Überblickt man die Wissenschaftsgeschichte der Betriebswirtschaftslehre in den letzten 100 Jahren, so gewinnt man den Eindruck, dass sie ihr Verhältnis zur Ethik und konkret zur Wirtschaftsethik nie hinreichend aufgearbeitet und geklärt hat.Footnote 1

1.1 Problemstellung und Forschungsfragen

Ethik und Betriebswirtschaftslehre. Zwei Begriffe, die auf den ersten Blick gar nicht so recht zueinander zu passen scheinen. So mag auch eine Kombination dieser beiden schillernden Begriffe im Forschungsfeld der Wirtschafts- bzw. Unternehmensethik auf den ersten Blick wie ein Oxymoron anmuten. Geht es dem ersten intuitiven Verständnis nach, erscheint vielen die Ethik als reine, transzendentale Lehre des Guten, während die Betriebswirtschaftslehre [BWL] sich mit realen Knappheiten oder gar der Gewinnerzielung zu befassen habe – ein vermeintlicher Kategorienfehler, passt ein idealistisches Moralisieren doch nicht zum klassischen ökonomischen Rationalprinzip.Footnote 2 In diesem Sinne verwundert es auch nicht, dass innerhalb der Betriebswirtschaftslehre seit ihrer Konstitution gegen Ende des 19. Jahrhunderts im deutschsprachigen Raum um die Bedeutung und Stellung normativer Aussagen im Allgemeinen und ethischer Forschungsfragen im SpeziellenFootnote 3 überaus kontrovers gerungen wurde – und noch heute wird. Vor diesem Hintergrund resümiert auch Conrad pointiert: „Die Notwendigkeit einer Wirtschaftsethik wird insbesondere in der Betriebswirtschaftslehre kontrovers diskutiert.“Footnote 4 So existieren in der BWL historisch gesehen zwar bereits früh erste Diskurse um die Relevanz einer Integration normativer Forschungsfragen in die betriebswirtschaftliche Forschungs- wie Lehrtätigkeit.Footnote 5 Allerdings herrscht in der klassischen Betriebswirtschaftslehre bis heute eine gewisse Skepsis gegenüber einer expliziten Beschäftigung mit normativen Fragestellungen vor. Diese korrespondiert mit einer in der Praxis verbreiteten kritischen Haltung hinsichtlich einer Beschäftigung mit als relativ akademisch erachteten ethischen Überlegungen, welche dann oftmals als reine Idealkonstrukte aufgefasst werden, die in der harten unternehmerischen Realität nun mal keinen Platz hätten.Footnote 6 Dennoch zeigt gerade der Blick in die öffentliche Diskussion, dass unternehmerisches Handeln vor dem Hintergrund stetig neuer Unternehmensskandale gesellschaftlich zunehmend problematisiert wird und zugleich verstärkt unternehmerische Verantwortung eingefordert wird. In diesem Zusammenhang wird auch immer wieder festgestellt, dass das Vertrauen in die Redlichkeit des ManagerhandelnsFootnote 7 sowie der gesamten Wirtschaftswelt historische Tiefststände erreicht hat.Footnote 8 Neben einem Entzug gesellschaftlichen Vertrauens zeigen auch in der jüngeren Vergangenheit einige Unternehmensskandale immer wieder die drastischen Konsequenzen auf, welche unternehmerisches Fehlverhalten für den dauerhaften wirtschaftlichen Erfolg sowie teilweise sogar die Existenz von Unternehmen aufweist.Footnote 9 Insofern erscheint die Frage berechtigt, ob die fundierte Beschäftigung mit ethischen Fragestellungen nicht doch als bedeutsames Forschungsfeld der Betriebswirtschaftslehre zu identifizieren wäre – wenn es denn das Ziel der BWL sein soll, dauerhaft erfolgreiches betriebliches Handeln zu unterstützen. Dabei wäre jedoch gerade vor dem fachhistorischen Hintergrund und der aufgezeigten Diskurslage zu klären, wie eine solche Beschäftigung historisch informiert und wissenschaftstheoretisch fundiert zu begründen wäre. Vor dem skizzierten Hintergrund ist es folglich relevant, zuerst einmal detaillierter zu verstehen, wie die aufgezeigte Ethikskepsis in der Betriebswirtschaftslehre entstanden ist, welches im ersten Schritt eine wissenschaftshistorische Analyse erfordert. Hierbei ist folglich die erste Forschungsfrage zu klären:

  1. 1.

    Welche Standpunkte existieren aus historischer Perspektive in Bezug auf normative und insbesondere ethische Fragestellungen in der Betriebswirtschaftslehre?

In diesem Zusammenhang wird festzustellen sein, dass viele kritische Anmerkungen zuerst einmal selbst auf relativ unhinterfragten Basiswerturteilen, d. h. Annahmen über die Art und Weise, wie betriebswirtschaftliche Forschung auszugestalten und insbesondere mit welchen Fragen sich akademisch zu befassen sei, beruhen. Darüber hinaus ist jedoch ersichtlich, dass die Betriebswirtschaftslehre, wie andere Disziplinen auch, nicht als fachmethodisch homogen zu erachten ist, sondern in mehrere Hauptströmungen unterteilt werden kann. In diesem Sinne ergibt sich die zweite zu adressierende Forschungsfrage der Arbeit:

  1. 2.

    Wie sind die genannten ethischen Fragestellungen im Rahmen eines praktisch-normativen Verständnisses der Disziplin notwendig und wissenschaftstheoretisch zu verankern?

Hierbei wird die Arbeit zeigen, dass in der Tat für eine praktisch-normative BWL zur erfolgreichen Entscheidungsunterstützung eine kritische Reflexion der zugrunde gelegten Zwecke bzw. Zielsetzungen höchst relevant ist, um betriebliches und im Speziellen auch unternehmerisches Handeln dauerhaft fundiert unterstützen zu können. Diese Überlegungen führen zur Relevanz einer eingehenderen Beschäftigung mit wirtschaftsethischen Fragen. Dabei zeigt schon ein kurzer Überblick über einige zentrale Lehrwerke im deutschsprachigen Raum die große konzeptionelle Bandbreite der existierenden Forschung. Um hieran fundiert anschließen zu können, ist folglich die dritte Forschungsfrage dieser Arbeit zu klären:

  1. 3.

    Wie stellt sich der aktuelle Forschungsstand der Wirtschafts- und im Speziellen der Unternehmensethik dar?

Basierend auf dem erarbeiteten Forschungsstand ist kritisch zu evaluieren, welche Grenzen diese Ansätze für die genannte Aufgabe einer dauerhaft erfolgreichen normativen Führungsunterstützung aufweisen. Insbesondere relevant erscheint in diesem Zusammenhang die Reflexion der wirtschaftsethischen Forschung auf der Mesoebene, d. h. der Ebene, welche sich gerade mit sozio-technischen Entitäten wie bspw. Unternehmen befasst. Es gilt demnach folgende Frage zu beantworten:

  1. 4.

    Welche Grenzen weisen die bisherigen Konzeptionen im Sinne einer eigenständigen Unternehmensethikkonzeption auf der Mesoebene auf?

Dabei zeigt sich, dass trotz der Fülle an existierenden Beiträgen viele Konzeptionen letztlich doch individualethisch auf die handelnden Menschen (Mikroebene) abzielen oder auf die Gestaltung einer Rahmenordnung (Makroebene) fokussieren. In diesem Sinne repräsentieren gerade auch die bisherigen Ausführungen speziell zum Themenfeld der Unternehmensethik oftmals aggregative Individualethiken oder Ansätze, welche lediglich ethische Problemstellungen in, aber nicht von Unternehmen diskutieren. Es fehlt bislang folglich an einer originären Meso- bzw. Unternehmensethik, welche das Unternehmen als Entität mit eigenem Status in den Blick rückt. Nimmt man die in steigendem Maße konstatierten Grenzen der Übernahme individueller Verantwortung in der globalisierten Wissensgesellschaft wie auch die realen Limitationen einer staatlichen Regulierung bzw. die Grenzen eines „Enforcement“ durch die Rahmenordnung ernst, so gewinnt die originäre Übernahme von Verantwortung auf unternehmerischer Ebene zunehmende Relevanz. Allerdings stellt sich die Frage, wie eine solche Verantwortungsübernahme überzeugend begründet werden kann, welches bisher nur unbefriedigend geklärt erscheint. Hierbei wäre folglich zu zeigen, weshalb eine Beschäftigung mit ethischen Fragestellungen auch aus unternehmerischer Perspektive intrinsisch relevant ist, d. h., warum es auch im Interesse des Unternehmens liegt, gesellschaftliche Verantwortung zu übernehmen. Die bisherigen wirtschaftsethischen Ansätze verbleiben dabei allerdings oftmals bei einem Appell, welcher besseres Handeln primär individualethisch anmahnt oder folgen, gerade um auch die Anschlussfähigkeit zur Betriebswirtschaftslehre zu erhöhen, einer traditionellen ökonomischen Argumentation („it pays to be good“), die jedoch wiederum in Gefahr eines Kategorienfehlers läuft.Footnote 10 Da bisher keine überzeugende Antwort auf die genannten Überlegungen existiert, welche diese Aspekte überzeugend zu beantworten vermag, wird im Rahmen der vorliegenden Arbeit auf die Erkenntnisse der neueren Systemtheorie zurückgegriffen, womit erstmals die systemisch-intrinsische Relevanz eines dauerhaften Erhalts der gesellschaftlichen Legitimität als Grundlage einer genuinen Mesoethikkonzeption nutzbar gemacht wird. Dabei ist es das Ziel, nicht nur eine betriebswirtschaftlich wie ethisch wohlfundierte Konzeption zu entwickeln, sondern diese soll, gerade vor dem Verständnis der BWL als praktisch-normativer Disziplin, auch praktische Relevanz besitzen bzw. Implikationen für die unternehmerische Praxis aufweisen und dieser wertvolle Hilfestellung gewähren können – auf akademisch gesicherter Basis. Damit stehen mit der fünften Forschungsfrage die folgenden Aspekte im Fokus:

  1. 5.

    Wie kann unter Rückgriff auf die Erkenntnisse der neueren Systemtheorie eine subjektunabhängige, analytische Unternehmensethik entwickelt werden, die folglich eine genuine Mesoethik darstellt, weder appellativ noch ökonomistisch argumentiert und dennoch intrinsisch überzeugend sowie praktisch relevant ist? Hierbei ergeben sich im Detail folgende Teilfragen:

    1. a)

      Wie lässt sich die Relevanz einer echten organisationalen bzw. Mesoverantwortung hinsichtlich der Grenzen auf Individual- sowie Rahmenordnungsebene in der Attribution von Verantwortung unter den heutigen Bedingungen der globalisierten Wissensgesellschaft begründen?

    2. b)

      Wie lässt sich die Relevanz einer Übernahme von unternehmerischer Verantwortung begründen, ohne diese rein appellativ einzufordern oder auf traditionelle ökonomisch-basierte Argumentationsmuster zurückzufallen?

    3. c)

      Wie kann unter Rückgriff auf die Erkenntnisse der neueren Systemtheorie eine originäre Mesoethik, die folglich auf eine Entität rekurriert, welche „mehr ist“ als die Summe ihrer Komponenten, konzipiert werden?

    4. d)

      Wie kann eine Konzeption der Unternehmensethik entwickelt werden, die eine Verbindung zwischen solider theoretischer Fundierung sowie praktischer Nutzbarkeit (deutschsprachiger Raum vs. angelsächsische Forschung) liefert?

Die Konzeption wird dabei im Kern auf das normative Management fokussieren und dieses als systematisches Legitimitätsmanagement aus einem wohlverstandenen systemischen Eigeninteresse entwickeln. Zentraler Gedanke wird hierbei sein, dass die kritische Reflexion und Beachtung der Integration begründeter Stakeholderansprüche als Aufgabe des normativen Managements im Sinne eines systematischen Legitimitätsmanagements existenziell bedeutsam ist. Dieses geht folglich mit der dauerhaften Sicherung der gesellschaftlichen Legitimität des Unternehmens als normativer Vorsteuergröße allen Strategien wie operativen Entscheidungen bzw. Handlungen voraus und wirkt damit rahmensetzungsstiftend.Footnote 11

Da bei der Fülle existierender Anspruchsgruppen die Reflexion und Integration der Stakeholderansprüche ein komplexes Problem darstellt, muss das Management vor dem Hintergrund kognitionswissenschaftlicher Erkenntnisse regelmäßig auf Sekundärwissensträger zurückgreifen, welche als Spezialisten hinsichtlich der Ansprüche einer bestimmten Stakeholdergruppe dieses Wissen hierüber in die unternehmerischen Problemlösungsprozesse einbringen. Dabei werden im Rahmen dieser Arbeit, beruhend auf eigener Forschung in diesem Bereich, besonders die ethischen Implikationen für das Controlling als Sekundärwissensträger über die Ansprüche der Eigenkapitalgeber herausgearbeitet. Vor dem Hintergrund der genannten Überlegungen ergibt sich somit abschließend die sechste Forschungsfrage der Arbeit:

  1. 6.

    Welche Implikationen ergeben sich für die Sekundärwissensträger und insbesondere das Controlling im Sinne seiner Führungsunterstützungsfunktion?

1.2 Gang der Arbeit

Aus den zuvor eruierten Forschungsfragen ergibt sich im Folgenden die zentrale Struktur der vorliegenden Dissertation, welche in drei Hauptkapitel gegliedert ist. Die Arbeit beginnt mit einer kritischen Reflexion der Bedeutung wirtschaftsethischer Forschung für die Betriebswirtschaftslehre vor dem Kontext ihrer fachhistorischen Entwicklung. Zur Klärung der ersten Forschungsfrage wird nach einem kurzen geschichtlichen ÜberblickFootnote 12 anhand einiger zentraler Richtungsstreite gezeigt, warum sich die Betriebswirtschaftslehre häufig nach wie vor mit einer Integration normativer Forschungsfragen schwertut, wobei einige zentrale klassische Auseinandersetzungen bzw. Richtungsstreite, aber auch neuere Dispute (so z. B. von Schneider und Albach) eruiert und wissenschaftstheoretisch reflektiert werden.Footnote 13 Darüber hinaus ist zu beachten, dass die Betriebswirtschaftslehre durch die im Laufe der Zeit entstandene Vielzahl an Strömungen keineswegs methodisch als homogen aufzufassen ist, sondern vielmehr fundamental unterschiedliche Zugänge (bspw. Ideal- vs. RealkonzeptionenFootnote 14) aufweist. Aus diesem Grunde wird einer Klärung der methodischen Ausrichtung ein besonderes Augenmerk geschenkt, wobei die Arbeit im Weiteren der Auffassung folgt, dass die BWL als realwissenschaftliche Disziplin, welche hierauf aufbauend auch Handlungsempfehlungen intendiert, zu konzipieren ist. Die Arbeit folgt damit dem s. g. praktisch-normativen Verständnis der Betriebswirtschaftslehre, welches erörtert und von anderen betriebswirtschaftlichen Strömungen abgegrenzt wird. Hieran knüpft die zweite Forschungsfrage an, welche auf die Begründung der Relevanz normativer und im Speziellen ethischer Fragestellungen für eine solch praktisch-normative BWL fokussiert. In diesem Zusammenhang wird, gerade vor der Mannigfaltigkeit bestehender Wirtschaftsskandale, deutlich, dass eine hinreichende Berücksichtigung der gesellschaftlichen Wertvorstellungen fundamental bedeutsam ist, um auf Dauer erfolgreich zu wirtschaften. Will die BWL dies akademisch fundiert unterstützen, so ist die Integration wirtschaftsethischer Fragestellungen evidenterweise relevant.Footnote 15 Das zweite Kapitel schließt folglich mit der Begründung, warum für ein modernes Verständnis der BWL als praktisch-normativer Disziplin eine dezidierte Beschäftigung mit wirtschaftsethischen Fragestellungen als höchst relevant aufzufassen ist.

Mit diesen Grundlagen leitet die Arbeit dann zur Erarbeitung und Reflexion des Forschungsstandes der Wirtschafts- und Unternehmensethik über. Hierbei werden zuerst wieder wesentliche begriffliche Grundlagen erarbeitet und systematisiert – so auch die Zentralbegriffe der Wirtschafts- und Unternehmensethik selbstFootnote 16 – bevor auf bereits existierende wirtschaftsethische Konzeptionen eingegangen und damit auf die dritte Forschungsfrage dieser Arbeit fokussiert wird. Dabei wird besonders der konzeptionell detailliert ausgearbeitete Forschungsstand des deutschsprachigen Raums präsentiert und den eher pragmatisch orientierten Ansätzen der angelsächsischen Forschungstradition gegenübergestellt.Footnote 17 Nach Erarbeitung des State of the Art folgt eine kritische Reflexion, welche dementsprechend auf die vierte Forschungsfrage abzielt. In diesem Zusammenhang wird detailliert herausgearbeitet, dass trotz intensiver konzeptioneller Bemühungen, gerade im deutschsprachigen Raum, bisher keine Unternehmensethikkonzeption existiert, die originär auf unternehmerischer Ebene fundiert ist, weder appellativ noch traditionell ökonomisch argumentiert und die Relevanz der Verantwortung aus genuin unternehmerischer Perspektive, d. h. des Unternehmens als eigenständiger Entität, begründen kann.Footnote 18 Die genannten Limitationen bisheriger Ansätze führen somit zum vierten Hauptkapitel und der fünften Forschungsfrage, welche die Gestaltung einer neuen Mesoethikkonzeption in den Fokus rückt.

Das vierte Hauptkapitel befasst sich dann vor dem Hintergrund der erarbeiteten Grenzen bisheriger Ansätze mit der Entwicklung einer eigenen Unternehmensethikkonzeption. Das Kapitel beginnt zuerst mit der Reflexion des schillernden Verantwortungsbegriffs. Hierbei wird deutlich, dass Verantwortung klassisch ein Subjekt als Träger der Verantwortung voraussetzt, welches traditionell wiederum inhaltlich durch ein bestimmtes aufklärerisches Begriffsverständnis konkretisiert wird.Footnote 19 Dieses ist jedoch primär individualethisch ausgerichtet und wird bereits im philosophischen Diskurs seit einiger Zeit intensiv wie kontrovers diskutiert. Zudem ergeben sich insbesondere aus wirtschaftsethischer Perspektive mit dem Fortschreiten der globalisierten Wissensgesellschaft zunehmende Herausforderungen, welche das Individuum zusätzlich hinsichtlich der klassisch postulierten Subjekteigenschaften als zentraler oder gar alleiniger Verantwortungsträger problematisch erscheinen lassen, womit der erste Teilaspekt der fünften Forschungsfrage bearbeitet wird. Unternehmen werden in diesem Zusammenhang dann zu wesentlichen handlungsfähigen Entitäten. Allerdings kann, wie die Arbeit zeigt, die Begründung einer Verantwortungsübernahme gerade nicht, wie teils vorgeschlagen, durch einen Transfer des klassischen Subjektbegriffs auf die Unternehmensebene erfolgen. Es bedarf folglich eines neuen konzeptionellen Zugangs, der seine Grundlegung in den Erkenntnissen der neueren Systemtheorie findetFootnote 20, welches wiederum den zweiten Teilaspekt der Forschungsfrage abschließt und die Entwicklung einer genuinen Mesoethik ohne lediglichen Appell oder traditionelle ökonomische Argumentationslinie in den Fokus rückt. Hierzu wird dann im Sinne des dritten Teilaspekts der fünften Forschungsfrage zuerst das Erfahrungsobjekt der Unternehmensethik, d. h. das Unternehmen, als sozio-technisches System in neuartiger Weise konzipiert. Dabei verknüpft die im Folgenden entwickelte Konzeption die Erkenntnisse der neueren Systemtheorie zur Fähigkeit und Zielsetzung bestimmter sozialer Systeme, sich selbst zu erhalten (Autopoiesis), mit einem vertieften Verständnis technischer Systeme, welche ebenfalls genauer ausgearbeitet werden. Mit diesen konzeptionellen Grundlagen kann gezeigt werden, dass soziale Systeme in Unternehmen mehr sind, als die Summe ihrer Individuen (i. d. R. „organisationale Einheiten“) und folglich auch eigene Ziele und Ansprüche aufweisen.Footnote 21 Wie in diesem Zusammenhang deutlich wird, liegt es dann im eigenen Interesse des sozialen Systems des Unternehmens, über klassische strategisch-operative Paradigmen hinauszugehen, um auf Dauer seine Existenz und die des gesamten Unternehmens zu sichern. Hierzu ist ein originäres normatives Management notwendig, welches sich jedoch nicht in der Beachtung von Rechtsnormen erschöpfen darf („Compliancemanagement“), sondern aus unternehmensethischer Perspektive als Legitimitätsmanagement zu gestalten ist, d. h. gesellschaftlich überzeugende Begründungen für die Sinnhaftigkeit des unternehmerischen Handelns aufzeigt.Footnote 22 Da, wie der vierte und letzte Teilaspekt der fünften Forschungsfrage herausstellt, die Unternehmensethikkonzeption nicht nur wohlfundiert, sondern auch praktisch relevant sein soll, befasst sich die Arbeit zudem mit der Frage, wie die als relevant gezeigte Legitimitätssicherung als normatives Management nun (wiederum ganz im Sinne einer praktisch-normativen BWL) unterstützt werden kann. Hierzu wird das Analytische Framework entwickelt, welches als praktisch relevante und ethisch-reflektierte Führungsunterstützung eine strukturierte, transparente und reflektierte Integration von Stakeholderansprüchen in das unternehmerische Zielsystem ermöglicht.Footnote 23 In diesem Zusammenhang wird ebenso eine zweistufige Legitimitätsevaluation entwickelt, welche die faktisch-deskriptive Perspektive mit einer kritisch-deskriptiven sowie potentiell sogar ethisch-normativen Reflexion in einem zweistufigen Ansatz vereint.Footnote 24

Dabei stellt jedoch, wie einleitend ausgeführt wurde, die Integration der Stakeholderansprüche in das unternehmerische Zielsystem i. d. R. ein komplexes Problem dar, weshalb das Management im Rahmen seiner Führungstätigkeit regelmäßig der Sekundärwissensträger bedarf, welche auf die Ansprüche bestimmter Stakeholdergruppen fokussieren und ihr spezifisches Wissen hierzu in die unternehmerischen Problemlösungsprozesse einbringen. Aus diesem Grunde befasst sich die Arbeit im Rahmen der sechsten Forschungsfrage mit den ethischen Implikationen für die Sekundärwissensträger, wobei ein dezidierter Fokus auf das Controlling als Wissensträger über die Ansprüche der Eigenkapitalgeber gelegt wird.Footnote 25 Das Controlling leistet in diesem Zusammenhang für das Management grundsätzlich in zweierlei Weise Führungsunterstützung: einerseits hinsichtlich der Unterstützung des Treffens von Entscheidungen („Entscheidungsunterstützung“), wobei u. a. eine kritische Reflexion des klassischen Controllinginstrumentariums relevant wird, sowie andererseits bei der Beeinflussung des Treffens von Entscheidungen auf untergeordneten Hierarchieebenen („Entscheidungsbeeinflussung“), womit die unternehmerischen Anreizsysteme und deren Implikationen in den Fokus gerückt werden. Abschließend wird zudem noch die Relevanz einer integren Unternehmenskultur zur Verankerung ethischer Maßnahmen herausgearbeitet.Footnote 26

Die vorliegende Dissertation schließt im fünften Kapitel mit einer detaillierten Reflexion der gewonnenen Forschungsergebnisse und gibt einen Ausblick auf zukünftige Forschungsfragen, welche sich aus den Erkenntnissen dieser Arbeit ergeben. Die Struktur der Arbeit in Verbindung mit den aufgezeigten bzw. behandelten Forschungsfragen fasst nochmals Abbildung 1.1 zusammen.

Abbildung 1.1
figure 1

Aufbau der Arbeit und Forschungsfragen