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Televisuelle Geisterspiele

Das abwesende Studiopublikum und die Transformation massenmedialer Kommunikation

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Das Virus im Netz medialer Diskurse

Part of the book series: ars digitalis ((AD))

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Zusammenfassung

Gähnende Leere in den Städten, gespenstische Ruhe im Fußballstadion – in der Zeit der Kontaktbeschränkungen wurde die COVID-19-Pandemie durch gespenstische Abwesenheiten greifbar. Auch Fernsehproduktionen mit Studiopublikum mussten im März 2020 von heute auf morgen auf die Anwesenheit, den Applaus und das Gelächter eines Publikums verzichten. Der Beitrag untersucht, wie politische Late-Night-Shows in Deutschland und den USA das Studiopublikum und seine zentrale Funktion ersetzen – dient es doch als hochgradig inszenierter Stellvertreter des Fernsehpublikums. Die Manipulation des Publikums lässt sich bis zur ‚Claque‘ des Pariser Opernbetriebs im 19. Jahrhundert zurückverfolgen. Wenn diese im Fernsehstudio nun fehlt, fehlt auch eine Atmosphäre der ‚Geselligkeit‘ und die Vorstellung einer Rezeptionsgemeinschaft. Es entstehen andere Adressierungsformen und Strategien der emotionalen Berührung unter Abwesenden, die sich nicht mehr auf die Vorstellung der ‚Masse‘ beziehen.

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Notes

  1. 1.

    Die Show wurde am Sonntag, 15. März 2020 auf HBO zur üblichen Sendezeit um 23 Uhr (Eastern Time) ausgestrahlt. Da sie erst nach Ausstrahlung auf YouTube hochgeladen wurde, trägt sie dort den Datumsstempel vom 16. März 2020. Diese Diskrepanz findet sich auch bei einigen anderen Shows, die – wie der Name ja schon sagt – ihren Sendeplatz spät in der Nacht haben.

  2. 2.

    Pappfiguren ersetzen auch im deutschen Fernsehen das Studiopublikum. So greift etwa die ARD-Quizshow Wer weiß denn sowas? auf ein solches „Papplikum“ (Kreisl 2021) und auf Beifall vom Band zurück.

  3. 3.

    Das disperse Publikum des Fernsehens wird – in Abgrenzung zum Studiopublikum – im Folgenden als ‚Fernsehpublikum‘ bezeichnet (in dem die YouTube-Nutzer*innen selbstverständlich inbegriffen sind). Wird der Begriff ‚Publikum‘ verwendet, ist sowohl Studio- als auch Fernsehpublikum gemeint.

  4. 4.

    Die Touristik-Plattform Tripadvisor ist eine interessante Quelle für Kurzberichte solcher Studio-Aufzeichnungen, da diese auch beliebte touristische Reiseziele darstellen. Über die Aufzeichnungen der Late Show with Stephen Colbert in New York ist dort etwa zu lesen: „Actually found the show a little ‚tiring‘, as they constantly pump you up & want you to clap your brains out for virtually the entire show. It’s hard clapping like crazy for an hour!“ (thompworking4younow 2018) Oder: „They do expect the crowd to jump up and cheer on command, but the whole audience seemed to love Stephen so much that it didn’t feel fake or forced. Remember – they’re free tickets, so you have to be willing to put up with the discomfort of standing around quite a bit and clapping until your hands hurt.“ (megelizah 2018) Dies ruft wiederum die Pariser Claque in Erinnerung, über die Kalisch (1867, S. 783 f.) schreibt: „Die Claque besteht aus Theaterfreunden, die ihrem Kunstsinn keine schweren Opfer bringen können, aus Schreibern, Notariatsgehülfen, Ladendienern, welche ihren Platz unter dem Preise bezahlen, dafür aber die Verpflichtung übernehmen, den Befehlen der Chefs zu gehorchen und die Hände tüchtig anzustrengen. Diese Individuen bilden freilich den edlern Theil der Claque; im übrigen Theil befinden sich allerdings gar manche nichtsnutzige Lungerer, stämmige Burschen mit breiten schwieligen Händen, die einen Theaterabend hindurch darauf lospauken können, ohne sich sonderlich zu ermüden.“

  5. 5.

    Dieser Umstand wurde in den ersten Wochen des Lockdowns häufiger thematisiert – etwa bei Gesprächen zwischen verschiedenen Hosts, die sich gegenseitig in ihre Shows einluden. So verneinte John Oliver als Gast in Stephen Colberts Late Show recht ungerührt die Frage, ob er sein Studiopublikum vermisse. Er habe in Großbritannien schon vor so vielen feindlichen Publika gestanden, dass die Stille ihm überhaupt nichts ausmache (The Late Show, 31.03.2020, 07:10-07:46). Seth Meyers wählte hingegen eine optimistischere Variante als Gast bei Jimmy Fallon: „That’s the great thing about no audience – everything plays the same.“ (The Tonight Show Starring Jimmy Fallon, 14.08.2020, 03:44-03:49) Wenn niemand reagiere, fühlten sich die guten Witze genauso an wie die schlechten.

  6. 6.

    Ganz ähnlich äußert sich Oliver Welke in einem Interview mit dem Wochenmagazin Der Spiegel: „Das fehlende Studiopublikum verändert den Ton. Am Anfang fand ich das schwierig, weil keine Interaktion mehr da war, keine Resonanz. Aber es ist auch befreiend, wenn man beim Schreiben weiß, es muss nicht in jeder Moderation eine klassische Pointe vorkommen, es darf auch längere Passagen geben, die einfach nur informativ sind. Passagen, bei denen mich das Studiopublikum anschweigen würde – was für einen Moderator schwer auszuhalten ist. Ich habe jetzt also viel weniger Druck, wenn wir trockenere, aber wichtige Themen behandeln […].“ (zit. n. Mantel 2020).

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Ulrich, A. (2022). Televisuelle Geisterspiele. In: Krewani, A., Zimmermann, P. (eds) Das Virus im Netz medialer Diskurse. ars digitalis. Springer Vieweg, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-36312-3_6

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