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1 Einleitung

Weltweit bestehen in ländlichen Gebieten soziale, wirtschaftliche und ökologische Herausforderungen. Um die Armut zu bekämpfen und nachhaltige Entwicklung zu fördern, bedarf es neuer Ansätze (De Janvry und Sadoulet 2007). Diese haben sich in den letzten Jahrzehnten von vorwiegend sektoralen „Top-down“-Maßnahmen hin zu partizipativen und integrativen, sogenannten „neo-endogenen“ Maßnahmen verlagert. Letztere können sowohl von der regionalen Bevölkerung wie auch von staatlichen Stellen, überregionalen Nichtregierungsorganisationen oder Unternehmen angestoßen werden (Dąbrowski 2014; Obrovsky 2018). Wesentlich dabei ist, dass die entsprechenden Fördermaßnahmen nicht nur wirtschaftliche, sondern auch soziale, kulturelle und territoriale Dimensionen berücksichtigen (De Janvry und Sadoulet 2007; Pretty 2003; Svendsen und Sørensen 2007). Sozialökologische Fragen ländlicher Gebiete haben stetig an Bedeutung gewonnen (Köhler und Wissen 2010), und die „Landwirtschaft für Entwicklung“ ist – insbesondere mit Blick auf die Länder des Globalen Südens – auf die internationale Agenda zurückgekehrt (Meyer 2010).

Baumwolle ist das Rohmaterial für etwa ein Drittel der weltweiten Textilproduktion (Engelhardt 2012) und wird auf internationalen Märkten gehandelt (Shui 2006). Rund drei Viertel der weltweiten Baumwollproduktion von jährlich rund 26 Mio. t liefern Bäuerinnen und Bauern des Globalen Südens (Baffes 2002; EJF 2007; Eyhorn et al. 2005). Sie bewirtschaften meist kleine Flächen und sind oft mit schwierigen wirtschaftlichen, ökologischen und sozialen Bedingungen konfrontiert. Häufig führen niedrige oder stark schwankende Baumwollpreise und unklare Zahlungstermine zu existentieller Unsicherheit (Eyhorn et al. 2005). Der großflächige Einsatz von synthetischen Pflanzenschutz- und Düngemitteln verursacht hohe Inputkosten, Umweltschäden und Gesundheitsprobleme (Bachmann 2012). Neben diesen unmittelbar mit dem Baumwollanbau zusammenhängenden Problemen sind die Bäuerinnen und Bauern generell mit der Tatsache konfrontiert, dass sie innerhalb der Gesellschaft vielfach eine Randgruppe bilden, die nur begrenzt am wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen und politischen Leben teilnehmen kann. Dies gilt für indigeneFootnote 1 Bäuerinnen und Bauern in noch stärkerem Maße. Sie sind doppelt marginalisiert, weil sie zusätzlich von Ausgrenzung und Benachteiligung durch die jeweilige Mehrheitsgesellschaft betroffen sind. Zudem leiden sie am stärksten unter Armut und haben nur schlechten Zugang zu Gesundheitsversorgung, Bildung, Krediten oder staatlicher Unterstützung (Kraas 2002).

Im Zusammenhang mit der nachhaltigen Entwicklung und der Verbesserung der sozialen Gerechtigkeit (z. B. zwischen Frauen und Männern oder zwischen verschiedenen ethnischen Gruppen) wird dem biologischen Landbau erhebliches Potenzial zugeschrieben (Altieri et al. 2015; Lyons und Burch 2008; Scialabba 2007; Willer und Lernoud 2019). So versuchen Bäuerinnen und Bauern in den Tropen und Subtropen ökonomischen, sozialen und ökologischen Problemen durch den Anbau von Biobaumwolle zu begegnen. Private, staatliche oder zivilgesellschaftliche Initiativen engagieren sich für den Anbau von Biobaumwolle mit unterschiedlichen Zielsetzungen (z. B. Erhalt lokaler Baumwollvarietäten, Verbesserung der bäuerlichen Lebensverhältnisse oder Umweltschutz) (Bachmann 2012). Im Produktionsjahr 2019/20 bauten rund 230.000 nach Biorichtlinien zertifizierte Bäuerinnen und Bauern auf etwa 590.000 ha rund 250.000 t Biobaumwolle an. Das entspricht 0,95 % der weltweiten Baumwollproduktion (Textile Exchange 2021). Für die Bäuerinnen und Bauern verspricht der Anbau von Biobaumwolle geringere Risiken, mehr Einkommen und eine verbesserte Lebenssituation.

Dieser Beitrag stellt drei Fallbeispiele von Initiativen zur Förderung des Anbaus von zertifizierter Biobaumwolle in unterschiedlichen Weltregionen und kulturellen Kontexten vor und geht der Frage nach, wie sich das Gemeinschaftskapital der beteiligten Bäuerinnen und Bauern durch diese Initiativen verändert.

2 Theoretisches und analytisches Konzept

Der Paradigmenwechsel in der ländlichen Entwicklung erfordert auch die Weiterentwicklung von theoretischen und analytischen Konzepten bezüglich der Wirkungen entwicklungspolitischer Maßnahmen. Ökonomische Theorien, die Erfolg in einer gesteigerten regionalen Wirtschaftsleistung sehen, werden zunehmend durch mehrdimensionale Konzepte ersetzt, die soziale, kulturelle und ökologische Faktoren einbeziehen. Zwei prominente Beispiele sind der Sustainable Livelihood Approach (SLI) und das Community Capitals Framework (CCF) (Gutiérrez-Montes et al. 2009). Beide gehen von der Annahme aus, dass jede Gemeinschaft (verstanden als eine Gruppe von Menschen, die eine räumliche Einheit, Interessensgemeinschaft oder Berufsgruppe bildet) mit Ressourcen ausgestattet ist (Gutiérrez-Montes et al. 2009), die als verschiedene Formen von KapitalFootnote 2 verstanden werden können.

Das CCF ermöglicht es, Auswirkungen von Maßnahmen, Programmen und Initiativen der nachhaltigen Entwicklung auf ländliche Gemeinschaften zu analysieren (Emery und Flora 2006). Im CCF werden sieben Kapitalformen unterschieden (Abb. 1): Human-, Kultur-, Sozial-, Politik-, Natur-, Finanz- und Baukapital. In Wechselwirkung miteinander bestimmen diese das Ausmaß eines intakten Ökosystems, einer lebendigen regionalen Wirtschaft und des menschlichen Wohlergehens, von dem eine Gemeinschaft profitieren kann  (Adger 2010; Aigner et al. 2001; Costanza et al. 1998; Emery und Flora 2006; Emery et al. 2006; Fey et al. 2006; Gutiérrez-Montes 2005). Nach Megyesi et al. (2011) ist Sozialkapital der Schlüssel zur Mobilisierung anderer Kapitalarten. Woolcock und Narayan (2000) sehen im Sozialkapital, in Form von sozialen Netzwerken, eine primäre Ressource für den Umgang mit Risiken und Vulnerabilität.

Abb. 1
figure 1

Die Kapitalformen im Community Capitals Framework. Nach Emery und Flora (2006)

3 Material und Methode

Das Forschungsdesign zielt darauf ab, Initiativen zur Förderung des zertifizierten Biobaumwollbaus in solchen Regionen zu analysieren, die sich in ihren agrarökologischen Grundlagen, Anbausystemen sowie kulturellen und sozialen Traditionen unterscheiden. Nach umfangreichen Recherchen und informativen Gesprächen stimmten die Verantwortlichen von drei Initiativen einer Untersuchung zu: i) bioRe® in Simiyu, Tansania (2013), ii) Chetna Organic in Odisha Indien (2014) und iii) Bergman/Rivera in San Martín, Peru (2015) (Abb. 2).

Abb. 2
figure 2

Untersuchungsregionen. Nach Textile Exchange (2021), stark verändert

Die empirische Arbeit basiert auf einem ganzheitlichen qualitativen Ansatz, der umfassende Einblicke in die Lebenssituation der Menschen, in diesem Fall von Bäuerinnen und Bauern, sowie in ihre Beziehungen zu den Initiativen liefert (Dudley 2005) und es erlaubt, Dynamiken des Gemeinschaftskapitals zu erfassen (Brondizio et al. 2009). Die Datenerhebung erfolgte durch einen Methodenmix aus i) Dokumentenanalyse, ii) informellen und semi-strukturierten Expertengesprächen in den Initiativen, iii) semi-strukturierten Interviews mit Bäuerinnen und Bauern der Initiativen (mit Hilfe von Übersetzern) sowie iv) teilnehmender Beobachtung. Das multiperspektivische Datenmaterial wurde mittels qualitativer Inhaltsanalyse zu den drei Fallbeispielen verdichtet, die im Folgenden präsentiert werden.

4 Fallbeispiel I: bioRe® Tansania

Untersuchungsregion. Die Initiative bioRe® Tansania (www.biore.ch) engagiert sich für zertifizierten Biobaumwollanbau und arbeitet in der Region Simiyu im Bezirk Meatu. Die sanft hügelige Landschaft war ursprünglich bewaldet. In den 1920er- und 1930er-Jahren erfolgten großräumige Rodungen, um pathogene Organismen wie die Tsetsefliege zu vernichten sowie den Bedarf an Brennholz, Ackerland und Viehweiden zu decken. Die durchschnittliche Jahresniederschlagsmenge von 600 bis 900 mm verteilt sich auf zwei Regenzeiten und unterliegt kleinräumigen Schwankungen (Dery et al. 1999).

Landwirtschaft. Der Bezirk Meatu liegt in der Western Cotton Growing Area (WCGA), dem wichtigsten Baumwollanbaugebiet Tansanias, das mehr als 90 % der nationalen Produktion liefert. In Meatu leben etwa 84 % der Haushalte von der Landwirtschaft. Sie besitzen üblicherweise kleine Anbauflächen von 0,5 bis 10,0 ha (Baffes 2002), auf denen sie hauptsächlich Mais und Sorghum zur Selbstversorgung sowie Baumwolle als wichtigste Marktfrucht anbauen (MDC 2016).

Kultur. In Tansania leben etwa 120 indigene Volksstämme, wovon der Sukuma-Stamm der größte ist und auch im Bezirk Meatu lebt. Die Sukuma sind sesshafte Agropastoralisten, für die Viehzucht eine zentrale Rolle spielt. In der Regel besitzt ein (männliches, älteres) Familienmitglied Land, das es teilweise der erweiterten Familie (z. B. Brüdern, Onkeln und Neffen) zur Bewirtschaftung überlässt. Polygamie ist unter den Sukuma weit verbreitet. Die Anzahl der Ehefrauen ist ein Indikator für den sozialen Status eines Mannes, weil er der Familie der Braut eine große Summe an Hochzeitsgeld bezahlen muss. Meist leben die Ehefrauen mit ihren Kindern dezentral auf dem Grundbesitz des Mannes, der zwischen den Wohnsitzen wechselt und für alle seine Teilfamilien das Familienoberhaupt darstellt.

Biobaumwollinitiative. Die bioRe®-Stiftung, mit Sitz in der Schweiz, unterhält eine Reihe von Entwicklungsprojekten in Ländern des Globalen Südens, z. B. in den Bereichen Bildung, Sanitäranlagen, Abwasserentsorgung, Gesundheit und eben auch im biologischen Landbau. Die Initiative zur Förderung des zertifizierten Biobaumwollbaus im Bezirk Meatu startete im Jahr 1994. Bevor die Bäuerinnen und Bauern mit der Initiative zusammengearbeiteten hatten, kamen beim Baumwollanbau Pestizide zum Einsatz, sofern diese leistbar und zugänglich waren. Im Jahr der Untersuchung (2013) kultivierten bereits rund 1.600 Bäuerinnen und Bauern in 15 Dörfern zertifizierte Biobaumwolle für bioRe® und verzichteten auf Pestizide. Die Baumwollernte wird direkt an die Initiative geliefert, bioRe® garantiert in Fünfjahresverträgen einen festen Biopreisaufschlag (15 % über dem lokalen Durchschnittspreis). Möglich ist dies, weil bioRe® einen vertraglich gebundenen Abnehmer für die Biobaumwolle hat, den Schweizer Textilhersteller Remei AG. Die an der Initiative beteiligten Bäuerinnen und Bauern sind in Gruppen von 25 bis 40 Mitgliedern organisiert, für die bioRe® regelmäßig Schulungen und Beratungen zum Thema biologischer Landbau anbietet. Darüber hinaus investiert bioRe® in kommunale Einrichtungen wie Brunnen und landwirtschaftliche Geräte, legt Gärten in Schulen an, fördert den Anbau von Baumsetzlingen und führt schadstoffarme Öfen ein. Weiters versucht die Initiative bäuerliche Gruppen mit verschiedenen Institutionen (z. B. Kreditinstituten) zu vernetzen. Zusätzlich zu den Standards des zertifizierten Biolandbaus werden Bäuerinnen und Bauern in bioRe®-internen Sozial- und Umweltstandards geschult, die unabhängige Auditoren jährlich überprüfen. Speziell für Frauen bietet bioRe® Schulungen zur außerlandwirtschaftlichen Einkommensgenerierung an (z. B. Schneiderei oder bäuerliche Direktvermarktung). Durch die enge Zusammenarbeit besteht eine gewisse Abhängigkeit der Bäuerinnen und Bauern von der Initiative.

Veränderung des bäuerlichen Gemeinschaftskapitals durch die Initiative. bioRe® unterstützt die Entwicklungszusammenarbeit. Ihre Ziele umfassen eine intakte Umwelt, eine gerechte Gesellschaft, biologischen Landbau und Bildung für sowie Selbstermächtigung von Bauern und Bäuerinnen. Fünfjahresverträge und ein fixer Preiszuschlag geben mittelfristig Planungssicherheit und ermöglichen Reinvestitionen in die Landwirtschaft. Die Umstellung von konventionellem auf biologischen Baumwollanbau erhöhte die Erlöse und reduzierte die Ausgaben für Agroinputs. Die Gründung von Sparvereinen, die Vernetzung mit Finanzinstitutionen und der Aufbau von Geschäftskontakten für die lokale Vermarktung von anderen agrarischen Produkten als Baumwolle führten zur Erhöhung des Finanzkapitals der Bäuerinnen und Bauern.

Das Schulungs- und Beratungsangebot von bioRe® erhöhte nicht nur das Vertrauen der Bäuerinnen und Bauern in die Initiative und in die Zukunft, sondern auch ihr ökologisches Bewusstsein, was als Steigerung des Kulturkapitals der bäuerlichen Gemeinschaft interpretiert werden kann. Das erworbene Wissen und die neu erlernten Fähigkeiten stärkten ihr Humankapital, die intensive Zusammenarbeit und der regelmäßige Wissensaustausch in den Gruppen das Sozialkapital. Durch die Übernahme von Führungsaufgaben in den von bioRe® gegründeten bäuerlichen Gruppen kam es zum Aufbau von Politikkapital. Interessant ist auch, dass die Bäuerinnen und Bauern der Initiative als Vorbilder und Wissensvermittler für Nichtmitglieder wirken und diese unterstützen.

Der Anbau von Biobaumwolle wirkte sich positiv auf die Umwelt aus (mehr Bodenfruchtbarkeit und weniger Bodenerosion), was wiederum das Naturkapital erhöhte. Auch das Auspflanzen von Baumsetzlingen und eine verringerte Nachfrage nach Brennholz zeigten Wirkung. Durch Investitionen in kommunale Einrichtungen und die Verwendung von Finanzüberschüssen zur Verbesserung der Wohnsituation (solidere Bauweise, emissionsfreie Öfen) und Mobilität (Leistbarkeit von Motorrädern) der Bäuerinnen und Bauern konnte bioRe® das Baukapital erhöhen.

5 Fallbeispiel II: Chetna Organic, Indien

Untersuchungsregion. Die Initiative Chetna Organic (www.chetnaorganic.org.in) arbeitet in den Bezirken Kalahandi, Balangir und Rayagada im indischen Bundesstaat Odisha. In Odisha wird Baumwolle angebaut, es gibt aber auch ausgedehnte Regenwälder (ein Drittel der Fläche), für deren Erhaltung sich Regierung und Gemeindeinitiativen einsetzen (CES 2011). Die durchschnittliche Jahresniederschlagsmenge schwankt zwischen 1200 mm und 1500 mm (Upadhyay 2013). Die untersuchten Bezirke sind sehr anfällig für Dürren.

Landwirtschaft. In Odisha betreiben circa 70 % der Bevölkerung Landwirtschaft, wobei 80 % der bäuerlichen Haushalte zwischen 1 und 2 ha Land besitzen (Upadhyay 2013). Rund 85.000 bäuerliche Haushalte kultivieren auf etwa 124.000 ha BaumwolleFootnote 3 (DAFP 2013).

Kultur. Wie in ganz Indien ist auch in Odisha das Kastensystem noch immer vorherrschend. Dies führt zur systematischen Diskriminierung von Menschen aus niederen Kasten, und hier insbesondere von Frauen (Altenbuchner et al. 2017). Zu den unteren Kasten zählen die Scheduled Tribes (ST) und die Scheduled Castes (SC). In Odisha gehören 17 % der Bevölkerung den SC an, die gemeinhin als Dalits bezeichnet werden (Government of Odisha 2011). Etwa 23 % gehören zu den ST, die Mitglieder verschiedener indigener Stämme zusammenfassen. Sie werden gemeinhin Adivasi genannt. Jede Adivasi-Stammesgemeinschaft hat besondere Merkmale und eine eigene Kultur (Mishra und Padhan 2011; die meisten sind subsistenzorientiert. In Odisha ist ein Großteil der ländlichen Bevölkerung, insbesondere die Dalits und Adivasi, von Ernährungsunsicherheit und wirtschaftlicher Benachteiligung betroffen (SADP 2014). Verschiedene staatliche Programme versuchen diesen Problemen entgegenzuwirken.

Biobaumwollinitiative. Chetna Organic arbeitet in Odisha in 128 Dörfern mit rund 7200 Bäuerinnen und Bauern. Diese gehören Großteils den diskriminierten Bevölkerungsgruppen an, weshalb die Initiative organisatorische und finanzielle Unterstützung von der indischen und der regionalen Regierung erhält. Chetna Organic fördert die Selbstorganisation sowie das gegenseitige Lernen der Bäuerinnen und Bauern und motiviert sie, sich in Gruppen von 10 bis 19 Personen zu organisieren. Das umfassende Beratungsangebot schließt auch Feldbesuche ein. Einzelne Gruppenmitglieder werden geschult und geben das erworbene Wissen an andere Mitglieder weiter. Die Initiative unterstützt die Gruppen auch bei der Gründung von bäuerlichen Kooperativen und Genossenschaften, die ihre zertifizierte Biobaumwolle selbstständig vermarkten. Durch die gemeinschaftliche Vermarktung erzielen sie je nach Marktlage variierende Preisaufschläge (meist ca. 5 %). Eine Abnahmegarantie für die Baumwollernte gibt es nicht. Neben dem umfassenden Bildungsangebot und der bäuerlichen Selbstorganisation finanziert die Initiative Gemeinschaftseinrichtungen (z. B. kommunale Wasserbrunnen, Mühlen, Saatgutbanken, Gemeinschaftsgärten in Schulen) und fördert die Vernetzung von Kooperativen mit verschiedenen Institutionen.

Veränderung des bäuerlichen Gemeinschaftskapitals durch die Initiative. Die bäuerlichen Gemeinschaften erwarben in der Zusammenarbeit mit Chetna Organic Kenntnisse und Fähigkeiten in Bezug auf Anbaumethoden im Biolandbau sowie in Einzelfällen Führungsqualitäten und unternehmerisches Wissen, wodurch sie das Humankapital stärken konnten. Frauen profitierten insbesondere von den Schulungen in Saatgutvermehrung und der Errichtung von Saatgutbanken für Nahrungspflanzen. Die Aufwertung traditioneller Anbaupraktiken – insbesondere jene der indigenen Gemeinschaften – und damit ihrer naturnahen Einstellung, erhöhte auch das Kulturkapital. Die Initiative sensibilisierte die Bäuerinnen und Bauern für Fragen der Gesundheit und Ernährungssicherheit und entwickelte Strategien für die Ausweitung der biologischen Produktion (z. B. Verkauf von Biolebensmitteln). Die verstärkte Zusammenarbeit und der Wissensaustausch in den bäuerlichen Gruppen erhöhte das Sozialkapital, ebenso wie die Gründung von Kooperativen und Genossenschaften, die eine Vernetzung mit verschiedenen Institutionen ermöglichten und neue Geschäftsbeziehungen entlang der Wertschöpfungskette schufen. Die Übernahme von Führungsaufgaben in Gruppen und Kooperativen führte zur Erhöhung des Politikkapitals; ein direkter Einfluss auf die lokale Politik konnte jedoch nicht erreicht werden. Der zertifizierte Biobaumwollanbau verbesserte auch das Naturkapital der bäuerlichen Gemeinschaften: gesteigerte Bodenfruchtbarkeit, weniger Erosion, mehr botanische Biodiversität sowie nützliche Insekten und Vögel. Die Umstellung auf Biolandbau senkte die Ausgaben für Agroinputs und führte zu einer besseren Risiko- und Einkommensdiversifizierung. Die Mitgliedschaft in Kooperativen und Genossenschaften stärkte die Marktmacht der einzelnen Produzentinnen und Produzenten. Die Bildung von Sparvereinen und die Vernetzung mit Finanzinstitutionen erleichterten den Zugang zu finanziellen Ressourcen und verringerte die Abhängigkeit von teuren privaten Geldverleihern. Die Initiative ermöglichte es den Bäuerinnen und Bauern, ihr Finanzkapital auf vielfältige Weise zu erhöhen. Investitionen von Chetna Organic in Gemeinschaftseinrichtungen sowie private Inventionen in die Wohnsituation (solidere Bauweise, Sanitäranlagen) der Bäuerinnen und Bauern erhöhten das Baukapital.

6 Fallbeispiel III: Bergman/Rivera, Peru

Untersuchungsregion. Die Biobaumwollinitiative Bergman/Rivera (bergmanrivera.com) ist in Peru im Departamento San Martín aktiv, genauer in der Provinz Lamas, die 1650 von den Spaniern gegründet wurde (Frisancho et al. 1977). Sie befindet sich in den Hügeln des oberen Tieflandes (selva alta) in der ökologischen Zone des feuchten tropischen vormontanen Waldes (Zona Media Altitudinal Premontano Tropical-Humedo). Die durchschnittliche Jahresniederschlagsmenge beträgt 2000 mm (Schjellerup 1999).

Landwirtschaft. In Handarbeit (die Machete ist meist das einzige landwirtschaftliche Gerät) kultivieren Bäuerinnen und Bauern vorwiegend in Subsistenzwirtschaft und ohne synthetische Agrarinputs Mischkulturen aus Mais, Bohnen, Inka-Nüssen, Erdnüssen, Bananen, Kürbissen und der in der Gegend endemischen naturgefärbten Baumwolle (Gossipium barbadense) (Schjellerup 1999). Darüber hinaus werden auch Ananas und Kakao für den lokalen und den Weltmarkt angebaut. Baumwolle spielte als Marktfrucht lange keine große Rolle bis ihr Anbau vor allem von Nichtregierungsorganisationen gefördert wurde (Schjellerup 1999).

Kultur. Das obere Tiefland, in dem die Provinz Lamas liegt, wird von zahlreichen indigenen Gruppen bewohnt, die meist in kleinen, unabhängigen Gemeinschaften leben (Schjellerup 1999). Die Quechua sprechenden Lamista, die sich selbst Llacuash nennen, bilden die größte indigen Gruppe. Ihre Dörfer liegen zu beiden Seiten des Rio Mayo. Auf den Hügeln liegen ihre Felder, für die sie große Waldflächen gerodet haben. Eine Lamista-Familie bewirtschaftet durchschnittlich 3 ha, wobei die Landtitel häufig von den indigenen Gemeinschaften treuhänderisch verwaltet werden (Schjellerup 1999). Im Gegensatz zur spanischsprachigen Bevölkerung sind die Lamista wirtschaftlich stark marginalisiert, auf ländliche Gebiete beschränkt und im Schulsystem aufgrund ihrer Sprache benachteiligt (Demange 2002).

Biobaumwollinitiative. Bergman/Rivera ist ein schwedisch-peruanisches Textilunternehmen, das verschiedene Projekte mit Bäuerinnen und Bauern in Peru durchführt. Seit 1994 engagiert sich Bergman/Rivera im Rahmen des Projektes „Wild Cotton“ für Anbau der endemischen naturgefärbten Baumwolle in zertifizierter Bioqualität, die nach Europa und Japan exportiert wird. Zum Zeitpunkt der Untersuchung (2015) bauten 27 Bäuerinnen und Bauern in vier Lamista-Dörfern zertifizierte Biobaumwolle für Bergman/Rivera an. Bergman/Rivera schließt jedes Jahr vor Saisonbeginn Anbau- und Ankaufsvereinbarungen ab und gibt in vierteljährlichen Versammlungen mit allen beteiligten Bäuerinnen und Bauern die Ankaufspreise bekannt, die in der Regel rund 25 % über jenen für nicht zertifizierte farbige Baumwolle liegen. Eine Kontaktperson von Bergman/Rivera besucht die Bäuerinnen und Bauern regelmäßig vor Ort und unterstützt sie bei Fragen zum Anbau sowie beim Verkauf von Fruchtfolgekulturen wie Inka-Nüsse und Kakao. Bergman/Rivera stellt ebenfalls Gemeinschaftscomputer in Gemeinderäumen zur Verfügung.

Veränderung des Gemeinschaftskapitals durch die Initiative. Das Verhältnis zwischen Bergman/Rivera und den Bäuerinnen und Bauern entspricht einem klassischen Vertragsanbau. Hierbei sind vorgegebene Produktionsstandards einzuhalten, wofür Preisaufschläge bezahlt werden. Angesichts der Kurzfristigkeit der Verträge und der Monopolstellung von Bergman/Rivera bei der Abnahme der Biobaumwolle bietet die Initiative den Bäuerinnen und Bauern nur wenig Sicherheit. Der Informationsstand zu Baumwollpreisen hat sich zwar durch die vierteljährlichen Versammlungen verbessert, dies hat jedoch keine Auswirkungen auf die Lebenssituation der Bäuerinnen und Bauern. Sozialkontakte und der bäuerliche Einfluss konnten nicht nennenswert ausgedehnt werden. Das Sozial- und Politikkapital der Bäuerinnen und Bauern haben sich kaum verändert. Trotz kurzfristiger Verträge ist die Zusammenarbeit mit Bergman/Rivera für die Bäuerinnen und Bauern attraktiv, weil sie oft die einzige Möglichkeit ist, färbige Baumwolle ohne großen Vermarktungsaufwand zu verkaufen. Dennoch hat sich ihr Finanzkapital nur geringfügig erhöht, da der Anbau von zertifizierter Biobaumwolle trotz Preiszuschlag unrentabel blieb. Das Naturkapital der Bäuerinnen und Bauern hat sich geringfügig erhöht, weil Saatgut für naturfarbige Baumwollsorten nun leichter verfügbar ist. Sonst hat sich wenig verändert, da der zertifizierte Biolandbau lediglich minimale Anpassungen in den Anbaumethoden erforderte und Biobaumwolle fest in die Fruchtfolge der Mischkulturen integriert blieb. Geringfügig positive Wirkung zeigte die Initiative Bergman/Rivera bezüglich Humankapital und Kulturkapital: Bäuerinnen und Bauern erweiterten ihr Wissen zur biologischen Landwirtschaft in dem Sinne, dass sie sich der Vorzüge ihrer bisher praktizierten Anbaumethoden bewusst wurden. Zudem erfuhren sie Anerkennung für ihre agrochemieablehnende, umweltfreundliche Haltung und für den Anbau von naturgefärbter Baumwolle, die vor allem für die indigene Gruppe der Lamista von kultureller Bedeutung ist. Das Baukapital erhöhte sich durch die Anschaffung von Gemeinschaftscomputern nur geringfügig.

7 Diskussion und Schlussfolgerungen

Die Ergebnisse zeigen, dass sich Initiativen zur Förderung des zertifizierten Biobaumwollanbaus positiv auf das Gemeinschaftskapital der beteiligten Bäuerinnen und Bauern auswirken. Das Ausmaß hängt jedoch stark von den Zielsetzungen sowie von Art und Umfang der Aktivitäten der Initiativen ab. Zudem spielt ihre Fähigkeit, die Bäuerinnen und Bauern einzubinden und ihr Human- und Sozialkapital zu stärken, eine wesentliche Rolle. In Peru wurden nur geringe Veränderungen des Gemeinschaftskapitals beobachtet. In Tansania und Indien haben das breite Ausbildungs- und Beratungsangebot sowie Infrastrukturinvestitionen umfassende Verbesserungen ausgelöst. Initiativen können Finanz- und Baukapital relativ schnell und einfach beeinflussen, indem sie Inputunterstützung, Gemeinschaftsinvestitionen und Vertragslandwirtschaft mit Preisprämien anbieten. Da der Aufbau von Finanzkapital oder Baukapital jedoch häufig nicht kumulativ auf andere Kapitalformen wirkt (Emery und Flora 2006), müssen diese durch andere Maßnahmen gestärkt werden. Um einer Gemeinschaft eine nachhaltige, autarke und selbstbestimmte Entwicklung zu ermöglichen, ist es notwendig, in ihr Human- und Sozialkapital zu investieren. Insbesondere Sozialkapital wird als Ausgangspunkt und zentraler Hebel für positive Veränderungen gesehen (Emery und Flora 2006). Die damit verbundenen sozialen Netzwerke gehören zu den wichtigsten Ressourcen von Gemeinschaften, insbesondere von marginalisierten Bevölkerungsgruppen (Woolcock und Narayan 2000). Dies steht im Einklang mit der Vorstellung, dass Sozialkapital eine wesentliche Ergänzung zum Konzept der physischen Kapitalformen (z. B. Finanz- und Baukapital) darstellt (Ostrom 2000).

Die Analyse der drei Fallbeispiele zeigt, dass ein hohes Maß an Beteiligung und Vernetzung für die Stärkung des Human- und Sozialkapitals von Bäuerinnen und Bauern unerlässlich ist. Durch Gruppenbildung erhalten sie eine Stimme – über die lokale Ebene hinaus (z. B. durch die Bildung von Kooperativen und Genossenschaften), was besonders wichtig ist, wenn sie aufgrund ihrer ethnischen Zugehörigkeit stark marginalisiert sind, wie die Lamista in Peru bzw. die Dalits und Adivasi in Indien. Während Human- und Sozialkapital die Bäuerinnen und Bauern zum Handeln befähigen, bestimmt das Kulturkapital, in welchem Umfang und auf welche Weise die Bäuerinnen und Bauern handeln wollen. In dieser Hinsicht erleichtern die indigenen Traditionen einer naturnahen landwirtschaftlichen Produktion (z. B. die Ablehnung von Agrochemikalien in Peru und Indien) den Zugang zu Bioinitiativen. Kulturkapital wird aber auch von traditionellen Rollenzuweisungen bestimmt: Die Zughörigkeit zu einer ethnischen Gruppe oder Kaste sowie das Geschlecht bestimmen die gesellschaftliche Stellung und Handlungsfähigkeit des Einzelnen. Fallbeispiele zeigen, dass die Teilhabe von indigenen Menschen und Frauen teilweise noch erhöht werden kann. Die Ziele von Bioinitiativen und der politische Wille, die Situation diskriminierter Gruppen zu verbessern, können hier in Maßnahmen zur Erhöhung des Gemeinschaftskapitals fruchtbringend zusammenwirken.