Gegenstand des vorhergehenden Ergebniskapitels waren die auf Basis quantitativer Daten festgestellten Unterschiede in der Bedeutung der FMS Pädagogik und des musisch-pädagogischen Gymnasialprofils für die Ausbildung von Primarlehrpersonen. Im Anschluss daran erfolgt nun eine Untersuchung der unterschiedlichen Bedeutung beider Profile aus qualitativer Perspektive.

Diese Perspektive wird im nachfolgenden Kapitel entlang der Dimensionen Bildungsziele und Beziehung zur Abnehmerinstitution, Bildungsinhalte und Formate der Bildung, Wissensvermittlung sowie Schüler*innen entfaltet. Die Resultate stellen eine Synthese resp. einen fallübergreifenden Vergleich von drei kantonalen Einzelfallstudien dar, welche im Rahmen der vorliegenden Studie durchgeführt wurden. Die ausführlichen, vertieften Einzelfallanalysen können aus Gründen des Umfangs nicht in ihrer ursprünglichen Form publiziert werden.Footnote 1 Einzelne Aspekte und konkrete Beispiele ergänzen und illustrieren jedoch die fallübergreifende Ergebnispräsentation im nachfolgenden Kapitel. Für jede Dimension werden zuerst die Ergebnisse der FMS Pädagogik und anschließend des musisch-pädagogischen Gymnasialprofils präsentiert. Zum besseren Verständnis werden zu Beginn die einzelnen Fälle kurz präsentiert und charakterisiert, bevor die Charakteristika und Spezifika der FMS Pädagogik und des musisch-pädagogischen Gymnasialprofils fallübergreifend anhand der oben genannten Dimensionen dargestellt werden.

Das Erkenntnisinteresse besteht in der Frage nach zugrundeliegenden Wertigkeitsordnungen und deren Kompromissen, welche die beiden schulischen Profile konstituieren. Mit Bezug auf welche Konventionen weisen die beteiligten Akteur*innen verschiedenen Charakteristika und Spezifika des jeweiligen schulischen Profils Wertigkeit zu und wie unterscheiden sich diese je nach Bildungsprofil? Durch welche Gemeinwohlorientierungen, materiellen und immateriellen Formate und Objekte konstituiert sich das jeweilige schulische Dispositiv, wie gehen die jeweiligen Akteur*innen handlungspraktisch damit um, und wie lässt sich dadurch die unterschiedliche Bedeutung der beiden Profile für die Ausbildung zur Primarlehrperson erklären? Die abschließende Beantwortung dieser Fragen erfolgt in Abschn. 7.6.

7.1 Beschreibung der kantonalen Fälle

7.1.1 Fall A: Ein kleiner Seminarkanton mit traditioneller Lehrpersonenbildung

Der Fall A umfasst ein Gymnasium und eine Fachmittelschule, die sich in unterschiedlichen Gemeinden des Kantons A befinden. Es handelt sich um einen deutschsprachigen und eher kleinen, konservativ-katholisch geprägten Kanton, der als wirtschaftsstark und wohlhabend gilt. Die Lehrpersonenbildung war traditionell und bis in die 2000er-Jahre hinein seminaristisch auf Sekundarstufe II organisiert. Während der Tertiarisierungsreform der Lehrpersonenbildung in den 1990-er Jahren wehrten sich Vertreter*innen der (vielerorts privaten) Lehrer*innenseminare dieses Kantons vehement gegen deren Auflösung. Erst gegen Mitte der 2000er-Jahre wurde auf eine hochschulische Lehrpersonenbildung umgestellt (AD1). Der Kanton A führt eine eigene Pädagogische Hochschule (PH), welche sich auf dem ehemaligen Gelände eines Lehrer*innenseminars befindet. Das Studienangebot umfasst die Studiengänge Kindergarten/Unterstufe sowie Primarstufe.

Im Kanton befinden sich eine FMS sowie zwei öffentliche und ein privates Gymnasium. Die FMS bietet die Profile Pädagogik, Soziales und Gesundheit an, die Schwerpunktfächer Musik und Bildnerisches Gestalten werden an allen Gymnasien geführt. Im Kanton gibt es kein Angebot des Schwerpunktfachs Philosophie/Pädagogik/Psychologie (PPP), da man bei der Einführung des musisch-pädagogischen Gymnasialprofils die FMS als geeignetere Anbieterin eines pädagogischen Mittelschulprofils erachtete (AD2, S. 92). Die Zuweisung in die FMS oder das Gymnasium erfolgt ohne Aufnahmeprüfung und beruht auf einer Gesamtbeurteilung verschiedener Kriterien sowie auf der gemeinsamen Entscheidung der Klassenlehrperson und der Erziehungsberechtigten (AD5). Hierbei wird empfohlen, für die Zuweisung an eine FMS eine schulische Vornote von etwa 5, für das Gymnasium über 5 anzustreben (ebd.).Footnote 2 Kommt zwischen Erziehungsberechtigten und Klassenlehrperson keine Einigung zustande, können sich die Schüler*innen zu einem Prüfungsverfahren anmelden. Dort sind für den Eintritt in die FMS ebenfalls weniger hohe schulische Leistungen erforderlich als für das Gymnasium (ebd.).

7.1.1.1 Die FMS mit Profil Pädagogik

Die Fachmittelschule A hat ihre Ursprünge in einem Brückenangebot («Weiterbildungsschule»), «für Jugendliche, welche nach der Sek [Sekundarschule, S.H.] […] sich nicht gut einfädeln konnten in die Berufswelt, in eine Berufslehre, weil sie vielleicht auch noch Verhaltensschwierigkeiten gehabt haben, oder psychische Probleme, oder sich nicht so gut orientieren konnten, was sie eigentlich wollen» (Schulleitung, AI4). Die Schulleitung der FMS A beschreibt diese als stark «reformpädagogisch geprägt», worin auch die noch heute gelebte «Du-Kultur» begründet liege (AI4).

Um 1990 wurde die Schule von der Schweizerischen Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren (EDK) gesamtschweizerisch anerkannt, zum Jahrtausendwechsel hin von zwei auf drei Jahre verlängert und in «Diplommittelschule» umbenannt sowie die Profile für den berufsfeldbezogenen Unterricht eingeführt (AD3). Die heutige FMS A bietet die Profile Gesundheit, Pädagogik und Soziales an. Sie ist organisatorisch eigenständig respektive nicht an ein Gymnasium angegliedert und befindet sich in Fußdistanz zur kantonalen Pädagogischen Hochschule. Die circa 230 Schüler*innen werden von rund 40 Lehrpersonen unterrichtet.

Die Entscheidung für eines der an der FMS A angebotenen Profile fällt nach dem ersten FMS-Schuljahr, also üblicherweise nach dem 11. Schuljahr (inklusive Kindergarten/Eingangsstufe) im Alter von circa 16 bis 17 Jahren. Die Stunden- bzw. Lektionentafel des Profils Pädagogik unterscheidet sich nicht von derjenigen des Profils Soziales, sodass Schüler*innen beider Profile gemeinsam unterrichtet werden (AD4). Mit dem Entscheid für das pädagogische oder soziale FMS-Profil erhalten die Schüler*innen nach dem ersten, allgemeinbildenden Schuljahr profilspezifischen Unterricht in den Fächern Psychologie, Gesellschaftskunde und dem interdisziplinären Fach ContrariFootnote 3. Dieses umfasst die musisch-gestalterischen Fächer Musik, Bildnerisches Gestalten sowie Kunstgeschichte. Ebenso wie in den anderen FMS-Profilen ist ein Praktikum sowie das Verfassen einer schriftlichen Arbeit Teil der FMS-Ausbildung.

7.1.1.2 Das Gymnasium mit dem musischen Profil

Das Gymnasium A, an welchem das musische Profil untersucht wurde, befindet sich auf dem Gelände eines ehemaligen Lehrer*innenseminars in einer Berggemeinde (AD6). Die seminaristische Ausbildung an diesem Standort wurde Anfang der 2000er-Jahre beendet, und gleichzeitig ein Kurz- sowie ein Langzeitgymnasium aufgebaut. In diesem Prozess wurden die letzten Seminarist*innen sowie die ersten Gymnasiast*innen vier Jahre lang unter dem gleichen Dach unterrichtet (AI1). Das vierjährige Kurzzeitgymnasium schließt an die zweite oder dritte Sekundarklasse, das Langzeitgymnasium an die sechste Klasse der Primarschule an. Das Gymnasium besuchen circa 450 Schüler*innen, welche von rund 70 Lehrpersonen unterrichtet werden.

Die Entscheidung für das Schwerpunktfach erfolgt nach dem 10. Schuljahr (inklusive Kindergarten/Eingangsstufe) im Alter von 15 bis 16 Jahren. Anschließend wird das Schwerpunktfach für die verbleibenden vier Jahre der gymnasialen Ausbildung in jedem Jahr mit vier Wochenlektionen unterrichtet. Im Schwerpunktfach Musik ist Voraussetzung, dass Schüler*innen Gesangs- oder Instrumentalunterricht besuchen, welcher von der Schule finanziert wird (AD7).

Das Gymnasium A zeichnet sich durch ein ausgeprägtes musisches Profil aus. Es umfasst ein breites Angebot an musikalisch-gestalterischen Freizeit- und Freifachangeboten wie etwa ein Orchester oder Gesangsensembles, in denen laut Schulleitung «die meisten [aus dem Schwerpunktfach Musik, S.H.] dabei sind» (Schulleitung, AI1).

7.1.2 Fall B: Ein großer Kanton mit früh tertiarisierter Lehrpersonenbildung

Der Fall B umfasst eine Fachmittelschule und ein Gymnasium, welche im Kontrast zum Fall A zwei schulische Bildungsgänge ein und derselben Schule darstellen. Beim Kanton B handelt es sich um einen deutschsprachigen, eher großen Industriekanton, der als konfessionell paritätisch gilt. Der Kanton besitzt einerseits eine lange seminaristische Tradition der Lehrpersonenbildung, andererseits wurde diese um 1970 vergleichsweise früh aufgelöst, eine akademische Ausbildung für Lehrpersonen gefordert und diese auf Tertiärstufe angehoben (BD1). An der daraufhin geschaffenen Hochschule wurden integrale Diplome für Primar- und Sekundarlehrpersonen vergeben und für den Eintritt ins Studium eine gymnasiale Maturität verlangt (ebd., S. 93). Die Ausbildung zur Kindergartenlehrperson blieb länger seminaristisch auf Sekundarstufe II organisiert (ebd., S. 94). Bereits vor sowie auch nach der gesamtschweizerischen Tertiarisierung der Ausbildung von Kindergarten- respektive Vorschullehrpersonen (siehe auch Abschn. 5.1.4) war für diese ein DMS-Abschluss Mindestzulassungsbedingung (BD1, S. 101).

Heute besitzt der Kanton B keine eigene Pädagogische Hochschule mehr, sondern ist einer von mehreren Trägerkantonen einer überregionalen PH. Im Kanton befinden sich sechs Gymnasien und drei Fachmittelschulen, wobei die FMS jeweils institutionell an Gymnasien angegliedert sind. Im Kontrast zum Fall A ist das Schwerpunktfach Philosophie/Pädagogik/Psychologie (PPP) in diesem Kanton Teil des gymnasialen Schwerpunktfachangebots. Es wurde explizit aufgrund der seminaristischen Tradition zweier Gymnasien des Kantons eingeführt, um so vorhandene personelle und materielle Ressourcen in die gymnasiale Ausbildung überführen zu können (BD2, S. 82).

7.1.2.1 FMS und Gymnasium unter dem Dach der Kantonsschule

Im Fall B werden FMS und Gymnasium als Bildungsgänge der gleichen Schule gemeinsam geführt. Es werden die gleichen Räumlichkeiten und Ressourcen genutzt, und es unterrichten im Regelfall dieselben Lehrpersonen sowohl am Gymnasium als auch an der FMS. Die Schule bezeichnet sich als «Kantonsschule» oder «Kanti» – ein Begriff, mit dem üblicherweise Gymnasien gemeint sind. Insgesamt besuchen zum Untersuchungszeitraum ca. 1100 Schüler*innen die untersuchte Kantonsschule, wo sie von rund 160 Lehrpersonen unterrichtet werden (BD7).

Die Schule B befindet sich in den Gebäuden eines ehemaligen Klosters. Dieses wurde nach seiner Schließung für die seminaristische Ausbildung von Lehrpersonen genutzt und verband diese mit heimischer Landwirtschaft und familiärem Konvikt (BD3). Nach der Tertiarisierung der Lehrpersonenbildung im Kanton B wurde um 1967 (BD4) das Seminar in ein pädagogisch-soziales Gymnasium umgewandelt, welches explizit auf die tertiarisierte Lehrpersonenbildung vorbereiten sollte (BD5). Um 1989 wurden die Höheren Töchterschulen des Kantons in Diplommittelschulen (DMS) umgewandelt und in diesem Zusammenhang in die Kantonsschule integriert (BD6). Das Gymnasiale Schwerpunktfachangebot umfasst sowohl Musik und Bildnerisches Gestalten als auch PPP.

7.1.2.2 Die FMS mit Profil Pädagogik/Kunst

Die FMS ist seit 2006 Teil der Schule B (EDK 2020). Angeboten werden die FMS-Profile Gesundheit, Soziale Arbeit, Kommunikation sowie das kombinierte Profil Pädagogik/Kunst. Spezifikum des pädagogischen FMS-Profils im Fall B ist die Kombination der Profile Pädagogik und Kunst. Die Ursache dieser Kombination waren finanzielle Sparbemühungen des Kantons bei der Umwandlung der zweijährigen DMS in die dreijährige FMS, im Rahmen derer ein eigens geführtes Profil Kunst als zu teuer erschien (BI2).

Die Schüler*innen entscheiden sich bereits mit der Anmeldung für die FMS für ein Profil (BI3). Der Unterricht in profilspezifischen Fächern Musik, Bildnerischem Gestalten, Gestalterischem Werken und Psychologie/Pädagogik beginnt im zweiten FMS-Jahr und umfasst pro Fach je zwei Wochenlektionen im zweiten und dritten Schuljahr. Aus organisatorischen Gründen werden die Klassen meist profilgemischt gebildet (BI3), sodass in einer Schulklasse häufig Schüler*innen verschiedener FMS-Profile unterrichtet werden.

7.1.3 Fall C: Ein französischsprachiger Kanton mit früh tertiarisierter Lehrpersonenbildung

Der Fall C befindet sich in einem französischsprachigen Kanton. Seine Wirtschaft beruht im Wesentlichen auf dem Dienstleistungssektor, er gilt aber auch in der Industrie in den Bereichen Mikromechanik/Elektronik, der Uhrenindustrie, der Medizin- oder Informationstechnologie als führend (CD1). Die Ausbildung von Primarlehrpersonen wurde 1981 tertiarisiert und in Form eines zweijährigen, postmaturitären Studiengangs organisiert (CD2, S. 20). Im Kanton C wurde ab 1996 bereits vor der gesamtschweizerischen Tertiarisierung der Lehrpersonenbildung (siehe Abschn. 5.1.4) der Aufbau einer Pädagogischen Hochschule in die Wege geleitet (CD4, S. 103 f.).

Im Kanton C hat die Zulassung von Absolvierenden der Fach- bzw. der ehemaligen Diplommittelschule («école de culture générale»Footnote 4, «école de degré diplôme») in die Ausbildung von Primar- und Vorschullehrpersonen eine längere Tradition (CD2; CD3; CD4). Zum Zeitpunkt der in Abschn. 5.1.4.3 erläuterten «Thesen zur Entwicklung Pädagogischer Hochschulen» (EDK 1993a) waren im Kanton C sowohl Inhaber*innen einer gymnasialen Maturität als auch eines Diploms einer «école de culture générale» zur damals bereits tertiär organisierten Ausbildung von Vorschul- und Primarlehrpersonen zugelassen (CD5, S. 304, 415). Der Kanton besitzt auch heute noch eine eigene kantonale Pädagogische Hochschule. Sie bietet neben anderen Studiengängen der Lehrpersonenbildung auch den Bachelorstudiengang Primarstufe an, welcher die Unterrichtsberechtigung für die Vorschul- und Primarstufe umfasst (CD6).

Im Kanton C befinden sich zwölf Mittelschulen, als «Gymnases» bezeichnet, welche jeweils ein Gymnasium (école de maturité), eine Fachmittelschule (école de culture générale) und eine Wirtschaftsmittelschule (école de commerce) umfassen. Die Gymnasien bieten das Schwerpunktfach PPP an, wobei dieses im Kanton lediglich aus Philosophie und Psychologie als «PP» ohne den Fachbereich Pädagogik besteht. Der Verzicht auf den Teilbereich Pädagogik liegt darin begründet, dass insbesondere das Fach Philosophie im Kanton eine lange Tradition hat und eine große Bedeutung als obligatorisches Unterrichtsfach aufweist, andererseits das Fach Pädagogik bei der Einführung des musisch-pädagogischen Gymnasialprofils nicht als Teil einer Maturitätsausbildung betrachtet wurde (CD7, S. 87). Auch im Rahmen der FMS-Ausbildung ist Pädagogik kein Unterrichtsfach. Dies kann als erster Hinweis darauf gedeutet werden, dass eine berufsvorbereitende bzw. -propädeutische Logik im allgemeinbildenden Pfad der Sekundarstufe II in der französischsprachigen Schweiz eher abgelehnt wird und eine spezifische Ausbildung in «Pädagogik» nicht als Teil der Allgemeinbildung betrachtet wird.

Die Sekundarstufe I im Kanton C ist in zwei Leistungsniveaus gegliedert – ein prägymnasiales sowie ein «allgemeines» (CD8). Haben Schüler*innen auf der Sekundarstufe I den prägymnasialen Leistungszug besucht, steht ihnen der Eintritt ins Gymnasium oder die FMS offen. Der Eintritt in die FMS ist auch mit einem Abschluss des «allgemeinen» Leistungszugs unter Voraussetzung bestimmter schulischer Leistungen gewissen Fächern möglich (CD9). Damit steht auch in diesem Kanton die FMS Schüler*innen offen, denen aufgrund ihrer schulischen Leistungen der Zugang zum Gymnasium verwehrt ist.

7.1.3.1 FMS und Gymnasium als Bildungsgänge des «Gymnase»

Der untersuchte Fall bzw. die Schule C befindet sich in einer Gemeinde nahe der Kantonshauptstadt, wurde 1992 gegründet und umfasst wie die restlichen «Gymnases» des Kantons eine FMS, ein Gymnasium und eine Wirtschaftsmittelschule. Auf dem Gelände befindet sich ebenfalls eine Berufsschule, an welcher Berufslernende den schulischen Teil ihrer dualen Berufsbildung absolvieren (CD10). Gymnasium, Fach- und Wirtschaftsmittelschule werden organisatorisch gemeinsam geführt und stellen drei schulische Bildungsgänge ein und derselben Schule dar. Die Lehrpersonen unterrichten je nach Pensum und Fachbereich an allen drei Schultypen. An der Schule C werden derzeit circa 900 Gymnasiast*innen, 330 Fachmittelschüler*innen sowie circa 130 Wirtschaftsmittelschüler*innen von 143 Lehrpersonen unterrichtet (CD11). Damit stellt dieser Fall den personell umfangreichsten aller drei untersuchten Fälle dar.

7.1.3.2 Das (sozial-)pädagogische FMS-Profil

Die Schule C bietet fast alle FMS-Profile an. Das in der vorliegenden Studie untersuchte, pädagogische bzw. auf Lehrberufe ausgerichtete Profil nennt sich im Kanton C und damit auch in der Schule C «sozial-pädagogisches» Profil (socio-pédagogique). Damit ist nicht eine spezifische sozialpädagogische Ausrichtung gemeint, sondern eine Kombination der Profile Pädagogik und Soziales ähnlich wie im Fall A. In den nachfolgenden Ergebniskapiteln wird das Profil des Falls C als (sozial-)pädagogisches Profil bezeichnet.

Im Anschluss an die dreijährige Fachmittelschulausbildung in diesem Profil können Schüler*innen sowohl die Fachmaturität Pädagogik als auch die Fachmaturität Soziales absolvieren. Die entsprechenden Fachmaturitätslehrgänge werden allerdings an der untersuchten Schule nicht angeboten und müssen an einem anderen Gymnase des Kantons besucht werden. Ab dem zweiten FMS-Jahr besuchen die Schüler*innen des (sozial-)pädagogischen Profils Unterricht in profilspezifischen Fächern, welche im Vergleich zu den Fällen A und B eine deutlich breitere Fächerpalette umfassen. Die profilspezifischen Fächer des pädagogischen Profils sind Musik, Bildende KunstFootnote 5, Philosophie/Psychologie, Biologie, Physik, Chemie, Antike Kultur sowie Geografie (CD13). Alle Fächer sind promotionsrelevant, und mit jeweils drei Wochenlektionen pro Jahr kommt insbesondere den naturwissenschaftlichen Fächern sowie Philosophie/Psychologie höheres Gewicht zu.

In den nachfolgenden Kapiteln erfolgt ein fallübergreifender Vergleich der drei untersuchten Fälle (Cross-Case Synthesis (Yin 2009, S. 15 f.)). Die Ergebnisdarstellung erfolgt entlang von Dimensionen, die sich in der Analyse als zentral für die Beantwortung der Forschungsfrage erwiesen haben: Bildungsziele und Beziehung zur Abnehmerinstitution, Bildungsinhalte und Formate der Bildung, Wissensvermittlung sowie Schüler*innen. Ziel ist die Beantwortung der Forschungsfrage nach den Charakteristika und Spezifika, die das schulische Profil der FMS Pädagogik und das musisch-pädagogische GymnasialprofilFootnote 6 konstituieren (Abschn. 7.27.5). Anhand dieser Charakteristika wird diskutiert, inwiefern diese die unterschiedliche quantitative Bedeutung der beiden Profile für die Primarlehrpersonenbildung erklärt werden kann (Abschn. 7.6).

Aus konventionentheoretischer Perspektive geht es darum aufzuzeigen, auf welche zugrundeliegenden Wertigkeitsordnungen und deren Kompromisse diese Charakteristika verweisen, durch welche Konventionen, materiellen und immateriellen Formate sich das jeweilige schulische Dispositiv auszeichnet und wie die schulischen Akteur*innen handlungspraktisch damit umgehen. Dabei wird auf zentrale Gemeinsamkeiten und Unterschiede hinsichtlich der als bedeutsam herausgearbeiteten Dimensionen fokussiert und zur Illustration konkrete Beispiele aus den der Studie zugrundeliegenden Einzelfallanalysen angeführt.

7.2 Bildungsziele und Beziehung zur Abnehmerinstitution

Vergleicht man die drei untersuchten pädagogischen FMS-Profile und die musisch-pädagogischen Gymnasialprofile bezüglich der mit Wertigkeit versehenen Bildungsziele, erweisen sich im Kern in beiden Schultypen

  1. a)

    die Vorbereitung auf eine hochschulische Ausbildung (an der PH oder Universität) und

  2. b)

    die Vorbereitung der Schüler*innen auf ihre spätere gesellschaftliche Funktion (als Lehrperson oder in verantwortungsvollen Positionen in Politik, Wissenschaft und Kultur)

als zentral. Wie die Analyse zeigt, stehen diese Bildungsziele durch ihren jeweiligen Fokus auf die zukünftige Hochschul- oder Berufslaufbahn der Schüler*innen im Zusammenhang mit der Beziehung der FMS Pädagogik und des musisch-pädagogischen Gymnasialprofils zu ihren jeweiligen Abnehmerinstitutionen. Sowohl die Bildungsziele als auch die jeweiligen Beziehungen zur Abnehmerinstitution sind Gegenstand des folgenden Kapitels.

7.2.1 Die Bildungsziele der FMS Pädagogik: Vorbereitung auf die PH und den Primarlehrberuf

Zentrale Bildungsziele der FMS Pädagogik sind a) die gezielte, kompetenzorientierte Vorbereitung auf eine Ausbildung an der Pädagogischen Hochschule (PH) sowie b) die Vorbereitung auf den Primarlehrberuf.

Diese Ziele werden überwiegend auf der industriellen Bewertungsgrundlage der Funktionalität und Effizienz valorisiert und im Format von Informationsbroschüren, Webseitentexten und Lehrplänen materiell gestützt. Zentrale Bedeutung kommt hierbei dem Bildungsformat der Fachmaturität Pädagogik (siehe Abschn. 7.3.2.2) zu, welche im Anschluss an das Profil Pädagogik absolviert werden kann und Absolvierende zum prüfungsfreien Eintritt in den Studiengang Primarstufe an PH berechtigt.

7.2.1.1 PH-Vorbereitung und Herstellung von Studierfähigkeit

Das Bildungsziel der PH-Vorbereitung an der FMS Pädagogik meint im Wesentlichen die Herstellung von PH-Studierfähigkeit. Im Kontext dieses Bildungsziels valorisieren die Akteur*innen in den untersuchten pädagogischen FMS-Profilen insbesondere sprachliche Kompetenzen in Erst- und Fremdsprache als wichtige Elemente der PH-Studierfähigkeit, deren Förderung sich die FMS Pädagogik zum Ziel setzt. Auch das Bildungsziel der Allgemeinbildung erweist sich in allen drei untersuchten Fällen als bedeutsam, wobei die schulischen Akteur*innen Allgemeinbildung im Fall A primär als PH-Vorbereitung (Studierfähigkeit) und in den Fällen B und C als Vorbereitung auf den Primarlehrberuf (nützliches Wissen für die mehrere Fächer unterrichtende Primarlehrperson) deuten.

Im Fall A kommt das Bildungsziel der PH-Vorbereitung bereits im Format der Informationsbroschüre für das Profil Pädagogik zum Ausdruck. Sie adressiert die (zukünftigen) Schüler*innen als interessiert an pädagogischen Berufen, die an PH erlernt werden können (AD8, S. 5). Schriftlich festgehalten ist das Versprechen, die Schüler*innen mit den Kompetenzen und «notwendigen Voraussetzungen» auszustatten, welche für die Bewältigung des PH-Studiums erforderlich seien (ebd., S. 5, 20). Es wird also bereits im materialisierten Format der Informationsbroschüre eine funktionale Definition der FMS Pädagogik als zielgenaue und effiziente Vorbereitung für das Studium pädagogischer Berufe an PH gestützt und damit eine Wertigkeit der industriellen Konvention (Effizienz, Funktionalität, Fachkompetenz) hervorgehoben. Entsprechend erklärt eine Lehrperson mit Blick auf die PH-Ausbildung: «ich bin wie eine Stufe vorgelagert» (AI8).

In derselben Logik besteht auch im Fall B das Bildungsziel darin, die Schüler*innen so gut wie möglich auf die Ausbildung an der PH vorzubereiten:

[…] wirklich eine Vorbereitung auf das, was sie nachher in einer ersten Berufsausbildung auch wirklich erwartet. […] Und dort ist so wirklich etwas mitgeben, wovon sie danach profitieren können. Wir haben zum Beispiel auch […] ehemalige Schüler […] die haben mir gesagt: [Name LP] das was wir dort durchgenommen hatten, das war super, das hat mir super geholfen nachher […] das ist gut, wenn ich sie so vorbereite, dass sie dort gut durchkommen und nachher auch wissen, was sie erwartet. (Lehrperson Psychologie/Pädagogik, BI3, Herv. S.H.)

Dazu gehört für die Lehrpersonen und die Schulleitung auch das Verfassen wissenschaftlicher Arbeiten, das die Schüler*innen erlernen sollen. Dabei steht das Trainieren derjenigen Fähigkeiten im Zentrum, die von der PH als Abnehmerinstitution gefordert werden:

Dass sie wissen, wie kann ich eine Arbeitwie gehe ich da ran, was brauche ich, Methodik und Zeitplan und organisatorisch und so weiter, damit sie dann an der PH, wo sie dann ein paar [Arbeiten, S.H.] schreiben müssen, eben diese Fähigkeiten haben. (Schulleitung FMS, BI2, Herv. S.H.).

Mit Aspekten wie Methodik, Zeitmanagement und Organisation erhält die industrielle, technisch-anwendungsbezogene Wissensform des savoir-faire Wertigkeit und wird mit den Anforderungen der PH als Abnehmerinstitution legitimiert. Das Verfassen einer schriftlichen Arbeit dient aus Perspektive der Schulleitung nicht dem Selbstzweck oder der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit einem Untersuchungsgegenstand, sondern integriert Anforderungen der PH in das Bildungsprogramm der FMS und stützt somit die funktionale Logik der industriellen Konvention. Auch die Schüler*innen valorisieren diese Vorbereitungslogik und bezeichnen sich durch das gewählte FMS-Profil als «besser auf die PH vorbereitet» (Schüler*innen, BI5).

Valorisiert werden sowohl die sprachlichen Kompetenzen als auch die Allgemeinbildung in allen drei Fällen mit Blick auf ihre Funktionalität für die PH-Ausbildung oder den Primarlehrberuf auf dem Bewertungsprinzip der industriellen Konvention.

Im Fall CFootnote 7 wird die Allgemeinbildung zusätzlich losgelöst von einer PH- oder Berufsvorbereitungslogik auf dem staatsbürgerlichen Bewertungsprinzip der breiten, zweckfreien Allgemeinbildung in einem humboldtschen Sinn valorisiert, welche den Fachmittelschüler*innen verschiedene hochschulische Anschlusslösungen eröffnen soll. Das Ziel des pädagogischen Profils im Fall C ist «das Studium des Menschen in Gesellschaft, Zeit und Raum» (CD13, S. 9, Übers. S.H.) beziehungsweise die «dimension de l’être humain»Footnote 8 (Schulleitung, CI1), was auf eine humanistisch-allgemeinbildende, der staatsbürgerlichen Konvention entsprechende Orientierung verweist.

Obwohl sie eine industrielle Vorbereitungslogik neben der oben erwähnten Allgemeinbildung als notwendig bezeichnen, distanzieren sich sowohl einige befragte Lehrpersonen als auch die Schulleitung von einer zu spezifisch auf die PH ausgerichtete Vorbereitung im Zeitraum der drei Jahre bis zum Fachmittelschulausweis:

On n'a pas pour mission de ne former QUE/ avec l'option [(sozial)-pädagogisches Profil, S.H.], il n'y a pas que l'enseignement qui en devient le débouché. […] dans notre système scolaire où l'école de culture générale permet de faire des maturités spécialisées […] dans tous les domaines de l'école de culture générale, il me semble qu'on doit aussi être attentifs avant le certificat, de ne pas trop les cibler sur un seul débouché possible.Footnote 9 (Schulleitung, CI1, Herv. S.H.)

Im französischsprachigen Fall C wird der FMS – wie die Bezeichnung «école de culture générale» bereits anklingen lässt – stärker als in den ersten beiden Fallstudien eine allgemeinbildend-staatsbürgerliche Funktion zugeschrieben. Zwar lässt sich ebenso eine industrielle Logik der gezielten Hochschulvorbereitung ausmachen, allerdings bezieht sich diese auf verschiedenste hochschulische Abnehmerinstitutionen und nicht nur die Lehrpersonenbildung. Diese unspezifische Ausrichtung des (sozial-)pädagogischen FMS-Profils im Fall C könnte ein Grund dafür sein, warum wie in Abschn. 6.2.4 dargestellt in der französischsprachigen im Vergleich zur deutschsprachigen Schweiz nur ein geringer Anteil der Absolvierenden eines pädagogischen FMS-Profils später tatsächlich in die Primarlehrpersonenbildung eintritt.

7.2.1.2 Vorbereitung auf den Primarlehrberuf – «das Pädagogische»

Das zweite hauptsächliche Bildungsziel der FMS Pädagogik ist die gezielte Vorbereitung auf den Beruf der Primarlehrperson. Diesem Ziel sprechen die Akteur*innen an der FMS A besonders hohe Bedeutung zu und valorisieren damit einerseits industrielle Wertigkeiten der funktional-effizienten Vorbereitung. Andererseits valorisieren sowohl Schulleitung als auch Lehrpersonen innerhalb dieser Vorbereitungslogik häusliche Wertigkeiten wie eine lehrberufsspezifische Berufssozialisation und Entwicklung einer Berufsidentität:

[…] die Leute, welche hier in der Klasse sind, achtzig Prozent sagen von Anfang an «ich will Lehrer, Lehrerin werden.» Also die haben schon (…) einen gemeinsamen Berufstraum, sie haben einen/eine Berufsidentität fängt an sich zu entwickeln[…]. Die Lehrpersonen, welche sie hier drin auch haben, wissen AUCH von ihnen, dass sie Lehrpersonen werden wollen. Also man IST hier eigentlich schon auf dem Weg in den Beruf hinein […] Und SOLCHE Leute sind gemeinsam hier, und bewegen sich auf ihr Ziel zu. Das gibt ganz eine andere (..) Sozialisation, in Bezug auf, auf dieses Berufsfeld. [...] Es sind junge Leute mit einer Berufsidee. (Schulleitung, AI4, Herv. S.H.)

Weiter schreiben die Akteur*innen der FMS A Bildungszielen wie Auftrittskompetenz, der Entwicklung von Sozialkompetenzen und der Persönlichkeit als «Hauptinstrument, dass sie einsetzen in der beruflichen Tätigkeit» (AI4) sowie einer gründlichen Ausbildung in musisch-gestalterischen Fächern hohe Wertigkeit im Hinblick auf die Vorbereitung auf den zukünftigen Beruf zu. Hier zeigt sich erneut die Kombination von häuslichen (Soziale Beziehungen, Persönlichkeitsbildung) und industriellen (Kompetenz, Persönlichkeit als funktionales ‚Instrument‘) Wertigkeiten im Fall A.

Im Fall B wird sowohl der Ausbildung in musisch-gestalterischen Fächern als auch der Allgemeinbildung eine vorbereitende Funktion auf den Primarlehrberuf zugesprochen. Im Fall C hingegen deuten die schulischen Akteur*innen vor allem die Vermittlung einer breiten Allgemeinbildung als Vorbereitung auf den Primarlehrberuf und valorisieren diese Allgemeinbildung als funktional für die Tätigkeit der Primarlehrperson als Generalist*inFootnote 10.

Als Kernelement der Vorbereitung auf den Primarlehrberuf erweist sich in allen drei Fällen eine fundierte Ausbildung in dem Bereich, der von den Akteur*innen als «das Pädagogische» an der FMS Pädagogik konstruiert und valorisiert wird. «Das Pädagogische» bezeichnet denjenigen Aspekt, der aus Sicht der Akteur*innen das pädagogische FMS-Profil einerseits von anderen FMS-Profilen wie Gesundheit oder Soziale Arbeit, andererseits von der gymnasialen Ausbildung unterscheidet. «Das Pädagogische» stellt nicht nur ein rein kognitives Format dar, sondern ist auch in der Rahmenstundentafel der jeweiligen FMS in Form der profilspezifischen Fächer formatiert. Tab. 7.1 liefert eine Übersicht über die jeweiligen profilspezifischen Fächer pro Fall, wobei jeweils diejenigen Fachbereiche in Orange gekennzeichnet sind, welche die Akteur*innen als «das Pädagogische» konstruieren und valorisieren.

Tab. 7.1 Übersicht profilspezifische Fächer FMS Pädagogik

In den beiden deutschsprachigen Fällen A und B umfasst «das Pädagogische» «so das Musische oder Gestalterische» (BI4) in Form musisch-gestalterischer Fächer wie Musik, Gestalten, Werken und Instrumentalunterricht. Sie werden als für den Primarlehrberuf konstitutiver Komplex von Fähigkeiten und Wertigkeiten sowie als profilierendes Element des pädagogischen FMS-Profils wahrgenommen und valorisiert. Dieser Komplex musisch-gestalterischer Fächer integriert sowohl industrielle Wertigkeiten der funktionalen Vorbereitung auf den Primarlehrberuf als auch häusliche Wertigkeiten der Erziehung, Anleitung und pädagogischen Begleitung von Kindern:

Wenn wir jetzt denken, in ihrem Beruf nachher, das Visuelle, das Musische ist enorm wichtig, weil mit den Kindern singt man, mit den Kindern muss man bildhaft umgehen, eben nicht abstrakt, sondern konkret mit Bildern, mit Musik, mit singen, mit bewegen, mit tanzen eventuell auch noch. (Schulleitung FMS, BI2, Herv. S.H.)

Im Fall A kommt die hohe Wertigkeit musisch-gestalterischer Fächer und ihre Konstruktion als «das Pädagogische» zudem darin zum Ausdruck, dass die Fächer Musik, Gestalten und Kunstgeschichte im interdisziplinären Fach ContrariFootnote 11 formatiert sind, welches mit einer hohen Lektionendotation im Stundenplan besondere Wertigkeit erhält. Weitere profilspezifische Fächer der deutschsprachigen Fälle A und B sind Psychologie, Pädagogik und/oder Gesellschaftswissenschaften – diese werden von den befragten schulischen Akteur*innen allerdings nicht als Teil des «Pädagogischen» valorisiert.

Anders stellt sich dies im Fall C dar, wo sich «das Pädagogische» ebenfalls im Format der profilspezifischen Fächer materiell niederschlägt – sich dort aber aus einer breiten Palette allgemeinbildender Fächer konstituiert. Diese umfasst nicht nur musisch-gestalterische Fächer, sondern auch Philosophie/Psychologie, Biologie, Physik, Chemie, Antike Kultur und Geografie. Diese profilspezifischen Fächer werden einerseits auf der Bewertungsgrundlage der industriellen Konvention als funktional und nützlich für die Tätigkeit der Primarlehrperson als Generalist*in valorisiert:

C'est la notion de l'enseignant*e généraliste au niveau du primaire, quoi. L'école obligatoire, où on va demander aux enseignants d'avoir cette aptitude d'enseigner aussi bien des arts visuels, la musique, que français, maths, quoi. Donc, c'est assez logique, c'est cohérent, évidemment.Footnote 12 (Schulleitung, CI1, Herv. S.H.)

Zusätzlich schreiben die Akteur*innen des Falls C der breiten Palette profilspezifischer Fächer auch aus einer staatsbürgerlichen Perspektive der breiten, zweckfreien Allgemeinbildung Wertigkeit zu. Dies auch deshalb, weil das (sozial-)pädagogische Profil den Fachmittelschüler*innen durch seine inhaltliche Breite ganz unterschiedliche hochschulische Anschlusslösungen und nicht nur eine Perspektive auf ein PH-Studium eröffnet. Damit integriert «das Pädagogische» im Fall C nicht wie in der deutschsprachigen Schweiz Wertigkeiten der industriellen (funktionale Vorbereitung auf den Lehrberuf) und häuslichen (erzieherisch-pädagogische Funktion musisch-gestalterischer Fächer), sondern der industriellen und der staatsbürgerlichen (breite, zweckfreie Allgemeinbildung) Konvention.

Zusammenfassend lassen sich für die Bildungsziele der Fälle A und B primär industrielle Wertigkeiten der Funktionalität, Kompetenz und effizienten Vorbereitung (auf die PH und den Primarlehrberuf) sowie mit dem Fokus auf die zukünftige Berufstätigkeit in Bereichen der Erziehung und Sozialisation auch häusliche Wertigkeiten (pädagogischer Beruf, Berufstätigkeit, pädagogische Funktion musischer Fächer) als zentral rekonstruieren. Die häusliche Konvention erweist sich am bedeutungsvollsten in der FMS A, wo Ziele wie Charakter- und Persönlichkeitsbildung, Berufssozialisation und Berufsvorbereitung besonders hohe Wertigkeit zugeschrieben wird.

Im Fall B heben die Akteur*innen vor allem Kompetenzen im (fremd-)sprachlichen Bereich sowie in der Methodik des Verfassens wissenschaftlicher Arbeiten als PH-Vorbereitung hervor, womit stärker industrielle Wertigkeiten der funktionalen Vorbereitung, der schulischen Kompetenz und des savoir-faire im Zentrum stehen.

Im Fall C kann das Gemeinwohl der staatsbürgerlichen Konvention einer breiten, beruflich unspezialisierten, zweckfreien Allgemeinbildung als bedeutendste Grundlage der Bildungsziele der FMS Pädagogik rekonstruiert werden. Formatiert in der breiten Palette profilspezifischer Fächer erlaubt die Konstruktion ebendieser als «das Pädagogische» neben der Valorisierung staatsbürgerlicher Wertigkeiten (zweckfreie Allgemeinbildung, Durchlässigkeit, Entkopplung von Profilwahl auf Sekundarstufe II und Hochschulstudium) auch die Integration industrieller Wertigkeiten der Vorbereitung auf den Beruf der Primarlehrperson als Generalist*in. Insofern kann festgehalten werden, dass sich die Bildungsziele der drei untersuchten Fälle inhaltlich ähneln (PH-Vorbereitung, Vorbereitung auf den Primarlehrberuf), die jeweils dominante Konvention aber eine andere ist.

Mit der unterschiedlichen Ausprägung des Bildungsziels der PH-Vorbereitung variiert auch die Konstruktion und Valorisierung der drei untersuchten FMS als «PH-Vorbereitungsschule». Auf Basis der Analysen wird an dieser Stelle die Hypothese formuliert, dass sich diese Unterschiede auch in der jeweiligen Beziehung zur kantonalen oder regionalen PH äußern.

7.2.2 Die Beziehung zwischen FMS Pädagogik und Abnehmerinstitution PH: Von enger Verzahnung bis bloßer Ko-existenz

Das Bildungsziel der Vorbereitung spezifisch auf den Hochschultyp PH ist im Fall A besonders ausgeprägt, wo die kantonale Pädagogische Hochschule die hauptsächliche Abnehmerinstitution für das pädagogische FMS-Profil darstellt. Im Fall A kann die Beziehung zwischen FMS Pädagogik und der kantonalen PH als eng charakterisiert werden. Sie wird von der Schulleitung der FMS A als «Verzahnung» (AI4) bezeichnet und von der Schulleitung des Gymnasiums A mit dem Ausdruck «kommunizierende Röhren» (AI1) beschrieben. Diese Begrifflichkeiten verweisen bereits auf sprachlicher Ebene auf eine auf Funktionalität und Effizienz beruhende Beziehungslogik zwischen den beiden Bildungsinstitutionen und damit auf Wertigkeiten der industriellen Konvention.

Die gegenseitige Wahrnehmung als Zubringerin (FMS) und Abnehmerin (PH) kommt u. a. im Format eines institutionalisierten jährlichen Austauschtreffens zwischen Leitungspersonen der PH und der FMS zum Ausdruck,

[...] wo man die Erfolgsquote anschaut, wo man Schnittstellenprobleme anschaut, sich einfach kennt, und schaut dass eine optimale Schnittstelle da ist. [...] Und da schauen sie, wo sind die Unterschiede, im Berufserfolg, in der Studiendauer, Leistungsniveau und so. (Schulleitung, AI4, Herv. S.H.)

Wie das Zitat verdeutlicht, wird insbesondere die ‘Funktionalität’ der FMS Pädagogik als PH-Zubringerin beurteilt. Als zugrundeliegende Logik lässt sich mit dem Fokus auf «eine optimale Schnittstelle» und Kriterien wie Leistung, Erfolgsquoten und Studiendauer (Effizienz) die industrielle Konvention rekonstruieren. Dabei zeigt sich, dass die Definition dessen, was eine «optimale Schnittstelle» ausmacht, von der Pädagogischen Hochschule vorgegeben wird:

Also eigentlich sagt die PH uns, was sie gerne haben möchte (lachend). Immer mal wieder. Und wir fragen nach, wie gut dass wir das auch bringen, was sie brauchen. [...] das ist schon aufeinander abgestimmt [...] nach oben sind es natürlich die Anforderungen, die Erwartungen der PH, zum Beispiel auch bei den internationalen Sprachdiplomen. (Schulleitung, AI4, Herv. S.H.)

Auch hier kommt mit einer Valorisierung von Funktionalität und Effizienz («bringen, was sie brauchen»; «aufeinander abgestimmt») die Bewertungs- und Koordinationslogik der industriellen Konvention zum Ausdruck, welche der Beziehung zwischen der FMS Pädagogik und der PH im Fall A zugrunde liegt. Das institutionalisierte Austauschgefäß zwischen FMS Pädagogik und PH kann aus konventionentheoretischer Perspektive sowohl als kognitive als auch materielle Forminvestition auf dem Handlungs- und Bewertungsprinzip der industriellen Konvention bezeichnet werden, das diese funktionale Beziehungslogik formatiert und stabilisiert.

Im Fall A wird diese enge Beziehung oder «Verzahnung» zwischen FMS Pädagogik und PH zusätzlich durch häusliche Wertigkeiten gestützt. Dazu gehört die örtliche Nähe zwischen FMS und PH (Fuß- und Sichtdistanz), sodass sich die PH als Abnehmerinstitution für die Fachmittelschüler*innen nicht nur kognitiv, sondern auch materiell-räumlich in der «Nähe» befindet. Diese räumliche Nähe sowie dass die FMS keine eigene Kantine besitzt, führt neben dem oben erwähnten institutionalisiert-formellen auch zu einer informell-personellen «Verzahnung» zwischen Akteur*innen der FMS A und der kantonalen PH: «[…] das ist zu Fuß etwa fünf Minuten, wir kennen einander einfach, wir gehen oft auch dort in die Mensa mittagessen. Wo es dann so informelle Begegnungen gibt» (Schulleitung, AI4). Ebenso kommt es vor, dass PH-Dozierende gleichzeitig an der FMS Pädagogik unterrichten, was die Schulleitung als «Link quasi zur nächsthöheren Stufe» (ebd.) bezeichnet und damit FMS und PH wiederum in ein enges Verhältnis rückt.

Die räumlich-örtliche Nähe stützt die regionale Bedeutung der FMS Pädagogik als Wertigkeit der häuslich-regionalistischen Konvention, und auch die persönlich-informellen Beziehungen des «sich-Kennens» und des gemeinsamen Essens über Mittag sind Ausdruck einer häuslichen Beziehungslogik. Aus konventionentheoretischer Perspektive lässt sich die Hypothese formulieren, dass diese häusliche Beziehungslogik die enge, industriell-funktionale «Verzahnung» zwischen FMS Pädagogik und der PH zusätzlich stabilisiert und verstärkt, und dies darin resultiert, dass das Bildungsziel der spezifischen PH-Vorbereitung im Fall A besonders ausgeprägt ist.

Wie im Fall A ist auch an der FMS B die Vorbereitung der Schüler*innen auf die Pädagogische Hochschule ein wichtiges Bildungsziel. Diese Vorbereitungsfunktion bezieht sich allerdings weniger eindeutig auf die Pädagogische Hochschule als einzige Abnehmerinstitution, sondern a) auf Fachhochschulen im Allgemeinen sowie b) durch die Kombination der FMS-Profile Pädagogik und Kunst auch Kunsthochschulen, für welche sich die FMS als funktionale Vorbereitung positioniert. Die Beziehung zur überregionalenFootnote 13 Pädagogischen Hochschule kann im Fall B als eher lose charakterisiert werden. Ein institutionalisierter Austausch zwischen Vertretungen der FMS Pädagogik und der PH existierte zwar immer wieder temporär und projektartig, war im Gegensatz zum Fall A aber nie von zeitlicher Dauer. Zum Untersuchungszeitpunkt der vorliegenden Studie ist ein solches Austauschgefäß erneut im Entstehen begriffen. Es bringt wie im Fall A die gegenseitige Wahrnehmung der FMS Pädagogik und der PH als Zubringerin und Abnehmerin zum Ausdruck.

Die Form eines Mandats von Seiten der PH zur Institutionalisierung eines solchen Austauschs sowie die Planung zukünftiger Austauschtermine verweist auf Investitionen in eine (zukünftige) Form. Die in der Kommunikation zwischen Vertretungen von PH und FMS verwendeten Begrifflichkeiten und Kriterien wie «Studierfähigkeit» und «basale Kompetenzen» der FMS-Absolvierenden, die Planung eines «Treffpunkt[s] in Bezug auf Kompetenzerwartungen» und die Wahrnehmung des Übergangs FMS-PH als «Schnittstelle», die es zu optimieren gelte (BD22), verweisen in hohem Masse auf die funktionale Logik der industriellen Konvention, die der Beziehung zwischen FMS und PH auch im Fall B zugrunde liegt. Im Fall B zeigt sich ebenfalls, dass die bildungspolitische Legitimation der Finanzierung einzelner FMS-Ausbildungselemente darauf beruht, ob diese an der PH «gebraucht» werden (BD22). Dies verweist darauf, wie ausgeprägt die Beziehung zwischen FMS und PH auf einer industriellen Logik der Funktionalität und Effizienz basiert.

Am schwächsten ausgeprägt ist das Bildungsziel der spezifischen PH-Vorbereitung im französischsprachigen Fall C, wo aufgrund der allgemeinbildenden Ausrichtung des (sozial-)pädagogischen FMS-Profils die PH zu einer Abnehmerinstitutionen unter verschiedenen (PH, FH, UniversitätenFootnote 14) wird. Eine spezifische, funktionale Vorbereitung auf die PH wird vor allem der Fachmaturität Pädagogik zugesprochen, welche Zulassungsanforderungen der PH integriert und damit zur spezifischen PH-Vorbildung wird (siehe Abschn. 7.3.2.2).

Im französischsprachigen Fall C existiert im Kontrast zu den Fällen A und B kein institutionalisiertes Austauschgefäß und auch kein sonstiger Austausch mit der kantonalen PH bezüglich der FMS Pädagogik. Angesprochen auf die PH verweist die Schulleitung lediglich auf die Funktion der Schule als Praktikumsinstitution für die Ausbildung von Lehrpersonen der Sekundarstufe II (CI1). Ein Austausch mit der PH bezüglich des (sozial-)pädagogischen FMS-Profils erscheint nicht dem Relevanzhorizont zu entsprechen und dieses Profil nicht als spezifische PH-Vorbereitung wahrgenommen zu werden. Trotz Abwesenheit eines solchen Austauschs äußert die Schulleitung den Eindruck, dass die Fachmittelschüler*innen im Vergleich zu den Gymnasiast*innen beim obligatorischen Sprachtest der PH schlechter abschneiden würden (CI1). Darum werde nun entsprechend mehr Gewicht auf sprachliche Fähigkeiten während der FMS-Ausbildung gelegt:

Ce qu'on a fait ici, c'est que maintenant qu'on a compris que la HEP avait finalement réintroduit l'orthographe comme critère d'admissibilité, et bien on a réinjecté un peu plus d'orthographe, rendant les élèves attentifs depuis le début de leur école de culture générale, pour leur dire: Attention.Footnote 15 (Schulleitung, CI1, Herv. S.H.)

Auch hier lässt sich eine industrielle Logik der Funktionalität und Effizienz in der Beziehung zwischen PH und FMS rekonstruieren: Ausbildungselemente – in diesem Falle im sprachlichen Bereich – werden in Abhängigkeit der PH-Anforderungen in der FMS-Ausbildung gestärkt und auf Basis der Funktionalität oder Notwendigkeit für die PH valorisiert.

Allerdings bleibt dies das einzige Element des pädagogischen FMS-Profils im Fall C, welches auf der Datengrundlage dieser Studie als explizit auf die Anforderungen der PH ausgerichtet interpretiert werden kann. Denn die breite, allgemeinbildende Palette profilspezifischer Fächer des pädagogischen FMS-Profils konstituiert zwar einerseits «das Pädagogische» (siehe Abschn. 7.2.1.2), lässt andererseits mit ihrer allgemeinbildenden Ausrichtung aber auch alle möglichen anderen Hochschultypen und -studiengänge als die PH zu potenziellen Abnehmerinstitutionen werden. In diesem Kontext wird im Gegensatz zu den Fällen A und B eine einzig auf die PH ausgerichtete Vorbereitung bisweilen sogar zum Gegenstand von (staatsbürgerlicher) Kritik durch die Akteur*innen.

Diese unterschiedlich engen Beziehungen zwischen der FMS Pädagogik und der PH als Abnehmerinstitution in den drei untersuchen Fällen widerspiegelt sich auch in der jeweiligen gesellschaftlichen oder ‘kantonalen’ Funktion, welche die schulischen Akteur*innen dem pädagogischen FMS-Profil zuschreiben. In den Fällen A und B wird der FMS Pädagogik explizit die Funktion zugeschrieben, als Ersatz oder Nachfolge der ehemaligen Lehrer*innenseminare den Lehrpersonennachwuchs zu sichern:

[...] ist es wirklich der Zubringer an die PH. Also auch als Ersatz/ der Kanton [Name] hat eine starke Lehrerseminarien-Tradition gehabt, die sind ja jetzt alle geschlossen. Und auf der Sek II schließt die FMS weitestgehend diese Lücke. (Schulleitung, AI4, Herv. S.H.)

Dies kann mit dem Fokus auf die langfristige Sicherung von pädagogischen Fachkräften als Ausdruck von Wertigkeiten der industriellen Konvention gedeutet werden und ist weiterer Ausdruck der funktionalen Beziehungslogik zwischen FMS Pädagogik und PH. Im Fall C wird eine derartige Funktion des Ersatzes oder der Nachfolge der ehemaligen Lehrer*innenseminare nicht thematisiert und kann daher als kohärent zur oben beschriebenen Wahrnehmung der PH als einer von mehreren Abnehmerinstitutionen bezeichnet werden.

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die Beziehung der drei untersuchten pädagogischen FMS-Profile zur PH sich in den drei untersuchten Fällen als unterschiedlich ausgeprägt erweist und in den deutschsprachigen Fällen A und B in hohem Masse auf einer industriellen Logik der Effizienz, Funktionalität und Kompetenz beruht. Sie stellt die Handlungs- und Bewertungslogik dar, auf deren Basis sich FMS Pädagogik und PH gegenseitig wahrnehmen, und die sich unterschiedlich materialisiert ausdrückt.

7.2.3 Bildungsziele des Gymnasiums: Musische Allgemeinbildung und Kreativität als Universitäts-, Kunst- oder Musikhochschulvorbereitung

Bei den Bildungszielen des musisch-pädagogischen Gymnasialprofils lässt sich im Kontrast zur FMS Pädagogik eine hohe Bedeutung von Wertigkeiten der staatsbürgerlichen und der inspirierten Konvention rekonstruieren. Am Gymnasium A kommt einer gezielten Hochschulvorbereitung kein besonderes Gewicht zu, sondern ein Fokus liegt auf der Herausbildung einer musikalischen oder künstlerischen Elite sowie der Begabungsförderung:

[…] es ist einfach SCHÖN, muss ich sagen, ich möchte es jetzt nicht abwertend im Vergleich zu anderen sehen, aber es ist schön mit intelligenten Kindern zu arbeiten, und Jugendlichen. […] wenn man dann Schwerpunktfach mal unterrichtet, dann hat eine Schülerin auch mal einen Preis für das Singen gewonnen. Und der andere hatte dann vielleicht mal mit der Klarinette wieder mal irgendwo gespielt, und da reüssiert. Und das ist schon schön, wenn man nachher gerade so begabte Kinder dann auch unterrichten kann und fördern kann. (Lehrperson, AI2)

Eine ähnliche Logik fundiert auch die gymnasialen Bildungsziele im Fall B, wobei sich nicht nur die Herausbildung einer kulturellen, sondern auch einer gesellschaftlichen Elite als Bildungsziel darstellt. Damit kommen Wertigkeiten der inspirierten (Begabung, Musik & Kunst) sowie der staatsbürgerlichen (Elite als gesellschaftliche oder kulturelle Verantwortungsträger) zum Tragen:

Also dass man, dass man später mal in der Lage ist, Verantwortung zu übernehmen in der Gesellschaft. […] Also nicht einfach, dass man ein bisschen weiß wie die Abstimmungen funktionieren, und was ein Referendum ist. Sondern dass man PARTEIpräsidentin später einmal wird, von irgendeiner staatstragenden Partei. DAS ist eigentlich der Anspruch. (Schulleitung Gymnasium, BI1, Herv. S.H.)

Bildungsziel ist die Vorbereitung von Gymnasiast*innen auf die Aufgabe als zukünftige Verantwortungsträger, «welche die Gesellschaft in dem Sinne weiterbringen können» (BI1) und denen somit Größe und Wertigkeit in der staatsbürgerlichen Konvention zukommt. Materiell kommt dies auch im Format des Lehrplans zum Ausdruck, laut welchem die Schüler*innen im Fach PPP die Fähigkeit entwickeln sollen «pädagogische und psychologische Fragen, die zunehmend öffentlich und kontrovers diskutiert werden, zu beurteilen, dazu Stellung zu beziehen und sich für das Allgemeinwohl einzusetzen» (BD13, S. 92).

Als notwendige Zwischenstation auf diesem Weg zu gesellschaftlich verantwortungsvollen Positionen erachten die schulischen Akteur*innen ein Studium an einer Universität, Musik- oder Kunsthochschule als bedeutsam. Im Falle des Universitätsstudiums muss dies allerdings fachlich-inhaltlich nicht zwingend mit dem gewählten Schwerpunktfach übereinstimmen. Sowohl Akteur*innen als auch Formate wie Informationsbroschüren und Websites valorisieren – besonders ausgeprägt im Fall B – gar eine inhaltliche Entkopplung zwischen Schwerpunktfach- und Studienwahl:

[…] dann sage ich immer: «hört, nehmt die Breite mit, macht irgendwas, was ihr vielleicht nachher nicht machen werdet». Also ich finde das hochspannend und super interessant, wenn Schüler Schwerpunktfach Psychologie/Pädagogik wählen und dann nachher Wirtschaft studieren gehen. Dann muss ich sagen: Top. Dann sind die einfach super vorbereitet […]. Und das ist für mich das primäre Ziel an einem Gymnasium, eine breite Abstützung. […] egal welches Schwerpunktfach sie wählen, diejenigen die bei uns rauskommen, Matura machen, das sage ich Ihnen. Dort sind die Chancen relativ groß, dass sie alles studieren gehen können und überall bestehen können. (Lehrperson Psychologie/Pädagogik, BI3, Herv. S.H.)

Trotz dieser Entkopplungslogik werden deutlich Universitäten sowie Musik- und Kunsthochschulen als bedeutende Abnehmerinnen positioniert. Voraussetzung für die valorisierte inhaltliche Entkopplung als Ausdruck von Wertigkeiten der staatsbürgerlichen Konvention (Durchlässigkeit, zweckfreie Bildung im Schwerpunktfach, freie Studienwahl) ist aus Sicht der Akteur*innen eine extensive Allgemeinbildung sowohl im Gymnasium im Allgemeinen als auch im musisch-pädagogischen Gymnasialprofil im Besonderen.

Ein weiteres bedeutsames Bildungsziel ist daher in allen drei Fällen eine breite, zwecklosgelöste Allgemeinbildung im Sinne eines breiten Überblicks- und Orientierungswissens über den jeweiligen disziplinären Wissenskanon. Dies entspricht der staatsbürgerlichen Wissensform des savoir (Derouet 1992, S. 91). Angestrebt wird das Erlangen eines breiten, vernetzten und mit sozialhistorischen Kontexten verknüpften Wissens über musik- und kunstgeschichtliche Strömungen und Stilrichtungen sowie die über die relevanten Inhalte und Techniken der Musik- und Kunsttheorie (AD14).

Ebenso sollen die Schüler*innen des musisch-pädagogischen Gymnasialprofils die disziplinenspezifischen Grundlagentechniken der Musik (Harmonielehre, Notation, Komposition), Kunst (gestalterische Techniken), Philosophie (Argumentation, Logik), oder Psychologie (wissenschaftliche Methoden) erlernen. Das Beherrschen dieser Techniken als industrielles savoir-faire kann und soll die Gymnasiast*innen auf weiterführende Studien im entsprechenden Fachbereich vorbereiten – trotzdem erhält auch die oben erwähnte inhaltliche Entkopplung Wertigkeit.

Auffallend ist, dass in den Fällen A und B zusätzlich der Förderung von Kreativität, Leidenschaft und Begabungsförderung als Wertigkeiten der inspirierten Konvention hohe Bedeutung zugesprochen wird. Objektiviert und materialisiert kommt das inspirierte Gemeinwohl in vielen kleinen Details des Gymnasiums A zum Ausdruck, wie beispielsweise in Form kleiner Plakate, welche im Flur des Musiktrakts angebracht sind (Abb. 7.1 und 7.2):

Abb. 7.1
figure 1

(Quelle: eigene Aufnahme)

Zitat Descartes Musiktrakt Gymnasium A.

Abb. 7.2
figure 2

(Quelle: eigene Aufnahme)

Zitat Hugo Musiktrakt Gymnasium A.

Im Fall C kommen diese inspirierten Wertigkeiten im Datenmaterial nicht zum Ausdruck. Im Gegensatz zu den Gymnasien A und B scheint die Vorbereitung auf eine spätere gesellschaftliche Funktion oder gar künstlerische oder gesellschaftliche Elite im französischsprachigen Fall nicht von Relevanz zu sein.

Die gymnasiale Allgemeinbildung valorisieren die Akteur*innen und das Format des Lehrplans mit Blick auf die hochschulvorbereitende Funktion einerseits aus industriell-funktionaler, andererseits aber auch in hohem Masse aus staatsbürgerlicher Perspektive. Die musikalische, künstlerische oder psychologisch-philosophische Allgemeinbildung soll zur persönlichen Entfaltung sowie zur Entwicklung und Reflexion einer kritischen Haltung beitragen. So wird als Bildungsziel des Fachs Bildende Kunst eine kritische «Haltung des Forschens und Hinterfragens», die Reflexion der eigenen Praxis und deren Einordnung in einen künstlerischen und historischen Kontext formuliert (CD15, S. 175, Übers. S.H.).

Auch die musikalische Bildung soll «als wesentliches Element jeder Zivilisation» zur persönlichen Entfaltung und zur ganzheitlichen Entwicklung beitragen (ebd., S. 180, Übers. S.H.). Mit der Valorisierung einer kritischen Haltung, persönlicher Entfaltung und der Vernetzung des Wissenskanons mit historisch-künstlerischen Kontexten werden staatsbürgerliche Wertigkeiten einer zweckfrei-persönlichkeitsentfaltenden, humboldtschen Allgemeinbildung valorisiert, wodurch auch im Fall C musische Bildung als Allgemeinbildung valorisiert wird.

7.2.4 Die Beziehung des musisch-pädagogischen Gymnasialprofils zur Lehrpersonenbildung

Die Gymnasien der deutschsprachigen Fälle A und B weisen beide eine institutionelle Vergangenheit als Lehrer*innenseminar auf und heben diese Tradition valorisierend hervor. Im Gegensatz zur FMS Pädagogik konstruieren die schulischen Akteur*innen das seminaristische Erbe ihrer Schule jedoch nicht in einer funktionalen Zuliefererfunktion zur PH oder der Rekrutierung von Lehrkräftenachwuchs. Sie valorisieren mit Blick auf ihre institutionelle Vergangenheit vor allem den Fokus auf Persönlichkeitsbildung und auf das Musische, welcher den ehemaligen Lehrer*innenseminaren zugeschrieben wurde. Insbesondere die Valorisierung des Musischen kommt in beiden Fällen formatiert in einem breiten musischen Freizeitangebot, ausgedehnter Konzerttätigkeit und in der Teilnahme an musikalischen Spitzenförderungsprogrammen zum Ausdruck.

Die Vorstellung, dass das musische Gymnasialprofil traditionell besonders geeignet für die Vorbereitung auf den Lehrberuf bzw. die Ausbildung an einer PH sei – wie es ursprünglich einmal gedacht war (siehe Abschn. 2.2.1) – kann als gedankliches Konstrukt resp. als kognitive Form bezeichnet werden. Im Fall A stützen sich sowohl Schulleitung als auch Lehrpersonen auf diese kognitive Form, um sich devalorisierend von ihr abzugrenzen und sie als «Nostalgie» (AI2) zu bezeichnen. Als bedeutsame Abnehmerinstitutionen positionieren Schulleitung und Lehrpersonen aller drei untersuchten Gymnasien hingegen die Eidgenössische Technische Hochschule (ETH), Universitären Hochschule sowie Kunst- und Musikhochschulen, bei denen man «am Puls» bleiben müsse (Schulleitung, AI1). Im Fall B kommt eine mögliche PH-Vorbereitungsfunktion trotz der ehemaligen Wurzeln dieser Schule in einem Lehrer*innenseminar gar nicht zur Sprache und erscheint nicht dem Relevanzhorizont der Akteur*innen zu entsprechen.

7.3 Bildungsinhalte und Wissensformen: Vom nützlichen Wissen zum Wissenskanon

Die im Folgenden erläuterten Bildungsinhalte und Wissensformen der FMS Pädagogik und des musisch-pädagogischen Gymnasialprofils sind nicht als losgelöst von denjenigen des Schultyps FMS oder Gymnasium an sich zu verstehen. Dennoch liegt der Fokus auf denjenigen Phänomenen und Kategorien, welche Hinweise auf die Beantwortung die Forschungsfrage nach der (unterschiedlichen) Bedeutung der beiden Bildungsprofile für die Ausbildung von Primarlehrpersonen liefern.

7.3.1 FMS: Nützliches Wissen für Studium, Beruf und Alltag

In Abschn. 7.2 wurde gezeigt, dass bei den Bildungszielen der FMS Pädagogik primär häusliche, industrielle und staatsbürgerliche Handlungs- und Bewertungsprinzipien von Bedeutung sind. Sie erweisen sich jedoch als fallspezifisch unterschiedlich ausgeprägt. Dies äußert sich ebenfalls in den vom Lehrplan formatierten und von den Lehrpersonen für den Unterricht ausgewählten Bildungsinhalten sowie den präferierten Wissensformen. Auch hier sind bei der FMS Pädagogik primär häusliche, industrielle und staatsbürgerliche Wertigkeiten und Wissensformen bedeutsam – jedoch ebenfalls fallspezifisch unterschiedlich ausgeprägt.

In den Bildungsinhalten des Falls A kommt von den beiden als zentral rekonstruierten Bildungszielen (PH-Vorbereitung und Berufsvorbereitung) hauptsächlich das Bildungsziel der Vorbereitung auf den (Primar-)lehrberuf zum Ausdruck. Es werden hierbei vor allem Wertigkeiten und Wissensformen der industriellen (funktionale Vorbereitung, savoir-faire) und häuslichen (Erziehung, Charakter- und Identitätsbildung, Berufspraxis, Pädagogik, savoir-être) Konvention valorisiert und im Lehrplan formatiert.

Die Lehrpersonen der FMS A treffen die Auswahl der zu vermittelnden Bildungsinhalte häufig mit Blick auf die zukünftige Tätigkeit der Fachmittelschüler*innen des Profils Pädagogik. Dies selbst dann, wenn der Lehrplan die staatsbürgerliche Wissensform des allgemeinbildenden savoir wie etwa verschiedene Stilrichtungen der Musikgeschichte oder Menschenbilder im Fach Gesellschaftswissenschaften festhält:

Also ich weiß, die meisten werden an die PH gehen […] dann nehme ich Hobbes und Rousseau, oder, als Beispiel von Anthropologien, welche natürlich dann auch eine pädagogische Relevanz hat, wie sie ja unterrichten wollen. Und nicht irgendwie Galilei, sein Weltbild, oder [...] De la Mettrie naturwissenschaftlich [...]. (Lehrperson Gesellschaftskunde, AI8, Herv. S.H.)

Die Lehrpersonen orientieren sich bei der Auswahl der Bildungsinhalte aber nicht nur an beruflichen, sondern auch lebensweltlichen Interessen der Jugendlichen:

[…] «sagt mir das mal, dann kann ich ja auch etwas machen, was vielleicht noch/ was euer Interesse ist.» Und dann haben sie gesagt: «Mach etwas zu Hip Hop.» Und dann habe ich gesagt: «Gut, machen wir etwas zu Hip Hop.» (Lehrperson Musik, AI7, Herv. S.H.)

Diese Auswahl der Bildungsinhalte orientiert an den Interessen und der aktuellen oder zukünftigen (Primarlehrberuf) Lebenswelt der Schüler*innen betont die Kontinuität zwischen Schule und Privat- oder Alltagsleben und damit Wertigkeiten der häuslichen Konvention (Derouet 1989, S. 22).

Diese häusliche Handlungs- und Bewertungslogik lässt sich für den Fall A als in hochbedeutsam rekonstruieren. Sie kommt in verschiedensten Lehrplanbereichen, Äußerungen und Handlungen der Lehrpersonen zum Ausdruck. So sollen etwa Bildungsinhalte nicht primär als abstrakt-theoretisches savoir gelernt, sondern «auf sich selber» angewandt (AI6) werden und der eigenen Handlungsbefähigung und Lebensbewältigung dienen. Entsprechend sollen sich die Fachmittelschüler*innen vor allem im Fach Psychologie in Themenbereichen des Lehrplans wie Persönlichkeit(-sbildung), Kommunikations- und Konfliktlösungsstrategien, «Ich-Botschaften» oder dem «Umgang mit sich selber» (AD10) selbst aktiv weiterentwickeln.

Konkret zeigten sich die häuslichen und industriellen Wissensformen in der Unterrichtsbeobachtung im Fach Psychologie, in welcher unter anderem «Zivilcourage», «Heldentum» und «Psychologie des Guten und des Bösen» Thema waren (AB4). Während im Plenum persönliche Erfahrungen und die eigene Betroffenheit bezüglich des Themas sowie potenzielle Bedingungen von Zivilcourage und Heldentum diskutiert wurden, hielt die Lehrperson für alle sichtbar im Format eines Wandtafeleintrags folgende Liste fest:

Der Wandtafeleintrag (Abb. 7.3) formatiert sowohl industrielle Logiken der Problemlösung und Anwendungsorientierung (eine Notsituation einordnen und adäquat handeln) und damit die industrielle Wissensform des savoir-faire, gleichzeitig auch das häusliche Bildungsziel der Handlungsbefähigung und Unterstützung zur Lebensbewältigung (eine potenziell gefährliche Situation bewältigen).

Abb. 7.3
figure 3

(Quelle: eigene Darstellung auf Basis der Unterrichtsbeobachtung im Fall A)

Wandtafeleintrag Zivilcourage Psychologieunterricht FMS Pädagogik A.

Materiell formatiert ist dies im Psychologie-Lehrplan des dritten FMS-Schuljahrs, der einen eigenen Themenbereich «Lebensbewältigung» aufweist (AD10, S. 12). Die Bildungsinhalte des Fachs Psychologie weisen zudem einen ausgeprägten Fokus auf soziale Dynamiken im Allgemeinen (Gruppendynamiken, Sozialpsychologie, Gruppenmusizieren) und auf den Lehrberuf im Besonderen (Themenbereiche «Lehrerverhalten/Schülerverhalten»; «Spielregeln der Klasse» im Lehrplan (AD10), Auftrittskompetenz) auf, wodurch wiederum häusliche Wertigkeiten der Erziehung, Sozialisation und Berufspraxis valorisiert werden.

Damit erweisen sich im Fall A insbesondere die häusliche Wissensform des savoir-être (Persönlichkeitsbildung, soziale und moralische Werte) und des industriellen savoir-faire (Konfliktlösungsstrategien, Anleitung zur Bewältigung von (Not-)situationen) als bedeutsam. Sie werden sowohl durch den Lehrplan materiell formatiert als auch durch die Lehrpersonen und ihre Auswahl der zu unterrichtenden Bildungsinhalte handlungspraktisch valorisiert.

Der inhaltliche Fokus auf Handlungsbefähigung und Lebensbewältigung als Ausdruck von Wertigkeiten der häuslichen (moralische und soziale Entwicklung) und industriellen (Bewältigungsstrategien, Handlungsanleitung) Konvention lässt sich auch im Fall B rekonstruieren. Dies kommt in Lehrplaninhalten des Fachs Psychologie/Pädagogik wie «Identität» oder «Lebenssinn» zum Ausdruck. In diesem Zusammenhang wird der Psychologieunterricht als wichtiges «Versuchs- Übungs- und Bewährungsfeld» (BD9) valorisiert.

Allerdings lässt sich im Lehrplan des Falls B kein expliziter Bezug zum Primarlehrberuf wie im Fall A nachweisen. Die Bildungsinhalte sind in erheblich höherem Ausmaß in der staatsbürgerlichen Wissensform des savoir formatiert. Ausdruck davon sind beispielsweise die Einführung ins Thema Geschlecht im Psychologieunterricht entlang eines Lehrvortrags über die mittelalterliche 4-Säfte-Lehre und der zugehörigen historischen Geschlechtervorstellungen (BB3) ebenso wie die im Lehrplan aufgeführten tiefenpsychologischen Theorien von Freud und Jung. Sie lassen sich als abstrakt-theoretisches Wissen charakterisieren, das auf die staatsbürgerliche Wissensform des savoir («la monde des idées» und der «concepts»Footnote 16 (Derouet 1992, S. 88)) verweist.

Die ausgeprägteste Valorisierung der staatsbürgerlichen Wissensform lässt sich im Fall C rekonstruieren. Während der eigenen Lebensbewältigung der Schüler*innen als Ausdruck häuslicher und industrieller Wissensformen kaum Wertigkeit zuzukommen scheint, steht der jeweilige Wissenskanon der profilspezifischen Fächer mit seinen Grundlagentheorien und Modellen im Zentrum: Ökosystem, Humanismus, Philosophiegeschichte, Erkenntnistheorie, psychologische Theorien. Sowohl für den Fall C als auch etwas weniger ausgeprägt für den Fall B zeigt sich also eine hohe Wertigkeit der staatsbürgerlichen Wissensform des savoir.

Im Vergleich zum gymnasialen Lehrplan erweisen sie sich aber mit dem Fokus auf «Auszüge», «Elemente» oder «Aspekte» der jeweiligen Themenbereiche (CD13; BD9, S. 80 f.) in Umfang und Tiefe dennoch als beschränkt. In der Folge können die FMS-Lehrplaninhalte insbesondere in den Fällen B und C im Vergleich mit dem gymnasialen Lehrplan als ‘reduziert gymnasial’ respektive als staatsbürgerlich mit geringerer Größe charakterisiert werden.

Für die Bildungsinhalte in den pädagogischen FMS-Profilen lässt sich zusammenfassend festhalten, dass im Fall A am ausgeprägtesten häusliche Wertigkeiten und Wissensformen (Bezug zur Lebenswelt, soziale und moralische Entwicklung, Gruppendynamiken, Berufsbezug), im Fall B sowohl häusliche als auch staatsbürgerliche (Theorien, Modelle, Wissenskanon), und im Fall C vorwiegend staatsbürgerliche Wertigkeiten und die Wissensform des savoir als bedeutsam rekonstruiert werden können.

Auffallend ist zudem die unterschiedliche Formatierung der Bildungsinhalte im Lehrplan. Im Fall A existieren für die profilspezifischen Fächer Contrari (Musik, Gestalten, Kunstgeschichte) sowie Gesellschaftskunde und Psychologie jeweils eigene Lehrpläne für die beiden angebotenen FMS-Profile Pädagogik/Soziales und Gesundheit. Die beiden Lehrpläne erweisen sich als inhaltlich weitgehend deckungsgleich. Spezifisch und exklusiv im Lehrplan des Profils Pädagogik ausgewiesen sind allerdings im Fach Musik der Bereich «musisch-szenische Auftrittskompetenz» und in diesem Bereich ein ausgeprägter Fokus auf Körperlichkeit und Emotionen (AD9). Ebenso enthält der Lehrplan im Fach Psychologie für das pädagogische Profil zusätzlich den Bereich «Pädagogik» mit den oben erwähnten Themenbereichen «Lehrerverhalten/Schülerverhalten» oder «Spielregeln der Klasse» (AD9).

Diese Lehrplanunterschiede können als Forminvestition auf Basis häuslicher Wertigkeiten interpretiert werden und betonen erneut die ausgeprägte Berufsvorbereitungslogik im Fall A: Im Fokus steht nicht nur die (Aus-)bildung der ganzen Person inklusive ihres Körpers (Auftrittskompetenz, Körperlichkeit, Emotionen). Die häusliche Ausrichtung wird durch ihre Formatierung im Lehrplan als spezifisch für das Profil Pädagogik zu unterrichtender Bereich sowie auch von den Lehrpersonen mit Blick auf die zukünftige Tätigkeit als Primarlehrperson valorisiert.

Im Kontrast dazu differenziert der Lehrplan im Fall B weder nach FMS-Profil (Pädagogik, Gesundheit, Soziale Arbeit) noch zwischen Grundlagenfach (für alle Fachmittelschüler*innen) und profilspezifischem Fach. Dies könnte als logische Folge dessen interpretiert werden, dass mit der weniger eindeutigen Ausrichtung auf die PH als einzige Abnehmerinstitution und der Vorrangstellung des staatsbürgerlichen savoir eine zweckfunktionale Berufsvorbereitungslogik abgelehnt wird und eine spezifische Lehrplanausrichtung nach gewähltem FMS-Profil deshalb kaum Wertigkeit erhält.

Interessanterweise sind aber im französischsprachigen Fall C – wo bisher am ausgeprägtesten eine Valorisierung von staatsbürgerlichen Wertigkeiten rekonstruiert werden konnte – für jedes profilspezifische Fach explizit und differenziert Inhalte für das pädagogische FMS-Profil ausgewiesen. Dies kann als weiterer Hinweis darauf interpretiert werden, dass die Akteur*innen (welche den Lehrplan geschaffen haben) eine breite, beruflich unspezialisierte Allgemeinbildung als «das Pädagogische» konstruieren (siehe Abschn. 7.2.1.2). Damit liegt die Interpretation nahe, dass die allgemeinbildend-staatsbürgerliche Ausrichtung des Lehrplans und des pädagogischen Profils im Fall C nicht Ausdruck einer ‘unterlassenen Profilierung’ sind, sondern dass bei der Ausarbeitung des Lehrplans aktiv und intentional allgemeinbildende Inhalte als profilspezifisch definiert wurden.

Trotz der skizzierten Unterschiede zeigt sich, dass die Lehrpersonen aller drei untersuchten Fälle die vermittelten Bildungsinhalte auf der Basis des industriellen Wertigkeitsmaßstabs hinsichtlich ihrer Funktionalität im Hinblick auf den (Primar-)lehrberuf beurteilen. Sie machen sich bei der Auswahl der Bildungsinhalte Gedanken zu deren Nützlichkeit für die zukünftige Tätigkeit der Schüler*innen. Am ausgeprägtesten ist dies im Fall A zu beobachten: «[…] die meisten werden Lehrerinnen und Lehrer, und da frage ich mich: Was müssen die wissen, damit sie eigentlich gute Lehrerinnen und Lehrer sind» (Lehrperson Gesellschaftskunde, AI8). Aber auch manche Fachmittelschüler*innen stützen sich das industrielle Bewertungskriterium der Nützlichkeit und Funktionalität:

Also ich habe das Gefühl eben, so Psychologie und auch Philosophie hilft dir so mega viel so in deinem späteren Leben, so. Aber solche Fächer wie Chemie oder Physik oder auch Wirtschaft und Recht ist so ein wenig/ [...] für was brauchen WIR das schlussendlich SO differenziert in unserem Lehrerberuf. (Schüler*innen, AI10, Herv. S.H.)

Die Interviews zeigen, dass die Fachmittelschüler*innen die vermittelten Bildungsinhalte im Fall A ausgeprägt, im Fall C moderat, und im Fall B kaum am Kriterium der Nützlichkeit für den Lehrberuf messen. Auf Basis der Analysen kann die Hypothese formuliert werden, dass je eher sich die Schüler*innen bereits für den Primarlehrberuf entschieden haben und sich damit identifizieren («in unserem Lehrberuf» (AI10)), desto ausgeprägter Bildungsinhalte bezüglich der Nützlichkeit für diesen Beruf bewertet werden. Dies kann erklären, warum im Fall A, wo die Vorbereitung auf den Lehrberuf und eine diesbezügliche Berufssozialisation als explizites Bildungsziel formuliert wird, dieses in allen untersuchten Dimensionen zum Ausdruck kommt und die Schüler*innen ihre Adressierung als «Pädagog*innen» auch für sich selbst übernehmen (siehe Abschn. 7.5.1.3), die Bewertung der Inhalte auf dem Maßstab der Nützlichkeit am ausgeprägtesten ausfällt.

Für diese Hypothese spricht auch, dass sich im Fall C lässt die Bewertung der Bildungsinhalte am Maßstab der Nützlichkeit für den Primarlehrberuf insbesondere bei Schüler*innen nachweisen lässt, die ihr Berufsfeldpraktikum bereits absolviert haben. Das Praktikum bestärkt die Schüler*innen laut eigener Aussage in ihrer Berufswahl und führt zum Gefühl des «savoir pourquoi on est là»Footnote 17 (CI4). Mit dieser Gewissheit beginnen die Schüler*innen, die Bildungsinhalte ausgeprägter unter dem Aspekt der Nützlichkeit für den Lehrberuf zu beurteilen:

[...] ça change beaucoup, je n'ai pas eu besoin de tout ce que j'ai fait là au gymnase. […] je trouve justement qu'on devrait plus nous apprendre ce dont on aura besoin au travail, donc les aider à apprendre, les méthodes de travail, enfin l'organisation, tout ça. Je crois que c'est plutôt ça, enfin plus la pédagogie justement, psychologie, comment aborder l'élève pour l'aider, comment voir s'il ne va pas bien, tous des petits trucs comme ça, en fait.Footnote 18 (Schüler*innen FMS, CI5, Herv. S.H.)

Parce que c'est vrai qu'il y a des branches […] des matières, des thèmes qu'on fait […] c'est trop complexe, donc on ne va pas vraiment en avoir besoin, alors qu'il y a des choses qui sont peut-être un peu plus simples, mais qui seront plus utiles quand on sera enseignant que ce qu'on fait maintenant. […] par exemple, ce qu'on ne fait pas, c'est par exemple les planètes. Moi, je sais que quand j'ai fait le stage, ils avaient fait les planètes et c'est vrai que j'étais un peu perdue parce que ça, je n'ai jamais fait.Footnote 19 (Schüler*innen FMS, CI5, Herv. S.H.)

Wie im nachfolgenden Kapitel gezeigt wird, berichten die Fachmittelschüler*innen in allen drei untersuchten Fällen davon, dass das Berufsfeldpraktikum ihre Gewissheit über die Berufswahl Lehrberuf gestärkt habe. Insofern kann für den Fall C die Hypothese formuliert werden, dass trotz der allgemeinbildenden Ausrichtung des (sozial-)pädagogischen Profils durch das Berufsfeldpraktikum bei gewissen Schüler*innen eine Identifikation mit dem Primarlehrberuf gestärkt wird und sie im Anschluss an das Praktikum die Bildungsinhalte verstärkt am Maßstab der Nützlichkeit für diesen zukünftigen Beruf messen.

Interessanterweise ließ sich im Fall B bei den Schüler*innen eine Beurteilung von Bildungsinhalten am Maßstab der Nützlichkeit im Rahmen der Interviews nicht nachweisen. Im Anschluss an die oben formulierten Überlegungen kann hier vermutet werden, dass dies auf eine weniger starke Identifikation mit dem Primarlehrberuf verweist, was wiederum als Folge davon interpretiert werden kann, dass das Profil Pädagogik/Kunst sich im Fall B wie in den bisherigen Analysen gezeigt als kaum ‘pädagogisch’ profiliert (kein Verweis auf den Lehrberuf im Lehrplan, PH als eine Abnehmerinstitution unter mehreren etc.) bzw. formatiert erweist.

7.3.2 Formate der Bildung an der FMS: das Berufsfeldpraktikum und die Fachmaturität Pädagogik

Sowohl das obligatorische Berufsfeldpraktikum als auch die Fachmaturität Pädagogik (zu deren Institutionalisierungsprozess siehe Kap. 5) stellen neben den profilspezifischen Fächern spezielle Formate der Bildung an der FMS dar, welche sich mit Blick auf die Bedeutung dieses Schultyps für die Ausbildung von Primarlehrpersonen als relevant erweisen.

7.3.2.1 Das Berufsfeldpraktikum: «hands on»

Die FMS als Schultyp profiliert sich gegenüber der gymnasialen Ausbildung unter anderem durch Orientierungs- respektive Berufsfeldpraktika im gewählten beruflichen Bereich.

An der FMS A findet im Rahmen des ersten Schuljahres ein dreiwöchiges Praktikum statt. Es dient dazu, sich im Anschluss an das erste, allgemeinbildende «Orientierungsjahr» (Schulleitung, AI4) definitiv für eines der angebotenen Profile zu entscheiden und «zu sondieren, wo es sie [die Schüler*innen, S.H.] am ehesten hinzieht» (Schulleitung, AI4). Schwanken die Schüler*innen zwischen zwei Profilen, soll das Praktikum die Entscheidung für eines unterstützen. Falls die Entscheidung für ein Profil – im vorliegenden Fall das Profil Pädagogik – bereits feststeht, soll das Praktikum bereits die Entscheidung für die zukünftig angestrebte Zielstufe (Vorschule, Primarstufe, Sekundarstufe I) bzw. für den entsprechenden PH-Studiengang unterstützen. Begleitet und reflektiert wird das Praktikum im Fall A von einer gemeinsamen Gruppendiskussionsstunde im Klassenverband.

An der FMS B absolvieren die Schüler*innen ihr dreiwöchiges Praktikum erst im letzten Semester vor Beginn des dritten FMS-Schuljahrs. Dieser Zeitpunkt wird damit begründet, dass so gegebenenfalls noch Zeit bleibe, sich bezüglich der Fachmaturität im Anschluss an den Fachmittelschulausweis umzuentscheiden: «Dann haben sie noch ein Jahr Zeit, bis sie sich für die richtige Fachmaturität entscheiden» (Schulleitung FMS, BI2). Der Verweis auf die «richtige Fachmaturität» deutet darauf hin, dass die eigentliche Entscheidung über die berufliche bzw. hochschulische Ausrichtung der Fachmittelschüler*innen nicht unbedingt mit dem gewählten FMS-Profil, sondern erst mit der Wahl der Fachmaturität fällt. Dies würde die bisher rekonstruierten Erkenntnisse zum Profil Pädagogik/Kunst im Fall B erklären, die zeigen, dass ein – zumindest expliziter – Bezug zur Tätigkeit der Primarlehrperson weitgehend fehlt.

Im Fall C soll das mindestens zweiwöchige Berufsfeldpraktikum die Profilwahl validieren und ersten Kontakt mit der Berufswelt herstellen (CD13, S. 11 f.).

Die befragten Schüler*innen des Falls A haben ihre Praktika jeweils zweigeteilt (etwa zwei Wochen in einer ersten/zweiten, eine Woche in einer fünften/sechsten Primarschulklasse), wobei mit einer AusnahmeFootnote 20 alle Praktika auf Primarstufe absolviert wurden. Unter den befragten Fachmittelschüler*innen des Falls B gab es auch solche, welche ihr Praktikum in einem Kindergarten absolviert haben. Im Fall C wurden die Praktika entweder auf Primar- oder sowohl auf Primar- als auch Sekundarstufe I absolviert.

Die Interviewdaten zeigen, dass die Fachmittelschüler*innen in den Praktika durchwegs praktische «hands-on» Erfahrungen gemacht haben:

Also, ich habe sie zum Beispiel/sie hatten als Hausaufgabe eine Geschichte zu lesen und dann habe ich sie abgefragt, was ist in dieser Geschichte passiert? […] Oder, dann habe ich in einer/ also sie [die Lehrperson, S.H.] hat mir von Anfang an gesagt: «schau, wenn ein Kind eine Frage hat, geh und mach». (Schüler*innen, AI10)

[...] also ich konnte mehrere Stunden leiten. Auch Englisch und Französisch, und Mathe und so. […] Französisch konnte ich dann auch sogar Noten machen, so eine mündlich-Note. Da mussten sie mir etwas vorlesen. (Schüler*innen, AI9)

Und ich konnte auch Aufsätze, also so einen Aufsatz sagen, auch einmal eine Lektion vorbereiten und dann selber machen. Sachen korrigieren, und da war ich halt eigentlich auch wie eine zweite Lehrperson dort. (Schüler*innen, AI9)

Über alle drei Fälle hinweg berichten die Fachmittelschüler*innen im Weiteren von Erfahrungen wie dem Konzipieren und Überprüfen von Hausaufgaben, dem Beantworten von Fragen der Schüler*innen, dem Begleiten von Schulausflügen, dem Einüben von Liedern für Veranstaltungen oder gar dem Korrigieren von Prüfungen (AI9, AI10, BI5, CI4, CI5). Das Praktikum kann folglich als Bildungsformat der häuslichen Konvention gedeutet werden. Die Schüler*innen sammeln konkrete Praxiserfahrung im Berufsfeld als learning by doing im Sinne einer handlungspraktischen Aneignung körpergebundenen Erfahrungswissens (Leemann und Imdorf 2019a) im anvisierten Berufsfeld der Primarlehrperson. Diese praktischen Erfahrungen im (zukünftigen) Berufsfeld valorisieren die Fachmittelschüler*innen durchwegs als «mega cool», «mega schön», «mega Spass» bereitend (AI9, AI10) und «mega die gute Erfahrung» (BI5).

Das Berufsfeldpraktikum soll die Entscheidung für eines der FMS-Profile stützen, eine bereits gefallene Wahl bestärken oder diese gegebenenfalls bezüglich der angestrebten Zielstufe (Kindergarten, Primar- oder Sekundarstufe I) spezifizieren. Diesbezüglich berichten alle interviewten Fachmittelschüler*innen von ausgeprägten Erfahrungen der Bestärkung bezüglich der Wahl ihres zukünftigen Berufs als Primarlehrperson: «Moi, le stage, ça m'a vraiment montré aussi que c'était ce que je voulais faire»Footnote 21 (CI5). Eine Schülerin des Falls A erzählt, «dass es mich bestätigt hat, dass ich Lehrerin werden will. Also so, ich habe dort so richtig gemerkt, das will ich später MACHEN» (AI10). Mehrere Schüler*innen berichten davon, dass sie sich «bestätigt» fühlen, und sehen das Praktikum als «Motivation» bezüglich ihrer Entscheidung für den (Primar-)lehrberuf: «Durch das Praktikum bin ich mir eigentlich NOCH sicherer geworden und freue mich eigentlich mehr, den Beruf dann mal machen zu dürfen» (AI9). Eine Schülerin des Falls B berichtet sogar vom Erlebnis, einen Tag lang tatsächlich die einzige Lehrperson der ihr zugeteilten Klasse gewesen zu sein:

Und einen Tag bin ich sogar ganz allein gewesen, weil sie [die Lehrperson, S.H.] nicht dagewesen ist, spontan. [...] ich bin recht in das kalte Wasser geworfen worden, aber (..) es hat mir eigentlich gezeigt, dass es der richtige Weg ist, an diesem Tag. Weil es mir mega gefallen hat, und ich viel gelernt habe, mit den Kindern zusammen eigentlich. Und ich bin auch mit den Kindern zusammengewachsen irgendwie. (Schüler*innen, BI5, Herv. S.H.)

Einige der befragten Schüler*innen berichten außerdem, dass durch das Praktikum eine Klärung der angestrebten Zielstufe stattfand: «ich war eben auch in der Sek schauen, und da habe ich wie irgendwie gemerkt, Primar gefällt mir doch mehr. Und da weiß ich jetzt, dass ich diesen Weg einschlagen will» (Schüler*innen, AI9). «Et moi, j'hésitais entre les deux, et vraiment, ça m'a permis de savoir que je voulais vraiment faire avec des primaires et pas des secondaires»Footnote 22 (Schüler*innen, CI5).

Also ich wollte immer junge, erste, zweite, dritte [Klasse, S.H.] unterrichten. Und durch mein Praktikum habe ich halt/interessiere ich mich jetzt viel mehr für die Älteren. […] Und jetzt könnte ich mir sogar auch vorstellen, vielleicht dann später mal in der Oberstufe so, noch ältere. (Schüler*innen, AI9, Herv. S.H.)

Die Formulierung «ich wollte immer» verweist hier auf die bereits seit längerem vorhandenen pädagogischen Interessen, welche Gegenstand des Abschn. 7.5.1.3 sind. Mit dem Aspekt der (Berufs-)motivation, dem Gefühl der Berufung und einer inneren Gewissheit bezüglich dem angestrebten Beruf der (Primar-)lehrperson erhalten hier Wertigkeiten der inspirierten Konvention (Leemann und Imdorf 2019a, S. 10) an Bedeutung, welche durch das häusliche («hands-on», learning by doing, körperliche Praxis) Bildungsformat des Berufspraktikums gefördert und gestützt werden.

Während sich die im Rahmen der vorliegenden Studie befragten Schüler*innen durch das Praktikum in ihrer Berufswahl und -motivation bestärkt fühlen, berichten die Lehrpersonen der FMS C auch von Fällen, in denen die Praktikumserfahrung nicht die Berufung («Vocation») bestärkt, sondern dazu geführt habe, dass der Berufswunsch Lehrperson aufgegeben werde:

C'est intéressant de voir justement les élèves pour lesquels le stage confirme l'option ou le choix, la vocation, et puis ceux qui au contraire en sortent certains de ne pas vouloir enseignerFootnote 23 (Lehrpersonen Philosophie/Psychologie, CI3).

Im Kontrast zum Fall A, wo der Berufswunsch Lehrperson und die Sozialisation als zukünftige Primarlehrperson von Beginn der FMS-Ausbildung an gefördert und valorisiert wird, ist im Fall C auch eine Ablehnung dieser Berufswahl eine mit Wertigkeit versehene Option oder Erkenntnis:

Il y a vraiment ceux qui reviennent en disant: «Ah mais c'est vraiment un super métier, je me réjouis, vraiment beaucoup d'enseigner.» Et puis les autres qui disent: «Ah ben voilà, moi j'ai bien compris que ce n'était pas ça que je voulais faire.» Et puis de leur permettre d'expliquer pourquoi, ils le font très bien et chacun donne d'excellents arguments pour être enseignants et pour ne pas l'être.Footnote 24 (Lehrpersonen Philosophie/Psychologie, CI3, Herv. S.H.)

Während das (sozial-)pädagogische Profil im Fall C mit seiner breiten, allgemeinbildenden Fächerpalette durch deren Konstruktion als «das Pädagogische» durchaus eine Bildungsoption für Schüler*innen mit dem Berufswunsch Lehrperson darstellt, ist es durch die Integration staatsbürgerlicher Wertigkeiten der zweckfreien Allgemeinbildung und seine allgemeinbildende Ausrichtung auch für diejenigen Schüler*innen eine Ausbildungsoption, welche sich über ihre Berufswahl noch im Unklaren sind, sich möglichst viele berufliche Möglichkeiten offenhalten und sich allgemein bilden möchten (siehe auch Abschn. 7.5.1).

Vor dieser Ausgangslage lässt sich erklären, dass eine Erfahrung der Nicht-Passung zum Lehrberuf im Rahmen des Berufsfeldpraktikums sowie das anschließende Verwerfen dieser Berufsoption nicht als Problem wahrgenommen wird:

Il y a plusieurs élèves qui désormais savent qu'ils ne veulent pas enseigner, mais ils vont rester en voie SP [(sozial-)pädagogisches Profil, S.H.], ils ne vont pas quitter cette voie, sachant que justement, cette voie leur permettra d'obtenir ce diplôme qui leur ouvrira des portes tout à fait intéressantes.Footnote 25 (Lehrpersonen Philosophie/Psychologie, CI3, S.H.)

So wird das (sozial-)pädagogische Profil aufgrund seiner fachlichen Breite im Anschluss an eine Praktikums-Erfahrung der Nicht-Passung zum Lehrberuf für die entsprechenden Schüler*innen gewissermaßen von einem funktional-berufsvorbereitenden zu einem zweckfrei-allgemeinbildenden Bildungsgang der Sekundarstufe II.

7.3.2.2 Die Fachmaturität Pädagogik

Die Fachmaturität Pädagogik kann im Anschluss an den Fachmittelschulausweis in einem pädagogischen Profil absolviert werden und besteht aus einem Kurs in allgemeinbildenden Fächern und dem Verfassen einer Fachmaturitätsarbeit (EDK 2018). Sie wurde 2007 eingeführt (siehe Kap. 5) und beruht auf gesamtschweizerisch gültigen, detaillierten Richtlinien (ebd.). Die EDK-Richtlinien legen als «Minimalanforderungen» (ebd., S. 17) Folgendes fest (Tab. 7.2):

Tab. 7.2 Übersicht Fachmaturität Pädagogik

Diese Richtlinien stellen Mindeststandards dar (ebd.). Den einzelnen Kantonen steht jedoch frei, diese Richtlinien zu erweitern. Die nachfolgenden Darstellungen zur Fachmaturität Pädagogik beruhen auf einer Analyse der kantonalen Rahmenlehrpläne.

Im Fall A entspricht die pädagogische Fachmaturität beinahe exakt den von der EDK ausgearbeiteten, gesamtschweizerisch gültigen Richtlinien für die Fachmaturität Pädagogik. Dies bedeutet, dass es sich um einen einsemestrigen, allgemeinbildenden Vollzeitlehrgang in den Fächern Erstsprache (in diesem Fall Deutsch), zweite Landessprache oder Englisch, Mathematik, Biologie, Chemie, Physik, Geschichte und Geografie handelt (AD19). Die Fachmaturitätsarbeit kann zu einem frei gewählten Thema verfasst werden, das Abschlussexamen bezieht sich auf die in den Richtlinien genannten Fächer (AD19; EDK 2018).

Die einzige kantonale Abweichung im Fall A zu den EDK-Richtlinien besteht darin, dass während dem einsemestrigen Vollzeitlehrgang zusätzlich das Fach Sport unterrichtet – jedoch nicht im Rahmen des Abschlussexamens geprüft wird. Sport ist in der FMS A zwar ein Grundlagenfach, nicht aber ein profilspezifisches Fach für das Profil Pädagogik. Dessen Integration in die Fachmaturität Pädagogik könnte ggf. ein Hinweis darauf sein, dass die entsprechenden, für die Ausgestaltung der Fachmaturität Pädagogik verantwortlichen Akteur*innen im Kanton A Sport möglicherweise als zusätzlichen Teil «des Pädagogischen» interpretierten (siehe Abschn. 7.2.1.2).

Im Fall B erlaubt das Berufsfeldpraktikum gemäß Schulleitung, sich noch für die «richtige Fachmaturität» zu entscheiden (BI2) (siehe Abschn. 7.3.2.1). Dies bestätigt die bisherigen Feststellungen, wonach das FMS-Profil Pädagogik/Kunst im Fall B noch nicht ausgeprägt auf ein bestimmtes Berufsfeld ausgerichtet ist. Die Aussage ist zudem ein Hinweis darauf, dass eine entsprechende Berufs- bzw. Studienwahl im Fall B erst mit der Wahl der Fachmaturität fällt.

Tatsächlich weist die Fachmaturität Pädagogik im Fall B im gesamtschweizerischen Vergleich interessante Spezifika auf. Während der EDK-Rahmenlehrplan zur Fachmaturität Pädagogik (EDK 2018) die bisher als «das Pädagogische» herausgearbeiteten Fächer Musik und Bildnerisches Gestalten ebenso wie Sport nicht als Teil des Fächerspektrums vorsieht, wurden diese drei Fächer im Fall B in den kantonalen Lehrplan der Fachmaturität Pädagogik übernommen.Footnote 26 Dabei können die Schüler*innen zwischen Musik und Bildnerischem Gestalten wählen.

Obwohl diese zusätzlichen Fächer nicht promotionsrelevant sind, wird das Musisch-gestalterische, was auch für den Fall B als «das Pädagogische» rekonstruiert wurde, durch die Integration der Fächer Musik und Bildnerisches Gestalten in die Fachmaturität Pädagogik valorisiert und als für zukünftige Primarlehrpersonen relevant formatiert. Im Fach Musik sollen die bisherigen theoretischen und praktischen Kenntnisse im Fach Musik «mit Schwerpunkt auf den praktischen Elementen» fortgeführt und «praxisbezogen» angewendet werden (BD9, S. 56). So sollen beispielsweise rhythmische Abläufe oder Melodien eigenständig entziffert und umgesetzt werden, etwa als «Bodypercussion», mit Perkussionsinstrumenten, der eigenen Stimme oder dem Instrument (ebd.). Die Schüler*innen sollen in der Lage sein, «eigene Pattern und Improvisationsformen», Choreografien oder Liedbegleitungen zu entwerfen (ebd.).

Mit den erworbenen Fähigkeiten sollen rhythmische Abläufe «einer Gruppe vermittelt» oder «Lieder begleitet» werden (ebd., S. 57). Durch Arbeit «bezüglich Haltung und Auftreten vor einer Gruppe» sollen die Schüler*innen in der Lage sein «einfache Lieder (Circle Songs, Kanons etc.) in einer Gruppe anzuleiten». Ergänzt wird dies durch den didaktischen Hinweis: «Orientierung an Praxis» (ebd.).

Diese Lehrplaninhalte verweisen mit dem Fokus auf Musizieren in und Anleiten von Gruppen, dem Entwerfen von Choreografien oder Liedbegleitungen und der expliziten Orientierung an der «Praxis» in einem hohen Masse auf eine zukünftige Tätigkeit als Primarlehrperson und valorisieren Wertigkeiten der häuslichen Konvention wie Berufspraxis, Handwerk, gemeinschaftliches Musizieren sowie pädagogische Anleitung und Erziehung.

Im Fachbereich Sport erweist sich die Ausrichtung auf die spätere Berufstätigkeit als Primarlehrperson als besonders ausgeprägt. Im Sportunterricht der Fachmaturität Pädagogik im Fall B soll die «Auseinandersetzung mit dem Fach Sport in der Schule» angeregt, der Fokus «auf den Sportunterricht an der Primarstufe» gelegt, und «Kenntnisse über das Bewegungslernen» erweitert werden (ebd.). Auch die Themenbereiche «Bewegen/Darstellen/Tanzen, Balancieren/Klettern/Drehen», «Laufen/Springen/Werfen», «Sport im Freien» sowie «Spielen» verweisen auf Sportunterricht auf Primarstufe.

Im Verlauf des Lehrplans werden diese Verweise immer expliziter. Die Schüler*innen sollen sich Formen bzw. Inhalte aneignen, welche typischerweise der Primarstufe entsprechen. Dabei liegt ein Schwergewicht auf spielerischen Formen: «Hand-Tuch-Spiele», «Tast- und Erkennungsspiele», Klettergarten, spielerisches Schaukeln wie «Achtung Krokodile», oder «wie eine Fledermaus», Zirkusakrobatik, Fangspiele, «Wie laufen Tiere?», Ziele treffen, Völkerballspiele, «im Wald verstecken», schwimmen, gleiten auf Schnee oder Eis u. v. m. (ebd., S. 65) verweisen hochexplizit auf eine Tätigkeit als Primarlehrperson und weniger auf Sport- und Bewegungsförderung für junge Erwachsene.

Trotz des schwach ausgeprägten Berufsfeldbezugs während den drei Jahren bis zum Fachmittelschulausweis im Profil Pädagogik/Kunst erweist sich der Lehrplan für die Fachmaturität Pädagogik im Fall B für die Fächer Musik und Sport als der am stärksten auf den Primarlehrberuf ausgerichtete Fachmaturitätslehrplan, welcher im Rahmen der vorliegenden Studie analysiert wurde. Mit dem Fokus auf das spielerische und körperlich involvierte Erziehen und Unterrichten von Kindern und die expliziten Verweise auf die Berufspraxis der Primarlehrperson werden hier durch den Fachmaturitätslehrplan in hohem Masse Wertigkeiten der häuslichen Konvention formatiert und gestützt. Ergänzt werden sie in Form des lehrberufsspezifischen savoir-faire als Kenntnis und Anwendungskompetenz im Hinblick auf den Sportunterricht auf Primarstufe. Inwiefern sich diese Wertigkeiten auch handlungspraktisch im entsprechenden Unterricht zeigen, entzieht sich der Datengrundlage der vorliegenden Studie würde weiterer Forschung bedürfen.

An der Schule C wird die Fachmaturität Pädagogik aus Kapazitätsgründen nicht angeboten (CI1).Footnote 27 Obwohl im Fall C die breite Allgemeinbildung des (sozial-)pädagogischen Profils durchaus als «das Pädagogische» konstruiert wird, erfolgt eine spezifische Vorbereitung auf den Eintritt in eine Pädagogische Hochschule ähnlich wie im Fall B insbesondere durch den Fachmaturitätslehrgang: «on mise beaucoup sur cette dernière année, enfin sur cette quatrième année […] je pense qu'il faut cibler des contenus, alors qui auront du sens par rapport à leur future entrée en HEP»Footnote 28 (Schulleitung, CI1).

Während das (sozial-)pädagogische Profil weitgehend allgemeinbildend gestaltet ist und die Lehrpersonen nur punktuell explizite Bezüge zum (Primar-)lehrberuf herstellen, ist die Fachmaturität Pädagogik deutlich auf eine Ausbildung zur Primarlehrperson an einer PH ausgerichtet: «Elle donne accès à la procédure d’admission à la haute école pédagogique du canton […], en vue de la formation menant à l’enseignement aux degrés préscolaire et primaire»Footnote 29 (CD17, S. 4). Sie soll die Schüler*innen mit Fähigkeiten ausstatten, die für den Eintritt in eine PH als nötig erachtet werden (ebd., S. 7).

Die Fachmaturität Pädagogik dauert im Fall C 32 Wochen mit jeweils rund 30 Wochenlektionen (ebd., S. 8). Damit dauert der Fachmaturitätskurs im Fall C deutlich länger als die in den EDK-Richtlinien vorgesehene Mindestdauer von einem Semester (EDK 2018). Dies kann als weiterer Hinweis auf die höhere Wertigkeit allgemeinbildender Ausbildungsgänge in der französischsprachigen Schweiz gedeutet werden – denn beim Fachmaturitätskurs handelt es sich um einen Lehrgang in allgemeinbildenden Fächern. Die Fachmaturität im Fall C richtet sich ähnlich wie im Fall A bezüglich Fächerkanon und Prüfungsmodalitäten weitgehend an den EDK-Richtlinien (ebd.) aus. Auffällig und mit Bezug zur forschungsleitenden Fragestellung relevant sind jedoch insbesondere zwei kantonale Spezifitäten, in denen die Fachmaturität Pädagogik nicht nur über die EDK-Richtlinien hinausgeht, sondern auch Anforderungen der Kantonalen PH integriert:

Erstens sind die Absolvierenden des Fachmaturitätslehrgangs im Fall C verpflichtet, einen Sprachaufenthalt im englischen oder (hoch-)deutschen Sprachraum von mindestens sechs Wochen – wovon 4 konsekutiv – Dauer vorzuweisen, um überhaupt zur Fachmaturität Pädagogik zugelassen zu werden (CD17, S. 6). Ein solcher Sprachaufenthalt ist eine Zulassungsbedingung zum Studiengang Primarstufe der kantonalen PH und wird aus diesem Grund direkt in die Zulassungsbedingungen für die Fachmaturität Pädagogik integriert (ebd., S. 6). Dies stellt nicht nur eine bedeutende Forminvestition auf Basis der industriellen Konvention (funktionale Hochschulvorbereitung, Funktionalität, langfristige Planung) dar, sondern macht die Fachmaturität Pädagogik auch zu einer Art Vorstufe des PH-Zulassungsverfahrens.

Zweitens wird das Fach «Ethik und religiöse Kulturen» «en cohérence avec les exigences ultérieures de la HEP du canton»Footnote 30 (ebd., S. 7) als kantonales Fach ins Programm der Fachmaturität Pädagogik aufgenommen (ebd.). Das Fach «Ethik und Religiöse Kulturen» stellt im Kanton C ein Unterrichtsfach auf Primarstufe dar und wird deshalb an der PH im Studiengang Primarstufe unterrichtet (CD18).

Diese Spezifitäten des Falls C können als bedeutende Forminvestitionen auf Basis der industriellen Konvention (Funktionalität, Effizienz) bezeichnet werden, welche Anforderungen der PH-Ausbildung zur Primarlehrperson direkt in die Fachmaturität Pädagogik integrieren und diese somit in einem noch stärkeren Ausmaß als die EDK-Richtlinien zu einer der PH funktional vorgelagerten Vorbildung machen.

Im Kontrast zur beruflich unspezialisierten, breiten, allgemeinbildenden Ausrichtung des (sozial-)pädagogischen Profils in den drei Jahren bis zum Fachmittelschulausweis sind zudem in den konkreten Lehrplaninhalten der Fachmaturität Pädagogik explizite Verweise auf die zukünftige Tätigkeit der Absolvierenden als Primarlehrperson zu finden. Dies zum Beispiel in den Sprachfächern Deutsch und Englisch: «L’enseignement de l’allemand [gleiches gilt für Englisch, S.H.] […] vise à donner aux futurs enseignants les connaissances linguistiques et culturelles nécessaires à l’enseignement de l’allemand au degré primaire»Footnote 31 (ebd., S. 23). Ähnliche Aussagen folgen für die Fächer Mathematik sowie «Ethik und religiöse Kulturen» (ebd., S. 31, 45).

Insgesamt kann also für die Fachmaturität Pädagogik im Fall C festgehalten werden, dass sie ähnlich wie im Fall B im Kontrast zur allgemeinbildend und kaum explizit lehrberufsspezifischen Ausrichtung des (sozial-)pädagogischen Profils eine Zuspitzung auf PH- und lehrberufsspezifische Inhalte vornimmt. Insbesondere im Fall C integriert die Fachmaturität Pädagogik explizit Anforderungen und sogar Zulassungsbedingungen der PH in ihr Programm, und formatiert und stabilisiert somit eine funktional-industrielle Vorbereitungslogik im Hinblick auf die zukünftige Studien- und Berufswahl der Fachmittelschüler*innen.

7.3.3 Gymnasium: Disziplinärer Wissenskanon, Grundlagentechniken und Kreativität

In den drei untersuchten pädagogischen FMS-Profilen konnten im Hinblick auf die Bildungsinhalte im direkten Fallvergleich je unterschiedliche Wertigkeiten und Wissensformen als bedeutsam rekonstruiert werden. Bei den drei untersuchten musisch-pädagogischen Gymnasialprofilen erweisen sich die valorisierten Wertigkeiten und Wissensformen bezüglich Bildungsinhalten als fallübergreifend ähnlich.

7.3.3.1 Überblick über den disziplinären Wissenskanon: savoir

In den Bildungsinhalten der Schwerpunktfächer Musik, Bildnerisches Gestalten und Philosophie/(Pädagogik/)Psychologie (PPP) konnte insbesondere das staatsbürgerliche savoirFootnote 32 als bedeutsame, ausgeprägt valorisierte und im Lehrplan formatierte Wissensform rekonstruiert werden. Es umfasst einen extensiven Überblick über den disziplinären Wissenskanon der jeweiligen Schwerpunktfächer in Form grundlegender Modelle, Konzepte, Theorien, Denkschulen, Begrifflichkeiten oder auch Strömungen und Stilrichtungen der Musik und Kunst.

Im Schwerpunktfach Musik beispielsweise besteht der Lehrplan in allen drei Fällen in hohem Masse aus Elementen, die in der Gesamtschau ein breites und komplexes Orientierungswissen über alle denkbaren Strömungen, Gattungen und Stilrichtungen der Musik darstellen. Bildungsinhalte und Fachbereiche wie «Solmisation, Stimmphysiologie, Entwicklungsgeschichte und Bau der Instrumente», Pentatonik, Kirchentonarten, Formenlehre, Fugen- und Sonatenanalysen, Merkmale, Gattungen, Formen und Kompositionstechniken des 8.–21. Jahrhunderts und Weiteres (AD14) verweisen auf eine Valorisierung des disziplinären Wissenskanons als Wertigkeit der staatsbürgerlichen Konvention, und erinnern an Inhalte eines musikwissenschaftlichen Vorlesungsverzeichnisses.

Diese Bildungsinhalte können als komplexes, theoretisches, nicht auf einen bestimmten Zweck ausgerichtetes Wissen bezeichnet werden, welches sich in der staatsbürgerlichen Wissensform des savoir präsentiert. Die Bedeutung eines breiten Überblicks über den disziplinären Wissenskanon kommt in materialisierter Form nicht nur im Fachlehrplan, sondern auch im Format enzyklopädischer Überblickswerke über den entsprechenden Fachbereich zum Ausdruck (Abb. 7.4):

Abb. 7.4
figure 4

(Quelle: eigene Aufnahme)

Disziplinärer Wissenskanon formatiert in Enzyklopädie, Gymnasium A.

7.3.3.2 Grundlagentechniken für kreatives Schaffen

Neben dem disziplinenspezifischen savoir erweist sich im musisch-pädagogischen Gymnasialprofil auch die industrielle Wissensform des savoir-faire als bedeutsam. Es äußert sich etwa im Fach PPP im Lehrplaninhalt der je disziplinenspezifischen Methoden – zum Beispiel den Techniken des Philosophierens sowie wissenschaftlichen Methoden der Psychologie (sozialwissenschaftliche Methodik, Hermeneutik, Testverfahren, Experimente). In den Fächern Musik und Bildnerisches Gestalten zeigt sich das savoir-faire in den jeweiligen musikalischen oder gestalterischen Grundlagentechniken.

Dort stellt dieses savoir-faire allerdings lediglich die Grundlage dar, auf welcher die Schüler*innen anschließend künstlerisch-kreativ tätig werden, improvisieren, experimentieren oder Entwürfe kreieren sollen – womit in hohem Masse Wertigkeiten der inspirierten Konvention zum Tragen kommen. Entsprechend bemerkte eine Musiklehrperson im Fall A im Unterricht: «Das braucht ihr, das ist das Handwerkszeug, dann solltet ihr danach kreativ damit umgehen können» (AB2). Der Begriff «Handwerkszeug» verweist hier auf ein technisches savoir-faire als Wissensform der industriellen Konvention, welche als Grundlage für kreative Prozesse (inspirierte Konvention) valorisiert wird.

7.3.3.3 Exkurs zum Schwerpunktfach PPP – Pädagogik adieu?

Dem musisch-pädagogischen Gymnasialprofil wird aufgrund seiner Entstehungsgeschichte und seiner Wurzeln in der Überführung der ehemaligen Lehrer*innenseminare auch heute noch teilweise im öffentlichen Diskurs eine ‘Zubringerfunktion’ für die Lehrpersonenbildung zugeschrieben, bzw. ist eine solche Vorstellung als kognitives Format (siehe Abschn. 7.2.4) nach wie vor in den Köpfen schulischer Akteur*innen präsent. Dies gilt ganz besonders für das Schwerpunktfach PPP mit seiner Denomination als Philosophie/Pädagogik/Psychologie. Deshalb wird im Folgenden der Lehrplan dieses Fachs im Rahmen eines kurzen Exkurses etwas ausführlicher analysiert.

Im Rahmen des Schwerpunktfachs PP(P), welches in den Fällen B und C angeboten wird, erweist sich der Fachbereich Pädagogik als marginal. Im französischsprachigen Fall C wurde das Fach Pädagogik gar nicht erst in das Format des Schwerpunktfachs aufgenommen und dieses lediglich als «Philosophie/Psychologie» formatiert, da Pädagogik nicht als Teil einer Maturitätsausbildung betrachtet wurde (CD7, S. 87, siehe auch Abschn. 7.1.3). Die folgenden Ausführungen beziehen sich daher auf den Fall B.

Das Schwerpunktfach PPP am Gymnasium B ist in die Themenbereiche Philosophie und Pädagogik/Psychologie gegliedert. Damit erhält der Bereich Philosophie durch seine Alleinstellung bereits höhere Wertigkeit. Die Bildungsinhalte beider Fachbereiche werden sowohl als «praktisch» als auch «theoretisch» charakterisiert (BD16). «Praktisch» bezieht sich hierbei auf die Aneignung der entsprechenden disziplinären Techniken. Im Fachbereich Philosophie umfasst dies den philosophischen Dialog, Essay oder Erörterung ebenso wie «eigenes Philosophieren» oder Argumentieren (BD13). Im Fachbereich Pädagogik/Psychologie meint das «Praktische» unter der Prämisse der Wahrnehmung von «Pädagogik und Psychologie als Wissenschaften» die Aneignung von «verschiedenen Methoden der Psychologie und Pädagogik», so zum Beispiel hermeneutische oder «sozialwissenschaftliche Verfahren wie z. B. Experiment, Test, Befragung» (ebd.).

Ebenso steht kriteriengeleitetes Beurteilen von psychischen Störungen oder das Konzipieren von «fachlich begründeten» Handlungs- oder Veränderungsvorschlägen auf dem Lehrplan. Das Praktische umfasst also die «Methoden» der jeweiligen wissenschaftlichen Disziplin und kann damit als industrielle Wissensform des savoir-faire gedeutet werden. Dieses bezieht sich hier einerseits ähnlich wie an der FMS auf die weiterführende hochschulische Ausbildung wie etwa ein Philosophie- oder Psychologiestudium und die entsprechenden wissenschaftlichen Methoden und Vorgehensweisen, andererseits auf eine zukünftige psychologisch-beraterische Tätigkeit («fachlich begründete Handlungsvorschläge entwickeln»).

Werden die genannten Inhalte und disziplinenspezifischen Methoden im Fall B als «praktische» Seite des Schwerpunktfachs PPP bezeichnet, sind auch die als «theoretisch» charakterisierten Inhalte von hoher Bedeutung und nehmen viel Raum im Lehrplan ein (BD13, S. 91 f.). In diesem «theoretischen» Teil kommen in hohem Ausmaß Wertigkeiten und Wissensformen der staatsbürgerlichen Konvention zum Ausdruck. Der Lehrplan richtet sich stark am disziplinären Wissenskanon aus, was sich beispielsweise in «Grundlegende[n, S.H.] Themen und Begriffe[n, S.H.]» philosophischen, pädagogischen oder psychologischen Theorien und Modellen und der Lektüre klassischer Texte der jeweiligen Disziplinen äußert.

Dabei formatiert der Lehrplan im Fall B keine exemplarisch-auszugshafte, sondern eine vollständig-extensive Herangehensweise, wie sie auch als Bildungsziel formuliert wird (siehe Abschn. 7.2.3). So stehen beispielsweise philosophische Texte «von den Vorsokratikern bis zur Gegenwart» oder ein Überblick über wichtige Denkschulen der Psychologie und Strömungen der Pädagogik auf dem Programm, welche «im Hinblick auf ihre Grundannahmen und Menschenbilder zueinander in Bezug» gesetzt werden sollen (ebd.). Mit dieser Valorisierung eines abstrakt-theoretischen savoir in Form von Theorien, Modellen, Strömungen und diziplinenspezifischer Primärliteratur erweisen sich hier in hohem Masse Wertigkeiten der staatsbürgerlichen Konvention als relevant. Dies zeigte sich situativ im Unterricht im Schwerpunktfach PPP, in welchem der analytische Vergleich der psychologischen Theorien von Piaget und Vygotskij im Zentrum standen (BB3, Abb. 7.5):

Abb. 7.5
figure 5

(Quelle: eigene Aufnahme)

Modellvergleich Vygotskij und Piaget SF PPP Gymnasium B.

Die Aneignung der beiden theoretischen Modelle und ihr analytischer Vergleich – ohne erkennbare Anwendungsbezogenheit – stellten in dieser Unterrichtseinheit den zentralen Bildungsinhalt dar. Nicht nur der Lehrplan und die entsprechende Lehrperson valorisierten dieses theoretisch-abstrakte Wissen, sondern auch die Schüler*innen schrieben ihm in Form expliziter Nachfragen nach weiteren und aktuellen Theorien zu diesem Themenbereich Wertigkeit zu.

Die Hälfte des PPP-Lehrplans im Fall B wird vom Fachbereich Philosophie eingenommen, die andere Hälfte wird mit Themenbereichen wie «Allgemeine Psychologie», «Entwicklung und Persönlichkeit», «psychische Gesundheit und psychische Störungen», «Soziale Interaktion und Kommunikation» von eher klassisch disziplinären Fachbereichen der Psychologie dominiert. Ein potenzieller Bezug zu Lehr- und Erziehungsberufen lässt sich einzig in den Lehrplanbereichen «Grundlagen der Fachgebiete Pädagogik und Psychologie» (Modellvorstellungen, Theorien, Strömungen und wissenschaftliche Methoden) sowie «Erziehungstheorie und Erziehungspraxis» (anthropologische Voraussetzungen und Bedingungen, Funktionen und Ziele von Erziehung, Erziehungsstile erläutern und kritisch reflektieren) (BD13) erkennen. Diese Themen mit potenziellem Bezug zu Lehr- und Erziehungsberufen umfassen u. a. folgende Inhalte (BD13, S. 205 f.):

  • «gruppenspezifisches Verhalten auf dem Hintergrund von Erkenntnissen der Gruppendynamik […] erläutern»

  • «verschiedene Modelle der Kommunikation […] erläutern und diese miteinander vergleichen.»

  • «Kommunikationsstörungen […] exemplarisch diagnostizieren und erläutern, wie man diese beheben kann.»

  • «den Zusammenhang zwischen Erziehungszielen […] und -inhalten, gesellschaftlichem Wandel und individuellen Faktoren untersuchen und kritisch reflektieren.»

  • «unterschiedliche unterstützende und gegenwirkende Erziehungsmaßnahmen […] erläutern und personen- und situationsbezogen reflektieren.»

  • «Beispiele aus dem Erziehungsalltag analysieren und fachlich begründete Handlungsvorschläge entwickeln.»

Diese Lehrplaninhalte verweisen weniger auf aktives erzieherisches Handeln beispielsweise als (Primar-)lehrperson, sondern vielmehr auf eine Beurteilung, Analyse und Reflexion erzieherischen Tuns etwa im Rahmen eines erziehungswissenschaftlichen oder psychologischen Studiums (erläutern, vergleichen, kritisch reflektieren, analysieren), oder einer entsprechenden beraterischen Tätigkeit (diagnostizieren, Handlungsvorschläge entwickeln). Insgesamt erinnert der Lehrplan im Schwerpunktfach PPP mit Themenbereichen wie «Grundlegende Themen und Begriffe der Philosophie», «Grundlagen der Fachgebiete P/P», «Methoden», «Allgemeine Psychologie», Erziehungs-, Entwicklungs- und Persönlichkeitstheorien, klinischer Psychologie sowie der Lektüre disziplinärer Klassiker in an ein universitäres Vorlesungsverzeichnis. Der Lehrplan verweist in hohem Masse auf die Wissensform des staatsbürgerlichen savoir, welches den disziplinären Wissenskanon der jeweiligen Fachbereiche valorisiert.

Mit Blick auf die Bildungsinhalte der musisch-pädagogischen Schwerpunktfächer lässt sich also eine Valorisierung des jeweiligen disziplinären Wissenskanons (savoir), der jeweiligen Grundlagentechniken als disziplinenspezifisches savoir-faire (Philosophieren, wissenschaftlichen Methoden, Grundlagen der Gestaltung) sowie in den musisch-gestalterischen Schwerpunktfächern der Umsetzung in Tätigkeiten des Improvisierens, Entwerfens und kreativen Schaffens festhalten. Damit erweisen sich für die gymnasiale Schwerpunktfachausbildung vor allem Wertigkeiten und Wissensformen der staatsbürgerlichen, industriellen und inspirierten Konvention als bedeutsam.

7.4 Wissensvermittlung: «praktisch» vs. «theoretisch»

Zentrales Charakteristikum von Schultypen ist, wie die jeweiligen Bildungsinhalte und Wissensformen konkret im Unterricht vermittelt werden. Der Begriff der «Wissensvermittlung» wird in Anlehnung an Boltanski und Thévenot (2007, S. 416) zur Beschreibung der Phänomene des folgenden Kapitels gewählt und bezeichnet die Art und Weise des Erziehens und Unterrichtens, «Modi des Lehrens und Lernens» (Leemann und Imdorf 2019a, S. 8 f.) oder auch die im jeweiligen Schulprofil valorisierte Pädagogik und Didaktik.

7.4.1 Die Vermittlung von Wissen in der FMS Pädagogik

Obwohl sich die drei untersuchten pädagogischen FMS-Profile bezüglich ihrer zugrundeliegenden Konventionen im Hinblick auf Bildungsinhalte und Wissensformen unterscheiden, lassen sich in deren konkreter, handlungspraktischer Vermittlung aus konventionentheoretischer Perspektive wesentliche Gemeinsamkeiten festhalten.

7.4.1.1 Lebens- und berufsfeldnah, illustrativ und konkret

In allen drei untersuchten Fällen unterrichten die FMS-Lehrpersonen anschaulich, mit konkreten Beispielen illustriert sowie mit Bezug zur Lebenswelt der Schüler*innen (Familie, Freizeit, Sport, eigene Bildungsbiografie, populärkulturelle Musik und Kunst). Sie greifen auf eine den Schüler*innen vertraute Sprache («cool») und/oder Praktiken («Selfies» als Vorlage für gestalterische Techniken) zurück. Damit betonen sie die Kontinuität zwischen Schule und Privatleben und verwirklichen handlungspraktisch Bildungsstrategien der häuslichen Konvention: «Un des thèmes favoris de la pédagogie domestique est de dénoncer la coupure entre l’école et la vie, l’établissement et le milieu local, la culture et le quotidien. Toute sa conception est gouvernée par un principe de continuité»Footnote 33 (Derouet 1989, S. 22). Diese Bezugnahme auf lebensweltliche Aspekte der Fachmittelschüler*innen und die Veranschaulichung theoretischer Lehrplaninhalte an konkreten, alltagsweltlichen Beispielen konstruieren und valorisieren die Lehrpersonen als «das Praktische», was der FMS als Schultyp zugeschrieben wird: «mehr praktische Beispiele, weniger theoretische Grundsätze» (Lehrperson Psychologie/Pädagogik, BI3).

Im Fall A entsprechen und entstammen diese illustrativen Beispiele nicht nur der Lebenswelt der Jugendlichen im Allgemeinen, sondern ihrer zukünftigen Berufstätigkeit als Primarlehrperson im Besonderen.Footnote 34 Die Lehrpersonen verknüpfen die Vermittlung von Inhalten mit der Bezugnahme auf den Lehrberuf etwa in Form von Beispielen, die «auf die Schule bezogen sind, und Beispiele, die für/im Kinderheim oder so» (Lehrperson Psychologie, AI6).

7.4.1.2 Anwendungs- und problemlösungsorientiert

Als weitere Strategie der Wissensvermittlung lässt sich in allen drei untersuchten FMS eine Anwendungs- und Problemlöseorientierung rekonstruieren. Die Lehrpersonen stützen sich bei der Wissensvermittlung auf konkrete Anwendungsbeispiele und geben den Schüler*innen Aufträge, bei denen sie erworbenes oder noch zu erwerbendes Wissen fall- und problemlösungsbezogen anwenden müssen.

So wurde etwa im Fall B in einer beobachteten Unterrichtseinheit im Fach Psychologie ein Test angekündigt, bei welchem die Schüler*innen anhand eines Fallbeispiels eine Angststörung erkennen und Lösungsvorschläge zur Behandlung erläutern sollten (BB1). Eine konkrete Anwendungs- und Problemlösungsorientierung mit direktem Bezug zum Lehrberuf kam im Fall B nur in anekdotischen Erzählungen der Akteur*innen zum Ausdruck.

In der FMS A berichtet eine Lehrperson des Fachs Psychologie davon, dass sie den Schüler*innen den Auftrag gebe, die Grundlagen des Humanismus, des Behaviorismus oder Konstruktivismus zu erarbeiten und die restliche Klasse anschließend 20 Minuten lang nach den entsprechenden pädagogischen Prinzipien zu unterrichten (AI6). Bei einer anderen Gelegenheit wählen die Schüler*innen ein Thema nach eigenem Interesse und erhalten den Auftrag, einen entsprechenden Input für die Klasse vorzubereiten:

Und dann tun sie einen Input [...] und dann irgendetwas Aktivierendes, wie Lehrpersonen sonst/ und wir betreuen das immer, so: «Ja, beginne schon jetzt, so irgendwie auszuprobieren, [...] wie kannst du Teilnehmenden, oder Schülerinnen, Schülern etwas auf eine spannende Art vermitteln, wie kannst du Ihr Interesse wecken? Wie kannst du sie aktivieren? (Lehrperson Psychologie, AI6, Herv. S.H.)

Dies entspricht der Vermittlungslogik der industriellen Konvention, die den Wissenserwerb durch das Lösen von Problemen in konkreten Situationen («situations de ‘résolution de problème’» (Derouet 1992, S. 107)) valorisiert. Auch hier dient im Fall A häufig der Primarlehrberuf oder Erziehungsthemen als Bezugs- und Ausgangspunkt für Problemlösesituationen (etwa der erwähnte Auftrag des Unterrichtens der Klasse nach bestimmten pädagogischen Prinzipien oder der Auftrag des Übens von Kommunikationsstrategien und -techniken im Klassenverband oder im privaten Umfeld).

Im Fall C berichteten die befragten Akteur*innen einzig mit Blick auf das Fach Musik von einer expliziten Problemlösungs- und Anwendungsorientierung mit Bezugnahme auf den Primarlehrberuf:

Donc l'apprentissage d'un chant, par exemple, quelles sont les différentes manières de procéder? Tout ce qu'on peut apporter en plus autour du chant, l'aspect rythmique, l'aspect connaissances, folklore, et cetera […] on a petit peu ciselé quelles étaient les étapes de travail pour arriver à l'objectif final, donc, on travaille déjà dans l'idée de monter un cours […]Footnote 35 (Lehrpersonen Musik und Bildende Kunst, CI2, Herv. S.H.)

7.4.1.3 Bezugnahme auf den Primarlehrberuf und Erziehungsthemen

Es zeigt sich, dass nur im Fall A sowohl bei der illustrativ-konkreten (häuslichen) als auch bei der anwendungs-und problemlösungsorientierten (industriellen) Vermittlung von Wissen der (Primar-)lehrberuf als Bezugspunkt, Veranschaulichungs- oder Übungsbeispiel dient. Die explizite Bezugnahme auf den (Primar-)lehrberuf lässt sich in den Fällen B und C nur vereinzelt nachweisen – auch wenn sie von manchen Lehrpersonen durchaus implizit mitgedacht wird: «ich versuche das schon zu machen, aber ich schreibe es nicht an. Ich sage jetzt nicht noch ‘ah, das könnt ihr dann später mit den Kindern machen’» (Lehrperson Bildnerisches Gestalten, BI4). Diese Lehrpersonen sprechen den Bezug zum Primarlehrberuf nicht wie im Fall A explizit an, sondern überlassen diese Verknüpfung den Schüler*innen. Die Schulleitung der FMS B reflektiert dies:

Das vermisse ich auch ein wenig, dass man ihnen vielleicht sagt, «hört […] ihr seid jetzt eigentlich schon auf dem Weg zu der Lehrerin, eigentlich müsstet ihr schon beginnen zu reflektieren» oder. Einzelne machen das und/aber nicht/eigentlich nicht alle. Aber es ist nicht strukturell in der Jahrestafel drin, dass man so etwas hat. (Schulleitung FMS, BI2)

Anstatt einer expliziten Bezugnahme auf den Primarlehrberuf als Bezugspunkt der häuslichen und industriellen Vermittlungsstrategien stützen sich die Lehrpersonen der Fälle B und C dafür ausgeprägter auf staatsbürgerliche, abstrakt-theoretische Vermittlungsformen wie den Lehrvortrag, die Diskussion von Artikeln aus wissenschaftlichen Zeitschriften oder den Rückgriff auf disziplinäres Fachvokabular.

Im Fall C gibt es auch Lehrpersonen, welche eine explizite Bezugnahme zum Primarlehrberuf als Wertigkeit der industriellen Konvention gar zurückweisen und die hohe Bedeutung einer staatsbürgerlichen Allgemeinbildung hervorheben:

Je trouve que c'est aussi important de, même si on peut faire des liens justement avec leurs futurs métiers, mais de ne pas être non plus trop là-dedans, parce que ce n'est pas une formation professionnelle, c'est l'école de culture générale. […]il y a des classes où il y en a finalement assez peu qui vont à la HEP après […] ce n'est pas notre rôle de forcément trop faire par rapport à l'enseignement. S'il y a un intérêt, et puis si c'est qu'on peut faire des liens, c'est intéressant, et puis surtout s'ils sont preneurs, mais à mon avis, l'objectif c'est vraiment plutôt la culture générale.Footnote 36 (Lehrpersonen Philosophie/Psychologie, CI3, Herv. S.H.)

Im Fall C wählen die Lehrpersonen laut eigener Aussage dennoch die «praktische», anschauliche und lebensweltnahe Vermittlung von Bildungsinhalten als ersten Ausgangspunkt, welcher später in der Vermittlung des theoretisch-abstrakten, staatsbürgerlichen savoir mündet. Dieser ‘praktische’, anschauliche Ausgangspunkt kam in der beobachteten Unterrichtseinheit im Fach Philosophie/Psychologie z. B. darin zum Ausdruck, dass einerseits das gleiche theoretische Modell unter Verwendung der gleichen disziplinären Fachtermini wie im Gymnasium unterrichtet wurde. Die Lehrperson griff aber zur Illustration ihrer Erläuterungen auf konkrete Beispiele aus der Lebenswelt der Schüler*innen zurück. So verdeutlichte sie Inhalte an Beispiel von Erfahrungen mit ihren eigenen Kindern und rief die Erinnerung der Schüler*innen an deren eigene Schulzeit auf (CB).

7.4.1.4 Körper und Objekte als Instrumente der Wissensvermittlung

Im Weiteren konnte in allen drei FMS eine hohe Bedeutung von Körperlichkeit sowie von Objekten im Prozess der Wissensvermittlung rekonstruiert werden. Im Fall A etwa berichtet eine Lehrperson davon, im Fach Gesellschaftskunde ihren Körper zur Veranschaulichung politischer Positionen einzusetzen:

Jetzt in dem ganzen Asylbereich drin, dann mache ich das oft so, dass ich wie Rollen spiele, oder. Dann sage ich: Der linke [Name der LP] sagt: «Bla, bla, bla, bla.» Und der Rechte, auf dieser Seite sagt: «Bla, bla, bla, bla.» Damit sie sozusagen wie die Rollenvielfalt sehen, oder die Meinungsvielfalt, so. (Lehrperson Gesellschaftskunde, AI8, Herv. S.H.)

Insbesondere bei der Vermittlung von Wissensinhalten durch Vorzeigen und Nachahmen im Musik- oder Kunstunterricht sind die Lehrpersonen körperlich involviert. Das Beispiel einer Unterrichtssequenz aus dem Fach Bildnerisches Gestalten in der FMS B verdeutlicht dies. Die Lehrperson unterrichtet dieses Fach sowohl in der FMS als auch am Gymnasium. Sie bezeichnet das Fach als «intellektuell anspruchsvoll» (BI1). Da der Eintritt in die FMS weniger hohe schulische Leistungen als der Eintritt ins Gymnasium verlange, umfasse auch der FMS-Unterricht weniger konzeptionell-intellektuelle Arbeiten, sondern eher die Reproduktion von Inhalten: «[…] viel mehr MALEN und also so (lachend) weniger konzeptionelle Arbeiten, sondern einfach auch einmal etwas Schönes abmalen oder so» (Lehrperson Bildnerisches Gestalten, BI4). Diese Logik der Reproduktion (etwas abmalen) geht einher mit einer hohen Bedeutung sowohl des Körpers als auch von Objekten:

Und bei den FMS-Schülern finde ich, sie sollen direkt einmal selber technisch eingreifen. […] Und danach bespreche ich es und lege das nebeneinander, dann bespreche ich jedes Einzelne. Sage «ja, man kann es so und so und so machen», und sie sehen es direkt materiell vorliegend, was funktioniert gut, was funktioniert nicht, und haben gegenseitig quasi, wie so ein bisschen ein Angebot, wie man es anpacken kann. (Lehrperson Bildnerisches Gestalten, BI4, Herv. S.H.)

Die Aussage verweist nicht nur auf die Bedeutung des Körpers und der Objekte («selber technisch eingreifen», «lege das nebeneinander», «sehen es direkt materiell vorliegend»), sondern auch auf die häusliche Vermittlungslogik von Anleitung und Instruktion als Vorzeigen und Nachahmen (Diaz-Bone 2018, S. 151) von Bildungsinhalten («Angebot, wie man es anpacken kann»). Dass die Schüler*innen «technisch eingreifen» und sehen sollen «was funktioniert gut, was funktioniert nicht», verweist auch auf industrielle Vermittlungslogiken des savoir-faire als schrittweise Erläuterung von in einzelne Aufgaben heruntergebrochenen Arbeitsschritten (Derouet 1992, S. 106).

Beide Logiken der Wissensvermittlung kamen in der beobachteten Unterrichtseinheit im Rahmen eines Arbeitsauftrags zum «Selbstporträt-Glasdruck» handlungspraktisch zum Ausdruck. Als Vorlage sollten die Schüler*innen mit ihren Smartphones ein Selbstporträt («Selfie») aufnehmen und dieses ausdrucken, was an ihre alltagsweltlichen Erfahrungen anschließt und sie körperlich in Verbindung mit einem Objekt (Smartphone) aktiviert. Von den Schüler*innen umringt erklärte die Lehrperson anschließend die Technik des Glasplattendrucks nicht nur mündlich, sondern demonstrierte gleichzeitig unter Zuhilfenahme der technischen Instrumente und Materialien wie Farbe, einer Malrolle, einem spitzen Gegenstand und einer Glasplatte Schritt für Schritt das technische Vorgehen. Dabei erläutert sie detailliert, welche Materialien verwendet werden sollen und wie die Werkzeuge funktionieren.

Unter Einsatz ihres Körpers demonstrierte die Lehrperson, wie die Instrumente festgehalten und hingelegt werden sollen. Im Anschluss forderte die sie die Schüler*innen dazu auf, diese Technik erst einmal zu üben, wobei die Lehrperson «Strichmännchen» oder den eigenen Namen als mögliche Beispiele nannte. In der Folge war zu beobachten, wie die Mehrheit der Schüler*innen entsprechend der Logik des Vorzeigens und Nachahmens genau diese beiden Beispiele (Namen, Strichmännchen) übernahmen. Auch bei der Farbwahl griffen sie zur exakt gleichen Farbe wie zuvor die Lehrperson, obwohl ihnen die ganze Palette an Farbtönen zur Verfügung stand (Abb. 7.6).

Abb. 7.6
figure 6

(Quelle: eigene Aufnahme)

Schüler*innen des FMS-Profils Pädagogik/Kunst im BG-Unterricht.

Im Verlauf der Unterrichtsstunde unterbrach die Lehrperson immer wieder die Arbeit der Schüler*innen, um den jeweils nächsten Arbeitsschritt zu erklären. Die Nachfrage der Lehrperson «soll ich es vorzeigen?» valorisierten die Schüler*innen im Chor mit «ja, gerne!». Immer wieder griff die Lehrperson korrigierend in die Arbeit der Schüler*innen ein und ergänzte ihre Erklärungen mit körperlichen Demonstrationen. So etwa beim Erklären der Funktion einer Malrolle: «probieren Sie mit der Hand so (zeigt, macht vor) oder so, nicht so (zeigt) absetzen» (BB2).

Eine ähnliche körperliche Involviertheit zeigte sich im Musikunterricht der FMS A. In der beobachteten Unterrichtsstunde verwendete die Lehrperson neben dem Klavier zusätzlich eine Tastatur aus gummiartigem Material, welche sie von Pult zu Pult trug und Dreiklänge durch Zeigen mit den Fingern demonstrierte (AB5). Via Overheadprojektor blendete die Lehrperson zudem eine Klaviertastatur ein, auf der sie mit Metallnägeln verschiedene Harmonien ‘legte’, so dass die Metallnägel jeweils auf die entsprechenden Tasten zeigten (ebd.). Die mit diesen Objekten (Nägel, Projektor) veranschaulichten Akkorde sollten die Schüler*innen anschließend benennen. Die betreffende Lehrperson berichtete außerdem, dass Schüler*innen das theoretische Grundprinzip eines musikalischen Kanons jeweils durch eine zugehörige Choreografie körperlich erfahren oder rhythmische Prinzipien per Bodypercussion erlernen sollen.

Mit diesem Fokus auf anschauliche Illustration, körperliches Erleben von Bildungsinhalten und die Logik des körperlichen und objektgestützten Vorzeigens und Nachahmens valorisieren die FMS-Lehrpersonen in den Fällen A und B handlungspraktisch einerseits Wertigkeiten der häuslichen Konvention (Diaz-Bone 2018, S. 151), welche eine «éducation globale» oder «imprégnation globale» (Derouet 1989, S. 23) der ganzen Person inklusive ihres Körpers valorisiert. Mit Blick auf das Herunterbrechen der zu vermittelnden Bildungsinhalte in einzelne, schrittweise vermittelte Arbeitsetappen (Derouet 1992, S. 106) und den Einsatz von Objekten (z. B. Werkzeuge des Kunstunterrichts) als Instrumente zur Aneignung eines technischen savoir-faire werden auch industrielle Vermittlungstechniken verwirklicht.

Im französischsprachigen Fall C konnte der illustrative Einsatz des Körpers und von Objekten wie einer PowerPoint-Präsentation, eines Videos, Federmappen und einer Obstschale überwiegend als Ausdruck einer industriellen Handlungs- und Vermittlungslogik rekonstruiert werden. Eine auffällig betonte Gestik und Stimmlage, eine lernförderlich (Farben, Fettschrift) formatierte PowerPoint-Präsentation und das begleitende Erläutern einer Videosequenz zur Illustration der Lerninhalte betonen industrielle Bildungsstrategien einer an methodisch-fachdidaktisch orientierten, schrittweisen Vermittlung von Bildungsinhalten.

Zudem fielen im Rahmen der Unterrichtsbeobachtung in den Fällen A und C weitere Objekte ins Auge, welche üblicherweise im privaten, familiären Kontext genutzt werden und als Objektivation häuslicher Wertigkeiten gedeutet werden können. Im Musikzimmer der FMS A waren an der Wand Fotos angebracht, welche alle Schüler*innen und Lehrpersonen gemeinsam abgelichtet zeigten (AB5) und somit die schulische Gemeinschaft als Gemeinwohl der häuslichen Konvention valorisierten. Im Schulhauseingang war ein Sofa platziert, in einer Ecke des Musikzimmers der FMS A stand ein Sessel, und in einer anderen Ecke war ein Waschbecken angebracht, an welchem sich ein Schüler zu Beginn der Unterrichtsstunde die Zähne putzte (ebd.).

Auch das beobachtete Unterrichtszimmer der FMS C war von häuslichen Objekten wie Tassen, Zahnbürsten, Trinkflaschen oder einer Obstschale bevölkert (Abb. 7.7).

Abb. 7.7
figure 7

(Quelle: eigene Aufnahme)

Häusliche Objekte im Klassenzimmer der FMS C.

7.4.1.5 Schulische Beziehungen und die Rolle der Lehrperson

Im Zusammenhang mit den valorisierten Strategien der Wissensvermittlung kann eine je spezifische Rolle und Funktion der Lehrperson und eine entsprechende Beziehungslogik zwischen Lehrpersonen und Schüler*innen rekonstruiert werden, die in der FMS im Kern in allen drei Fällen das häusliche Gemeinwohl der schulisch-familiären Gemeinschaft valorisiert.

Die Rolle der Lehrperson an den untersuchten FMS lässt sich zusammenfassend als väterliche oder mütterliche Erziehungsinstanz mit pädagogischen Interessen an der Unterstützung und Begleitung Jugendlicher rekonstruieren. Sie bringt Autorität, aber auch eine Beziehungslogik der gegenseitigen Wertschätzung, des Wohlwollens, des zwischenmenschlichen Interesses, der persönlichen Nähe und des Vertrauens zum Ausdruck. Diese Aspekte sind je Fall und Lehrperson unterschiedlich ausgeprägt, im Kern verweisen sie aber ausgeprägt auf Beziehungslogiken der häuslichen Konvention.

Handlungspraktisch äußerte sich dies in allen drei Fällen etwa darin, dass die Fachmittelschüler*innen – im Gegensatz zu den Gymnasiast*innen – in den Pausen zwischen den Unterrichtseinheiten oder vor und nach dem Unterricht das persönlich-informelle Gespräch mit der Lehrperson suchten, welche dieses erwiderte und den Schüler*innen persönliches Interesse entgegenbrachte. Die FMS-Lehrpersonen äußern ausgeprägte pädagogisch-soziale Interessen und stellen diese im Zweifelsfalle über eine industriell-schulische Leistungslogik:

Und die sind einfach so (ahmt Schüler*innen nach) auf dem Stuhl gesessen und haben mich nur angeschaut. […] Und dann bin ich dann/bin ich dann auch wütend geworden oder, und habe dann auch gesagt: «Hey, geht’s noch? Ich erwarte hier ein Engagement!» […] Und dann, nachher im Rückblick habe ich sagen müssen, vielleicht bist du wie in einem anderen Modus gewesen, oder. Und sagen wir, die Erwartung von «jeder Schüler kommt rein und ist gleich hellwach begeistert» KANN man auch nicht immer haben. Also das hat auch manchmal mit/ also mit/ die haben ja auch ihr Leben, oder? […] vielleicht/ können ja, können es ja nicht alle gut finden. Und, und vielleicht sind sie jetzt einfach noch müde und (lacht) und ich tue ihnen Unrecht. […] ich tue dann jeweils hier/das wirklich auch dann ansprechen und sage: «Hey, was ist los?» Oder: «Warum machst du den Mund nicht auf, was ist das Problem?» Und dann sagen sie: «Ich mag nicht». Und, und dann ist es ok. Es müssen nicht alle immer hundertprozentig dabei sein. (Lehrperson Musik, AI7, Herv. S.H.)

Ebenso werden im Fall A die Lehrpersonen am ausgeprägtesten nicht nur auf der Bewertungsgrundlage ihrer fachlichen oder didaktischen Leistung, sondern dem häuslichen Bewertungskriterium der charakterlichen oder pädagogischen Eignung beurteilt:

[...] also die Lehrpersonen schauen auch sehr STRENG aufeinander, wie gut macht er es, wie geht SIE mit Jugendlichen um. Auch bei der Gewinnung von neuen Mitarbeitenden, das ist immer ein breit abgestütztes Verfahren, bei dem Lehrpersonen, Schüler, Schülerinnen mitwirken. [...] man schaut sehr stark nicht nur auf die Fachlichkeit (..) sondern eben auch auf die anderen Kompetenzen.» (Schulleitung, AI4, Herv. S.H.).

Pädagogisch-erzieherische und sozial-zwischenmenschliche Interessen und Fähigkeiten potenzieller neuer Lehrpersonen werden an der FMS A im Format des Einstellungsverfahrens geprüft, welchem der Wertigkeitsmaßstab der häuslichen Konvention zugrunde liegt. Denn die hohe Bedeutung des Charakters der Lehrperson gegenüber rein fachlichen Qualitäten, die Wichtigkeit pädagogischer Interessen sowie auch die gegenseitige Beobachtung durch die anderen Lehrpersonen («[…] schauen auch sehr streng aufeinander, wie gut macht er es, wie geht sie mit Jugendlichen um») entsprechen dem Prinzip der häuslichen Konvention:

[…] cette vie communautarie entrainent une très forte contrainte du local sur les enseignants. Ce n’est pas devant une hiérarchie lontaine que les professeurs ont à se justifier, mais devant la communauté: élèves, collègues, parents d’élèves, notables… Le contrôle […] s’étend à tous les aspects de la vie, aux qualités morales aussi bien qu’à l’enseignement. Un einseignant n’est pas recruté sur ses titres, ni sur son savoir, mais sur son caractère.Footnote 37 (Derouet 1992, S. 102)

Im Rahmen des Einstellungsverfahrens wird die gesamte schulische Gemeinschaft (inklusive Schüler*innen und Lehrpersonen) in die Beurteilung dieser Qualitäten mit einbezogen.

Die hohe Bedeutung der häuslichen Konvention resultiert im Fall A im Weiteren in einer besonders ausgeprägten, emotional-persönlichen Beziehungsqualität zwischen Schüler*innen und Lehrpersonen. Sie drückt sich in einer Beziehungslogik des «Gern-habens» (Schüler*innen, AI9), der persönlichen Nähe und der gegenseitigen Wertschätzung aus:

[...] auch mit den Lehrern finde ich haben wir mega ein gutes Verhältnis. Und ich finde, es ist nicht unbedingt immer so Lehrer-Schüler, dieses extreme Verhältnis oder so, sondern, manchmal sind wir wie auch etwas näher zueinander. [...] Und ich habe das Gefühl, wir verstehen uns gut und sie interessieren sich auch für uns und so. (Schüler*innen, AI10, Herv. S.H.)

Dieses häusliche Gemeinwohl einer schulischen Gemeinschaft im Fall A wird zudem gestützt durch das kognitive Format der «Du-Kultur»: sämtliche Akteur*innen von der Erstklässlerin bis zur Schulleitung der FMS A sprechen sich gegenseitig mit «Du» an. Sowohl Lehrpersonen als auch Schüler*innen schätzen «den Umgang» miteinander, das «Klima» (Schüler*innen, AI9) zwischen den verschiedenen schulischen Akteur*innen, und dass die Schule «über Beziehungen» und weniger über Selektion funktioniere (Lehrperson Gesellschaftskunde, AI8.). Dementsprechend wird in der FMS A soziales Lernen in Form von Gruppenreferaten und -übungen im Sinne eines Lernens in der Gruppe (Derouet 1992, S. 99) als häusliche Strategie der Wissensvermittlung sowohl diskursiv als auch handlungspraktisch valorisiert.

Die häuslichen Beziehungs- und Vermittlungslogiken an der FMS A führen in Kombination mit dem Bildungsziel der Vorbereitung auf den Lehrberuf dazu, dass die Schüler*innen des Profils Pädagogik ihre Lehrpersonen als Modell für den zukünftigen Beruf wahrnehmen:

Ich beobachte manchmal im Unterricht auch voll wie die Lehrperson überhaupt unterrichtet oder so, oder was sie so sagt und WIE sie es sagt, und ich finde das mega interessant, wie die Lehrpersonen unterschiedlich sind. Und trotzdem einfach auf die gute Art, wie sie das machen. Also ich muss sagen, die meisten Lehrpersonen, die wir haben, oder eigentlich alle, machen es wirklich mega gut und wir können schon nur allein vom Abschauen irgendwie etwas lernen. (Schüler*innen, AI10, Herv. S.H.)

Das Lernen am Modell oder durch Beobachtung kann ebenfalls als Bildungsstrategie der häuslichen Konvention interpretiert werden. Einerseits betont es wie das Lernen in der Gruppe (siehe oben) den sozialen, andere Individuen einbeziehenden Aspekt des Lernens. Andererseits handelt es sich dabei um eine Art «Meisterlehre», welche gewissermaßen als Weitergabe von inkorporiertem Wissen durch Vorzeigen und Nachahmen (Diaz-Bone 2018, S. 151) gedeutet werden kann, wie sie in der häuslichen Konvention von Bedeutung ist.

Eine derartige Modell- oder Rollenvorbildfunktion lässt sich an der FMS B nicht rekonstruieren. Dennoch kommen auch hier häusliche Vermittlungs- und Beziehungslogiken zum Ausdruck. Die Lehrperson an der FMS B lässt sich als väterliche oder mütterliche Autorität und Erziehungsinstanz charakterisieren. Sie verwirklicht in dieser Rolle Wertigkeiten der häuslichen Konvention wie Erziehung, Sozialisation und Hierarchie. Dies äußert sich einerseits in einer gewissen autoritären Strenge und stärkeren Steuerung des Verhaltens der Schüler*innen: «[…] erste FMS, da muss ich noch genau sagen: «würden Sie das bitte lesen, würden Sie bitte nicht direkt alles anstreichen», und so weiter» (Lehrperson Psychologie/Pädagogik, BI3). Auch in den beobachteten Unterrichtseinheiten der FMS B waren im Kontrast zum Gymnasium wesentlich häufiger disziplinarisch begründete Interaktionen bzw. eine stärkere Steuerung und Disziplinierung der Schüler*innen zu beobachten.

Diese erzieherische Rolle und Funktion der Lehrperson im Fall B konstruieren die Schüler*innen insofern mit, als dass sie die Lehrperson wiederum als Erziehungs- und Instruktionsinstanz adressieren: «Sie, müssen wir…[…] können Sie… …[…] Sie, es [das Werkzeug, S.H.] ist abgebrochen, was soll ich tun?» (BB2). Auch in den Interviews valorisieren die Schüler*innen die Lehrperson als Autoritätsinstanz: «[…] dass es nicht ein allzu großes laissez faire ist […] sie müssen schon ein bisschen/sie müssen schon streng sein, dass man etwas lernt» (Schüler*innen, BI5).

Andererseits handelt es sich bei der valorisierten «Strenge» ähnlich wie an der FMS A um eine Art elterliche, warmherzige Autorität, welche letztendlich nicht die militärische Disziplinierung der Schüler*innen zum Selbstzweck, sondern ein «pädagogisches Verständnis» (Lehrperson Bildnerisches Gestalten, BI4) und ein familiäres Kümmern oder «helfen» (ebd.) aufgrund gegenseitiger Wertschätzung zum Ausdruck bringt: «[…] dass wir in der FMS mehr akzeptieren müssten, dass wir/obwohl sie 16 sind, 15, 16 wenn sie zu uns kommen, halt noch erziehen. […] Ihnen HELFEN irgendwie, sich zu verorten in dieser Phase des Lebens» (ebd.).

In den beobachteten Unterrichtseinheiten des Falls B äußerte sich dies in einer Kombination von disziplinarischen Aufrufen mit einem wohlwollenden Augenzwinkern oder humorvollen Begleitbemerkungen der Lehrperson, welche als Ausdruck persönlicher Wertschätzung gegenüber den Schüler*innen gedeutet werden können.

Die befragten Lehrpersonen schreiben einer persönlichen Beziehung zu den Fachmittelschüler*innen auch auf diskursiver Ebene Wertigkeit zu:

FMS-Schüler haben, finde ich jetzt – es ist so ein wenig auf der menschlichen Ebene her von Anfang an, eher so ein persönlicherer Zugang. Also die erzählen noch eher etwas von sich, Gymi-Schüler [Gymnasiast*innen, S.H.] sind […] eher ein bisschen so: «Ich bin ja da zum Lernen und nicht um mit dem Lehrer über meine Probleme zu reden». (Lehrperson Psychologie/Pädagogik, BI3, Herv. S.H.)

Ich finde, diese Klassen sind irgendwie persönlicher. Sind/ich habe ein persönlicheres Verhältnis dazu. […] also ich finde, sie sind ein bisschen warmherziger. […] Man kann auch mehr Puff [Scherereien, S.H.] haben mit ihnen, also sie können auch/es kann auch persönlicher (lacht) werden, so wie wenn sie, wenn sie nicht ZUFRIEDEN sind und/können sie auch mal so ein bisschen persönlich werdenFootnote 38, so. (Lehrperson Bildnerisches Gestalten, BI4, Herv. S.H.)

Sowohl zwischenmenschliche Scherereien («Puff») als auch «persönliche» oder «warmherzige» Beziehungen entsprechen der familiär-gemeinschaftlichen Beziehungslogik der häuslichen Konvention, welche sowohl von Lehrpersonen als auch Schüler*innen valorisiert und handlungspraktisch verwirklicht wird. Im Kontrast zum gymnasialen Unterricht kam dies in den beobachteten Unterrichtseinheiten beispielsweise dadurch zum Ausdruck, dass Lehrpersonen und Schüler*innen gegenseitiges Interesse am Privatleben oder persönlichen Erfahrungen und Haltungen des Gegenübers zeigten.

An der FMS C ist ähnlich wie im Fall A eine Wahrnehmung der Lehrperson als Modell und Rollenvorbild auszumachen. Diese Wahrnehmung wird insbesondere durch die Schüler*innen geäußert und valorisiert. Verschiedene «profils de profs»Footnote 39 zu sehen – von denen man sich für seine eigene Lehrtätigkeit eines aussuchen könne – sehen die Schüler*innen als Vorbereitung für den Lehrberuf: «les profs […] il y en a qui donnent des cours, et que je le vois donner des cours, je me dis: «Ah peut-être qu'il faudrait que je fasse comme ça ou comme ça dans le futur»Footnote 40 (CI4). Im Weiteren sind auch im Fall C die bisher skizzierten häuslichen Wertigkeiten der zwischenmenschlichen, persönlichen Nähe, des Vertrauens und des gegenseitigen Interesses von Bedeutung.

Auffallend ist im Fall C, dass sowohl Schüler*innen als auch Lehrpersonen ausgeprägt auch didaktisches Know-how und organisatorische Fähigkeiten als Wertigkeiten der industriellen Konvention valorisieren: «être une bonne personne et être une bonne enseignante, ce n'est pas du tout la même chose»Footnote 41 (CI5). Eine Lehrperson von Größe ist aus Sicht der Schüler*innen organisiert und klar in ihren Aufträgen, kann einen Sachverhalt verständlich erklären, weiß die Schüler*innen für den Unterricht zu motivieren, zu interessieren und dafür zu sorgen, dass der Inhalt für alle verständlich ist.

Zusammengefasst als «didaktisches Know-how» oder (fach-)didaktisches savoir-faire, welches Eigenschaften wie Organisation, Methodik, Fachkompetenz und das Strukturieren von Lernprozessen umfasst, valorisieren die Schüler*innen hier Wertigkeiten der industriellen Konvention (Leemann und Imdorf 2019, S. 9). Auch die Lehrpersonen bestätigen, dass sie «être assez clair dans ce qu’on fait, dans ce qu’on demande»Footnote 42 (CI2) sein müssten – es sei wichtig, Geduld zu haben und die Inhalte so lange und immer wieder zu erklären, bis es alle verstanden hätten. Dies bedeute auch, sich entsprechend Zeit für die didaktische Vor- und Aufbereitung der Unterrichtsinhalte zu nehmen, «de bien préparer les choses»Footnote 43 (CI2).

Zusammenfassend lassen sich in den untersuchten pädagogischen FMS-Profilen primär Vermittlungslogiken und -praktiken der häuslichen und der industriellen Konvention rekonstruieren, mit einem Schwergewicht häuslicher Wertigkeiten im Fall A und der Ergänzung staatsbürgerlicher Vermittlungsstrategien in den Fällen B und C (z. B. Lehrvortrag, Textlektüre). Die Rolle der Lehrperson und ihre Beziehung zu den Schüler*innen ähnelt sich jedoch in allen drei Fällen und basiert ausgeprägt auf Wertigkeiten der häuslichen Konvention wie persönlich-emotionalen Beziehungen, Autorität und zwischenmenschlichem Interesse.

7.4.2 Die Vermittlung von Wissen im musisch-pädagogischen Gymnasialprofil

Im musisch-pädagogischen Profil der drei untersuchten Gymnasien lässt sich die Wissensvermittlung im Gegensatz zur FMS Pädagogik als ausgeprägt auf Wissensformen, Wertigkeiten und Vermittlungsstrategien der staatsbürgerlichen Konvention beruhend beschreiben.

7.4.2.1 Kognitionsbasierte, abstrakte Vermittlung

Die Lehrpersonen vermitteln Wissen im Kontrast zur FMS primär kognitionsbasiert und theoretisch-abstrakt. Damit valorisieren sie handlungspraktisch in hohem Masse Wertigkeiten der staatsbürgerlichen Konvention:

C’est l’attachement aux savoirs abstraits parce que ce qu’il y a de plus général [...] ce ne sont ni les personnes ni les objets, mais les concepts. […] L’école […] n’est pas de ce monde. Elle est du monde des idées […] «L’école prépare à la vie en tournant le dos à la vie».Footnote 44 (Château 1962, zit. nach Derouet 1992, S. 88, Herv. S.H.).

Der Vermittlung von theoretischen Konzepten und Modellen als zentralen Aspekten des disziplinären Wissenskanons kommt in allen drei Gymnasien hohe Bedeutung zu. Im Musikunterricht des Falls A gehört dazu etwa die musikalische Harmonielehre, der die Lehrpersonen in den beobachteten Unterrichtseinheiten viel Zeit widmeten (AB1; AB2). Die theoretischen Grundlagen der Harmonielehre wurden weder anschaulich-illustrativ noch mit lebensweltlichem Bezug oder durch Demonstration wie an der FMS vermittelt, sondern den Schüler*innen im Format theoriebasierter Arbeitsblätter ausgeteilt (Abb. 7.8).

Abb. 7.8
figure 8

(Quelle: eigene Aufnahme)

Arbeitsblatt Akkorde, SF Musik Gymnasium A.

Die Vermittlung und Aneignung des musiktheoretischen Wissens erfolgte kognitiv anspruchsvoll in Form eines Harmonie- oder Melodiediktats (AB1). Dabei spielte die Lehrperson am Klavier einen Akkord oder eine Melodie vor, welche die Schüler*innen anschließend in ein leeres Notenblatt eintragen sollten. Dabei verzichtete die Lehrperson auf erläuternde Erklärungen oder sonstige didaktische Hilfsmittel, wie sie beispielsweise die Musiklehrperson in der FMS A einsetzte. Diese wenig instrumentierte, staatsbürgerliche Art der Wissensvermittlung (Derouet 1992, S. 91) erfordert von den Schüler*innen, dass sie Musik bzw. die entsprechenden Akkorde und Harmonien nicht gefühlsbasiert, sondern kognitiv-analytisch wahrnehmen und schriftlich notieren.

Im Schwerpunktfach Bildnerisches Gestalten erwähnen die Lehrpersonen der Fälle A und BFootnote 45 einerseits die Notwendigkeit praktischen Handelns beim Erlernen und Ausüben gestalterischer Techniken, betonen andererseits aber die Bedeutung des Kognitiven bei der Wissensvermittlung und beim Wissenserwerb:

Du schaust Bilder an, vergleichst und kommst zu Erkenntnis. Über das Machen kommst du zu Erkenntnis. Das passiert anschaulich und handelnd oder. Es gibt dann schon auch rein abstrakte Denkvorgänge, Denkhandlungen aber eben mit dem Auge denkt man eigentlich. Eben das anschauliche Denken, oder. (Lehrperson, AI2, Herv. S.H.)

Der kognitiv-abstrakte Prozess des Betrachtens und Schlussfolgerns verweist einerseits auf Wertigkeiten der staatsbürgerlichen Konvention wie das abstrakte Denken in Theorien, Konzepten und Modellen (Derouet 1992), der Fokus auf die gestalterische Handlungspraxis andererseits auf häusliche Aspekte des konkreten Handwerks.

Dennoch zeigt sich, dass der Fokus in der Wissensvermittlung im Gymnasium A auch in den musisch-gestalterischen Fächern wesentlich auf kognitiven Prozessen liegt. Dabei positionieren die befragten Lehrpersonen die Wissenschaft als Bezugssystem, kritisieren eine Wahrnehmung der Schwerpunktfächer Musik und Bildnerisches Gestalten als PläuschlifachFootnote 46 (Spaßfach) und valorisieren die intellektuellen Ansprüche der jeweiligen Fachbereiche:

Und es zeigt eben, dass man auch denken muss. Das eben der wissenschaftliche Aspekt auch dabei ist. […] und das Fach Bildnerische Gestaltung hat eben SEHR intellektuelle Ansprüche. Also wenn man, ja, etwas versteht vom Fach […] wie die Musik auch. Also da wird ja tendenziell immer gesagt, das ist ein Pläuschlifach [Spaßfach, S.H.] oder, das ist ja so ein bisschen Muse, so etwas aus dem Bauch. Die Differenzierung zwischen Seidenmalen und Bildnerische Gestaltung im Gymnasium, die findet gesellschaftlich nicht statt oder. (Lehrperson, AI2, Herv. S.H.)

7.4.2.2 Aneignung von Wissen qua Deskription und Analyse

Ein weiteres Merkmal der Wissensvermittlung im musisch-pädagogischen Gymnasialprofil ist die Aneignung von Wissen qua präziser Deskription und Analyse, was ebenfalls auf kognitionsbasierte, theoretisch-abstrakte Vermittlungslogiken der staatsbürgerlichen Konvention verweist.

In der beobachteten Unterrichtseinheit im Fach Bildnerisches Gestalten des Gymnasiums A widmete die Lehrperson der differenzierten Analyse von Bildmaterial viel Zeit und Aufmerksamkeit. Sie leitete die Unterrichtsstunde damit ein, dass Schüler*innen Gemälde genau betrachten, bezüglich der zugrundeliegenden gestalterischen Techniken analysieren und mit dem jeweiligen historisch-gesellschaftlichen Entstehungskontext verknüpfen sollten (AB3). Dabei forderte die Lehrperson die Schüler*innen wiederholt dazu auf, nicht lediglich bei Gefühlseindrücken zu verweilen, sondern diese präzise in Sprache zu fassen und auf die dem Gemälde zugrundeliegenden Gestaltungstechniken zu schließen.

Während «Eindrücke» als gefühlsbasierte Art der Wahrnehmung eher der häuslichen oder inspirierten Konvention entsprechen, valorisierte die Lehrperson eine kognitiv-analytische Herangehensweise der präzisen Beobachtung und Beschreibung, welche Wertigkeiten der staatsbürgerlichen Konvention verwirklicht. Auch im Fall B forderte die Lehrperson des Schwerpunktfachs Bildnerisches Gestalten die Schüler*innen immer wieder und mit Nachdruck zu einer präzise(re)n Beschreibung und Analyse der eingeblendeten Bauwerke der Gotik und der Romanik sowie ihrer Einordnung in gesellschaftshistorische Kontexte auf.

Einen ähnlichen Auftrag der analytischen Beschreibung erhielten die Schüler*innen im Schwerpunktfach PPP des Gymnasiums B. Basierend auf der Lektüre eines psychologischen Klassikers erhielten die Schüler*innen den Auftrag, das betreffende psychologische Modell analytisch auf seine Kernaussagen zu reduzieren, diese grafisch auf einem A3-Blatt darzustellen und das Resultat anschließend im Plenum zu präsentieren (BB3). Im Anschluss an die Präsentation folgte eine gemeinsame Diskussion zentraler Unterschiede und Gemeinsamkeiten des besprochenen Modells mit einem bereits bekannten Modell. Im Anschluss führte die Lehrperson den Schüler*innen einen Film vor, dessen Inhalte die Schüler*innen anhand verschiedener theoretischer Dimensionen analysieren und Verknüpfungen zu den zuvor besprochenen theoretischen Modellen herstellen (ebd.) – und damit eine theoriegeleitete Analyse vollziehen – sollten.

Diese Wissensaneignung qua präziser Beschreibung und (theoriegeleiteter) Analyse stellt eine abstrakt-theoretische, kognitive Art der Vermittlung des je fachdisziplinären Wissens (savoir) dar. Sie valorisiert «das Kognitive» (Derouet 1989, S. 15) und betont Wertigkeiten der staatsbürgerlichen Konvention. Diese analytische Herangehensweise steht in starkem Kontrast zur illustrativ-lebensweltnahen, problem- und anwendungsorientierten Wissensvermittlung in der FMS.

7.4.2.3 Vorlesungsmodus

Ein weiteres Merkmal der gymnasialen Wissensvermittlung – welches sich im Fall B besonders ausgeprägt äußerte – ist der Vorlesungsmodus. Er stellt eine theoretisch-abstrakte, kognitionsbasierte Vermittlungsform der staatsbürgerlichen Konvention dar: «La pédagogie est donc, avant tout, celle des idées claires, et son instrument de prédilection est la parole»Footnote 47 (Derouet 1989, S. 22).

Besonders deutlich wurde der Kontrast zur FMS hierbei im Schwerpunktfach Bildnerisches Gestalten des Falls B, wo Schüler*innen sowohl der FMS als auch des Gymnasiums in den gleichen Räumlichkeiten unterrichtet werden. Während die Lehrperson die Unterrichtseinheit in der FMS direkt mit einem Arbeitsauftrag einleitete, beginnen die gymnasialen Schwerpunktfachlektionen laut Lehrperson jeweils mit einem «Theorieblock» (BI4). Dafür wird der vordere Teil des Raumes genutzt, in welchem Stühle vorlesungsmäßig aufgereiht sind (Abb. 7.9).

Abb. 7.9
figure 9

(Quelle: eigene Aufnahme)

Vorlesungsbestuhlung SF BG Gymnasium B.

Hier ist bereits durch die Art und Weise der Bestuhlung mit Blick auf die Lehrperson eine (Unterrichts-)situation so formatiert, dass sie eine abstrakt-theoretische, auf kognitiver Übertragung basierende Wissensvermittlung unterstützt. Mit dem Fehlen von Schreibtischen erschwert die Instrumentierung der Situation eine unmittelbare Mitschrift durch die Schüler*innen und befördert die staatsbürgerliche Logik der rein kognitiven Wissensübertragung «d’intelligence à intelligence»Footnote 48 (Derouet 1989, S. 23).

Ähnlich wie in einer universitären Vorlesung hielt die Lehrperson in der beobachteten Unterrichtseinheit einen Lehrvortrag über die Architekturströmung der Gotik und den entsprechenden gesellschaftshistorischen Kontext (BB2). Die Lehrperson illustrierte ihren Lehrvortrag zwar mit Bildern in Form einer PowerPoint-Präsentation und untermauerte ihre Ausführungen vereinzelt mit anschaulichen Beispielen («man lebte damals ohne Kanalisation, mit Schweinen in den Gassen») (BB2). Solche illustrativen Erläuterungen blieben allerdings marginal, und an ihre Stelle trat die Verwendung von disziplinärem Fachvokabular (siehe nachfolgendes Kapitel).

Auch im Schwerpunktfach Philosophie/Pädagogik/Psychologie eröffnete die Lehrperson die Unterrichtseinheit mit einem Lehrvortrag über zwei psychologischen Klassiker sowie deren theoretische Modelle (BB3). Nicht nur der Vorlesungsmodus und die Verwendung von Fachvokabular, sondern auch die Bemerkung «die beiden [psychologischen Theoretiker, S.H.] haben sich über Publikationen gekannt» (BB3) verweist mit dem Hinweis auf Publikationstätigkeit auf eine universitär-wissenschaftliche Logik im gymnasialen Unterricht.

7.4.2.4 Disziplinäres Fachvokabular zur Vermittlung und Bewertung

Die bisher rekonstruierte staatsbürgerliche, abstrakt-theoretische und kognitionsbasierte Vermittlungslogik äußerte sich in allen drei Gymnasien in einer ausgeprägten Verwendung von disziplinärem Fachvokabular, welches beispielsweise auch den Vorlesungsmodus unterstützte. Das disziplinäre Fachvokabular kann als staatsbürgerliches, kognitives Format der Kommunikation zwischen Lehrpersonen und Gymnasiast*innen interpretiert werden und tritt als primäres, kognitives Kommunikationsmittel an die Stelle der stärker körperlich-gestischen, objektgestützten Vermittlungsstrategien der FMS.

Im Gymnasium A fand das disziplinäre Fachvokabular im Musikunterricht durchgehend Verwendung, etwa bei der Erläuterung, was eine Synkope sei: «es ist ein rhythmisches Motiv, das gegen das Metrum geht» (AB2). Ebenso verwendete eine andere Musiklehrperson beim gemeinsamen Singen eines Liedes die Begriffe «Grundmotiv», «Septakkord» oder «al segno», und rief die Schüler*innen bei einer bevorstehenden Veränderung der Tonart zur Aufmerksamkeit: «Hier kommt eine überraschende Modulation!» (AB1). In der FMS A hingegen machte die Lehrperson die Schüler*innen beim gemeinsamen Singen eher alltagssprachlich und auf gefühlsbasierte Weise aufmerksam: «hier müsste es extrem energetisch abgehen!» (AB5).

Bei der gemeinsamen Besprechung einer musikalischen Übung lautete eine Antwort der Gymnasiallehrperson auf die Nachfrage einer Schülerin: «oft bewegt es sich im Oktavenbereich» (AB1), während die Musiklehrperson der FMS A einen Dreiklang am Klavier mit den Fingern demonstrierte und mit der Bemerkung «unten vier, oben drei» kommentierte (AB5).

Auch in den Fällen B und C war die Verwendung des disziplinären Fachvokabulars in allen Unterrichtsbeobachtungen auffällig, so etwa im Kunstunterricht im Fall B: «ihr habt das Tympanon kennengelernt […] es ist schon noch dem religiösen Bildprogramm unterworfen. Die liturgische Kultur ist im Gebäude erkennbar […] es geht auch um die religiöse Symbolik» (BB2). Dies steht in starkem Kontrast zum Unterricht in der FMS, wo die selbe Lehrperson etwa während dem Vorzeigen und Nachahmen von gestalterischen Techniken die Beschreibung «so…und so», «so halten», oder beim Feedback der Alltagssprache der Jugendlichen entsprechendes Vokabular wie «cool» verwendete (BB2). Im gymnasialen Schwerpunktfachunterricht verwendete die gleiche Lehrperson beim Feedback zur Arbeit einer Schülerin hingegen die Begriffe «Topografie», «Strichqualität», «Haptik» oder «proportionales Wahrnehmen» und griff damit auch in der individuellen Kommunikation auf disziplinenspezifisches Fachvokabular zurück.

Es lässt sich schlussfolgern, dass im musisch-pädagogischen Profi des Gymnasiums das disziplinäre Fachvokabular eine Art intellektuelle Fachsprache zwischen Schüler*innen und Lehrpersonen darstellt. Sie bringt einen «rapport analytique et dépersonnalisé, d’intelligence à intelligence»Footnote 49 (Derouet 1989, S. 23) zum Ausdruck und kann als Aspekt des disziplinären Wissenskanons und als kognitives Format der staatsbürgerlichen Konvention bezeichnet werden.

7.4.2.5 Der Text als Objekt der Wissensvermittlung

Die vorwiegend kognitionsbasierte Wissensvermittlung im Gymnasium steht in starkem Kontrast zur hohen Bedeutung von Objekten und Körperlichkeit in der FMS. Neben den für die musisch-künstlerischen Schwerpunktfächer essentiellen Objekten wie Malutensilien und Musikinstrumenten scheint vor allem der (wissenschaftliche) Text das zentrale Objekt der gymnasialen Wissensvermittlung zu sein. Dies etwa im Format enzyklopädischer Überblickswerke (als materieller Ausdruck des Bildungsziels des extensiven Überblickswissens) oder Texten zur vorbereitenden Lektüre für die Schüler*innen und als Grundlage für die Analyse und Gegenüberstellung theoretischer Modelle.

Im gymnasialen Unterricht ist es vor allem der (wissenschaftliche) Text, welcher das zu vermittelnde Wissen formatiert. Dies äußerte sich im Gymnasium A etwa in Form von im Bücherregal aufgereihten Enzyklopädien und Übersichtswerken zum Thema Musikgeschichte (siehe Bildungsinhalte disziplinärer Wissenskanon, Abschn. 7.3.3) oder über musikalische Formen wie die Sonate oder Fuge. Ebenso wurden die musikalischen Grundregeln und -techniken der Komposition nicht wie in der FMS A vorgezeigt oder körperlich erlebt, sondern in Textform formatiert und damit auf stärker kognitiv-abstrakte Weise vermittelt (siehe weiter oben Abb. 7.8).

Ähnliches gilt für das Fach Bildnerisches Gestalten, wo neben technischen Werkzeugen wie Stiften, Pinseln und Scheren vor allem Texte in Form von Überblickswerken über bedeutende Kunstschaffende und Stilrichtungen im Unterrichtszimmer anwesend waren. Im Fall B stellte die Lehrperson auf Basis dieser Überblickswerke ein 18-seitiges Dossier zur Epoche der Gotik zusammen, welches sie den Schüler*innen zur Prüfungsvorbereitung austeilte.

Auch im Schwerpunktfach Philosophie/Pädagogik/Psychologie des Falls B kommt dem Format des Texts eine bedeutende Rolle in der Wissensvermittlung zu. Die «eingehende Lektüre von ausgewählten Texten von Philosophen, Psychologen und Pädagogen» wird bereits im Lehrplan als wichtiger Teil der Wissensvermittlung valorisiert (BD16) und im Fach Philosophie stellt die «Lektüre philosophischer Texte» gar einen eigenen Themenbereich des Lehrplans dar (BD13): Er umfasst «den philosophischen Fragen und Texten in beharrlicher Analyse- und Denkarbeit nachgehen […] ausgewählte philosophische Texte selbstständig lesen, verstehen und kritisch interpretieren»; «Methoden der Textinterpretation» (BD13) und valorisiert damit eine textbasierte Weise der Wissensvermittlung und -aneignung.

Die entsprechende handlungspraktische Umsetzung zeigte sich in der beobachteten Unterrichtseinheit im Fach PPP. Die Schüler*innen eigneten sich das theoretische Modell eines psychologischen Klassikers einerseits über den zu Beginn der Unterrichtseinheit gehaltenen Lehrvortrag, andererseits über die Lektüre eines Originaltexts des betreffenden psychologischen Klassikers an. Dass die Schüler*innen den Text routiniert mit Leuchtmarkern und Stiften bearbeiteten deutet darauf hin, dass diese Art von Lektürearbeit im gymnasialen Unterricht zu einer üblichen Vermittlungspraktik gehört. Mit der Lektüre psychologischer Klassiker im OriginalFootnote 50, der hohen Bedeutung von Lektüre- und Textarbeit sowie dem Text an als bedeutendes Objekt der Wissensvermittlung werden ausgeprägt staatsbürgerliche Wertigkeiten der kognitiv-abstrakten Vermittlung sowie theoretische Modelle und Konzepte valorisiert (Derouet 1992, S. 88 f.).

Der Kontrast zur Wissensvermittlung in der FMS Pädagogik im Fall B besteht hier nicht primär in der Verwendung von textuell formatiertem Wissen an sich, sondern in der jeweiligen Textsorte. Während in der FMS beispielsweise ein Songtext, ein Zeitungsartikel sowie eine Fallbeschreibung psychologischer Störungen zum Einsatz kam, verweist die Lektüre diziplinenspezifischer Primärliteratur noch ausgeprägter auf staatsbürgerliche Wertigkeiten der abstrakt-theoretischen, kognitiven Vermittlung des disziplinären Wissenskanons.

Auch im Fall C stellt der Text das bedeutendste Objekt der (theoretisch-abstrakten) Vermittlung von Wissen dar:

[...] pour une classe de matu [Gymnasium, S.H.], partir plus d'un texte […] plus de concret avec la voie diplôme [FMS, S.H.] et un peu plus abstrait avec les maturités. […] j'aurais beaucoup plus tendance à/Nous avons un bon manuel et puis de façon plus abstraite en leur donnant de la lecture: «Voilà pour la semaine prochaine, voilà la lecture».Footnote 51 (Lehrpersonen Philosophie/Psychologie, CI3, Herv. S.H.)

Das Schulzimmer des Schwerpunktfachunterrichts Philosophie/Psychologie im Fall C erwies sich der staatsbürgerlichen Konvention entsprechend als «peu instrumentée»Footnote 52 (Derouet 1989, S. 22). Die einzigen anwesenden Objekte waren mehrere Bände des französischsprachigen Wörterbuchs «le petit robert», welche auf einem Nebentisch gestapelt (Abb. 7.10) sowie auch vereinzelt auf den Schreibpulten der Schüler*innen verteilt waren – woran sie sich nicht zu stören schienen (Abb. 7.11).

Abb. 7.10
figure 10

(Quelle: eigene Aufnahme)

Ausgaben des Wörterbuchs "le petit robert", SF PP Gymnasium C.

Abb. 7.11
figure 11

(Quelle: eigene Aufnahme)

Wörterbücher auf den Pulten im Unterricht SF PP Gymnasium C.

Obwohl sich diese Wörterbücher nicht auf die Fachbereiche Philosophie oder Psychologie beziehen, verweisen diese Objekte auf eine staatsbürgerliche, fachlich-disziplinäre Logik und Instrumentierung des Unterrichts, die sich primär kognitions- und textbasiert ausdrückt.

Ebenso erfolgte die Aneignung des theoretischen Modells des gleichen psychologischen Klassikers wie im Fall B während der beobachtenden Unterrichtsstunde über einen Artikel aus dem wissenschaftlichen Journal «Sciences Humaines» (CB).

Der (wissenschaftliche) Text als primäres Objekt der Wissensvermittlung ist Ausdruck einer disziplinär-wissenschaftlichen Logik, formatiert theoretische Konzepte und Modelle und ist die Grundlage einer kognitiv-abstrakten Art der Wissensvermittlung und -aneignung. Dies verweist auch im Fall C auf Wertigkeiten der staatsbürgerlichen Konvention, die im musisch-pädagogischen Gymnasialprofil von Lehrpersonen und Schüler*innen handlungspraktisch und gestützt auf Objekte valorisiert werden.

Erwähnenswert ist hierbei im Fall C, dass die Lehrpersonen vom Vorgehen berichten, Bildungsinhalte ausgehend von einem theoretischen Modell zu vermitteln und sich dann praktischen Beispielen anzunähern. Begründet wird dies mit einem Bedürfnis der Gymnasiast*innen nach praktischer Verankerung der vermittelten Theorien und Modelle (CI3). Gleichzeitig bringen die Lehrpersonen aber auch eine kritische Haltung gegenüber zu viel Praxis- und Lebensweltbezug im gymnasialen Unterricht zum Ausdruck:

Depuis, je ne sais pas, une quinzaine d'années, je trouve que les élèves ont toujours davantage besoin de cet ancrage pratique, de cet ancrage de LEUR vécu, c'est très important. Alors il ne faut pas non plus, je trouve, trop le nourrir, et moi c'est un petit peu ce qu'ai un peu de peine, je trouve, c'est que ça devient de plus en plus difficile de s'arracher de leur vécu. […] je trouve parfois que, on passe un peu trop de temps à parler de leur vécu.Footnote 53 (Lehrpersonen Philosophie/Psychologie, CI3, Herv. S.H.)

In dieser Kritik am Bedürfnis der Schüler*innen nach der Verknüpfung theoretisch-abstrakten Wissens mit lebensweltlichen Bezügen valorisiert die Lehrperson Wertigkeiten der staatsbürgerlichen Konvention:

L'école, en quelque sorte, n'est pas de ce monde. Elle est du monde des idées, […] L'univers de l'expérience et celui des Idées sont incompatibles, et ce n'est pas en s'appuyant sur le premier que le maitre pourra faire accéder les enfants au second. «L'école prépare à la vie en tournant le dos à la vie» disait Jean Chateau (1962).Footnote 54 (Derouet 1992, S. 88)

Praxis- und Lebensweltbezug wird von den interviewten Gymnasiallehrpersonen des Falls C also ambivalent oder gar kritisch beurteilt. Es ist davon auszugehen, dass im schulischen Alltag aufgrund des großen und heterogen zusammengesetzten Lehrkörpers im Fall C verschiedene Lehrpersonen mit diesem Dilemma handlungspraktisch unterschiedlich umgehen oder es unterschiedlich wahrnehmen.

Im beobachteten Psychologieunterricht des Falls C wurde der Widerspruch zwischen einer theoretisch-abstrakten und einer illustrativ-anschaulichen Vermittlungsweise im Format eines Schüler*innen-Referats aufgehoben. In diesem Referat präsentierten die Schüler*innen einerseits unter Verwendung von disziplinären Fachtermini jeweils einzelne Aspekte des betreffenden theoretischen Modells. Sie wurden aber per schriftlichem Vorbereitungsauftrag von der Lehrperson dazu aufgefordert, ihre Ausführungen mit anschaulichen Beispielen zu ergänzen und mit Videobeiträgen zu unterstützen (CD16). So wurde im Rahmen dieser Referate ein Kompromiss zwischen staatsbürgerlichen und häuslichen Bildungsstrategien handlungspraktisch umgesetzt.

Die Lehrperson löste das Spannungsfeld durch das Heranziehen von konkreten Beispielen aus wissenschaftlichen Experimenten zur Erläuterung der theoretischen Konzepte. Damit – so lässt sich interpretieren – wird selbst bei einer anschaulich-konkreten Wissensvermittlung nicht die häusliche Vermittlungspraxis der Verankerung von Bildungsinhalten in der Lebenswelt der Schüler*innen umgesetzt. Vielmehr wird erneut die dem Schwerpunktfach zugrundeliegende wissenschaftliche Disziplin als zentrales Bezugssystem positioniert.

7.4.2.6 Schulische Beziehungen und die Rolle der Lehrperson

Die hohe Bedeutung staatsbürgerlicher Wertigkeiten in der Wissensvermittlung der untersuchten Gymnasien widerspiegelt sich auch hier in der Rolle und Funktion der Lehrperson. Wie gezeigt wurde, wird in der FMS die Lehrperson ausgeprägt aufgrund ihrer charakterlichen und sozialen Fähigkeiten beurteilt. In der FMS A wird hierbei sogar der gesamten schulischen Gemeinschaft ein Mitspracherecht im Einstellungsverfahren eingeräumt. Im Kontrast dazu lässt sich die Rolle und Funktion der Lehrperson im musisch-pädagogischen Gymnasialprofil im Kern – am stärksten jedoch im Fall A – als Verkörperung ihrer jeweiligen Disziplin charakterisieren: «Wir sind ja/wir stehen ja für die Fächer oder. […] B4: Wir verkörpern das ja. […], also das ist eine Lebenseinstellung» (Lehrperson, AI2).

Als Verkörperung ihrer jeweiligen Disziplin valorisieren und konstruieren sich die Gymnasiallehrpersonen aus konventionentheoretischer Perspektive nicht primär als Lehrperson der betreffenden Schule als Gemeinschaft, sondern «en tant qu'ils incarnent un intérêt ou une valeur générale»Footnote 55 (Derouet 1992, S. 87). Damit sind sie Zugehörige zur disziplinären Gemeinschaft, wie sie in der staatsbürgerlichen Konvention von Bedeutung ist:

Les professeurs tirent leur légitimité de l’appartenance à cette communauté disciplinaire délocalisée et sont contrôlés par une instance lointaine qui exprime cette communauté.Footnote 56 (Derouet 1989 S. 21).

Auch in den beobachteten Unterrichtseinheiten zeigten sich die Lehrpersonen weniger um didaktische Vermittlungstechniken bekümmert, sondern als Verkörperung einer disziplinären Expertise. In dieser Rolle kommt der Lehrperson im Austausch mit den Gymnasiast*innen primär die Funktion der Klärung von Fragen und Unklarheiten zu, und sie übernimmt wenig erzieherische Funktionen wie in der FMS. Die Lehrpersonen des Gymnasiums A grenzen sich gegenüber einer Konstruktion der Lehrperson als «Didaktikerin», wie sie in der industriellen Konvention valorisiert werden würde, sogar explizit ab:

[…] war für mich klar, ich will NICHT mehr fachdidaktisch arbeiten. […] Und das war dann für mich der Entscheid, ins Gymnasium zu gehen. Wegen der Kunstgeschichte zum Beispiel auch. Ja, also das war dann der Entscheid, Kunstgeschichte und keine didaktische Ausrichtung mehr, das findet im Gymnasium statt. (Lehrperson, AI2, Herv. S.H.)

Die befragten Gymnasiast*innen valorisieren und evaluieren ihre Lehrpersonen einerseits auf der Basis des industriellen Wertigkeitsmaßstabs bezüglich ihrer Fachkompetenz (AI13) und ihrer didaktischen Fähigkeiten: «il doit savoir transmettre ce qu’il a à transmettre, ce qu’il a à enseigner»Footnote 57 (CI7).

In allen drei untersuchten Fällen umfasst die Rolle der Lehrperson aber auch diejenige der ‘Meisterin’ ihres Fachs, der die Gymnasiast*innen auf der Bewertungsgrundlage der inspirierten Konvention Größe zuschreiben. Die Schüler*innen valorisieren Lehrpersonen ausgeprägt aufgrund von Eigenschaften wie Leidenschaft und Begeisterung für ihre Fachdisziplin, und charakterisieren eine Lehrperson von Größe als jemand, «qui met du cœur à l’ouvrage»Footnote 58 und «qui est passionné par ce qu’il fait surtout»Footnote 59 (CI6):

Ich merke halt, wenn ich den Lehrer als mega fasziniert von seinem Thema wahrnehme, dann interessiert es mich nachher irgendwie AUCH mehr. [...] Ich finde es eben auch schön, wenn man so bei den Lehrpersonen merkt, ja, sie ist voll in ihrem Element und so. (Schüler*innen Gymnasium, AI3).

Eine Lehrperson von Größe wird als leidenschaftlich, als «brillante Persönlichkeit», als «ambitioniert, und LEBT für das [Fach, S.H.]» charakterisiert: «Ich finde die Leidenschaft ist EXTREM wichtig. [B1: Unbedingt.] Wirklich extrem wichtig» (BI6). Eine leidenschaftliche Lehrperson empfinden die Gymnasiast*innen als ansteckend und inspirierend – die Abwesenheit von Leidenschaft wird kritisiert und die Größe der entsprechenden Lehrperson relativiert: «er zeigt seine Leidenschaft wie nicht» (BI6). Bisweilen drückt sich die Valorisierung der Lehrperson als leidenschaftlich-inspirierte Könnerin ihres Fachs auch in einer Art Bewunderung aus. Über die Lehrperson im Fach Musik sagen Gymnasiast*innen im Fall B: «wir alle bewundern ihn wirklich» (BI7) und valorisieren damit Wertigkeiten der inspirierten Konvention.

Sowohl Schüler*innen als auch Lehrpersonen interpretieren die Rolle und Funktion der Lehrperson also primär als Verkörperung einer disziplinären Fachexpertise als Ausdruck einerseits staatsbürgerlicher (Verkörperung einer Disziplin), andererseits industrieller (Fachexpertin, Fachkompetenz, didaktische Fähigkeiten) und inspirierter (Leidenschaft, Begeisterung) Wertigkeiten.

Häusliche Wertigkeiten der persönlichen Beziehung und Nähe werden von den befragten Akteur*innen entweder nicht erwähnt oder gar kritisiert. Eine Gymnasiastin des Falls A hat sich am Ende der obligatorischen Schulzeit nicht nur über das Gymnasium, sondern auch über die FMS informiert. Die an der FMS A valorisierte und durch das Format der «Du-Kultur» gestützte persönlich-emotionale Beziehungslogik zwischen Schüler*innen und Lehrpersonen beurteilt sie kritisch: «Also ich fand es nur schon mega komisch [an der FMS, S.H.], dass man die Lehrer duzt» (Schüler*innen, AI3, Herv. S.H.). Auch am Gymnasium B kritisieren die Schüler*innen eine zu persönliche Beziehung zu den Lehrpersonen:

Also wir haben zum Teil Lehrer, die sich verhalten wie Schüler. […] Also, sie verhalten sich so extrem kollegial mit uns. Und ich finde, da verliert der Unterricht so ein bisschen an [...] ja, ich habe einfach weniger von diesem Unterricht. […] (Schüler*innen, BI6, Herv. S.H.)

Eine derartige Kritik lässt die zugrundeliegende Bewertungsgrundlage der staatsbürgerlichen Konvention vermuten, welche Beziehungslogiken der Unpersönlichkeit, Neutralität und Distanz (Derouet 1992, S. 90) zwischen Schüler*innen und Lehrpersonen valorisiert. Dies äußerte sich handlungspraktisch und beobachtbar darin, dass im Kontrast zur FMS A während den beobachteten Unterrichtseinheiten keine informellen oder das Privatleben betreffende Gespräche zwischen Lehrpersonen und Schüler*innen zu beobachten waren, und die Gymnasiast*innen aller drei Fällen in den Unterrichtspausen jeweils zügig den Unterrichtsraum verließen.Footnote 60

7.5 Leidenschaftliche Pädagog*innen vs. leidenschaftliche Mittelschüler*innen

Im folgenden Kapitel werden die Fachmittelschüler*innen sowie die Gymnasiast*innen der untersuchten beiden Profile entlang einiger Dimensionen charakterisiert, die sich für die Forschungsfrage nach der (unterschiedlichen) Bedeutung der beiden Profile für die Ausbildung zur Primarlehrperson als bedeutsam erweisen. Dies sind einerseits Haltungen, Interessen und Motivationen, andererseits Eigen- und Fremdzuschreibungen bezüglich Leistungsbereitschaft und Leistungsfähigkeit. Insbesondere die letztgenannten beiden Aspekte sind im Zusammenhang mit der PH als Abnehmerinstitution relevant.

7.5.1 Schüler*innen der FMS Pädagogik

An allen drei untersuchten FMS wird Fachmittelschüler*innen des Profils Pädagogik aufgrund von Eigenschaften, Interessen und Motivationen Größe zugeschrieben, die Wertigkeiten der häuslichen Konvention darstellen. Besonders ausgeprägt ist dies im Fall A, bei dem sich auch in anderen Dimensionen die häusliche Konvention bereits als primäre Bewertungslogik erwiesen hatte.

7.5.1.1 Breite Interessen und work-life-balance

So valorisieren die Lehrpersonen des Falls A eine Balance zwischen schulischen und außerschulischen Interessen und Aktivitäten («ich finde, Jugendliche MÜSSEN in den AusgangFootnote 61» (AI8)) und in der Folge auch Schüler*innen, welche diese Balance ausleben und Zeit in ihre Hobbies und ihr Privatleben investieren:

Also eine Schülerin hat mir gesagt sie muss einfach jeden Tag zwei Stunden lesen, Literatur, und das könne sie am Gymnasium so nicht machen, darum würde sie die FMS machen (lachen) da habe ich gefunden: «OK». Also ich meine, wow. Eine andere sagt: «Ich schreibe. (..) Ich schreibe Bücher». (lacht) Gut ja, also/ (..) eben, wenn das SO ist [...] und ich eigentlich ein Mensch bin mit einer hohen Eigenmotivation, im Sinn, ich mache für mich SELBER gerne/autodidaktisch mir einen Raum erobern. Das Gymi [Gymnasium, S.H.] stört mich fast dabei, oder. Dann denke ich: «ja, dann bist du vielleicht ganz gut aufgehoben in der FMS.» (Lehrperson Bildnerisches Gestalten, BI4, Herv. S.H.)

Sowohl Lehrpersonen als auch Fachmittelschüler*innen valorisieren das häusliche Prinzip der Kontinuität zwischen Schule und Privatleben, «qui justifie l’école d’abord, par le bonheur, à l’école et après l’école»Footnote 62 (Derouet 1989, S. 24). Manche Jugendliche können zwar für den Übertritt ins Gymnasium genügende Leistungen vorweisen, entscheiden sich aber deswegen für die FMS, weil sie hier weniger Zeit ins Lernen investieren müssen und mehr Zeit für Hobbies haben:

Da habe ich gefunden, ja, keine Ahnung, ich will eigentlich schon noch etwas Freizeit und so. Und war dann eben halt schauen [Schnuppern am Gymnasium, S.H.], und viele haben auch gesagt, es sei mega streng und sie seien wirklich sehr viel am Lernen und so. (Schüler*innen, AI9, Herv. S.H.)

Dieses breite Interessen- und Tätigkeitsprofil schreiben die Lehrpersonen den Fachmittelschüler*innen zu und valorisieren es mit Verweis auf die Tätigkeit der Primarlehrperson als Generalistin:

[…] unsere haben MEHR Zeit, oder investieren mehr Zeit in ihre Hobbys, die FMSler. […] Aber ich finde das nicht mal schlecht. Also irgendwie, dass FMS-Schülerinnen und -schüler auch zukünftige Lehrpersonen werden/die zukünftige Lehrpersonen werden möchten, und auch in anderen Fächern, dass sie eben, so breit gefächert sind, auch in ihren Interessen und so. (Lehrperson Psychologie, AI6, Herv. S.H.)

Im Fall C bezieht sich das breit gefächerte Interesse der Fachmittelschüler*innen stärker auf einen schulischen Kontext und sie valorisieren die fachliche Breite des (sozial-)pädagogischen FMS-Profils:

B3: On a plusieurs branches, par exemple la culture antique […] que pas beaucoup d'autres classes ont, et je trouve que c'est aussi intéressant pour tout comprendre, parce que c'est lié à l'histoire, au français, et puis, là je trouve que ça c'est intéressant. […] B1: […] on n'est pas spécialisé dans une seule option, enfin dans une seule branche ou comme ça. On voit un peu tout, on apprend tout.Footnote 63 (CI5, Herv. S.H.)

Wie im Kapitel zu den Bildungszielen gezeigt wurde, wird diese fachliche Breite zwar einerseits aufgrund ihrer berufsvorbereitenden Funktion für den Primarlehrberuf, gleichzeitig aber auch als zweckfreie Allgemeinbildung in einem humboldtschen Sinne und damit auf Basis von Wertigkeiten der staatsbürgerlichen Konvention valorisiert.

Mit dieser fachlichen Breite und im Vergleich zu anderen Profilen weniger beruflich spezialisierten Fächerpalette erlaubt das (sozial-)pädagogische Profil im Fall C einerseits solchen Schüler*innen die Verwirklichung ihres gewünschten Bildungswegs, welche das Berufsziel (Primar-)lehrperson verfolgen und die breite Allgemeinbildung dieses Profils als «das Pädagogische» valorisieren (siehe Abschn. 7.2.1.2). Andererseits bietet das Profil auch denjenigen Schüler*innen einen Bildungsweg, welche noch keine klaren Berufswünsche haben, den Berufswunsch Lehrperson im Anschluss an das Berufspraktikum verworfen haben (siehe Abschn. 7.3.2.1) oder sich beruflich noch möglichst wenig festlegen möchten.

7.5.1.2 Zwischenmenschliche Fähigkeiten

In allen drei untersuchten Fällen werden den Fachmittelschüler*innen des pädagogischen Profils zwischenmenschlich-soziale Fähigkeiten, «Stärken im Umgang mit Menschen» (AI6; BI2), Warmherzigkeit, «Sozialkompetenzen» und «kommunikative Fähigkeiten» zugeschrieben. Der Begriff der «Kompetenz» verweist hier als Ausdruck der technischen Beherrschung eines savoir-faire auf die Bewertungsgrundlage der industriellen Konvention. Bei der FMS A kann dies insbesondere im Zusammenhang mit der stark funktional gedeuteten Vorbereitungslogik der FMS Pädagogik bezüglich Primarlehrberuf gedeutet werden. Die Schulleitung beschreibt den Lehrberuf als einen Beruf, für den es «gute Sozialkompetenzen BRAUCHT» (AI4).

Die zwischenmenschlich-sozialen Fähigkeiten, die alle schulischen Akteur*innen den Fachmittelschüler*innen zuschreiben, werden aber primär auf der Bewertungsgrundlage der häuslichen Konvention im Hinblick auf das Gemeinwohl der schulischen Gemeinschaft und aufgrund von Wertigkeiten wie gegenseitiger Sympathie, Mitgefühl und menschlicher Wärme valorisiert, wie folgende Aussage einer Lehrperson exemplarisch verdeutlicht:

J’ai peut-être eu de la chance, mais les trois classes [der FMS, S.H.] que j'ai eu à la suite, elles étaient super, vraiment. [...] ils sont sympathiques, quoi, […] on sent qu'ils ont envie d'être en relation avec toi.Footnote 64 (Lehrpersonen Musik und Bildende Kunst, CI2, Herv. S.H.)

Diese Valorisierung häuslicher Wertigkeiten ist wiederum an der FMS A am ausgeprägtesten, lässt sich aber auch für die Fälle B und C rekonstruieren. Die Fachmittelschüler*innen werden nicht nur aufgrund ihrer «persönlichen» (BI3, BI2) Beziehung zur Lehrperson valorisiert, sondern auch im Hinblick auf den Umgang miteinander:

Mobbing ist bei uns kein Thema. Es ist sehr viel Verständnis da, wenn jetzt eine Kollegin in der Klasse irgendein psychisches Problem hat. Oder man tröstet einander, wenn irgendeine Liebe auseinandergeht, oder sowas. Es ist sehr viel menschliche Wärme da. (Schulleitung, AI4)

In allen drei FMS war – geschlechterübergreifend – ein auffallend freundschaftlicher, respektvoller und wertschätzender Umgang der Fachmittelschüler*innen untereinander zu beobachten. Zudem machte es den Eindruck, als suchten sie verstärkt den Kontakt und Austausch mit allen Klassenmitgliedern, während sich die Gymnasiast*innen eher in geschlossenen Gruppen von zwei oder drei Personen austauschten. Im Weiteren war – am stärksten im Fall A – eine ausgeprägte körperlich-zwischenmenschliche Nähe der Fachmittelschüler*innen untereinander in Form von Gesten der Zueignung (Streicheln, Küsse, Umarmungen) zu beobachten.

7.5.1.3 Pädagogisch-soziale Interessen

In allen drei Fällen werden den Fachmittelschüler*innen des pädagogischen Profils – in unterschiedlichem Ausmaß – pädagogische-soziale Interessen zugeschrieben, die sie auch selbst zum Ausdruck bringen:

Kindern etwas beizubringen. […] ich finde es schön, wenn man ihnen etwas mitgeben kann, das sie auch später brauchen können. […] Und auch dass irgendwie/so dass man eine Bezugsperson für sie ist. [...] Ich finde es einfach schön, wenn man jemandem so ein bisschen weiterhelfen kann. […] die Kinder sind einfach so dankbar, für was du machst. […] Ich finde, es gibt einem noch viel. Und man kann anderen so helfen. (Schüler*innen FMS, BI5)

Mit den Kindern arbeiten, das, den Kindern etwas beibringen und so. […] das so ihnen beibringen, etwas Neues zu lernen und so, mit ihnen zu arbeiten [...] einfach dieses «etwas weitergeben», dieses, jemanden auf dem Weg so ein bisschen begleiten. (Schüler*innen FMS, AI10).

Diese pädagogisch-sozialen Interessen der Fachmittelschüler*innen, welche sich im Kern auf Aspekte wie «etwas beibringen», «helfen», «mit Kindern arbeiten», «jemanden weiterbringen» beziehen, fundieren als (erzieherische, soziale) Wertigkeiten der häuslichen Konvention wesentlich die Motivation für ihr Berufsziel Primarlehrperson. Dabei grenzen sich die Schüler*innen im Fall A von einer Vorstellung des bloßen «Spielens» mit Kindern ab und äußern explizit den Wunsch, mit Kindern pädagogisch-didaktisch zu arbeiten und nicht lediglich Kindergarten- sondern auf Primarstufe unterrichten zu können:

Obwohl ich so kleine Kinder mega herzig finde und mega cool finde mit ihnen zu spielen und so. Ich kann ihnen nichts so wie Mathe oder Lesen beibringen. […] So Dreiecke beibringen oder wie man so ein wenig den Stift hält, das ist mir wie so ein bisschen zu wenig anspruchsvoll auch für mich selber. Ich will mit diesen Kindern, so, arbeiten können, ich will ihnen so zeigen, wie man ein Buch lesen kann, wie man Rechnungsaufgaben lösen kann. (Schüler*innen, AI10, Herv. S.H.)

Diese pädagogischen Interessen zeigen sich auch darin, dass viele Schüler*innen des FMS-Profils Pädagogik bereits Praxiserfahrungen im pädagogischen Bereich gesammelt haben, beispielsweise als Leitungsperson in Tanzgruppen, Kinder- und Jugendvereinen oder im Rahmen von Nachhilfeunterricht mit Primarschulkindern, Freunden oder Familienmitgliedern.

Diese Interessen im pädagogisch-sozialen Bereich drücken sich im Fall A ausgeprägt und in den Fällen B und C teilweise im expliziten Berufswunsch (Primar-)lehrperson aus. Dieser Berufswunsch wird in den meisten Fällen als «schon immer», «seit eh und je» oder «depuis tout petite» (AI9; AI10; CI5) vorhanden beschrieben und kann im Sinne einer inneren Gewissheit oder Berufung als Wertigkeit der inspirierten Konvention interpretiert werden. In welchem kausalen Zusammenhang hier der Berufswunsch Primarlehrperson, die pädagogischen Praxiserfahrungen und die pädagogisch-sozialen Interessen stehen, kann an dieser Stelle nicht geklärt werden.

Sofern der Berufswunsch Primarlehrperson bei den befragten Fachmittelschüler*innen vorhanden ist, wird dieser durch das obligatorische Berufsfeldpraktikum als häusliches Format der Bildung (learning by doing, konkrete Berufspraxis als Lehrperson) verstärkt: «ich habe dort so richtig gemerkt, das will ich später MACHEN» (AI10). Im Fall A führt das Berufsfeldpraktikum sogar bei den meisten Schüler*innen zur Klärung der Zielstufe, auf der sie zukünftig unterrichten möchten (etwa Kindergarten- Primar- oder Sekundarlehrperson).

Wie in Abschn. 7.2.1.2 erwähnt, ist ein Bildungsziel der FMS A im Hinblick auf die Vorbereitung auf den Lehrberuf die Entwicklung einer Berufsidentität und das Erleben einer gewissen Berufssozialisation schon in der FMS. Dieses Bildungsziel der Vorbereitung auf den Primarlehrberuf, welches sich wie gezeigt wurde auch in anderen Dimensionen wie etwa den Bildungsinhalten und der Wissensvermittlung äußert, führt zu einer entsprechenden Fremd- und Selbstwahrnehmung der Fachmittelschüler*innen.

Die Lehrpersonen der FMS A bezeichnen die Schüler*innen des Profils Pädagogik in den Interviews wiederholt als «die Pädagogen». Die Schüler*innen übernehmen diese Klassifizierung als zukünftige Lehrperson, bezeichnen sich selbst als «wir Pädagog*innen» und valorisieren die von der Schulleitung als «Berufssozialisation» (siehe Abschn. 7.2.1.2) bezeichnete Einbettung in eine Peer-Group mit gleichen Interessen und Zielen:

[…] früher, wenn du gesagt hast: «ich will Lehrerin werden», ist so ein wenig gewesen, «sicher nur wegen den vielen Ferien», oder irgendwie so (lacht), keine Ahnung. «Ja, dann viel Spaß mit den kleinen Goofen [ungezogenes Kind, Balg, S.H.]» oder so. Und hier ist so ein bisschen/da sind so alle in einem Boot. Also wir haben so dieselben Interessen.» (Schüler*innen, AI10)

Die in der FMS A angestrebte Entwicklung einer «Berufsidentität» wird also einerseits durch die Lehrpersonen und ihr Ansprechen der Schüler*innen als zukünftige Lehrpersonen, andererseits durch die Schüler*innen und ihre Selbstbeschreibung und -wahrnehmung als «Pädagog*innen» valorisiert und handlungspraktisch verwirklicht.

Während der Berufswunsch (Primar-)lehrperson für die Fachmittelschüler*innen des Falls A das primäre Motiv bei der Wahl des pädagogischen FMS-Profils darstellt, valorisieren die interviewten Schüler*innen der Fälle B und C durchaus auch die Palette profilspezifischer Fächer als ausschlaggebend für ihre Entscheidung für das pädagogische FMS-Profil.

Im Fall C haben die männlichen unter den befragten Jugendlichen das pädagogische FMS-Profil deswegen gewählt, weil ihnen die anderen FMS-Profile nicht zugesagt oder schon zu sehr beruflich spezialisiert waren. Dennoch stellt der Lehrberuf eine Option dar, die sich die betreffenden Fachmittelschüler zumindest vorstellen können («et l’enseignement ça m’intéressait un peu»; «devenir enseignant, c’est aussi quelque chose d’envisageable pour moi»Footnote 65 (CI4)).

Zudem valorisieren sie das (sozial-)pädagogische Profil aufgrund seiner allgemeinbildenden Ausrichtung als eines, welches ihnen «ouvre des portes aussi»Footnote 66 (CI4). Dennoch können und wollen sich noch nicht entscheiden, ob sie überhaupt die Fachmaturität Pädagogik absolvieren wollen, ob sie gegebenenfalls nach einem Studium an der PH oder an einer Universität weiterstudieren möchten, oder welche beruflichen Bereiche sie anderweitig interessieren könnten:

Je vais toujours donner ce que je peux faire, et voir après par la suite, ce qui m'intéresse. […] je n'ai jamais eu de plan déterminé, dans ma vie professionnelle. Je suis toujours allé vers ce qui me plaisait et donné le mieux que je peux, et voir après ce qu'il en est, quoi, aller au bon feeling. Franchement, je n'ai pas vraiment de plan déterminé.Footnote 67 (CI4, Herv. S.H.)

Hier zeigt sich erneut, dass im Fall C das (sozial-)pädagogische FMS-Profil mit der Konstruktion der Allgemeinbildung als «das Pädagogische» einerseits pädagogisch-sozial interessierten Jugendlichen mit Berufswunsch Lehrperson einen Weg zur generalistisch ausgebildeten Primarlehrperson respektive zur entsprechenden Ausbildung an der PH bietet. Als unspezialisierte, zweckfreie Allgemeinbildung stellt das Profil andererseits aber auch einen Bildungsweg für diejenigen Jugendlichen dar, die sich beruflich noch nicht spezialisieren möchten und denen andere FMS-Profile bereits zu stark beruflich orientiert sind.

7.5.1.4 Leistungsfähigkeit und -bereitschaft

Beim Sprechen über und bei der Bewertung von Fachmittelschüler*innen stützen sich Lehrpersonen nicht nur auf häusliche Wertigkeiten wie soziale Fähigkeiten und zwischenmenschliche Wärme, sondern auch auf das Kriterium der schulisch-kognitiven Leistungsfähigkeit als Ausdruck industrieller Wertigkeiten. Dabei ziehen sie häufig Gymnasiast*innen als Vergleichsfolie heran und schreiben Fachmittelschüler*innen im Vergleich zu diesen weniger Größe zu. So wird ein Teil der Schüler*innen als «halt kognitiv WIRKLICH am Anschlag» beschrieben (Lehrperson FMS, AI8.).

Hierbei fällt auf, dass im Fall A sowohl Schulleitung als auch Lehrpersonen eine defizitorientierte Sichtweise im Sinne einer expliziten Kritik und damit einer direkten Aberkennung von Größe zu vermeiden scheinen und «andere» Aspekte valorisierend hervorheben:

UNSERE Jugendlichen haben nicht WENIGER. Aber sie haben ein anderes/ ein anderes Befähigungsprofil, also sie sind wirklich STARK im Sozialen, im/ auch in der Selbstkompetenz zum Teil, und (..) gewisse sind kognitiv gleich stark wie die Gymnasiasten, und andere MÜSSEN mehr investieren, um den gleichen Level zu erreichen, aber sie machen auch die gleichen internationalen Sprachdiplome, die SCHAFFEN das. (Schulleitung, AI4, Herv. S.H.)

[…] und das ist ja nicht, weil sie dümmer sind, sage ich jetzt einmal. Sondern es ist einfach, weil sie einen anderen Zugang haben [...]» (Lehrperson Musik, AI7, Herv. S.H.)

Lehrpersonen und Schulleitung des Falls A relativieren den industriellen Bewertungsmaßstab der schulischen Leistungsfähigkeit durch das gleichzeitige Hervorheben und Valorisieren «anderer» Wertigkeiten – so etwa sozialen Fähigkeiten als Wertigkeiten der häuslichen Konvention. Die Lehrpersonen entscheiden sich dafür, die Fachmittelschüler*innen nicht schlechter zu benoten, sondern die schulischen Leistungsanforderungen anzupassen und «ein Stück weniger anspruchsvoll» und «ein Stück vereinfacht» zu unterrichten (AI8).

Diese Relativierung ist möglicherweise darauf zurückzuführen, dass die FMS A in einem schulischen Brückenangebot wurzelt, (siehe Abschn. 7.1.1.1), als traditionell reformpädagogisch geprägt beschrieben wird (AI4), organisatorisch eigenständig geführt wird und nicht an ein Gymnasium angegliedert ist. Die Akteur*innen der FMS sind damit nicht permanent (räumlich, personell und strukturell) dem gymnasialen Leistungsmaßstab ausgesetzt und können sich damit bei der Valorisierung der Fachmittelschüler*innen freier auf häusliche Wertigkeiten als legitimen Bewertungsmaßstab stützen.

Anders stellt sich dies im Fall B dar, wo FMS und Gymnasium organisatorisch gemeinsam geführt werden. Hier wird die ausgeprägte Leistungs- und Wettbewerbsorientierung der Schule B respektive der industrielle Wertigkeitsmaßstab der schulisch-kognitiven Leistung zu einer bedeutenden Bewertungsgrundlage für beide Schultypen. Wie die Daten zeigen, durchzieht diese Leistungsorientierung die Schule B in hohem Masse und manifestiert sich sowohl in Interviewaussagen verschiedener schulischer Akteur*innenFootnote 68, der Selbstdarstellung im Internet (Gymnasium als «Leistungsschule», FMS als Schule für «leistungswillige Jugendliche» (BD18)) und in den Medien als «Highclass-KantiFootnote 69» (BD19) ebenso wie in der extensiven Teilnahme an Leistungswettbewerben und der Valorisierung der entsprechenden Preisträger*innen.

Allerdings werden nicht nur die Gymnasiast*innen, sondern auch die Fachmittelschüler*innen an der gymnasialen Leistungslogik und -erwartung bzw. am Wertigkeitsmaßstab der industriellen Konvention gemessen, mit dem sich die Schule B profiliert. Auf dieser Basis schreiben die Lehrpersonen den Fachmittelschüler*innen weniger Größe bezüglich kognitiver Leistungsfähigkeit zu als den Gymnasiast*innen:

Wenn man das geistige, sozusagen das kognitive, schulische Potenzial ansieht, merkt man einfach gewisse Unterschiede. […] wenn ich den Durchschnitt an einem Gymnasium betrachte […] der Lernprozess ist schneller und ich kann schneller auch mal ein Buch, das ein wenig schwieriger ist/ sie können besser damit umgehen. (Lehrperson Psychologie/Pädagogik, BI3, Herv. S.H.)

Begründet wird diese unterschiedliche schulische Leistungsfähigkeit von Gymnasiast*innen und Fachmittelschüler*innen mit den unterschiedlichen Eintrittsbedingungen in den jeweiligen Schultyp. Für den Eintritt in die FMS ist ein niedrigerer Notendurchschnitt aus der vorhergehenden Schulstufe der Sekundarstufe I nötig als für den Eintritt ins Gymnasium. Aus konventionentheoretischer Perspektive kann dadurch eine (Be-)wertung und Wahrnehmung der Fachmittelschüler*innen als kognitiv weniger leistungsfähig als von Beginn an vorformatiert bezeichnet werden, was sich in entsprechenden Aussagen widerspiegelt: «Grundsätzlich sind sie schon ein bisschen schlechter, das ist logisch» (Schulleitung FMS, BI2):

Also für die FMS brauchst du eine [Note, S.H], das heißt, die sind ein bisschen dümmer, und die Kanti braucht eine [Note, S.H], das sind so ein bisschen die Gescheiteren. Und die FMS sind so ein bisschen die, die einfach den Kanti-Schnitt [Notenschnitt fürs Gymnasium, S.H.] nicht geschafft haben. (Schüler*innen Gymnasium, BI7)

Diese Devaluation von Fachmittelschüler*innen auf der Grundlage der industriellen Bewertungslogik der schulischen Leistungsfähigkeit stützen nicht nur die Gymnasiast*innen, sondern auch die Schulleitung sowie laut Schüler*innen auch manche Lehrpersonen, die sie «unter Druck setzen» und mit den Gymnasiast*innen vergleichen würden (BI5).

Während die schulischen Akteur*innen im Fall A Kritik an der kognitiven Leistungsfähigkeit der Fachmittelschüler*innen durch ein gleichzeitiges Hervorheben sozialer und «anderer» Fähigkeiten relativieren (siehe oben), scheinen die Fachmittelschüler*innen im Fall B expliziten Abwertungsprozessen bzw. einer Devalorisierung auf dem Wertigkeitsmaßstab der industriellen Konvention ausgesetzt zu sein:

Auch von Lehrern, bei denen ich eigentlich finde, die sind jetzt NETTE Lehrer (lacht). […] bei denen plötzlich ein Satz kommt wie: «Ah, die [FMS-Schüler*innen, S.H.] sind einfach strohdumm. Jetzt haben sie das immer noch nicht begriffen. IMMER noch nicht, die können einfach NICHTS. (Lehrperson Bildnerisches Gestalten, BI4, Herv. S.H.)

Es ist davon auszugehen, dass diese Devalorisierung nicht nur innerhalb des Kollegiums explizit und diskursiv zur Sprache kommt, sondern im Sinne einer grundsätzlichen Haltung («am allerliebsten unterrichte ich Schwerpunktfach Bildnerisches Gestalten, logisch. Am Gymnasium, das ist klar» (BI4)) die alltägliche Handlungspraxis der entsprechenden Lehrpersonen strukturiert. So kann die Hypothese formuliert werden, dass Fachmittelschüler*innen – insbesondere in Fällen, wo die FMS an Gymnasien angegliedert sind – regelmäßig Devalorisierungsprozessen ausgesetzt sind. Dies stellt möglicherweise die Ursache für die verringerte Selbstwirksamkeit dar, welche die Lehrpersonen den Fachmittelschüler*innen im Fall B zuschreiben.

Letzteres ist auch in der Schule C der Fall, auch wenn hier auf Basis der empirischen Daten keine expliziten Devalorisierungs- oder Abwertungsprozesse nachgewiesen werden können. Die Interviewaussagen verweisen teilweise dennoch auf implizite Devalorisierungen, denen die Fachmittelschüler*innen von Seiten der Lehrpersonen sowie der Gymnasiast*innen ausgesetzt sind und die zumindest teilweise durch die starke Hierarchisierung der Sekundarstufe IFootnote 70 bereits vorformatiert werden.

7.5.2 Schüler*innen des musisch-pädagogischen Gymnasialprofils

Bezüglich Interessen und Motivationen der im Rahmen dieser Studie befragten Gymnasiast*innen des musisch-pädagogischen Gymnasialprofils lassen sich ebenfalls verschieden Spezifika festhalten.

7.5.2.1 Fachlich-disziplinäre Interessen und Leidenschaften

Im musisch-pädagogischen Gymnasialprofil zeigt sich, dass die Gymnasiast*innen ihre Schwerpunktfachwahl in allen drei Fällen nicht im Hinblick auf eine zukünftige Berufstätigkeit, sondern aus Interesse an der jeweiligen Fachdisziplin getroffen haben. In diesem Zusammenhang lassen sich sowohl Wertigkeiten und Motive der staatsbürgerlichen als auch der inspirierten Konvention als ausschlaggebend rekonstruieren.

Im Fall A begründen die Schüler*innen die Wahl ihres Schwerpunktfachs primär mit Interessen am jeweiligen Fachbereich, was als (staatsbürgerliche) Valorisierung des jeweiligen disziplinären Wissenskanons gedeutet werden kann: «Also für mich war es klar, ich wollte WEGEN diesem Schwerpunktfach hier hin unter anderem […] weil einfach die Gestaltung und die musischen Fächer sehr gefördert werden hier […]» (AI3).

In den Fällen B und C lassen sich zudem Wertigkeiten der inspirierten Konvention wie Begeisterung, Leidenschaft, Faszination und Hingabe («machen, was du wirklich liebst» (BI7)) für das gewählte Fach rekonstruieren, die als Motive für die Schwerpunktfachwahl fungieren. Dabei steht für die Gymnasiast*innen nicht eine industrielle Logik der späteren Verwertbarkeit ihres Schwerpunktfachs für ein Hochschulstudium im Zentrum, sondern ein gegenwärtiges Er- und Ausleben der Begeisterung und Faszination für den jeweiligen Fachbereich.

In Bezug auf die Schwerpunktfachwahl erweist sich der französischsprachige Fall C als interessant. Von einer Ausnahme abgesehen wählten alle Schüler*innen des Schwerpunktfachs PP dieses Profil nach dem Ausschlussprinzip oder spontan im Anschluss an eine Informationsveranstaltung, und nannten weder fachlich-disziplinäres Interesse noch Leidenschaft oder Faszination für das Fach als ausschlaggebendes Wahlmotiv. Bemerkenswert ist, dass die entsprechenden Gymnasiast*innen laut eigener Aussage im Verlauf der gymnasialen Ausbildung allerdings entsprechende fachliche Interessen entwickeln, ausbilden und das gewählte Schwerpunktfach in der Folge als «hyper intéressant» (CI6, CI7) valorisieren. Aus konventionentheoretischer Perspektive kann dies als Hinweis darauf gedeutet werden, dass die Kognitionen, Orientierungen und damit auch die Interessen der Schüler*innen durch die schulische Sozialisation – in diesem Fall durch die die Formung eines monofachlichen, disziplinären Interesses – nicht nur falls vorhanden gestärkt, sondern auch ausgebildet werden.

Diese monofachlich-disziplinäre Orientierung kommt auch in den Zukunfts- und Berufsvorstellungen der befragten Gymnasiast*innen zum Ausdruck. Während manche Gymnasiast*innen ihre Begeisterung für das Schwerpunktfach in einem inhaltlich verwandten Studiengang in den Bereichen Musik, Kunst oder Psychologie fortsetzen wollen, streben andere von ihnen Studiengänge in Wirtschaft, internationalem Recht, in Sprachen, Mathematik oder im Fall C auch in Tätigkeitsbereichen ohne vorgängiges Universitätsstudium wie der Automobil- oder Aviatikbranche oder der Sanität an. Damit würden sie die diskursiv valorisierte Entkopplung zwischen Schwerpunktfach- und Studienwahl (siehe Abschn. 7.2.3) auch handlungspraktisch verwirklichen.

Bei einigen der befragten Gymnasiast*innen erweisen sich die Berufsvorstellungen aber noch eher unscharf: «Irgendwie wie etwas kunstrichtungsmäßig», «Lehrer oder so», «so etwas Soziales halt oder eben in die Richtung Kunst» (AI3) sind eher vage Berufs- und Zukunftsvorstellungen, welche in starkem Kontrast zur berufsspezifischen Ausrichtung der FMS Pädagogik auf den Lehrberuf stehen.

7.5.2.2 Pädagogische Interessen jenseits des Primarlehrberufs

In mehreren Fällen äußern Gymnasiast*innen auch Interesse an Tätigkeiten des «Weiterbringens», «Helfens» oder Unterstützens, welche als Wertigkeiten der häuslichen Konvention interpretiert werden können. Die betreffenden Gymnasiast*innen möchten diese Interessen jedoch nicht als Primarlehrperson, sondern eher in einem Studium der Sozialpädagogik, Physiotherapie oder Psychologie weiterverfolgen und streben zum Beispiel eine Laufbahn als Kinder- und Jugendpsycholog*in an (BI6).

Dennoch gibt es im Rahmen der vorliegenden Studie in jedem der drei untersuchten Fälle Gymnasiast*innen, welche sich eine Lehrtätigkeit vorstellen können oder diese aktiv anstreben. Dies betrifft jedoch nur in einem einzigen Fall den Unterricht auf Primarstufe. Alle anderen an einer Lehrtätigkeit interessierten Gymnasiast*innen streben auf Basis ihrer fachlich-disziplinären Interessen in einem ersten Schritt ein Fachstudium an der Universität an, welches später in einer Lehrtätigkeit auf Sekundarstufe IIFootnote 71 oder Tertiärstufe (Dozierendentätigkeit) münden soll. Besonders stark zum Ausdruck kommt dies im Fall C:

J'aimerais faire prof d'anglais. Et ce serait plus avec les élèves du gymnase, ou plus, à l'université, mais pas en dessous. [...] Parce que […] j'ai envie de travailler dans un cadre sérieux, enfin, je ne pourrais pas enseigner à des plus jeunes, je n'aurais pas la patience et les épaules pour/enfin au bout d'un moment, ça va me casser les pieds, donc je préfère faire quelque chose avec des gens qui sont déjà un peu plus matures.Footnote 72 (Schüler*innen Gymnasium, CI7, Herv. S.H.)

Damit valorisiert diese*r Schüler*in Wertigkeiten und Vermittlungslogiken der staatsbürgerlichen Konvention, die typisch kindliche Eigenschaften wie Affektivität, Emotionalität und Launenhaftigkeit als Schwächen ablehnt (Derouet 1992, S. 93). Auch weitere an einer Lehrtätigkeit interessierte Gymnasiast*innen äußern eine stärkere disziplinär-monofachliche Orientierung – teilweise verknüpft mit wissenschaftlich-forschenden Interessen:

Moi, j'aimerais bien faire un métier dans la psychologie [...] j'aimerais vraiment faire de la recherche et puis être/ enfin moitié recherche et puis après être moitié par exemple prof universitaire, ou un truc du style»Footnote 73 (Schüler*innen Gymnasium, CI6).

Bei den Gymnasiast*innen lässt sich also zusammenfassend nachweisen, dass wenn Interesse an einer Lehrtätigkeit besteht, dieses starker auf fachlich-disziplinären als auf pädagogisch-sozialen Interessen beruht. Im Fokus steht nicht eine Ausbildung an der PH, sondern ein universitäres Fachstudium als Ausdruck einer monofachlich-disziplinären Orientierung.

7.5.2.3 Leistungsfähigkeit und -bereitschaft

Im Weiteren erweist sich bei der Bewertung von Gymnasiast*innen der industrielle Bewertungsmaßstab der schulisch-intellektuellen Leistungsfähigkeit im Sinne kognitiver Performanz als zentral. Auf seiner Grundlage sprechen die befragten Lehrpersonen und Schulleitungen den Gymnasiast*innen viel Größe zu. In den Fällen B und C, wo Gymnasium und Fachmittelschule organisatorisch gemeinsam geführt werden, geschieht dies zusätzlich mit Verweis auf Fachmittelschüler*innen, denen auf dem industriellen Wertigkeitsmaßstab der schulischen Leistung weniger Größe zuerkannt wird.

Im Fall A werden die Gymnasiast*innen als «Premium Product» (AI1) valorisiert und ihnen hohe kognitive Leistungsfähigkeit zugeschrieben. Allerdings kommt gerade im Schwerpunktfach Musik auch ein Spannungsfeld zwischen denjenigen Schüler*innen zum Ausdruck, die häusliche Wertigkeiten des gemeinsamen, praktischen Musizierens valorisieren, und den stärker intellektuell orientierten Jugendlichen («die von Anfang an sagen sie möchten studieren» (AI3)). Dass das Schwerpunktfach Musik eher auf Letztere ausgerichtet ist, darauf verweist die Bemerkung der Ersteren, dass sie das Schwerpunktfach Musik retrospektiv nicht noch einmal wählen würden.

Auch im Fall B lässt sich eine ausgeprägte Leistungslogik rekonstruieren, welche von allen schulischen Akteur*innen valorisiert wird und sich materiell auf der Website («Leistungsschule» (BD18)), in Medienartikeln und im Schulhaus aufgehängten Ehrenmedaillen und -Preisen sowie handlungspraktisch in der Teilnahme an Leistungswettbewerben und der öffentlichkeitswirksamen Ehrung von Preisträger*innen von Leistungswettbewerben äußert. Wurden die Gymnasiast*innen im Fall A als «Premium Product» charakterisiert, wird ihnen im Fall B eine «übermenschliche Leistung» (BI3) konstatiert:

Da bin ich hin und weg, wirklich. Übermenschliche Leistung, bei der ich finde: «Gott hey, wie kann man überhaupt/». (Lehrperson Psychologie/Pädagogik, BI3, Herv. S.H.)

Auch im Fall C valorisieren die Lehrpersonen die Gymnasiast*innen aufgrund ihrer kognitiven Leistungsfähigkeit, dies bleibt allerdings marginal und es lässt sich keine so stark ausgeprägte Leistungslogik wie in den Fällen A und B nachweisen.

Das Erbringen dieser «übermenschlichen Leistung» (BI3) erfordert eine entsprechende Leistungsbereitschaft. Im Fall A wird den Gymnasiast*innen diese Leistungsbereitschaft zugesprochen und etwa von Schüler*innen des Schwerpunktfachs Bildnerisches Gestalten selbst zum Ausdruck gebracht, etwa mit Verweis auf das alljährliche benotete Instrumentalvorspiel: «du willst halt mega gut sein. Und wenn du kritisiert wirst, dann bist du halt einfach voll enttäuscht» (AI3).

Im Fall B manifestiert sich die hohe Bedeutung der Leistungsbereitschaft und -fähigkeit bereits im Format des Informationsflyers des Gymnasiums und den Beschreibungen der musisch-pädagogischen Schwerpunktfächer. Diese fordern von den Schüler*innen beispielsweise «Begeisterung und überdurchschnittliches Engagement für die Musik» oder im Schwerpunktfach Bildnerisches Gestalten Freude am «konzentrierten Arbeiten» (BD16). Gemäß dem Informationsflyer fürs Gymnasium ist der/die ideale zukünftige Gymnasiast*in, ein «wissbegieriger Mensch, der gerne lernt und gerne Kopfarbeit leistet» (BD20)).

Im Fall B valorisieren die Gymnasiast*innen des musisch-pädagogischen Profils am ausgeprägtesten aller drei Fälle schulische Leistungsbereitschaft, womit sie die grundlegende Leistungsorientierung des Gymnasiums B sowohl handlungspraktisch als auch diskursiv mitkonstruieren. Auch ihre Mitschüler*innen anderer Schwerpunktfächer valorisieren sie auf der industriellen Bewertungsgrundlage der Leistungsfähigkeit: «Wir haben auch SEHR Respekt vor den anderen Schwerpunktfächern, weil wir auch sehen, was sie auch leisten müssen. Und die haben wahrscheinlich genauso eine harte Arbeit wie wir, auch, ja» (BI6).

Es lassen sich zwei Aspekte rekonstruieren, welche die große schulische Leistungsbereitschaft der Gymnasiast*innen im Fall B speisen: Dies sind einerseits Wertigkeiten der inspirierten Konvention wie Begeisterung, Faszination und Neugier bezüglich komplexer Fachinhalte. So beschreibt ein*e Schüler*in beispielsweise psychologische Zusammenhänge als «komplex, aber faszinierend» (BI6). Das Gefühl der Faszination verursacht eine Art Wissensdurst: «ich habe dann irgendwie plötzlich ALLES wissen wollen, über jedes/ über jede Kleinigkeit» (ebd.). Dass ein Wissensbereich niemals ganz abschließend erschlossen werde und sich immer wieder neue Fragen auftun würden, «das weckt meine Neugier» (ebd.).

Andererseits wird die als «übermenschlich» bezeichnete Leistungsfähigkeit der Gymnasiast*innen durch eine Konstruktion und Valorisierung von Anstrengung als Genuss und Notwendigkeit ermöglicht. So erachten die Gymnasiast*innen des Falls B etwa das Lernen über Mittag als Selbstverständlichkeit (BI7) und valorisieren anstrengende und lernintensive Unterrichtseinheiten: «wo man hinausgeht und man sagt: ‘Ja, ich habe jetzt extrem viel gelernt, oder mein Kopf ist voll, ich bin mega kaputt’» (BI6). Unterrichtslektionen, in denen dies nicht gewährleistet ist, werden hingegen kritisiert als «ich will nicht sagen Zeitverschwendung, weil das klingt hart, aber zum Teil schon recht (…) so ein bisschen frustrierend auch» (ebd.). Die Schüler*innen valorisieren kognitive Anstrengung und empfinden diese als notwendig:

Beim Einstieg in ein neues Thema ist natürlich immer wichtig, dass zuerst der Lehrer […] die Grundlagen erzählt und theoretisch einweist. Und das ist halt schon für die Schüler nicht gerade angenehm, weil es halt trocken ist. Aber es ist nötig. Und ja, man muss sich halt zusammenreißen, auch wenn man es nicht gerne hat. Und wenn es mühsam ist, sich zu konzentrieren. Aber es ist nötig. (Schüler*innen Gymnasium, BI6)

Diese Aussage bringt eine Haltung der «Askese» (Derouet 1989, S. 21) zum Ausdruck, welche als Wertigkeit der staatsbürgerlichen Konvention gedeutet werden kann. Es kommt Individuen in dem Ausmaß Größe zu, in welchem sie die nötigen Opfer in Form geistiger Anstrengung und des Ertragens kognitiver Bemühungen erbringen. Dadurch gelangen sie zu einer höheren Ebene des Verstehens, welche sich im «Gewinn» eines intellektuellen Erlebens äußert:

Accéder à cet univers requiert une ascèse, ou la vertu se traduit par le travail [...] La grandeur des individus cesse de croître lorsqu’ils cessent de faire les sacrifices qui sont nécessaires [...]Footnote 74 (Derouet 1989, S. 21). Le mérite scolaire repose sur un sacrifice, le renoncement aux jouissances immédiates, charnelles et particulières qui permet d'accéder à une conscience humaine d'un niveau plus élevé.Footnote 75 (Derouet 1992, S. 88 f.)

Aussagen der Lehrpersonen bezüglich der Leistungsfähigkeit der Gymnasiast*innen lassen darauf schließen, dass diese tatsächlich in der Lage sind, die an sie gestellten Leistungsanforderungen zu erfüllen. Die befragten Lehrpersonen schreiben ihnen sowohl auf Basis der industriellen (schulische Leistungsfähigkeit) als auch der inspirierten (intrinsische Motivation, Leidenschaft) Konvention Größe zu.

7.5.2.4 Abwertungen und Vorurteile gegenüber der Pädagogischen Hochschule

Wie in Abschn. 7.5.2.2 gezeigt, gibt es durchaus Gymnasiast*innen, welche an Lehrtätigkeiten interessiert sind – wenn auch nur in einem Fall am Primarlehrberuf. Beim Sprechen über die Pädagogische Hochschule allerdings bringen die befragten Gymnasiast*innen klare Abwertungen gegenüber einer PH-Ausbildung zum Ausdruck. Auf der Basis des industriellen Maßstabs der schulischen Leistungsfähigkeit und Performanz – der für die Gymnasiast*innen handlungsleitend ist – devalorisieren sie eine Ausbildung an der PH als kognitiv zu wenig anspruchsvoll. Angesprochen auf die PH, erklären Gymnasiast*innen des Falls A:

Bei uns gibt es so ein Vorurteil an der PH [Name]. [B4: Mandala malen.] Malt man nur Mandala und tanzt seinen Namen (alle lachen). [B1: Das habe ich auch schon gehört.] Und von daher ist es so ein bisschen [...] man sagt, ja, wenn man WIRKLICH gut ist in der Schule, sollte man doch etwas Richtiges studieren gehen, und nicht an die PH gehen. (Gymnasiast*innen, AI3, Herv. S.H.)

Auch bei den Gymnasiast*innen des Falls B äußert sich die devalorisierende Haltung gegenüber einer PH-Ausbildung in der Figur des «Mandala-malens»:

Mandala ausmalen. Das ist immer noch. [B2: Ja das ist immer noch.] Das ist sehr stark. Das gibt es alles so ein bisschen, bei Prüfungen fragen die Schüler «müssen wir den Text auch lernen oder nur die Bildchen?» (Schüler*innen Gymnasium, BI6, Herv. S.H.)

PH-Studierende werden als «Schüler» bezeichnet, die «Mandala ausmalen» und die Lehr-Lernformen werden als durch «Bildchen» vermittelt typisiert. Eine körperlich involvierte (malen) und bildhafte (Bildchen) Wissensvermittlung entspricht eher dem Unterricht von Kindern auf der Primarstufe. Die Gymnasiast*innen scheinen an dieser Stelle die PH-Ausbildung zur Primarlehrperson bzw. die dort praktizierten Formen der Wissensvermittlung mit denjenigen auf der Primarstufe gleichzusetzen. Eine Gymnasiastin, welche selbst eine Ausbildung zur Primarlehrperson an der lokalen PH anstrebt, reflektiert diese Stereotype:

Das sind alles Klischees, und die meisten Leute wissen auch, dass das Klischees sind. Und dass es, ja, nicht ganz so einfach ist. Es ist natürlich nicht so einfach, sich zu verteidigen, wenn dann plötzlich andere kommen, die dann irgendwie an der PH etwas gemacht haben, und dann mussten sie irgendwie die Spinde aufmachen, und dann fallen dort Bastelsachen heraus. Das ist dann natürlich nicht mehr so einfach, sich dort zu verteidigen. Aber, ja ich glaube/ die meisten, denen ist es auch bewusst, dass es kein Zuckerschlecken ist. Und das recht viele auch die Prüfungen nicht bestehen beim ersten Mal. (Gymnasiast*innen, BI6)

«Bastelsachen», «Mandala ausmalen» oder «Bildchen lernen» als handwerklich-konkrete, häusliche Aspekte des (Primar-)lehrberufs sind für die Gymnasiast*innen negativ konnotiert und werden devalorisiert. Mit Wertigkeit versehen wird hingegen eine Ausbildung, die «kein Zuckerschlecken» sei, eine gewisse kognitive Anstrengung verlangt («nicht ganz so einfach ist»), oder wo man eine Prüfung aufgrund ihres Schwierigkeitsgrads nicht direkt beim ersten Versuch besteht. Dies verweist erneut auf die Valorisierung einer industriellen Leistungs- und Selektionslogik, welche die Gymnasiast*innen hier zum Ausdruck bringen und der PH-Ausbildung auf Grundlage des industriellen Bewertungsprinzips Größe aberkennen.

Die Gymnasiast*innen des Falls B beschreiben die PH zudem als «nicht wirklich eine große Option, jetzt an der Kanti» – sondern «von der FMS aus halt eher, die gehen viel an die PH» (BI7). Es kann die Hypothese formuliert werden, dass an einer organisatorisch-administrativ gemeinsam geführten Schule die Gymnasiast*innen eine Ausbildung an der PH eher als Anschlussoption für Fachmittelschüler*innen wahrnehmen. Dass Fachmittelschüler*innen als weniger leistungsfähig und die FMS als weniger anforderungsreicher Bildungsgang der Sekundarstufe II wahrgenommen wird, könnte in diesem Kontext die Devalorisierung der PH-Ausbildung (als ‘typische’ Anschlussoption für Fachmittelschüler*innen) verstärken.

Eine interessante Dynamik bezüglich Leistungsorientierung und PH-Image ließ sich im französischsprachigen Fall C beobachten. Obwohl ihnen Leistungsfähigkeit zugeschrieben wird, äußern die Gymnasiast*innen nur dann Bereitschaft zu schulischer Leistung, wenn sie sich bezüglich des gewählten Fachbereichs interessiert und motiviert fühlen: «En fait, vu que ça ne m'intéressait pas trop, je n'étais pas bon dans les notes, du coup ça ne me motivait pas trop, et puis oui, ça devenait long»Footnote 76 (CI6). Dies wiederum ist nur der Fall, wenn sie dessen Bildungsinhalte mit ihrem eigenen Leben verknüpfen können und sie als lebensweltlich relevant empfinden. Diese häusliche Logik der Lebensweltrelevanz bzw. der Kontinuität zwischen Schule und Privatleben konnte ansonsten nur für die FMS rekonstruiert werden.

Die Gymnasiast*innen des Falls C valorisieren häusliche Wertigkeiten der Lebens- und Alltagsrelevanz von Wissen, distanzieren sich von einer schulischen Leistungslogik und möchten dieser im Anschluss an die gymnasiale Maturität so schnell wie möglich entfliehen: «en tout cas je sais que je n’ai pas envie d’aller à l’uni non plus, parce que je n’aime pas étudier. […] avoir fini déjà le gymnase, je me réjouis»Footnote 77 (CI6).

Da die Berufswünsche der befragten Gymnasiast*innen im Fall C entweder nicht einer pädagogischen Tätigkeit entsprechen oder sich bei Interesse am Lehrberuf auf höhere Schulstufen als die Primarstufe beziehen, stellt die Ausbildung zur Primarlehrperson an der PH für sie keine bedeutende Ausbildungsoption dar. Dies beruht aber nicht auf einer Devalorisierung der PH-Ausbildung als kognitiv zu wenig herausfordernd, sondern im Gegenteil wird der kritische Eindruck geäußert, dass die Wissensvermittlung an der PH sehr theoretisch sei.

Während die Gymnasiast*innen in den Fällen A und B also der PH ein häuslich-praktisches «Mandala malen» zuschreiben und sie deshalb devalorisieren, kritisieren die Gymnasiast*innen im Fall C eine allzu abstrakt-theoretische, der staatsbürgerlichen Logik entsprechende Wissensvermittlung und schreiben diese der PH-Ausbildung zu.

7.6 Zur Bedeutung der FMS Pädagogik und des musisch-pädagogischen Gymnasialprofils für die Primarlehrpersonenbildung: fallübergreifende Interpretation und Schlussfolgerung

Auf Basis des fallübergreifenden Vergleichs der zentralen Charakteristika und Spezifika der FMS Pädagogik und des musisch-pädagogischen Gymnasialprofils stellt sich die Frage, wie die unterschiedliche quantitative Bedeutung dieser beiden Schultypen für die Primarlehrpersonenbildung aus einer qualitativen Perspektive erklärt werden kann. Dafür fokussiert das folgende Kapitel zusammenfassend auf zentrale Mechanismen, die entsprechendes Erklärungspotenzial bieten.

Hierbei muss an erster Stelle festgehalten werden, dass die Abschlusszertifikate der beiden untersuchten Profile – die Fachmaturität Pädagogik und die gymnasiale Maturität – mit ihren unterschiedlichen hochschulischen Zugangsberechtigungen einen Teil zur Erklärung ihrer unterschiedlichen Bedeutung für die Ausbildung von Primarlehrpersonen beitragen. Während die gymnasiale Maturität ein allgemeiner Hochschulzulassungsausweis ist und den Übertritt in verschiedenste Studiengänge an Universitäten, ETH und Pädagogischen Hochschulen (PH) erlaubt, bietet die Fachmaturität Pädagogik einzig zum Bachelorstudiengang Primarstufe an PH direkten, prüfungsfreien Zugang. In der vorliegenden Arbeit wird allerdings die These vertreten, dass die quantitativ unterschiedliche Bedeutung der beiden Profile (siehe Kap. 6) auch auf spezifische Charakteristika der beiden Profile zurückzuführen ist, wie sie in den Fallstudien in Kap. 7 rekonstruiert wurden.

Als Folge der formal unterschiedlichen Hochschulzulassungsberechtigungen unterscheiden sich die Bildungsziele der beiden untersuchten Profile und verweisen grundlegend auf deren unterschiedliche Bedeutung für die Ausbildung von Primarlehrpersonen. Die Bildungsziele der FMS Pädagogik sind die funktionale Vorbereitung auf eine Ausbildung an der PH und auf den Primarlehrberuf.

Diese Bildungsziele sind dort – nämlich im Fall A – am stärksten ausgeprägt, wo eine ausgeprägte seminaristische Tradition in der Lehrpersonenbildung besteht und die Beziehung zur PH sich als eng erweist («Verzahnung»). Umgekehrt ist das Bildungsziel der Vorbereitung auf PH und Primarlehrberuf im Fall C am schwächsten ausgeprägt, wo die Lehrpersonenbildung bereits früh hochschulisch organisiert wurde und bezüglich der FMS Pädagogik keine (institutionelle oder personelle) Beziehung zur PH nachgewiesen werden kann. Daher kann die Hypothese formuliert werden, dass je ausgeprägter sich die seminaristische Tradition und je enger sich die Beziehung zur PH erweist, desto stärker sich die FMS Pädagogik als spezifische Vorbereitung für die PH und den Lehrberuf profiliert.

Trotz der unterschiedlich starken Ausrichtung auf die PH als Abnehmerinstitution konnten in der Gesamtschau für die FMS Pädagogik die industrielle (effiziente, funktionale, Fachkompetenz garantierende Vorbereitung auf die PH und den Lehrberuf) und die häusliche Konvention (pädagogisch-soziale Interessen und Fähigkeiten für die konkrete Berufspraxis als Primarlehrperson) als zentrale Handlungs- und Bewertungsprinzipien rekonstruiert werden. Damit ist für dieses schulische Profil ein ähnliches Arrangement von Konventionen von Bedeutung, wie es gemäß Literatur früher die seminaristische Ausbildung von Lehrpersonen auf Sekundarstufe II fundierte. Auch die ehemaligen Lehrer*innenseminare betonten häusliche Wertigkeiten der Persönlichkeitsbildung, Berufspraxis, musisch-gestalterische Fähigkeiten als pädagogische Instrumente sowie industrielle Wertigkeiten der langfristigen Sicherung von Lehrkräftenachwuchs (Criblez 2000; Müller 1975).

So lässt sich erklären, dass die FMS – zumindest in den Fällen A und B – auch als Ersatz oder Nachfolge der ehemaligen Lehrer*innenseminare valorisiert wird. Dabei wird ihr insbesondere die Funktion der Sicherung des Lehrpersonennachwuchses zugeschrieben. Diese industrielle Logik manifestiert sich in der jeweiligen Beziehung zur PH, welche wie gezeigt wurde als unterschiedlich eng charakterisiert werden kann. Sie beruht aber dennoch ausgeprägt auf Wertigkeiten der industriellen Konvention («Verzahnung», «Schnittstelle», «Optimierung») und stützt dadurch eine funktionale Wahrnehmung als Zubringer und Abnehmer («kommunizierende Röhren»). Auf dieser Basis wird die FMS Pädagogik in den Fällen A und B als wichtige PH-Zubringerin valorisiert.

Im Fall C wird eine funktionale Vorbereitungslogik auf die PH zwar bisweilen abgelehnt und – ganz der Tradition der französischsprachigen Schweiz entsprechend (Cortesi 2017) – primär staatsbürgerliche Wertigkeiten der zweckfreien Allgemeinbildung und der Ausrichtung auf verschiedenste hochschulische Anschlüsse (Durchlässigkeit) valorisiert. Dennoch kann für die FMS Pädagogik auf Basis der empirischen Daten im Vergleich zum Gymnasium auch im Fall C eine höhere Bedeutung für die PH als Abnehmerinstitution rekonstruiert werden.

So kann bereits die Benennung des Profils als (sozial-)pädagogisch (wie auch in den anderen Fällen «Pädagogik» oder «Pädagogik/Kunst») als Forminvestition bezeichnet werden, die auf das Bildungsziel einer Vorbereitung auf – unter anderem – pädagogische Berufe oder Berufsausbildungen verweist. Und obwohl manche Akteur*innen im Fall C eine gezielte PH- oder Berufsvorbereitungslogik kritisieren, zeigen die Daten, dass gewisse Lehrpersonen sich ausgeprägt und explizit dem industriellen Ziel der funktionalen PH- oder Berufsvorbereitung widmen. Damit schreiben sie der PH als Abnehmerinstitution mehr Wertigkeit zu als es im Gymnasium der Fall ist, und strukturieren durch die explizite Bezugnahme auf den Lehrberuf entsprechende Interessen der Schüler*innen über die Fachmittelschulzeit mit.

Eine bedeutende Rolle in dieser PH- und Berufsvorbereitungslogik spielt die Fachmaturität Pädagogik. Im Fall A konnte für die dreijährige FMS-Ausbildung bis zum Fachmittelschulausweis eine ausgeprägte Orientierung an der PH-Ausbildung sowie am Primarlehrberuf rekonstruiert werden. Die Fachmaturität hingegen weicht abgesehen von der Integration des Fachs Sport nicht von den gesamtschweizerischen EDK-Richtlinien ab und präsentiert sich daher eher als «ergänzte Allgemeinbildung», als welche sie nach dem Jahrtausendwechsel gesamtschweizerisch institutionalisiert wurde (siehe Kap. 5).

Wie gezeigt wurde, ist in den Fällen B und C eine explizite PH- und Berufsvorbereitungslogik in der dreijährigen FMS-Ausbildung bis zum Fachmittelschulausweis wesentlich weniger ausgeprägt als im Fall A. Mit Blick auf die Fachmaturität Pädagogik kann allerdings die Hypothese formuliert werden, dass eine spezifische «pädagogische» Profilierung in den Fällen B und C hohem Masse erst mit der Fachmaturität Pädagogik erfolgt. Im Fall B basiert diese Profilierung primär entlang häuslicher Wertigkeiten. Die Fachmaturität Pädagogik orientiert sich hier nicht lediglich an den EDK-Richtlinien (EDK 2018), sondern integriert darüber hinaus auch die Fächer Musik, Gestalten und Sport in den Fachmaturitätslehrgang. Damit werden einerseits die als «das Pädagogische» rekonstruierten, musisch-gestalterischen Fächer valorisiert und in die Fachmaturität Pädagogik integriert. Zudem erweist sich der Lehrplan der Fachmaturität Pädagogik in den zusätzlich integrierten Fächern Musik und Sport als in außerordentlich hohem Masse und explizit am Primarlehrberuf ausgerichtet («einfache Lieder in einer Gruppe anleiten»; «Hand-Tuch-Spiele»; «Wie laufen Tiere?» (BD9)).

Im Fall C beruht die ‘pädagogische’ Profilierung der Fachmaturität Pädagogik – in starkem Kontrast zum allgemeinbildend orientierten (sozial-)pädagogischen FMS-Profil – vor allem auf industriellen Wertigkeiten der funktionalen PH-Vorbereitung. Die Fachmaturität Pädagogik integriert PH-Anforderungen wie einen obligatorischen Sprachaufenthalt in ihre eigenen Zulassungsbedingungen und übernimmt für die PH-Ausbildung erforderliche Pflichtfächer in ihr Ausbildungsprogramm.

Mit Blick auf diese fallspezifisch unterschiedliche Ausprägung der Fachmaturität Pädagogik liegt die Schlussfolgerung nahe, dass in den Fällen B und C das pädagogische FMS-Profil (Fachmittelschulausweis) ein schulisches Dispositiv für Schüler*innen mit verschiedenen Interessen und Bedürfnissen darstellt, und eine tatsächliche Profilierung in Richtung Primarlehrberuf und eine entsprechende Berufs- bzw. Studienwahl der Jugendlichen erst mit der Fachmaturität Pädagogik erfolgt.

Im Gegensatz dazu kann für den Fall A vermutet werden, dass die Entscheidung für den Lehrberuf stärker schon mit Eintritt in die FMS und mit der Wahl des stark auf die PH und den Primarlehrberuf ausgerichteten Profils Pädagogik fällt, so dass es keiner zusätzlichen Profilierung durch die Fachmaturität Pädagogik mehr bedarf.

Unbestritten und fallübergreifend ist jedoch die Fachmaturität Pädagogik als Zulassungsberechtigung für den PH-Studiengang Primarstufe eine bedeutende Forminvestition. Sie formatiert insbesondere industrielle Wertigkeiten der funktional-effizienten Vorbereitung auf das PH-Studium durch die Vermittlung entsprechender Kompetenzen. Damit wird die FMS Pädagogik als Zubringerin zur Lehrpersonenbildung positioniert und valorisiert.

Im Kontrast zur industriell-häuslichen Vorbereitungslogik an der FMS Pädagogik kann bei den Bildungszielen des musisch-pädagogischen Gymnasialprofils eine ausgeprägte Vorrangstellung staatsbürgerlicher (Entkopplung Schwerpunktfach & Studienwahl als Ausdruck zweckfreier, am disziplinären Wissenskanon ausgerichteter Allgemeinbildung) und inspirierter Wertigkeiten (Begabungsförderung, musisch-gestalterische Kreativität) rekonstruiert werden.

Das staatsbürgerliche Bildungsziel der Vermittlung einer breiten Allgemeinbildung in Form eines extensiven, vernetzten Überblicks über den jeweiligen disziplinären Wissenskanon des Schwerpunktfachs fördert – so die Hypothese – bei den Gymnasiast*innen eine monofachliche, disziplinäre Perspektive, welche die Fortsetzung der eigenen Bildungskarriere im Rahmen eines disziplinären Fachstudiums an der Universität nahelegen oder ‘formatieren’.

Die Primarlehrpersonenbildung in der Schweiz ist allerdings generalistisch ausgerichtet. Das bedeutet, dass Primarlehrpersonen nicht als Fachlehrperson, sondern in sechs oder mehr Fächern ausgebildet werden und diese anschließend auf Primarstufe unterrichten. Diese generalistische Ausbildung zur Primarlehrperson steht nicht nur einer monofachlichen Vertiefung wie derjenigen des gymnasialen Schwerpunktfachs diametral entgegen, die PH bereitet als Professionshochschule auch industriell-zweckfunktional und gezielt auf einen konkreten Beruf vor. Dies erscheint zur gymnasialen Logik der zweckfreien, allgemeinbildenden Ausrichtung weniger anschlussfähig.

Selbst in denjenigen Bereichen, wo eine industriell-zweckfunktionale Vorbereitungslogik im Rahmen der musisch-pädagogischen Schwerpunktfächer Wertigkeit erhält (z. B. Erlernen von Grundlagentechniken), bezieht sie sich im Fall der Fächer Musik und Bildnerisches Gestalten auf die Vorbereitung für Aufnahmeprüfungen an Musik- und Kunsthochschulen sowie im Fach Philosophie/Pädagogik/Psychologie auf das Erlernen der je disziplinenspezifischen wissenschaftlichen Methoden und Techniken. Auch damit wird wiederum der Fokus auf eine bestimmte Fachdisziplin valorisiert, was zu einer generalistischen Ausbildung zur Primarlehrperson weniger anschlussfähig erscheint.

Eine weitere Erklärung der unterschiedlichen Bedeutung beider Profile für die Ausbildung von Primarlehrpersonen ergibt sich mit Blick auf deren inhaltliche Ausgestaltung. Das FMS-Profil Pädagogik konstituiert sich aus mehreren profilspezifischen Fächern welche für die zukünftige Berufstätigkeit auf Primarstufe (als Generalist*in) als relevant erachtet werden. In den Fällen A und B konstituiert sich «das Pädagogische», welches als Kernelement der Vorbereitung auf die Berufstätigkeit als Primarlehrperson valorisiert wird, vor allem aus musisch-gestalterischen Fächern. Sie werden an der FMS aber nicht als «Musisches» per se valorisiert. «Das Pädagogische» als Komplex musisch-gestalterischer Fächer integriert sowohl funktional-industrielle Wertigkeiten der Vorbereitung auf den Primarlehrberuf als auch häusliche Wertigkeiten der Erziehung, Anleitung und pädagogischen Begleitung von Kindern.

Damit setzen sich die bereits für die Bildungsziele als grundlegend rekonstruierten Wertigkeiten der industriellen und der häuslichen Konvention fort, und stützen – sowohl diskursiv durch die Lehrpersonen als auch materiell in Rahmenstundentafel und Lehrplan – die Vorstellung bzw. das kognitive Format, dass musisch-gestalterische Fächer besonders geeignet für die Vorbereitung auf den Lehrberuf seien.

Auch im Fall C konstruieren und valorisieren die Akteur*innen die profilspezifischen Fächer als «das Pädagogische» – auch wenn dies hier eine breitere Palette allgemeinbildender Fächer umfasst und nicht auf musisch-gestalterische Aspekte fokussiert ist. Dies kann als Ausdruck der hohen Wertigkeit der Allgemeinbildung in der französischsprachigen Schweiz interpretiert werden (Cortesi 2017). Gleichzeitig erlaubt die Konstruktion der allgemeinbildenden Fächer als «das Pädagogische» auch eine Integration der funktionalen Logik der PH- und Berufsvorbereitung. Damit wird die Bedeutung des pädagogischen Profils auch hier durch die Konstruktion der profilspezifischen Fächer als «das Pädagogische» gestärkt.

Wie sich zeigte, wird zudem die Auswahl der zu vermittelnden Bildungsinhalte besonders im Fall A ausgeprägt an der (zukünftigen) Lebenswelt der Fachmittelschüler*innen orientiert getroffen. Die Bildungsinhalte der FMS A weisen oft einen expliziten und ausgeprägten Bezug zum (Primar-)lehrberuf auf. Dieser Bezug wird sowohl durch den Lehrplan formatiert als auch durch die Lehrpersonen handlungspraktisch in der Auswahl der Bildungsinhalte und deren Vermittlung umgesetzt. Es lässt sich vermuten, dass dadurch entsprechende lehrberufsspezifische und pädagogische Interessen bei den Schüler*innen des Profils Pädagogik über die Fachmittelschulzeit entsprechend geprägt werden, der Primarlehrberuf nicht nur zu einem zukünftigen, sondern aktuellen Bezugshorizont wird (Selbstwahrnehmung als «wir Pädagog*innen») und die Wahl des Primarlehrberufs als «imagined future» (Beckert 2016) wahrscheinlicher wird.

Eine solche inhaltliche Ausrichtung am Primarlehrberuf ließ sich in den Fällen B und C nicht rekonstruieren. Die dort im Rahmen des pädagogischen Profils vermittelten Bildungsinhalte weisen eher Merkmale des staatsbürgerlichen savoir (abstrakt-theoretisches, zwecklosgelöstes Wissen, Theorien und Modelle) auf, welches im Vergleich zum gymnasialen Lehrplan aber als ‘reduziert gymnasial’ bzw. staatsbürgerlich mit geringerer Größe charakterisiert werden kann.

Aus konventionentheoretischer Perspektive kann an dieser Stelle die Hypothese formuliert werden, dass die weniger ausgeprägte Ausrichtung auf die Pädagogische Hochschule als einzige Abnehmerinstitution in den Fällen B und C sich materiell in den Lehrplänen in einer weitgehenden Abwesenheit eines Bezugs zur Tätigkeit der Primarlehrperson ausdrückt. Dadurch kann der Bezug zum Primarlehrberuf als weniger stark formatiert bezeichnet werden, was – so die Hypothese – wiederum die Handlungspraxis der Lehrpersonen und die Kognitionen aller Akteur*innen strukturiert. Bezugnahmen zum Berufsfeld der (Primar-)lehrperson werden so zwar nicht verunmöglicht, aber durch die weniger ausgeprägte Formatierung des Berufsfeldbezugs im Lehrplan eröffnet sich für sie handlungspraktisch das ganze Spektrum von «gar kein Berufsbezug» über «impliziter Berufsbezug» bis zu konkreten lehrberufsspezifischen Beispielen wie im Fall A.

Damit sind in den Fällen B und C Lehrpersonen und Schüler*innen gleichermaßen eigenverantwortlich für das Herstellen eines Berufsbezugs – während dies etwa im Fall A in höherem Masse bereits materiell durch den Lehrplan und in der Folge handlungspraktisch durch die Lehrpersonen erfolgt. Dennoch entspricht die Ausbildung im FMS-Profil Pädagogik in allen drei Fällen ähnlich wie die generalistische Ausbildung von Primarlehrpersonen einem Bündel mehrerer Fächer. Damit ergibt sich nicht nur eine inhaltlich-strukturelle Ähnlichkeit zwischen einer Ausbildung an der FMS und an der Pädagogischen Hochschule, sondern die profilspezifischen Fächer der FMS werden zudem auch als für die zukünftige Berufstätigkeit auf Primarstufe als relevant valorisiert. Es liegt die Schlussfolgerung nahe, dass die FMS-Ausbildung statt einem monofachlichen von den Schüler*innen ein multi-disziplinäres Interesse verlangt und dieses im Verlauf der Ausbildung fördert, wodurch eine Ausbildung an der PH in der Folge anschlussfähiger erscheint.

Diese Interpretation kann analog auch für das musisch-pädagogische Gymnasialprofil übernommen werden. Hier werden die Interessen der Gymnasiast*innen bereits durch die obligatorische Wahl eines Schwerpunktfachs statt eines Bündels profilspezifischer Fächer in eine monofachlich-disziplinäre Richtung geformt. Dieses monofachliche Interesse stellt also bereits die Voraussetzung zur Schwerpunktfachwahl dar und wird, wie sich zeigte, im Verlauf der gymnasialen Ausbildung verstärkt. Dies beispielsweise dadurch, dass sich die Bildungsinhalte der musisch-pädagogischen Schwerpunktfächer primär als staatsbürgerliches savoir darstellen, welches einen extensiven Überblick über den jeweiligen disziplinären Wissenskanon umfasst.

Hervorzuheben ist hierbei für das Schwerpunktfach Philosophie/Pädagogik/Psychologie, dass der Fachbereich Pädagogik im Fall B nur marginal und mit Fokus auf pädagogische Theorien und Grundbegriffe sowie die Lektüre von pädagogischen Klassikern behandelt wird, im Fall C mit der Formatierung des Fachs als PP (Philosophie und Psychologie) ganz entfällt. Obwohl dieses Schwerpunktfach also insbesondere als funktionaler ‘Ersatz’ der ehemaligen Lehrer*innenseminare institutionalisiert wurde (siehe Einleitung und Forschungsüberblick), verweist es – wenn überhaupt – weniger auf eine aktive erzieherisch-pädagogische Tätigkeit als auf ein universitäres Hochschulstudium in Psychologie, Philosophie oder Erziehungswissenschaft.

Im Weiteren wird das eigenständige kreativ-künstlerische Schaffen der Gymnasiast*innen als Ausdruck inspirierter Wertigkeiten valorisiert, was als Folge oder Ausdruck des (inspirierten) Bildungsziels der Begabungsförderung interpretiert werden kann. Mit den skizierten staatsbürgerlichen und inspirierten Wertigkeiten rückt – so die Hypothese – eher eine disziplinär-wissenschaftliche oder künstlerische Laufbahn ins Blickfeld, und aufgrund der Wahrnehmung der fachdisziplinären Inhalte als zweckfreie, musische Allgemeinbildung rückt eine ‘zweckfunktionale’ Berufsausbildung wie diejenige an der PH in die Ferne. Während die am Gymnasium präferierte Wissensform des savoir zudem eher dem an Universitäten vermittelten Wissenskanon entspricht, können die an der FMS präferierten Wissensformen des savoir-être (soziale Fähigkeiten, Charakterbildung) und savoir-faire (technisches, in Arbeitsschritte heruntergebrochenes Anwendungswissen) als Wissensformen interpretiert werden, die auch beim Unterrichten von Kindern auf Primarstufe relevant sind.

Dies kann in ähnlicher Weise für die Wissensvermittlung geschlussfolgert werden. Sie geschieht an der FMS Pädagogik anschaulich-illustrativ, anwendungs- und problemlösungsbezogen, objekt- und körpergestützt sowie mit Bezug zur Lebenswelt der Jugendlichen im Allgemeinen und (in fallspezifisch unterschiedlichem Ausmaß) zum Lehrberuf im Besonderen. Damit wird nicht nur Interesse am Primarlehrberuf gefördert, sondern (selbst ohne expliziten Bezug zum Lehrberuf) auch häusliche und industrielle Bildungsstrategien valorisiert, welche beim Unterricht auf Primarstufe als relevant bezeichnet werden können.

Gestützt wird diese häusliche, der Wissensvermittlung auf Primarstufe nahestehende häusliche Vermittlungslogik im Fall A zusätzlich durch soziales Lernen in der Gruppe sowie am Modell der Lehrperson. Es kann die Hypothese formuliert werden, dass diese Formen sozialen Lernens (Gruppenlernen, Beobachtungslernen) pädagogische und soziale Interessen und Fähigkeiten befördern, wie sie die Fachmittelschüler*innen des Profils Pädagogik zum Ausdruck bringen und welche gemäß Literatur ein wichtiger Faktor für die Berufswahl Lehrperson sind (siehe etwa Denzler et al. 2005; Denzler und Wolter 2008a; Brühwiler 2001; Keck Frei et al. 2012; Herzog et al. 2007; Affolter et al. 2015, u. a.).

Der Unterricht am Gymnasium kann als primär kognitionsbasiert charakterisiert werden und vermittelt Bildungsinhalte in Formaten wie dem Lehrvortrag, Melodiediktaten oder über präzise, theoriegeleitete Analyse und Deskription. Dabei kommen kognitive Formate wie das disziplinäre Fachvokabular und materielle Objekte wie der (wissenschaftliche) Text zum Einsatz. Diese abstrakt-theoretischen Formen der Wissensvermittlung können als Bildungsstrategien der staatsbürgerlichen Konvention gedeutet werden, welche eher der Lehrpraxis an Universitäten entsprechen und auch daher ein Universitätsstudium für Gymnasiast*innen möglicherweise als anschlussfähiger erscheint.

Auch die Rolle und Funktion der Lehrperson am Gymnasium ließ sich als auf staatsbürgerlichen (Fachverkörperung) und inspirierten Wertigkeiten (Leidenschaft, Begeisterung) basierend rekonstruieren. Diese Wahrnehmung und Valorisierung einer Lehrperson als ‘Meisterin’ ihrer Fachdisziplin (und nicht etwa mütterlicher Freundin oder Fachdidaktikerin) fördert möglicherweise bei den Gymnasiast*innen eher fachlich-disziplinäre Motive, selbst wenn sie sich für pädagogische Tätigkeiten bzw. Lehrberufe interessieren. Die Berufsvorstellungen der befragten Gymnasiast*innen stehen im Einklang mit bestehender Forschung, wonach diese fachlichen Interessen eher zu einer Studienwahl von Lehramtsausbildungen für höhere Schulstufen als derjenigen der Primarstufe führen (siehe Brühwiler und Spychiger 1997; Keck Frei et al. 2012; Affolter et al. 2015).

Anders stellt sich dies in der FMS Pädagogik dar, wo die hohe Bedeutung häuslicher Wertigkeiten in der Wissensvermittlung sich auch in den schulischen Beziehungslogiken widerspiegelt. Die Rolle der Lehrperson an den untersuchten FMS lässt sich zusammenfassend als väterliche oder mütterliche Erziehungsinstanz mit pädagogischen Interessen an der Unterstützung und Begleitung Jugendlicher rekonstruieren. Die Lehrperson bringt Autorität, aber auch eine Beziehungslogik der gegenseitigen Wertschätzung, des Wohlwollens, des zwischenmenschlichen Interesses, der persönlichen Nähe und des Vertrauens zum Ausdruck. Diese Beziehungslogik valorisiert das häusliche Gemeinwohl der schulisch-familiären Gemeinschaft. Es ist vorstellbar, dass diese Erfahrungen bei den Fachmittelschüler*innen soziale Interessen im Allgemeinen und pädagogische Interessen im Besonderen handlungspraktisch befördern.

Die beiden untersuchten Profile der FMS Pädagogik und des musisch-pädagogischen Gymnasialprofils können mit Blick auf diese Ergebnisse als schulisches Dispositiv interpretiert werden, welches aufgrund bereits vorhandener Interessen der Schüler*innen gewählt wird – diese Interessen im Verlauf der schulischen Sozialisation aber auch fördert und ausprägt.

Im Gymnasium sind dies stärker monofachlich-disziplinäre Interessen, welche durch die skizzierten Mechanismen und zugrundeliegenden Wertigkeiten, Formate und Praktiken der hauptsächlich staatsbürgerlichen und inspirierten Konvention valorisiert und verstärkt werden, und eine Laufbahn in Kunst oder Wissenschaft wahrscheinlich werden lassen. In der FMS Pädagogik sind es ausgeprägte pädagogisch-soziale Interessen und der Berufswunsch Lehrperson, welche etwa durch vorangehende pädagogische Praxiserfahrungen bereits gefestigt und im Verlauf der FMS-Ausbildung durch die genannten Mechanismen und industriellen sowie häuslichen Wertigkeiten, Formate und Praktiken sowie durch das häusliche Bildungsformat des pädagogischen Praktikums erheblich gestärkt werden. Hier ist die empirische Erkenntnis relevant, wonach pädagogische Praxiserfahrungen ein relevanter Faktor für die Berufswahl Lehrperson sind (Cramer 2012; Nieskens 2009; Herzog 2007).

So beeinflussen die schon bestehenden pädagogischen Praxiserfahrungen der Fachmittelschüler*innen möglicherweise bereits in einem ersten Schritt die Wahl der FMS Pädagogik bzw. die Ausprägung der pädagogischen Interessen, die zu dieser Profilwahl führen. Im Verlauf der schulischen Sozialisation – so lässt sich auf Basis der Daten schlussfolgern – werden diese Interessen selbst in den Fällen B und C ohne explizite Bezugnahme zum Primarlehrberuf durch das obligatorische Praktikum im Berufsfeld weiter gestärkt, wodurch sich die Wahrscheinlichkeit der Berufswahl Lehrperson erhöht.

Die Deutung des FMS-Profils als schulisches Dispositiv, das den Schüler*innen die Verwirklichung entsprechender Interessen erlaubt, kann auch für den französischsprachigen Fall C mit seiner stark allgemeinbildenden Ausrichtung als zutreffend interpretiert werden. Denn mit der Konstruktion der Allgemeinbildung als «das Pädagogische» bietet dieses FMS-Profil nicht nur beruflich noch unentschiedenen, sondern auch pädagogisch-sozial interessierten Jugendlichen mit Berufswunsch Lehrperson einen Weg zur generalistisch ausgebildeten Primarlehrperson respektive zur entsprechenden Ausbildung an der Pädagogischen Hochschule. Hier können basierend auf staatsbürgerlichen Wertigkeiten der zweckfreien Allgemeinbildung Kompromisse mit der inspirierten (Berufung zur Lehrperson), häuslichen (pädagogisch-soziale Interessen) und industriellen (funktionale Vorbereitung auf den Lehrberuf, effizienter Weg) Konvention geschlossen werden, ohne dass Konflikte entstehen würden.

Für die Fälle A und B kann im Rahmen der vorliegenden Studie zudem die Hypothese formuliert, dass die rekonstruierte Orientierung an und Valorisierung von schulisch-kognitiver Leistungsfähigkeit und -bereitschaft am Gymnasium dazu führt, dass die Gymnasiast*innen eher ein Studium an einer Universität als eine Ausbildung an der Pädagogischen Hochschule anstreben. Denn wie gezeigt wurde, devalorisieren die Gymnasiast*innen eine PH-Ausbildung auf Basis ihrer ausgeprägten Leistungsorientierung als zu wenig anspruchsvoll und kognitiv zu wenig herausfordernd.

Der PH-Ausbildung schreiben die Gymnasiast*innen stärker praktisch-handwerkliche und bildhafte Vermittlungspraktiken der häuslichen Konvention («Bastelsachen», «Mandala malen» (BI6)) zu und devalorisieren diese und auf dem industriellen Wertigkeitsmaßstab der schulisch-kognitiven Leistung. Für den Fall B kann zudem die Hypothese formuliert werden, dass eine Ausbildung an der PH als Anschlussoption spezifisch für Fachmittelschüler*innen wahrgenommen wird und durch deren Kategorisierung als kognitiv weniger leistungsfähig die Devalorisierung der PH-Ausbildung auf dem industriellen Bewertungsprinzip verstärkt wird.

In der Folge streben die Gymnasiast*innen der musisch-pädagogischen Schwerpunktfächer auch bei vorhandenen pädagogisch-sozialen Interessen entsprechende universitäre Studiengänge etwa in Psychologie an. Diese erlauben ihnen – so kann vermutet werden – eine Weiterführung und Verwirklichung ihrer disziplinär-monofachlichen Orientierung, ihres durch Leidenschaft und Faszination (inspirierte Konvention) begründeten Wissensdursts, eine Fortsetzung der als relevant rekonstruierten staatsbürgerlichen (disziplinärer Wissenskanon, savoir) und industriellen (wissenschaftliche Methoden, savoir-faire) Bildungsinhalte und Wissensformen, sowie der kognitionsbasierten, abstrakt-theoretischen Formen der Wissensvermittlung. Selbst beim Berufsziel Lehrperson werden eher höhere Zielstufen wie etwa diejenige der Sekundarstufe I, II oder der Tertiärstufe angestrebt und diese eher mit fachlichen als pädagogischen Motiven begründet.

Zusammenfassend lässt sich die unterschiedliche Bedeutung der beiden untersuchten Profile für die Ausbildung von Primarlehrpersonen in der Gesamtschau auf verschiedenen Ebenen erklären. Beide Profile können jeweils als schulisches Dispositiv aus Bildungszielen, Bildungsinhalten, Wissensformen, Strategien der Wissensvermittlung und pädagogischen Beziehungen sowie materiellen und immateriellen Komponenten (Rahmenstundentafeln, Lehrpläne, Broschüren, Objekte) bezeichnet werden. Es liegt die Schlussfolgerung nahe, dass die hohe Bedeutung der FMS Pädagogik für die Ausbildung von Primarlehrpersonen u. a. auch darauf zurückgeführt werden kann, dass dieses Dispositiv und die dort mit Wertigkeit versehenen Bildungsziele, Wissensformen und Vermittlungspraktiken den ehemaligen Lehrer*innenseminaren auf Sekundarstufe II ähneln und in höherem Maße zu einer PH-Ausbildung und zur Tätigkeit der Primarlehrperson anschlussfähig sind als diejenigen des Gymnasiums.

Ebenso zeigt sich, dass das schulische Profil der FMS Pädagogik durch seine Charakteristika lehrberufsspezifische Interessen und Motivationen im Verlauf der Ausbildung eher befördert als das Gymnasium und dadurch – so kann vermutet werden – eine entsprechende Studien- und Berufswahl wahrscheinlicher werden lässt.

Ebenso zeigten die Analysen, dass die unterschiedlichen Gemeinwohlorientierungen sich weder rein diskursiv, noch rein materiell, noch rein von einer einzigen Gruppe schulischer Akteur*innen geäußert manifestieren. So wird in beiden untersuchten Profilen das jeweilige schulische Dispositiv von allen schulischen Akteur*innen unter Abstützung auf kognitive und materielle Formate konstruiert und schlägt sich wiederum in Objekten und Formaten wie Broschüren, Lehrplänen, im Bündel profilspezifischer Fächer und ähnlichem nieder.