1.1 Hintergrund der Themenstellung

Arbeitnehmer braucht das Land. Fachkräftemangel und demografischer Wandel erschweren die Bewältigung der Herausforderungen, die sich Deutschland durch die Megatrends Digitalisierung und Globalisierung stellen. Unternehmen werben daher schon jetzt um die besten Arbeitskräfte, um im wachsenden, zunehmend internationalen Wettbewerb marktfähig zu bleiben und ihre Produkte absetzen zu können. Neben den Mitarbeitern selbst spielt deren Wissen eine immer größere Rolle, denn nur so können Unternehmen ihre Produkte marktgerecht weiterentwickeln. Vor diesem Hintergrund hat Bildung einen besonderen Stellenwert. Anhand von Umstrukturierungen der Bildungslandschaft in den vergangenen Jahren wurde insgesamt die Ausbildungszeit, auch durch Vorverlegen des Eintrittsalters in Kindergarten und Schule (Bildungsfinanzbericht, 2018, 44), verkürzt, um einen früheren Eintritt in das Arbeitsleben zu erwirken. Gleichzeitig verlängerte sich für Kinder die wöchentliche Aufenthaltsdauer in Betreuungseinrichtungen und Schulen. Diese Anstrengungen machen deutlich, dass Arbeitnehmer in Deutschland dringend gebraucht werden, um die offenen Stellen zu besetzen. So wird nicht nur mit einer verkürzten Ausbildungsdauer versucht, dem Arbeitskräftemangel zu begegnen (Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend – BMFSFJ, 2014, 68), sondern auch mit der Mobilisierung von potenziellen Arbeitnehmern, die gerade nicht aktiv am Erwerbsleben teilnehmen. Das sind zum einen Arbeitslose, denen man mit Umschulungs- und Weiterbildungsmaßnahmen die Rückkehr in den Beruf ermöglichen will. Zum anderen wird Müttern durch den Ausbau der Kindertagesbetreuung eine frühe Rückkehr an den Arbeitsplatz und die Ausweitung des Erwerbsumfangs erleichtert, da dieser ein wesentliches Potential darstellt (Bundesagentur für Arbeit – BA, 2019, 8). In der Folge stehen Mütter den Unternehmen zur dringenden Besetzung offener Stellen wieder früher zur Verfügung, während die Kinder in institutionellen Einrichtungen von professionellen Erziehern betreut werden.

Seit einigen Jahren findet ein Ausbau der Kindertagesstätten (Kita) statt, da seit dem Jahr 2013 ein Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz ab dem vollendeten ersten Lebensjahr des Kindes besteht (Bildungsfinanzbericht, 2018, 45). So erhöhte sich sukzessive die Zahl der fremdbetreuten Kinder, während deren Eintrittsalter sich von drei auf ein Jahr und darunter verringerte. Die daraus resultierende Ausweitung der außerfamiliär verbrachten Zeit und der Wechsel der Zuständigkeiten in Bezug auf die Versorgung der Kleinkinder ist ein zentrales Thema für viele Familien in Deutschland und hat tagtäglich praktische Relevanz. Gilt es Müttern doch den Anschluss an das Erwerbsleben nicht zu verlieren, um sich dadurch vor Altersarmut besser schützen zu können, zum Haushaltseinkommen beizutragen, weiterhin das Familienleben zu organisieren, Zeit mit dem Partner zu verbringen und zuvorderst dem eigenen Kind alles für eine gesunde Entwicklung Notwendige bereitzustellen. Aber nicht nur die Aufenthaltszeiten und Verantwortlichkeiten haben dadurch eine Veränderung erfahren. Der Aspekt der Betreuung, der noch mit dem Konzept des Kindergartens hauptsächlich verfolgt wurde, stellte das Spielen der Kinder im Alter von drei Jahren bis zum Schuleintritt in den Vordergrund. Zwar ist der Betreuungsaspekt noch immer vorhanden, jedoch tritt das Konzept der frühkindlichen Fremdbetreuung zunehmend in den Schatten des Auftrags frühkindlicher Bildung. Schon den Jüngsten in unserer Gesellschaft soll so früh wie möglich die Chance auf den Erwerb von Wissen geboten werden, damit sie nach Beendigung der Ausbildung so früh wie möglich und gut ausgebildet auf dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen.

Bereits heute können in Deutschland durch den Fachkräftemangel viele Arbeitsplätze nicht adäquat besetzt werden – 61 % der Unternehmen bewerten den Fachkräftemangel als hohes Risiko für ihre Geschäftsprozesse (Grömling & Matthes, 2019). Die durch den demografischen Wandel bedingte Überalterung der Gesellschaft wird diese Situation weiter verschärfen. Vor diesem Hintergrund erscheint es konsequent, dass sich sämtliche Anstrengungen darauf konzentrieren, arbeitsmarktpolitische Forderungen umzusetzen, um diese Entwicklung abzumildern. Hierzu wurde in den vergangenen Jahren ein Bündel an bildungs- und familienpolitischen Maßnahmen ergriffen und die ordnungspolitischen Rahmenbedingungen verändert. Das Ziel dieser Umstrukturierungen ist es, der gestiegenen Nachfrage nach Arbeitskräften auf dem Arbeitsmarkt mit einer Ausweitung des Angebots an potenziellen Arbeitnehmern begegnen zu können. Die Auswirkungen dieser strukturellen Veränderungen betreffen in hohem Maße die familiären Strukturen. Die mütterliche Fürsorge und Betreuung von Kleinkindern wird in zunehmendem Maße institutionell ersetzt und durch bezahltes Personal geleistet. Der Wandel ist nicht nur politisch, auch durch den Blick in europäische Nachbarländer, motiviert, sondern es scheint auch einen gesellschaftlichen Konsens darüber zu geben, wie die Betreuung von Kleinkindern zeitgerecht zu erfolgen hat. So belegen Studien beispielsweise einen positiven Einfluss auf die kognitiven (Anger, Berger, Orth & Plünnecke, 2017, 16 f.) und sozialen Kompetenzen (Almlund, Duckworth, Heckman & Kautz, 2011, 152–156) der Kinder. Aber kann die Fürsorgearbeit der Mütter wirklich so einfach ersetzt werden? Kritische Stimmen stützen ihre Argumentation ebenfalls auf Forschungsergebnisse, die wiederum eine spätere Zunahme gesundheitlicher Probleme der Kinder in Zusammenhang mit früher institutioneller Fremdbetreuung wahrscheinlich werden lassen (Schulz, Bothe & Hahlweg, 2019; Böhm, 2013). Ihre Bedenken scheinen jedoch wenig in den öffentlichen und politischen Diskurs einzufließen. Welche Auswirkungen der Umfang der institutionellen Betreuung auf unsere Kinder tatsächlich langfristig hat und wie tiefgreifend diese möglicherweise sind, wurde bislang in Deutschland unzureichend untersucht (Bach, Koebe & Peter, 2018, 291) und Kosten-Nutzen-Analysen liegen kaum vor (Schmitz & Kröger 2017, 5). Trotzdem wird der Ausbau der Tagesbetreuung stetig vorangetrieben und erhebliche öffentliche Gelder in die bauliche und personelle Ausstattung investiert. Das im Jahr 2007 zu diesem Zweck gebildete Sondervermögen von 2,15 Mrd. Euro wurde 2013 um 580,5 Mio. Euro, zwischen 2016 und 2018 um 550 Mio. Euro und 2017 um weitere 1,1 Mrd. Euro aufgestockt – die öffentlichen Ausgaben für die Kindertagesbetreuung sind damit seit 2005 um 16,7 Mrd. Euro auf 27,7 Mrd. Euro im vergangen Jahr angestiegen (Bildungsfinanzbericht, 2018, 44 f.).

Da die vorliegenden Befunde ein inkonsistentes Bild ergeben, kann von Wissenslücken insbesondere in Zusammenhang mit den langfristigen Auswirkungen von Fremdbetreuung ausgegangen werden. Deshalb wird ein problematisches Dunkelfeld vermutet und es stellt sich daher als reizvoll dar, den sich augenblicklich vollziehenden gesellschaftlichen Wandel – berufstätige Mutter nebst fremdbetreutem Kleinkind – vertiefend zu betrachten. Dieser Sachverhalt kumuliert sich mit persönlichen Beobachtungen über zwei Jahrzehnte und motiviert dazu, sich in dieser Arbeit dem Ergründen möglicher Folgen der Erwerbstätigkeit von Müttern und der dadurch erforderlichen Fremdbetreuung von Kleinkindern zu widmen und sich mit dem aktuellen gesellschaftlichen Handeln kritisch auseinanderzusetzen.

Nach Erörterung der Intention sich mit der gewählten Themenstellung zu befassen, wird im nachfolgenden Abschnitt die Zielstellung der Arbeit genauer benannt, die Herleitung der Arbeitsschritte begründet sowie Eingrenzungen vorgenommen.

1.2 Ziel der Arbeit und Ableitung der Hypothese

Die Einordnung des Themas in den Analyserahmen miteinander kombinierter wirtschaftswissenschaftlicher und psychologischer Theorien und Ansätze macht die spezifische Perspektive auf das gewählte Problemfeld aus. Auf diese Weise kann mit ökonomischen Denkschulen menschliches Verhalten erklärt werden und ermöglicht die Herleitung der Argumentationsschritte. Dazu wird zum einen die wirtschaftswissenschaftliche Theorie des Marktgleichgewichts auf den Sachverhalt angewandt und mit dem psychologischen Ansatz des „Giving vs. Giving In“ zu einem Modell weiterentwickelt, das versuchen soll, einen Beitrag zum wissenschaftlichen Forschungsstand hinsichtlich der Qualität der Kleinkindbetreuung zu leisten. Zum anderen soll unter Einbeziehung der gewonnenen Resultate und des Modells der Versuch unternommen werden, zukünftige gesellschaftliche Entwicklungen zu skizzieren und diese anhand der Theorie der Nachhaltigkeit zu bewerten. Ziel der Abhandlung ist es, die gesellschaftliche Diskussion durch Aufzeigen von Effekten und Erklären von Zielkonflikten und möglichen Zusammenhängen zu bereichern sowie Implikationen für die politische Gestaltung abzuleiten.

Von dieser Zielstellung ausgehend, folgt die Untersuchung dem Erklärungsansatz, dass gute Kleinkindbetreuung eine wichtige Voraussetzung für die Weiterentwicklung einer Gesellschaft ist und die von Müttern in die Betreuung ihrer Kinder investierte Zeit einen wichtigen Beitrag zu dieser Entwicklung darstellt. Es wird die Prämisse zugrunde gelegt, dass durch die Erwerbsarbeit von Müttern und die daraus resultierende Fremdbetreuung von Kleinkindern Wohlfahrtseffekte entstehen. Die zu untersuchende Forschungsfrage lautet daher: Welche Effekte entstehen durch die zunehmende Erwerbsarbeit von Müttern und die daraus resultierende Fremdbetreuung der Kleinkinder? Und, wie können diese Effekte im Hinblick auf Nachhaltigkeit bewertet werden? Um die Forschungsfrage aus einer integrativen Perspektive heraus beantworten zu können, ist es erforderlich unterschiedliche Blickwinkel einzunehmen, was mit der Wahl des theoretischen Rahmens bereits umgesetzt wurde. Dazu werden drei Unterfragen formuliert: (1) Wie stellt sich die Perspektive der Kleinkinder auf den Betreuungswechsel dar? (2) Wie sieht die Perspektive der Mütter auf Erwerbsarbeit und Fürsorge aus? (3) Welche Aspekte ergeben sich aus der Rolle und Perspektive der Erzieher? Ausgehend von diesen Unterfragen wird zur Beantwortung der Forschungsfrage folgende Hypothese aufgestellt: Je umfangreicher die frühkindliche Fremdbetreuung aufgrund der Erwerbstätigkeit von Müttern ist, desto mehr treten negative Wohlfahrtseffekte auf. Da es sich um eine theoretische Erarbeitung handelt, dient die Hypothese der Orientierung bei der Analyse und Ableitung der explanativen Aussagen. Eine Verifizierung ist somit nicht das Ziel dieser Arbeit.

Die Abhandlung bezieht sich auf den deutschen Kontext, wobei das für die herangezogenen Studien und Daten nicht immer zutrifft. Die Untersuchung und Bewertung der Effekte fokussiert sich dabei auf die soziale Dimension der Nachhaltigkeit, die ökonomische und ökologische Dimension wird nur vereinzelt und insgesamt randständig betrachtet. Diese Eingrenzung ist erforderlich, um die gewünschte Gewichtung auf den sozialen Aspekt der Nachhaltigkeit vornehmen zu können, da dieser aktuell nicht ausreichend beachtet wird. Nach Erläuterung und Eingrenzung der Zielstellung wird im folgenden Abschnitt der Aufbau der Arbeit beschrieben. Dieser Überblick dient der Orientierung über die Vorgehensweise und gewährt einen Ausblick auf die Inhalte der nachfolgenden Kapitel.

1.3 Aufbau und Vorgehensweise

Der Aufbau orientiert sich am üblichen Rahmen wissenschaftlicher Arbeiten und gliedert sich in einen Theorieteil, die Darlegung zu aktuellem Forschungsstand und Methodik, einen Ergebnisteil mit anschließender Diskussion, Fazit und Ableitung von Implikationen sowie abschließender Zusammenfassung. Auf die Strukturierung der einzelnen Abschnitte wird im Folgenden genauer eingegangen.

Zunächst werden die wirtschaftswissenschaftlichen und psychologischen Theorien und Ansätze vorgestellt, die den theoretischen Rahmen der Arbeit bilden. Ergänzt werden diese Ansätze durch Begriffsdefinitionen, die im weiteren Verlauf für das Verständnis der argumentativen Herleitung bedeutsam sind. Zur Explikation des Forschungsstands werden danach die Befunde einiger ausgewählter Studien vorgestellt und so die wissenschaftliche Kontroverse verdeutlicht. Um den Status quo der Erwerbstätigkeit von Müttern und der Fremdbetreuung von Kleinkindern zu veranschaulichen, werden diese in zwei Abschnitten mit Zahlen, Daten und Fakten unterlegt. Auf diese Weise wird ein Einblick in die ordnungspolitischen Rahmenbedingungen ermöglicht und das Wissen um Quoten, Umfänge und Zeitverwendung vermittelt. Eine Betrachtung der Rentensituation und ein Vergleich der neuen und alten Bundesländer rundet den Abschluss des theoretischen Teils ab. Im anschließenden Methodenteil wird dann das ausgewählte Vorgehen erklärt und begründet. Hiernach werden die Ergebnisse in drei Abschnitten zusammengefasst, die sich strukturell an den im vorangegangenen Abschnitt vorgestellten Unterfragen orientieren. Die Darstellung erfolgt rein deskriptiv, wird im theoretischen Analyserahmen verankert und bezüglich der Hypothese und Forschungsfrage kommentiert. Daran anschließend wird das entwickelte Modell vorgestellt und erläutert. Im nachfolgenden Abschnitt werden die Resultate diskutiert und unter Theoriebezug auf Nachhaltigkeit hin bewertet sowie unter verhaltensökonomischen Gesichtspunkten beleuchtet und Implikationen abgeleitet. Zuletzt wird die Arbeit kritisch reflektiert und mit einer Zusammenfassung abgeschlossen. Mit dem nun folgenden Kapitel wird die theoretische Fundierung gelegt und dazu die wirtschaftswissenschaftlichen und psychologischen Theorien und Ansätze vorgestellt sowie einige Begriffe definiert, die den Analyserahmen ergänzen.