6.1 Erörterung der Resultate

6.1.1 Bedeutung der Fremdbetreuung für Kleinkinder

Neugeborene kommen aufgrund des Geburtsdilemmas regelrecht als Frühgeburten auf die Welt (Fischer & Mitteroecker, 2015). Bedingt durch die im Lauf der menschlichen Evolution zugenommene Hirngröße (Wittmann, & Wall, 2007), werden sie bereits neun Monate nach der Zeugung geboren, da der Geburtskanal später nicht mehr passierbar wäre. Die Kinder sind deshalb zu Beginn ihres Lebens vollkommen hilflos und auf den Schutz der Mutter angewiesen. Zwecks dessen ist eine, über verschiedene hormonell unterstützte Mechanismen, für das Kind überlebenswichtige Bindung zwischen beiden evolviert, die sich durch positive Interaktionen während des Caregiving verstärkt. In dieser symbiotischen Beziehung findet die Verständigung nonverbal über Cues, durch Mimik, Gestik, den Tonfall der Stimme und Berührung (Hall, Horgan & Murphy, 2019), statt. Das Lächeln ist ein besonders starkes soziales Signal, aus dem Menschen die intrinsische Motivation anderer für eine Tätigkeit ableiten (Cheng, Mukhopadhyay & Williams, 2019 in press). Bereits Säuglinge bilden sich aufgrund von Beobachtung moralische Urteile und haben eine Präferenz für prosoziales Verhalten (Hamlin, Wynn, Bloom & Mahajan, 2011). Hepach, Vaish und Tomasello (2012) stellten eine sympathische Erregung von Kleinkindern nicht nur dann fest, wenn sie einer anderen Person helfen konnten, sondern gleichermaßen auch, wenn sie nur beobachten, wie anderen geholfen und ihnen prosoziales Verhalten zuteilwurde. Hierdurch hebt sich die Bedeutung des Lernens am Modell hervor, das kognitive Lernen durch Beobachtung, welches in Abschnitt 2.2.4 besprochen wurde. Die Kinder lassen sich dabei vom unerfüllten Bedürfnis der anderen Person intrinsisch leiten und kümmern sich um Erhalt und Steigerung deren Wohlergehens (Hepach, Vaish, Grossmann & Tomasello, 2016). Bereits Kleinkinder erleben durch ihr eigenes prosoziales Verhalten positive Emotionen, was den Mechanismus menschlicher Kooperation proximat erklärt (Aknin, Hamlin & Dunn, 2012).

Durch die Fremdbetreuung des Kindes wird die Kommunikation mit der Mutter und auch die Kooperation mit ihr ausgesetzt und durch Informationsasymmetrien ersetzt. Diese entstehen, weil das Kind in den Arbeitsmarkt eingebracht wird und dort implizit als Nachfrager und Konsument seiner benötigten Fürsorgedienstleistung auftritt. Auf diese Weise wird die Beziehung zwischen Mutter und Kind durch den Erzieher moderiert, sie kann jedoch durch ihn nicht ersetzt werden. Die etablierten Erwartungen des Kindes werden dadurch enttäuscht. Eine intrinsisch motivierte Teambeziehung aufzuheben, um sie durch eine professionelle, extrinsisch motivierte Fachkraft zu ersetzen, kann zunächst nur zu Effektivitätsverlust führen. Das Fehlen des sicheren Hafens führt zu mehr Stress und erhöhten Cortisolspiegeln bei den Kindern, die durch die fehlende mütterliche Feinfühligkeit nicht regelmäßig und ausreichend abgebaut werden können, da es an der mit positiven Interaktionen verknüpften Ausschüttung von Oxytocin zur Regulation mangelt. Hinzu kommt, dass die Interaktionen mit anderen Kindern manchmal als Bedrängnis empfunden werden, da die Perspektivübernahmefähigkeit noch nicht ausgereift ist. Gleiches muss für einen gut gemeinten, bildungsambitionierten, jedoch unpassend empfundenen Anregungsgehalt durch die Erzieher angenommen werden, da sie die Kinder nicht so gut kennen und ihre Aufmerksamkeit aufgrund der Personalsituation zudem auf viele Kinder verteilen müssen.

Die eigene Emotionsregulation kann von den Kindern daher nur unzureichend erlernt werden, was auch auf die zunehmend fehlende Erfahrung und Beobachtung positiven impliziten Bindungswissens mit der Mutter zutrifft. Das Kind macht dadurch insgesamt weniger Kontrollerfahrungen, da es keine Voice-Option (mehr) hat. Seine sich entwickelnde Selbstwirksamkeit wird dadurch negativ beeinträchtigt, da es sich ungünstige Handlungsergebnisse selber zuschreiben und so Hilflosigkeit erlernen kann. Durch die erlebten Betreuungs-Veränderungen entsteht beim Kind ein Inkohärenzgefühl, das zu internalem sowie externalem Verhalten führen kann, dem inneren und nach außen getragenen Protest. Es schränkt sein Explorationsverhalten ein und macht dadurch weniger Lernerfahrungen, wodurch es weniger Kompetenzzuwachs erlebt. Die genannten negativen Effekte orientieren sich sämtlich nicht an sozialer Nachhaltigkeit, da sie zum einen das Wohlbefinden der Kinder stark beeinträchtigen, zum anderen speichern sich ungünstige Lernerfahrungen durch synaptische Verschaltungen dauerhaft kognitiv ab.

Die Quantität der Erfahrungen, insbesondere bei ganztägiger Betreuung von 45 Wochenstunden, stellt einen großen Einflussfaktor dar. Während eine in Vollzeit berufstätige Mutter werktäglich nur noch 3,4 Stunden mit ihrem Kind verbringen kann, verfügt ein Kind in häuslicher Betreuung über 10,4 Stunden gemeinsamer Zeit mit der Mutter (nach eigenen Berechnungen auf Basis von Iglowstein, Jenni, Molinari & Largo, 2003). In der Folge kann die Mutter die Lernbedingungen für ihre Kinder deutlich weniger häufig bestimmen und es seltener abschirmen. Es kommt somit nicht nur zu kurzzeitigen und vorübergehenden Effekten durch die Fremdbetreuung, sondern sie spielen in der Anlage-Umwelt-Entwicklung der Kinder eine langfristige, prägende Rolle. Flook, Zahn-Waxler und Davidson (2019) stellten fest, dass die im Vergleich zu Fünfjährigen erhöhte kognitive Komplexität von Fünftklässlern dazu verwendet werden kann, andere zu unterstützen oder aber auch zu diskriminieren, sodass die Gestaltung dieser kindlichen Fähigkeiten wichtige gesellschaftliche Konsequenzen hat. Ein Befördern der ganztägigen Fremdbetreuung von Kleinkindern eröffnet ihnen die Möglichkeit, verstärkt antisoziales Verhalten zu erleben und zu erlernen, was aus dem Blickwinkel sozialer Nachhaltigkeit ein gesellschaftliches Entwicklungsrisiko darstellt.

6.1.2 Mütter im Spannungsfeld zwischen Erwerbsarbeit und Fürsorge

Mütter befinden sich nach der Wiederaufnahme der Berufstätigkeit in einem Spannungsfeld zwischen Erwerbsarbeit und Versorgung ihrer Kinder. Auf dem Arbeitsmarkt bieten sie ihre Arbeitskraft an, zeitgleich bieten sie auf dem Fürsorgemarkt – vorgestellt mit dem Caregiving-In-Modell – Kindern ihre Fürsorgearbeit an. Das Engagement wird auf beiden Märkten sozial nachhaltig bewertet. Durch das Erwerbseinkommen verschaffen sich Mütter zum einen wirtschaftliche Unabhängigkeit und Alterssicherung, was zu positivem Selbstwirksamkeitserleben beiträgt, zum anderen profitieren auch die Kinder von höherem Haushaltseinkommen und sind weniger von Armut bedroht (Tophoven, Lietzmann, Reiter & Wenzig, 2018, 53). Mit der stark intrinsisch motivierten Fürsorgearbeit leisten die Mütter nicht nur für ihre Kinder einen wichtigen Beitrag, sondern auch für die Gesellschaft. Sie verhelfen den Kindern durch ihre Feinfühligkeit zu Emotionsregulation sowie positivem Selbstwirksamkeitserleben und geben als Modellperson implizit Bindungswissen sowie prosoziales Verhalten weiter. Durch das Arbeitsangebot der Mütter auf beiden Märkten kommt es jedoch zu Konflikten bei der Zeitallokation (Becker, 1965), da beide einen vollzeitigen Einsatz verlangen. Berufsmotiv und Sorgemotiv der Mütter konkurrieren miteinander, dies nicht nur explizit, sondern auch implizit. Dadurch können doppelte Einstellungen entstehen (Wilson et al., 2000), die zu belastender kognitiver Dissonanz führen, da Einstellungen, Handeln und Gefühle nicht miteinander kohärent sind (Festinger, 1957). Beispielsweise unterschreitet der bei ganztägiger Unterbringung gewünschte Betreuungsumfang unter Dreijähriger den tatsächlich vereinbarten erheblich. Der realisierte Betreuungsumfang entsprach 53,8 %, wobei der gewünschte Umfang bei 37,3 % lag (BMFSFJ, 2017, 5). Eine Abwägung von Eigenverantwortung auf der einen und der Fremdverantwortung, in Form der Personensorge für die Kinder, auf der anderen, steht in Abhängigkeit von persönlichen Präferenzen, aufgrund sich ändernder Lebenssituationen sowie den Bedürfnissen der Kinder nach Anzahl und Alter (Wippermann, 2016, 12 f.). Je mehr Mütter ihren Berufsmotiven zugunsten der Fürsorge nicht nachkommen, weil sie möglichst viel Zeit mit ihren Kindern verbringen wollen (Wippermann, 2016, 14), desto mehr sind sie über ihre Rentenaussichten deprimiert (Wippermann, 2018, 9). Dadurch entsteht ein moralisches Dilemma aus Selbst- und Fremdverantwortung. Sollen, Können und Wollen konfligieren miteinander, sodass es zu Schuldgefühlen bei Müttern in die eine oder andere, oder auch beide Richtungen kommen kann. Auch Kinder können eine negative Sicht auf die Erwerbsarbeit ihrer Mütter entwickeln, wodurch ihr Wohlbefinden beeinträchtigt wird (Röhr-Sendlmeier, 2015, 6). Gegenüber ihren Kindern versuchen Mütter dann mit Wiedergutmachung ihre Schuldgefühle zu reduzieren und erziehen weniger. Sie weiten ihre Anstrengungen auf beiden Märkten aus und versuchen, dem persönlichen und gesellschaftlichen Anspruch, der sich am Vollzeit-Maß Kinderloser orientiert, gerecht zu werden und Beruf und Familie vereinbar zu machen. Dadurch kommt es zu Selbstausbeutung und Unzufriedenheit (Wippermann, 2011, 12). Da diese Situation für Mütter und Kinder mit einer starken Beeinträchtigung des Wohlbefindens verbunden ist, wird dieser Effekt als sozial nicht nachhaltig bewertet.

Der politisch gewollte Druck, der eigenen wirtschaftlichen Existenzsicherung bei gleichzeitiger Verpflichtung Kinder zu versorgen, gibt zunehmend den Impuls der mütterlichen Verantwortungsabgabe der Erziehung an institutionelle Fremdbetreuungseinrichtungen. Dies geht einher mit Kommunikationsverlust und weniger Verbundenheitsgefühl. Schuldgefühle und schlechtes Gewissen werden mit Überbehütung und permissivem Erziehungsstil kompensiert, was der Entwicklung der Kinder auf lange Sicht nicht zuträglich und demnach sozial nicht nachhaltig ist.

Die aktuelle frühkindliche Bildungskampagne fungiert zudem als Anreizsystem, möglichst früh und umfangreich in den Beruf zurückzukehren. Es wird dabei nur mit Studienergebnissen argumentiert, die positive Effekte auf die späteren Kompetenzen der Kinder belegen. Dass ebenfalls ungünstige oder auch keine Zusammenhänge mit der späteren Entwicklung belegt werden konnten, wird nicht thematisiert. Der Bundestag ließ sich im vergangenen Jahr durch die Dokumentation der Wissenschaftlichen Dienste zu aktuellen Publikationen bzgl. der Bindungsforschung unterrichten, in denen auch auf mögliche Gesundheitsgefährdungen hingewiesen wurde (Dokumentation Wissenschaftlicher Dienste, 2018). Den Müttern wird implizit suggeriert, dass sie selber ihren Kleinkindern die zukunftsnotwendige Bildung nicht (mehr) zur Verfügung stellen können und dass sie diese bei häuslicher Betreuung ihren Kindern sogar vorenthalten. Dabei sind Pflege und Erziehung nicht nur gesetzliche Pflicht der Eltern, sondern auch deren natürliches Recht (Grundgesetz, Artikel 6, Satz 2). Auf diese Weise wird den Müttern nicht nur die Kompetenz abgesprochen, sondern auch die gesellschaftliche Anerkennung ihrer Fürsorgearbeit verwehrt. Sie wird auf die Erzieher übertragen, deren Arbeit dadurch mehr wertgeschätzt und mit einem Gehalt vergütet wird. Dadurch wird der Egoismus der Mütter gestärkt, die ihr Selbstwertgefühl zunehmend aus der beruflichen Erfüllung ziehen (Wippermann, 2016, 12), was politisch gewollt ist. Sie sind dadurch weniger zu altruistischen Spenden an ihre Kinder bereit, die dadurch implizit eine eigeninteressierte Grundhaltung erlernen. Dieser Effekt steht der sozialen Nachhaltigkeit entgegen, da die Kinder diese übernommenen Einstellungen wiederum an ihre Kinder weitergeben und sich der gesellschaftliche Zusammenhalt dadurch reduziert.

Die Kinderzahl bleibt dabei zunehmend hinter den eigentlichen Wünschen der Frauen zurück. Akademikerinnen umgehen das beschriebene Dilemma von vornherein, gut 25 % von ihnen bleiben kinderlos (Beaujouan & Berghammer, 2019). Angesichts des demografischen Wandels und des Fachkräftemangels wirkt sich dieser Effekt ebenfalls ungünstig auf die soziale Nachhaltigkeit aus.

6.1.3 Erzieher zwischen Anforderungen und kindlichen Bedürfnissen

Eine große Zahl an zu betreuenden Kleinkindern ist für die Erzieher belastend (Viernickel et al., 2016, 15 f.) und führt aufgrund des Zeitmangels nur zu einer reinen Versorgung, nicht aber zu intensivem Beziehungsaufbau (Jungbauer et al., 2016, 45). Das beeinträchtigt die intrinsische Motivation der Erzieher, da sie um die Bedeutung der Beziehung zu den ihnen anvertrauten Kindern wissen. Dieses Wissen liegt möglicherweise auch implizit vor, da rund 50 % von ihnen aus einem anderen Qualitätsanspruch heraus eigene Kinder lieber nicht institutionell betreut wissen wollen (Jungbauer et al., 2016, 49), was ebenfalls für das Vorliegen kognitiver Dissonanz spricht (Festinger, 1957). Diese Situation verstärkt sich durch unzureichende Personalplanung hinsichtlich Urlaubs- und Krankheitsvertretung und den angestrebten längeren Öffnungszeiten (KiQuTG, 2018) – seit dem Jahr 2016 werden rund um die Uhr geöffnete Tagesstätten durch das Programm KitaPlus gefördert (BMFSFJ, 2015), um die Nachfrage der Eltern nach einem flexiblem Hol- und Bringsystem, wochentags und am Wochenende zu befriedigen (Wippermann, 2016, 14). Diese Entwicklung belegt die politischen Ambitionen, die Fremdbetreuung den Modalitäten des Arbeitsmarktes anzupassen. Aus diesen Gründen ist es nicht möglich, den Kleinkindern eine feste Bezugsperson in der Tagespflege zu garantieren. Es ist abzusehen, dass es immer wieder zu Unterbrechungen im Beziehungsaufbau mit den Kindern kommt und sich Kontinuität, Verlässlichkeit und Feinfühligkeit organisatorisch nur bedingt darstellen lassen. Die entstehenden Informationsasymmetrien zwischen Müttern und Erziehern ermöglichen diesen einen Spielraum, den sie für opportunistisches Verhalten nutzen können und der sich in einer Zunahme von Caregiving In gegenüber den Kindern ausdrückt. Diese Situation zeigt, dass Erzieher in institutionellen Arrangements die Betreuung durch die Mutter nicht gleichwertig ersetzen können, was als bedeutsamer Qualitätsmangel angesehen wird. Da diese Mängel auch durch Verbesserungsmaßnahmen nicht behoben und ausgeschlossen werden können, ist die soziale Nachhaltigkeit im Hinblick auf die unaufschiebbaren Bedürfnisse der Kinder nicht gegeben.

Die Ausbildungsinhalte für den U3-Bereich sind unzureichend und werden, wenn vorhanden, oft nicht in die Praxis umgesetzt (Jungbauer et al., 2016, 47 f.). Dem bereits bestehenden Mangel an qualifiziertem Personal wird aktuell mit einer Fachkräfteoffensive auf Bundesebene begegnet, um den Kindern ausreichend motivierte und qualifizierte Erzieher vorhalten zu können (Förderrichtlinie Bundesprogramm Fachkräfteoffensive für Erzieherinnen und Erzieher, Förderperiode 2019–2023, 2019, 2). So werden nach einem Gute-Kita-Gesetz nun gute Strategien für gute Berufe (Organisation for Economic Co-operation and Development – OECD, 2019) notwendig. Dazu sollen die vorhandenen Fachkräfte gesichert, Personen mit Migrationshintergrund und Männer gewonnen sowie der Quereinstieg gefördert und die Arbeitsbedingungen verbessert werden (Prognos AG, 2018, 14). Diese Maßnahmen sollen den prognostizierten Personalengpass (Autorengruppe Fachkräftebarometer, 2017, 177–185) abmildern, der sich auch in Form eines Personalnotstands (Rauschenbach et al., 2017) einstellen könnte. Dabei scheint dieser bereits vorzuliegen. Rund 95 % der Kitas konnten im Jahr 2018 den empfohlenen Fachkraft-Kind-Schlüssel von weniger als drei Kindern pro Erzieher im U3-Bereich nicht vorhalten (Haderlein, 2019, 23). Während in 42 % der Kitas ein Erzieher bis zu fünf Kinder betreute, waren es in 35 % bis zu acht, und bei knapp 20 % der Einrichtungen sogar bis zu zwanzig Kleinkinder pro Erzieher (Haderlein, 2019, 23). Trotz der bestehenden Umstände wird der Ausbau an Tagesbetreuungsplätzen vorangetrieben (Geis, 2018) und der Personalbedarf damit weiter forciert. Aufgrund dieser Situation können die beschlossenen Maßnahmen zur qualitativen Verbesserung der Betreuung durch das Gute-KiTa-Gesetz (KiQuTG, 2018) weder aktuell für die Kinder zufriedenstellend umgesetzt noch zukünftig garantiert werden.

Dies führt dazu, dass sich die Belastungssituation der Erzieher nicht verbessert, da die Zahl der zu betreuenden Kinder weiter steigt. Hinzu kommt die Ausweitung der Öffnungszeiten, was wiederum mehr qualifiziertes Personal erfordert, welches bereits jetzt schon eine knappe Ressource ist und deren Beschaffung eine Herausforderung darstellt (OECD, 2019). Laut der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung liegen die Gründe unter anderem in Niedriglöhnen, schlechten Arbeitsbedingungen sowie geringer öffentlicher Anerkennung und Ansehen (OECD, 2019, 4 f.). Dadurch steigt die Wahrscheinlichkeit, dass Erzieher den Tagespflegebereich wieder verlassen und sich beruflich umorientieren. Oder sie leisten ihre Beziehungsarbeit aus einem überwiegend extrinsisch motivierten Pflichtgefühl an den ihnen anvertrauten Kindern ab, weil es der Beruf von ihnen verlangt. Sie übermitteln diese Einstellung nonverbal über ihren Emotionsausdruck an die Kleinkinder (Ames & Johar, 2009), die auf dieses Weise mehr Caregiving In erfahren. Aus den bereits diskutierten Gründen trägt das nicht in erforderlichem Maß zur sozialen Nachhaltigkeit bei, da es das spätere Erleben und Verhalten der Kinder ungünstig determinieren kann.

Im Folgenden soll der integrative Betrachtungsrahmen ausgeweitet werden und Überlegungen zu langfristigen Wohlfahrtseffekten in die Diskussion einfließen. Wie eingangs erwähnt, kommen Aspekte zu Pfadabhängigkeiten, Gesundheit und Bildung hinzu. Anschließend werden einige ökologische und ökonomische Argumente ergänzt, um alle drei Säulen der Nachhaltigkeit in den Blick genommen zu haben.

6.1.4 Pfadabhängigkeiten und Betreuungskulturen

Pfadabhängigkeiten wurden bereits in Zusammenhang mit der unterschiedlichen Müttererwerbs- und Betreuungskultur in Ost- und Westdeutschland in Abschnitt 3.3 aufgezeigt. Diese kulturellen Unterschiede beruhen auf regional unterschiedlichen Einstellungen (Wenzel, 2010), die unbewusst und transgenerational in Form von Leitbildern weitergegeben werden (Diabaté & Beringer, 2018). Müttererwerbsarbeit und Fremdbetreuung von Kleinkindern sind eng miteinander verbunden und stehen in Abhängigkeit von diesen Leitbildern. Diese werden maßgeblich durch das vererbte implizite Bindungswissen gestützt, das sich durch das Ausmaß der erlebten synchronen Cues während der positiven Interaktionen mit der Mutter (Levy, Goldstein & Feldman, 2017) neurobiologisch eingeschliffen hat (Pratt, Goldstein & Feldman, 2018). Fujiwara, Weisman, Ochi, Shirai, Matsumoto, Noguchi & Feldman (2019) konnten die genetische transgenerationale Weitergabe des Bindungsmechanismus durch Oxytocin über drei Generationen belegen. Das Nutzen von Tagespflege zur Ausübung einer Berufstätigkeit bedingt sich also durch unterschiedlich ausgeprägte Bedürfnisse bezüglich der Fürsorge für ein Kind und determiniert den Grad des Caregiving. Mütter mit einem ausgeprägten Bedürfnis nach Caregiving wollen ihre Berufstätigkeit zurückstellen und nehmen eher weniger umfangreich die Tagespflege in Anspruch als Mütter mit einem geringeren Bedürfnis nach Caregiving, die entsprechend umfangreicher und früher einer Berufstätigkeit nachgehen und die Fremdbetreuung nutzen wollen. Leitbilder und Bindungsverhalten sind somit sehr robust und ändern sich, wenn überhaupt, nur langsam und über viele Generationen hinweg. Durch Erhöhung des wirtschaftlichen Drucks, bei gleichzeitigem Entzug von Anerkennung für die häusliche Versorgung von Kleinkindern, gerät das verwurzelte Fürsorgebedürfnis und das damit einhergehende Pflichtgefühl der Verantwortung von Müttern in Bedrängnis. Es entsteht dadurch ein Zwang, der zur Ausweitung der eigenen Berufstätigkeit führt, die dem impliziten Sorgebedürfnis entgegensteht und das Wohlbefinden der Mütter negativ beeinträchtigt. Aber nicht nur Leitbilder und Bindungswissen werden transgenerational vererbt, sondern auch Gesundheit, und zwar insbesondere während der ersten drei Lebensjahre (Coneus & Spiess, 2012).

6.1.5 Gesundheit und Wohlbefinden

Überlange Arbeitszeiten, mehr als 48 Stunden pro Woche, sowie Nacht- und Wochenendarbeit, können die Gesundheit und das Privatleben negativ beeinträchtigen (Statistisches Bundesamt, 2018, 162), wobei die Arbeit bei mehreren Arbeitgebern zusammenzurechnen ist (§ 2 Arbeitszeitgesetz, 1994). Berufstätige Mütter sind auf zwei Märkten Anbieter ihrer Arbeitskraft – auf dem Fürsorgemarkt, der im Rahmen des Caregiving-In-Modells vorgestellt wurde, sorgen sie für die Erfüllung der Bedürfnisse der jüngsten Gesellschaftsmitglieder, und auf dem Arbeitsmarkt. Mütter übernehmen trotz Ausweitung der Erwerbsarbeit noch immer den Hauptteil der Kindererziehung und Hausarbeit. Sie wenden damit pro Woche insgesamt 12 Stunden mehr Zeit auf als Väter und haben im Vergleich zu Kinderlosen wochentäglich durchschnittlich 3 Stunden und an Sonntagen 9,5 Stunden weniger Zeit zur freien Verfügung (eigene Berechnung nach Samtleben, 2019). Dabei wäre der Sonntag eigentlich als Tag der „Arbeitsruhe und seelischen Erhebung zu schützen“ (§ 1 Arbeitszeitgesetz, 1994). Mütter leisten mit der Betreuung ihrer Kinder dieselbe Arbeit, für die Erzieher im Rahmen einer Vollzeitstelle mit 2.685,14 Euro (TVöD-SuE, Entgeltgruppe 8a, Stufe 1) vergütet werden. Und sie leisten diese Arbeit nicht nur tagsüber, sondern auch nachts und am Wochenende. Die durch das nächtliche Aufwachen der Kinder verkürzte Schlafdauer der Mütter beeinflusst nicht nur deren Arbeitsumfang, mit der Wahl Teilzeit vs. Vollzeit, sondern beeinträchtigt auch ihre Produktivität und das Haushaltseinkommen negativ (Costa-Fond & Fleche, 2018). Diesen Zusammenhang konnten die Autoren bei den Vätern nicht nachweisen. Es kommt im Rahmen der Doppelbelastung durch Beruf und Familienarbeit zu psychischen Beeinträchtigungen in Form von Angst und Depressionen, die in Zusammenhang mit der Ausweitung des Erwerbsumfanges stehen (Sperlich, Arnhold-Kerri & Geyer, 2011, 743); zum einen schlicht durch die zeitliche Überbeanspruchung und die fehlenden Erholungszeiten, zum anderen durch Inter-Rollenkonflikte (Fetchenhauer, 2011, 419) und kognitive Dissonanzen (Festinger, 1957). Diese entstehen aufgrund des individuellen, inneren Caregiving-Skripts sowie der Tatsache der Unzufriedenheit über die unzureichende Altersrente (Wippermann, 2018, 9) durch Teilzeitarbeit nebst gesellschaftlich und politisch fehlender Wertschätzung. Die Auffassung der Bundesagentur für Arbeit, die „wesentliches Potenzial […] in einer Erhöhung des Arbeitszeitvolumens von Frauen“ sieht, da „vor allem Mütter […] nicht so viele Arbeitsstunden wie Männer und Frauen ohne Kinder [arbeiten]“ (Bundesagentur für Arbeit, 2019, 8) kann daher nicht nachvollzogen werden und wird als perspektivisch eingeschränkt bewertet.

Sperlich et al. (2011, 742) stellten einen Gesundheitsvorteil bei ausschließlicher Familienarbeit fest, insbesondere bei Kindern im Alter unter zwei Jahren. Der Grund dafür wird im stimmigen Kohärenzgefühl der Mütter gesehen. Die Modalitäten der Vereinbarkeit von Beruf und Familie entscheiden darüber, ob die Berufstätigkeit von Müttern als protektiver Faktor oder als Gesundheitsrisiko wirkt (Sperlich et al., 2011, 743). Während Väter sich im Jahr 2003 bereits am wohlsten fühlten, wenn sie selber viel arbeiteten, ihre Frau hingegen wenig, und sie dadurch wenig Hausarbeit übernehmen mussten (Spruijt & Duindam, 2003), stieg die Belastung der Mütter durch die Ausweitung ihres Erwerbsumfangs immer weiter an. Eine Entlastung durch die Väter findet kaum statt und wird eher notgedrungen als freiwillig geleistet (Samtleben, 2019). Es ist jedoch zu überdenken, dass auch Väter mit ihrem Erwerbsvolumen bereits über dem kinderloser Männer liegen und es sich bei der zurückhaltenden Unterstützung möglicherweise nicht (nur) um ein Nichtwollen handelt, sondern vielleicht auch ein nicht mehr Können darin zum Ausdruck kommt. In der Konsequenz nimmt der Stress der Mütter durch die Dreifachbelastung, Kombination von Erwerbsarbeit, Kindererziehung und Haushaltsorganisation, weiter zu.

Auch die Kleinkinder können durch die frühe und umfangreiche Fremdbetreuung von Stresserleben betroffen sein, wie bereits im Studienüberblick dargelegt wurde. Bereits seit dem Jahr 2001 ist eine erhöhte Anfälligkeit für Depressionen und Angststörungen bei Kindern durch wiederholte, frühe Stressbelastungen erwiesen (Heim & Nemeroff, 2001) und ein klarer Zusammenhang zu kurz- und langfristigen Effekten hinsichtlich der Entwicklung einer Depression inzwischen belegt (Syed & Nemeroff, 2017). Da das Stresserleben subjektiv empfunden wird und sich in Abhängigkeit früher Bindungserfahrungen damit Unterschiede der individuellen Vulnerabilität ergeben (Morley & Moran, 2011), lassen sich keine genormten Aussagen über ein zulässiges Stressmaß ableiten. Insbesondere Kleinkinder können durch das fehlende Emotionsvokabular ihre Empfindungen noch nicht sprachlich ausdrücken und sind darauf angewiesen, dass ihre Signale von der Bindungsperson, die meist die Mutter ist, wahrgenommen und richtig interpretiert werden und dass sie ihr Bindungsverhalten im Fall des Stresserlebens aktivieren können.

Während physische Erkrankungen in Deutschland abnahmen, stieg der Anteil psychischer Erkrankungen von 7 % im Jahr 2000 auf 14,7 % im Jahr 2016 an und auch die Dauer der Arbeitsunfähigkeit nahm um 31 % zu (Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde e. V. – DGPPN, 2018, 20). Mädchen werden mit zunehmendem Alter psychisch auffällig, was sich in internalisierenden Verhaltensweisen äußert (Baumgarten, Klipker, Göbel, Janitza & Hölling, 2018, 62). Die Entwicklung von Depressionen steht in einem engen Zusammenhang mit Bindungen und wird als das „Scheitern von Kommunikation und Verbundenheit“ (Schauenburg, 2018, 9) angesehen. Durch die transgenerationale Vererbung von Bindungswissen können sowohl protektive Faktoren als auch Risikofaktoren weitergegeben werden, maßgeblich durch den Feinfühligkeitsgrad der wichtigsten Bindungsperson vermittelt. Auf diese Weise determinieren sich Resilienz und Vulnerabilität der Kinder im späteren Lebensverlauf und damit die Wahrscheinlichkeit des Auftretens depressiver Erkrankungen. Frühe Lebenserfahrungen modulieren so auf epigenetischer Ebene den individuellen Umgang mit Stresserleben, sodass kognitive Skripte von Bewältigungserfahrungen oder Hilflosigkeit entstehen. Das frühe Erleben von Verlust, Enttäuschung und Verunsicherung schafft genetische Verletzlichkeit und begünstigt das Entstehen entsprechender Selbstkonzepte und Depressionen (Schauenburg, 2018, 14).

Die Aufwachsbedingungen von Kleinkindern haben sich durch die umfangreiche Fremdbetreuung grundlegend verändert. Die Zahlen der ganztägig fremdbetreuten Kinder im U3-Bereich ist in Deutschland im Vergleich zu anderen europäischen Ländern jedoch noch relativ gering, da erst seit den Jahren 2008 und 2013 der Ausbau der Tagesbetreuung intensiv vorangetrieben wird. Aus diesen Gründen lassen sich langfristige Effekte, die sich ohnehin kausal kaum bestimmen lassen, in Studien zumindest für Deutschland noch nicht untersuchen. Hinzu kommt die zunehmend fehlende Möglichkeit des Vergleichs durch Kontrollgruppen, da es diese kaum mehr gibt. Daher soll zwecks Datensuche ein Blick nach Schweden geworfen werden, das als Vorreiter seit drei Jahrzehnten die ganztägige, frühkindliche Bildung von Kleinkindern institutionell umsetzt (Schreyer & Oberhuemer, 2017, 2) und mit seinen Qualitätsstandards für die deutsche Politik eine Vorbildfunktion einnimmt.

Seit etwa drei Jahrzehnten hat Schweden einen Anstieg internalisierender Probleme zu verzeichnen (Socialstyrelsen, 2019). Dabei waren jugendliche Mädchen und junge Frauen zwischen den Jahren 1981 und 2014 besonders betroffen (Blomqvist, Blom, Hägglöf & Hammarström, 2019), jüngere Kinder hingegen nicht (Hagquist, 2010). Die Gründe für diese Entwicklungen sind bislang unklar und können durch soziodemografische Faktoren nicht erklärt werden (Blomqvist et al., 2019; Lager, Berlin, Heimerson & Danielsson, 2012, 43, 60). Es werden radikale, kulturelle gesellschaftliche Veränderungen in den letzten dreißig Jahren vermutet, die die Lebensumstände eines Großteils der Bevölkerung betreffen (Lager et al., 2012, 43, 60 f.; Blomqvist et al., 2019). Sie sind in Schweden Anlass zur Sorge, insbesondere hinsichtlich der gesundheitlichen Entwicklung der Mädchen, und stellen eine Herausforderung für das dortige Gesundheitssystem dar (Hagquist, 2010). Nicht nur in Schweden, sondern auch in Island und Dänemark hat sich die Einnahme von Antidepressiva seit dem Jahr 1995 vervierfacht, in Finnland und Norwegen fiel der Konsum etwas geringer aus (Vilhelmsson, 2013). Die im Jahr 2015 in Zusammenhang mit psychischen Erkrankungen entstandenen Kosten betrugen in der Europäischen Union 4 % des Gross Domestic Product (GDP), rund 600 Billionen Euro (OECD/EU, 2018, 20), allein 240 Billionen Euro aufgrund von Produktivitätsverlust und Arbeitsunfähigkeit (OECD/EU, 2018, 30). Psychische Erkrankungen stellen damit nicht nur eine starke Einschränkung des Wohlbefindens der Betroffenen, sondern auch eine erhebliche ökonomische Belastung dar. Aus diesem Grund haben gesundheitsfördernde und präventive Maßnahmen Priorität (OECD/EU, 2018, 20).

Dass insbesondere Mädchen und Frauen von Depressionen betroffen sind, stellt eine besondere Brisanz dar. Depressive Mütter determinieren nicht nur direkt die mentalen Probleme ihres Kindes (Mesman, IJzendoorn van & Bakermans-Kranenburg, 2009; Humphreys, King, Choi & Gotlib, 2018), sondern in höherem Lebensalter des Kindes auch indirekt (Priel, Djalovski, Zagoory‐Sharon & Feldman, 2019). Das bedeutet, je größer die Zahl depressiver Mütter ist, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass Kinder – vor allem Mädchen – im Lauf ihres Lebens ebenfalls psychisch erkranken. Auf diese Weise reichern sich depressive Erkrankungen über Generationen in einer Gesellschaft an. Es kann zusätzlich davon ausgegangen werden, dass sich die zunehmende Zahl depressiver Erkrankungen nicht nur auf die Mütter und Mädchen beschränkt, sondern dass in gleichem Maße auch weibliche Erzieher betroffen sind. Dadurch würden sich auch institutionell sehr ungünstige Entwicklungsbedingungen für alle dort betreuten Kinder ergeben. Angesichts dieser Verkettungen wird das Entstehen eines malignen Kreislaufs vermutet, der die Gesellschaft sozial und ökonomisch schädigt.

In einer durch UNICEF durchgeführten aktuellen Erhebung zur familienfreundlichen Ausgestaltung der Rahmenbedingungen nahmen die skandinavischen Länder (wiederholt) die vordersten Plätze ein – Gütekriterium war unter anderem der hohe Anteil fremdbetreuter Kinder unter drei Jahren (Chzhen, Gromada & Rees, 2019). Es erscheint auffällig, dass in ebendiesen Ländern der Konsum von Antidepressiva besonders hoch und wohl notwendig ist. Möglicherweise ist die gravierende Veränderung der Lebensumwelten von Kleinkindern und ihren Müttern die noch unbekannte Ursache der Zunahme von Depressionen, der in vielen Industrienationen zu beobachten ist. Es scheint, als habe sich die frühe Fremdbetreuung als Best Practice soweit etabliert, dass sie als nachahmenswerter Standard gilt. Der Referenzpunkt wurde dadurch verschoben. So könnte sich eine generalisierte Wahrnehmungseinschränkung eingestellt haben, aufgrund derer das politische Tun durch die entsprechende Ausgestaltung der Rahmenordnung nicht mehr hinterfragt und als mögliche Ursache der angestiegenen psychischen Erkrankungen der Mädchen nicht mehr in Betracht gezogen wird. Aufgrund sich zeigender Parallelen wird es für möglich gehalten, dass die schwedische Entwicklung auch für Deutschland prognostiziert werden kann, sofern die Fremdbetreuungsquoten weiterhin, politisch durch den frühkindlichen Bildungsaspekt forciert, ansteigen. Ob sich ein Zusammenhang auch empirisch belegen und eine Aussage über eine eventuelle Kausalität daraus ableiten lässt, sollte untersucht werden.

6.1.6 Kompetenzentwicklung

Da der Ausbau der Tagesbetreuung mit dem Bildungsaspekt begründet wird, erscheint es konsequent, diesen auf seine längerfristigen Effekte hin zu beleuchten. Die in Abschnitt 3.1 vorgestellten Studien belegen zum Teil positive Effekte auf kognitive und emotionale Kompetenzen der Kinder. Diese werden für die politische Argumentation herangezogen und sollen den volkswirtschaftlichen Nutzen belegen (einen Überblick bieten Schmitz & Kröger, 2017). Trotz der Erhöhung der Bildungsausgaben während der letzten zehn Jahre, konnten allerdings keine Lernverbesserungen erzielt werden (OECD, 2016a, 287). Die Kompetenzen deutscher Schüler liegen insgesamt über dem Durchschnitt, wobei die Ergebnisse seit dem Jahr 2006 bzw. 2012 stagnieren und leicht rückläufig sind (OECD, 2015, 1; OECD, 2016b; Bundesministerium für Bildung und Forschung, 2016). So kommt Renzsch (2018) zu dem Schluss, dass die Ergebnisse angesichts der Anstrengungen ernüchternd seien und Deutschland im internationalen Vergleich eher mittelmäßig abschneide (Renzsch, 2018, 186). Trotzdem hat sich die Zahl der Abiturienten, die mit der Bestnote abschlossen, zwischen 2006 und 2017 knapp verdoppelt, was mit den durch PISA (Programme for International Student Assessment) festgestellten, teils rückläufigen Kompetenzniveaus allerdings weder übereinstimmt noch erklärt werden kann (Geis-Thöne, 2019b). Vielmehr deuten diese Entwicklungen auf ein Absinken der Anforderungen und damit auf einen Verlust des Qualifikationsniveaus hin.

Hinsichtlich der Entwicklung emotionaler Kompetenzen kann festgestellt werden, dass Mobbing und Gewalt an Schulen zunehmen. Die folgenden Daten sind aus der Dokumentation der Wissenschaftlichen Dienste für den Bundestag (Deutscher Bundestag, 2018) übernommen: Jungen zwischen 12 und 19 Jahren sind mit 21 % etwas häufiger betroffen als Mädchen mit 19 % im gleichen Alter. Bei den Elfjährigen sind es 11 % der Jungen und 9 % der Mädchen. Auch Lehrer berichten zu 55 % von einem Anstieg der psychischen Gewalt, davon entfallen 41 % auf Gymnasien, 81 % auf Haupt- und 52 % auf Grundschulen. Rund die Hälfte der Schulleiter berichtete von psychischer Gewalt gegen Lehrer durch Beschimpfungen, die in 20 % der Fälle anonym über das Internet stattfand, und zu 26 % von körperlicher Gewalt. Die Opfer empfanden Stress, Angst, soziale Isolation, Angespanntheit und Wut und entwickelten Schlafstörungen, Depressionen und Suizidgedanken, was zur allgemeinen Leistungsminderung führte. Die Motive der Täter waren Macht, Rache und die Freude am Leid anderer. Sie hatten ein hohes Selbstbewusstsein, waren dominant und impulsiv und hatten ein geringes Einfühlungsvermögen. Derartige Verhaltensweisen zeigen zum einen fehlende Empathie und mangelhafte Impulskontrolle und zeugen von gestörter Emotionsregulation. Zum anderen kommen auch fehlende Selbstwirksamkeitserwartung und Resilienz sowie die damit verbundene Vulnerabilität zum Ausdruck. Um dieser zunehmenden Problematik zu begegnen, hat die Familienministerin im vergangenen Jahr das bundesweite Interventionsprogramm „Respekt Coaches/ Anti-Mobbing-Profis“ gegen Radikalisierungstendenzen ins Leben gerufen (Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, 2018).

Zusammenfassend lässt sich bezüglich des frühkindlichen Bildungsanspruchs festhalten, dass sich die in Studien teils nachgewiesenen positiven Effekte, sowohl in Bezug auf kognitive als auch auf emotionale Kompetenzen der Kinder, als nicht robust erweisen. Vielmehr wird es für möglich gehalten, dass sich in Schulen aufgrund eines offenbar gravierenden emotionalen Kompetenzmangels seitens der Kinder zunehmend weniger Wissen vermitteln lässt. Somit können die frühen Bildungsbemühungen des U3-Bereichs als ineffektiv bewertet werden. Möglicherweise hat es doch bedeutenderen Einfluss auf die kindliche Entwicklung als bislang angenommen, dass der emotionale und kognitive Input der Eltern durch deren Feinfühligkeit moderiert wird (King, Humphreys & Gotlib, 2019).

6.1.7 Ökonomisches und Ökologisches Themenfeld

Ziel der Arbeit ist eine integrative Betrachtung von Wohlfahrtseffekten und der Bewertung dieser im Hinblick auf die soziale Nachhaltigkeit. Da eine Nachhaltigkeitsbewertung hinsichtlich der Fragestellung auch die beiden anderen Säulen, Ökonomie und Ökologie, umfassen muss und sich daraus vielfach Zielkonflikte mit dem sozialen Themenfeld ergeben können, die eine Abwägung und Priorisierung erfordern, sollen diese beiden Themenfelder nicht gänzlich unerwähnt bleiben. Für eine Effizienzanalyse sind Kosten und Nutzen nicht nur hinsichtlich der ökonomischen, sondern auch der ökologischen und sozialen Belange gegenüberzustellen, um die Ressourcen gerecht zu verteilen. Um eine Vergleichbarkeit mit alternativen Verwendungsmöglichkeiten zu erreichen, ist eine Monetarisierung notwendig. Diese ist im vorliegenden Fall schwer darstellbar und macht daher einen Stakeholderdialog erforderlich, um alle Interessen und Bedürfnisse berücksichtigen zu können. Kinder und ihre Mütter gehören mit zu den schwächsten Gesellschaftsmitgliedern und bedürfen deshalb der besonderen Fürsorge des Staates (Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland, Artikel 6, Satz 4). Hinsichtlich eines solchen Dialoges können im Rahmen dieser Arbeit nur einige Anregungen erfolgen, welches jedoch der Zielstellung entspricht. Diese sind im Hinblick auf die soziale Rendite bereits umfangreich erfolgt und werden nun in der gebotenen Kürze durch die ökonomische und ökologische Perspektive ergänzt.

Bei der Berechnung der fiskalischen Rendite sollten neben Investitions-, Betriebs- und Lohnkosten im U3-Bereich und den Kosten für Qualitätsverbesserungen durch das Gute-KiTa-Gesetz auch die Ausbildungskosten der Erzieher sowie die Kosten der Fachkräfteoffensive und der geplanten Gehaltssteigerung des Personals berücksichtigt werden. Zusätzlich sind die übrigen Bildungsausgaben, Kosten für Kindergarten und Schulbildung nebst Interventionsprogrammen anzusetzen. Ebenfalls sollten entstehende Gesundheitskosten und Produktivitätsverlust zu Buche schlagen. Auf der Nutzen-Seite sollten sich Steuereinnahmen, Elternbeiträge und das Potential des wachsenden Betreuungsmarktes, in Form von Produktabsätzen und Dienstleistungen wiederfinden.

Hinsichtlich der ökologischen Rendite sollten alle Kosten aufgeführt werden, die durch die Vorhaltung einer Doppelresidenz der Kleinkinder entstehen. Es ist mit einem erheblichen zusätzlichen Ressourcenverbrauch zu rechnen, da die häuslichen Ressourcen tagsüber ungenutzt bereitstehen. Zudem ist das Anfallen von Energiekosten für den Weg zur Tagespflegestelle wahrscheinlich, gleich denen der berufstätigen Mütter. Es wird vermutet, dass aufgrund Zeitmangels diese Wege häufig mit dem Auto auf dem Weg zur Arbeitsstätte zurückgelegt werden. Hinsichtlich der Schonung der Umwelt wird das Rollenvorbild als unvorteilhaft bewertet. Becker (1965, 514 f.) wies bereits darauf hin, dass aufgrund der Erhöhung des Zeitwerts eine Substitution mit teureren Gütern stattfinden würde. Er nannte beispielhaft die Inanspruchnahme von Fremdbetreuung und den Konsum von Fertiggerichten, da den Müttern die Zeit zum Kochen und zum Eigenbetreuen ihrer Kinder fehle (Becker, 1965, 514). Tatsächlich wird in Haushalten mit Kindern nur (noch) zu 44 % nahezu täglich gekocht, wobei eine schnelle Zubereitung vor allem Frauen wichtig ist, und 95 % sehen die frühkindliche Ernährungsbildung auf gleicher Stufe wie Mathematik und im Aufgabenbereich von Schule (Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft – BMEL, 2018, 9, 5, 43) und Kita (Heseker, Dankers, Hirsch, 2018, 165). An diesen Zahlen zeigen sich zeitliche Enge und Verantwortungsübertragung, sodass das notwendige Umwelt- und Gesundheitsbewusstsein von Müttern ebenfalls nicht mehr in ausreichendem Maße vorgelebt werden kann. Den ökologischen Fußabdruck eines ganztägig untergebrachten Kleinkindes pro Jahr im Vergleich zum häuslichen Setting zu errechnen, stellt sich als reizvoll und für den Stakeholderdialog notwendig dar. Nicht nur aus ökologischer Sicht zeigt sich eine unnötige Verschwendung von Ressourcen, sondern auch aus ökonomischer Sicht, da nach dem Minimalprinzip die Betreuung von Kleinkindern mit geringeren finanziellen Mitteln erfolgen könnte.

Die Wirtschaftsleistung von unbezahlter Fürsorge- und Familienarbeit findet sich nicht im Bruttoinlandsprodukt (BIP) wieder. Hinsichtlich des ebenfalls in der Nachhaltigkeitsstrategie der Bundesregierung befindlichen Ziels Nummer 8.4., des stetigen und angemessenen Wirtschaftswachstums (Deutsche Nachhaltigkeitsstrategie, 2018, 55), erscheint es daher plausibel, die unbezahlte Fürsorgearbeit von Müttern durch Erziehergehälter und die Gehälter der dann erwerbstätigen Mütter zu ersetzen. Beide schlagen sich im Bruttoinlandsprodukt ebenso unmittelbar nieder wie die Herstellung der für den zurzeit stark wachsenden Betreuungsmarkt notwendigen Produkte und Dienstleistungen, die zur Befriedigung der neu entstehenden Bedürfnisse nachgefragt werden.

Bevor die Forschungsfrage beantwortet werden kann, halten einige Aspekte des theoretischen Analyserahmens sowie des Caregiving-In-Modells Einzug in die Argumentation, um die Diskussion hinsichtlich möglicher gesellschaftlicher Entwicklungen zu vervollständigen. Die verhaltensökonomischen Aspekte schließen sich hieran an.

6.1.8 Staatliche Eingriffe, Verantwortung und Gerechtigkeit

Die Kleinkinder haben weder auf Umfang und Zeitpunkt des beruflichen Wiedereinstiegs ihrer Mütter einen Einfluss noch auf die Art ihrer Betreuung, da ihnen die Voice-Option fehlt. Ihre Bedürfnisse können nur dann (ausreichend) Einfluss auf die Entscheidungen der Mütter nehmen, wenn diese es sich finanziell leisten können und nicht unter wirtschaftlichem Druck stehen. Dieser wird jedoch von der Politik, getarnt unter dem Begriff der Gleichstellung, gezielt aufgebaut, sodass Mütter nicht mehr die Wahl haben, die Bedürfnisse ihrer Kinder (ausreichend) in ihre Arbeitsangebotsentscheidungen einzubeziehen (Burghardt, 2018, 48). Vielmehr liegt der eigentliche Wunsch zum Start in die Fremdbetreuung zehn Monate vor der realen Inanspruchnahme und fällt mit dem Ende der Elterngeldzeit zusammen (Burghardt, 2018, 49). Die Bedürfnisse von Kindern und Müttern werden auf diese Weise übergangen und arbeitsmarktpolitischen Zielen untergeordnet – prozedurale Gerechtigkeit findet nicht statt. Es steht aus diesen Gründen infrage, ob dem Artikel 6, Satz 4 des Grundgesetzes, „jede Mutter hat Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft“, unter den gegebenen Umständen ausreichend entsprochen wird (Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland, Artikel 6, Satz 4). Erwerbstätige Mütter befinden sich durch fehlende Ruhe- und Erholungszeiten vielmehr in einer Situation der Überforderung. Die Kombination von erwarteter Vollzeitstelle und Teilzeitfürsorge stellt einen gesellschaftlich gebilligten Dauerzustand der Ausbeutung dar. Ein Vorschlag, die geleisteten Wochenstunden von arbeitenden Müttern als neuen Maßstab anzusetzen und vollschichtig arbeitende Kinderlose abends, nachts und an Wochenenden unentgeltlich in der rund um die Uhr bedarfsgerecht geöffneten Tagespflege zu beschäftigen, stieße vermutlich auf wenig Verständnis, obwohl durchaus mit dem Gerechtigkeitsaspekt dafür argumentiert werden könnte.

Mütter haben ein Recht auf Ausfüllung multipler Rollen, denn sie sind nicht nur Frau, sondern auch Mutter. Entsprechend des vorgestellten Caregiving-In-Modells erbringen Mütter ihre Arbeitsleistung auf zwei Märkten gleichzeitig. Die Umfänge auf beiden Märkten werden hauptsächlich durch das Alter und die Anzahl der Kinder moderiert und sollten sich insgesamt am geltenden Arbeitszeitgesetz orientieren. Es wurde zum Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer beschlossen und muss daher auch für Mütter gelten. Mütter haben nicht nur die Pflicht ihrer Ur-Verantwortung (Jonas, 2017, 185, 234) gegenüber ihren Kindern durch die Personensorge nachzukommen, sondern auch das Recht. Somit kann gelten, dass Mütter ein Recht auf Erziehungs- und Erwerbsteilhabe haben. Die Teilhabe-Umfänge sollten sich dabei an der Entwicklung der Kinder und damit an deren Bedürfnissen und Wohlergehen orientieren, gedeckelt auf einen Vollzeitumfang, da auch die Kinder das Recht auf Bindung und Teilhabe an der Zeit mit ihren Müttern haben.

Bei der Analyse der Themenstellung hinsichtlich des Auftretens von Wohlfahrtseffekten wurde nach der Beschränkung freiwilliger Tauschhandlungen gesucht. Das Marktgleichgewicht auf dem Fürsorgemarkt, der mit dem Caregiving-In-Modell vorgestellt wurde, wird durch den auf den Müttern lastenden wirtschaftlichen Druck gestört. Einerseits, weil ein einziges Haushaltseinkommen zunehmend nicht mehr den Lebensbedarf einer Familie decken kann, zum anderen durch die mit der Unterhaltsreform beschlossenen Stärkung der wirtschaftlichen Eigenverantwortung der Mütter. Diese Änderung des ordnungspolitischen Rahmens stellt einen Markteingriff dar. Die freiwilligen Tauschhandlungen zwischen Müttern und Kindern auf dem Fürsorgemarkt werden dadurch beschränkt und die spontane Ordnung (Klausinger, 2013, 48) gestört. Der Zweck staatlicher Marktregulierungen besteht grundsätzlich in der Internalisierung von externen Effekten und Behebung von Informationsasymmetrien (Roth, 2016, 163 ff., 195), da sie die „wesentlichen Marktversagensgründe“ (Enste & Hüther, 2011, 36) sind. Im vorliegenden Fall werden durch die politischen Entscheidungen jedoch asymmetrische Informationen und negative externe Effekte produziert. Die während der Abhandlung zahlreich herausgearbeiteten Effekte stellen sich als Folge dieser Markteingriffe dar und werden als Externalitäten angesehen. Eine effiziente Ressourcenallokation, in diesem Fall ist es die Arbeitszeit der Mütter, setzt freiwilligen Tausch auf beiden Märkten voraus, wobei den Entscheidungen der Mütter unterschiedliche Präferenzen zugrunde liegen. Markteingriffe lassen sich nur dann rechtfertigen, wenn durch den Tausch niemand schlechter gestellt wird und ein Beleg über den Mehrwert des Eingreifens erbracht wurde (Noll, 2013, 51). Dies ist vorliegend nicht der Fall und orientiert sich nicht an verantwortungsvollem staatlichem Handeln. Das Wohlergehen von Kindern und Müttern wird systematisch beeinträchtigt beziehungsweise diese Beeinträchtigung in Kauf genommen. Die Allokation der mütterlichen Zeitressourcen ist unter den gegebenen ordnungspolitischen Rahmenbedingungen nicht pareto-effizient, woraus sich ein Wohlfahrtsverlust ergibt (Roth, 2016, 23 ff.). Die staatlichen Eingriffe in den Fürsorgemarkt sowie die aktuellen familienpolitischen Maßnahmen kommen einer Planwirtschaft von Bedürfnissen gleich. Dabei hat sich im Geschichtsverlauf bereits gezeigt, dass diese schon mit Gütern nicht funktioniert hat (Gutmann, 1990). Die politischen Formvorgaben zu Erwerbsverhalten und Fremdbetreuung, die möglicherweise auch implizit durch Pfadabhängigkeiten seitens von Politikern beeinflusst sind, stellen eine Anmaßung von Wissen (Hayek, 1975; Vanberg, 2011, 241 ff.) dar.

Auf diese Weise führt das rationale Verhalten der Mütter, für die eigene Alterssicherung zu arbeiten, zu kollektiv ungünstigen, möglicherweise selbstschädigenden, Wirkungen. Es wird daher davon ausgegangen, dass, je nach Alter und Anzahl der Kinder, die Erwerbsarbeit von Müttern dem abnehmenden Grenznutzen unterliegt (Gossen, 1854, 4 f.). Durch die gewollte Aufhebung der familiären Arbeitsteilung zwischen Müttern und Vätern und der Gleichteilung von Erwerbs-, Erziehungs- und Hausarbeit, als Gleichstellung etikettiert und dabei unterschiedliche Bedürfnisse (Eyerund & Orth, 2019) außerachtlassend, gehen komparative Vorteile verloren, womit Wohlfahrtsverluste einhergehen (Roth, 2016, 16 ff., 20 ff.). Der Wert intrinsisch motivierter (Bruni & Smerilli, 2009) Mütter bleibt gesellschaftlich zunehmend ungenutzt, da sie aus dem Fürsorgemarkt abgezogen werden. Dabei zählt die Fürsorge für Kinder zu den Kernkompetenzen von Müttern und kann als Wertschöpfungsprozess verstanden werden (Mincer & Polachek, 1974, 107; Becker, 1965, 496, 516). Als Ersatz müssen Erzieher anhand einer Fachkräfteoffensive kostenintensiv beschafft und mit Gehaltssteigerungen zum Verbleib in der Tagespflege motiviert werden (Förderrichtlinie Bundesprogramm Fachkräfteoffensive für Erzieherinnen und Erzieher, Förderperiode 2019–2023). Es hat den Anschein, als bedienten sich politische Entscheidungsträger eines familienpolitischen Instruments, um arbeitsmarktpolitische Notwendigkeiten aufgrund des Arbeits- und Fachkräftemangels durchzusetzen. Um an das Potenzial des Produktionsfaktors „Mutter“ zu gelangen, wurde eilends ein gutes Gesetz geschaffen, um die Kleinkinder qualitativ gut fremdbetreuen und noch besser bilden zu können.

Aber nicht nur rein wirtschaftswissenschaftliche bzw. psychologische Ansätze helfen zum Verständnis des gesellschaftlichen Geschehens weiter, sondern auch der Blickwinkel der Verhaltensökonomik bietet einen interessanten Erklärungsgehalt.

6.1.9 Verhaltensökonomische Perspektive

Regierungen setzen zunehmend verhaltensökonomische Techniken ein, um das individuelle Verhalten zu ändern und politische Ziele zu verfolgen (Benartzi, Beshears, Milkman, Sunstein, Thaler, Shankar, Tucker-Ray, Congdon & Galing, 2017). Die frühe Fremdbetreuung mit dem Begriff frühkindliche Bildung zu verpacken, soll den Müttern die Entscheidung des möglichst frühen und umfangreichen Wiedereinstiegs in den Beruf leichter machen. Es wird suggeriert, dass die Kinder ohne diese frühen Bildungserfahrungen einen Nachteil im Kompetenzerwerb erleiden. Auf diese Weise werden die Mütter verunsichert und ihnen ein schlechtes Gewissen gemacht. Da Verluste, am individuellen Referenzpunkt bemessen, etwa doppelt so hoch gewichtet werden wie Gewinne (Kahnemann, 2011, 342 ff., 430), sind sie viel eher bereit, das Bildungsangebot für ihre Kinder anzunehmen. Gebildete Mütter lassen ihre Kinder häufiger fremdbetreuen als weniger gebildete (Burghardt, 2018, 14 f., 42). Sie sind aufgrund ihres höheren Referenzpunktes in puncto Bildung möglicherweise in höherem Maße von Verlustaversion (Kahnemann, 2011, 348) betroffen.

Das Locken in die Tagesbetreuung ist eine Form von Nudging (Thaler, 2015, 345). Es geschieht durch semantische Phrasen wie „frühe Chancen“, „gute Betreuung“, „Starke-Familien-Gesetz“ oder „Gute-KiTa-Gesetz“ und „gute Strategien für gute Berufe in der frühen Bildung“ (Gesetz zur zielgenauen Stärkung von Familien und ihren Kindern durch die Neugestaltung des Kinderzuschlags und die Verbesserung der Leistungen für Bildung und Teilhabe – StaFamG; Gesetz zur Weiterentwicklung der Qualität und zur Teilhabe in der Kindertagesbetreuung – KiQuTG; Förderrichtlinie Bundesprogramm Fachkräfteoffensive für Erzieherinnen und Erzieher, Förderperiode 2019–2023). Mit dem Adjektiv „gut“ wird eine moralische Bewertung und eine Normierung vorgenommen. Der Staat entscheidet, wie eine gute Fremdbetreuung aussieht, wer gute Betreuung leisten kann, dass Kleinkinder in einer Tagesstätte gut gebildet werden können und dass Mütter die frühe Ganztagsbetreuung ihrer Kleinkinder wollen. Obwohl der Begriff vielleicht etwas überzogen gewählt ist, soll trotzdem der Hinweis darauf ergehen, dass es sich bei dieser gezielten Beeinflussung des freien Willens, in eine bestimmte Richtung, um Propaganda handelt.

Die Broschüren zeigen zufriedene (meist ältere) Kinder inmitten vieler freundlich guckender Erzieher und altersgerechtem, buntem und pädagogisch wertvollem Spielzeug. Durch dieses emotionale Framing (Kahnemann, 2011, 447 ff.) erklären sich unentschlossene Mütter eher dazu bereit, ihr Kind in der Tagespflege betreuen zu lassen. Dass sich die Wirklichkeit für ihre Kinder manchmal viel weniger erfreulich, vielleicht auch beängstigend, darstellt, entgeht ihrer Wahrnehmung. Aufgrund der vorliegenden Informationsasymmetrien kann dieses Defizit auch nicht ausgeglichen werden. Seitens der Kinder nicht, weil sie sich sprachlich (noch) nicht umfassend ausdrücken können und zudem ihre Gedächtnisleistung noch nicht ausreicht. Und seitens der Erzieher nicht, weil sie es nicht können und manchmal vielleicht auch nicht wollen. Die Umschreibung der Betreuungsleistungen wird vielfach mit dem Begriff „bedarfsgerecht“ konnotiert, zum Beispiel in Zusammenhang mit den Öffnungszeiten (Förderrichtlinie Bundesprogramm Fachkräfteoffensive für Erzieherinnen und Erzieher, Förderperiode 2019–2023). Dabei geht es nur um die Bedarfe der berufstätigen Eltern, die der Kinder werden nicht berücksichtigt. In der Broschüre zum ElterngeldPlus „Wie Arbeitgeber und Eltern profitieren“ heißt es sogar, dass dieses „ein deutliches Plus für die Wirtschaft“ ist, durch „klare Vorteile im Wettbewerb um Fachkräfte“ (BMFSFJ, 2015, 3). Es wird an diesen Beispielen deutlich, dass die Perspektive der Kleinkinder vollends fehlt, was als ethisch bedenklich bewertet wird.

Die Familienpolitik nimmt damit nicht nur moralische Bewertungen vor, sondern lässt sich auch durch die Politik einiger Nachbarländer leiten, da hohe Bruttoinlandsprodukte und Geburtenraten vermeintlich Ausdruck einer gewinnbringenden frühkindlichen Bildungspolitik in diesen Ländern sind. In Anbetracht der Tatsache, dass der Verbrauch von Antidepressiva in den nordischen Ländern sehr hoch ist (Vilhelmsson, 2013), vermag nicht ganz nachvollziehbar zu sein, womit sich der Begriff skandinavische Wohlfahrtsstaaten in diesem Punkt rechtfertigen lässt. Im Allgemeinen wird argumentiert, dass die hohe Geburtenrate das Resultat einer gelungenen Familienpolitik sei, die es beiden Elternteilen gleichermaßen erlaube, vollzeitig erwerbstätig zu sein. Es soll hierzu ein anderer Gedankengang vorgeschlagen werden. Das Bedürfnis von Müttern, Zeit mit ihren Kindern zu verbringen, kann sich in Ländern mit einer Ganztagsbetreuungskultur auch dadurch zeigen, dass Frauen mehr Kinder bekommen, weil ihnen nur so gemeinsame Zeit mit ihnen vergönnt ist, ohne dabei gegen soziale Normen zu verstoßen. Dieses sozial angepasste Verhalten wurde in Abschnitt 2.3.5 im Rahmen der Bildung moralischer Urteile thematisiert. Möglicherweise ist der hohe Konsum von Antidepressiva daher auch ein Ausdruck von verbreitetet kognitiver Dissonanz, weil die Mütter ihrem Fürsorgebedürfnis, für ihre Kinder sorgen zu wollen, sehr früh nicht mehr in dem Umfang nachkommen können, wie sie es eigentlich wollen. Jedes weitere Kind verschafft ihnen daher auch wieder gemeinsame Zeit mit ihren schon älteren Kindern.

Die bundesdeutsche Familienpolitik agiert nach dem Vorbild der skandinavischen Wohlfahrtsstaaten, was als sozial bewährtes Herdenverhalten (Walz, 2015, 140 ff.) bezeichnet werden kann. Mit dem Wunsch nach Wirtschaftswachstum, hoher Geburtenrate, und dem Doppelverdiener-Modell vor Augen, findet eine selektive Suche nach Argumenten für die in diesem Sinne förderlichen politischen Entscheidungen statt, in der gegenstehende Argumente ignoriert werden. Durch den Confirmation Bias (Thaler, 2015, 172) wird die Wahrnehmung auf Argumente gerichtet, die der Voreinstellung entsprechen. Möglicherweise findet der Prozess des Verdrängens von unpassenden Argumenten jedoch auch gezielt statt, sodass dann von strategischer Ignoranz (Grossman, 2014) gesprochen werden kann. Auf diese Weise wird ein Kulturwandel politisch erzwungen, durch den sich die Werte der Gesellschaft langsam verändern. Durch die Zunahme der institutionalisierten und die Abnahme der mütterlichen Erziehungsanteile haben sich die Zuständigkeiten verschoben. Mütter übertragen ihre Erziehungsverantwortung auf die Institutionen, weil sie kaum noch Zeit mit ihren Kindern verbringen (können). Die Institutionen weisen die Erziehungsverantwortung jedoch dem elterlichen Aufgabenbereich zu. Die dadurch entstehende Verantwortungsdiffusion (Walz, 2015, 192 ff.) eröffnet einen Bereich, der, in Anlehnung an den Begriff der Schattenwirtschaft, als Schattenfürsorge bezeichnet werden kann, in dem das Können, Sollen und Wollen nicht mehr klaren Zuständigkeiten unterliegt.

In der Konsequenz reduziert sich zunehmend die soziale Rendite. Trotz stetig steigender Investitionen im Bildungsbereich stagnieren die Kompetenzzuwächse bei den Kindern und sind sogar tendenziell rückläufig. Um gegenzusteuern, werden die Bildungsambitionen auf die unter Dreijährigen ausgeweitet und die Staatsausgaben weiter erhöht. Ein Festhalten an dieser Strategie lässt sich mit dem Phänomen der Sunk Cost (Kahnemann, 2011, 425) erklären, da die Prämisse in der Politik vorherrscht, dass sich eine weitere Erhöhung der Bildungsinvestitionen irgendwann doch in einer erhöhten Bildungsrendite niederschlagen muss. Zudem ist die Fremdbetreuung notwendig, da das Arbeitspotential der Mütter am Arbeitsmarkt benötigt wird, sodass beide Ziele miteinander vereinbar und die dahinterstehenden Strategien effizient erscheinen. Jedoch wird, durch die Fokussierung auf die durch die Erwerbsarbeit der Mütter und Erzieher entstehende fiskalisch kurzfristige Rendite, die sich unmittelbar im Bruttoinlandsprodukt niederschlägt, der langfristige Verlust der Fürsorge-Rendite und die damit verbundenen Kosten nicht einkalkuliert – möglicherweise, weil diese nicht wahrgenommen werden (wollen) oder anderen Ursachen zugeschrieben werden. Dabei hat dieser Verlust das Potenzial, die Produktivität des Landes dauerhaft herabzusetzen und das Wirtschaftswachstum damit nachhaltig zu gefährden. Dieses kurzfristige Gewinnstreben (Rappaport, 2011, 4 f.) zulasten langfristiger und substanzieller Nachhaltigkeit wird als politisch kurzsichtig bewertet.

6.2 Fazit und Implikationen

Die Humankapitalausstattung ist Deutschlands bedeutendste Ressource. Es ist daher essenziell, in Bildung zu investieren, damit sich intangibles Wissen der Arbeitnehmer in den Unternehmen zu einem Wettbewerbsvorteil entwickeln kann. Ein früher Bildungsbeginn ist deshalb wichtig. Der Nutzen des Kindergartenbesuchs für den Kompetenzerwerb über Dreijähriger ist unstrittig belegt. Auf die unter Dreijährigen trifft dies laut der untersuchten Studienergebnisse jedoch nicht zu. Verstärkt müssen „neben Bildung und Ausbildung […] die Effekte der institutionalisierten Kinderbetreuung auf […] Gesundheit und soziale Entwicklung bei einer Betrachtung des Wohlergehens von Kindern berücksichtigt werden“ (Anger, Fischer, Geis, Lotz, Plünnecke & Schmidt, 2012, 29). Mit der Abhandlung und Wahl des integrativen Betrachtungsrahmens wurde versucht, hierzu einen Beitrag zu leisten und langfristige Auswirkungen zu untersuchen.

Ziel der Arbeit war es, die Frage nach entstehenden Effekten durch zunehmende Erwerbsarbeit und Fremdbetreuung von Kleinkindern zu beantworten sowie deren Bewertung auf Nachhaltigkeit vorzunehmen. Das Auftreten von Effekten unterliegt einer Dreidimensionalität. Zum einen ist der (1) Wirkungszeitraum der Effekte nach Kurz-, Mittel- und Langfristigkeit zu nennen, zum anderen das (2) Wirkungsspektrum nach ökonomischen, ökologischen und sozialen Gesichtspunkten zu unterscheiden und zum dritten die (3) Bedürfnisebene von Mutter und Kind einzubeziehen. Es konnten hinsichtlich aller drei Dimensionen Effekte herausgearbeitet werden, die sich, bis auf den Nutzen aus höherem Haushaltseinkommen, Wirtschaftswachstum und höheren Steuereinnahmen, im Hinblick auf die Sozialverträglichkeit negativ darstellten. Insbesondere bei der Zunahme der frühen institutionalisierten Fremdbetreuung wird in der Gesellschaft ein Rückgang von implizitem Bindungswissen, Resilienz, Prosozialität und Empathie vermutet, weil sich die ontogenetisch früh, unbewusst und autonom entwickelnde Emotionsverarbeitung des sozialen Miteinanders (Jessen, Altvater-Mackensen & Grossmann, 2016) durch die geänderten Aufwachsbedingungen der Kinder weiter grundlegend verändern wird. In gleichem Maße würden eigeninteressierte Verhaltensweisen zunehmen und damit eine Erosion des gesellschaftlichen Zusammenhalts begünstigen.

Diese Entwicklung wurde anhand des Caregiving-In-Modells erläutert, das die Qualitätsunterschiede mütterlicher und institutioneller Betreuung aufzeigt. Die Einrichtung von rund um die Uhr geöffneten Tagesstätten, wobei hier die Begrifflichkeit nicht mehr ganz passend ist, wird als Slippery Slope (Bazerman, 2014, 88) angesehen, wodurch sich die Werte zuungunsten der kindlichen Bedürfnisse verschieben und arbeitsmarktpolitischen Erfordernissen untergeordnet werden. Unter der Berücksichtigung der in der Abhandlung herausgearbeiteten Effekte lässt sich die Annahme aufstellen, dass die Qualität der Humankapitalausstattung trotz Erhöhung der Bildungsausgaben abgenommen hat, was auf die Gestaltung der ordnungspolitischen Rahmenbedingungen zurückgeführt wird. Sie stellen sich als Konsequenz eines Markteingriffs in den Fürsorgemarkt dar und beschränken die Tauschhandlungen zwischen Mutter und Kind. Die dadurch entstehenden Externalitäten führen zu Wohlfahrtsverlusten. Mit dem aktuellen Gesamtkonzept der Strategien zur frühkindlichen Bildung wird versucht, eine Wachstumspolitik zu verfolgen, die den Grundstein zum Erhalt und Ausbau der Humankapitalausstattung legen soll – dieses Konzept scheint jedoch weder effektiv noch effizient zu sein.

Die institutionelle Fremdbetreuung gleicht einem Technologiewechsel, da tief in die häusliche Produktion (Becker, 1965, 496, 516) des Produktionsfaktors Arbeit eingegriffen wird. Daher erscheint es angebracht, nach Jonas’ Prinzip der Verantwortung (Jonas, 2017, 70), der schlechten Prognose mehr Gewicht vor der guten einzuräumen und auf den präventiven Einfluss menschlicher Verantwortung hinzuweisen, da alle Konsequenzen der frühkindlichen Fremdbetreuung und der veränderten Zeitallokation der Mütter berücksichtigt werden und dem Nachhaltigkeitsgedanken zuträglich sein müssen.

Eine besondere Tragweite dieser negativen Effekte zeigte sich in Bezug auf die Bedürfnisebene von Müttern und Kindern, sodass gesamtgesellschaftlich ungünstige Tendenzen in erheblichem Ausmaß in argumentativ-schlussfolgernde Reichweite kamen. Diese entstehen als negative externe Effekte aufgrund staatlicher Eingriffe in den Fürsorgemarkt bei gleichzeitiger mangelnder staatlicher Fürsorge für das Wohlergehen der Mütter und Kinder. Die unzureichende Berücksichtigung der kindlichen und mütterlichen Bedürfnisse entspricht dabei weder dem Gerechtigkeitsgedanken noch moralischer Verantwortung. Somit ergeht die Bewertung, dass eine generalisierte institutionelle Fremdbetreuung unter Dreijähriger nicht zur sozialen Nachhaltigkeit beiträgt, da es insgesamt zu Wohlfahrtsverlusten kommt. Aus diesem Grund ist auch der Nachhaltigkeitsindikator 4.2.a, Anstieg der Ganztagsbetreuung für 0- bis 2-jährige Kinder auf 35 % bis 2030 (Deutsche Nachhaltigkeitsstrategie, 2018, 54) zur Operationalisierung der Nachhaltigkeit ungeeignet.

Ein weiteres Ziel der Arbeit war es, einen Beitrag zur gesellschaftlichen und politischen Diskussion zu leisten. Daher sollen die folgenden Implikationen Impulse zu einem Diskurs liefern, um insbesondere politische Entscheidungsträger und Unternehmen dafür zu sensibilisieren, dass Änderungen der bestehenden Rahmenordnung und eine Reduktion der Anforderungen, die aktuell an die Mütter und damit auch an die Kleinkinder gestellt werden, erforderlich sind. Sie sind nicht nur in großem Umfang notwendig, wenn die Humankapitalausstattung (wieder) verbessert, langfristig erhalten und die Wettbewerbsfähigkeit gesichert werden soll, sondern müssen disruptiven Charakter haben. Das bedeutet einen sofortigen Stopp des Ausbaus der Tagesbetreuung, eine kritisch diskursive und ergebnisoffene Auseinandersetzung mit dem Fremdbetreuungs-Mainstream der Industrienationen und Investitionen in eine Systemänderung. Vereinbarkeit von Beruf und Familie ist die Herausforderung der Stunde, die über die Zukunftsfähigkeit Deutschlands entscheiden wird, und muss vollkommen neu gedacht werden. Solange es in Deutschland noch Mütter gibt, die den Willen, das Wissen und die Motivation haben, die Verantwortung für die Erziehung ihrer Kinder zu übernehmen, ist es wichtig, diese Ressource zu nutzen und zu schützen, da sie auf diese Weise intergenerational erhalten bleiben kann. Mütter und Kinder brauchen Protektionismus in Form von gemeinsamer Zeit bei gleichzeitiger wirtschaftlicher Sicherheit. Um den Impulscharakter zu unterstreichen, erfolgt die Auflistung der Implikationen stichpunktartig:

  • Wann kann eine Mutter, in Abhängigkeit von Zahl und Alter der Kinder, als vollbeschäftigt gelten? Der angestrebte und wissenschaftlich empfohlene Fachkraft-Kind-Schlüssel (Viernickel et al., 2016, 15 f.) ist bei einer Mutter mit zwei kleinen Kindern in häuslicher Betreuung erfüllt. Sie kann damit als vollbeschäftigt gelten.

  • Ableitung eines gestaffelten Vollzeitumfangs in neuer Begrifflichkeit der Mütter- bzw. Elternvollzeit, der sich an Kinderzahl und -alter bemisst. Zu berücksichtigen sind die gesetzlich vorgegebenen Ruhezeiten, die Elastizitäten der kindlichen Fürsorge-Nachfrage und der abnehmende Grenznutzen mütterlicher Erwerbsarbeit. Eine Orientierung an vorliegenden Daten ist beginnend möglich.

  • Durchführung von Studien zur Untersuchung impliziter doppelter Einstellungen hinsichtlich Sorge- und Berufsmotiven von Müttern. Dazu Operationalisierung des wirtschaftlichen Drucks durch beispielsweise Selbstzuweisung zu Probandengruppen unterschiedlicher Erwerbsumfänge ohne Einkommensverlust, sodass sich der Wunsch nach Fürsorge sowie Erwerbsarbeit messen lässt.

  • Müttern die Erfüllung multipler Rollen ermöglichen, sodass die Bedürfnisse der Kinder den Erwerbsumfang der Mütter determinieren können, und das jenseits von finanzieller Angst und unterforderungsbedingter Langeweile (Csikszentmihalyi, 2010).

  • Entlastung der Mütter und Reduktion ihrer kognitiven Dissonanzen durch die ordnungspolitische Rahmensetzung und Zulassen spontaner (Fürsorge-) Ordnungen.

  • Den Schonraum für Mütter und Kinder auf die ersten drei Lebensjahre des Kindes ausweiten, in dem die Mütter frei entscheiden, wann und in welchem Umfang sie ihre Arbeitskraft am Arbeitsmarkt wieder anbieten wollen und können.

  • Monetäre Wertschätzung der Fürsorgeleistung, die sich am individuellen fürsorgebedingten Verdienstausfall bemisst, sodass keine Opportunitätskosten entstehen, weder in Bezug auf die empfundene Fürsorgeverpflichtung noch in Bezug auf das Einkommen. Das ist insbesondere für akademisch gebildete Mütter wichtig, deren Kinderwunsch sich real untererfüllt. Dadurch Sicherung der wirtschaftlichen Existenz und Altersrente der Mütter.

  • Rentenreform: Generativen Beitrag von Müttern und Vätern zum Umlageverfahren der Rentenfinanzierung gerecht honorieren. Das Renteneintrittsalter generell erhöhen, das Kinderloser zusätzlich; dadurch Finanzierung der Fürsorgeleistung.

  • Politische Mitbestimmung der Eltern für ihre Kinder in Form von Wahlrecht zu je einer halben Stimme. Herstellung von Gerechtigkeit durch prozedurale Gestaltung der institutionellen Rahmenordnung, durch das Einbringen der kindlichen Bedürfnisse und Interessen vor der Volljährigkeit.

  • Einrichtung von Lebensarbeitszeitkonten, die nicht nur individuelle Flexibilität hinsichtlich familiärer Verpflichtungen sicherstellen, sondern auch „Einzahlungen“ und „Auszahlungen“ auf und an andere Konten ermöglichen. Beispielsweise könnten Väter oder Großeltern einen Teil ihrer Arbeitszeit auf das Konto der Mutter oder Tochter übertragen, sodass diese die gutgeschriebenen Arbeitsstunden in die Betreuung kleiner Kinder investieren kann.

  • U3-Bereich nach dem Subsidiaritätsprinzip und belegtem Mehrwert (Noll, 2013, 51) auf bildungsferne Schichten, nicht Deutsch sprechende Kinder und protektiv hinsichtlich psychischer Erkrankungen der Bezugspersonen ausrichten.

  • Leitfaden entwickeln und in die Kinderrichtlinie der bereits bestehenden Kindervorsorgeuntersuchungen integrieren, nach welchem Kinderärzte den Bezugspersonen Betreuung und Umfang in der Tagespflege individuell empfehlen können.

  • Beendigung des Bewerbens der Fremdbetreuung sowie der Normierungskampagne, Stärkung der Erziehungskompetenzen der Mütter und Väter und Rückübertragung der Erziehungsverantwortung.

  • Gesetzliche Regelung zur Abschaffung des Gender Pay Gap innerhalb von Berufssparten.

Die Abwägung im Umgang mit Zielkonflikten, die hinsichtlich der drei Themenfelder der Nachhaltigkeit entstehen, ist und bleibt eine dilemmatische Herausforderung. Sie macht eine diskursive Auseinandersetzung unter der Berücksichtigung aller Standpunkte und möglicher Konsequenzen erforderlich, wenn die Wirtschaftskraft und Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands langfristig erhalten werden soll. Werding (2015) formuliert sogar, dass die Unterstützung der „Familie als Lebens- und Bildungsort […] über die Zukunftsfähigkeit“ Deutschlands entscheiden wird (Werding, 2015, 4).

Das Land der Dichter und Denker hat sich über einen langen Zeitraum auch ohne institutionelle Betreuung unter Dreijähriger gut entwickeln können. Die Mutter unserer langjährigen Bundeskanzlerin stand ihrer Tochter nach der Schule als emotionale Anlaufstelle zu Verfügung, sodass sie die Gelegenheit hatte, täglich ein bis zwei Stunden mit ihr zu reden – Frau Merkel ist ihren Eltern, die ihr eine klassische Arbeitsteilung vorgelebt haben, für diese Möglichkeit dankbar (Eckart, 2019). Dieses Beispiel zeigt, dass alltagsintegrierte frühkindliche Bildung auch während häuslicher Fürsorge mit gutem Ergebnis stattfinden kann. Für eine gesunde Entwicklung von Kindern ist es möglicherweise doch bedeutsamer als zurzeit wahrgenommen, dass Mütter ausreichend Zeit mit ihnen verbringen können. Denn sie sind intrinsisch dazu motiviert, die Fürsorge und Verantwortung für ihre Kinder zu übernehmen. „Die Entwicklung eines Landes hängt wesentlich davon ab, welche Rahmenbedingungen es für das Aufwachsen seiner Kinder schafft“ (UNICEF, 2007), denn sie sind die zukünftigen Arbeitnehmer, die unser Land dringend braucht.

6.3 Kritische Würdigung

Es konnten zahlreiche Effekte hergeleitet werden, die aufgrund der Erwerbstätigkeit von Müttern und der Fremdbetreuung ihrer Kleinkinder entstehen und die in Bezug auf die soziale Nachhaltigkeit als nicht förderlich bewertet wurden. Die Auswahl der Effekte erfolgte dabei keinem standardisierten Verfahren, sondern orientierte sich zunächst an persönlicher Beobachtung und wurde erst in einem weiteren Schritt systematisch kategorisiert und auf den gesundheitlichen Bereich und den Bildungssektor ausgerichtet. Dabei wird es für möglich gehalten, dass das eigene implizite Bindungswissen und die damit einhergehende persönliche Pfadabhängigkeit und Einstellung hinsichtlich der Fremdbetreuung unter Dreijähriger die Wahrnehmung und die Auswahl der Effekte beeinflusst hat. Die Abhandlung unterliegt so, in Gänze oder in Teilen, möglicherweise der kognitiven Verzerrung des Confirmation Bias (Thaler, 2015, 172). Des Weiteren konnte die argumentative Herleitung von Zusammenhängen aufgrund fehlender Empirie nicht untersucht werden, sodass auch Kausalzusammenhänge einen Beleg schuldig bleiben. Aufgrund der großen Zeitspanne und der damit kaum kontrollierbaren Einflussfaktoren wird sich jedoch auch durch Studien nur auf kleinschrittigem Weg belegbaren Zusammenhängen genähert werden können. Bei zunehmender Inanspruchnahme der Fremdbetreuung wird eine empirische Überprüfung der Effekte an Kontrollgruppen in Deutschland zusätzlich erschwert. In Ländern wie Dänemark oder Schweden ist sie bereits jetzt schon aufgrund der hohen Betreuungsquoten nicht mehr möglich. Dadurch verschieben sich die Referenzpunkte zusehends und verbergen den Blick auf langfristige Veränderungen und Potenziale. Hinsichtlich der Studien, welche die Stressbelastung und das Wohlbefinden der Kleinkinder in der Tagespflege untersucht haben, sollen zwei Kritikpunkte angebracht werden, wodurch die Studienergebnisse möglicherweise verzerrt wurden. Zum einen ändern Versuchspersonen, in diesem Fall Erzieher, ihr Verhalten, wenn sie von einer zu Studienzwecken durchgeführten Beobachtung wissen, und passen es sozialer Erwünschtheit an. Zum anderen ist die Cortisolmessung im Speichel der Kinder zu ungenau, sodass auf präzisere Parameter wie Herzfrequenzrate (Bönke, Aust, Fan, Wirth, Khawli, Stevense, Herrera, Loayza, Bajbouj & Grimm, 2019) oder Pupillenerweiterung (Jessen et al., 2016) zurückgegriffen werden sollte, um die Stressbelastung der Kinder in der Fremdbetreuung noch differenzierter untersuchen zu können. Abschließend soll darauf hingewiesen werden, dass sich bei der Untersuchung nur auf fürsorgeambitionierte und psychisch gesunde Mütter bezogen wurde und die Analyseergebnisse demnach bei Vorliegen von Depressionen, Bildungsferne und Migrationshintergrund nicht vollends übertragen werden können.