Zusammenfassung
Elastizität organisieren – so lautet der Titel dieser Studie und das inhaltliche Ergebnis einer Untersuchung, die sich an einer Forschungsheuristik anlehnte, die explizit die Aufdeckung von Kontingenz zum Ziel hatte. Ausgangspunkt war mit Stellvertretung in Organisationen ein vermeintlich triviales Phänomen, das „de-trivialisiert“ wurde, indem auf beiden Seiten der Problem-Lösungs-Relation „Anders-Mögliches“ aufgezeigt wurde. Zwei „gegenläufige“ Forschungssequenzen waren dazu nötig – eine, die von einem „Bezugsproblem“ ausging und nach „funktional-äquivalenten Lösungen“ suchte, und eine, die von einer „Bezugslösung“ ihren Ausgang nahm und „funktional-äquivalente Probleme“ in den Blick nahm.
„Rethinking Functionalism“
(Nassehi 2008)
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Notes
- 1.
Als einer der einflussreichsten Kritiker gilt Robert Merton, dessen Kritik sich insbesondere gegen drei zentrale Grundannahmen des Funktionalismus richtete: Gegen das „Postulat der funktionalen Einheitlichkeit“ (Merton 1967a: 125 ff.), nach dem die Gesellschaft als funktionale Einheit begriffen wurde (vermutlich aufgrund der Organismusanalogie). Merton verwies darauf, dass Strukturen auch lediglich mit Blick auf einzelne Teilbereiche der Gesellschaft funktional sein können. Diese Aufwertung systeminterner Differenzierung (vgl. Luhmann 1973) eröffnete u. a. erst die Möglichkeit, auch „kleinere“ Systeme wie Organisationen funktionalistisch beforschen zu können. Merton wehrte sich zudem gegen die Annahme, dass allein schon die Existenz von Strukturen ihre Funktion belegten („Postulat des universalen Funktionalismus“ [Merton 1967a: 130]), eine Annahme, die auch Durkheim noch vertreten hatte (Durkheim 1991: 182). Erst dadurch, dass diese Grundannahme an Überzeugungskraft verlor, wurde es möglich, auch Widersprüchlichkeiten und dysfunktionale Strukturen funktionalistisch zu analysieren. Drittens verwies bereits Merton darauf, dass die Funktionserfüllung nicht an bestimmte Strukturen gebunden sei, sondern auch durch unterschiedliche, eben „funktionale Äquivalente“ geleistet werden könne („Postulat der Unentbehrlichkeit“ [Merton 1967a: 132]).
- 2.
Auf diese Weise distanziert sich Luhmann auch von anderen Ansätzen, die versuchen, die Rahmenbedingungen zu eruieren, unter denen der Funktionalismus seinen Erklärungsanspruch aufrechterhalten kann (Elster 1979, 1983, 1990; Hempel 1959; Merton 1967a, 1995; zusammenfassend Schützeichel 2003: 245 ff.). So hatte z. B. Merton vorgeschlagen sich auf „Theorien mittlerer Reichweite“ zu beschränken (Merton 1967b), einem Vorschlag, dem sich Luhmann ausdrücklich nicht anschloss (vgl. Luhmann 2009a, 2009c).
- 3.
„Wie schon Max Weber wusste, impliziert das Kausalschema Endlosprobleme. Es gibt zeitlich und sachlich gesehen immer weitere Ursachen und immer weitere Wirkungen – und so ad libitum. Man kann deshalb Kausalität nur als ein Medium auffassen, in dem Formen erst noch festgelegt werden müssen; oder anders gesagt: als ein Endlosbereich loser, aber nicht beliebiger Kopplungen, in dem erst noch entschieden werden muss, welche Ursachen sich mit welchen Wirkungen fest (= zuverlässig) koppeln lassen.“ (Luhmann 1995c: 15)
- 4.
„Dem Logiker erscheint als das Eigentümliche einer Funktion ihre Mehrdeutigkeit, oder genauer: ihre regulative Mehrdeutigkeit. Die Funktion ist eine Beziehung von Variablen, das heißt: von Bezeichnungen für auswechselbare Einsatzwerte, deren Auswechselung dem Gesetz der Funktion unterliegt. Das x der Funktion ‚x ist blau‘ kann ausgefüllt werden durch Himmel, Meer, Veilchen usw., ohne dass der Wahrheitswert der Funktion sich ändert.“ (Luhmann 1958: 98)
- 5.
Anders als in der Biologie: „Aus einem Esel kann keine Schlange werden, selbst wenn eine solche Entwicklung zum Überleben notwendig wäre.“ (Luhmann 2009a: 23)
- 6.
Dennoch ist interessant, dass ein Großteil funktionalistischer Forschung in den Sozialwissenschaften im Bereich von Organisationen entstand. Auch Luhmann wählt als ersten Anwendungsfall seines Äquivalenz-Funktionalismus die „Funktionen und Folgen formaler Organisation“ (Luhmann 1999a). Organisation sind die sozialen Systeme, die am ehesten noch mit einem Bestandsproblem ausgestattet sind und „sterben“ können.
- 7.
Bzw. die Kontingenz der Welt (Nassehi & Saake 2002).
- 8.
So werden z. B. die Problemlagen behinderter Menschen verwaltungsintern zu Problemen der Finanzierung „notwendiger, nicht wünschenswerter, Hilfen“ (TL_03_t1: 218) reduziert – zu einem Problem, mit dem die Verwaltung umgehen kann und das sie nutzen kann, um systemseitig wieder Komplexität aufzubauen, z. B. indem sie Verfahren entwickelt, wie diese Notwendigkeit wiederum geprüft werden kann etc.
- 9.
Dieser Vorwurf wurde ihm allerdings längst zurückgegeben (vgl. Schützeichel 2003: 28).
- 10.
Möglicherweise ließe sich sogar an den „Zusammenhängen“ von Problemen und Lösungen ansetzten, und fragen, wozu sich genau dieser Zusammenhang realisiert und durch welchen er ersetzbar wäre.
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Vogel, M. (2021). Methodologische Reflexionen: Zum Verhältnis von Problemen und Lösungen. In: Elastizität organisieren. Organisationssoziologie. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-36264-5_9
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