nicht machen“ (I05: 751–752). Diese Begrenzung macht deutlich, dass die Trennung zwischen ‚wahrer Kunst‘ und ‚breitenwirksamer, kulturindustrieller Produktion‘, die bereits sein Streben als Musiker bestimmt hat, weiterhin Geltung beansprucht, nun aber in die Freizeitsphäre verlagert wird. Auch der Architekt Herr Winkler berichtet von einem beruflichen Verlauf, in dem er darum ringt, kreativ-gestalterisch tätig sein und in einer kollegial-freundlichen Arbeitsatmosphäre arbeiten zu können, aber gleichzeitig einen hinreichenden Lebensstandard erwirtschaften zu müssen. Auf der Suche danach, dieses Wollen und Müssen in Einklang miteinander zu bringen, durchläuft er viele berufliche Stationen – zunächst als Handwerker, später holt er ein Architekturstudium nach. Er merkt jedoch an, dass er in all den verschiedenen Anstellungen nicht habe in Vollzeit arbeiten wollen:

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Im Kontrast zu Herrn Schulz wird hier eine deutliche Trennung zwischen Erwerbssphäre und Freizeit eingeführt. Herr Winkler macht über seinen beruflichen Verlauf hinweg die Erfahrung, dass er seine Orientierungen an kreativ-gestalterischen Arbeiten und einer kollegial-freundschaftlichen Atmosphäre in der Erwerbstätigkeit nicht einlösen kann. Stattdessen ist seine Erzählung geprägt von Zwängen, zu langer und harter Arbeit, zu geringem Einkommen und Missachtung seiner Fertigkeiten. Dementsprechend treten in seiner Orientierung ‚Sachen, die Geld bringen‘ und ‚Sachen, die Spaß machen‘ deutlich auseinander:

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Die Freizeit dient hier also nicht der investiven Statusarbeit. Diese wird vielmehr deutlich der Erwerbstätigkeit zugeordnet. Auch in der Erzählung von Herrn Winkler stellt die Erwerbstätigkeit dennoch den thematischen Schwerpunkt dar – nicht zuletzt, weil sie von den erwähnten Konflikten und Disparitäten geprägt ist. Insofern beobachten wir auch hier ein Verhältnis, das als Suspension bezeichnet werden kann: Herr Winkler macht die Erfahrung, dass die Erwerbssphäre durch ein anstrengendes Ringen damit gekennzeichnet ist, dem ökonomischen Erwerb zumindest Anteile einer für sich schätzenswerten Praxis abzuringen. Die Freizeit wird dagegen zentral als eine Sphäre präsentiert, in der er sich von diesen Zwängen verschont sieht.

5.3.3 Begrenzungen in der Zeitdimension

Niemand kann – und vermutlich auch: will – ständig Statusarbeit betreiben. Statusarbeit hat also zeitliche Grenzen. Grundsätzlich kann man zeitliche Begrenzungen von Statusarbeit in der synchronen von solchen in der diachronen Dimension unterscheiden. In der synchronen Dimension fällt der Blick auf die alltägliche Zeiteinteilung. Hier kann man fragen, wie Personen die „alltägliche Synchronie des Lebens“ herstellen, also „tagaus tagein und jeden Tag immer wieder die sprichwörtliche ‚Tretmühle des Alltags‘“ (Jurczyk et al. 2016, 67) organisieren.Footnote 26 Die dabei auftretenden zeitlichen Begrenzungen investiver Statusarbeit gehen oft aus den gerade angesprochenen Begrenzungen investiver Statusarbeit in der Sachdimension hervor. Die Frage, welche Statusarbeit Akteure betreiben wollen und können, stellt sich nicht selten als Frage danach dar, wie viel Zeit sie ihr einräumen können, müssen und wollen. In Ergänzung dazu wenden wir uns hier nun der diachronen Dimension zu: der zeitlichen Begrenzung von investiver Statusarbeit im Lebensverlauf.Footnote 27 Hier geht es darum, dass es Phasen im Lebenslauf gibt, in denen Personen noch keine investive Statusarbeit leisten, sie unterbrechen oder schließlich einstellen.Footnote 28 Die Anlage des narrativ-biographischen Interviews lenkt den Blick in besonderer Weise auf diese diachrone Dimension.

Es wäre allerdings ein hoffnungsloses Unterfangen, systematisieren zu wollen, wann die Interviewteilnehmer*innen zum ersten beziehungsweise zum letzten Mal investive Statusarbeit praktiziert haben. Im Zuge der modernen Institutionalisierung des Lebenslaufes stellt die Integration junger Mittelschichtenangehöriger in Ausbildungsmaßnahmen, im weiteren Lebensverlauf dann in Weiterbildungsmaßnahmen, mittlerweile die Regel dar.Footnote 29 So betrachtet wären alle Arten von Teilnahmen an beruflichen Ausbildungen, Schul- und Weiterbildungsmaßnahmen, berufsvorbereitenden Maßnahmen oder Hochschulstudien als Praktiken der investiven Statusarbeit zu bewerten. Es erschiene dann auch wenig plausibel, institutionalisierte Formen der ‚Auszeit‘ wie etwa Soziale Freiwilligendienste, Work-and-Travel-Aufenthalte, Berufsvorbereitungsjahre oder Praktika von investiver Statusarbeit abzugrenzen. Denn zum einen dienen sie faktisch häufig dem Erwerb von ‚Hard-‘ und ‚Softskills‘, die auf eine Erwerbstätigkeit vorbereiten, zum anderen werden sie oft als Raum benutzt, in dem die Enaktierung berufsbiographischer Orientierungen bereits in einem ‚geschützten Rahmen‘ erprobt werden kann.Footnote 30 Auch das Ende der investiven Praxis kann aus einer solchen Perspektive nicht einfach mit dem Ende der beruflichen Erwerbstätigkeit und dem Beziehen einer Rente bestimmt werden. Als Rentner kann man weiter sein Kapitalvermögen auf dem Finanzmarkt investieren – etwa um die eigenen Kinder mit einem in Aussicht gestellten Vermögen künftig bei deren investiver Statusarbeit zu unterstützen. Sofern deren Kreditwürdigkeit angesichts des künftigen Erbes steigt, hat es sogar schon gegenwärtig Effekte. Auch andere Arten der intergenerationalen Statusarbeit lassen sich im Ruhestand weiter betreiben – etwa als Mitwirkung an einer entsprechenden Erziehung der Enkelkinder.

Weil Anfang wie Ende investiver Statusarbeit derart verschwimmen, scheint es aufschlussreicher zu sein, danach zu fragen, wann investive Statusarbeit in das Zentrum der auf die Berufstätigkeit ausgerichteten biographischen Orientierung rückt. Dem Lebensführungsmodus der investiven Statusarbeit korrespondieren ‚Gründungsszenen‘, anhand derer plausibilisiert werden kann, wie sich das Statusstreben intensiviert, also eine zuvor gegebene zeitliche Begrenzung überwunden wird. Diese Gründungsszenen lassen sich in Erfahrungen ,leistungsbezogener Anerkennung‘ und in ‚Statusschocks‘ heuristisch unterteilen. Das Ende beziehungsweise die Reduktion von Praktiken investiver Statusarbeit stellt sich entweder als Sättigung oder als Zurückschrauben von Statusambitionen dar.

Startpunkte investiver Statusarbeit: ‚Leistungsbezogene Anerkennung‘ und ‚Statusschock‘

Zunächst zu den investiven Statusarbeiter*innen, bei denen sich die ‚Gründungsszenen‘ dieses Lebensführungsmodus als Erfahrung leistungsbezogener Anerkennung oder als ‚Statusschock‘ gut nachvollziehen lässt: Frau Brilla, Herr Steinhauer und – auf andere Art – Herr Huber. Frau Brilla berichtet, wie bereits erwähnt, davon, dass das Absolvieren des Gymnasiums neben dem Beruf für sie eine „Offenbarung“ beziehungsweise eine „Initialzündung“ gewesen sei, ihr einen „enormen Schub“ gegeben habe, und dass sie „mit dem Abitur in der Tasche gedacht habe, vielleicht kann ich jetzt im Job Karriere machen.“ (I29: 558–559) Frau Brilla ist zu diesem Zeitpunkt etwa 40 Jahre alt und hat bereits mehrere Jahre in ihrem Beruf gearbeitet. Eine ähnliche Gründungsszene findet sich bei Herrn Steinhauer. Dieser berichtet, dass seine Schulzeit von sozialer Isolation, ökonomischer Deprivation und schulischen Schwierigkeiten geprägt gewesen sei. Er geht ohne Hochschulreife vom Gymnasium ab und nimmt stattdessen eine Ausbildung zum Industriemechaniker auf. Die Ausbildung wird in der biographischen Erzählung als ein Wendepunkt ausgewiesen:

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Das „Aufwachen“ Herrn Steinhauers ähnelt der „Initialzündung“ Frau Brillas. Beide machen die Erfahrung, dass sie über schulische Leistungen Erfolg haben. Im Fall von Herrn Steinhauer bedeutet der Erfolg gleichzeitig auch eine Form der leistungsbezogenen Anerkennung in der Klassengemeinschaft. Für Frau Brilla steht er vor dem Hintergrund, dass die Eltern als „Vertriebene […] aus Ostpreußen […] nicht so toll angesehen“ sind und „immer wenig Geld zur Verfügung“ haben. Das Bestehen des Abiturs stellt für sie insofern eine zentrale Chance des Aufstiegs aus dem elterlichen Milieu dar.

Im Kontrast zu diesen beiden Fällen findet sich noch eine zweite Art von ‚Gründungsszenen‘, in deren Zentrum nicht leistungsbezogene Anerkennung steht, sondern eine Erfahrung des ‚Statusschocks‘. Besonders plastisch zeigt sich diese Form der Erfahrung anhand der Passage, die im vierten Kapitel bereits schon einmal zitiert wird. Es handelt sich um die Erzählung darüber, wie Herr Huber die Ausschließung aus dem gemeinsamen Haus erlebt und der Vater ihm in der Krise geholfen habe:

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Die Situation, von der Herr Huber hier erzählt, bedeutet einen biographischen Umbruch und ist auch heute noch emotional geladen, was erkenntlich wird, wenn Herr Huber über die ehemalige Partnerin gar nicht sprechen will und auch die Umstände seiner ‚Aussperrung‘ im Dunkeln lässt. In beiden Schritten des Geschehens rät der Vater zur Dämpfung seiner Impulse – erst der Liebe, dann der Wut – und zur Planung: erst über den Bauprozess hinaus, dann auf die vier oder fünf Jahre. Angesichts der zentralen biographischen und emotionalen Bedeutung dieser Ratschläge können wir vermuten, dass Herrn Hubers eigene Neigung zur Planung hier entscheidend gefördert wird. Auffällig ist auch, dass er das beratende Gespräch in Dialogform wiedergibt und damit fast eine Art ‚Mantra‘ zu präsentieren scheint: „Du bist so fleißig, du fällst immer wieder auf die Füße“ (19). Auch hier können wir vermuten, dass der Zuspruch des Vaters als eine Identitätsbestätigung gewirkt hat – unabhängig davon, ob sich Herr Huber zu dieser Zeit in der Tat durch besonderen Fleiß ausgezeichnet hat. Der Fleiß macht, auch abgehoben von der konkreten Situation im biographischen Verlauf, zunehmend eine zentrale Komponente in der Identität Herrn Hubers aus und wird zugleich eng mit Sicherheit verknüpft. Die Passage scheint den Ursprung oder doch zumindest eine Schlüsselsituation dafür darzustellen, dass Herr Huber sich heute als sehr planerische und fleißige Person präsentiert und eine von investiver Statusarbeit dominierte Lebensführung zeigt, um sich gegen die Wiederholung eines solchen ‚Statusschocks‘ abzusichern.

Umstellen auf investive Statusarbeit: Brüche in der Lebensführung

Die Motive der leistungsbezogenen Anerkennung und des ‚Statusschocks‘ stellen damit zwei Arten von Gründungsszenen dar, die eine dominante biographische Orientierung an investiver Statusarbeit evozieren und im Rahmen dieses Lebensführungsmodus die Intensivierung und den Ausbau von Praktiken investiver Statusarbeit hervorrufen. Eine andere Form, in der Praktiken investiver Statusarbeit ins Zentrum der Berufstätigkeit rücken, ist die Erfahrung eines Bruchs beziehungsweise Wendepunkts im biographischen Verlauf, an dem ein bestimmter Modus der Lebensführung zugunsten eines anderen eingestellt wird. Diese Form von Bruch illustrieren bei unseren Fällen besonders Herr Nikolaidis und Herr Röseler, die beide eine am Berufsstolz orientierte Lebensführung kultivieren und damit in eine biographische Krise geraten. Wie bereits in Abschn. 4.2 eingehend analysiert, müssen beide zu einem bestimmten Zeitpunkt ihrer Berufskarriere feststellen, dass sie aufgrund ihrer Fixierung auf die berufliche ‚Meisterschaft‘ die Sicherung ihres sozioökonomischen Status vernachlässigt haben und diesem mehr Aufmerksamkeit schenken müssen, auch wenn das auf eine schmerzliche Verabschiedung mancher beruflicher ‚Träume‘ hinausläuft. Fortan befleißigen sich beide in verstärktem Maße ‚ganz pragmatisch‘ der Praktiken investiver Statusarbeit.

Der Fall der gemeinschaftsorientierten Frau Brandt bietet ein weiteres Beispiel dafür, dass lebensgeschichtliche Brüche Praktiken investiver Statusarbeit auslösen können. Sie ist zum Zeitpunkt des Interviews 50 Jahre alt und arbeitet als Informatikkauffrau. Sie lässt sich Anfang der 2000er Jahre dazu umschulen, nachdem sie mehrere Jahre lang insgesamt in vier Studiengängen studiert. Sie berichtet im Interview, dass sie bereits in der Schulzeit leidenschaftlich gern zeichnet und dies mit einem klar umrissenen Berufsbild der Illustratorin verbindet. Nachdem ihre Bewerbung an der Kunsthochschule abgelehnt wird, willigt sie gekränkt in die Notwendigkeit ein und absolviert eine Ausbildung als Technische Zeichnerin, die im praktischen Konstruieren zwar unterhaltsame Elemente hat, aber insgesamt wie ein „im Dunkeln im Tunnel“ (I33: 398) durchgestanden werden muss. Nachdem sie von ihrem Ausbildungsbetrieb nicht übernommen wird, entscheidet Frau Brandt sich aus einer Orientierungslosigkeit heraus für ein Maschinenbau-Studium – in der Hoffnung, ihren Spaß am Konstruieren in eine Erwerbstätigkeit übertragen zu können.

Der Verlauf der Studienepisoden stellt sich so dar, dass Frau Brandt mit dem Maschinenbaustudium und dem anschließenden Studium der Meteorologie zwar klare Zielsetzungen, aber nur diffuse Umsetzungspläne verbindet. Sowohl die ins Auge gefassten Berufsbilder als auch ihre Studienanläufe wirken zwar ambitioniert, aber vergleichsweise orientierungslos – konkrete Vorbilder oder Ratgeber*innen scheinen ihr zu fehlen. Der Abbruch der Studiengänge dürfte auch an der Erfahrung aus der Ausbildung zur Technischen Zeichnerin geschult sein, dass es fragwürdig ist, ob es sich lohnt, eine ‚Durststrecke‘ auf sich zu nehmen, wenn der Ertrag ungewiss ist.

Im Zuge dessen wird die Orientierung an einem lustvollen Arbeitsklima einerseits, an einem sichtbaren ökonomischen Ertrag andererseits relevanter. In einem Bildungsurlaub während ihrer Ausbildung lernt Frau Brandt das Segeln kennen und entwickelt hierin eine zweite Leidenschaft, die sie schließlich wiederum in Form eines Studiums der Geographie und entsprechender Arbeiten im Sommer in eine Erwerbstätigkeit zu überführen versucht. Nach mehreren Semestern bricht sie auch dieses Studium ab, da es sie ihrem Wunsch, mit Segeln Geld zu verdienen, nicht näher zu bringen scheint. Sie studiert im Anschluss vier Semester Sozialpädagogik, da sie hofft, im Anschluss in diesem Beruf auf einem Segelschiff arbeiten zu können. Schließlich wird Frau Brandt schwanger, exmatrikuliert sich, sorgt zwei Jahre für das Kind und nimmt eine Umschulung zur Informatikkauffrau auf.

Für die Frage nach zeitlichen Grenzen investiver Statusarbeit ist dieser Fall deshalb interessant, weil sich im biographischen Verlauf ein Bruch zeigt, der prägnant zwei unterschiedliche Formen dessen ausweist, was als berufliche Statusarbeit verstanden werden kann. In der Bewerbung zur Illustratorin beziehungsweise in den vier Studienansätzen ging es Frau Brandt darum, beruflich ‚etwas aus sich zu machen‘ und zugleich durch die Erwerbstätigkeit eine Stelle zu finden, die ‚zu ihr passt‘, ihr also erlaubt, ihre positiven Orientierungen an Freiheit, Selbstständigkeit, Ausbruch und gemeinsamem, tätigem Schaffen innerhalb der Erwerbssphäre ausleben zu können. Diese Phase zeigt recht deutlich den Charakter einer Suchbewegung, die auch deshalb etwas orientierungslos wirkt, weil Frau Brandt in allen Studienanläufen auf Hindernisse stößt, die ihr unüberwindbar erscheinen. Die Elternschaft scheint dann mit einem Bruch in der beruflichen Orientierungssuche einherzugehen und zu bewirken, dass Frau Brandt die berufliche Tätigkeit nur mehr unter dem Aspekt des ‚Broterwerbs‘ beurteilt. In diesem Sinne handelt es sich um zwei verschiedene Anspruchshaltungen, die mit der eigenen Erwerbstätigkeit verbunden werden. Während es in der ersten Phase darum geht, daran und dafür zu arbeiten, die Möglichkeit zu haben, die eigenen handlungsleitenden Orientierungen in der Erwerbssphäre umzusetzen und dabei einen als angemessen und sicher empfundenen Lebensstandard zu erreichen, zielt die Lebensführung in der zweiten Phase darauf, nur mehr ein ‚Auskommen‘ zu erzielen, das eine finanziell gesicherte Elternschaft ermöglichen soll.Footnote 31 In diesem Fallbeispiel sind sowohl vor als auch nach dem biographischen Wendepunkt der Elternschaft Praktiken investiver Statusarbeit zu beobachten. Allerdings verschiebt sich deren biographischer Sinn: vom gesuchten und nicht gefundenen Berufsstolz zum ‚Broterwerb‘.

Endpunkte investiver Statusarbeit

Neben diesen Startpunkten investiver Statusarbeit lassen sich biographische Endpunkte beobachten. Bei Fällen mit Orientierung an Gemeinschaften und Berufsstolz wurde dieser Endpunkt bereits beschrieben – er ist durch eine Sättigung markiert, die es erlaubt, sich auf die anders gelagerten Anerkennungsverhältnisse zu konzentrieren.

Doch auch bei den investiven Statusarbeiter*innen flacht die Kurve des Statusstrebens in der zweiten Hälfte des Lebenslaufs ab. So kommt es für Frau Schröder nicht in Frage, noch ein BWL-Studium aufzunehmen, das sie benötigt, um vom erreichten „Sesselpupser-Job“ weiter aufzusteigen: „NOCHMAL irgendwie neu irgendwie sich alles anzueignen und aufzubauen und/ //ja// Nee. Das muss nicht sein. //ja// Jetzt bin ich alt genug. Reicht @(.)@“ (I21: 1517 f.). Auch der Werksleiter Herr Steinhauer plant zwar, „dann auch langsam wieder wechseln, sonst werde ich auch unattraktiv“ [I30: 1904 f.]. Ein Aufstieg bis zum Vorstandsvorsitzenden betrachtet er aber nicht mehr als realistisch: „Aber Vorstandsvorsitzender, dafür bin ich doch schon zu alt, //mhm// ne? Also das, das wird es nicht mehr werden“ [I30: 1144]. Diese Passagen zeigen, dass auch investive Statusarbeiter*innen in ihrem Statusstreben mit Grenzen des Machbaren rechnen müssen und ihre Aspirationen daran anpassen.

Ein – allerdings nur antizipierter – anders gelagerter Endpunkt des Statusstrebens findet sich im Interview mit dem Handwerker Herrn Huber, der darüber spricht, dass seine „Lebensplanung“ vorsieht, nur bis zum Alter von 48 oder 49 Jahren zu arbeiten:

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Herr Huber räumt ein, er müsse auch nach der gesetzten Altersgrenze eventuell noch 20 h arbeiten, grenzt dies aber deutlich von den Prinzipien ab, die seine aktuelle Lebensführung kennzeichnen, die darauf ausgerichtet ist, möglichst viel Geld zu verdienen – auch wenn ein „Bandscheibenvorfall“ droht und Herr Huber berichtet, bereits einen Schlaganfall erlitten zu haben, den er auch auf Überarbeitung zurückführt. Gleichzeitig stellt er sich vor, mehr Zeit in Nordamerika zu verbringen – das Herr Huber aus Urlauben kennt und das er in sehr dichten Passagen bespricht, in denen deutlich wird, dass es ein Gegenstück und in gewissem Sinne eine imaginierte Entschädigung für die Zumutung seines anstrengenden Alltags darstellt. In diesen Passagen erscheint die Lebensführung, deren Versprechen für Herrn Huber in Nordamerika aufgehoben ist, allerdings nicht als eine realistische Alternative – nicht zuletzt, da er selbst herausstellt, dass sie ihm „in diesem Leben“ wohl verschlossen bleiben wird. Insofern sind zumindest Zweifel anzumelden, ob der Plan der Begrenzung und damit die Imagination eines ‚ganz anderen Lebens‘ nicht eher ein notwendiges Gegenstück der erschöpfenden Lebensführung der investiven Statusarbeit darstellt als eine faktische zeitliche Begrenzung der Phase der investiven Statusarbeit (siehe dazu die Vignette in Abschn. 4.3).

Der einzige Fall im Sample, in dem eine investive Statusarbeiterin tatsächlich so etwas wie eine Sättigung zeigt, ist der von Frau Brilla, die in der Retrospektive berichtet:

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Auch in dieser Passage deutet sich zunächst eine intendierte Begrenzung an, indem die Befragte erzählt, sie habe sich in den späten Vierzigern entschieden, „'n Haken dran machen“ zu wollen. In der Passage liegt allerdings eine interessante Doppeldeutigkeit: Wenn die Befragte auf humoreske, rhetorische Weise fragt: „da war doch noch was? Ach ja, Privatleben“, nimmt sie eine ironische Haltung zu ihren eigenen Aufstiegsbemühungen ein. Das tut sie aus einer Lebensphase heraus, in der sie in einer Partnerschaft ist und ein „sehr schön[es]“ Privatleben hat. Es stellt sich die Frage, ob dies das Ergebnis oder der Anlass dessen ist, an die zentrale Stellung der Aufstiegsambitionen „'n Haken dran [zu]machen“: Hat sich die Befragte nun Zeit für ihr Privatleben genommen und im Zuge dessen auch einen Partner kennengelernt, oder hat das Kennenlernen des Partners einen Wandel in der Lebensführung veranlasst und eine biographische Episode der intensivierten Statusarbeit beendet? Schließlich wird in dieser kurzen Passage nicht klar, ob nicht auch Frau Brilla in ihrer Position an jene Grenzen des Erreichbaren gestoßen ist, die sich ihr ohne Studium zeigen. Obwohl das hier nicht eindeutig geklärt werden kann, ist festzuhalten, dass gerade die investiven Statusarbeiter*innen in den frühen Phasen ihres beruflichen Verlaufes starke Aufstiegsambitionen zeigen. Diese Fokussierung legt in einigen Fällen nahe, ab einem bestimmten Zeitpunkt ‚seine Schäfchen ins Trockene zu bringen‘. Es ist allerdings unklar, wodurch sich dieser Zeitpunkt bestimmt. Während in den beiden Fallbeispielen ein Bruch in den späten 40er Lebensjahren erfahren beziehungsweise erwartet wird, liegt es nahe, andere Faktoren, wie die Midlifecrisis, die Empty-Nest-Phase, das Erreichen der als möglich eingeschätzten beruflichen Ziele oder die Anhäufung eines bestimmten absichernden Vermögens als Anlass in Betracht zu ziehen.

Aber woran bemisst sich, was jemand als hinreichend einstuft? Diese Frage verweist auf Begrenzungen investiver Statusarbeit in der Sozialdimension.

5.3.4 Begrenzungen in der Sozialdimension

Ein zentrales Ergebnis unserer empirischen Untersuchung ist, dass das Statusstreben und damit die Praktiken der investiven Statusarbeit nicht per se schrankenlos sind. In der Deutung der eigenen Statusposition und der Bewertung des eigenen Statuserfolgs spielt der soziale Vergleich mit anderen Personen eine zentrale Rolle. In einem großen Teil der Fälle handelt es sich dabei um Personen aus dem sozialen Nahbereich: Nachbar*innen, Kolleg*innen, Freund*innen oder Bekannte.Footnote 32 Bei anderen Personen hingegen tauchen auch entferntere relevante Andere im Vergleichshorizont auf. Man denke nur an Herrn Röseler, der sich mit Johann Sebastian Bach misst (Abschn. 4.2.2). Die Ausrichtung der Lebensführung unterscheidet sich damit in der Art des Publikums, dessen Anerkennung die Personen suchen. In der gemeinschaftszentrierten Lebensführung geht es um die Anerkennung durch die Gemeinschaften, in denen man verwurzelt ist; in der Berufsstolz-Lebensführung um die Anerkennung von Seiten eines spezialisierten Kollegenkreises und eines kompetenten Publikums; und in der Lebensführung als investive Statusarbeit um die Anerkennung eines vorgestellten ‚virtuellen‘ Publikums, das nicht zuletzt auch aus früheren Bewerter*innen wie etwa ehemaligen Lehrer*innen und Vorgesetzten sowie aus Konkurrent*innen besteht, die man hinter sich gelassen hat – die im vierten Kapitel (siehe Abschn. 4.3.3) bereits zitierte Passage, in der Herr Steinhauer von der Begegnung mit seiner ehemaligen Lehrerin in einer Tankstelle spricht, ist ein eindrückliches Beispiel dafür.

Auffällig an der Passage ist, dass die Referenz in vielen Hinsichten ‚virtuell‘ ist: Herr Steinhauer stellt sich nicht nur vor, was seine ehemalige Lehrerin gedacht habe, als sie ihn in der Tankstelle gesehen hat, sondern auch, was sie wohl sagen würde, wenn sie sich „unterhalten“ würden und Herr Steinhauer das ‚Missverständnis‘ aufklären würde. Die Entscheidung, nicht zum Klassentreffen zu gehen, kann geradezu als ein Zurückschrecken davor gelesen werden, dass die Begegnung und Bewährung anders ausfiele, als Herr Steinhauer sich das vorstellt. Das gibt einen wichtigen Hinweis darauf, dass Begrenzungen in der Sozialdimension nicht an konkrete Interaktionen mit anderen Personen gebunden sein müssen, sondern deren imaginäre Repräsentation auch ein Publikum konstituiert, das die Kontur der eigenen Statusarbeit zu bestimmen hilft.

Selbstbescheidung

Im Weiteren soll diese Einsicht, dass Statusarbeit erst im Kontext sozialer Bezugnahmen Kontur bekommt, genutzt werden, um zu fragen, wie in den drei Modi der Lebensführung von Mittelschichtenangehörigen durch die Bezugnahme auf andere, teils imaginierte, Personen die Grenzen dessen ausgelotet werden, was an Praktiken der Statusarbeit geleistet werden kann und muss.Footnote 33 Der Bezug auf andere Personen kann – neben einem Ringen um deren Anerkennung des eigenen Tuns – auch darin bestehen, sie zu beobachten, um daraus den eigenen Status ‚in Perspektive‘ zu rücken. So kontempliert etwa der Hauptschullehrer Herr Schulz in der Antwort auf die Frage, welcher Schicht er sich zugehörig fühlt, anhand eines Bezuges auf einen seiner ehemaligen Schüler darüber, ‚was einem zusteht‘:

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Herr Schulz – den wir anhand seiner Ressourcenausstattung der mittleren Mittelschicht zuordnen würden – verortet sich überraschend in der Oberschicht. Dass er sich dabei um Erklärung und Konkretisierung bemüht, spricht dagegen, dass es sich um eine ironische Antwort handelt. Anhand einer Anekdote, die er als exemplarisch – „geflügeltes Wort“ (11–12) – für seine Einstellung und die der Familie präsentiert, führt er daraufhin aus, warum er sich selbst der Oberschicht zuordnet. Dabei fällt auf, dass diese Vergleichsfigur auch eine normative Komponente hat: „Demut“ (10) soll zur „Zufriedenheit“ (14) führen. Es verwundert deshalb auch nicht, dass er an dieser Stelle den „Faden“ (14) verliert: In der Anekdote selbst scheint auf, dass die Selbstzuschreibung „Oberschicht“ (4) eben nicht, wie er am Ausgangspunkt seiner Erörterung noch suggeriert hat, einfaches Abbild dessen ist, was er ‚hat‘, sondern eine Einstellung zum Ausdruck bringen soll, nach der man sich mit dem bescheidet, was man hat – weil man weiß, dass es anderen schlechter geht. Die eigene Statusverortung ist hier also grundlegend als Verhältnisbestimmung zu anderen Personen zu verstehen.

Ein anderes Beispiel für diese Form der Bescheidung findet sich im Interview mit Frau Reuter:

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Sie beschreibt zunächst, dass sie sich mit Blick auf ihre Pensionsansprüche Sorgen mache. Sie relativiert diese Sorgen aber durch den Vergleich mit ehemaligen Kolleg*innen. Das Ergebnis dieses Vergleichs besteht also darin, dass sich Frau Reuter in der Einschätzung ihres Status berichtigt.Footnote 34

Eine andere, in Kap. 4 bereits kurz erwähnte ‚Parabel‘, die zur Kontextualisierung der eigenen Statusaspirationen und -strategien dient, findet sich im ‚Ikarus-Sinnbild‘. In diesem Bild werden Erzählungen und Beschreibungen kondensiert, in denen es um die Bescheidung der eigenen Statusansprüche geht. Dem griechischen Mythos folgend enthalten Beschreibungen und Erzählungen, die über das Ikarus-Sinnbild strukturiert sind, die Lehre, dass ein übermütiges Statusstreben bestraft wird. Ein Beispiel dafür findet sich im Interview mit Herrn Wisch. Er berichtet, wie er als Jugendlicher begonnen hat, für seinen Onkel zu arbeiten, der sich mit einer Baufirma selbstständig gemacht hat.

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In der Beschreibung des Onkels erweist sich dieser in zweierlei Hinsicht als „komisch“. Zum einen erscheint die Hoffnung, selbstbestimmt arbeiten zu können, bereits als eine Illusion – wenn auch als eine, die Herr Wisch prinzipiell nachvollziehen kann. Zum anderen präsentiert Herr Wisch das Scheitern des Onkels, nicht ohne eine gewisse Gehässigkeit, als absehbar, nach dem Motto: ‚Wenn sich unsereins soweit vorwagt, fährt er unweigerlich gegen die Wand‘. Die abschließende Einschätzung, der Onkel habe aber immerhin lange „durchgehalten“, suggeriert eine gewisse Anstrengung. Herr Wisch scheint hier über investive Statusarbeit zu sprechen: Wenn einer sich besonders anstrengt, um etwas ‚Besseres‘ zu werden, ist das zum Scheitern verurteilt. Auf eine immanente Nachfrage hin, baut er diese Einschätzung aus:

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Die Passage deutet darauf hin, dass der Onkel mit seiner Selbstständigkeit durchaus erfolgreicher ist, als es Herrn Wischs Darstellung, sie sei „grandios schiefgelaufen“, zunächst glauben macht. Herr Wisch ordnet diesen Umstand aber unbeeindruckt in das Motiv ein, dass der Onkel nicht gewusst habe, was ihm ‚zustehe‘, dass er ‚zu viel gewollt‘ habe und deshalb schließlich geradezu zwangsläufig habe ‚abstürzen‘ müssen. Die Darstellung changiert dabei zwischen einer gewissen Schadenfreude und Mitleid.

Herr Wisch macht mit dem Ikarus-Sinnbild deutlich, warum er nicht nach ‚mehr‘ strebt. Es ist plausibel, dass sich ein solches Plädoyer für Selbstbescheidung nur bei Fällen findet, die der gemeinschaftsorientierten Lebensführung zuzuordnen sind. Der ‚Korridor des Angemessenen‘ wird über Bezüge zu einer Gemeinschaft hergestellt, die die anderen beiden Orientierungen der Lebensführung in dieser Form nicht kennen. Die Berufsstolz-Lebensführung richtet sich ja gerade an Gemeinschaften aus, denen ein schrankenloses Streben nach Meisterschaft inhärent ist; und bei den investiven Statusarbeiter*innen fällt die völlige Abwesenheit derart ‚regulierender‘ Referenzgruppen auf.

Bezugspersonen und -gruppen

In Hinblick auf die Begrenzung der investiven Statusarbeit durch den Bezug auf konkrete Personen nehmen die eigenen Eltern oft eine zentrale Stellung ein. Dass ‚die Kinder es einmal besser haben sollen‘, wird häufig als ein zentrales Mittelschichtsversprechen bezeichnet. Aus Sicht der Kinder ist, dieser Prämisse folgend, Statusarbeit dann erfolgreich, wenn sie einen höheren Status als ihre Eltern erreichen. Es zeigen sich durchaus solche Formen von Rahmungen der eigenen Statusaspirationen durch Bezug auf den Status der Eltern. Diese Bezüge erweisen sich dabei als unterschiedlich explizit, je nachdem, welcher Aspekt des Status der Eltern für den Vergleich herangezogen wird.

Ein Beispiel für eine sehr explizite Bezugnahme auf die Eltern in der Bewertung des eigenen Statuserfolges zeigt sich im folgenden Beispiel aus dem Interview mit Herrn Berger. In diesem Fall kann für den geglückten Statusaufstieg gegenüber dem Vater ein klares Kriterium zugrunde gelegt werden, das der Befragte auch nicht ohne Stolz präsentiert:

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Derart klare Vergleichskriterien liegen für den Vergleich mit den Eltern jedoch selten vor. Eine andere Form des vergleichenden Bezuges greift insofern auf das diffusere Kriterium des Lebensstandards zurück. Hier fallen zunächst natürlich Passagen ins Auge, in denen die Befragten ihren Lebensstandard selbst ins Verhältnis zu dem ihrer Eltern beziehungsweise ihrer Kindheit setzen. Wir können hier noch einmal an die Passage denken, in der Herr Steinhauer den Aufstieg gegenüber seinen Eltern betont: „wo ich mir dann denke: Scheiße! Auch das, was Sie da inzwischen alles mitgeschrieben haben, ne? Wo du dann doch herkommst und wo man dann doch hinkommen kann.“ (I30: 996–998)

Es ist allerdings auffällig, dass sowohl im Fall von Herrn Steinhauer wie auch im Fall von Frau Brilla, die ja, wie bereits gezeigt, ebenfalls den Aufstieg gegenüber ihren Eltern betont hat, die Reproduktion des elterlichen Status nicht zu einer ‚Statussättigung‘ führt. Das ist sicherlich ein Merkmal solcher Lebensführungen, die sich an investiver Statusarbeit orientieren. Der Vergleich mit dem Status der Eltern wird aber darüber hinaus gerade dann eine handlungsleitende Größe, wenn es nicht gelingt, ihn für sich zu reproduzieren. Die Reproduktion des elterlichen Status stellt damit einen Mindestanspruch dar, dessen Verfehlen schmerzlich registriert wird, dessen Erreichen aber weitere Überflügelungsambitionen nicht still stellt. Wie das Statusdefizit im Vergleich zu den Eltern ein wichtiger impliziter Antrieb der eigenen Lebensführung sein kann, lässt sich am Fallbeispiel von Herrn Winkler erkennen. Herr Winkler, dessen Vater in der Fabrik eines Automobilherstellers arbeitet, entscheidet sich nach Abschluss des Abiturs für eine Tischler-Lehre und begründet das mit Bezug zu seinem Vater:

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Herr Winkler entscheidet sich also, das Hobby des Vaters zu seinem Beruf zu machen. Der anschließende berufliche Verlauf ist jedoch von Enttäuschungen geprägt: Herr Winkler muss als Tischler körperlich zunächst hart und lange arbeiten; er ist „erledigt und erschöpft“ und „kaputt von der Arbeit“ (I09: 646). Er durchläuft verschiedene berufliche Stationen und studiert schließlich zehn Jahre Architektur. Auch danach hadert er jedoch damit, eine passende Anstellung zu finden. Um sich mit seiner Frau und seinen beiden Kindern eine Wohnung in einem Mehrfamilienhaus leisten zu können, reicht sein „Hungerlohn“ (I09: 771) nicht aus. Herr Winkler fragt schließlich seinen Vater nach Geld, um die Wohnung kaufen zu können. Der Vater gibt ihm das Geld und sie setzen einen handschriftlichen Darlehensvertrag auf, nach dem Herr Winkler das Geld dann zurückzahlen muss, wenn er und seine Frau sich trennen – eine zugespitzte Form intergenerationaler Statusarbeit, die dem Sohn hilft, sein Statusdefizit auszugleichen. Doch da er es nicht aus eigener Kraft schafft, sondern sich vom Vater helfen lassen muss, wird das Defizit gegenüber den Eltern gerade nicht ausgeglichen, sondern in gewisser Weise noch deutlicher.

Die Statusarbeit von Herrn Winkler bearbeitet zentral das Problem, den Lebensstandard der Eltern halten zu können und dabei gleichzeitig beruflich dem eigenen Interesse und der eigenen Neigung nachzugehen. In diesem Beispiel wird deutlich, dass die implizite Auseinandersetzung mit dem Status der Eltern eine sehr basale Form der Vorselektion bezüglich der Fragen vornimmt, wie ein angemessener Lebensstandard aussieht und über welche beruflichen Wege er eventuell zu erreichen ist. Neben den Eltern finden sich auch Hinweise auf Geschwister als zentrale Bezugspersonen eigener Statusarbeit. Sie können für die Bewertung des eigenen beruflichen Verlaufs und des eigenen Status die Funktion von Vergleichsfolien erfüllen: Anhand der Geschwister lassen sich die eigene Lebensführung und der eigene Status deutlicher herausstellen, da man plausibilisieren kann, welche Verläufe unter ähnlichen Bedingungen noch möglich gewesen wären.

Vergleichsdimensionen

Bis hierher wurde gezeigt, dass Bezugspersonen oder -gruppen herangezogen werden, um zu messen, was man erreichen kann, will oder soll. Sie können darüber hinaus aber auch dazu dienen, zu vergleichen, wie dieses Statusziel zu erreichen ist. Das zeigt sich besonders plastisch im Interview mit der investiven Statusarbeiterin Frau Schröder, die sich – wie eben schon eingeführt – mit ihrem Bruder vergleicht:

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An diese Passageneröffnung schließt Frau Schröder lange bildliche Beschreibungen und Erzählungen an, in denen sie vom Alkohol- und Drogenmissbrauch des Bruders berichtet: dass er unter Alkoholeinfluss Autounfälle hat, mehrmals seine Jobs verloren habe, da er „abgestürzt“ sei; dass er partner- und kinderlos sei und ihm soziale Kontakte fehlten. Gleichzeitig erzählt sie aber auch, dass er inzwischen einen guten Job in der Schiffsbranche habe:

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Gerade vor dem Hintergrund, dass Frau Schröders Lebensführung deutliche Orientierung an sozioökonomischem Status zeigt, nimmt der Bruder geradezu die Funktion einer Parabel zur ‚legitimen Lebensführung‘ ein. Frau Schröder verstellt ihre Stimme zum Eingang der Passage, spricht betont im Dialekt und gibt damit spielerisch zu verstehen, dass sie nun ein leidiges oder lustiges, auf jeden Fall aber besonderes Thema einführt. Der Bruder erscheint als ‚einer, um den sich zahllose Geschichten ranken‘ – als Charakter, an dem sich wie in Fabeln eine grundsätzliche Haltung zum Leben verdeutlichen lässt. Die darauffolgende Altersangabe kann zunächst als eine rahmende, einführende Information verstanden werden. Im Zusammenhang mit dem nächsten Satz steht sie aber in einem Spannungsverhältnis: Er wird als der „große Bruder“ eingeführt, der seine kulturell tradierte Rolle als ‚Beschützer‘ nicht einnimmt, sondern um den man sich im Gegenteil sorgen muss. Die Redeweise von der „Kurve“ baut Spannung auf und spart zunächst Inhalte aus. Weiterhin suggeriert das Bild der „Kurve“, dass ein komplexes Verhältnis von eigener Agency und von außen einwirkenden Kräften vorliegt. In Abgrenzung zu ihrem Bruder, so stellt Frau Schröder heraus, habe sie selbst in einer inversen Bewegung die „Kurve gekriegt“. Der Vergleich hat dabei Schlagseite: Ihre schlechte Eigenschaft als Kind habe darin bestanden, „rotzfrech“ zu sein – was zum einen eine gängige Zuschreibung einer kindlichen Eigenschaft ist, die sich im Erwachsenwerden verliert, und andererseits suggeriert, seinen eigenen Kopf zu haben. Der Bruder sei jedoch „pflegeleicht“ gewesen, was eher wie eine Beschreibung für ein Haustier anmutet und Unselbstständigkeit suggeriert. Zum Prüfstein erklärt Frau Schröder die Herausforderungen, den Führerschein zu machen und in der Lehre zu bestehen. Beide Herausforderungen, die eng mit Vorstellungen der Freiheit und der Verantwortungsübernahme verbunden sind, hat sie gemeistert, ihr Bruder nicht. Unselbstständig gewesen zu sein, mag für ein Kind noch wohlwollend ausgelegt werden können; dies aber im Prozess des Erwachsenwerdens nicht abzulegen, wird „nach hinten los [gehen]“.

In der weiteren Passage wird der Bruder zum Repräsentanten einer Lebensführung stilisiert, in der Früchte – Dienstwagen, hohes Gehalt – geerntet werden, ohne sich dabei an die Regeln halten zu müssen, die besagen, dass man im Leben Verantwortung übernehmen, einen stressigen Alltag haben und sich durch Jobs quälen muss, auf die man keine Lust hat. Damit droht sein Werdegang, die großen Entbehrungen, die Frau Schröder auf sich nehmen muss, zu entwerten. Doch abgesehen von seiner Beschreibung als Kind wird er durch die gesamte Passage als äußerst unzuverlässiger, unberechenbarer, negativer Charakter gekennzeichnet. Dadurch überzeugt Frau Schröder den Interviewer und sich selbst, dass man so nicht leben darf. Auch dann, wenn der Bruder es zu einer statushöheren Position gebracht hat und sich vieles erlauben kann, weil er die Fähigkeit hat, sich „durchzumogeln“ und „herauszuwinden“, wird er zum einen langfristig gefährdet bleiben, wieder „abzustürzen“; zum anderen gehen mit der mangelnden Last der Verantwortung auch die Freuden der Familie und eines anerkannten und akzeptierten Platzes in der Gemeinschaft verloren. Wenn ihrem Bruder droht, die „Kurve“ nicht zu bekommen, dann, weil er nicht gelernt hat, sich zu bremsen, zu kontrollieren und zu beschränken. Gerade Verantwortung, Disziplin und Selbstbeschränkung waren es doch, die Frau Schröder in eine Position gebracht haben, mit der sie ‚zufrieden sein kann‘. In diesem Fallbeispiel bietet somit der Bruder der Befragten einen negativen Referenzpunkt für Statusaspirationen: Auch wenn er schließlich eine Statusposition erreicht hat, um die Frau Schröder ihn beneidet, dient seine ‚Geschichte‘ doch der Rückversicherung über eine legitime Form des Statusstrebens.Footnote 35

5.4 Leistung als evaluativer Rahmen legitimen Statusstrebens

Am gerade diskutierten Beispiel der Auseinandersetzung von Frau Schröder mit ihrem Bruder wird deutlich, dass investive Statusarbeit nicht nur eine zweckrationale Praxis darstellt, in der es darum geht, jedwede Möglichkeit zu nutzen, um seinen Status zu verbessern. In Frau Schröders Abgrenzung von der Lebensführung ihres Bruders, die sich nicht an Fleiß, Disziplin und Verantwortlichkeit ausrichte, deutet sich vielmehr an, dass die Personen ethisch gehaltvolle Vorstellungen einer ‚guten‘, legitimen Art von Statusarbeit in Abgrenzung von einer zwar vielleicht erfolgreichen, aber illegitimen Statusarbeit haben. Diese Unterscheidung findet sich noch nicht im theoretischen Modell, wir sind erst in unseren empirischen Daten darauf gestoßen. Wenn diese Vorstellungen über ‚gute‘ und ‚schlechte‘ Statusarbeit kommunikativ benutzt werden, um die eigenen Praktiken der Statusarbeit aufzuwerten und die anderer auf- oder auch abzuwerten, lässt sich von Praktiken symbolischer Statusarbeit sprechen. Im Folgenden betrachten wir symbolische Statusarbeit, wie sie gewissermaßen ‚isoliert‘ in legitimatorischen Erzählungen und Reflexionen der Interviewten hinsichtlich der eigenen Lebensführung vorkommt. Das könnte den Anschein erwecken, als handele es sich um einen rhetorischen Überbau, der in der ‚eigentlichen‘ Statusarbeit selbst keine Rolle spielt, sondern nur einer retrospektiven Rationalisierung des eigenen Tuns und seiner Resultate dient. Demgegenüber ist zu betonen, dass Statusarbeit als Bemühen, die eigene Lage in einer gestuften Struktur von Statuspositionen zu verbessern, und symbolische Statusarbeit als Legitimierung der Erfolge und Erklärung der Misserfolge eigener Statusarbeit, was sich beides immer wieder auch der Delegitimierung der Statuspositionen anderer bedient, stets untrennbar ineinander verwoben sind. Noch präziser gesagt: Symbolische Statusarbeit ist eine integrale Komponente jeder Statusarbeit, insofern diese auf Deutungen beruht und in Gestalt von Deutungskämpfen stattfindet. Denn was beispielsweise ein Bachelorabschluss in der Soziologie im Vergleich zu einem in der Kunstgeschichte oder in der Informatik als kulturelles Kapitel darstellt, welchen ‚Marktwert‘ bei Bewerbungen eine langjährige Berufserfahrung in einem Großunternehmen im Vergleich zu einer Karriere als Selbstständiger hat, oder wie kreditwürdig ein Immobilienbesitz im Vergleich zu einem Aktiendepot oder einem Beamtenstatus ist: All solche Einschätzungen bedienen sich immer auch kollektiv geteilter – gleichwohl oft umstrittener – Bewertungsmuster, in deren Produktion und Reproduktion die Ergebnisse symbolischer Statusarbeit eingehen.

Erfolg und Leistung Footnote 36

Befragt man geschilderte Szenen investiver Statusarbeit auf ihren ethischen Gehalt, fallen zunächst und zumeist Passagen ins Auge, in denen Personen implizit oder explizit die eigenen Praktiken bewerten. Beispielhaft etwa eine Szene, in der Frau Lange berichtet, wie sie nach einigen Jahren der Berufstätigkeit ein Studium absolviert hat:

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In dieser Passage drängt sich zunächst ein Stolz darauf auf, das Studium erfolgreich absolviert und im Anschluss eine Beschäftigung gefunden zu haben. Insofern würde sich an dieser Stelle also zunächst einmal ein Erfolgsethos dokumentieren, nach dem all das als gut bewertet und mit Stolz präsentiert wird, was zu gesellschaftlich anerkanntem Erfolg führt. Der Stolz, mit dem die erfolgreiche Statusarbeit präsentiert wird, scheint sich aber nicht darauf zu beschränken, dass Frau Lange das Studium erfolgreich abgeschlossen hat, sondern auch darauf, wie sie dies getan hat – nämlich unter großer Anstrengung und aus eigener Kraft. Frau Lange berichtet also nicht nur, wie sie die Statusposition erreicht hat, sondern bewertet dieses Vorgehen auch positiv und stellt es sozusagen als eigenes Statusmerkmal heraus.

Dass sich in so einer Art der Rationalisierung des eigenen beruflichen Verlaufs ein Leistungsethos dokumentiert, wird deutlich, wenn man diese Schilderung von Frau Lange mit Passagen kontrastiert, in denen andere Interviewpartner*innen einräumen, dass sie ihren Status nicht nur ihrer eigenen Leistung zu verdanken haben. So gibt etwa Herr Schulz freimütig zu, dass er seine berufliche Position auch „Zufälle[n]“ und „Glücksmomente[n]“ zu verdanken habe und dass

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In dieser Darstellung konstatiert Herr Schulz, dass der Planbarkeit des Lebens Grenzen gesetzt seien und dass „Glück“ damit eben nicht nur in der eigenen ‚leistenden Hand‘ liege. Es fällt auf, dass er sein „Glück“ jedoch nicht mit der gleichen Form von Stolz präsentiert wie Frau Lange ihre Leistung im Studium. So finden sich auch in seiner Darstellung Beschreibungen und Argumentationen, nach denen er als Hauptschullehrer erfolgreich sei, weil die Arbeit zu ihm passe, und in denen er betont, dass es aber auch „wirklich anstrengend“ sei und dass er im Unterricht: „wirklich auch nach den sechs Stunden äh nass raus geht, nass geschwitzt raus geht.“ (I08: 773–774) Auch die in Abschn.  5.2 betrachtete unbekümmerte Zuversicht, nach der sich die Dinge schon zum Guten wenden werden, wird hier also von aktiver Anstrengung gestützt – allerdings eben nicht von einem planend-strategischen Handeln, sondern eher im Sinne eines ‚Wenn man sich nur anstrengt, dann wird das schon‘. Obwohl also – wie ja schon in den Ausführungen zu den verschiedenen berufsbiographischen Entscheidungsmodi herausgearbeitet wurde – in einigen Fällen nur noch ein begrenzter Planungsanspruch artikuliert wird, finden sich schlichtweg keine Fälle, in denen die Interviewpartner*innen nicht versucht hätten, aktiv auf ihren Statusverlauf einzuwirken, oder in denen sie ihren eigenen Leistungen und Entscheidungen keinerlei Einfluss auf ihren berufsbiographischen Verlauf zumessen würden.

Festzuhalten ist allerdings, dass auch dann, wenn – wie im Fall von Herrn Schulz – Zufällen, ‚Glück‘ oder ‚Schicksal‘ eine Bedeutung für den eigenen Statusverlauf zuerkannt wird, die Legitimität der eigenen erreichten Statusposition dadurch nicht in Frage gestellt wird. Anders verhält es sich allerdings, wenn der eigene Status als zu gering erscheint: Dass mangelnde Gerechtigkeit mit Hinblick auf den Lohn für die eigene Leistung kritisiert wird, findet sich nur in der Form von Kritik daran, dass man ‚nicht bekommt was einem zusteht‘, und nie in der Form, dass man ‚mehr bekommt als einem zusteht‘. In Bezug auf die eigene Statusarbeit scheinen alle Interviewpartner*innen mit unterschiedlicher Intensität herauszustellen, wenn sie einen Statusaufstieg direkt mit der eigenen Leistung verknüpfen und begründen können. Können sie das nicht, führt das jedoch nicht dazu, dass sie zu dem Schluss kämen, ihre Position stünde ihnen nicht zu. Gerade investive Statusarbeiter*innen zeigen vielmehr beträchtliche Deutungsarbeit bei dem Versuch, Zweifel daran auszuräumen, ob ihre Position auf die eigene Leistung zurückzuführen sei. So etwa im Interview mit dem Werksleiter Herr Steinhauer:

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Bei der Bewertung der Legitimität der Statusposition anderer Personen verhält sich das anders. Während es bis hierher nur um die Bewertung der eigenen Statusarbeit geht, zeigen sich ethisch gehaltvolle Konzeptionen davon, was ‚gute‘ Statusarbeit sei, auch – und besonders – dort, wo sie explizit von anderen Formen der Statusarbeit abgegrenzt werden; wo also Statusstrategien, die gleichermaßen zum Erfolg führen, noch einmal in ‚gute‘ und ‚schlechte‘ Statusarbeit unterschieden und letztere abgewertet wird. Ein anschauliches Beispiel für solch eine Konstellation stellt eine Passage dar, in der Herr Steinhauer davon erzählt, wie er eine Auszeichnung für seinen Berufsabschluss erhalten hatte:

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Während Herr Steinhauer in der Eingangspassage seines Gespräches noch deutlich und mit explizitem Stolz herausstellt, dass er eine Karriere absolviert habe, sperrt er sich hier gegen eine allzu offene Statusdarstellung. Die Auszeichnung berührt – so schildert er es hier – nicht den ‚Kern‘ seines Statushorizonts. Er nutzt die Szene stattdessen, um einen Gegenhorizont ‚falscher Leistung‘ aufzubauen: Die „Ministerin“, die Teil des „großen Bahnhof[s]“, der „Präsentation“ und des „Mittelpunkts“ war, hat sich ihre Statusposition durch einen „Fake-Doktor“ erschlichen und nicht wie Herr Steinhauer hart erarbeitet. Auffällig ist, dass der positive Gegenhorizont – das, worauf Herr Steinhauer wirklich stolz ist – weitgehend unelaboriert bleibt: Er sei „stolz auf die Leistung“. In dieser Konzeption umfasst Leistung nicht nur ein Mittel, das zum Statusaufstieg führt, sondern stellt selbst eine Komponente des positiven Horizonts dar: Herr Steinhauer präsentiert sich als stolz auf seinen beruflichen Erfolg; und er ist stolz darauf, weil er diesen seiner eigenen Leistung zurechnet. Hier zeigt sich das im theoretischen Modell postulierte Leistungsethos in Reinform – gerade auch in Abgrenzung gegenüber dem, was Herr Steinhauer als Nicht-Leistung der Ministerin einstuft.

Ob man einen Status erreicht, und wie man ihn erreicht, sind also klar zwei Paar Schuhe. Ein anderes Beispiel dafür ist in der Passage zu erkennen, in der Frau Brilla die Kontinuität ihrer Einstellung zur Arbeit zu der Einstellung ihres Vaters betont:

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„[O]rdentlich zu arbeiten“ (5–6) stellt hier zunächst einmal losgelöst vom Ergebnis einen ‚Wert für sich‘ dar, und sich präsentieren zu können als ‚jemand, der ordentlich arbeiten kann‘, scheint ein Prestigeanspruch mit eigener Geltung zu sein.Footnote 37 In diesen Passagen wird ‚ordentliche Arbeit‘ also als eine Spezifizierung der Form des Statuserfolges dargestellt. In der folgenden Passage wird der ‚Eigenwert‘ dieser spezifizierenden Gestalt noch stärker betont, indem der Anspruch daran, etwas „vernünftig“ zu leisten, auch dann durchgesetzt wird, wenn er zur Gefährdung des sozioökonomischen Status führt. In der Passage berichtet Frau Schröder davon, wie ihr Mann einen Job gekündigt habe:

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Die Verletzung des Anspruchs, etwas „vernünftig“ zu leisten, dient hier der Legitimation eines Jobwechsels – unberührt von dessen Status- beziehungsweise Einkommensposition. Die tagtägliche Simulation von Arbeit mag sich faktisch als anstrengender erwiesen haben, als tatsächlich der vorgegaukelten Arbeit nachzugehen – auf jeden Fall wurde die Simulation nicht dem Anspruch gerecht, etwas „vernünftig“ zu leisten.Footnote 38 Auch hier finden wir also wieder einen deutlichen Hinweis darauf, dass Statusarbeit sich nicht nur am Statuserfolg bemisst. Die Statusarbeit kann ökonomisch erfolgreich und doch nicht ‚gut‘ sein.

Diese Unterscheidung von Erfolg und Leistung wird auch in der folgenden Passage deutlich, in der Frau Reuter davon berichtet, dass sie in ihrer Rolle als Lehrerin ihren „Schülern“ Maßstäbe zu vermitteln versucht, die Leistung nicht auf Erfolg reduzieren:

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Indem sich Frau Reuter hier mit der Frage auseinandersetzt, ob ihr ein*e Schüler*in, der/die trotz Anstrengung eine schlechte Note schreibt, lieber sei als ein*e Schüler*in, der/die eine schlechte Note schreibt, weil er/sie „faul“ war, wird die Diffusität des Leistungsbegriffes deutlich: Definiert sich Leistung, einem physikalischen Leistungsverständnis folgend, als aufgewendete Arbeit im Verhältnis zur benötigten Zeit? Was aber, wenn jemand mit weniger Arbeit ‚bessere Ergebnisse‘ erzielen kann – hat er oder sie dann mehr oder weniger geleistet?Footnote 39 Nähme man den ersten Teil von Frau Reuters Argumentation hier beim Wort, entspräche die Darstellung faktisch nicht mehr einem meritokratischen Ideal; denn wenn es „völlig egal“ ist, was das Testergebnis ist, sollte die Note konsequenterweise auch nicht nach tatsächlichem Ergebnis vergeben werden, sondern eben nach Anstrengung. Dem entgegen hält auch Frau Reuter daran fest, dass die Bewertung schließlich anhand des tatsächlichen Ergebnisses vergeben wird und nicht etwa anhand dessen, ob man sich angestrengt hat. Es geht ihr insofern eher um eine persönliche Einstellung zum eigenen Leistungsvermögen als darum, die Bewertung der Arbeit – beziehungsweise übertragen: die Vergabe von Statuspositionen in der Gesellschaft – nicht an Leistung zu messen.

Die Unschärfe, die hier anhand eines Beispiels aus dem Klassenzimmer aufgeworfen wird, erweist sich dafür, wie die ethische Bewertung von Statusarbeit vorgenommen wird, als aufschlussreich. Unsere Befragten betonen zwar einerseits, dass es für die Bewertung von Statusarbeit nicht nur auf deren Erfolg, sondern auch darauf ankommt, wie dieser zustande gekommen ist. Andererseits sind sie sich im Klaren darüber, dass ‚gute‘, aber erfolglose Statusarbeit auf Dauer ‚brotlose Kunst‘ ist. Forderte man die Befragten dazu auf, zu entscheiden, ob sie lieber erfolglose ‚gute‘ Statusarbeit oder erfolgreiche Statusarbeit betreiben würden, träte das Bewertungsdilemma, das hier vorliegt, sicherlich noch schärfer hervor. Schon wenn Herr Steinhauer in der Eingangspassage seines Interviews davon spricht, er sei mit jedem Berufswechsel aufgestiegen, oder wenn Frau Brilla berichtet, sie habe ihr Geld strategisch angelegt, beziehen sie sich auf eine sehr bestimmte Form von Leistung, in der es nicht nur darum geht, ‚ordentlich zu arbeiten‘, sondern erst einmal viel mehr darum, die vorhandenen Ressourcen und Möglichkeiten geschickt – und das bemisst sich am Erfolg – eingesetzt zu haben.Footnote 40 Der Unterschied, der damit angesprochen ist, ist jener, der in der Ratgeberliteratur zwischen „Hard Work“ und „Smart Work“ gezogen wird (u. a. Crowley 2016). Im Fall des investiven Statusarbeiters Herr Steinhauer scheinen beide Formen unproblematisch vereinbar. Er betont gleichermaßen, dass er im Gegensatz zu der „Ministerin“ seinen Status durch Leistung verdient habe und dass er bei der Auswahl seines Ausbildungsweges und bei seinen Jobwechseln strategisch vorgegangen sei – sich also Wege des Statusstrebens gesucht habe, auf denen er sich Vorteile ausgerechnet hat. Anders gesagt: Man versucht schon, sich solchen Bewährungsproben der eigenen Leistungsbereitschaft zu stellen, die einem ‚liegen‘, weil sie den eigenen ‚Stärken‘ – wie man sie wahrnimmt – entsprechen. Man stellt sich also wohlweislich nicht jeder Art von Leistungsprüfung – wie eine Hundertmeterläuferin ja auch nicht auf die Idee käme, an einem Marathon-Wettkampf teilzunehmen.

Selbst- und Fremdbewertung

Generell scheint zu gelten: Wenn Interviewte ihren Statuserfolg in eine leistungsbezogene Erzählung einbetten können, tun sie das auch. Können sie das nicht, weil sie beispielsweise nicht umhinkönnen, zugeben zu müssen, dass sie ‚einfach nur Glück‘ gehabt haben, bleibt die Legitimität ihres Status davon unberührt. Die leistungsbezogene Spezifizierung von Statuserfolg stellt also in der Selbstbewertung offenbar ein nicht unbedingt nötiges Beiwerk dar. Zugespitzt: Auch ‚Glück‘ zu haben hat man verdient.

Anders verhält es sich in der Bewertung anderer Personen und Gruppen. Hier erscheint die Frage, ob diese ihren Status durch eigene Leistung erworben haben oder einfach nur erfolgreich sind, sehr viel virulenter. Insofern wird deutlich, dass ein striktes Leistungsethos gerade dort Wirkung entfaltet, wo es als Grundlage der Bewertung von anderen gesellschaftlichen Gruppen dient. Leistung als Bewertungsmaßstab anzulegen, um die Legitimität einer Statusposition zu prüfen, kann prinzipiell zu zweierlei Arten von Ergebnissen führen: dass jemand ‚mehr hat, als ihm oder ihr zusteht‘ oder dass jemand ‚nicht das bekommt, was ihm oder ihr zusteht‘. Ersteres ist eine Kritik an dem Betreffenden, Letzteres eine Kritik an anderen oder den Umständen, die ihm sein ‚Recht‘ verwehren.

Ein Beispiel für Letzteres findet sich in dem Interview mit Herrn Berger:

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Dass die Arbeit der Schwiegermutter „anstrengend und schwierig“ sei, zieht Herr Berger als Begründung dafür heran, dass sie nicht den Status habe, der ihr zustehe. Umgekehrt nutzt Herr Huber das Leistungsethos, um die Legitimität des Statuserfolges seiner Schwester anzuzweifeln:

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Ganz ähnlich wie im letzten Unterkapitel der Bruder von Frau Schröder dient auch hier die Schwester als negativer Gegenhorizont. Herr Huber konzipiert seine Schwester als Vertreterin jener „Studenten“ (17), die er auch aus seinem handwerklichen Arbeitsleben kennt. Ihre Lebensführung dient ihm insofern als Abgrenzungsfolie, als dass sie – da sie „aus gutem Hause“ (19) kommen beziehungsweise „Papa bezahlt“ (8–9) – nicht von ihrer eigenen Arbeit leben müssen und „nie was gearbeitet“ haben. Dabei erkennt Herr Huber umstandslos an, dass auch die Schwester nun als „Oberstudienrätin“ (12) in einer Position angekommen ist, in der es „[nicht] höher geht“ (13), beziehungsweise sich die „Studenten“ im Anschluss an ihre Ausschweifungen „einen Anzug an[ziehen] und dann ist alles gut“ (23). Die Abgrenzung bezieht sich hier also nicht darauf, dass seine Schwester und andere Student*innen nicht das gleiche anstrebten wie er, sondern dass ihr Erfolg eben nicht auf eigener Leistung beruhe. In dieser Passage drängt sich, wie schon in der Passage, in der Frau Schröder über ihren Bruder spricht, die Annahme auf, dass das Insistieren auf ‚echter Leistung‘ und ‚ordentlicher Arbeit‘ eine Bewältigungsstrategie für die Erfahrung darstellt, dass andere mit vermeintlich geringerer Anstrengung als man selbst den gleichen oder einen höheren Status erreicht haben.

So wie Herr Huber in der Bewertung seiner Schwester auf eine ganze Bevölkerungsgruppe ausgreift, finden sich gerade in den Interviews mit investiven Statusarbeiter*innen weitere Beispiele dafür, dass Leistung als Bewertungsmaßstab der Legitimität der gesellschaftlichen Position Anderer angelegt wird. Ein Beispiel dafür stellt eine Passage dar, in der Herr Steinhauer darüber spricht, dass er sich selbst über seine Leistung ‚nach oben‘ gearbeitet habe und dass er glaube, diese Möglichkeit stehe allen offen:

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Herr Steinhauer führt aus, dass „sich [zu] disziplinieren“ (2) und sich „durch[zu]beißen“ (3) seiner Ansicht nach die zentralen Fähigkeiten sind, die es braucht, um „in diesem Land tatsächlich (.) was z/was zu machen, auch wenn man mit nichts anfängt“ (4–5). Die Möglichkeit, trotz eigener Leistung keine Statusverbesserung zu erreichen, kommt in dieser Argumentation nicht vor. Folgerichtig – weil sich Leistung immer lohnt – spricht Herr Steinhauer sich auch gegen die soziale Absicherung von Personen aus, die aus seiner Sicht Leistung zeigen könnten, es aber nicht tun:

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Leistung als Grundlage der Bewertung anderer Lebensführungen anzulegen, führt in diesem Fall zur Legitimierung von Ungleichheit und zu einer Abwertung gesellschaftlicher Gruppen, deren mangelnder Statuserfolg auf mangelnde Leistungsbereitschaft zurückgeführt wird. Begrenzt wird dieser Maßstab allenfalls dadurch, dass zugestanden wird, dass manche „unverschuldet“ nicht leisten können. Dann gehören sie zu den ‚deserving‘ und nicht zu den ‚undeserving poor‘.

Ein solches Bewertungsschema kann auch dazu führen, dass ein hoher gesellschaftlicher Status umstandslos mit hoher Leistung gleichgesetzt, also auf diese zurückgeführt wird. So argumentiert etwa Herr Martin, warum er der Meinung sei, dass jede*r bekommt, was ihr oder ihm zusteht:

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In dieser Argumentation stellt Leistung den zentralen Motor einer gerechten Gesellschaft dar: ‚Wer viel hat, der leistet viel und wer viel leistet, der hat viel‘ beziehungsweise ‚Wer nicht leistet, soll auch wenig haben, und wer wenig hat, leistet nicht genug‘. Aufschlussreich ist freilich, dass Herr Martin zuvor erzählt hat, dass er selbst lange in ökonomischer Unsicherheit gelebt hat und von Freunden, seiner Partnerin und seinen Eltern finanziell und beratend unterstützt wird. Dass sein eigener beruflicher Verlauf also nicht nur auf individuelle Leistung zurückführbar ist, hält ihn nicht davon an, Leistung als alleinigen Maßstab der Legitimität von gesellschaftlichem Status anzulegen.

Hier wird noch einmal sehr deutlich, dass das Leistungsethos als Kern der symbolischen Statusarbeit von Mittelschichtenangehörigen eher in der Bewertung anderer herangezogen wird, als dass es Triebkraft des eigenen Statusstrebens wäre. Die Statusposition anderer Personen erscheint dann als legitim, wenn sie als Ergebnis von deren Leistung verstanden wird. Was dabei in welchem Maße als Leistung gilt, kann stark auseinandergehen: Ist akademisches Arbeiten eine Leistung, oder fehlt die körperliche Verausgabung? Ist die Verwaltung von Vermögen eine Leistung? Ist es eine Leistung, trotz eines niedrigen Schulabschlusses eine auskömmliche berufliche Position einzunehmen? Ist es eine Leistung, für weitreichende betriebliche Entscheidungen verantwortlich zu sein? Die Verteidigung der Legitimität des eigenen Statuserfolges besteht in der gesellschaftlichen Auseinandersetzung dann darin, Deutungsmacht darüber zu erlangen, was als ‚Leistung‘ verstanden werden soll. Das Engagement in dieser Auseinandersetzung ist symbolische Statusarbeit als im theoretischen Modell fehlende Arena der Praxis investiver Statusarbeit. Bei symbolischer Statusarbeit geht es nicht um ‚Erfolg‘ innerhalb einer etablierten Statushierarchie, sondern um die Deutung – Bekräftigung oder Kritik – der bestehenden Statushierarchien selbst.

Gemeinsam ist all den verschiedenen Lesarten von Leistung das individualisierte Leistungsverständnis: Als Leistung einer Person wird präsentiert und zugerechnet, was diese selbst getan und bewirkt hat. Paradigmatisch dafür steht eine Argumentation von Frau Brilla: „Äh wenn, wenn du irgendwie deine Situation verändern willst, dann musst du das auch selber irgendwie in die Hand nehmen, ne?“ (I29: 418–420). Für Frau Brilla steht diese Aussage nicht im Konflikt damit, an anderer Stelle festzuhalten, sie habe

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Auch hier wird noch einmal deutlich, dass Akteure dazu neigen, in der Bewertung des eigenen Status einen sehr weiten Leistungsbegriff anzulegen: Auch jene Wirkgrößen, die mit für ihre Statuserfolge ursächlich sind, aber nicht eigener Leistung zugeschlagen werden können, werden letztlich auf eigene Leistungsbereitschaft bezogen. Hätte man diese nicht an den Tag gelegt, hätten jene Größen nicht so wirken können, wie sie nun tatsächlich – weil man sich leistungsbereit gezeigt hat – gewirkt haben.

5.5 Implizite und explizite Praktiken der Statusarbeit

Kap. 4 hat gezeigt, dass nur ein Teil der Befragten sich investive Statusarbeit als biographisches Orientierungsmuster zu eigen macht. Die im theoretischen Modell formulierte These einer durchgängigen Orientierung der Mittelschichten am Lebensführungsmodus der investiven Statusarbeit muss revidiert werden. Dieses Kapitel zeigt demgegenüber, dass das Leben aller von uns Befragten von Praktiken der investiven Statusarbeit durchzogen ist, die auch in den theoretisch vermuteten Investitionsarenen stattfinden. Auch hier gibt es jedoch Revisionen des theoretischen Modells. Sowohl der Planungsimperativ als auch das Leistungsethos als theoretisch postulierte kulturelle Rahmungen lassen sich empirisch vorfinden, allerdings in einer Bandbreite von Lesarten, die wir erst im Nachhinein theoretisch systematisieren können. Ebenso wird erst empirisch entdeckt, in welchen Hinsichten die theoretisch als schrankenlos konzipierte investive Statusarbeit durch sachliche, zeitliche und soziale Begrenzungen ‚in ihre Schranken verwiesen‘ wird.

Die Betrachtung der Praktiken investiver Statusarbeit in diesem Kapitel hat wiederholt auf zwei miteinander verwobene Beobachtungen hingewiesen. Die eine besteht darin, dass die Art der praktizierten Statusarbeit stark davon bestimmt wird, ob ein selbstverständlich vorausgesetzter Lebensstandard als gesichert oder aber gefährdet erscheint. Ist Letzteres der Fall, rückt der ‚Gebrauchswert‘ der Erwerbstätigkeit in den Hintergrund, und Planungsanspruch sowie der ‚Tauschwert‘ der Praxis treten in den Vordergrund. Sowohl ‚das, was man bereit ist zu tun‘, als auch wie man sein Leben als Statusarbeit präsentiert, variieren damit nicht nur – wie in Kap. 4 gezeigt – mit dem Modus der Lebensführung, sondern auch in Abhängigkeit von der wahrgenommenen Gefährdung des eigenen Lebensstandards. Angesichts dessen stellt sich als zentrale Folgefrage für weitere Untersuchungen, ob und wie implizite Vorstellungen eines angemessenen Status von Verortungen in und Vergleichen zwischen historischen Generationen geprägt sind. Solchen Fragen geht Holubek-Schaum (2020) in einer gesonderten Auswertung und mit Fokus auf die Berufseinmündung der Mitte der 1970er bis Mitte der 1980er Jahre Geborenen nach. Für diese Kohorte wird deutlich, dass die Herausbildung ihrer Lebensführung von einer Dynamik der Enttäuschung impliziter Erwartungen geformt wird: Als fraglos gegeben erscheinende Möglichkeiten der Statusreproduktion erweisen sich in der Faktizität der Lebensführung dieser Kohorte der heute etwa 35- bis 45jährigen als unsicher. Entsprechend finden sich teils ausgeprägte Phasen biographischer Orientierungssuche, teils auch hektische Bemühungen, ‚schneller als die anderen‘ zu sein, um die wenigen sich bietenden Chancen nutzen zu können; und die undurchschaubarer gewordenen Bedingungen des Erwerbseinstiegs werden so als verschärfte Spannung zwischen Ansprüchen auf berufliche Selbstentfaltung auf der einen, einem gesteigerten Bedürfnis nach Sicherheit auf der anderen Seite erfahren und oftmals durchlitten. Interessant wäre zum einen, sich andere Kohorten im Vergleich anzuschauen, wofür aber erst weitere Untersuchungen die Datengrundlage schaffen könnten. Zum anderen könnte man mit einer Wiederbefragung der Fälle dieser Kohorte in zwanzig Jahren der Frage nachgehen, ob sich als Effekt des Lebensalters, also der weitergehenden beruflichen Laufbahn, und als Effekt der weiter voranschreitenden gesellschaftlichen Dynamiken – als Kontext der Lebensführung – die Statusansprüche weiter verändern oder sich ein ‚Trägheitsmoment‘ herausbildet.

Die zweite Beobachtung ist, dass Praktiken investiver Statusarbeit nicht als durchgängig expliziter, kommunikativ artikulierbarer Wissensbestand verstanden werden dürfen. Zwar gibt es zahlreiche Praktiken, auf die sich unsere Interviewpartner*innen selbstverständlich beziehen und die sie teils stolz präsentieren, wenn sie darlegen wollen, wie sie es ‚nach oben‘ geschafft oder zumindest, wie sie sich aus unsicheren und schweren Lebenssituationen wieder eine Statussicherheit erarbeitet haben. Hier sind insbesondere Bildungsaktivitäten, die erwerbsbezogene Praxis und geglückte Finanzinvestitionen zu nennen. Die Betrachtung der drei Typen biographischer Orientierung in Kap. 4 hat aber schon deutlich gezeigt, dass selbst diese Praktiken auf impliziten handlungsleitenden Orientierungen und Wissensbeständen beruhen, die sich erst in der eingehenderen Analyse zeigen. Neben diesem ‚offiziellen Repertoire‘ investiver Statusarbeit finden sich aber auch Praktiken, die von den Befragten weniger direkt mit ihrem erreichten Status in Verbindung gebracht werden. Hier ist zunächst an vielfältige Unterstützungen durch Freund*innen, Bekannte, Geschwister und Eltern zu denken. Diese Unterstützungsleistungen werden durchaus als hilfreich erwähnt; doch es soll kein Zweifel daran aufkommen, dass man sich zwar in schwierigen Zeiten habe helfen lassen, sich seinen Status letztlich aber doch selbst erarbeitet habe.Footnote 41 Schließlich zeigt sich in den Interviews auch noch, dass es Praktiken der Statusarbeit gibt, die man nicht nur nicht als solche betrachtet, sondern die als ‚gesellschaftsstrukturelle Vorleistungen‘ gar nicht im Horizont der eigenen Wahrnehmung auftauchen, sich aber der soziologischen Beobachtung klar als latente Funktionalitäten erweisen. Das gilt für solche Praktiken, die in den Interviews schlicht nicht mit Status in Verbindung gebracht werden. Beispiele für diese ‚Infrastruktur der Statusarbeit‘ sind etwa die inner- und außerpartnerschaftliche Externalisierung von Haus- und Sorgearbeiten, der Rekurs auf wohlfahrtsstaatliche Leistungen, die in den Interviews fast gar nicht zur Sprache kommen, oder Praktiken symbolischer Statusarbeit, die einen relativen eigenen Statusgewinn durch die Abwertung der Statuserfolge Anderer erreichen. Investive Statusarbeit beruht, anders gesagt, in nicht geringem Maße auf uneingestandenen Vorleistungen anderer Personen oder Institutionen.