Die Geschichte wirtschaftlichen Denkens nachzuzeichnen beabsichtigt weder, bildungsbeflissen eine erlauchte Ahnenreihe vorweisen zu können, noch den Pessimisten zu bestätigen: ‚Alles schon einmal dagewesen‘. Vielmehr bezwecken wissenschaftsgeschichtliche Untersuchungen, das Verständnis für die unterschiedlichen Vorgehensweisen (Methoden) zu erleichtern, wie Erkenntnisse in einem Bereich des Forschens gesucht worden sind und werden. Damit erleichtert das Studium der Geschichte der Wirtschaftswissenschaften das Erlernen und Beurteilen […] wirtschaftswissenschaftlicher Theorien […].Footnote 1

Betrachtet man die historische Entwicklung der Betriebswirtschaftslehre, so zeigt sich die große konzeptionelle Breite der Disziplin. Insbesondere werden dabei die umfangreichen Kontroversen um das „richtige“ Fachverständnis sichtbar – gerade auch hinsichtlich des Umgangs mit Werturteilen und damit des Standpunkts im Umgang mit wirtschaftsethischen Fragestellungen in der wissenschaftlichen Forschungspraxis. Da diese Konflikte bis heute andauern und zudem bedeutsam die Möglichkeit bestimmen, sich betriebswirtschaftlich sinnvoll mit wirtschafts- bzw. unternehmensethischen Fragen zu beschäftigen, wird im Folgenden die historische Entwicklung der Betriebswirtschaftslehre nachgezeichnet sowie die wissenschaftstheoretischen Grundlagen erarbeitet, mit welchen sich diese Auseinandersetzungen besser verstehen lassen. Dabei wird nach einer gründlichen Analyse der Literatur auch stets der Standpunkt der Arbeit klar herausgearbeitet, so dass die Relevanz, aus Perspektive einer empirisch gestützten, aber auch praktisch orientierten BWL, sich mit ethischen Fragestellungen zu beschäftigen, deutlich wird.

2.1 Eine kurze Historie der BWL auf dem Weg zur Wissenschaft

Obwohl die Betriebswirtschaftslehre eine noch verhältnismäßig junge wissenschaftliche Disziplin darstellt, weisen ihre konzeptionellen Grundlagen eine lange Tradition auf. So lassen sich erste Spuren betriebswirtschaftlicher Überlegungen bis zu den Kaufleuten der Antike zurückverfolgen, welche an der erfolgreichen Gestaltung ihrer Handelsgewerbe interessiert waren.Footnote 2 Die Entwicklung des betriebswirtschaftlichen Denkens ist mit bedeutenden kulturhistorischen Entwicklungen der Menschheit verbunden. So wird in der sprachhistorischen Forschung vielfach betont, dass die Entwicklung und Verbreitung eines detaillierten SchriftsystemsFootnote 3 in engem Zusammenhang mit kaufmännischen Erfordernissen zur Dokumentation von Güterbeständen sowie einer periodischen Erfolgsermittlung stand.Footnote 4 Die historischen Ursprünge betriebswirtschaftlichen Gedankengutes liegen damit in der Entwicklung grundlegender Überlegungen des antiken Rechnungswesens, welches zum ersten Mal eine systematische Erfassung von Vermögensgegenständen sowie eine grundlegende Erfolgsermittlung intendierte.Footnote 5

Auch in der griechischen Antike finden sich bereits bei zahlreichen Autoren einige ÜberlegungenFootnote 6 zur optimalen Bewirtschaftung eines Haushalts (οίκος [oikos])Footnote 7, welcher jedoch nicht nur Privathaushalte, sondern vielmehr ebenso landwirtschaftliche Betriebe sowie Handelsbetriebe und Werkstätten umfasste.Footnote 8 So stammt eine zentrale Schrift von Xenophon, welcher sich in seinem Werk Oikonomikos mit hauswirtschaftlichen Fragestellungen und insbesondere der optimalen Gestaltung landwirtschaftlicher Betriebe beschäftigt.Footnote 9 Darüber hinaus existiert in den Werken des Aristoteles eine SchriftFootnote 10, welche sich mit betriebswirtschaftlichen Überlegungen befasst. In der Oikonomika unterscheidet er insgesamt vier Wirtschaftsformen, wobei er ebenfalls explizit auf die private Wirtschaftsform eingeht. In diesem Kontext werden einige praktische Handlungsregeln gegeben, so z. B., dass die Ausgaben die Einnahmen nicht übersteigen dürfen.Footnote 11 Zudem findet sich bereits in seinem Werk eine Differenzierung zwischen den zwei Produktionsfaktoren Arbeit und Kapital, wobei für Aristoteles der Faktor der menschlichen Arbeit zentral zur Leistungserstellung ist.Footnote 12 Diese Gedanken werden interessanterweise gut 2500 Jahre später in zentralen produktionstheoretischen Schriften, so z. B. bei Gutenberg, wieder aufgegriffen.Footnote 13

Ebenso entstehen im Mittelalter einige zentrale Beiträge zur guten Kaufmannspraxis.Footnote 14 Bedeutende Entwicklungen zeigen sich vor allem mit dem Beginn der Renaissance, in welcher Pacioli eine erste systematische und umfassende Darstellung der Doppik entwirftFootnote 15, welche bis heute von zentraler Relevanz für das betriebliche Rechnungswesen ist.Footnote 16 Im 17. Jahrhundert bilden dann mehrere zentrale Schriften, so z. B. von Peri und speziell von Savary, die Grundlagen der später als Handlungs- bzw. Handelswissenschaft bezeichneten Disziplin.Footnote 17 Insbesondere Savarys erstmals 1675 erschienenes Werk „Le parfait négotiant“ übte einen nachhaltigen Einfluss auf das kaufmännische Denken seiner Zeit ausFootnote 18 und legte die theoretischen Grundlagen für die spätere Konstituierung der wissenschaftlichen Forschung an den neugegründeten Handelshochschulen, welche die moderne Betriebswirtschaftslehre hervorbringen sollte. Besonders beachtenswert scheint hierbei, dass Savary unter anderem klären wollte, wie Kaufleute auf redliche Weise Gewinne erzielen könntenFootnote 19, womit bereits hier ethische Vorüberlegungen ersichtlich werden, welche später zu einem intensiven, bis heute andauernden Werturteilstreit innerhalb der BWL führten. Einen weiteren Meilenstein der handelswissenschaftlichen Entwicklung stellt schließlich das „Kaufmanns-Lexicon“ von Ludovici dar, welches als umfassendes, systematisches Kompendium der handelswissenschaftlichen Erkenntnisse der damaligen Zeit galt. Weitere bedeutsame Beiträge dieser Zeit stammen auch von Büsch („Theoretisch-praktische Darstellung der Handlung“, 1792) sowie von Leuch („System des Handels“, 1804), welche zur Blüte der Handlungswissenschaft führten.Footnote 20 Mit dem 19. Jahrhundert begann jedoch der Aufstieg der Nationalökonomie, welcher das Interesse an einzelwirtschaftlichen Fragestellungen zeitweise zurückdrängte. Durch die einsetzende Industrialisierung ab Mitte des 19. Jahrhunderts lässt sich jedoch wieder, auch in den deutschsprachigen Ländern, ein gestiegenes Interesse an originär betriebswirtschaftlichen Fragestellungen feststellen, da sich das volkswirtschaftliche Instrumentarium hierzu als nicht hinreichend erwies.Footnote 21 Folglich wurde dezidierten, einzelwirtschaftlichen Fragestellungen wieder eine verstärkte Aufmerksamkeit zuteil.Footnote 22

Angemerkt sei an dieser Stelle, dass parallel zur systematischen Reflexion der kaufmännischen Praxis stets auch im öffentlichen SektorFootnote 23 betriebswirtschaftliche Überlegungen seit der Antike eine bedeutsame Position einnehmen.Footnote 24 So spielt betriebswirtschaftliches Gedankengut bereits bei der Errichtung der Pyramiden im Alten Ägypten eine zentrale Rolle und auch bei der fiskalischen Verwaltung der römischen Staatskassen.Footnote 25 Interessanterweise zeigt sich bereits hier, dass betriebswirtschaftliche Betrachtungen nicht gleichzusetzen sind mit privaten, erwerbswirtschaftlichen Fragestellungen, sondern vielfach auch im Non-Profit- sowie im öffentlichen Sektor eine bedeutsame Rolle einnehmen, welches z. B. durch zahlreiche Lehrbücher der öffentlichen Betriebswirtschaftslehre [ÖBWL] oder des Managements im Non-Profit-Sektor deutlich wird. So zeigt auch die Bezeichnung der Betriebswirtschaftslehre selbst, dass im Kern auf das Erfahrungsobjekt des Betriebs (und nicht lediglich des Unternehmens) fokussiert wird, wobei der begriffliche Zusammenhang zwischen Unternehmen und Betrieb noch einer genaueren Untersuchung bedarf.Footnote 26

Fasst man die bisherigen Überlegungen zusammen, so zeigt sich, dass betriebswirtschaftliches Denken bereits seit Jahrtausenden sowohl hinsichtlich der individuellen als auch der kollektiven bzw. staatlichen Wirtschaftspraxis bedeutsam ist. Die heutige deutschsprachige Disziplin der „Betriebswirtschaftslehre“ stellt dennoch wissenschaftshistorisch betrachtet eine recht junge Fachrichtung darFootnote 27, welche in ihrer Gründungsphase vielfachen Richtungsstreiten ausgesetzt und stets um die Legitimation ihrer wissenschaftlichen Tätigkeit bemüht war.Footnote 28 So subsumiert auch Brockhoff: „Betriebswirtschaftlich relevante Ideen gibt es seit Jahrtausenden […]. Die Betriebswirtschaftslehre als Wissenschaft ist dagegen im Vergleich zu anderen Feldern geistiger Erkenntnissuche erst sehr spät wahrgenommen worden.“Footnote 29

Interessant erscheint, dass die moderne Betriebswirtschaftslehre, ähnlich wie auch die ControllinglehreFootnote 30, eine originär deutschsprachige Forschungsrichtung darstellt.Footnote 31 Dies wird bereits durch den Begriff des „Betriebs“ ersichtlich, welcher kaum oder nur schwierig aus dem Deutschen in andere Sprachen zu übersetzen ist.Footnote 32 Die Begründung der Betriebswirtschaftslehre als eigenständige wirtschaftswissenschaftliche Teildisziplin wird dabei vielfach auf die Zeit der Entstehung der ersten großen Handelshochschulen gegen Ende des 19. Jahrhunderts, wie beispielsweise der Handelshochschule Leipzig im Jahre 1898, datiert.Footnote 33 Ziel dieser Institutionen war das „Bestreben des deutschen Kaufmannsstandes nach immer besserer und umfassenderer Bildung“Footnote 34, welches durch wissenschaftliche Bestrebungen untermauert werden sollte. Weiterhin betont Raydt: „Die Handelshochschule zu Leipzig hat den Zweck, […] erwachsenen jungen Leuten, welche sich dem Handelsstande gewidmet haben oder widmen wollen, neben einer tüchtigen Schulung des Geistes eine umfassende kaufmännische und allgemeine Bildung, und angehenden Handelslehrern die erforderliche praktische und theoretische Fachbildung als Ergänzung ihrer sonstigen Ausbildung zu geben.“Footnote 35 Obwohl die Gründung der ersten Handelshochschulen vielfach als die Geburtsstunde der Betriebswirtschaftslehre erachtet wird, so ist dennoch zu betonen, dass zu Beginn der Disziplin diese zumeist als Handelsbetriebslehre oder noch als Handelswissenschaft bezeichnet wurde.Footnote 36

Um sich von der bereits etablierten Nationalökonomie bzw. Volkswirtschaftslehre klar abzuheben, wurde im weiteren Verlauf zeitweise die Bezeichnung „Privatwirtschaftslehre“ etabliert, welche jedoch, wie Kosiol anmerkt, hinsichtlich des eigentlich zu betrachtenden Inhalts des Faches, eher unglücklich gewählt sei: „Um 1910 greift man auf die ältere, aber unzutreffende Bezeichnung Privatwirtschaftslehre zurück, um das Fachgebiet damit gegenüber der Volkswirtschaftslehre abzugrenzen.“Footnote 37 An einer solchen Bezeichnung wurde allerdings zunehmend Kritik geübt, da diese terminologisch zu sehr den Fokus auf erwerbswirtschaftliche Entitäten bzw. kapitalistische Betriebe richte.Footnote 38 Diese Kritik kulminierte schließlich in der Schmähung der Privatwirtschaftslehre als reine „Profitlehre“Footnote 39. Obwohl ursprünglich auch Fachvertreter wie Eugen Schmalenbach, welche eine stärker gemeinwohlorientierte Ausrichtung des Faches intendierten, den Begriff der Privatwirtschaftslehre gebrauchten, folgte schließlich die Umbenennung in „Betriebswirthschaftslehre“Footnote 40, da diese Bezeichnung auch begrifflich stärker herausstellt, dass ebenso nicht-erwerbswirtschaftliche wie auch staatliche Betriebe zum Gegenstand der Betriebswirtschaftslehre gezählt werden können.Footnote 41 Diese Überlegungen, wie auch die begriffshistorische Entwicklung der Disziplin, fasste Kosiol wie folgt zusammen: „Von der bescheidenen Umschreibung als Handelstechnik […] geht der suchende Weg des Forschergeistes über die Überwindung der zu eng umrissenen Handelswissenschaft oder Handelsbetriebslehre und der schief formulierten Antithese einer eigennützig ausgerichteten Privatwirtschaftslehre hinweg bis zur umfassenden Sinngebung des Faches als Betriebswirtschaftslehre.“Footnote 42

Trotz dieser sich letztlich als Konsens herausstellenden Fachbezeichnung, war die Fragestellung, welches der Inhalt und die Methoden des Faches sein sollten, nicht vollständig geklärt und führte zu einer intensiven Auseinandersetzung um die richtige Ausrichtung der Disziplin. Dies ist Gegenstand des nachfolgenden Abschnitts, wobei neben den klassischen Ausführungen zu grundlegenden Richtungsstreiten ein besonderes Augenmerk auf normative Fragestellungen gelegt wird, welche einer wissenschaftstheoretischen Reflexion unterzogen werden.

2.2 Historische Richtungsstreite in der jungen Disziplin BWL

Seit der systematischen Wiederaufnahme der betriebswirtschaftlichen Forschung Ende des 19. Jahrhunderts zeigt sich eine intensive Diskussion um die richtige methodische, aber auch inhaltliche Ausrichtung des Fachs. Insbesondere in den ersten Jahren der noch jungen BetriebswirtschaftslehreFootnote 43 wurde diese von einer Vielzahl umfangreicher Auseinandersetzungen hinsichtlich der richtigen Ausrichtung der Disziplin in inhaltlicher als auch methodischer Hinsicht geprägt. Diese intensiv wie kontrovers geführten Auseinandersetzungen in der Entstehungsgeschichte der BWL sind Gegenstand der nachfolgenden Ausführungen.

2.2.1 Grundlegender Überblick über die betriebswirtschaftlichen Methodenstreite

Ein erster bedeutsamer Aspekt, welcher die intensiven Auseinandersetzungen begleitete, war stets die Sorge, nicht als eigenständige wissenschaftliche Disziplin, gerade gegenüber der bereits etablierten Nationalökonomie, anerkannt zu werden.Footnote 44 So wurde (und wird vereinzelt) als Argument gegen die Wissenschaftlichkeit der Betriebswirtschaftslehre hervorgebracht, dass diese eine zu große Nähe zu praktischen Fragestellungen aufweise.Footnote 45 Dies wurde von Kritikern der Disziplin genutzt, um die originäre Wissenschaftlichkeit der BWL zu bezweifeln, wodurch eine Institutionalisierung an Universitäten infrage gestellt wäre. Obschon heute betriebswirtschaftliche Fragestellungen mehrheitlich klar als universitär geeignet erachtet werden, war diese Auffassung zu Beginn des 20. Jahrhunderts keineswegs etabliert. So stellte sich beispielsweise zur Begründungszeit der Disziplin die Frage, inwiefern die Betriebswirtschaftslehre tatsächlich als eigenständige Fachrichtung zu betrachten oder nicht doch als erweiterte Mikroökonomik in die etablierte Volkswirtschaftslehre zu integrieren sei. In diesem Sinne forderte beispielsweise Schär explizit: „[D]ie Privatwirtschaftslehre muß in der Nationalökonomie verankert werden […].“Footnote 46 Auch Weyermann und Schönitz sprachen sich für einen Verbleib einzelwirtschaftlicher Überlegungen im volkswirtschaftlichen Theoriegebäude aus.Footnote 47 Insbesondere volkswirtschaftliche Vertreter wie BrentanoFootnote 48 erachteten die Gründung einer eigenständigen einzelwirtschaftlichen Lehre mit überaus großer SkepsisFootnote 49 und stellten sich „mit aller Entschiedenheit gegen die Einführung einer ‚Privatwirtschaftslehre‘ als eigenständige wissenschaftliche DisziplinFootnote 50, welches wiederum zu einer Vielzahl an betriebswirtschaftlichen Publikationen führte, um genau diese Eigenständigkeit zu zeigen.Footnote 51

Um die Unabhängigkeit als wissenschaftliche Disziplin zu untermauern, war es zentral, ein Alleinstellungsmerkmal zu finden, das die betriebswirtschaftlichen Überlegungen klar von der Volkswirtschaftslehre abgrenzen könnte. Hierzu müsste es folglich mit Kant gelingen, „das Unterscheidende, was sie mit keiner andern gemein hat, und was ihr also eigenthümlich ist, genau bestimmen [zu] können […].“Footnote 52 Die Notwendigkeit, dieses „Unterscheidende“ deutlich herauszuarbeiten, um als Wissenschaft, ebenso wie die Schwesterdisziplin der Volkswirtschaftslehre, anerkannt zu werden, mag die Schärfe der Auseinandersetzung innerhalb der jungen Disziplin selbst als auch zur volkswirtschaftlichen NachbardisziplinFootnote 53 erklären, welche teilweise in polemischen Streitschriften konkurrierender Schulen mündete.

Zur Klassifikation dieser historischen Auseinandersetzungen, häufig auch als MethodenstreiteFootnote 54 bezeichnet, wurden in der Literatur unterschiedliche Einteilungen entwickelt, wobei im Weiteren primär der Einteilung nach Thommen und Woll gefolgt wird, welche eine übersichtliche Darstellung liefern.Footnote 55 Hiernach lassen sich die methodischen wie inhaltlichen Konfliktlinien auf drei klassische Auseinandersetzungen sowie einen noch andauernden Diskurs um die Ausrichtung der Disziplin reduzieren, wobei ebenso die klassischen Streitpunkte noch heute Einfluss auf den wissenschaftlichen Diskurs ausüben, wie im Folgenden erläutert sei.

Als erster zentraler Streit um die Ausrichtung der betriebswirtschaftlichen Disziplin kann der Disput zwischen Schmalenbach und Weyermann bzw. Schönitz erachtet werden. Ausgangspunkt des Disputes war die Frage, inwiefern betriebswirtschaftliche Überlegungen zu einer eigenständigen wissenschaftlichen Disziplin führen könnten und ob diese dann Gestaltungsempfehlungen abzugeben habe. Während die Nationalökonomen Weyermann und Schönitz für eine Erforschung betriebswirtschaftlicher Fragestellungen im Rahmen einer reinen, volkswirtschaftlich verankerten Wissenschaft an Universitäten plädiertenFootnote 56, grenzte sich Schmalenbach mit seiner Forderung nach einer eigenständigen Kunstlehre deutlich von dieser Position ab.Footnote 57 Hiernach konstituieren betriebswirtschaftliche Fragestellungen klarerweise eine eigenständige Disziplin, wobei diese zudem nicht nur als reine bzw. lediglich theoriegetriebene Wissenschaft, sondern vielmehr als praktisch gestaltende Kunstlehre zu konzeptualisieren sei, denn „[d]ie ‚Kunstlehre‘ gibt Verfahrensregeln, die ‚Wissenschaft‘Footnote 58 gibt sie nicht.“Footnote 59 Zudem misstraue er „den sogenannten Wissenschaften; sie verlassen sich auf die Vollkommenheit des menschlichen Geistes, und es ist nicht weit her mit diesem Geiste. Wo man eine Kunstlehre neben der Wissenschaft hat, da ist die Kunstlehre sicherer und vertrauenerweckender.“Footnote 60

Wenngleich die Auseinandersetzung zwischen Weyermann und Schönitz hinsichtlich der Eigenständigkeit der BWL heute eindeutig zugunsten Schmalenbachs geklärt scheint, so ist die Frage, inwiefern die BWL auch Gestaltungsempfehlungen geben sollte, im Rahmen des dritten Methodenstreites, in welchem u. a. Ideal- und Realmodelle diskutiert wurden, wieder aufgeflammt. Auch Rieger hat sich darauf folgend deutlich gegen eine Kunstlehre ausgesprochen und für eine „reine“ Wissenschaft plädiert.Footnote 61 Die Frage nach dem Leitparadigma der neuen Disziplin war jedoch weiterhin nicht geklärt. Während Schmalenbach schon recht früh eine gemeinwirtschaftlichkeitsbezogene Ausrichtung forderte, gab es zu Beginn immer noch eine lebhafte Auseinandersetzung, ob nicht privatwirtschaftliche Unternehmen in den Fokus genommen werden sollten, wie die in den 1910er bis 20er Jahren geläufige Bezeichnung der Disziplin als „Privatwirtschaftslehre“ nahelegen könnte. Schmalenbach verneinte dies schon früh und schrieb bereits in seinem erstmals 1911 erschienenen Aufsatz: „Das privatwirtschaftliche Gewinnstreben, genannt Profitmacherei, ist eine wichtige Sache; und wenn es ein Fach gibt, daß [sic!] sich mit wissenschaftlichem Ernst dieser Sache widmet, so halte ich das für ein gutes Fach. Leider ist die Privatwirtschaftslehre als Kunstlehre dieses Fach nicht.“Footnote 62

Konträr zu dieser Auffassung definierten jedoch wiederum Weyermann und Schönitz 1912 die Privatwirtschaftslehre als „diejenige Teildisziplin der Sozialökonomie (Nationalökonomie), die zum Objekt hat die Betätigung privater, für sich selbst besorgter Wirtschaftssubjekte zur Erzielung eines gewissen Ertrages […] unter dem Gesichtspunkte der Interessen dieser Privatwirtschaften […] betrachtet.“Footnote 63 Auch Hellauer definierte 1914 ähnlich: „Die Privatwirtschaftslehre ist die Lehre von den privatwirtschaftlichen Organismen und ihren Funktionen, indem sie diese unter dem Gesichtspunkte des Interesses der einzelnen Privatwirtschaften betrachtet.“Footnote 64

Ein zentraler Vertreter der Rentabilitätsorientierung, der schließlich Ende der 1920er Jahre den zweiten Methodenstreit auslöste, war Wilhelm Rieger, welcher sich mit seiner erstmalig 1928 erschienenen „Einführung in die Privatwirtschaftslehre“ nicht nur hinsichtlich der Fachbezeichnung gegen Schmalenbach stellte, sondern sich vielmehr auch inhaltlich klar gegen dessen fachliche Grundüberzeugung positionierte: „Die Unternehmung ist eine Veranstaltung zur Erzielung von Geldeinkommen – hier Gewinn genannt – durch Betätigung im Wirtschaftsleben. Wenn wir also von einem Zweck der Unternehmung reden, so kann es nur dieser sein, Gewinn zu erzielen, und zwar für den Unternehmer.“Footnote 65 Während Rieger die Perspektive der Rentabilitätsorientierung vertrat, betonte Schmalenbach stets, dass nicht die Rentabilität, sondern die Wirtschaftlichkeit von Betrieben Gegenstand der betriebswirtschaftlichen Forschung seiFootnote 66: „Die Frage lautet tatsächlich nicht: Wie verdiene ich am meisten? Sondern: Wie fabriziere ich diesen Gegenstand mit der größten Ökonomie?“Footnote 67 Zudem habe die „kaufmännische Privatwirtschaftslehre […] nicht zu zeigen, wie man Geld verdient […]. [F]ür die Fachwissenschaft ist es gleichgültig, ob der Kaufmann durch seine Tätigkeit viel oder wenig verdient […]. Für die Fachwissenschaft kommt es nur darauf an, daß die dem Kaufmann obliegende Arbeit nach dem Grundsatze des wirtschaftlichen Optimums im Sinne der Gesamtheit geschieht.“Footnote 68 Aber auch später, als die Fachbezeichnung Betriebswirtschaftslehre bereits etabliert war, betonte Schmalenbach stets die Bedeutung des Wirtschaftlichkeitsprinzips: „Und so ist es nicht Sinn unserer Betriebswirtschaftslehre zuzuschauen, ob und wie irgend jemand sich ein Einkommen oder ein Vermögen verschafft. Sinn unserer Lehre ist lediglich zu erforschen, wie und auf welche Weise der Betrieb seine gemeinwirtschaftliche Produktivität beweist.“Footnote 69

Obwohl die Konzeption Riegers im Rahmen des Shareholder Value-Paradigmas wiederentdeckt wurdeFootnote 70 und auch für das Controlling konzeptionell eine große Rolle spieltFootnote 71, kann doch auch für den zweiten Methodenstreit heute klar festgehalten werden, dass dieser zugunsten von Schmalenbach entschieden wurde. Zum einen haben sich im Lauf der Zeit die meisten Wissenschaftler der terminologischen Bezeichnung als „Betriebswirtschaftslehre“ angeschlossen, so dass sich Riegers Terminologie, wenngleich auch mit zunehmender Schärfe durch ihn verteidigt, letztlich nicht im Fachdiskurs durchsetzen konnte. So stellt auch Gutenberg fest: „Die Fachbezeichnung ‚Privatwirtschaftslehre‘ hat sich nicht durchgesetzt. Nur Rieger hat an ihr festgehalten.“Footnote 72 Zum anderen hat sich auch der Fokus auf die Rentabilität nur bedingt in der Betriebswirtschaftslehre erhalten können. So gilt heute die Wirtschaftlichkeit (des Wirtschaftens) als der zentrale wissenschaftsspezifische Filter, durch welchen das Erfahrungsobjekt der Betriebswirtschaftslehre betrachtet wird.Footnote 73

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde in Westdeutschland die soziale Marktwirtschaft eingeführt. Die programmatische Grundsetzung übte dabei für die Folgejahre der fachwissenschaftlichen Entwicklung bedeutende Entwicklungsimpulse aus und prägte in den westdeutschen Ländern den betriebswirtschaftlichen Diskurs.Footnote 74 Bedeutendster Fachvertreter dieser Zeit war Erich Gutenberg, welcher hinsichtlich der Wirtschaftlichkeitsorientierung das wissenschaftliche Erbe Schmalenbachs weiterführte, aber auch mit seiner mathematisch-idealwissenschaftlichen Herangehensweise mit der Tradition der Praxisorientierung brach. Ein bedeutender Beitrag erfolgte bereits durch Gutenbergs Habilitationsschrift, welche 1928 erstmalig erschien und nicht nur einen systematischen Überblick über die Betriebswirtschaftslehre gab, sondern vielmehr auch die Grundzüge seiner Konzeption darlegte, welche die Betriebswirtschaftslehre auf der volkswirtschaftlich etablierten Mikroökonomik aufbaute.Footnote 75 Die konzeptionellen Überlegungen wurden schließlich in den drei Bänden zu den „Grundlagen der Betriebswirtschaftslehre“ vollendet, welche mit seinem 1951 erstmals erschienenen ersten Band „Die Produktion“ eröffnet wurde.Footnote 76

Zentrale Überlegung Gutenbergs war hierbei, dass die Volkswirtschaftslehre mit ihrem mathematisch fundierten, mikroökonomischen Instrumentarium überaus erfolgreich und weithin anerkannt war und daher als geeignetes Fundament für eine eigenständige wissenschaftliche Disziplin heranzuziehen wäre. Die neoklassische Volkswirtschaftstheorie wiederum greift ideengeschichtlich in weiten Teilen auf die klassische Physik und insbesondere auf die Mechanik Newtons sowie die thermodynamische Gleichgewichtstheorie zurück, da diese als empirisch fundiertes und mathematisch formuliertes Ideal der Wissenschaftlichkeit galten (und vielfach noch heute gelten). Aus der Anlehnung an diese mathematischen Prinzipien der Physik entstand mit der neoklassischen Mikroökonomik eine Art „Sozialphysik“, welche alle individuellen wie auch organisationalen wirtschaftlichen Handlungen mathematisch-deterministisch zu modellieren intendiert.Footnote 77

In Abgrenzung zur PhysikFootnote 78 ist bei der Betrachtung der Konzeption Gutenbergs jedoch zu beachten, dass dieser nicht etwa versuchte, die realen Betriebsabläufe mathematisch zu modellieren, sondern vielmehr intendierte, einen idealen Betrieb zu entwerfen, in welchem alle Störgrößen eliminiert sind und einen solchen Idealbetrieb der Kommunikation zugänglich zu machen.Footnote 79 So formulierte Gutenberg prägnant, dass für das betriebswirtschaftliche Idealmodell „die Annahme gemacht werden [muß], daß die Organisation der Unternehmung vollkommen funktioniert.“Footnote 80 Dies bedeutet nach Gutenberg jedoch „nicht die Negation, sondern lediglich die Neutralisierung der Probleme der Organisation.“Footnote 81 Da im Rahmen dieses Idealmodells der reale Entscheidungsträger nur als Störgröße auftreten würde, wird auch hier konsequenterweise vom realen Entscheidungsverhalten abstrahiert und das „psychophysische[] Subjekt […] auf diese Weise aus der Unternehmung als Objekt der betriebswirtschaftlichen Theorie eliminiert.“Footnote 82 In der Betrachtung von Gutenbergs Werk subsumiert so auch Rühli, „dass der Ansatz von Gutenberg primär als idealtypische ökonomische Theorie der Unternehmung gemeint ist, die weitgehendst optimales (konsequent ökonomisch-rationales) Verhalten der beteiligten Menschen voraussetzt und damit von vielen Störgrößen des Individual- und Sozialverhaltens abstrahiert.“Footnote 83 Betriebswirtschaftliche Erkenntnisse werden dabei gemäß der deduktiven Methode aus dem Konzept des idealen Betriebs mathematisch abgeleitet, in welchem die Produktionsfaktoren im ideal-ökonomischen (d. h. wirtschaftlich optimalen) Sinne zur Anwendung kommen. Daher steht „[n]icht die umfassend verstehende Denkweise, sondern die hypothetisch-deduktive Methode […] im Zentrum.“Footnote 84

Zwar hat das Theoriegebäude Gutenbergs bis heute prägenden Einfluss auf die betriebswirtschaftliche Forschung genommen und galt gar lange Zeit als das Standardparadigma der BWLFootnote 85, war allerdings zu Beginn auch nicht unumstritten, da sich die Mehrzahl der betriebswirtschaftlichen Forscher in der Tradition Schmalenbachs verwurzelt sahen, und sich folglich auch der Lösung praktischer betrieblicher Fragestellungen verpflichtet fühlten.Footnote 86 Insbesondere der intensiv mit Konrad Mellerowicz ausgetragene Disput, ob die BWL als praktisch-managementorientierte oder eher als idealwissenschaftlich-theoretische Disziplin zu gestalten sei, lieferte die Grundlage für den dritten betriebswirtschaftlichen Methodenstreit. Im Gegensatz zur hypothetischen und deduktiven Methode Gutenbergs, forderte Mellerowicz eine realwissenschaftliche, praxisorientierte Betrachtung, welche von idealbetrieblichen Modellierungsannahmen absiehtFootnote 87 und vielmehr den realen Betrieb und den realen Menschen in den Fokus einer empirisch-induktivenFootnote 88 Betriebswirtschaftslehre rückt: „Das Erkenntnisobjekt der Betriebswirtschaftslehre gebietet […] die Berücksichtigung des Menschen […].“Footnote 89 Daher „muß eine Untersuchung, die dem Verhalten des Menschen mit mathematischen Mitteln beizukommen versucht, jeden Wert verlieren und in utopische Spekulationen abgleiten.“Footnote 90 Des Weiteren greift Mellerowicz auch den bereits von Schmalenbach geäußerten Gedanken, dass die BWL praktische Handlungsempfehlungen geben sollte, wieder auf und betont: „Ursprung und Zweck der Betriebswirtschaftslehre ist die einzelbetriebliche Praxis.“Footnote 91 Ein solcher konzeptioneller Zugang scheint auch aus ethischer Perspektive wesentlich fruchtbarer, da dieser Implikationen für die Verantwortung in der betrieblichen Führung offeriert.Footnote 92

Obwohl sich Gutenberg gegenüber Mellerowicz über einige Jahrzehnte durchsetzen konnteFootnote 93, ist doch in den letzten Jahren mit dem Aufkommen diverser Managementschulen und dem Einfluss angelsächsischer Publikationen ein Wiederaufleben der Überlegungen von Mellerowicz sowie ein stärkerer realwissenschaftlich-empirischer Fokus der betriebswirtschaftlichen Forschung festzustellen.Footnote 94 Nach Schneider können die Auseinandersetzungen zwischen Gutenberg und Mellerowicz dabei als Vorläufer der seit den 1970er Jahren entstehenden und bis heute existierenden zwei großen Denkschulen der angewandten Managementwissenschaft und der mikroökonomischen Theorie bezeichnet werden.Footnote 95 Dieser Disput scheint auch für die weiteren Ausführungen von zentraler Relevanz. So ist in einer rein idealmodellbasierten Betriebswirtschaftslehre nicht nur kein Platz für den realen Menschen, vielmehr wird in dem Modell auch grundsätzlich von Störeinflüssen, welche z. B. durch Legitimitätsdiskurse mit den betrieblichen Stakeholdern entstehen könnten, abstrahiert. Folglich existiert auch in der traditionellen betriebswirtschaftlichen Schule der BWL nach Gutenberg kein Platz für wirtschaftsethische Überlegungen.Footnote 96

Fasst man die bisherigen Ausführungen zu den klassischen methodischen wie inhaltlichen Konfliktlinien nochmals zusammen, so ergibt sich folgendes Bild: Die Frage nach der Eigenständigkeit der betriebswirtschaftlichen Forschung des ersten Methodenstreits scheint heute eindeutig im Sinne Schmalenbachs geklärt und zu bejahen, wenngleich die Frage nach der „Reinheit“ bzw. „Anwendungsorientiertheit“ immer noch kontrovers erscheint. Auch die zweite Frage nach dem Leitparadigma scheint im Sinne Schmalenbachs entschieden. So kann heute klar festgehalten werden, dass die Wirtschaftlichkeit das originäre Auswahlkriterium der Betriebswirtschaftslehre repräsentiert. Der dritte Streit, welcher einen Teil des ersten Methodenstreits wieder aufnimmt, ist jedoch nicht vollständig geklärt.

In Anschluss an das Werk Gutenbergs kann in den 1970er und 80er Jahren eine zunehmende Verbreiterung der methodischen und inhaltlichen VielfaltFootnote 97 innerhalb der betriebswirtschaftlichen Forschung aufgefunden werden, welche zu einem gewissen Pluralismus an Konzeptionen führte.Footnote 98 Neben dem weiterhin existierenden Diskurs hinsichtlich einer Anwendungsorientierung spielten ebenso zunehmend Fragen der empirischen Prüfbarkeit betriebswirtschaftlicher Hypothesen eine zentrale Rolle. Zudem erscheint auch die Frage der Relevanz der Beschäftigung mit Werturteilen wieder verstärkt im Diskurs.Footnote 99 Insbesondere letztere Frage beschäftigt die Disziplin seit ihrer Entstehung und ist auch für die wirtschaftsethischen Überlegungen dieser Arbeit von besonderer Bedeutung.

In der Weiterentwicklung des Fachs ist neben vielen weiteren Beiträgen unter anderem das Werk von Edmund Heinen relevant, welcher zum einen eine Öffnung für die sozialwissenschaftliche Forschung ermöglichte und damit ein bedeutsames konzeptionelles Fundament zur wissenschaftstheoretischen Einordnung der BWL lieferte. Zum anderen fokussierte Heinen auf die Entscheidungsorientierung in der BWLFootnote 100, welche ebenfalls umfassend und bis heute in der Literatur rezipiert wirdFootnote 101 und damit den Grundstein für die verhaltenswissenschaftlich orientierte BWL legte.Footnote 102 Weitere bedeutsame Perspektiven auf heutige betriebswirtschaftliche Fragestellungen ergeben sich zudem aus der betriebswirtschaftlichen Systemforschung, die von Hans Ulrich entscheidend geprägt wurde sowie durch die empirisch-verhaltenswissenschaftlich orientierte BetriebswirtschaftslehreFootnote 103, welche den Homo oeconomicus als Leitparadigma verwirft und stattdessen eine realwissenschaftliche Untersuchung des menschlichen Handelns intendiert. Darüber hinaus spielen auch in immer stärkerem Maße Fragen der Verantwortungsübernahme für wirtschaftliche Handlungen eine Rolle, welches die Basis für die wirtschafts- und insbesondere auch unternehmensethische Forschung eröffnet.Footnote 104

2.2.2 Der Streit um die Zulässigkeit normativer Aussagen

Die bisherigen Ausführungen haben gezeigt, wie intensiv der Diskurs um die richtige Positionierung der Disziplin geführt wurde – und in Teilen auch heute noch wird. Eine entscheidende, bis heute geführte Kontroverse stellt hierbei die Frage nach der Zulässigkeit bzw. Interpretation von wertenden Aussagen in der betriebswirtschaftlichen Forschung dar. Betrachtet man die Entstehungsgeschichte der Betriebswirtschaftslehre, so ist ersichtlich, dass seit ihrer akademischen Gründung neben methodischen und inhaltlichen Fragen insbesondere kontrovers über den Umgang mit normativen Aussagen gerungen wird. Die grundsätzliche Skepsis hinsichtlich der Vereinbarkeit betriebswirtschaftlicher Forschung mit normativen Aussagen lässt sich im Kern auf zwei zentrale Faktoren zurückführen. So stehen seit Ende des 19. Jahrhunderts wertende Stellungnahmen im sozialwissenschaftlichen Bereich grundsätzlich in der KritikFootnote 105 – wobei um die Frage der Wertfreiheit sozialwissenschaftlicher Aussagen bis heute intensiv gerungen wird. Ein zweiter, genuin betriebswirtschaftlicher Ausgangspunkt zur kritischen Haltung hinsichtlich normativer Aussagen findet sich zudem in der historischen Entwicklung der Disziplin und insbesondere in den Erfahrungen kontextueller Ausdeutungen der normativ-betriebswirtschaftlichen Theorien in Zeiten der nationalsozialistischen Diktatur. Beide Faktoren, welche bis heute nachwirken, werden im Folgenden näher erläutert und ihre Implikationen für die Grundlagen der Betriebswirtschaftslehre aufgezeigt.

Der bis heute andauernde intensive Diskurs um die Zulässigkeit wertender Aussagen beginnt maßgeblich mit dem durch Max Weber initiierten sozialwissenschaftlichen Werturteilsstreit, welcher teilweise auch als zweiter volkswirtschaftlicher MethodenstreitFootnote 106 bezeichnet wird. Während die grundsätzliche Frage nach der Zulässigkeit von Werturteilen in der sozialwissenschaftlichen Forschung schon teilweise im 19. Jahrhundert behandelt wurde, gewann die intensive Diskussion um die „richtige“ Forschungsmethodik durch den 1872/73Footnote 107 gegründeten Verein für Socialpolitik deutlich an Schärfe im deutschsprachigen Raum. Die Werturteilsdiskussion kulminierte schließlich auf der Wiener Tagung 1909Footnote 108, auf welcher durch den Beitrag von Eugen von Philippovich über Produktivitätsfragen in der VolkswirtschaftslehreFootnote 109 eine starke Kontroverse zwischen den Mitgliedern des Vereins hinsichtlich der Zulässigkeit von Werturteilen im sozialwissenschaftlichen Kontext aufkam.Footnote 110 Prominent vertrat hierbei Max Weber in Abgrenzung zu Gustav von Schmoller die These, dass sich die Sozialwissenschaft von wertenden UrteilenFootnote 111 klar fernzuhalten und vielmehr vollständig auf die Erforschung empirischer Tatsachen zu fokussieren hätte.Footnote 112 So sei nach Weber „das Hineinmengen eines Seinsollens in wissenschaftliche Fragen [.] eine Sache des Teufels […].“Footnote 113 Grundgedanke war in diesem Kontext, dass Wissenschaftler ihre persönlichen Ansichten nicht mit Tatsachenbehauptungen, welche einer empirischen Überprüfbarkeit zugänglich sind, vermengen sollten.Footnote 114 Diese Auffassung richtete sich besonders gegen die als „Kathedersozialisten“ bezeichneten Volkswirte (wie z. B. von Schmoller), welche auch wertende Stellungnahmen zur politischen Beeinflussung als essentiellen Teil ihres Tätigkeitsbereichs auffassten.Footnote 115 Ein solcher Appell vom Katheder aus sei jedoch unzulässig, da zum einen die akademischen Lehrer ihre Position gebrauchten, um persönliche Ansichten zu verbreiten, dabei aber in den Hörsälen keinen Raum für Kritik ließen.Footnote 116 Zum anderen verfehlten solche Wissenschaftler aus Webers Sicht ihre Profession, da sie politische Ansichten und keine wissenschaftlichen Fakten darlegten, bzw. diese nicht klar genug differenzierten.Footnote 117 Dies fasste Weber bereits 1904 prägnant wie folgt zusammen: „Eine empirische Wissenschaft vermag niemanden zu lehren, was er soll, sondern nur, was er kann und – unter Umständen – was er will.“Footnote 118 Insbesondere letzterer Punkt, erscheint für die spätere betriebswirtschaftliche Forschung bedeutsam, wie im Weiteren noch detaillierter dargelegt wird. So kann nach Weber die Wissenschaft bei gegebenem Zweck die Sinnhaftigkeit der genutzten Mittel evaluieren: „Der wissenschaftlichen Betrachtung zugänglich ist […] die Frage der Geeignetheit der Mittel bei gegebenem Zwecke.“Footnote 119

Normative Fragestellungen waren jedoch nicht nur im volkswirtschaftlichen (und später soziologischen) Kontext von Bedeutung. Vielmehr findet sich, wie bereits ausgeführt wurde, schon seit Beginn der akademischen betriebswirtschaftlichen Forschung eine intensive Diskussion um normative Elemente im betriebswirtschaftlichen Theoriegebäude. So vertraten namhafte Begründer der jungen betriebswirtschaftlichen Disziplin explizit auch normative Positionen innerhalb ihrer Fachdisziplin. Wie aufgezeigt wurde, war die junge BWL von einer Vielzahl an Kontroversen und einem starkem Ringen um die Eigenständigkeit als wissenschaftlicher Disziplin gekennzeichnet. Dabei musste sie sich gegen vielfache Zweifel um die Ernsthaftigkeit, aber auch Redlichkeit der Disziplin behaupten. So kritisierte beispielsweise Brentano, dass die (erwerbswirtschaftlich fokussierte) Privatwirtschaftslehre, genau die Mittel liefere, den Arbeiter „wie im mittelalterlichen Fronhof zum blossen Rädchen [.] im Getriebe der Unternehmung“Footnote 120 werden zu lassen und folglich nicht den Anforderungen an eine ordentliche Wissenschaft, welche, wie die Nationalökonomie, das „Gesamtinteresse“Footnote 121 im Fokus habe, gerecht werde. Um diesem vielfach geäußerten Vorwurf entgegenzutreten, lediglich eine „öde Profitlehre“ zu repräsentierenFootnote 122, folgten viele Fachvertreter nicht nur dem Beispiel Schmalenbachs, die Disziplin in Betriebswirtschaftslehre umzubenennenFootnote 123, vielmehr nahmen etliche damalige Fachvertreter auch explizit normativ Stellung zu betriebswirtschaftlichen FragenFootnote 124 und forderten eine betriebswirtschaftliche Gemeinwohlorientierung. So betont auch Gmähle: „Die normative Betriebswirtschaftslehre hatte sich stets gegen das materialistische Denken gewandt, das reine ‚Profitstreben‘ verworfen, die Wirtschaftlichkeit obenangestellt […].“Footnote 125 Gerade Schmalenbach, welcher in seiner dynamischen Bilanztheorie eine Unterscheidung zwischen einem (legitimen) gemeinwirtschaftlichen und einem reinen privatwirtschaftlichen Gewinn einzuführen versuchteFootnote 126, kann hier als Vertreter einer sich auch normativ positionierenden BWL aufgefasst werden.Footnote 127 Dabei erfolgt aus der Perspektive Schmalenbachs mit der gemeinwirtschaftlichen Orientierung „eine Einengung des Beobachtungsfeldes insofern, als privatwirtschaftliches Tun, wenn es nicht gemeinwirtschaftlich sich auswirkt, uns nicht interessiert.“Footnote 128 Vielmehr müsse man „konsequenterweise die betriebswirtschaftliche Betätigung daraufhin ansehen, inwieweit sie gemeinwirtschaftlich produktiv ist.“Footnote 129 Zur Messung dieser Gemeinwirtschaftlichkeit schlägt Schmalenbach vor, „bei der Berechnung des betrieblichen Aufwands für den Augenblick, in dem ein Gut vom Betriebe aus dem Verkehr genommen wird, nicht die volkswirtschaftlichen Preise, sondern die volkswirtschaftlichen Werte zur Verrechnung [zu] bringen; und entsprechend müßten wir verfahren bei der Berechnung der betrieblichen Leistung.“Footnote 130 Zur Umsetzung dieser Überlegungen seien jedoch auch verstärkte Bildungsmaßnahmen erforderlich, welche die Bürger für die Relevanz einer Gemeinwohlorientierung sensibilisierten.Footnote 131

Neben Schmalenbach hat sich besonders auch Nicklisch schon früh mit einer gemeinwohlorientierten Ausrichtung der Betriebswirtschaftslehre beschäftigt und eine explizit normative Position eingenommen.Footnote 132 Nicklisch befasste sich mit einer Vielzahl von gemeinwirtschaftlich orientierten Fragestellungen, so z. B. mit der umfangreichen Diskussion gerechter Löhne.Footnote 133 Zudem vertrat er die Überzeugung, dass der Mensch stets als GemeinschaftswesenFootnote 134 aufgefasst werden muss, das nur als Teil eines größeren Ganzen gedacht werden kann.Footnote 135 Dabei ist Nicklischs Konzeption von Beginn an stark durch den Deutschen IdealismusFootnote 136 in der Tradition Hegels und insbesondere auch FichtesFootnote 137 geprägt. So betont Nicklisch bereits 1915 die besondere Rolle der Gemeinschaft für den Menschen: „Der Einzelne empfängt sein Leben vom Ganzen und schuldet es ihm. Er ist Glied des Ganzen.“Footnote 138 Dieser Gedanke wurde von Nicklisch weiter ausgebaut und in einer seiner Hauptschriften wie folgt pointiert dargestellt: „Ganzes und Glied zugleich zu sein, ist das Zeichen der Gemeinschaft […]“Footnote 139, denn nur dort, „[i]n der Gemeinschaft findet der Mensch die Läuterung seines Wesens und seine Steigerung, Erhöhung.“Footnote 140

Im wirtschaftlichen Kontext formulierte Nicklisch die Idee der Betriebsgemeinschaft, welche gegen die erwerbswirtschaftliche Interpretation der betriebswirtschaftlichen Lehre gerichtet war. So betont Nicklisch in diesem Kontext: „[D]er Egoismus, der der Erhaltung und Entwicklung des Menschen nur als eines in sich geschlossenen Ganzen dient, der private Egoismus, widerspricht dem Wesen der Menschen. Dieses verlangt, daß das menschliche Streben auf die Erhaltung als Ganzes und Glied zugleich ausgerichtet sei.“Footnote 141 Ähnlich formuliert er an anderer Stelle: „Die Wirtschaft stirbt am privaten Egoismus der Wirtschaftenden. Der Wille zur Gemeinschaft dagegen erhält sie lebendig und führt sie zur Blüte.“Footnote 142

Nicklischs Werk ist jedoch, trotz fachhistorischer BedeutungFootnote 143, nicht unumstritten geblieben. Neben seinen letztlich metaphysischen Aussagen zum wahren Wesen des Menschen ist auch eine unglückliche Vermengung seiner Überlegungen mit nationalsozialistischem Gedankengut bzw. seine unklare, tendenziell bejahende Position zum nationalsozialistischen Regime zu problematisieren, welche bis heute die betriebswirtschaftlichen Leistungen Nicklischs überschattet. Fachhistorisch stellt die Machtübernahme durch die Nationalsozialisten im Jahre 1933 eine einschneidende Entwicklung für die Betriebswirtschaftslehre dar, da regimekritische Wissenschaftler bzw. Forscher mit jüdischem Hintergrund mit einem Publikationsverbot belegt, in die Emigration gezwungen oder gar ermordet wurden.Footnote 144 Auch Schmalenbach war durch seine jüdische Frau von der nationalsozialistischen Diktatur betroffen und stellte aus diesem Grunde im Jahre 1933 einen Antrag auf Emeritierung aus Altersgründen, welchem auch entsprochen wurde.Footnote 145 Wenngleich in der inhaltlichen Dimension eine nationalsozialistische Uminterpretation der betriebswirtschaftlichen Grundlagen nur in Teilen umgesetzt werden konnte, da wie zuvor auch originär betriebswirtschaftliches Wissen (so z. B. zur praktischen Betriebsorganisation und Rechnungslegung), welches nur gering ideologisch zu färben war, benötigt wurdeFootnote 146, so haben sich doch einige Betriebswirtschaftler eindeutig zustimmend zur Ideologie des Dritten Reiches positioniert. Nicklisch ist hier besonders hervorzuhebenFootnote 147, da er die originär idealistischen Überlegungen der Betriebsgemeinschaft schließlich mit dem nationalsozialistischen Führerprinzip vermengteFootnote 148, welches er ab den 1930er Jahren verstärkt betont: „Denn die deutliche und starke Empfindung der Gliedschaft ist es auch, aus der der Volksgenosse das wird, was er sein soll: der Kamerad aller Mitgenossen im Volk und ein freier Helfer des Führers in der Höhenlage, in die dieser ihn beruft.“Footnote 149 Zusätzlich hat sich Nicklisch in den Folgejahren der Machtübernahme in einer Reihe von Artikeln überaus zustimmend über die nationalsozialistische Herrschaft geäußertFootnote 150, wobei er bereits zu Beginn alle Betriebswirtschaftler aufforderte, „dem Führer des neuen Deutschland alle ihre Kräfte zur Verfügung zu stellen […].“Footnote 151

Ein Grund für den unkritischen Umgang mit dem aufkommenden Nationalsozialismus mag gewesen sein, dass Nicklisch wie andere normativ fokussierte Betriebswirtschaftler irrtümlich geglaubt hat, dass mit der nationalsozialistischen Herrschaft die Gemeinwirtschaftlichkeitsüberlegungen in die Praxis umgesetzt werden könnten und dabei die zugrunde liegenden zutiefst antihumanistischenFootnote 152 Ideen und Konsequenzen dieser Herrschaft nicht gesehen hat – oder nicht sehen wollte.Footnote 153 So schlussfolgert auch Gmähle, dass viele normativ-betriebswirtschaftliche Schulen sich nur allzu leicht mit nationalsozialistischem Gedankengut verknüpfen ließen, da auch diese vielfach „das Gemeinwohl betont, den Liberalismus verworfen, dem Idealismus sich verbunden gezeigt [haben]. Und da trat eine Bewegung auf den Plan, die sich als Vollstrecker solchen Denkens und dieser geistesgeschichtlichen Strömung ausgab […].“Footnote 154

Historisch betrachtet kann festgehalten werden, dass die nationalsozialistische Ausdeutung normativer betriebswirtschaftlicher Paradigmen nach dem Zweiten Weltkrieg diese stark zusätzlich diskreditiert hat. So führte die unglückliche Verbindung von nationalsozialistischer Ideologie mit werturteilsbehafteten betriebswirtschaftlichen Konzeptionen zu einer noch stärkeren Ablehnung normativer Aussagen in der BWL. In diesem Sinne resümiert auch Küpper: „Die Gefahr des Missbrauchs derartiger Konzepte etwa durch Einbringung in die Ideologie des Nationalsozialismus hat die Skepsis gegenüber normativ-inhaltlichen Positionen verstärkt.“Footnote 155

Auf diesen Erfahrungen beruhend verwundert es nicht, dass nach dem Zweiten Weltkrieg normative Betriebswirtschaftslehren umstritten warenFootnote 156 und sich in den 1950er und 60er Jahren die mikroökonomisch fundierte, „apersonelle Wirtschaftlichkeitsoptimierungslehre“Footnote 157 von Gutenberg als Standardkonzeption des wohl „einflußreichsten Autor[s] der Nachkriegsperiode“Footnote 158 herauskristallisierte. So konstatiert auch Wächter: „In der Nachkriegszeit bringt daraufhin die Entnazifizierung auch die Entpolitisierung, und zwar sowohl der Individuen wie der Wissenschaftsprogramme, mit sich. Für die BWL ist auch in dieser Hinsicht das Werk Gutenbergs […] besonders bedeutsam.“Footnote 159

Zusätzlich hierzu blieb jedoch die wissenschaftstheoretisch (wie auch legitimativ) begründete Skepsis um die grundsätzliche Zulässigkeit wertender Aussagen im betriebswirtschaftlichen Kontext. So betont Lisowsky 1950: „Die Mehrzahl dieser Anhänger normativer oder besser normativistischer Auffassungen in der Betriebswirtschaftslehre dürfte ihre Äußerungen gleichsam naiv getan haben, d. h. ohne das Wissen um die Tragweite und die Kompliziertheit der wissenschaftstheoretischen Probleme und Konsequenzen, die sich dabei ergaben, und für die ihnen vielfach das Interesse und die Verständnisfähigkeit fehlten.“Footnote 160 Ähnlich äußert sich auch Hax sechs Jahre später: „Die Verquickung ethischer und ökonomischer Gesichtspunkte bei wissenschaftlichen Untersuchungen ist für das fachliche Resultat in der Regel nicht von Vorteil; die philosophisch-ethischen Darstellungen tragen oft genug dilettantischen Charakter und vermögen deshalb die Lösung der eigentlichen ökonomischen Probleme kaum zu fördern.“Footnote 161

Grundgedanke dieser Überlegungen war jedoch auch die Sorge, wie in den anderen Richtungs- bzw. Methodenstreitigkeiten bereits deutlich wurde, als eigenständige Disziplin im Kanon der etablierten Wissenschaften nicht anerkannt zu werden.Footnote 162 So weist auch Schneider explizit auf das Problem des Dilettierens in fachfremden Gebieten hinFootnote 163, woraus die vielfache Schlussfolgerung gezogen wurde, sich ganz im Sinne Webers von normativ behafteten Stellungnahmen, und insbesondere ethischen Diskursen, fernzuhalten. Aus diesen grundlegenden Diskussionen wie auch historischen Erfahrungen ist die oftmals „konzeptionelle Ethikfreiheit“Footnote 164 der BWL oder gar Aversion der traditionellen Betriebswirtschaftler gegen ethische Überlegungen im Rahmen der betriebswirtschaftlichen Forschung zu sehen. In diesem Sinne resümieren auch Steinmann und Löhr: „Wirtschaftsethische Entwürfe gerieten gegenüber dem produktionstheoretischen Paradigma in den Verdacht des ‚Unwissenschaftlichen‘.“Footnote 165 Dies mag auch erklären, warum noch in den 1950er Jahren etliche Fachveröffentlichungen sich immer noch intensiv mit der „Betriebswirtschaftslehre als Wissenschaft“Footnote 166 auseinandersetzten.

Aus wissenschaftstheoretischer Sicht verschärfte sich diese kritische Position nochmals durch das Wiederaufflammen des grundsätzlichen sozialwissenschaftlichen Werturteilsstreits in den 1960er Jahren.Footnote 167 In dieser vielfach als Positivismusstreit bezeichneten AuseinandersetzungFootnote 168 standen sich prominent die Kritische TheorieFootnote 169 der Frankfurter Schule um Adorno und die Schule des Kritischen Rationalismus von Popper gegenüber.Footnote 170 Hierbei postulierten Vertreter der Kritischen Theorie, dass keine werturteilsfreie sozialwissenschaftliche Theorie möglich sei, da jeder Wissenschaftler durch die Gesellschaft normativ vorgeprägt sei. Zudem versteht sich die Kritische Theorie explizit auch als Schule, welche nicht nur eine neutrale Analyse gesellschaftlicher Zustände intendiert, sondern diese auch kritisch reflektiert.Footnote 171 Hierzu sei eine kritische Gesamtschau der gesellschaftlichen Verhältnisse notwendig, welche die reine Akkumulation einzelner empirisch-positivistischer Befunde übersteige.Footnote 172 Demgegenüber positionierte sich der Kritische Rationalismus nach Popper, welcher davon ausgeht, dass sehr wohl objektive Erkenntnis anhand einzelner sozialwissenschaftlicher Tatsachen möglich ist.Footnote 173 So könne der Wissenschaftler empirische Aussagen an der Realität prüfen und feststellen, ob diese falsch seien (FalsifikationismusFootnote 174), wobei wertende Stellungnahmen zu gesellschaftlichen Gestaltungsfragen letztlich nicht Aufgabe wissenschaftlicher Betätigung sei.Footnote 175

Fasst man die bisherigen Ausführungen zusammen, so erscheint es insgesamt nicht verwunderlich, dass auch konkrete konzeptionelle wirtschafts- bzw. unternehmensethische Überlegungen erst relativ spät in den 1980er Jahren in die Betriebswirtschaftslehre Einzug gehalten haben. Während sich die amerikanische Business-Forschung in einem pragmatisch-instrumentellen Sinne schon relativ frühzeitig auch mit Business Ethics beschäftigt hat, tat sich die deutschsprachige BWL lange Zeit schwer mit der Integration ethischer Aussagen in das betriebswirtschaftliche Theoriegebäude und auch heute noch herrscht in der Tendenz oftmals eine gewisse „Sprachlosigkeit“Footnote 176 bzw. Skepsis gegenüber ethischen Betrachtungen vor. Dieser aktuelle, immer noch latente Disput um die Bedeutung ethischer Forschung im betriebswirtschaftlichen Theoriegebäude ist Gegenstand des nachfolgenden Abschnitts, bevor abschließend eine wissenschaftstheoretische Reflexion der methodischen wie inhaltlichen Auseinandersetzung erfolgt.

2.3 Neuere Auseinandersetzungen im Kontext der Wirtschafts- bzw. Unternehmensethik

Mit dem Aufkommen konzeptionell ausgearbeiteter wirtschafts- und insbesondere auch unternehmensethischer Überlegungen im deutschen Sprachraum fokussiert sich die Diskussion um die Zulässigkeit wertender Aussagen zunehmend auf diesen Forschungsbereich. So konstatiert auch Köhler: „In jüngerer Zeit wird das Werturteilsproblem bei der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit Fragen der Unternehmensethik aufgegriffen […].“Footnote 177 Als klassische Diskurse können hierbei die Schneider- sowie später auch die Albach-Kontroverse um die Notwendigkeit bzw. Sinnhaftigkeit von originär ethischen Problemstellungen im betriebswirtschaftlichen Theoriegebäude aufgefasst werden.

2.3.1 Die Schneider-Kontroverse

Die von Schneider angestoßene Kontroverse um die Relevanz der betriebswirtschaftlichen Beschäftigung mit ethischen Fragestellungen lässt sich in die 1990er Jahre mit einer Reihe kritischer Veröffentlichungen wie auch Rezensionen in der Zeitschrift für betriebswirtschaftliche Forschung [ZfbF] zurückverfolgen. Schneiders Beiträge fokussieren dabei explizit kritisch auf das neuaufkommende Forschungsfeld der betriebswirtschaftlich institutionalisierten Wirtschaftsethik, dessen Bedeutung er für die betriebswirtschaftliche Forschung bezweifelt. Schneiders Grundintention besteht hierbei darin, zu zeigen, dass die Annahme der Gewinnfokussierung von Unternehmen nicht pauschal kritisierbar, sondern – eine funktionierende Rahmenordnung vorausgesetzt – geradezu sozialethisch geboten sei.Footnote 178 So betont Schneider die Bedeutung des Gewinnprinzips zur Erwerbserwirtschaftung: „Menschen müssen Einkommen erwerben […]“Footnote 179, da diese andernfalls vom Einkommen anderer leben müssten bzw. stets von deren guten Willen abhängig und damit unfrei wären. Aus diesem Grunde sei der eigenverantwortliche Einkommenserwerb nicht nur sozialethisch legitimiert, sondern gar durch den kategorischen Imperativ Kants gestützt.Footnote 180 Schneider wendet sich hierbei explizit gegen die von Steinmann und Löhr vertretene Auffassung, dass im Zweifelsfall das Gewinnstreben eines Unternehmens zum Erhalt des gesellschaftlichen Friedens begrenzt werden müsse.Footnote 181

An diese grundlegenden konzeptionellen Vorüberlegungen schließt Schneider eine teils scharfe Polemik gegen die im Bereich der Wirtschaftsethik Forschenden und Lehrenden an. Deren Tätigkeit sei mithin legitim, verschaffe sie ja diesen immerhin eine Einkommensquelle. Ansonsten seien wirtschaftsethische Überlegungen aber vielfach als reine „Vermarktungstechnologie [..] ohne wirtschaftstheoretische Fundierung“Footnote 182 oder als „Sozialgeschwätz“Footnote 183 zu begreifen. Schneider versucht dabei im Rahmen seines Beitrags zu zeigen, dass die bisherigen wirtschaftsethischen Beiträge vielfach fachlich dilettantisch seien und z. B. durch Ausblendung oder Unkenntnis wirtschaftlicher Zusammenhänge eine Lösung echter wirtschaftswissenschaftlicher Probleme durch reines, abstraktes Moralisieren nicht gelungen wäre.Footnote 184 Daher könne man auch „mit allem, was Moraltheologen, Philosophen oder Management-Wissenschaftler zur Wirtschafts- bzw. Unternehmensethik bisher gesagt haben, überhaupt nichts anfangen.“Footnote 185 Schließlich konstatiert Schneider in Anlehnung an PopperFootnote 186 eine „in zweieinhalbtausend Jahren Wissenschaftsgeschichte betriebswirtschaftlicher Fragestellungen erwiesene[] Unfruchtbarkeit der ethisch-normativen Betrachtungsweise.“Footnote 187

Neben dem Argument, dass Betriebswirtschaftler nicht auf fachfremden Gebieten dilettieren sollten, erscheint bereits bei Schneider ein weiteres Argument gegen ethische Überlegungen in der Betriebswirtschaftslehre, welches später noch expliziter von Albach wiederaufgegriffen wurde. Dieses Argument versucht zu plausibilisieren, dass die BWL keiner weiteren ethischen Integration bedürfe, da diese bereits selbst auf einem ethischen Basisprogramm begründet sei. So betont Schneider: „Die sozialethische Norm [.] [des eigenverantwortlichen Einkommenserwerbs, d. V.] erlaubt zusammen mit der Wirtschaftsordnungsnorm [.] von einem sozialethischen Gehalt der Betriebswirtschaftslehre zu sprechen […].“Footnote 188 Damit werde eine Wissenschaft, welche sich im Rahmen einer marktwirtschaftlichen Ordnung mit einer „eigenverantwortlichen Einkommens- bzw. ‚Profit‘-erzielung und -verwendung“Footnote 189 beschäftige „für diese Wirtschaftsordnung zur gesellschaftlichen Notwendigkeit.“Footnote 190

In einer kritischen Auseinandersetzung des Standpunktes Schneiders fällt auf, dass dieser hauptsächlich auf das von Steinmann und Löhr vertretene Gewinnverzichtsprinzip zur gesellschaftlichen Friedenssicherung fokussiert. Damit lassen sich gerade andere wirtschaftsethische Überlegungen z. B. von Homann und Schülern, welche explizit auch die wirtschaftlichen Realitäten des marktwirtschaftlichen Wettbewerbs konzeptionell integrieren, jedoch kaum entkräften.Footnote 191 Folglich erscheint mit einer Ablehnung eines wirtschaftswissenschaftlich unsubstantiierten „Moralisierens“ keine überzeugende pauschale Kritik gegen wirtschaftsethische Überlegungen im Rahmen der betriebswirtschaftlichen Forschung per se vorgebracht. Zudem stellt insbesondere die Frage nach der Wahl der legitimen Mittel zur Erreichung eines legitimierten Zwecks eine weiterhin bedeutsame ethische Fragestellung darFootnote 192, welche nicht ausschließlich mithilfe des traditionellen betriebswirtschaftlichen Instrumentariums gelöst werden kann. Schneider weist darauf auch implizit selbst hin: „Nicht daß Gewinn erzielt wird, kann ethische Bedenken hervorrufen, sondern nur wie (durch welche Handlungen und Mittel) Gewinn erlangt und verwendet wird.“Footnote 193 Des Weiteren solle die BWL darin unterstützen, dass „eine Unternehmensführung besser beurteilen kann, welches Handeln ethisch und sozial zu verantworten ist.Footnote 194 Welche Handlungen jedoch in diesem Sinne zu ergreifen sind, kann nicht einfach, wie im Rahmen dieser Arbeit noch gezeigt wird, durch rein ökonomistische Vorteils- bzw. Nachteilskalkulationen nach dem ökonomischen Rationalprinzip getroffen werden, welche wiederum auf eine umfassend wirksame Rahmensetzungsfunktion der Wirtschaftsordnung vertrauen, sondern bedarf einer eigenen Kategorie – der Legitimität.Footnote 195 Schneiders Polemik gegen eine wirtschaftsethische Forschung richtet sich daher kaum überzeugend gegen die wirtschaftsethische Disziplin als solche, sondern lediglich gegen eine spezifische, überzeichnete Interpretation einer abstrakt moralisierenden Tätigkeit.

Grundsätzlich kann festgestellt werden, dass die Äußerungen Schneiders zu einer intensiven Fachkontoverse führten. So haben bereits ein Jahr nach Erscheinen des ersten Beitrags Steinmann und Löhr sowie Ulrich in der gleichen Zeitschrift auf die Ausführungen Schneiders geantwortet und ihm fehlendes ethisches Verständnis und eine ökonomistische, verantwortungslose Sichtweise vorgeworfenFootnote 196, gegen welche sich wiederum Schneider in einer Replik zur Wehr setzte.Footnote 197 An die kritische Position Schneiders schloss sich zwei Jahre später Hax anFootnote 198, wenngleich dieser einen etwas anderen Schwerpunkt der Argumentation wählte. So postuliert Hax: „Generell kann die Befolgung von Normen durch Anreize, Kontrollen und Sanktionen im Falle der Verletzung erreicht werden. Die Unternehmenspolitik wird in erheblichem Maße durch Verhaltensnormen dieser Art gesteuert […] und bedarf keiner ethischen Fundierung.“Footnote 199 Nach einer kritischen Würdigung der Möglichkeiten und Grenzen des Moralisierens hält auch Hax die „Bestrebungen, die Ethik stärker im betriebswirtschaftlichen Studium zu verankern [sowie] […] [d]ie dafür vorgebrachten Begründungen [..] zum Teil wenig überzeugend.“Footnote 200 Hax stimmt aber zu, „daß die in der Unternehmenspraxis, vor allem in Führungspositionen tätigen Personen heute mehr denn je gefordert sind, sich argumentativ mit kritischen Einwänden zur ethischen Begründung ihres Handelns auseinanderzusetzen.“Footnote 201 Genau diese Funktion kann jedoch, wie im Weiteren gezeigt wird, als praktische Umsetzung der Unternehmensethik aufgefasst werden. Auch hier ist also zentral, welches Konzept der Wirtschafts- und Unternehmensethik implizit unterstellt wird, so dass ähnlich wie im Falle Schneiders eine pauschale „Appellisierungs“-Kritik im betriebswirtschaftlichen Kontext zu kurz greift. Ebenso wie Schneider wurde auch der Beitrag von Hax kritisch rezipiert, wobei wiederum Steinmann und Löhr hervorzuheben sind.Footnote 202 Gleichsam hat auch hierzu abermals Hax auf die Kritik an der von ihm vertretenen Position mit einer kritischen Replik geantwortet, in welcher er Steinmann und Löhr mangelndes betriebswirtschaftliches Fachverständnis vorwirft und diese kritisiert, „die Besonderheit des Gefangenendilemmas nicht zur Kenntnis [zu] nehmen.“Footnote 203 Zudem schlägt er vor, statt auf individualethische Appelle, ganz im Sinne Homanns, auf eine Verbesserung der Rahmenordnung zu fokussieren.Footnote 204

2.3.2 Die Albach-Kontroverse

Nach einer gut zehnjährigen Pause der Auseinandersetzung kam im Rahmen der Albach-Kontroverse die Diskussion um die Notwendigkeit und Sinnhaftigkeit ethischer Perspektiven innerhalb der BWL erneut auf. Dieser intensiv zwischen Albach und Thielemann bzw. Weibler geführte Diskurs wurde in der Zeitschrift für Betriebswirtschaft [ZfB] ausgetragen. Albach greift in diesem Zusammenhang die bereits bei Schneider angeklungene Überlegung, dass das Gewinnprinzip bereits Ausfluss ethischer Überlegungen darstelle, wieder auf und begründet auf dieser Argumentation seinen Standpunkt, dass eine zusätzliche wirtschafts- bzw. unternehmensethische Reflexion betriebswirtschaftlicher Zusammenhänge überflüssig sei, da das Basisprogramm der Betriebswirtschaftslehre bereits eine spezifische Ethik der Wirtschaftlichkeit (ausgedrückt im GewinnprinzipFootnote 205) repräsentiere.Footnote 206 Der Kerngedanke Albachs Argumentation lautet hierbei folglich, dass das Wirtschaftlichkeitsprinzip im Sinne eines sparsamen Ressourceneinsatzes vernunftethisch geboten seiFootnote 207 und zugleich auch das Grundprogramm der BWL verkörpere. Hierauf aufbauend schlussfolgert Albach pointiert, „daß die Beschäftigung mit Unternehmensethik überflüssig ist. Die Betriebswirtschaftslehre ist Unternehmensethik.“Footnote 208 An die Überlegung anschließend, dass Wirtschaftlichkeit im Sinne einer sparsamen Mittelverwendung nicht ernsthaft kritisierbar erscheint, kommt Albach zu folgendem Resümee: „Da alles, was vernünftig ist, ethisch gerechtfertigt ist (Vernunftethik), ist das Wirtschaftlichkeitsprinzip der Betriebswirtschaftslehre ein ethisch gerechtfertigtes Prinzip.“Footnote 209 An diese grundlegenden Vorüberlegungen schließt Albach dann den Versuch an, detailliert zu zeigen, dass das Basisprogramm der BWL klar auf weiteren ethischen Prinzipien wie der Gleichheit oder der Solidarität beruhe.Footnote 210 Konzeptionell folgt er wiederum den wirtschaftsethischen Überlegungen Homanns, die Hauptlast der ethischen Verantwortung auf die richtige Gestaltung der Rahmenordnung zu übertragenFootnote 211: „Der Unternehmer trifft gegenüber seinem Umfeld auf dem Markt und gegenüber dem Staat autonom seine Entscheidungen, freilich innerhalb des vom Gesetz gezogenen Rahmens.“Footnote 212

Die Position Albachs ist, wie auch die Position Schneiders, nicht lange unwidersprochen geblieben, wobei gerade Thielemann und Weibler scharfe Kritik an der Position Albachs formuliert haben, welchem sie einen metaphysischen Standpunkt sowie eine „Ethik ohne Moral“Footnote 213 vorwerfen. So fange eine „moderne[] Ethik, die auf metaphysische (außerdiskursive) Gewissheiten verzichtet, […] gerade dort an, wo sie Albach generell als bereits beantwortet sieht.“Footnote 214 Insbesondere könne man nicht einfach das Wirtschaftlichkeitsprinzip im Sinne der Gewinnmaximierung unkritisch als richtiges Leitparadigma voraussetzen, sondern müsse vielmehr innerhalb eines Diskurses dessen Anwendung bzw. prinzipielle Geltung prüfen.Footnote 215 Ferner sei kritisch zu sehen, welche Art der Mittelverwendung genau als Verschwendung zu klassifizieren wäre, wobei sie auf das Beispiel des Luxuskonsums verweisen und wiederum die Notwendigkeit einer diskursiven Klärung betonen, womit die Relevanz einer Beschäftigung mit ethischen Überlegungen evident werde.Footnote 216 Zudem würden durch den Glauben an die Funktionsfähigkeit der Marktwirtschaft und die Anlehnung an Homann „[d]ie eigentlichen ethischen Fragen [.] so von vorn herein umgangen. Spannend wird es ethisch doch erst, wenn erstens die Individualinteressen des einen mit denjenigen anderer in Konflikt geraten und dann zweitens zu klären ist, was die besonders relevanten, weil ‚vitalen‘ Interessen sind […].“Footnote 217

Schließlich werfen Thielemann und Weibler auch den Überlegungen Albachs vor, naiv hinsichtlich der heutigen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen zu argumentieren. So zeigten seine Ausführungen, „dass sein Bild der Wirtschaft das einer eigentümergeführten mittelständischen Unternehmung ist, die, weitgehend unberührt von dem scharfen globalen Wettbewerb unserer Zeit, ‚residuale‘ Gewinneinkommen erzielt und von den Opportunitätskostenkalkülen heutiger Fondsmanager […] verschont geblieben ist.“Footnote 218 Aufgrund dessen lehnen sie die konzeptionelle Schlussfolgerung, auf weitere ethische Überlegungen im Rahmen der Betriebswirtschaftslehre zu verzichten, klar ab. So sei der Ansatz Albachs letztlich auch „nicht in der Lage, dem Management, das sich zunehmend dem Legitimationsdruck der Zivilgesellschaft ausgesetzt sieht, das nötige kategoriale Gerüst zu liefern, um auf diesen Druck eine ethisch angemessene Antwort zu geben.“Footnote 219

In einer weiteren kritischen Analyse der vorgebrachten Argumente Albachs kann außerdem der starke Fokus auf die Regulierungskraft des Staates problematisiert werdenFootnote 220, welche gerade in der heutigen globalisierten Welt zunehmend an ihre Grenzen stößt.Footnote 221 In diesem Sinne erscheint gerade die Notwendigkeit gegeben, dass Unternehmen Verantwortung übernehmen, wobei noch zu klären ist, wie diese Verantwortungsübernahme konzeptionell zu begründen ist, ohne in ökonomistische Paradigmen zurückzufallen.Footnote 222 Zudem erscheint bei Albach auch die inhaltliche Ausdeutung des Wirtschaftlichkeitsprinzips kritisch, welches von ihm vornehmlich material, d. h. im Sinne einer bestmöglichen gesellschaftlichen Güterversorgung, interpretiert wird. Jedoch kann seit Gutenberg im Kontext der BWL eine Verschiebung vom originären Verständnis Schmalenbachs der bestmöglichen Güterversorgung (materiales ökonomisches Prinzip) hin zum reinen formalen Wirtschaftlichkeitsprinzip klar erkannt werdenFootnote 223, in welchem lediglich praktisch-normativ Handlungsempfehlungen zur Zweckerfüllung gegeben werden, wobei der Zweck selbst (wie i. d. R. auch die Legitimität der Mittel) unproblematisiert bleibt. Ein ausschließlicher Rückgriff auf das ökonomische Prinzip als Legitimationsgrundlage erscheint damit auch hier als deutlich zu kurz gegriffen.

Auf die von Thielemann und Weibler geübte scharfe Kritik äußerte sich Albach in einer Stellungnahme, wobei er anhand mehrerer empirischer Beispiele zu zeigen versucht, dass das reine betriebswirtschaftliche Wirtschaftlichkeits- bzw. Gewinnkalkül keiner weiteren ethischen Überlegungen bedarf. So wurde nach Albach „in keinem Falle [.] ein Unternehmensethiker benötigt. Betriebswirtschaftliches Wissen reichte völlig aus, um die Entscheidungen in Verantwortung und mit gutem Gewissen zu treffen.“Footnote 224 Albach wiederholt dabei die axiomatischen Prämissen seiner Argumentation, wobei er insbesondere wieder die Annahme der Funktionsfähigkeit des wirtschaftlichen Ordnungsrahmens heraushebtFootnote 225: „In allen den Märkten, wo der Wettbewerb nicht funktionsfähig ist, greift jedoch das Wettbewerbsrecht oder die staatliche Regulierung ein. Hier bedarf es also keiner Unternehmensethik.“Footnote 226 Unvollkommenheiten der Rahmenordnung sind folglich an die Politik zu delegieren und auch dort zu beheben, wobei das oben genannte Problem der fehlenden globalen Staatlichkeit ausgeklammert bleibt. Dabei argumentiert er scharf gegen jedwede außerfachliche EinflussnahmeFootnote 227: „Die Theorie der Unternehmung baut auf Grundaxiomen auf. Die Überprüfung der Gültigkeit dieser Axiome ist Aufgabe des eigenen Faches. Unternehmensethiker sind dabei nicht hilfreich.“Footnote 228

Auf die Ausführungen Albachs folgte schließlich wiederum eine Reaktion von Thielemann und Weibler, in welcher sie beklagen, dass Albach keinen Versuch unternommen habe, ihr „Kernargument, dass seine Position einer Unternehmensethik ohne Moral auf metaphysischen (also irrationalen) Grundlagen fussen muss, zurückzuweisen.“Footnote 229 Zudem kritisieren sie, dass eine Betriebswirtschaftslehre, „die in Integrität nur ein ‚inhaltsleeres Modewort‘ zu erkennen vermag [.], [.] für diese Diskussion nicht nur nichts Positives anzubieten [hat], sondern [.] implizit die Bemühungen der Unternehmen um Integrität als schlicht überflüssig und wertlos [diskreditiert].“Footnote 230 Sie kommen abschließend zu folgendem Urteil: „Man kann den Zusammenhang auch so formulieren: ‚Undifferenziert‘ [.] sind nicht die Vertreter einer Unternehmensethik mit Moral, sondern die von Albach vertretene Unternehmensethik ohne Moral bzw. ohne Subjekt.“Footnote 231

2.4 Zwischenfazit zur historischen Diskurslage

Die bisherigen Ausführungen haben die historisch intensiv – und bisweilen auch polemisch – geführte Auseinandersetzung um die richtige Ausrichtung der Disziplin und insbesondere auch die Zulässigkeit normativer Aussagen im betriebswirtschaftlichen Kontext aufgezeigt. Dabei wurde deutlich, warum die Betriebswirtschaftslehre bis heute ein so schwieriges Verhältnis zu normativen Aussagen besitzt. Neben wissenschaftstheoretischen Überlegungen, welche auf den sozialwissenschaftlichen Werturteilsstreit zu Beginn des 19. Jahrhunderts sowie die Wiederaufnahme dieses wissenschaftstheoretisch begründeten Disputs im Positivismusstreit der 1960er Jahre zurückgehen, sind auch die negativen Erfahrungen bedeutsam, welche eine normative Aufladung bzw. Deutung betriebswirtschaftlicher Fragestellungen in der Zeit des Nationalsozialismus mit sich brachten. Gekoppelt sind diese Überlegungen im Falle der BWL aber auch fachhistorisch stets mit der Sorge, durch eine zu stark normative Argumentation nicht als wissenschaftliche Disziplin anerkannt zu werden.Footnote 232 Dies führte seit ihrer Begründung zu einer Vielzahl an Richtungsstreitigkeiten, in welchen um die richtige methodologische und inhaltliche Ausrichtung intensiv und kontrovers gerungen wurde. Als neuster Beitrag in der mittlerweile über einhundertjährigen Auseinandersetzung kann dabei die Überlegung Albachs genannt werden, welcher das ökonomische Prinzip als hinreichend legitimierte Handlungsmaxime interpretiert. Wie jedoch gezeigt wurde, sind diese Überlegungen keineswegs unangefochten und aus guten Gründen nach wie vor kritisch zu evaluieren. Die folgende Abbildung 2.1 fasst nun nochmals die wichtigsten Stationen der Kontroversen um die richtige Ausrichtung der BWL und die verknüpften, grundlegenden Diskurse bis heute zusammen.

Abbildung 2.1
figure 1

Überblick über die historischen Methoden- bzw. Werturteilsstreite

Betrachtet man die heutige Diskurslage, so erscheint ersichtlich, dass die historisch scharfe Auseinandersetzung heute eher einem „unaufgeregten Nebeneinander gewichen [ist], das man sogar als weitgehende gegenseitige Ignorierung bezeichnen könnte“Footnote 233, wobei sich die Auseinandersetzung subdisziplinintern auf die richtige konzeptionelle Fundierung einer Wirtschafts- bzw. Unternehmensethik verschoben hat. Neben der historischen Diskurslage zur Zulässigkeit von Werturteilen ist jedoch aus wissenschaftlicher Sicht besonders bedeutsam, näher zu analysieren, was genau unter einem Werturteil zu verstehen ist, da ohne begriffliche Klarheit die Gefahr besteht, dass Kontroversen letztlich durch unklare oder divergente Begriffsverständnisse entstehen. In diesem Sinne subsumiert auch Köhler: „Somit ist die in der BWL nach wie vor bestehende Werturteilsdebatte sehr vielschichtig, und eine undifferenzierte Forderung nach ‚Werturteilsfreiheit‘ erscheint jedenfalls als unzulänglich.“Footnote 234 Aus diesem Grunde ist zur Klärung der Zulässigkeit normativer bzw. ethischer Positionen eine vertiefte wissenschaftstheoretische Analyse sinnvoll, welches im nächsten Kapitel erfolgt.

2.5 Wissenschaftstheoretische Interpretation der Kontroversen

Betrachtet man die vorigen Ausführungen, aus welchen das intensive Ringen um die fachliche Ausrichtung der jungen Disziplin der Betriebswirtschaftslehre deutlich wurde, so erscheint eine vertiefte wissenschaftstheoretische UntersuchungFootnote 235 zu den methodischen Auseinandersetzungen in der BWL bedeutsam, welche diese Richtungsstreite nochmals systematisch zu strukturieren vermag. Dies gilt insbesondere, wenn die Forderung nach Werturteilsfreiheit nicht unkritisch übernommen, sondern kritisch reflektiert werden soll. Folglich ist in einem ersten Schritt eine fundierte Analyse möglicher Aussagearten notwendig.

2.5.1 Wissenschaftliche Aussagearten

Eine klassische und gerade auch in der ökonomischen Literatur weitverbreitete DifferenzierungFootnote 236 unterscheidet in einem ersten Schritt zwischen positiven bzw. empirischen und normativen Aussagen.Footnote 237 Während erstere Aussagen sich auf die Realität beziehen und faktische Aussagen über einen „Seins“-Zustand der RealitätFootnote 238 formulieren, fokussieren normative Aussagen auf „Sollens“-Zustände und enthalten damit einen Verhaltensimperativ, welcher sich an einen handlungsfähigen und (potentiell) normverständigen Adressaten richtet.Footnote 239 In diesem Sinne beziehen sich bis heute Vertreter einer positivistischen Ökonomik auf die Webersche Position, eine werturteilsfreie (d. h. positive) Wissenschaft zu betreiben, welche lediglich empirisch fundierte Aussagen trifft und sich wertender Aussagen enthält. Allerdings umfasst eine solche Differenzierung noch nicht alle denkbaren Aussagearten. So betonen auch Lipsey, Courant und Ragan: „Although the distinction between positive and normative statements is useful, it has a number of limitations. The classification is not exhaustive. The positive and normative classifications do not cover all statements that can be made.“Footnote 240

Neben dieser traditionellen Zweiteilung wird in der wissenschaftstheoretischen Diskussion daher teilweise auch eine Dreiteilung hinsichtlich der Klassifikation von Aussagearten vorgenommen, welche die oben genannte Dichotomie um die Aussagenkategorie der logischen Aussagen erweitert. Eine solche Differenzierung findet sich beispielsweise bei Küpper, welcher explizit zwischen logischen, empirischen und normativen Aussagen differenziert.Footnote 241 Bei logischen Aussagen handelt es sich um deduktive Schlussfolgerungen, wobei „aus einer Reihe von Prämissen eine Folgerung gezogen [wird], deren Geltung mit der verwendeten Logik bewiesen werden kann.“Footnote 242 Diese Aussageart spielt dabei nicht nur in der klassischen SyllogistikFootnote 243 eine bedeutsame Rolle, sondern konstituiert auch das Kernelement der formalen Beweisbarkeit mathematischer Hypothesen. Kennzeichnend für logische Aussagensysteme ist folglich ihre Prüfbarkeit mittels eines Beweises (unter gegebenen Axiomen), wodurch eine Verifikation dieser Aussagen möglich ist.

Während logische Aussagen folglich auf ihre logische Wahrheit geprüft werden können, ist dies bereits bei empirischen Aussagen nicht mehr möglich. Dieser Typus fokussiert auf Aussagen über die Realität, welche an der Empirie zu prüfen sind (faktische WahrheitFootnote 244). Im Gegensatz zu früheren induktiv-verifikationistischen Ansätzen hat sich heute weitgehend das Paradigma des Falsifikationismus nach Popper durchgesetzt, nach welchem empirische Aussagen grundsätzlich nicht zu beweisen bzw. zu verifizieren sind, sondern vielmehr lediglich mit gegenwärtigen Methoden auf ihre Falschheit geprüft werden können.Footnote 245 Empirisch bestätigte Hypothesen können damit stets nur temporäre „Richtigkeit“ beanspruchen, da niemals eine vollständige Untersuchung der Realität (insbesondere auch intertemporal) möglich ist und die durch Reduktion bzw. Betrachtung eines Realitätsausschnitts gewonnenen Erkenntnisse durch zukünftige Forschungsergebnisse stets widerlegt werden könnten.Footnote 246 Empirische Aussagen sind damit im Gegensatz zu logischen Aussagen nicht verifizier-, sondern lediglich potentiell falsifizierbar.

Für die weiteren unternehmensethischen Überlegungen dieser Arbeit ist insbesondere die letzte Aussagenkategorie der normativen Aussagen von Bedeutung. Innerhalb dieses Aussagentypus werden Wertungen oder Empfehlungen ausgedrückt, welche häufig die Form eines Handlungsimperatives aufweisen. Normative Aussagen können dabei weder verifiziert noch falsifiziert werden, sondern unterliegen der Notwendigkeit einer überzeugenden Begründung.Footnote 247 Die „Sollens“-Komponente normativer Aussagen kann folglich weder logisch bewiesen noch empirisch widerlegt werden, sondern kann nur faktisch für ein Individuum oder Kollektiv eines bestimmten sozialen Kontextes Geltung besitzen.Footnote 248

Zur Problematik der Nichtwiderleg- aber auch Nichtbeweisbarkeit von Normen herrscht in der philosophischen Forschung ein seit Jahrhunderten geführter, intensiver Diskurs vor. Dabei scheint heute geklärt, dass vom empirischen „Sein“ nicht zwingend bzw. direkt auf ein „Sollen“ geschlossen werden kannFootnote 249, welches die Bedeutsamkeit der Trennung empirischer und normativer Aussagen unterstreicht.Footnote 250 Normative Aussagen sind jedoch auch selbst nicht letztbegründbarFootnote 251, wie das bekannte Münchhausen-Trilemma nach Albert zeigt.Footnote 252 In diesem Sinne sind normative Aussagen niemals vollständig begründbar, und ein solcher Versuch ist, wie Albert ausführlich darlegt, stets zum Scheitern verurteilt. So gebe es letztlich drei Möglichkeiten, welche jedoch jeweils im Sinne der normativen Letztbegründung unbefriedigend seien. Versucht man dennoch eine solche argumentative Letztbegründung, so entstehen insgesamt „drei Alternativen, die alle drei unakzeptabel erscheinen.“Footnote 253

Dabei kann erstens der Fall auftreten, dass in der Kette der Begründung ein bereits zuvor gebrauchtes Argument hervorgebracht wird, so dass der Argumentierende in einen logischen Zirkel gerät. Will man diesen Zirkel vermeiden, und sucht folglich stets weiter nach einem, die jeweils letzte Aussage bestätigenden, neuen Grund, so gelangt man in einen infiniten RegressFootnote 254, da jeder gegebene Grund wiederum selbst begründungspflichtig ist, so dass die Begründungsschritte einer normativen Aussage niemals zu einem abschließenden bestätigenden oder verwerfenden Ergebnis gelangen können. Um diese Problematik zu vermeiden, verbleibt nur, die Begründungskette an einem bestimmten Punkt (letztlich willkürlich) zu unterbrechen und mit der Setzung eines „letzten Grundes“ als Dogma zu beendenFootnote 255, wodurch eine zwingend überzeugende Letztbegründung jedoch als gescheitert erscheint.Footnote 256 So resümiert auch Albert resigniert: „Die Suche nach dem archimedischen Punkt der Erkenntnis scheint im Dogmatismus enden zu müssen.“Footnote 257

In diesem Kontext erscheint es auch bedeutsam zu betonen, dass normative Aussagen nicht zwangsläufig originär ethischer bzw. moralischerFootnote 258 Natur sein müssen, sondern auch praktisch-normativ sein können.Footnote 259 Im Vergleich zu ethisch-normativen Aussagen, welche explizit wertende Stellungnahmen darstellen, repräsentieren praktisch-normative Aussagen Empfehlungen, welche sich auf die Wahl der günstigsten Mittel bei (gegebenem) Zweck richten.Footnote 260 Während damit, wie dargelegt wurde, wertende Stellungnahmen (nicht nur) innerhalb der BWL umstritten sind, können gerade „praktisch-normativen Aussagen [..] als charakteristisch für die heutige angewandte BetriebswirtschaftslehreFootnote 261 angesehen werden, weshalb diese Richtung auch als praktisch-normative Betriebswirtschaftslehre bezeichnet wird.“Footnote 262

Schließlich sind neben diesen beiden Unterkategorien normativer Aussagen auch rechtlich begründete normative Aussagen zu differenzieren. Obwohl zwischen Moralvorstellungen und Rechtsnormen gerade in liberalen Demokratien häufig große Überlappungen bestehen dürften, sind diese formal nicht identisch. Während in despotischen Herrschaftssystemen das geltende Recht evidenterweise auch gegen moralisch weitverbreitete Vorstellungen verstoßen kann und lediglich auf der Macht der oder des Herrschenden basiert, so gilt auch in freiheitlich-demokratischen, d. h. partizipativen Regierungsformen, dass moralische Vorstellungen und rechtliche Realität bisweilen divergieren können. Gründe können hier etwa die zeitliche Verschiebung zwischen geänderten Normvorstellungen in der Gesellschaft und der durch parlamentarische Arbeit durchzuführenden Diskussion und Beschlussfassung zur Änderung bestehender Gesetze sein. Zudem können nicht alle impliziten Moralvorstellungen stets explizit kodifiziert werden. So erhalten viele Gesetze selbst nach Moralvorstellungen auszulegende Vorschriften und damit einen moralbasierten Interpretationsspielraum.Footnote 263 In diesem Sinne weist auch von der Pfordten darauf hin, dass „Recht und Moral zwei verschiedene […] Normordnungen“Footnote 264 darstellen. Während das Recht auf das Konstrukt der Legalität rekurriert, basiert die Moral auf prinzipiell auch unkodifizierten, geteilten Wertvorstellungen hinsichtlich der Legitimität von Handlungen. Die nachfolgende Abbildung 2.2 fasst diese Überlegungen nochmals kompakt zusammen.

Abbildung 2.2
figure 2

Abgrenzung Recht und Moral sowie zugrunde liegendes normatives KonstruktFootnote

Vgl. ähnlich auch Göbel, E. (2020), S. 33; Crane, A. et al. (2019), S. 5; Holzmann, R. (2019), S. 9; Klein, G. (2016a), S. 17; Noll, B. (2013), S. 25; Crane, A. / Matten, D. (2004), S. 359; Gerum, E. (1991), S. 149. Vgl. auch Göbel, E. (2017), S. 29.

Neben diesen drei klassischen Kategorien logischer, empirischer sowie normativer Aussagen werden in der Literatur auch teilweise metaphysische Aussagen als weiterer Typus erörtert.Footnote 266 Interessant ist hierbei, dass im Vergleich zu den bisher diskutierten Kategorien diese sowohl Eigenschaften empirischer als auch normativer Aussagen aufweisen. So beziehen sich metaphysische Aussagen durchaus auf „Seins“-Zustände und ähneln damit den empirischen Aussagen, indem sie ebenfalls reale Geltung beanspruchen. Im Gegensatz zu letzteren sind diese Aussagen jedoch faktisch (zumindest bisher) oder auch grundlegendFootnote 267 keiner realwissenschaftlichen Überprüfung zugänglichFootnote 268, so dass es auch hier, analog zu normativen Aussagen, letztlich auf die Angabe von überzeugenden Gründen ankommt. Die wissenschaftliche Zulässigkeit von metaphysischen Aussagen ist dabei stark umstritten. Während insbesondere im philosophischenFootnote 269 und theologischen Bereich metaphysische Aussagen weitverbreitet sind, ist ihre Zulässigkeit in wissenschaftstheoretischen Überlegungen, aber auch in den empirischen Wissenschaften, vielfach bezweifelt worden.Footnote 270 Bereits Hume äußerte sich kritisch zur Zulässigkeit metaphysischer Abhandlungen im Wissenschaftsbetrieb: „If we take in our hand any volume; of divinity or school metaphysics, for instance; let us ask, Does it contain any abstract reasoning concerning quantity or number? No. Does it contain any experimental reasoning concerning matter of fact and existence? No. Commit it then to the flames: For it can contain nothing but sophistry and illusion.“Footnote 271 Auch Carnap befasste sich intensiv mit der Zulässigkeit metaphysischer Aussagen, wobei er aus der Perspektive der logischen Sprachforschung zu dem Schluss kam, „daß die vorgeblichen Sätze dieses Gebietes gänzlich sinnlos sind. […] Wenn wir sagen, daß die sog. Sätze der Metaphysik sinnlos sind, so ist dies Wort im strengsten Sinn gemeint.“Footnote 272 Ebenfalls kritisch äußern sich auch Raab, Unger und Unger zu metaphysischen Aussagen, denn diese seien „nicht auf ihren Wahrheitsgehalt überprüfbar, sie sind daher nicht als Wissenschaft zu verstehen, wenn Wissenschaft dem Erkenntnisgewinn dienen soll.“Footnote 273

Wenngleich diese Zitate die vielfach kritische Rezeption mit metaphysischen Aussagen in der wissenschaftstheoretischen Literatur aufzeigen, so bleibt doch festzuhalten, dass kein Aussagensystem (und damit auch keine wissenschaftliche Disziplin) ohne fundamentale (metaphysische) Annahmen existieren kann, welche selbst nicht letztbegründbar sind, aber dennoch als richtig bzw. existent angenommen werden. Im Bereich normativer Aussagen wären dies beispielsweise die in der Aufklärung angenommenen Eigenschaften (wie die Vernunftfähigkeit) des Menschen, welche ihn zur moralischen Person, d. h. einem mit Würde ausgestatteten Individuum, machen und zugleich seine Freiheit und Verantwortungsfähigkeit begründen.Footnote 274 Aber auch im naturwissenschaftlichen Kontext sind metaphysische Aussagen unvermeidlich, z. B. zur Einheit der Realität, welche einer sinnvollen Untersuchung zugänglich ist. Schließlich beruht, wie Gödel bekanntermaßen zeigte, auch die Mathematik (sowie logische Aussagen im Allgemeinen) auf grundlegenden Annahmen, welche nicht im Rahmen einer mathematischen Axiomatik selbst letztbeweisbar sind.Footnote 275 Aus wissenschaftstheoretischer Sicht kann daher nur die Schlussfolgerung gezogen werden, sich zu vergegenwärtigen, an welcher Stelle solch metaphysische Aussagen getroffen werden und sich dieses kritisch bewusst zu halten. Hierzu erscheint die aufgezeigte Differenzierung verschiedener Aussagetypen von besonderer Relevanz. Die nachfolgende Tabelle 2.1 fasst abschließend nochmals die vier aufgezeigten zentralen Aussagearten zusammen.

Tabelle 2.1 Klassifikation wissenschaftlicher Aussagearten und EigenschaftenFootnote

In Anlehnung an Küpper, H.-U. (2016), S. 18; Küpper, H.-U. (2015), S. 318; Küpper, H.-U. (2011), S. 42; Küpper, H.-U. (2009), S. 786; Küpper, H.-U. (2007), S. 258. Vgl. auch Küpper, H.-U. (1988), S. 323.

2.5.2 Reflexion der historischen Richtungsstreite

Für die weitere Arbeit und die Reflexion der historischen Richtungsstreite aus wissenschaftstheoretischer Perspektive sind dabei die (ethisch-)normativen Aussagen von besonderer Bedeutung, da diese den Kern der Richtungsstreitigkeiten in der Betriebswirtschaftslehre repräsentieren. Um diese Auseinandersetzungen nochmals kritisch zu würdigen, erscheint es sinnvoll, normative Aussagen auch hinsichtlich ihrer Anwendungsdomäne zu differenzieren. Nach einer in der Literatur vielfach rezipierten DifferenzierungFootnote 277 nach Albert lassen sich normative Aussagen bzw. Werturteile wie folgt unterteilen:Footnote 278

  • Werturteile im Basisbereich,

  • Werturteile im Objektbereich und

  • Werturteile im Aussagenbereich.

Werturteile im Basisbereich sind dabei essentiell, um ein entsprechendes Forschungsgebiet klar von anderen Fachdisziplinen abzugrenzen. Dabei ist festzulegen, mit welchem Gegenstand sich eine bestimmte Fachdisziplin auseinandersetzen soll, welches folglich zwar eine metaphysische Aussage darstellt, wobei zur Rechtfertigung normativ argumentiert werden muss bzw. überzeugende Gründe gegeben werden müssen. Dagegen stellen Werturteile im Objektbereich den Forschungsgegenstand einer Disziplin dar. Hier sind Werturteile der Gegenstand des Forscherinteresses. Schließlich lassen sich auch Werturteile im Aussagenbereich unterscheiden, welche auch den Kern der traditionellen Auseinandersetzungen um Werturteile bilden.Footnote 279 Hierbei nehmen Individuen, also bspw. Wissenschaftler im Bereich der Betriebswirtschaftslehre, explizit Stellung zu „Sollens“-Zuständen im betrieblichen Kontext (z. B. im Zusammenhang mit LohngerechtigkeitFootnote 280).

Mit dieser Differenzierung können nun auch die aufgezeigten inhaltlichen wie methodischen Auseinandersetzungen in der BWL genauer erfasst werden. Die Kategorie der Werturteile im Objektbereich, welche folglich Werturteile als Gegenstand der Forschung begreift, erscheint dabei prinzipiell unproblematisch, da in diesem Zusammenhang lediglich die empirische Aussagenkategorie auf (z. B. in der Gesellschaft oder einer Organisation) vorhandene Werturteile angewandt wird. Werturteile im Objektbereich einer Wissenschaft sind bspw. charakteristisch für deskriptive Ethiken, welche auch mit der klassischen empirischen Sozialforschung verbunden werden können und auf die Erhebung von bestimmten Normvorstellungen fokussieren.Footnote 281 Eine solche Vorgehensweise entspricht damit auch klar dem empirisch fundierten Wissenschaftlichkeitsideal Webers.

Aus Perspektive der intensiv geführten inhaltlichen wie methodischen Auseinandersetzungen erscheint die Betrachtung von Werturteilen im Basisbereich der Wissenschaft bereits aufschlussreicher. So lassen sich die aufgezeigten Auseinandersetzungen um das richtige Verständnis der Disziplin dieser Kategorie zuzuordnen. So wird ersichtlich, dass die Frage des ersten Methodenstreits, inwiefern die BWL als eine Teildisziplin der Volkswirtschaftslehre zu begreifen sei, ebenso ein Basiswerturteil darstellt, wie der intensiv geführte Disput zwischen Schmalenbach und Rieger, ob die BWL als gemeinwirtschaftlich orientierte, präskriptive Wirtschaftlichkeitslehre oder als reine, theoretische Wissenschaft vom rentabilitätsorientierten Unternehmen aufzufassen sei.Footnote 282 Das heute dominierende Leitparadigma der Wirtschaftlichkeit entspricht damit einer möglichen normativen Setzung im Basisbereich. In diesem Sinne betonte bereits ter Vehn: „‚Wirtschaftlich‘ und ‚unwirtschaftlich‘ sind Werturteile, die über eine bestimmte Handlung oder eine Summe von Handlungen innerhalb einer Wirtschaft gefällt werden. Wir setzen damit der Wirtschaft einen bestimmten Zweck, demgegenüber wir die tatsächlichen und möglichen Handlungsalternativen untereinander als Mittel vergleichen.“Footnote 283 Diese grundlegenden Auseinandersetzungen über die Ausrichtung bzw. Verortung der Fachdisziplin BWL stellen daher normative Dispute über die Basiswerte der Betriebswirtschaftslehre darFootnote 284, welche auch als Werturteilsstreite im weiteren SinneFootnote 285 bezeichnet werden könnten.

Grundsätzliche Normierungen hinsichtlich der Ausrichtung der Wissenschaft erscheinen jedoch zwingend notwendig, da zu Beginn der Forschungsgegenstand einer Disziplin evidenterweise definiert werden muss. So betonen auch Biesecker und Kesting: „Dabei ist heute unbestritten, dass auf den Ebenen 1 und 2 Wertungen nicht nur zugelassen, sondern unumgänglich sind. […] Der Werturteilsstreit konzentriert sich also auf die dritte Ebene.“Footnote 286 Der eigentliche Werturteilsstreit der Sozialwissenschaften, welcher auch bis heute im wirtschafts- und unternehmensethischen Kontext innerhalb der BWL weitergeführt wird, fokussiert folglich explizit auf die Zulässigkeit wertender Stellungnahmen durch Wissenschaftler selbst. Er stellt nach Albert „[d]as eigentliche Werturteilsproblem“Footnote 287 dar und fokussiert dabei auf Werturteile im Aussagenbereich.Footnote 288 Auch Behrens betont: „Dieses Problem [der Werturteile im Aussagenbereich, d. V.] ist gemeint, wenn über das Werturteilsproblem in der BWL diskutiert wird.“Footnote 289 Ein solcher Diskurs könnte folglich als originärer Werturteilsstreit bzw. Werturteilsstreit im engeren Sinne bezeichnet werden. Diese Überlegungen fasst nochmals die nachfolgende Abbildung 2.3 zusammen.

Abbildung 2.3
figure 3

Abgrenzung Werturteilsstreit im weiteren und engeren Sinne

Wie gezeigt wurde, können Werturteile im Aussagenbereich, d. h. wertende Stellungnahmen, ebenso wenig letztbegründet werden wie die Basiswerte einer Wissenschaft (z. B. Rentabilität/Wirtschaftlichkeit oder die Bedeutung bzw. Zulässigkeit ethisch-normativer Aussagen). Die konzeptionell relevante Frage, welche sich hierbei ergibt, ist, wie ethische Reflexionen im Rahmen der betriebswirtschaftlichen Theorie sinnvoll zu verorten sind, ohne auf ökonomistische Paradigmen zurückzufallen. Zudem ist zu klären, inwiefern aus Perspektive der betriebswirtschaftlichen unternehmensethischen Forschung eine solche Beschäftigung nicht nur sinnvoll, sondern sogar geboten erscheint. Betrachtet man die zunehmende Verbreitung der unternehmensethischen Beiträge im deutschsprachigen Bereich seit den 1980er Jahren, so scheint die Bedeutung evident. Bevor jedoch die Frage der Möglichkeit und Notwendigkeit, Ethik und Betriebswirtschaftslehre miteinander zu verknüpfen, genauer erörtert wird, erscheint es zweckmäßig, genauer auf das der Arbeit zugrunde liegende, moderne Verständnis der BWL als wissenschaftlicher Disziplin einzugehen. Dies ist Gegenstand des nachfolgenden Kapitels.

2.6 Moderne Standortbestimmung der BWL als Wissenschaft

Die bisherigen Ausführungen haben die intensive Kontroverse der jungen BWL um ihre richtige Ausrichtung deutlich gemacht, wobei ein bedeutsamer Konfliktpunkt um die Zulässigkeit von (ethisch-)normativen Aussagen erkennbar wurde. Im Weiteren wird nun ein modernes Verständnis der BWL, welches auch den Ausführungen dieser Arbeit zugrunde liegt, ausgearbeitet. Hierzu werden in einem ersten Schritt die grundlegenden Anforderungen an eine wissenschaftliche Disziplin erörtert, bevor im nächsten Schritt das Forschungsgebiet der BWL genauer bestimmt wird. Dabei wird auch ein besonderer Fokus auf die Erarbeitung des Betriebsbegriffs, welcher das Erfahrungsobjekt der BWL repräsentiert, sowie die Abgrenzung zum fachspezifischen Erkenntnisobjekt gelegt.

2.6.1 Grundlegende Anforderungen an eine wissenschaftliche Disziplin

Unbeschadet der Frage, welche Aussagetypen als wissenschaftsspezifisch zulässig erachtet werden, kann festgehalten werden, dass die begründete, systematische Verknüpfung von Aussagen zu einem Gesamtsystem die grundlegende Tätigkeit des wissenschaftlichen Forschungsprozesses darstellt. So betont auch Stadler, dass „die Schaffung einwandfreier Begriffe und ihre Vereinigung zu einem geschlossenen System, erste und grundlegende Aufgabe jeder Wissenschaft“Footnote 290 sei. Dazu muss es jedoch, wie betont, im Sinne Kants gelingen, den Fokus auf einen bestimmten Aussagezusammenhang zu legen, welcher für die spezifische Disziplin charakteristisch ist, d. h. „das Unterscheidende“Footnote 291 muss genau bestimmt sein.

In Bezug auf die Betriebswirtschaftslehre formulierte so auch z. B. Hill die wissenschaftstheoretische Metafrage nach dem Wesen der Betriebswirtschaftslehre und deren Verankerung im Wissenschaftskanon: „Wie läßt sich das Wesen der Betriebswirtschaftslehre so bestimmen, daß ein beliebiges Einzelproblem eindeutig in den betriebswirtschaftlichen Problemzusammenhang eingebaut werden kann, daß ferner eine klare Abgrenzung der Betriebswirtschaftslehre als selbständiger Disziplin gegenüber anderen Disziplinen möglich ist?“Footnote 292 Dabei genüge es jedoch nicht, lediglich „das Wesen der Betriebswirtschaftslehre, also das an ihr Wesentliche, hervorzuheben. Es muß vielmehr auch Klarheit darüber bestehen, was denn eigentlich Wissenschaft ist.“Footnote 293

Die genaue Definition des Wissenschaftsbegriffs divergiert in der Grundlagenliteratur. So definieren beispielsweise Balderjahn und Specht Wissenschaft als „Tätigkeit, die darauf zielt, systematisch und intersubjektiv nachvollziehbar unter Verwendung anerkannter wissenschaftlicher Methoden und Regeln Erkenntnisse aus bestimmten, gegenseitig abgegrenzten Objekten der Wissenschaft zu gewinnen […].“Footnote 294 Dagegen betonen Egger, Egger und Schauer den Aspekt der kontinuierlichen Verbesserung wissenschaftlicher Aussagen und fassen Wissenschaft, allerdings mit Fokus auf einen rein realwissenschaftlichen Aussagenkontext, als „ein dynamisches System von allgemeingültigen Aussagen über reale Sachverhalte (Phänomene)“Footnote 295 auf. Wichtig ist dabei jedoch, dass Wissenschaften nicht nur lediglich auf die Beschreibung von einzelnen Sachverhalten fokussieren, sondern, wie einführend betont wurde, intendieren, diese in einen größeren Gesamtzusammenhang zu stellen. So betont auch Gutenberg: „[S]olange Einzelnes nur als Einzelnes die Forschung interessiert, ist da noch keine Wissenschaft. Erst wenn das Einzelne aus einem Ganzen heraus sinnvoll verständlich zu machen gelingt, bildet sich Wissenschaft.“Footnote 296 Ähnlich formuliert auch Heinen, welcher die konzeptionelle Durchdringung und Systematisierung von Erfahrungen betont: „Wissenschaftliches Forschen erschöpft sich nicht in einer detaillierten Beschreibung von Erfahrungstatbeständen. Wissenschaft ist in erster Linie die theoretische Durchdringung der in der Wirklichkeit vorzufindenden Gegebenheiten.“Footnote 297 Auch Hüttner und Heuer betonen die Bedeutung, über die singuläre Tatsachenakkumulation hinauszugehen und differenzieren zwischen den Begriffen der reinen Kunde und der wissenschaftlichen Lehre. Diese unterscheide sich „von einer bloßen Kunde durch ihre Wissenschaftlichkeit. […] Die ‚wissenschaftliche‘ Erklärung unterscheidet sich von der bloßen Beschreibung dadurch, dass über ausschließlich der ‚Oberfläche‘ verhaftet bleibende Aussagen zu einem System von Aussagen, die einen kausalen oder zumindest funktionalen Zusammenhang […] aufzeigen, vorgedrungen werden soll.“Footnote 298

Wichtig ist dabei zudem, wie Kant bereits forderte, das „Eigentümliche“ einer Wissenschaft genau herauszuarbeiten. In diesem Sinne kann Wissenschaft nach Hill als „die Anwendung wissenschaftlicher Methoden zur Erreichung eines Erkenntniszieles, welches sie sich in Bezug auf ein bestimmtes Erkenntnisobjekt setzt“Footnote 299 definiert werden. Ähnlich betonen auch Peters, Brühl und Stelling „daß sich jede Wissenschaft in systematischer Weise unter Verwendung geeigneter Methoden mit einem bestimmten abgegrenzten Gegenstandsgebiet befaßt, um Erkenntnisse über dieses Gebiet zu gewinnen. Das bestimmte abgegrenzte Gegenstandsgebiet einer Wissenschaft wird als ihr Erkenntnisobjekt bezeichnet […].“Footnote 300 Mit einem Fokus auf das erzielte Ergebnis der Tätigkeit definiert Hahn Wissenschaft als „ein (1) durch besondere Methoden erreichtes (2) systematisch geordnetes Gefüge von (3) objektiven Urteilen über (4) einen gemeinsamen ‚Gegenstand‘: Das ‚Objekt‘ aus dem die Wissenschaft ihre ‚Erkenntnisse‘ zieht (Erkenntnisobjekt).“Footnote 301 Schließlich existiert mit der Begriffsbestimmung von Brühl auch eine Wissenschaftsdefinition, welche den institutionellen Aspekt der Wissenschaft stärker hervorhebt. Hiernach „wird unter Wissenschaft ein System verstanden, in dem soziale Akteure systematisch und mit Einsatz von Methoden versuchen, überwiegend überprüfbare Aussagen für die kognitiven Ziele (Verstehen, Beschreiben, Erklären, Prognose, Gestaltung, Wertung) nutzbar zu machen […].“Footnote 302

Eine Betrachtung der vielfältigen Definitionsansätze zeigt trotz der Heterogenität einige Gemeinsamkeiten, welche lediglich in unterschiedlicher Intensität hervorgehoben werden. Fasst man die genannten Elemente der Definition des Wissenschaftsbegriffs zusammen, so erhält man einen Prozess der systematischen, begründetenFootnote 303 Erkenntnisgewinnung, welcher durch eine spezifische Institution durchgeführt wird. Diese Zusammenfassung korrespondiert mit einer in der Literatur weitverbreiteten klassifikatorischen Dreiteilung des Wissenschaftsbegriffs: So kann Wissenschaft zum einen den systematischen Prozess der Erkenntnisgewinnung, zum anderen das hierbei gewonnene WissenFootnote 304 als Ergebnis dieses Prozesses sowie schließlich auch die durchführende Institution bezeichnen.Footnote 305

Zum Zweck der wissenschaftlichen Tätigkeiten existieren ebenfalls einige konzeptionelle Überlegungen. So differenzieren Peters, Brühl und Stelling den Wissenschaftszweck in zwei Dimensionen, wobei sie klassisch zwischen dem epistemologisch begründeten Erkenntniszweck und dem praktischen Gestaltungszweck unterscheiden: „Zweck der Wissenschaften ist es, die Welt in der wir Menschen leben, besser zu erkennen und sie mit dieser Kenntnis nach unseren Wünschen zu gestalten.“Footnote 306 Eine ebenfalls in der Literatur weitverbreitete Differenzierung unterscheidet wiederum noch zwischen der Funktion des Beschreibens und Erklärens, welche dem Prognose- und Gestaltungszweck gegenübergestellt wird.Footnote 307 Eine Differenzierung zwischen Erkenntniszwecken sowie praktischen Gestaltungsempfehlungen ist auch für die BWL bedeutsam, wenn nicht ein rein formal-theoretischer, sondern ein anwendungs- bzw. managementorientierter Zugang zur Disziplin genommen wirdFootnote 308, da es in diesem Kontext beispielsweise nicht nur um das Erkennen (realer) betriebswirtschaftlicher Probleme, sondern auch um deren mögliche Behebung geht.

Trotz der immer noch existierenden Kontroverse um die Anwendungsbezogenheit der Fachrichtung kann doch festgehalten werden, dass die BWL als eigenständige Disziplin heute gesellschaftlich wie fachlich weitestgehend anerkannt ist, was nicht nur durch die Anzahl der betriebswirtschaftlichen Lehrstühle, Fachveröffentlichungen sowie Studierendenzahlen eindrucksvoll belegt wird. Auch dem Selbstverständnis nach kann festgehalten werden, dass spätestens seit den 1950er Jahren „das Selbstverständnis [dominiert], eine eigenständige wirtschaftswissenschaftliche Disziplin zu sein.“Footnote 309 Auch Hahn betont: „Die Auseinandersetzung darüber, ob die Betriebswirtschaftslehre (schon) eine Wissenschaft oder nur (noch) eine Kunstlehre ist, kann als abgeschlossen gelten: entsprechende Zweifel an der Wissenschaftlichkeit der Betriebswirtschaftslehre werden heute nur noch vereinzelt und versteckt von Vertretern anderer Disziplinen geäußert.“Footnote 310 Nach Erörterung dieser wissenschaftstheoretischen Überlegungen stellt sich nun die Frage nach einer genaueren fachspezifischen Eingrenzung der Betriebswirtschaftslehre. Neben einer Einordnung in das System der Wissenschaften ist insbesondere die genauere Analyse des Erfahrungsobjekts sowie das fachspezifische Erkenntnisobjekt der Betriebswirtschaftslehre bedeutsam. Dies ist Gegenstand der nachfolgenden Ausführungen.

2.6.2 Einordnung des betriebswirtschaftlichen Forschungsgebiets

Trotz der mittlerweile großen Verbreitung betriebswirtschaftlicher Studienangebote und einem breiten Spektrum fachwissenschaftlicher Forschungsaktivitäten, herrscht weder über die genaue wissenschaftliche Einordnung noch über den Forschungsgegenstand der BWL vollständiger Konsens. Wie die Bezeichnung der Disziplin bereits nahelegt, fokussiert die BWL zwar in einem fachspezifischen Sinne auf Betriebe. Was genau unter einem Betrieb zu verstehen ist, welche Eigenschaften des Betriebs exakt im Fokus liegen und ob und wie diese empirisch zu überprüfen sind, erscheint auch über 100 Jahre nach Gründung der modernen BWL noch nicht vollständig geklärt.Footnote 311

Eine erste wissenschaftstheoretisch fruchtbare Untersuchung, welche eine Einordnung der Betriebswirtschaftslehre ermöglicht und zugleich den intensiven methodologischen Diskurs um die richtige fachinhaltliche Ausrichtung wieder aufgreift, kann in der Differenzierung zwischen Ideal- und RealwissenschaftenFootnote 312 aufgefunden werden.Footnote 313 Idealwissenschaften können hierbei als diejenigen Wissenschaftsdisziplinen aufgefasst werden, bei welchen die Erkenntnisgegenstände „in Form von Denkprozessen des Menschen geschaffen [werden]. Sie sind losgelöst vom menschlichen Denken nicht [notwendigerweise] existent.“Footnote 314 Ähnlich formuliert auch Bardmann: „Unter dem Etikett der Idealwissenschaften subsumiert man jene Wissenschaften, deren Untersuchungsgegenstände keine empirische Basis benötigen.“Footnote 315 Klassische Beispiele für idealwissenschaftliche Disziplinen sind folglich die Mathematik, Logik, Philosophie oder Theologie.Footnote 316 Diese fokussieren demgemäß nicht auf empirische Aussagekategorien, sondern operieren in der Regel logisch oder fundieren ihre Argumente mittels metaphysischer Aussagen.

Im Gegensatz hierzu befassen sich realwissenschaftliche Disziplinen mit real existierenden Phänomenen, welche folglich im Sinne PoppersFootnote 317 auch einer empirischen Überprüfung zugänglich sind.Footnote 318 Konsequenterweise hat sich im Bereich der Realwissenschaften vielfach der Kritische Rationalismus als Standardparadigma durchgesetzt, welcher fordert, dass empirische Hypothesen (möglichst) falsifizierbar gestaltet sein müssen. Grundgedanke ist hierbei, aus empirischen Fehlprognosen zu lernen und damit die Prognosefähigkeit von Theorien zu verbessern. So betont auch Schanz, dass bei realwissenschaftlichen Aussagen im Vergleich zu formalen Aussagen nicht ausschließlich eine Prüfung auf logische Widersprüche, sondern zusätzlich eine „Kontrolle anhand von FaktenFootnote 319 vorzunehmen ist. Klassische Beispiele für realwissenschaftliche Disziplinen sind hierbei die Naturwissenschaften wie Physik, Biologie oder Chemie, aber auch die empirisch ausgerichteten Sozialwissenschaften, welche im Rahmen dieser Arbeit als Disziplinen aufgefasst werden, die das tatsächliche individuelle wie kollektive Handeln des Menschen in den Fokus rücken.Footnote 320

Insbesondere seit der Begründung der verhaltenswissenschaftlichen Schule der Betriebswirtschaftslehre wird vielfach der sozialwissenschaftliche Charakter wirtschaftswissenschaftlicher Forschung hervorgehoben. In diesem Sinne betonen auch Peters, Brühl und Stelling paradigmatisch: „Die Wirtschaftswissenschaften stellen ein Teilgebiet der Sozialwissenschaften dar, weil die Phänomene des Wirtschaftens, die ihr Gegenstandsgebiet ausmachen, sich auf Entscheidungen und Handlungen von Menschen in sozialen Systemen beziehen […].“Footnote 321 Obgleich sich diese Begründung in der Literatur einer breiten Zustimmung erfreutFootnote 322, so ist bereits in diesem Kontext darauf hinzuweisen, dass betriebswirtschaftliche Untersuchungen nicht nur auf soziale Phänomene des Betriebs fokussieren, sondern vielmehr in einem erweiterten Sinne gerade auch sozio-technischen Interaktionen eine bedeutsame Rolle als Untersuchungsobjekt zukommt.Footnote 323 Insgesamt kann dabei festgestellt werden, dass in einer großen Anzahl betriebswirtschaftlicher Schriften die Disziplin heute als Real-Footnote 324 und insbesondere auch als Sozialwissenschaft aufgefasst wirdFootnote 325, welchen sich diese Arbeit konzeptionell anschließt. Eine Zusammenfassung dieser Überlegungen visualisiert auch nochmals die folgende Abbildung 2.4.

Abbildung 2.4
figure 4

Einordnung der BWL als Real- und SozialwissenschaftFootnote

Lingnau, V. et al. (2018), S. 3.

Obschon die oben ausgeführte Klassifikation heute in der betriebswirtschaftlichen Literatur vielfach verbreitet ist, so zeigten die historischen Ausführungen zu Beginn, dass gerade im deutschsprachigen Raum neben einer realwissenschaftlichen Interpretation der BWL bis heute eine an Gutenberg angelehnte idealbetrieblich orientierte Ausrichtung existiert, so dass die Einordnung der Disziplin abschließend noch differenzierter vorgenommen werden soll. Die Differenzierung zwischen beiden Theoriesträngen ergibt sich hierbei durch die Frage, inwiefern eine adäquate Rekonstruktion der empirischen Realität intendiert ist. In diesem Sinne differenziert auch Heinen: „Von einer Realtheorie spricht man, wenn ein Aussagensystem in allgemeiner Weise über die Wirklichkeit zu unterrichten vermag. […] Eine Idealtheorie erhebt nur den Anspruch auf logische Gültigkeit ihrer Aussagen, nicht dagegen auf Unterrichtung über das wirkliche Geschehen.“Footnote 327

Betrachtet man die betriebswirtschaftliche Grundlagenliteratur, so wird, wie dargelegt wurde, vielfach eine systematisierende Zweiteilung in eine mikroökonomisch-wirtschaftstheoretische IdealtheorieFootnote 328 und praktisch-managementorientierte Realtheorie vorgenommen.Footnote 329 Wie die vorigen Ausführungen, insbesondere auch zur wissenschaftstheoretischen Kontroverse um die Zulässigkeit von Werturteilen darlegte, erscheint diese Zweiteilung jedoch noch verkürzt. So existierten, gerade zu Beginn der BWL auch vielfach ethisch-normative Konzeptionen von Betrieben (z. B. als organische Gemeinschaft bei Nicklisch), während die realwissenschaftliche Position nicht nur als managementorientierte Ausrichtung präskriptiv bzw. praktisch-normativ auftritt, sondern (gerade im englischsprachigen Schrifttum) heute vielfach auch als möglichst reine empirische Tatsachenforschung existiert. Folglich erscheint eine genauere vierfache Differenzierung sinnvoll, welches die nachfolgende Abbildung 2.5 nochmals verdeutlicht.

Abbildung 2.5
figure 5

Überblick über zentrale Wissenschaftsauffassungen der BWL

Im Rahmen dieser Arbeit wird dabei letzterer Einordnung gefolgt, welche die BWL als anwendungsorientiert und realwissenschaftlich fundiert begreift. In diesem Sinne betonen auch Schweitzer und Schweitzer: „Die Betriebswirtschaftslehre ist eine angewandte Realwissenschaft, die Erkenntnisse über menschliches Handeln als nach außen orientierte Willenstätigkeit zur Verfügung stellen soll. Das Wissenschaftsziel, welches ihr damit auferlegt wird, ist in erster Linie ein pragmatisches, das sie zweckmäßig durch das Formulieren instrumentaler Aussagensysteme erfüllt.“Footnote 330

Soll eine präskriptive bzw. managementorientierte BWL folglich nicht nur metaphysisch (z. B. durch Offenbarungswissen), sondern auch empirisch belastbar argumentieren können, ist eine Auseinandersetzung mit den empirischen Konsequenzen praktisch-normativer Aussagen unabdingbar. In vorliegender Arbeit wird hierbei, wie im Weiteren noch verdeutlicht wird – gerade aus ethischer Perspektive –, letztere der diskutierten betriebswirtschaftlichen Wissenschaftspositionen aufgegriffen. In diesem Sinne kann (und muss) die Betriebswirtschaftslehre dem Management Unterstützung in realen Problemlösungssituationen bereitstellenFootnote 331 bzw. Gestaltungsempfehlungen anbieten. Hierzu sind wiederum solide, empirisch geprüfte ErkenntnisseFootnote 332 unabdingbar.Footnote 333 Diese Überlegungen gelten dabei nicht nur für operative oder strategische Überlegungen, sondern gerade auch für normative Fragestellungen, wenn die Unternehmensethik im praktischen betriebswirtschaftlichen Sinne das Instrumentarium liefert, um mit überzeugenden Argumenten bzw. im strukturierten Sinne die Legitimität normativer Aussagen zu reflektieren.Footnote 334

Nachdem nun das dieser Arbeit zugrunde liegende Wissenschaftsverständnis der BWL aufgezeigt wurde, stellt sich die Frage, welchen realweltlichen Gegenstand die BWL in den Fokus ihrer Betrachtungen rückt. Eine solche Betrachtung folgt im nachfolgenden Kapitel.

2.6.3 Eingrenzung des betriebswirtschaftlichen Forschungsgegenstandes

Neben der Einordnung als real- und sozialwissenschaftliche Disziplin erscheint des Weiteren auch die genauere Beschäftigung mit dem Forschungsgegenstand der BWL von Interesse. Nach Göbel können hierzu insgesamt drei Abgrenzungsvorschläge herausgearbeitet werden. So existieren einige Ansätze, welche die Betriebswirtschaftslehre als Lehre vom Betrieb auffassen. Kritisch wäre hieran jedoch zu sehen, dass sich mit dem Realobjekt des Betriebs durchaus auch andere Disziplinen beschäftigenFootnote 335, so dass eine genauere Eingrenzung notwendig erscheint. Als zweite Begriffsbestimmung nennt Göbel das Wirtschaften in Betrieben als möglichen Forschungsgegenstand. Jedoch sei hier der Begriff des Wirtschaftens zu vage definiert, so dass Göbel schließlich in der betriebswirtschaftlichen Tradition Heinens vorschlägt, Betriebswirtschaftslehre als rationales Entscheiden in Betrieben aufzufassen, wobei das ökonomische Prinzip anzuwenden sei.Footnote 336

Eine Durchsicht der Literatur zeigt, dass in der Tat einige Autoren die BWL als Lehre von Betrieben begreifen, wobei der Betriebsbegriff vielfach mit dem Terminus der Wirtschaft kombiniert wird. So definiert Hahn die BWL explizit als „Lehre vom Wirtschaftsbetrieb“Footnote 337. Analog betont auch Preitz: „Die Betriebswirtschaftslehre ist die Lehre vom Wirtschaftsbetrieb.“Footnote 338 Wie Göbel richtigerweise hervorhebt, erscheint vor dem Hintergrund der Mannigfaltigkeit möglicher fachspezifischer Zugänge jedoch eine Konkretisierung notwendig, welche den Forschungsgegenstand der BWL noch genauer spezifiziert. Aus diesem Grunde fokussieren weitere Autoren auf das Wirtschaften, d. h. auf die Tätigkeit der Disposition über knappe RessourcenFootnote 339, welche für die Betriebswirtschaftslehre als spezifisch erachtet wird. In diesem Sinne postuliert beispielsweise Sturm: „Die Betriebswirtschaftslehre ist die Lehre vom Wirtschaften in Betrieben.“Footnote 340 Gleichsam definieren auch Schweitzer und Schweitzer: „Die Betriebswirtschaftslehre befasst sich mit dem Wirtschaften in Betrieben […].“Footnote 341 In einem erweiterten Sinne, aber ähnlich, betonen auch Vahs und Schäfer-Kunz: „Gegenstand und Erkenntnisobjekt der Betriebswirtschaftslehre ist das Wirtschaften in und von Betrieben.“Footnote 342 Schließlich konstatieren auch Schierenbeck und Wöhle, dass die Wirtschaftswissenschaften als das „spezifische Untersuchungs- bzw. Erkenntnisobjekt das wirtschaftliche Handeln des Menschen [besitzen], wobei sie ihre normative Basis aus dem ökonomischen Prinzip ableiten.“Footnote 343

Aus letzterer Definition wird jedoch bereits ersichtlich, dass die meisten Autoren, welche auf das Wirtschaften in Betrieben abstellen, diese dispositive Tätigkeit nicht pauschal empirisch undifferenziert untersuchen, wodurch die Kritik des zweiten Zugangs nach Göbel eher relativiert erscheint.Footnote 344 Vielmehr fokussieren die meisten Definitionen der BWL (zumindest implizit) auf die optimale Wirtschaftlichkeit des Wirtschaftens als MaßstabFootnote 345, anhand welchem die betrieblichen Dispositionsleistungen evaluiert werden können, womit diese Ansätze mit dem dritten Definitionskonzept nach Göbel korrespondieren.

Lässt man nun die Kritik Göbels an der zweiten Definitionsmöglichkeit der BWL mit einem unpräzisierten Zugang zum Wirtschaftlichkeitsbegriff beiseite, so ergeben sich zwei Zugänge zum Forschungsgegenstand der BWL, welche in einem hierarchischen Verhältnis zueinander stehen: zum einen das Realphänomen „Betrieb“, zum anderen die an diesem Phänomen interessierenden fachspezifischen Eigenschaften. Diese Zweiteilung korrespondiert mit der in der Grundlagenliteratur vielfach rezipierten DifferenzierungFootnote 346 zwischen Erfahrungs- und Erkenntnisobjekt der Betriebswirtschaftslehre.Footnote 347 Während das Erfahrungsobjekt „Betrieb“ als Ausschnitt der Realität, welcher einer wissenschaftlichen Untersuchung unterzogen wird, durchaus interdisziplinär betrachtet werden kann, so erfolgt mit dem s. g. Auswahlprinzip eine Eingrenzung der an diesem Realitätsausschnitt interessierenden Eigenschaften. Hierbei wird folglich von nicht interessierenden Eigenschaften des Erfahrungsobjekts abstrahiert.Footnote 348 Im Kontext der Betriebswirtschaftslehre kann dabei die Wirtschaftlichkeit als disziplinspezifischer Filter festgemacht werdenFootnote 349, wodurch sich das betriebswirtschaftliche Erkenntnisobjekt der Wirtschaftlichkeit des Wirtschaftens in Betrieben konstituiert. In diesem Sinne formulieren auch Wöhe, Döring und Brösel prägnant: „Von anderen Forschern unterscheidet sich der Betriebswirt dadurch, dass er das Erfahrungsobjekt ‚Betrieb‘ durch die ‚Brille der Wirtschaftlichkeit‘ betrachtet.“Footnote 350

Wie die Durchsicht der betriebswirtschaftlichen Grundlagenwerke, so auch beispielsweise bei Wöhe, Döring und Brösel, zeigt, wird jedoch vielfach diese Wirtschaftlichkeit per se mit dem ökonomischen Prinzip als Filter gleichgesetzt, welches konzeptionell zu problematisieren ist. Dies scheint letztlich auch am Begriffsverständnis nach Göbel kritisch, da mit dem ökonomischen Prinzip nicht nur die Wirtschaftlichkeit als Maßgröße und Erkenntnisfilter (voraus)gesetzt, sondern diese Größe zugleich mit der normativen Aussage der Optimalität der Wirtschaftlichkeit vermischt wird. So kann grundsätzlich zwischen dem Begriff der Wirtschaftlichkeit als reiner Messgröße und einer Evaluation von „Wirtschaftlichkeit“ im Sinne optimaler Effizienz differenziert werden.Footnote 351 Als Messgröße bezeichnet die Wirtschaftlichkeit in einem ersten Schritt lediglich das Verhältnis von Output zu InputFootnote 352, welches den originären betriebswirtschaftlichen Forschungsfokus bereits wiedergibt. Erst mit dem ökonomischen Prinzip bzw. Rationalprinzip erfolgt eine evaluative Betrachtung, durch welche auch Handlungsempfehlungen gegeben werden können (praktisch-normative Aussagen). Folglich erscheint es aus Gründen der konzeptionellen Präzision sinnvoll, zwischen der empirischen Dimension der messbaren Wirtschaftlichkeit des Wirtschaftens (Erkenntnisobjekt der BWL) und der normativen Aussage, eine optimale Wirtschaftlichkeit sei anzustreben (ökonomisches Prinzip) bzw. welche Handlungen hierzu praktisch-normativ zu wählen seien, zu differenzieren.

Diese Überlegungen zeigt nochmals die folgende Abbildung 2.6 auf.

Abbildung 2.6
figure 6

Erfahrungs- und Erkenntnisobjekt der BWLFootnote

In Anlehnung an Wöhe, G. / Döring, U. / Brösel, G. (2020), S. 33.

Damit kann aus einer wissenschaftstheoretisch reflektierten Perspektive die folgende Definition zum betriebswirtschaftlichen Forschungsgegenstand gegeben werden: Betriebswirtschaftslehre betrachtet das betriebliche Wirtschaften, wobei die Wirtschaftlichkeit als Maßgröße im Fokus steht. Oder noch prägnanter: Die BWL befasst sich mit der „Wirtschaftlichkeit des betrieblichenFootnote 354 Wirtschaftens.“Footnote 355 Fasst man die BWL dabei nicht nur als rein positive, empirisch verfahrende Wissenschaft mit dem Filter der Wirtschaftlichkeit des Wirtschaftens auf, sondern auch als Disziplin, welche GestaltungsempfehlungenFootnote 356 (im Sinne Schmalenbachs) zu geben vermagFootnote 357, so sind des Weiteren nach dem ökonomischen Prinzip Gestaltungsempfehlungen ableitbar, um das (normativ begründete) Ideal eines optimalen Faktoreinsatzes zu erreichen.

Grundsätzlich können dabei drei Ausprägungsformen des ökonomischen Prinzips unterschieden werden: Während das Maximumprinzip eine Maximierung des Outputs bei gegebenem Input verlangt, fokussiert das Minimumprinzip auf die Minimierung des Inputs bei gegebenem Output. Schließlich wird in der Literatur vielfachFootnote 358 zusätzlich das allgemeine Optimumprinzip bzw. Extremumprinzip erörtert, welches ein möglichst günstiges Verhältnis von Output zu Input fordert.Footnote 359 Zudem kann abschließend in der historischen Entwicklung der Betriebswirtschaftslehre eine Verschiebung der inhaltlichen Interpretation des ökonomischen Prinzips erkannt werden. Während die BWL bei Schmalenbach noch auf eine praktische Unterstützung (Kunstlehre) zur bestmöglichen Versorgung mit Gütern fokussierte (materiales ökonomisches Prinzip), findet spätestens mit Gutenberg eine Verschiebung zum formal-ökonomischen Prinzip statt, welches keine inhaltliche Vorentscheidung hinsichtlich des zugrunde gelegten Zwecks vornimmt, sondern vielmehr eine allgemeine Lehre vom „rationalen“ EntscheidenFootnote 360 beliebiger Zwecke intendiert.Footnote 361

Nachdem nun der fachspezifische „Filter“ der Betriebswirtschaftslehre erörtert und damit eine Differenzierung zwischen Erfahrungs- und Erkenntnisobjekt ermöglicht wurde, stellt sich noch die Frage, welche realen Entitäten als „Betriebe“ nun genau das anhand der Wirtschaftlichkeit des Wirtschaftens betrachtete Erfahrungsobjekt der BWL repräsentieren. Dies ist Gegenstand des nächsten Abschnitts.

2.6.4 Systematisierung des Erfahrungsobjekts Betrieb

2.6.4.1 Bisheriger Forschungsstand

Ebenso wie die grundlegenden Fragen zur wissenschaftlichen Verortung der BWL verdeutlicht auch die vertiefte Auseinandersetzung mit dem Betriebsbegriff selbst die große Heterogenität an konzeptionellen Zugängen. So zeigt die Literaturdurchsicht, dass auch das Erfahrungsobjekt der BWL bisher nicht einheitlich aufgefasst wird. In diesem Sinne betont Siepmann: „Doch auf die letztlich entscheidenden Fragen, nämlich was denn nun eigentlich ein Betrieb ist, aus welchen Güterarten er sich zusammensetzt, welchen Zwecken er dient, was in oder mit ihm geschieht, wem er gehört und welche Ziele sein Inhaber mit ihm verfolgt, da fehlt es bis heute an befriedigenden Antworten.“Footnote 362 So kann insgesamt eine vielfach in der Literatur beklagte Uneinigkeit über diesen zentralen betriebswirtschaftlichen Begriff festgestellt werdenFootnote 363, wie auch Schweitzer und Schweitzer hervorheben: „Unter den Wissenschaftlern der Betriebswirtschaftslehre herrscht nur begrenzt Einigkeit über den Umfang des Erfahrungsgegenstands und über die Bezeichnung seiner Elemente.“Footnote 364

Die Problematik zeigt sich auch in der bedeutsamen Abgrenzung zum Terminus des Unternehmens, welche ebenfalls kaum einheitlich vorgenommen wird. So subsumiert Korndörfer: „In der deutschsprachigenFootnote 365 Betriebswirtschaftslehre sind die Begriffe ‚Betrieb‘ und ‚Unternehmen‘ sowie ihre Beziehungen untereinander nicht einheitlich bestimmt. Zum Teil werden beide Begriffe als SynonymaFootnote 366 gebraucht, zum Teil stehen sie in einem Verhältnis der Über- oder Unterordnung.“Footnote 367 Ähnlich betont auch Wittgen: „Eine einheitliche Abgrenzung von ‚Betrieb‘ und ‚Unternehmung‘ hat sich in der betriebswirtschaftlichen Literatur ebensowenig durchgesetzt, wie ein allgemein akzeptierter Betriebsbegriff.“Footnote 368 Auch Busse von Colbe und Laßmann rezipieren die Heterogenität des Betriebs- und Unternehmensbegriffs und halten fest: „Eine einheitliche Definition der Begriffe Betrieb und Unternehmung läßt sich in der betriebswirtschaftlichen Literatur nicht erkennen.“Footnote 369 Schließlich betont auch Schultz die Diversität in der Begriffsverwendung, wobei er zudem auf die Unschärfe der Termini selbst im rechtlichen KontextFootnote 370 hinweist: „Die Begriffe Betrieb und Unternehmung (= Unternehmen) sind im allgemeinen nicht exakt festgelegt. In den einschlägigen Gesetzen wird meist nicht zwischen Betrieb und Unternehmung unterschieden. Die Wirtschaftssprache benutzt die Termini Betrieb und Unternehmung überwiegend synonym.“Footnote 371

Da der Betriebs- wie auch der Unternehmensbegriff als zentral für die betriebswirtschaftliche Forschung aufgefasst werden kann, erscheint eine vertiefte konzeptionelle Auseinandersetzung bedeutsam. Hierzu werden im Folgenden zuerst einmal zwei weitverbreitete Zugänge zum Betriebsbegriff kritisch evaluiert, bevor eine neue Betriebskonzeption präsentiert wirdFootnote 372, womit sich auch der Begriff des Unternehmens als spezifischer Betriebstyp klarer herausarbeiten lässt.Footnote 373

Ein erster klassischer, vielfach in der betriebswirtschaftlichen Grundlagenliteratur rezipierter Ansatz geht auf Gutenberg zurück.Footnote 374 Gutenberg differenziert dabei die existierenden Wirtschaftseinheiten nach der Frage, ob diese dominant der Fremd- oder Eigenbedarfsdeckung dienen. Auf Fremdbedarfsdeckung fokussierte Einheiten werden in diesem Zusammenhang als Betriebe bezeichnet, während Haushalte als diejenigen Wirtschaftseinheiten definiert werden, welche der Deckung vornehmlich eigener Bedarfe dienen. Hieran anknüpfend kann nun auch das Unternehmen als spezifischer Betriebstyp herausgearbeitet werden. Die Betriebstaxonomie Gutenbergs beruht dabei auf der Auseinandersetzung mit den markt- und planwirtschaftlichen Wirtschaftssystemen des letzten Jahrhunderts. Betriebe werden hierbei durch die systemindifferenten Eigenschaften der Kombination von Produktionsfaktoren, der Bedeutung des Wirtschaftlichkeitsprinzips sowie des Prinzips des finanziellen Gleichgewichts gekennzeichnet und treten in allen Wirtschaftssystemen auf. Unternehmen sind zusätzlich durch das Prinzip der Autonomie, der Alleinbestimmung (Privateigentum) sowie des erwerbswirtschaftlichen PrinzipsFootnote 375 gekennzeichnet und damit charakteristisch für die marktwirtschaftliche Wirtschaftsordnung.Footnote 376 Unternehmen können somit bei Gutenberg als spezifischer, marktwirtschaftlicher Betriebstyp aufgefasst werden. Die folgende Abbildung 2.7 fasst die Überlegungen Gutenbergs nochmals zusammen.

Abbildung 2.7
figure 7

Abgrenzung des Betriebsbegriffs in Anlehnung an GutenbergFootnote

Lingnau, V. / Beham, F. / Fuchs, F. (2020), S. 5.

Obschon die Klassifizierung nach Gutenberg eine große Verbreitung in der Fachliteratur gefunden hat, so zeigen sich doch auch einige konzeptionelle Schwächen. Ein erster Kritikpunkt kann in der Kopplung an den historischen Systemstreit zwischen markt- und planwirtschaftlichen Wirtschaftsordnungen gefunden werden, welches in der heutigen wirtschaftlichen Realität zunehmend problematisch erscheint. So wären nach der Klassifikation Gutenbergs bspw. viele chinesische Staatsunternehmen lediglich Betriebe, aber keine „Unternehmen“, obwohl diese i. d. R. klar erwerbswirtschaftlich orientiert sind, ihnen jedoch möglicherweise eine hinreichende Autonomie und Alleinbestimmung fehlt. Darüber hinaus wären „öffentliche Haushalte“ im strengen Sinne nicht mehr den Betrieben zuzuordnen, welches dann wiederum große Teile der ÖBWL beträfe, deren Erfahrungsobjekt kontraintuitiv nun nicht mehr als „Betrieb“, sondern als „Haushalt“ zu bezeichnen wäre. Fachwissenschaftlich stellt sich zudem die Frage, inwiefern sich die Differenzierung nach Gutenberg auch hinsichtlich des benötigten betriebswirtschaftlichen Instrumentariums als trennscharf erweist. Hierbei geht es folglich um die Frage, „ob [sich] wirtschaftliche Fragen bei (dominierender) Eigenbedarfsdeckung [.] grundsätzlich von denen bei (dominierender) Fremdbedarfsdeckung unterscheiden.“Footnote 378

Ein zentraler Kritikpunkt an der Klassifikation Gutenbergs kann folglich in der Gegenüberstellung von Betrieben und Haushalten gesehen werden, da diese den Betriebsbegriff zu eng und lediglich auf die Fremdbedarfsdeckung fokussiert auffasst. Ein alternativer Ansatz, welcher an dieser Schwachstelle anknüpft, stammt von Kosiol. Dieser stellt den Betrieb nicht dem Haushalt gegenüber, sondern verwendet den Betriebsbegriff vielmehr als zentralen Überbegriff, wobei sich dieser wiederum je nach vorherrschender Fremd- oder Eigenbedarfsdeckung weiter differenzieren lässt. Während, wie auch bei Gutenberg, Haushalte weiterhin als primär der Eigenbedarfsdeckung dienend aufgefasst werden, repräsentieren nun Unternehmen diejenigen Wirtschaftseinheiten, welche auf eine Deckung fremden Bedarfs ausgerichtet sind.Footnote 379 Diese Überlegungen Kosiols fasst nochmals die folgende Abbildung 2.8 zusammen.

Abbildung 2.8
figure 8

Abgrenzung des Betriebsbegriffs nach KosiolFootnote

Lingnau, V. / Beham, F. / Fuchs, F. (2020), S. 6.

Als zentraler Vorteil der Klassifikation Kosiols kann die Verwendung des Betriebs als Überbegriff erachtet werden, da hierdurch bspw. auch Vereine als „abgeleitete private Haushalte“ sowie öffentliche Verwaltungen terminologisch direkt dem Erfahrungsobjekt der Betriebswirtschaftslehre zugerechnet werden können. Allerdings existieren auch bei Kosiols Begriffsklassifikation aus heutiger Sicht konzeptionelle Schwächen, z. B. bei vielen Nichtregierungsorganisationen oder Stiftungen. Das Grundproblem besteht auch bei Kosiol in der beibehaltenen Differenzierung nach der dominanten Ausrichtung in Eigen- und Fremdbedarfsdeckung, welche heute zunehmend problematisch erscheint. So dienen etliche global operierende Entitäten wie bspw. Greenpeace oder Amnesty International, aber auch nationale Institutionen wie Stiftung Warentest, nicht nur ihren Mitgliedern und wären der Terminologie Kosiols nach folglich (auch) als Unternehmen zu kategorisieren. Hingegen wären Wohnungsbaugenossenschaften, welche lediglich ihren Mitgliedern Wohnraum offerieren, kontraintuitiv als „Haushalt“ einzuordnen. Konträr hierzu würden wiederum gemeinnützige Wohnungsbaugesellschaften, die sich mit betriebswirtschaftlich vergleichbaren Problemen konfrontiert sehen, als „Unternehmen“ bezeichnet. Des Weiteren ergeben sich auch konzeptionelle Schwierigkeiten in Bezug zur rechtlichen Sphäre. So sind im Sinne der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kartellrechtlich alle wirtschaftenden Einheiten als Unternehmen aufzufassen. Dies würde auch die Haushalte im Sinne Kosiols umfassen, da auch diese regelmäßig über knappe Mittel disponieren, d. h. wirtschaftend tätig sind. Darüber hinaus erscheint die Klassifikation auch aus Perspektive des europäischen Unionsrechts problematisch. Hierbei ist nach der beherrschenden Stellung (und nicht der Mehrheit der Eigentumsverhältnisse) der öffentlichen Hand zwischen öffentlichen und privaten Unternehmen zu differenzieren. Dies ist jedoch in der Systematik Kosiols nicht repräsentiert. Schließlich erscheint auch mit dem Wandel des Selbstverständnisses der öffentlichen Verwaltung hin zu einem gesellschaftlichen Dienstleister eine strikte Trennung zwischen Fremdbedarfs- und Eigenbedarfsdeckung zunehmend weniger zweckmäßig.

Neben diesen weitverbreiteten Abgrenzungen des Betriebs- und Unternehmensbegriffs existiert auch noch eine Fülle weiterer konzeptioneller ZugängeFootnote 381, welche z. B. den Betrieb lediglich technisch-instrumentell, das Unternehmen aber als rechtliche oder wirtschaftende Einheit auffassen.Footnote 382 Problematisch an dieser Systematik ist jedoch auch hier, dass in diesem Falle die Betriebswirtschaftslehre – zumindest bei strenger Begriffsauslegung – sich lediglich mit der Gestaltung der technischen Einrichtungen, nicht jedoch mit z. B. arbeitswissenschaftlichen Fragen der Organisationsgestaltung beschäftigen würde. Das Unternehmen wäre wiederum ebenfalls als gesamte Entität, zumindest in der rechtlichen Auffassung, nicht Forschungsgegenstand der BWL.

Betrachtet man die vorgestellten Begriffssystematiken, wobei insbesondere die Klassifikationen nach Gutenberg sowie Kosiol hervorzuheben sind, so ist ersichtlich, dass die vielen Zugänge aus historischer Perspektive durchaus in der Zeit ihrer Entstehung und Verbreitung überzeugend bzw. plausibel erschienen. Wie die kritische Diskussion jedoch verdeutlichte, sind die aufgezeigten Begriffstaxonomien heute kaum mehr geeignet, die Vielfalt der betrieblichen Realität hinreichend genau abzubilden, weshalb sich die Arbeit im Folgenden den systematisierenden Überlegungen nach Lingnau, Beham und Fuchs anschließt. Zentrale Aufgabenstellung einer solch überarbeiteten Taxonomie ist hierbei erstens, dass möglichst der gesamte heutige Gegenstandsbereich der BWL im Betriebsbegriff enthalten sein sollte und zweitens, dass wirtschaftende Entitäten, welche vergleichbare Eigenschaften aufweisen, bzw. vergleichbare betriebswirtschaftliche Fragestellungen aufwerfen, auch in einer Gruppe subsumiert werden.

2.6.4.2 Ein neuer Systematisierungsvorschlag

Aufbauend auf den vorigen Überlegungen seien Betriebe nun anhand Lingnau, Beham und Fuchs wie folgt systematisiert.Footnote 383 Dabei wird in einem ersten Schritt, wie auch bei Kosiol, der Betrieb als Überbegriff genutzt. Betriebe können in diesem Sinne zuerst einmal in Wirtschaftsbetriebe und sonstige Betriebe unterteilt werden. Als Klassifikationskriterium wird hierbei die Absicht einer Erzielung von Umsatzerlösen (d. h. der „Betätigung im geschäftlichen Verkehr“) herangezogen, welche die charakteristische Eigenschaft von Wirtschaftsbetrieben, nicht aber der sonstigen Betriebe darstellt. Die Wirtschaftsbetriebe, welche auch im Rahmen dieser Arbeit besonders relevant sind, werden wiederum, in Anlehnung an die genannten unionsrechtlichen Vorgaben, hinsichtlich des beherrschenden Einflusses in private und öffentliche Wirtschaftsbetriebe differenziert. Öffentliche Wirtschaftsbetriebe sind dabei diejenigen Betriebe, auf die „die öffentliche Hand aufgrund Eigentums, finanzieller Beteiligung, Satzung oder sonstiger Bestimmungen, die die Tätigkeit des Unternehmens regeln, unmittelbar oder mittelbar einen beherrschenden Einfluß ausüben kann“Footnote 384, während im dichotomen Sinne alle weiteren Betriebe der privaten Sphäre zuzurechnen sind. Die Eigentumsverhältnisse sind folglich nur von untergeordneter Rolle, da es letztlich auf den beherrschenden Einfluss, z. B. durch die Rechte bei der Besetzung der Betriebsleitung oder staatliche Kontrollrechte über betriebliche Entscheidungen, ankommt.

Private Wirtschaftsbetriebe können wiederum in erwerbswirtschaftliche und gemeinnützige Wirtschaftsbetriebe differenziert werden, wobei bei ersteren die monetäre Wertschöpfung als primärer Betriebszweck existiert, während im gemeinnützigen FalleFootnote 385 die Wertschöpfung nur sekundär zur Verwirklichung eines anderen Zwecks auftritt (z. B. im Kontext von Social EntrepreneurshipFootnote 386). Öffentliche Wirtschaftsbetriebe können wiederum in Überschussbetriebe (z. B. Deutsche Bahn), Kostendeckungsbetriebe (z. B. kommunale Wasserwerke, Wertstoffhöfe) sowie Zuschussbetriebe (z. B. öffentliche Theater) differenziert werden. Öffentliche Überschussbetriebe sind hierbei, analog zu den gemeinnützigen, privaten Wirtschaftsbetrieben, durch ihren sekundären Fokus auf die zu erzielende Wertschöpfung geprägt. Die Generierung von Wertschöpfung ist folglich intendiert, diese dient dann aber einem gesamtgesellschaftlichen Zweck (z. B. Abschöpfung für öffentliche Infrastrukturprojekte). Kostendeckungsbetriebe werden dagegen nicht mit der Intention einer Erzielung eines Wertschöpfungsüberschusses betrieben und müssen lediglich ihre Kosten decken, während Zuschussbetriebe durch die generierten Umsatzerlöse alleine noch nicht ihre bezogenen Vorleistungen decken können und folglich auf weitere staatliche Unterstützung zur Zweckverfolgung (z. B. Förderung von Kunst und Kultur) angewiesen sind. Die nachfolgende Abbildung 2.9 fasst die bisherigen Überlegungen nochmals anschaulich zusammen.

Abbildung 2.9
figure 9

Übersicht über die verschiedenen Formen der WirtschaftsbetriebeFootnote

Lingnau, V. / Beham, F. / Fuchs, F. (2020), S. 61.

Wie die Abbildung verdeutlicht, werden unter dem Terminus „Unternehmen“ im Rahmen dieser Arbeit alle Betriebe subsumiert, deren Zweck im primären oder sekundären Sinne auf der Generierung von (ökonomischer)Footnote 388 Wertschöpfung liegt.Footnote 389 Teilweise wird in der Literatur auch noch weiter zwischen dem Begriff des Unternehmens und der Unternehmung differenziert, wobei die Intention verfolgt wird, genauer zwischen einem funktionalen und institutionellen Begriffsverständnis zu unterscheiden. So stellt Kolbeck heraus, dass der Versuch unternommen wurde, das Unternehmen als Institution aufzufassen, während die Unternehmung den funktionalen Aspekt der unternehmerischen Tätigkeit widerspiegele.Footnote 390 Demgegenüber betont konträr jedoch beispielsweise Kosiol, dass das Suffix „-ung“ eine Entität kennzeichne, substantivierte Verben jedoch eine Tätigkeit repräsentierten.Footnote 391 Folglich wäre die Unternehmung hier als Institution zu begreifen, während das Unternehmen den funktionalen Aspekt widerspiegelt. Wie diese Beispiele zeigen, kann in diesem Kontext kaum von einem klaren Konsens zur Verwendung der beiden Termini ausgegangen werden. Da die Differenzierung im Weiteren auch keinen zusätzlichen Erkenntnis- oder terminologischen Präzisionsgewinn zu generieren verspricht, wird im Folgenden der vorherrschenden begrifflichen Praxis gefolgtFootnote 392 und auf eine weitere Differenzierung verzichtet. Beide Bezeichnungen werden dabei, wie in der Literatur weitverbreitet, als Synonyme aufgefasstFootnote 393, wobei lediglich der Terminus des Unternehmens Verwendung findet.Footnote 394

Die korrespondierende Frage, welche Leitgröße zur Unternehmensführung und periodischen Messung des Unternehmenserfolgs herangezogen werden sollte, wird dabei in der Literatur bis heute kontrovers diskutiert und reicht von traditionellen Shareholder Value-orientierten Konzepten bis hin zu vielfältigen umfassenderen, häufig stakeholderorientierten Ansätzen wie dem Shared ValueFootnote 395, Public ValueFootnote 396 oder dem Stakeholder Value AddedFootnote 397.Footnote 398

Grundsätzlich soll in dieser Arbeit nicht der modernen UminterpretationFootnote 399 und konzeptionellen Verengung des Wertschöpfungsbegriffs auf das Shareholder Value-ParadigmaFootnote 400 gefolgt werden, bei welchem als „single objective function“Footnote 401 nur eine Maximierung des Eigenkapitalwertes Berücksichtigung findet. Eine solch verkürzte Position erscheint überaus fraglich, da die im Sinne des Shareholder Values vertretene Residualwertmaximierung (nach Befriedigung aller anderen Stakeholderansprüche) nur im Falle vollkommener Märkte (und insbesondere auch vollständiger Verträge) komplementär mit allen weiteren Stakeholderansprüchen wäre.Footnote 402 Aus diesem Grunde wird im Rahmen dieser Arbeit vielmehr den Überlegungen Hallers gefolgt, welcher ein traditionelles WertschöpfungskonzeptFootnote 403 vertritt, in welchem die Wertschöpfung als Überschuss über die bezogenen betrieblichen Vorleistungen interpretiert werden kann.Footnote 404 Neben dieser, als Subtraktionsmethode (Entstehungsrechnung) gekennzeichneten Berechnung der ökonomischen Wertschöpfung, kann diese auch in einem additiven Sinne (Additionsmethode bzw. Verteilungs- oder Verwendungsrechnung) ermittelt werdenFootnote 405, wodurch die anspruchspluralistische Ausrichtung des Wertschöpfungskonzeptes noch klarer hervortritt. Hierbei wird die Wertschöpfung als Summe der Einkommen diverser Anspruchsgruppen (so z. B. der Mitarbeiter, des Staates, der Kapitalgeber etc.) ermittelt. In diesem Sinne gilt daher mit Kreklow, dass die Wertschöpfung wesentlich besser geeignet ist, den gesamten Unternehmenserfolg widerzuspiegeln, „im Gegensatz zu einem ‚Unternehmererfolg‘, der ausschließlich auf einen Mehrwert für den Unternehmer, heute die Eigenkapitalgeber, fokussiert.“Footnote 406 Zusammengefasst ist somit festzuhalten, dass Unternehmen im Rahmen dieser Arbeit als spezifische Betriebe aufgefasst werden, welche im primären oder sekundären Sinne auf die Erzielung ökonomischer Wertschöpfung fokussiert sind (Betriebszweck).Footnote 407

Da sich die vorliegende Arbeit im Weiteren vor allem mit dem Gebiet der Unternehmensethik beschäftigt, sind von den aufgezeigten Betriebstypen die Unternehmen in besonderem Maße relevant. Obschon, wie aufgezeigt wurde, Unternehmen lediglich eine Teilmenge der Betriebe repräsentieren, ist einerseits ein gewisser Fokus auf den unternehmerischen Betriebstypus in der betriebswirtschaftlichen Forschungs-Footnote 408 und Publikationstätigkeit kaum zu leugnenFootnote 409, wobei sogar vielfach die von Aktiengesellschaften betriebenen Unternehmen in das Zentrum der Analyse gerückt werden.Footnote 410 Andererseits werden gerade Unternehmen hinsichtlich ihrer Zielsetzungen wie Tätigkeiten in der Öffentlichkeit besonders kritisch beobachtet und sehen sich einem steigenden Legitimierungsdruck gegenüber, weshalb der konzeptionelle Fokus aus ethischer Perspektive auf diese Betriebsart ebenfalls gerechtfertigt erscheint. Im Folgenden befasst sich die Arbeit daher vor allem mit dem spezifischen Typus des Unternehmens, obschon viele der grundsätzlichen unternehmensethischen Überlegungen prinzipiell auch auf andere Betriebsformen übertragbar sind.

Nachdem nun einige zentrale konzeptionelle Grundlagen erörtert, ein historischer Rückblick auf die Bedeutung normativer Aussagen in der BWL gegeben sowie ein modernes Forschungsverständnis der BWL aufgezeigt wurde, wird im letzten Abschnitt dieses Kapitels die Relevanz wirtschafts- bzw. unternehmensethischer Überlegungen für die betriebswirtschaftliche Forschung zusammenfassend begründet.

2.7 Schlussfolgerung – Oder: Die Relevanz ethischer Überlegungen für die BWL als praktisch-normative Disziplin

Wie aufgezeigt wurde, schließt sich diese Arbeit dem Verständnis der Betriebswirtschaftslehre als angewandte und zugleich realwissenschaftlich fundierte Disziplin an, welche folglich praktische Handlungsempfehlungen zu geben vermag, die jedoch wiederum auf einem soliden wissenschaftstheoretischen wie auch fachspezifisch-konzeptionellen sowie empirisch belastbaren Fundament beruht. So folgt die Arbeit der Auffassung Lingnaus, „daß das Ziel der wissenschaftlichen Arbeit im Bereich der Betriebswirtschaftslehre nicht die ausschließliche Erlangung neuen Wissens (‚reine Wissenschaft‘) ist, sondern die darüber hinausgehende Lieferung von Problemlösungshilfen für die Praxis (‚angewandte Wissenschaft‘).“Footnote 411 Dabei ist die Betriebswirtschaftslehre als angewandte Disziplin zwar praktisch orientiert, bedarf jedoch der Grundlagenforschung, um praktische Probleme wissenschaftlich fundiert zu unterstützen.Footnote 412 In diesem Kontext wird zur betrieblichen Handlungsunterstützung vielfach der praktisch-normative Charakter der BWL betont. So fokussiere die BWL gerade nicht auf die Bewertung von Zielen an sich (d. h. primären Werturteilen), sondern bewerte nur die Mittel, um die letztlich unkommentierten Zwecke bzw. ZieleFootnote 413 optimal zu unterstützen (sekundäre Werturteile)Footnote 414, wobei zur optimalen Handlungswahl ein Rückgriff auf das bereits diskutierte ökonomische Prinzip als zentrales normatives Kriterium erfolgt. Diese Überlegungen fasst Neus pointiert zusammen: „Bei praktisch-normativen Theorien wird das von Menschen verfolgte Ziel als exogene Größe betrachtet, ist also selbst nicht Gegenstand der Theorie. Sie macht vielmehr lediglich Aussagen darüber, durch welche Entscheidungen das vorgegebene Ziel am besten erreicht werden kann; diese Form von Theorie hat also einen instrumentalen Charakter.“Footnote 415 Ähnlich heben auch Wöhe, Döring und Brösel hervor, dass bei einer praktisch-normativen Betriebswirtschaftslehre „nicht die Ziele, sondern die zur Zielerreichung eingesetzten Mittel bewertet [werden].“Footnote 416 Wie gezeigt wurde, kann diese Position bis zum ersten Werturteilsstreit und der Position Webers zurückverfolgt werden, welcher normativ-wertende Aussagen ablehnte, allerdings praktisch-normative Aussagen als wissenschaftlich zulässig erachtete.Footnote 417 Die Auffassung der BWL als praktisch-normative Disziplin existiert bereits in der klassischen betriebswirtschaftlichen Literatur und ist in der Interpretation der Fachrichtung als realwissenschaftlich-angewandte Fachdisziplin bis heute weitverbreitet. So bezeichnete auch Heinen die „Betriebswirtschaftslehre als praktisch-normative Wissenschaft“Footnote 418. Ähnlich betont auch Hax, dass sich seit den 1950er Jahren „die Auffassung der Betriebswirtschaftslehre als einer praktisch-normativen Wissenschaft weitgehend durchgesetzt [hat].“Footnote 419 Dabei wird jedoch traditionell das ökonomische Prinzip als rationales Ideal unterstellt, nach welchem die Optimalität der Handlungen evaluiert wird.

Eine praktisch-normativ orientierte Ausrichtung der BWL erscheint dabei prinzipiell aus konzeptioneller Perspektive überzeugend. Allerdings stellt sich die Frage, inwiefern die klassische betriebswirtschaftliche Methodik dann unkommentiert auf jede mögliche Zielsetzung anzuwenden ist, oder ob nicht ggf. neben einer optimalen Mittelwahl auch die Ziele (bspw. bei ZielkonfliktenFootnote 420) selbst zu bewerten – und damit nicht nur die Mittel zur Lösung von ökonomischen Optimierungsproblemen in den Kern der betriebswirtschaftlichen Entscheidungsunterstützung zu rücken wären.Footnote 421 In diesem Sinne wäre z. B. kritisch zu evaluieren, ob sich nicht das Ziel einer Minimierung der Beschaffungskosten durch Bezug aus Konfliktländern ggf. kontraproduktiv auf das eigentliche Oberziel der dauerhaften Existenzsicherung eines UnternehmensFootnote 422 auswirkt. So kann die Auswahl der Handlungsalternative „Beschaffung in Konfliktländern“ scheinbar nach dem ökonomischen Prinzip „rational“ gelöst werden, indem bei gegebenem Output die Kosten für den Input minimiert werden. Wird das Kostenminimierungsziel allerdings nur unkritisch übernommen, so drohen letztlich dramatische Fehlentscheidungen, welche sogar die Existenz des Unternehmens gefährden könnenFootnote 423 – womit bereits die Notwendigkeit, sich auch mit den Zielen selbst kritisch auseinanderzusetzen in der BWL gegeben ist.

Gerade eine kritiklose Anwendung des ökonomischen Prinzips, welches als Entscheidungsmaxime bei der Formulierung oder Evaluation idealer Handlungsalternativen in der formalFootnote 424 orientierten, zweckrationalen Ausrichtung zum Einsatz gelangt, erscheint aus mindestens zwei Gründen problematisch. Zum einen kann die vielfach behauptete „Vernünftigkeit“ des ökonomischen Prinzips, welches in der Literatur durch die Bezeichnung als Rational- oder VernunftprinzipFootnote 425 hervorgehoben wird, bereits im philosophischen Sinne kritisiert werden, da dieses nur eine reine Zweck- und damit eben lediglich partielle RationalitätFootnote 426 umfasst. In diesem Sinne kritisiert auch Göbel, „dass mit der ökonomischen Rationalität noch nicht die umfassende praktische Vernunft wirtschaftlichen Handelns garantiert ist […].“Footnote 427 So könne die klassische ökonomische Rationalität „auf keinen Fall gleichgesetzt werden mit der praktischen Vernunft der Philosophie, denn es ist nur eine technisch-instrumentelle Zweckrationalität, die weder über den Sinn oder Unsinn der Ziele noch über die nicht ins Kalkül einbezogenen langfristigen und globalen FolgenFootnote 428 der Entscheidung und die Zulässigkeit von Mitteln etwas aussagt.“Footnote 429 Auch Ulrich betont: „Aber nicht alles, was ökonomisch als rational gilt, ist deswegen auch schon vernünftig!“Footnote 430

Zum anderen scheint gerade auch zur Unterstützung erfolgreicher unternehmerischer Entscheidungen ein unreflektiertes Vertrauen auf das ökonomische Prinzip problematisch. In diesem Kontext zeigt sich die besondere historische, gesellschaftssystemgebundene Kontextabhängigkeit, welche heutzutage in verstärktem Maße eine Integration unternehmensethischer Überlegungen in die Betriebswirtschaftslehre erfordert.Footnote 431 So galt lange Zeit, dass die Volkswirtschaftslehre theoretisch die konzeptionellen Grundlagen für die Betriebswirtschaftslehre legte als auch praktisch über die Wirtschaftspolitik die Rahmensetzung unterstützte, in welchem sich die wirtschaftlichen Handlungen legitimerweise bewegen konnten. Solange diese Rahmensetzung theoretisch und politisch als effektiv und legitimiert erschien, konnte das ökonomische Prinzip als Leitmaxime betrieblicher Handlungen innerhalb dieser Rahmenbedingungen ebenfalls als legitimiert gelten. Dabei ist jedoch „das ökonomische Prinzip/Gewinnstreben (nur) so lange legitimiert, wie die optimale Allokation knapper Ressourcen, die es zu gewährleisten behauptet, als gesellschaftliches Ziel anerkannt ist und es diese ‚optimale‘ Allokation auch leistet.“Footnote 432 Heute kann jedoch in Folge mehrerer Wirtschaftskrisen und UnternehmensskandaleFootnote 433 festgestellt werden, dass die prinzipielle „Legitimitätsvermutung des ökonomischen Prinzips [.] erschüttert [ist]. Die ‚unsichtbare Hand‘ (Adam Smith), die dazu führt, dass die individuelle Gier gleichzeitig dem Gemeinwohl dient, ist zur ‚unsichtbaren Faust‘ (Thomas Malthus) geworden […].“Footnote 434 Neben der grundsätzlichen gesellschaftlichen Kritik einer erwerbswirtschaftlichen Ausrichtung per se erscheint auch kritisch, dass die Einzelstaaten kaum mehr im globalen Wettbewerb als einflussreiche rahmensetzende Institutionen aufzutreten vermögen und damit auch nicht die Bedingungen zu setzen im Stande wären, nach welchen das ökonomische Prinzip handlungsleitend alleinig legitimiert sein könnte.Footnote 435 Eine Legitimierungsstrategie, welche auf die ausschließliche Einhaltung von Gesetzesnormen rekurriertFootnote 436, kann folglich nicht mehr notwendigerweise als gesellschaftlich legitim gelten.Footnote 437 Dadurch fällt „[d]ie Legitimationsverantwortung [.] an das Unternehmen und den Einzelnen zurück“Footnote 438, welches folglich eine differenziertere Auseinandersetzung mit den Zielen und den dafür eingesetzten Mitteln erfordert, die über das ökonomische Prinzip hinausgeht.Footnote 439 Wie auch Steinmann und Löhr konstatieren, lässt sich damit feststellen, dass ein „reiner Effizienznachweis des Handelns [..] nicht mehr hinreichend [ist].“Footnote 440 In diesem Sinne betonen auch Pies, Hielscher und Beckmann: „Die gesellschaftlichen Erwartungen an Unternehmen haben zugenommen. Kunden, Mitarbeiter, zivilgesellschaftliche Organisationen, die demokratische Öffentlichkeit und andere Stakeholder stellen immer höhere Ansprüche.“Footnote 441 Auch Lin-Hi unterstreicht diese Überlegungen: „Die Kritik an Unternehmen und ihrer Wertschöpfung hat in den letzten Jahren kontinuierlich an Intensität zugenommen. […] Unternehmen stehen damit der Situation gegenüber, dass ihre gesellschaftliche Akzeptanz und damit ihre Legitimation zunehmend erodieren, ihre Existenz in Frage gestellt wird.“Footnote 442

Betrachtet man die unternehmerische Realität, so wird jedoch klar, dass viele Führungskräfte trotz ihrer meist „wirtschaftswissenschaftlichen Ausbildung nicht mehr in der Lage sind, ihr Verhalten argumentativ-ethisch zu rechtfertigen bzw. die gesellschaftliche Sinnhaftigkeit ihres Tuns zu begründen.“Footnote 443 Dies hat folglich auch für die notwendige Theorieentwicklung wie Lehrpraxis der BWL Konsequenzen. So scheint neben der Unzulänglichkeit reiner empirischer Forschung auch ein konzeptioneller Rückgriff auf die Volkswirtschaftslehre als Theoriezentrum in steigendem Maße problematisch, lässt sich dort doch ein zunehmendes Desinteresse an der normativen Diskussion wirtschaftspolitischer Fragestellungen feststellen.Footnote 444 Aus diesem Grund erscheint für die BWL selbst, will sie nach wie vor erfolgreiches Wirtschaftshandeln unterstützen, eine Beschäftigung mit ethischen Fragestellungen genuin fachlich bedeutsam. Im Kern geht es dabei folglich nicht, wie in der Schneider- oder Albach-Kontroverse zum Teil unterstellt, um das Dilettieren in fachfremden Gebieten oder einer unfruchtbaren „Moralisierung“ des Managements. Vielmehr erscheint die Beschäftigung mit ethischen Fragestellungen gerade aus originär (!) betriebswirtschaftlicher Perspektive bedeutsam, um auch weiterhin als angewandte Disziplin relevante Erkenntnisse zur erfolgreichen Entscheidungsfindung zur Verfügung zu stellen.

Als zentrale Erkenntnis der vorausgegangenen Überlegungen kann damit die für Unternehmen überlebenskritische Notwendigkeit hervorgehoben werden, sich verstärkt mit wirtschafts- bzw. unternehmensethischen Überlegungen zu beschäftigen, wobei auch der BWL als praktisch-normativer Disziplin mit realwissenschaftlichem Fundament bei der konzeptionellen wie empirischen Erforschung dieses Themenfeldes eine verstärkte erkenntnis- und methodenstiftende Rolle zuzukommen scheint. Trotz mancher kritischer StimmenFootnote 445 kann dabei festgehalten werden, dass sich der betriebswirtschaftliche Diskurs zunehmend auf die konzeptionelle Diskussion des überzeugendsten wirtschafts- bzw. unternehmensethischen Ansatzes verschoben hat. So heben auch Macharzina und Wolf hervor: „Mehrheitlich wird die Notwendigkeit der Unternehmensethik als betriebswirtschaftliche TeildisziplinFootnote 446 jedoch nicht mehr bestritten, vielmehr wird um die Frage gerungen, wie Unternehmensethik in Theorie und Praxis betrieben werden soll.“Footnote 447 Ähnlich betont auch Köhler: „Die Unternehmensethik […] hat sich als anerkanntes Teilgebiet der BWL etabliert.“Footnote 448 Dennoch verbleiben nach wie vor zentrale Fragen der Wirtschafts- und Unternehmensethik ungeklärt, insbesondere zur Frage der praktischen Umsetzbarkeit. Auch Steinmann und Löhr stellen in diesem Zusammenhang fest: „Die offene Frage ist bislang, wie ein Managementmodell aussehen müsste, das […] die Steuerung des Unternehmens zugleich ökonomisch effizient und ethisch effektiv gestalten hilft.“Footnote 449

Wie die weiteren Ausführungen zeigen werden, existieren gerade im deutschsprachigen Raum eine Fülle von konzeptionellen Ansätzen, wobei ein spezifisch unternehmensbezogener Ethikansatz, welcher die Bedeutung von Unternehmensethik ohne Rückfall auf rein ökonomistische Paradigmen oder ledigliche Appelle darzulegen vermag, noch auszustehen scheint. Dieser zentralen Forschungsfrage wird sich die Arbeit im Folgenden widmen. Hierzu ist jedoch in einem weiteren Schritt der Begriff der Ethik genauer zu eruieren sowie zu klären, wie dieser im Kontext der Wirtschaft zu verankern wäre. Zudem ist der aktuelle Stand der konzeptionellen wirtschaftsethischen Forschung darzulegen sowie kritisch zu würdigen, so dass die Notwendigkeit der Begründung eines eigenen Ansatzes noch klarer hervortritt. Dies ist Gegenstand des nachfolgenden dritten Kapitels.