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1 Einleitung und Problemstellung

Die polyzentrische Siedlungs- und Wirtschaftsstruktur Deutschlands ist historisch gewachsen. In der Entwicklung ländlicher Räume zeigen sich Disparitäten sowohl im Vergleich zu den urbanen Zentren als auch zwischen den unterschiedlich strukturierten ländlichen Räumen. Wie in zahlreichen Regionalrankings deutlich wird, gibt es wachsende, ländlich geprägte Regionen, die etwa aufgrund ihrer Lage, einer starken mittelständischen Industrie und wachsender Bevölkerung gute Perspektiven aufweisen. Daneben stehen vom Strukturwandel betroffene Regionen, die aufgrund ihrer peripheren Lage nicht oder nur unzureichend von positiven wirtschaftlichen Entwicklungen profitieren und in denen sich gleichzeitig der demografische Wandel negativ bemerkbar macht. In diesen Regionen erschweren zunehmende kommunale Finanzprobleme notwendige Anpassungsmaßnahmen an gesellschaftliche und ökologische Herausforderungen (Hünnemeyer und Kempermann 2020; Hesse et al. 2019; Prognos AG 2019; Oberst und Voigtländer 2020).

Diese klassische Stadt-Land-Dichotomie zwischen prosperierenden urbanen Zentren und strukturschwachen ländlichen Räumen hält jedoch detaillierten Analysen nur bedingt stand. Es zeichnet sich insgesamt ein sehr differenziertes Bild, in dem sich unterschiedliche Trends überlagern und räumlich manifestieren (Wolff et al. 2020). Gleichzeitig nähern sich auch die Unterschiede zwischen den Lebenslagen und Lebensstilen der Bevölkerung in ländlichen Räumen und urbanen Räumen immer mehr an. Auch ländliche, peripher gelegene Regionen können somit für ihre Bewohner*innen und Hinzuziehende attraktive Arbeits- und Lebensperspektiven bieten.

Entscheidende Voraussetzungen dafür sind digitale Infrastrukturen, flächendeckend verfügbare, leistungsfähige und nutzerorientierte Mobilitätsangebote und eine ausreichende Versorgung mit Einrichtungen der öffentlichen Daseinsvorsorge sowie die Grundversorgung mit Gütern und Dienstleistungen des täglichen Bedarfs. Vielfach und umfassend dokumentiert sind die Defizite in der Versorgung vieler ländlicher Regionen (BMWi 2020; BMVI 2019a, b; Innovationsgruppe UrbanRural SOLUTIONS 2019), die damit auch die Diskussion über die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse beflügeln. Dabei steht nicht allein die instrumentelle Ausgestaltung der Raumordnungs- und Regionalpolitik im Vordergrund, sondern auch das Prinzip der Gleichwertigkeit (Ragnitz und Thum 2019; Steinführer und Küller 2020; Winkler-Kühlken 2019; Milbert 2019; BBSR and BBR 2020). Obwohl dieses Prinzip in Deutschland Verfassungsrang hat, bleibt die Frage nach wie vor strittig, was unter regional gleichwertig zu verstehen ist und welche Rolle der Staat bei der Schaffung dieser gleichwertigen Bedingungen spielen soll oder kann. So wird unter den Bedingungen des demografischen Wandels und des damit verbundenen Bevölkerungsrückgangs diskutiert, ob eine Schließung bzw. ein Rückbau von Infrastrukturen und Einrichtungen der Daseinsvorsorge und deren Konzentration in langfristig zu stabilisierende „Zentrale Orte“ unumgänglich wird, welche bestehenden rechtlichen Regelungen im Bereich der Daseinsvorsorge ggf. angepasst werden müssen und wie flexible, adäquate Lösungen aussehen könnten (Sachverständigenrat Ländliche Entwicklung (SRLE) 2017).

Dieser Diskurs war mit Auslöser für die Einrichtung einer Kommission auf Bundesebene, die auf der Basis eines gemeinsamen Verständnisses gleichwertiger Lebensverhältnisse umfassende Handlungsempfehlungen mit Blick auf regionale Entwicklungen und den demografischen Wandel in Deutschland erarbeitet hat (BMI et al. 2019). Die Bundesregierung hat diese Empfehlungen aufgegriffen und ein Maßnahmenpaket mit mehr als 20 Förderprogrammen nur für ländliche strukturschwache Regionen aufgelegt (Bundesregierung 2020). Die Bundesregierung hebt zwei Aspekte besonders hervor: Zum einen sind Maßnahmen zur Verbesserung der Gleichwertigkeit der Lebensbedingungen immer ganzheitlich zu sehen; Mobilitätspolitik ist z. B. nicht nur Verkehrspolitik, sondern hat gleichzeitig Anpassungen in der Siedlungsstruktur, die Sicherung der Nahversorgung und die Herausforderungen des Umwelt- und Klimaschutzes mit zu berücksichtigen. Zum anderen: Jede Region ist anders und es gibt keine one size fits all-Option.

Um lokal angepasste Lösungen zu entwickeln, ist es entscheidend, endogene und exogene Potenziale für eine nachhaltige Regionalentwicklung zu identifizieren und zu aktivieren. Das Plädoyer für partizipative Prozesse, bottom-up-Ansätze und für die aktive Einbindung lokaler und regionaler Akteure bei der Entwicklung und Umsetzung von Lösungsansätzen gehört heute zum Standardrepertoire der Regional- und Raumordnungspolitik. Unzählige Methoden und Formate der Beteiligung liegen vor. Deren Voraussetzungen und Erfolgsfaktoren, Zielsetzungen und Intensität der Beteiligung sind jedoch oftmals wenig systematisch aufbereitet. Der vorliegende Beitrag gibt einen Überblick über diese Partizipationslandschaft und nutzt dabei die Erfahrungen aus einem Forschungsprojekt, in dem in einem Reallabor Lösungen für konkrete kommunale Herausforderungen erarbeitet und umgesetzt wurden.

2 Hintergrund: Das Projekt „Wat nu?“

Im Verbundvorhaben „Wat nu? – Demografischer Wandel im Wattenmeer-Raum“ erarbeiteten und erprobten niedersächsische Insel- und Festlandsgemeinden neue Wege im Umgang mit den Folgen des demografischen Wandels. Der Schwerpunkt der konzeptionellen Arbeit lag dabei in der Gemeinde Wangerland als kommunaler Praxispartner, kooperierende Kommunen waren die Stadt Norden und die beiden Inseln Juist und Spiekeroog. Wissenschaftliche Partner in dem Projekt waren die Carl von Ossietzky Universität Oldenburg und die Arbeitsgruppe für regionale Struktur- und Umweltforschung.

Die Gemeinde befindet sich in einer räumlich sehr exponierten Lage und zählt zum Nationalpark, zum Biosphärenreservat und zum UNESCO-Weltnaturerbe „Niedersächsisches Wattenmeer“. Der Tourismus ist in der Küstenregion einer der wichtigsten Wirtschaftszweige und Arbeitgeber. Die Region setzt dabei vermehrt auf einen naturverträglichen Tourismus und profitiert dabei von dem besonderen Naturkapital. Auf der anderen Seite sind mit den verschiedenen Schutzkategorien aber auch Restriktionen verbunden, etwa mit Blick auf die Belegung von Flächen mit bestimmten Flächennutzungen oder die Realisierung spezieller touristischer Angebote.

Die Gemeinde zählt mit rd. 176 km2 zu den größeren Flächengemeinden in Niedersachsen, die Zahl der Einwohner*innen beträgt etwas mehr als 9000 und hat in den letzten Jahren leicht zugenommen. Aktuelle Bevölkerungsprognosen deuten jedoch auf einen leichten Rückgang hin. Vergleichbar dem allgemeinen Bundestrend verändert sich vor allem die Bevölkerungsstruktur, die Zahl der älteren Einwohner*innen nimmt zu. Wesentliche Merkmale der Gemeinde sind die sehr geringe Einwohner*innendichte und die disperse Siedlungsstruktur mit insgesamt 16 Ortsteilen. Über 50 % der Einwohner*innen wohnen dabei außerhalb dieser Ortsteile. Die ungleichmäßige Verteilung wird dadurch verstärkt, dass sich die Bevölkerung weitestgehend in dem unmittelbaren Küstensaum konzentriert, während sich der Hauptort mit der Gemeindeverwaltung im Hinterland befindet.

Eine weitere Herausforderung für die Gemeinde ergibt sich aus ihrer Funktion als einer der beliebtesten Urlaubsorte an der deutschen Nordseeküste. Im Jahr 2019 verzeichnete die Gemeinde über 330.000 Tourist*innen. Dies bedeutet aber auch, dass die Gemeinde eine kommunale Infrastruktur und Einrichtungen der öffentlichen Daseinsvorsorge vorhalten und finanzieren muss, die die Nachfrage in den Haupturlaubszeiten bedienen können. Als kleine Kommune hat das Wangerland daher die Infrastruktur einer mittleren Großstadt vorzuhalten.

Außerdem erhöhen die Altersruhestandswanderungen und eine wachsende Zahl von Zweitwohnungsbesitzer*innen die Anforderungen an die Infrastruktur. Gerade die Zunahme von Wohnungsbesitzer*innen, die oft nur temporär vor Ort sind, trägt mit dazu bei, dass sich die sozialen Strukturen in der Gemeinde nachteilig verändern. Oft leiden darunter ehrenamtliche Angebote und das Vereinsleben, aber auch Nachbarschaften, auf deren Hilfe gerade ältere, weniger mobile Einwohner*innen häufig angewiesen sind. Bei allen Planungen und Investitionen hat die Kommune zudem ihre angespannte Finanzlage zu berücksichtigen. Das Wangerland zählt zu den finanzschwachen Kommunen in Niedersachsen und erhielt z. B. im Jahr 2020 den größten Einzelbetrag als Bedarfszuweisung für besondere Aufgaben.

Politik, Verwaltung, Unternehmer*innen und Bürger*innen der Gemeinde Wangerland haben in den letzten Jahren diese besonderen Herausforderungen erkannt. Das Wissen um adäquate Lösungsansätze und der Wille, diese umzusetzen, sind bei den meisten dieser Akteuren vorhanden. Die Initiative und die Umsetzung scheitern jedoch oft an den vorherrschenden oder auch nicht vorherrschenden Bedingungen und Strukturen: Nicht immer sind Aktivitäten, die den demografischen Wandel adressieren, hinreichend koordiniert und nachhaltig. So scheitern Initiativen daran, dass sie nicht die richtigen Personen und Einrichtungen erreichen, die für eine dauerhafte Realisierung hilfreich wären. Ihnen fehlen die erforderlichen Ressourcen, um Lösungsideen allein umzusetzen bzw. wissen sie nicht, an welcher Stelle sie anfangen können. Tourist*innen und Zweitwohnungsbesitzer*innen haben möglicherweise Ideen und Lösungsansätze, aber sie werden von den dauerhaft dort lebenden Akteuren nicht gefragt, weil sie sich nur während kurzer Zeiträume an ihrem Zweitwohnsitz aufhalten oder weil sie nicht als „Einheimische“ betrachtet werden. Dabei haben sie möglicherweise ein großes Interesse an einer positiven Entwicklung, weil sie den Naturraum schätzen.

Aber auch innerhalb von Verwaltungsstrukturen tragen unterschiedliche räumliche Bezugsebenen, Planungszeiträume, fachliche Zuständigkeiten und Zielsetzungen nicht dazu bei, dass sich die Akteure zusammenfinden und an kooperativen ganzheitlichen Lösungen arbeiten. Hinzu kommt eine unübersichtliche Menge an Förderprogrammen, die jedoch nicht immer bekannt sind oder aufgrund des bürokratischen Aufwands bei der Antragsstellung nicht genutzt werden.

Ausgangspunkt des Verbundvorhabens Wat nu? war daher die Frage, wie das verstreut vorliegende System- und Transformationswissen bei den lokalen Akteuren, Netzwerken, Tourist*innen und Zweitwohnungsbesitzer*innen genutzt werden kann, um mit einem kollaborativen Ansatz adäquate Handlungsoptionen im Umgang mit den Folgen des demografischen Wandels zu entwickeln und zu erproben. Dabei sollte untersucht werden, inwiefern mit unterschiedlichen partizipativen Methoden endogenes und exogenes Potenzial aktiviert werden kann. Unter endogenem Potenzial wird dabei das in den Gemeinden vorhandene Wissen, Know-how und Engagementpotenzial verstanden. Exogenes Potenzial subsumiert dagegen Wissen, Know-how und Engagementpotenzial, das in die Gemeinde hineingezogen werden kann, weil z. B. Menschen diesen Raum schätzen (z. B. Tourist*innen oder Zweitwohnungsbesitzer*innen). Das Vorhaben greift dabei auf den Ansatz des Reallabors zurück, in dem unterschiedliche Akteure aus dem wirtschaftlichen, wissenschaftlichen und politisch-zivilgesellschaftlichen Bereich mit Bürger*innen zusammenarbeiten, um gemeinsame Lösungen für reale Probleme in einem konkreten räumlichen Zusammenhang zu erarbeiten.

3 Stand der Forschung und methodischer Hintergrund

Im Projekt Wat nu? wurde der konzeptionelle Ansatz des Reallabors gewählt. In diesem Kapitel wird eine kurze Einführung in den aktuellen Forschungsstand hierzu gegeben, um dann auf die für die Arbeit im Reallabor zentrale Beteiligung einzugehen. Im Mittelpunkt stehen dabei Fragen nach der Intention und der Intensität der Beteiligung sowie ein Überblick über die Faktoren, die die Partizipation befördern oder hemmen können.

3.1 Zentrale Merkmale von Reallaboren

Der Begriff der Reallabore hat gegenwärtig Hochkonjunktur; so kommt ihm im Rahmen der Umsetzung der großen Transformationen (z. B. Klimaanpassung, Energiewende, nachhaltige Stadtentwicklung) eine wichtige Rolle zu (Schneidewind 2018). Aber nicht immer ist hinreichend klar, was sich dahinter verbirgt.

Allgemein bezeichnen Reallabore (englischsprachig: living labs bzw. real-world laboratories) konkrete räumliche Einheiten, in denen Kooperationen zwischen Wissenschaft, Praxis und Zivilgesellschaft zu Themen der Nachhaltigkeit und großen Transformation stattfinden. So wird beispielsweise in einer Region, einer Stadt oder in einem Quartier ein experimentelles Umfeld geschaffen, in dem die Akteure reale Veränderungs- und Anpassungsprozesse gestalten und initiieren. Das Ziel von Reallaboren besteht darin, unkonventionellen, wenig oder gar nicht etablierten Lösungen und Handlungsansätzen, die dem gesellschaftlichen Wohl dienen, einen konkreten Raum zum Ausprobieren und Experimentieren zu bieten. Dabei kann es sich um organisatorische, technische oder regulatorische Lösungen handeln, aber genauso gut um neue Verhaltensweisen und das Aufbrechen von Gewohnheitsmustern. In einem Reallabor sind Veränderungs- und Anpassungsprozesse in einen konkreten sozialen oder gesellschaftlichen Kontext eingebettet und bis zu einem gewissen Grad durch diese geleitet. Reallabore können daher nicht mit zeitlich und inhaltlich eng definierten Experimenten oder Projekten gleichgesetzt werden.

Die Arbeit in einem Reallabor kann sich in sehr verschiedene, nicht vorhersehbare Richtungen entwickeln. Eine Vielzahl an Veröffentlichungen beschreibt die unterschiedlichen Facetten von Reallaboren und benennt die wesentlichen Rahmen- und Erfolgsbedingungen (Beecroft et al. 2018; Schmidt 2019; Schneidewind und Singer-Brodowski 2015; Kallai 2020; Baran und Berkowicz 2020). Reallabore zeichnen sich durch eine Reihe gemeinsamer Merkmale aus (Rose and et.al. 2018; Parodi et al. 2018; Schäpke et al. 2017; Schneidewind und Singer-Brodowski 2015):

  • Gemeinsame Bezugspunkte: Die Akteure mit ihren unterschiedlichen Wissensgrundlagen müssen sich auf gemeinsame Bezugspunkte berufen können, die inhaltlich so konkret sein müssen, dass die verschiedenen Gruppen trotz differierender Vorstellungen und konfligierender Interessen auf ein gemeinsames Ziel hinarbeiten können (z. B. CO2-Neutralität, klimapositive Regionen).

  • Transdisziplinarität: Sie bezeichnet die Kooperation verschiedener Wissenschaftsdisziplinen und der Praxis im Kontext gesellschaftlich relevanter Fragestellungen.

  • Realweltliche Kontexte als Ausgangs- und Bezugspunkte: Im Fokus stehen praxis- und gesellschaftlich relevante Fragestellungen und die Entwicklung entsprechender Lösungen.

  • Realweltliche Interventionspunkte: Letztere bezeichnen konkrete Orte, an denen sich Reallabore manifestieren. Das können einzelne Räume und Gebäude sein, aber auch Grundstücke, Quartiere, Städte, Regionen, Naturschutzreservate usw.

  • Empowerment: Die Prozesse, Verfahren und Methoden, aber auch die Haltungen der beteiligten Akteure selbst sind in den Reallaboren so auszugestalten, dass sie eine Selbstermächtigungs- und Selbstwirksamkeitskultur schaffen, die sich selbst verstärken, jedoch sich auch nach innen kritisch reflektieren können.

  • Reflexivität: In Reallaboren finden rekursive Lern- und Entwicklungsprozesse statt, in denen die Anwendung bestehenden Wissens grundsätzlich hinterfragt wird, um so bestehende Wissenslücken aufzudecken.

Diese eher abstrakten Merkmale werden in den folgenden Abschnitten konkretisiert, wobei der Schwerpunkt der Ausführungen auf der konzeptionellen und instrumentellen Ausgestaltung der Beteiligung der verschiedenen Akteursgruppen im Rahmen der konkreten Arbeit in Reallaboren liegt.

3.2 Beteiligungsprozesse

In Reallaboren spielt die Einbindung von nicht-wissenschaftlichen Akteuren eine wesentliche Rolle (Schäfer und Scheele 2014; Wanner et al. 2017; Parodi et al. 2019). Hierzu zählen allen voran Akteure aus der Praxis, die bei der Umsetzung und Realisierung von Transformationsvorhaben zentral sind, wie z. B. Vertreter*innen aus Kommunalverwaltung und -politik, lokale und regionale wirtschaftliche Akteure, aber auch Bürger*innen. Die Partizipateure sollen dabei nicht nur mitmachen, sondern im besten Fall zum selbständigen Handeln hin zu einer nachhaltigen Entwicklung angeregt, unterstützt und ermächtigt werden (Parodi et al. 2020; Schneidewind und Singer-Brodowski 2015). Dabei stellen sich in solchen Projekten und Prozessen zwangsläufig folgende Fragen:

  • Warum sollen die Akteure eingebunden werden? – Dies hängt ab vom Ziel und von der Intention einer Beteiligung bzw. eines Beteiligungsvorhabens.

  • Welche Akteure sollen eingebunden werden? – Dies betrifft die Auswahl der erforderlichen Ziel- und Teilnehmergruppen sowie die Frage nach der Anzahl der einzubindenden Akteure.

  • Wie sollen die Akteure eingebunden werden? – Hier geht es darum festzulegen, welche Intensität der Beteiligung angestrebt wird und mit welchen Ansätzen, Formaten und Methoden die Akteure aktiviert und mit ihnen zusammengearbeitet werden soll.

  • Wann sollen die Akteure eingebunden werden? – Bei dieser Frage geht es einerseits um den richtigen Zeitpunkt der Einbindung während der Projektlaufzeit, andererseits aber auch darum, wann die besten Zeitpunkte zur Einbindung einzelner Zielgruppen innerhalb einzelner Formate sind.

Im Rahmen von „Wat nu?“ wurde ein pragmatisches Vorgehen gewählt, das auf dem Partizipationsverständnis von Rohr et al. (2017) konzeptionell aufbaut. In den nachfolgenden Abschnitten wird auf die oben genannten Fragen eingegangen und dargestellt, welche konzeptionellen Überlegungen hinsichtlich der Partizipation zugrunde lagen.

3.2.1 Beteiligungsintentionen

Bei den ersten beiden Fragen drehen sich die Diskussionen oftmals um die beiden Aspekte Quantität und Repräsentativität: ob möglichst viele Akteure einzubinden und sie zudem repräsentativ für die Bevölkerung sind (Selle 2019; Frankenberger et al. 2015; Klages 2014). Rohr et al. (2017) schlagen hierzu ein pragmatisches Vorgehen vor, bei dem nicht allein die Repräsentativität oder die Quantität als Maßstab herangezogen werden. Ob Repräsentativität angestrebt wird oder andere Aspekte im Vordergrund stehen, wie z. B. die Kreativität der Akteure, sollte an der Beteiligungsintention, dem Inklusionsprinzip und dem Teilnehmenden-Kriterium festgemacht werden.

Rohr et al. (2017) identifizierten drei Beteiligungsintentionen. Eine Intention ist die Legitimation der Ergebnisse und des Vorhabens durch die Betroffenen. Ziel ist die Akzeptanzförderung in der Bevölkerung bzw. bei den Betroffenen einer Maßnahme. Die Inklusion definiert sich hierbei „[…] über soziodemographische Repräsentativität, also einen Querschnitt der jeweils betroffenen Bevölkerung […]“ (Rohr et al. (2017, S. 39). Die Autor*innen sprechen in diesem Zusammenhang von Legitimität durch Repräsentativität. Ein weiterer Grund für die Einbindung der Praxisakteure zielt auf die Qualität der Ergebnisse ab. Das hier zugrunde liegende Inklusionsprinzip ist die Perspektivenvielfalt. Es geht also darum, eine Problemstellung aus verschiedenen Blickwinkeln zu beleuchten und möglichst alle relevanten Perspektiven zusammenzubringen; hier definiert sich die Auswahl der Beteiligten über Betroffenheit und Expertise und weniger über den soziodemografischen Querschnitt. In diesem Zusammenhang wird von Qualität durch Multiperspektivität gesprochen (Rohr et al. 2017). Eine weitere Intention der Beteiligung, die Rohr et al. (2017) identifizieren konnten, ist das Empowerment indem die Akteure Selbstwirksamkeit erfahren. Der Fokus solcher Vorhaben „[…] besteht darin, benachteiligte Gruppen zu aktivieren und zur gesellschaftlichen Teilhabe zu befähigen (Empowerment)“ (Rohr et al. 2017, S. 40). Das Inklusionsprinzip liegt hier in der Aktivierung besonders benachteiligter Gruppen und gesellschaftlicher Milieus. Im Rahmen solcher Vorhaben soll exkludierenden Faktoren entgegengewirkt werden. Schließlich identifizierten die Autor*innen eine vierte Beteiligungsintention, die sich aus dem normativen Anspruch für demokratische Beteiligung ergibt. Es geht vor allem darum, möglichst allen Menschen eine barrierefreie, aber dennoch freiwillige Mitwirkung zu ermöglichen. Das Inklusionsprinzip ist dabei die Chancengleichheit.

Aus diesen unterschiedlichen Intentionen der Beteiligung lässt sich ableiten, dass Quantität und Repräsentativität nicht zwangsläufig die einzigen Kriterien sein müssen, an denen sich Beteiligungsvorhaben messen und rechtfertigen lassen. Vielmehr wird deutlich, dass sich bei der Planung und Anbahnung solcher Vorhaben stärker damit befasst werden muss, mit welcher Intention partizipative Vorhaben initiiert werden. Je nach Intention haben Ergebnisse ihre Berechtigung, sofern „[…] die im Sinne der Intention gewünschte Zusammensetzung der Teilnehmenden erreicht wurde“ (Rohr et al. 2017, S. 44). Wie die Autor*innen in ihrer Arbeit weiter anmerken, kommen in der Praxis die unterschiedlichen Intentionen nicht in Reinform vor, sondern überlagern und ergänzen sich.

Im Laufe eines Reallabor-Prozesses können sich die Intentionen für die Beteiligung verändern und entsprechend unterschiedliche Kriterien für die Auswahl und die Anzahl der Teilnehmenden erfordern. Aus diesen Überlegungen kann jedoch nicht der Schluss gezogen werden, dass der Beteiligungsbias nicht relevant ist oder quasi nicht existiert. Im Gegenteil, Beteiligungsvorhaben müssen entsprechend ihrer Intention stärker so ausgerichtet werden, sodass die gewünschten Teilnehmendengruppen erreicht und inkludiert werden.

3.2.2 Beteiligungsintensitäten

Nachdem im vorherigen Abschnitt dargestellt wurde, warum welche Akteure im Rahmen von partizipativen Vorhaben eingebunden werden, stellen sich nun die Fragen, mit welcher Intensität und wie die Akteure im Laufe partizipativer Vorhaben eingebunden werden können. Bei der Frage nach der Intensität der Beteiligung wird in der Regel auf die von Arnstein (1969) eingeführte „Ladder of Citizen Participation“ verwiesen, die Eingang in verschiedene Disziplinen und Institutionen gefunden hat. Unter Intensität wird dabei der Mitsprache-, Gestaltungs-, und Entscheidungsspielraum der Akteure in Bezug auf ein Vorhaben verstanden (Stauffacher et al. 2008; Rohr et al. 2017; OECD 2015; Bergmann et al. 2015). Im Rahmen von „Wat nu?“ wurden in Anlehnung an die Literatur vier verschiedene Beteiligungsintensitäten mit jeweils unterschiedlichen Handlungsmöglichkeiten der Akteure unterschieden (vgl. Abb. 1). Differenziert wurde dabei zwischen der Intensität der Beteiligung und der Ebene der Mitwirkung bzw. Teilhabe, wobei die Beteiligungsintensität die Ebene der Mitwirkung bestimmt.

Abb. 1
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(© Ernst Schäfer/ARSU GmbH)

Beteiligungsintensitäten und Ebene der Mitwirkung bzw. Teilhabe.

In Beteiligungsformaten, die der reinen Information dienen, werden die Teilnehmenden über die Absichten, den Stand der Dinge sowie über den Verlauf des Projektes informiert. Es gibt nur sehr begrenzte oder gar keine Möglichkeiten, sich durch Anmerkungen oder Beiträge in das Projekt einzubringen. Die Akteure erhalten ein Recht auf Information. Im Rahmen deliberativer bzw. konsultativer Beteiligungsformate können sich die Teilnehmenden aktiv einbringen. Das Ziel solcher Formate besteht darin, die Ideen, Positionen und Haltungen der Teilnehmenden in Erfahrung zu bringen und so den Austausch zwischen den Vorhabensträgern und den Betroffenen zu vertiefen. Es bestehen keine Möglichkeiten der direkten Einflussnahme auf Entscheidungs- und Gestaltungsprozesse. Im Rahmen solcher Formate wird den Teilnehmenden zusätzlich zum Recht auf Information auch das Recht auf Diskussion und zur Kommentierung eingeräumt. Deutlich weiter gehen sogenannte kokreative Vorhaben, bei denen Akteure direkt an der Gestaltung von Lösungen, Plänen und Konzepten mitwirken. Die Entscheidung darüber, wie und ob die Beiträge der Teilnehmenden in die Planung einfließen, liegt jedoch auch bei kokreativen Vorhaben in der Hand der Initiator*innen solcher Vorhaben. Den Akteuren wird hier das Recht eingeräumt, an der Gestaltung mitzuwirken. Auf der vierten Stufe stehen koproduktive Prozesse, bei denen den Akteuren das Recht eingeräumt wird, ein aktives Mitglied des Entscheidungsprozesses zu werden. Dieses Recht kann einerseits bedeuten, dass sie Teil eines Entscheidungsgremiums werden und somit Stimmrechte erhalten, andererseits aber auch, dass sie die Organisation und die Durchführung für Teile des Vorhabens übernehmen.

Auch Beteiligungsintensitäten kommen in der Praxis nicht in reiner Form vor. Generell setzen die zunehmende Beteiligungsintensität und somit der Grad der Kompetenzübertragung an die Akteure die jeweils weniger intensiven Stufen voraus, Abb. 1 stellt die Intensitäten daher als Kontinuum dar.

3.2.3 Hemmende und fördernde Faktoren für Partizipation

In der Literatur existieren unterschiedliche Erklärungsansätze für Nicht-Beteiligung (Alcántara et al. 2014). Diese lassen sich nach Rohr et al. (2017) zwei wesentlichen Kategorien zuordnen: den akteursbezogenen und den verfahrensbezogenen Erklärungsansätzen.

Akteursbezogene Erklärungsansätze beziehen sich auf die den Menschen zur Verfügung stehenden Ressourcen und Kapazitäten, aber auch auf ihre Motivation zur Teilnahme. Unter Ressourcen wird dabei vor allem das soziale, ökonomische und kulturelle Kapital verstanden. Das Nicht-Vorhandsein dieser Ressourcen kann die Teilnahme an einem Beteiligungsprozess hemmen. Ohnmachtsgefühle und -erfahrungen, politisches Desinteresse und Apathie, aber auch der Befund anderer persönlicher oder wirtschaftlicher Sorgen können Gründe sein, sich nicht zu beteiligen. Kulturalistisch bedingte Nicht-Beteiligung wird auf Werte und Normen zurückgeführt, die Beteiligungsverfahren und -formaten zugrunde liegen. Diese sprechen vor allem gesellschaftliche Milieus an, für die das Deliberative selbstverständlich ist (Rohr et al. 2017, S. 42). Fehlende Kapazitäten zeigen sich dagegen vor allem im begrenzten Zeitbudget, Personen engagieren sich anderweitig oder sind familiär oder beruflich stark eingebunden. Dies ist insbesondere bei sehr zeitintensivem Engagement von Bedeutung (Rohr et al. 2017, S. 45).

Daneben kann dem verfahrensbezogenen Erklärungsansatz folgend auch die Ausgestaltung des Partizipationsvorhabens beteiligungshemmend wirken. So kann die Anzahl der Teilnehmenden begrenzt sein, die gewählten Kommunikationskanäle erreichen möglicherweise nicht alle Akteure, oder die gewählten Tage und Zeiten der Veranstaltungen erlauben bestimmten Gruppen keine Teilnahme. Auch die gewählten Methoden wirken möglicherweise nicht einladend oder stellen Anforderungen an die Teilnehmenden, die sie nicht erfüllen können, etwa weil der damit verbundene zeitliche Aufwand zu hoch ist oder bei Online-Beteiligungsformaten bestimmte Hardwarevoraussetzungen oder der Internetzugang nicht gegeben sind. Auch negative Vorstellungen von und Vorerfahrungen mit Beteiligungsverfahren können Gründe dafür sein, dass sich Personen nicht beteiligen (Rohr et al. 2017; Klages 2014; Thewes et al. 2014).

Diese Beteiligungsbarrieren lassen sich auf der Verfahrens- bzw. Vorhabenseite reduzieren. Hierfür sehen Rohr et al. (2017, S. 71 ff.) folgende Möglichkeiten:

  • Ernst gemeinte Intention der Vorhabensträger: Dies wird als ein zentraler Aspekt betrachtet, um vor allem das Misstrauen der Nicht-Beteiligten zu reduzieren. Vorteilhaft sind etwa qualitativ hochwertige Ergebnisse, die für alle Seiten identitätsstiftend sind, die den Zusammenhalt stärken und zu einer Verbesserung der Lebensbedingungen in einer Gemeinde führen. Auch die Mitnahme der Bürger*innen bei der Entscheidungsfindung und die Schaffung von Transparenz können die Beteiligungsbarrieren reduzieren.

  • Attraktivität des Beteiligungsergebnisses: Ein Beteiligungsvorhaben sollte grundsätzlich die Erwartungen der Teilnehmenden berücksichtigen und bereits frühzeitig die Art der zu erzielenden Resultate sowie die gemeinsamen Gestaltungsspielräume kommunizieren. Die Ergebnisse sollten greifbar, konkret und verständlich sein.

  • Konkrete und verständliche Thematik: Das Thema sollte nicht zu komplex, aber auch nicht zu allgemein oder abstrakt sein, da sonst die Gefahr besteht, dass die Teilnehmenden keinen Bezug zum Thema bzw. keine ausreichende Betroffenheit erkennen. Förderlich sind daher Themen mit expliziten lokalen Bezügen.

  • Zielgruppengerechte und aktivierende Ansprache: Die Ansprache und die Vermittlung von Themen sollten an die Zielgruppe angepasst sein. Themen sollten nicht zu komplex sein, sondern auch in kleineren Themen- und Arbeitsblöcken abgewickelt werden können. Eine persönliche Ansprache der potenziellen Teilnehmenden wirkt grundsätzlich aktivierender.

  • Attraktivität der Beteiligungsformate: Die Formate und Veranstaltungen sollten sich an den Ansprüchen, Arbeitsmodi und Lebenswelten der potenziellen Teilnehmenden orientieren. Das betrifft die Auswahl und Gestaltung der Methoden, der Zeiträume und physischen Räume und Orte der Beteiligung, zusammen etwas, das Klages (2014) als „Process Benefit“ bezeichnet. Die Ausgestaltung der Formate sollte die intrinsische Motivation zur Teilnahme erhöhen; die Teilnehmenden sollten Spaß und Freude empfinden und dadurch zur weiteren Teilnahme motiviert werden.

Rohr et al. (2017) verweisen jedoch auch auf die begrenzte aktivierende Wirksamkeit der Verfahrensgestaltung. Trotz attraktiver Formate und Veranstaltungen kann das Misstrauen gegenüber der Sinnhaftigkeit einer Beteiligung bestehen bleiben. Ursachen können dabei im Prozess liegen: Die Vorgeschichte eines Projektes oder eines Verfahrens, ein allgemeines Misstrauen gegenüber Politik und Verwaltung, ungute Erfahrungen und nicht gelöste Konflikte aus der Vergangenheit, aber auch bestehende Vorurteile können eine Rolle spielen.

4 Ergebnisse und Erfahrungen aus „Wat nu?“

Nachdem die methodischen und konzeptionellen Grundlagen des Projektes „Wat nu?“ dargelegt wurden, wird in den folgenden Abschnitten beschrieben, wie diese Aspekte konkret realisiert wurden. Dabei liegt der Fokus auf den angewandten Formaten und Methoden, die in den nachfolgenden Abschnitten vorgestellt und abschließend hinsichtlich ihrer Bedeutung für die Aktivierung der Akteure für die Beteiligung am Projekt bewertet werden.

4.1 Aktivierung und Beteiligung der Akteure – Methoden und Formate

Das Beteiligungskonzept von „Wat nu?“ umfasste verschiedene Formate und Methoden, d. h. auch nicht-partizipative Elemente unterschiedlicher Intensität. Unter partizipativen Elementen werden alle Formate verstanden, über die Akteure eingebunden wurden, die nicht Projektmitarbeiter*innen der beteiligten Organisationen waren. In der Regel waren diese Formate an die breite Öffentlichkeit gerichtet, es gab jedoch auch Formate, die sich z. B. gezielt an die Ratsmitglieder oder an ausgewählte lokale und regionale Expert*innen oder Bürger*innen richteten, bei denen davon ausgegangen werden konnte, dass sie an den klassischen Veranstaltungen nicht teilnehmen würden.

Das gesamte Projekt kann in drei Phasen unterteilt werden, in denen die Handlungsbausteine mit jeweils entsprechenden Formaten realisiert wurden. In Anlehnung an Parodi et al. (2020, S. 62 ff.) zeigt Abb. 2 auf einem Zeitstrahl die unterschiedlichen Formate und Methoden und erfasst dabei vor allem die partizipativen Elemente. Die Y-Achse zeigt dabei die Partizipationsintensität und den Grad der Kompetenzübertragung. Der Wert -1 auf der Y-Achse steht für nicht-partizipative Elemente. Unter nicht-partizipativen Elementen sind formelle und informelle Treffen zu verstehen, die sich an Mitarbeiter*innen der beteiligten Institutionen richteten. Die Werte von 1 bis 4 stehen für die partizipativen Elemente, wobei 1 für Information und 4 für Koproduktion steht. Eine Veranstaltung im Wertebereich von 1 bis 3 bedeutet z. B., dass es sich hierbei um eine hybride Veranstaltung handelt, die sowohl einen informativen als auch diskursiven und kokreativen Charakter hatte.

Abb. 2
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(© Ernst Schäfer/ARSU GmbH)

Zeitstrahl der partizipativen Formate und der Beteiligungsintensität.

Die X-Achse ist dabei als zeitliches Kontinuum, jedoch nicht als Chronologie zu verstehen. Das Rahmenformat der Säulen gibt Hinweise auf die Zielgruppe. In den nachfolgenden Abschnitten werden einige ausgewählte Formate und Methoden und ihre jeweilige zielgruppenspezifische Ausgestaltung etwas detaillierter beschrieben.

4.1.1 Bürgerwerkstätten

Die Bürgerwerkstatt war im Kontext von „Wat nu?“ ein kontinuierliches Format, das allen Akteuren offenstand. Jede einzelne Bürgerwerkstatt wurde dabei individuell ausgestaltet. Die Dauer einer Bürgerwerkstatt betrug je nach Umfang des Themas zwischen zwei und vier Stunden und folgte einem einheitlichen Schema:

  • Input: Zu jedem Thema wurde aus einer anderen ländlichen Gemeinde oder einer Gemeinde mit ähnlichen Problemen ein*e Expert*in eingeladen, um über eigene Erfahrungen zu berichteten;

  • Fragen und Diskussion: Die Teilnehmenden der Bürgerwerkstatt konnten den Expert*innen Fragen stellen und mit ihnen diskutieren;

  • Kokreation und Koproduktion: Schließlich tauschten sich die Teilnehmenden in Gruppen darüber aus, wie das Thema in ihrer Gemeinde bearbeitet werden kann, welche Ideen sie dazu haben und welches die nächsten Schritte sein könnten. In dieser Arbeitsphase kamen unterschiedliche Kreativitäts- und Arbeitstechniken zur Anwendung.

Ein wesentliches Ziel des Formates bestand darin, eine wiederkehrende und kontinuierliche Möglichkeit für die Zusammenarbeit mit und zwischen den Bürger*innen und sonstigen interessierten Akteuren zu schaffen. Inhaltlich ging es in den Bürgerwerkstätten darum, sich mit dem demografischen Wandel zu befassen, relevante Themen zu identifizieren, den Projektverlauf vorzustellen, Mitstreiter*innen zu finden sowie Lösungen zu erarbeiten, zu konkretisieren und voranzubringen. Während die ersten Bürgerwerkstätten zunächst inhaltlich offen waren, wurden sie im Laufe des Projektes immer konkreter, sodass ganz spezifische Themen, wie z. B. Car-Sharing, Nahversorgung oder Bürgerbus behandelt wurden.

Die Aktivierung der Teilnehmenden für die Bürgerwerkstätten fand auf klassischen Wegen statt. Für die erste Veranstaltung wurden die Teilnehmenden über die Presse, die Projekthomepage und über die Mitglieder des Gemeinderates aktiviert. Anschließend wurde auf ein größeres Spektrum an Aktivierungsmethoden zurückgegriffen. So wurde im Laufe der Zeit ein Verteiler aufgebaut, in den sich die Teilnehmenden und weitere Interessierte nach jeder Veranstaltung eintragen konnten. Dieser Verteiler umfasste über 250 Einzelpersonen, die zu jeder Veranstaltung persönlich und offiziell im Namen der Gemeinde eingeladen wurden. Ca. 80 Personen wünschten dabei, per Post eingeladen zu werden. Der Verteiler umfasste Personen, die bereits aktiv oder als Funktionsträger*innen in der Gemeinde oder der Region tätig sind oder waren, aber auch 95 Personen, die sich als interessierte Bürger*innen ohne weitere Funktionen zu erkennen gaben bzw. Zweitwohnraumbesitzer*innen waren.

An den Bürgerwerkstätten nahmen vereinzelt auch jüngere Menschen teil, doch beschränkte sich der Teilnehmendenkreis in der Regel auf Personen über 40, die eine hohe Motivation und Engagement mitbrachten.

Im Rahmen der Bürgerwerkstätten wurden alle Beteiligungsintensitäten abgedeckt. So kamen informative Formate genauso zu Einsatz wie Diskussionen und koproduktive Elemente, sodass z. B. gemeinsame Entscheidungen über weitere Schritte getroffen wurden.

4.1.2 Fotowettbewerb

Der Fotowettbewerb war ein physisches, orts- und zeitunabhängiges Format, das unter dem Motto „Zeig uns deine Orte und ihre Menschen“ stand. Die Teilnehmenden konnten über einen Zeitraum von sechs Monaten selbst festlegen, wann und von wo aus sie ihren Beitrag leisten wollten. Die Beiträge konnten über die Projekthomepage eingereicht werden. Über die Methode der Fotografie und der semistrukturierten Online-Befragung sollten die Teilnehmenden dazu angeregt werden, sich mit ihrer Umgebung aktiv auseinanderzusetzen, und aufzeigen, wo sie möglicherweise einen Zusammenhang mit dem demografischen Wandel sehen. Einerseits sollten über die Methode, neue Teilnehmendengruppen erreicht und andererseits lokale Erkenntnisse und neue Sichtweisen auf den demografischen Wandel gewonnen werden. Die Teilnehmenden wurden explizit darauf hingewiesen, dass es dabei nicht um schöne, sondern um aussagekräftige Fotos geht. Gleichzeitig wurden sie um die Beantwortung eines kurzen Fragebogens zu ihrer Person und den fotografierten Orten gebeten.

Der Fotowettbewerb wurde im Rahmen des Projekts nur beispielhaft auf der Insel Spiekeroog angewandt, so dass das Potenzial dieses Formats nicht völlig realisiert werden konnte. Die Aktivierung der Bevölkerung erfolgte über den Aushang von Plakaten, die Auslage von Flyern auf der Insel sowie über die Projekthomepage.

Die eingereichten Beiträge wurden in Bezug auf die Fragen systematisch ausgewertet und dokumentiert und fanden dann Eingang in die erste Projektphase. Abb. 3 zeigt die Auswertungssystematik der eingereichten Fotobeiträge, die auch die mit dem Beitrag adressierten Orte und Landmarken auf einer Karte enthält. Mithilfe der systematischen Auswertung konnten positive und negative Orte sowie Schlagwörter und Phrasen, die mit dem demografischen Wandel häufig in Verbindung gebracht werden, aufgedeckt werden.

Abb. 3
figure 3

(© Ernst Schäfer/ARSU)

Auswertungssystematik des Fotowettbewerbs.

Die Erfahrungen mit der Methode zeigen, dass sich dadurch auch jüngere Altersgruppen und nicht ortsansässige Personen einbinden lassen. Die Methode kann dabei als diskursives Format betrachtet werden, das den Teilnehmenden die Möglichkeit gab, ihren Blickwinkel auf den demografischen Wandel einzubringen.

4.1.3 Mental Maps

Bei der Methode Mental Maps handelt es sich um die Darstellung der subjektiven Wahrnehmung eines Raumes (z. B. einer Kommune oder eines Quartiers) durch eine bestimmte Person zu einem bestimmten Zeitpunkt und das Verdeutlichen der emotionalen Verbindungen, die diese Person zu diesem Raum oder zu diesem Ort hat. Mental Maps können von der Realität abweichen, sie können aber dabei helfen, einen Raum aus der Perspektive einzelner Personen besser zu verstehen. Im Rahmen von „Wat nu?“ wurde diese Methode auf der Insel Spiekeroog eingesetzt, um Passant*innen – dabei handelte es sich fast ausschließlich um Tourist*innen – zum demografischen Wandel zu interviewen. Die Teilnehmenden wurden gebeten, sowohl positiv als auch negativ besetzte Orte auf einer Karte einzuzeichnen. Während des Zeichnens ergaben sich zwischen dem jeweiligen Teilnehmenden und der*m Interviewer*in interessante Gespräche, in denen Geschichten über die Orte erzählt wurden, man etwas über die Verbundenheit der Teilnehmenden zur Insel erfuhr, aber auch Themen wie Mobilität, Barrierefreiheit oder auch Wohnraumproblematik auf der Insel zur Sprache kamen. Während eines Zeitraumes von ca. vier Stunden konnten dabei 16 zufällig angetroffene Personen interviewt werden. Es hat sich gezeigt, dass Orte und Plätze, an denen die Personen verweilen, wenn sie z. B. auf eine Fähre warten, günstiger für Interviews sind als Durchgangsorte, die die Personen nur passieren, um ein anderes Ziel zu erreichen.

Die Zusammensetzung der Interviewpartner*innen ergab sich daher aus den zufällig an den jeweiligen Ort verweilenden Personen. Das Altersspektrum reichte dabei von Jugendlichen bis hin zu 80-jährigen Personen aus verschiedenen Teilen der Bundesrepublik. Insgesamt wurden elf Mental Maps erstellt. Diese wurden inklusive der Interviewprotokolle anschließend einer qualitativen und quantitativen Inhaltsanalyse unterzogen und mit Blick auf folgende Aspekte ausgewertet:

  • Positive Orte: Landmarken, Orte auf der gezeichneten Karte bzw. Aussagen im Protokoll zu Orten, die positiv von den Interviewpartner*innen bewertet wurden

  • Positive Konnotation zur Insel: Aussagen, die der Inselgemeinde positive Eigenschaften zuschreiben

  • Negative Orte: Orte auf der gezeichneten Karte bzw. Aussagen im Protokoll zu Orten, die negativ von den Interviewpartner*innen bewertet wurden

  • Negative Konnotation zur Insel: Aussagen, die der Inselgemeinde negative Eigenschaften zuschreiben

  • Ideen und Anregungen: Hierzu zählen Aussagen, die Ideen für Projekte und die Gestaltung der Inselgemeinde beinhalteten

Ferner konnten aus den Dialogen Begriffe extrahiert werden, die in Bezug auf die Häufigkeit ihrer Nennung quantifiziert und in Form von Wortwolken aufbereitet wurden. Die systematisierte Auswertung wurde schließlich in Phase 1 des Projektes einbezogen und verarbeitet. Auch die Mental Maps können als diskursive Methode betrachtet werden, die es den Teilnehmenden ermöglichte, ihre Sichtweise auf den demografischen Wandel in der Gemeinde einzubringen. Abb. 4 zeigt eine exemplarische Mental map und die dazugehörige Auswertungssystematik.

Abb. 4
figure 4

(© Ernst Schäfer/ARSU)

Auswertungssystematik der Mental Maps.

4.1.4 Haushaltsbefragung

Aus den Bürgerwerkstätten entstand u. a. die Arbeitsgruppe „Mobilitätsverein Wangerland“, die sich mit der möglichen Realisierung eines Bürgerbusses in der Gemeinde Wangerland befasste. In dem Zusammenhang entstand die Idee, in einer Haushaltsbefragung Einschätzungen der Gemeindebewohner*innen zur Notwendigkeit, Ausgestaltung und zum Streckenbedarf eines Bürgerbusses zu erheben. Die Befragung sollte zudem dazu dienen, die Bürger*innen über die Bürgerbus-Aktivitäten zu informieren. In Zusammenarbeit mit den wissenschaftlichen Projektpartner*innen, der Gemeinde und der Arbeitsgruppe „Mobilitätsverein“ wurde ein Fragebogen zum gegenwärtigen Mobilitätsverhalten und zu -bedarfen erarbeitet. Die Aktivierung der Teilnehmenden erfolgte über die Gemeinde Wangerland, die hierzu alle Haushalte mit dem Fragebogen postalisch anschrieb. Parallel wurde über die Projekthomepage ein Online-Fragebogen bereitgestellt. Über die lokale bzw. regionale Presse wurde zusätzlich auf die Aktion aufmerksam gemacht.

Die Auswertung der Fragebögen erfolgte durch die wissenschaftlichen Projektpartner, die die Ergebnisse in Zusammenarbeit mit der Arbeitsgruppe „Mobilitätsverein“ für die weiteren Arbeiten aufbereiteten. Insgesamt nahmen 511 Personen an der Haushaltsbefragung teil, wovon 450 den Fragebogen vollständig ausfüllten. Die Zusammensetzung der Teilnehmenden war sehr divers und spiegelte die Bevölkerungsstruktur in der Gemeinde Wangerland wider. Im Rahmen einer Bürgerwerkstatt wurden die Ergebnisse der Haushaltsbefragung einer breiten Öffentlichkeit präsentiert und von der Arbeitsgruppe „Mobilitätsverein“ für ihre Arbeit genutzt. Dier Ergebnisse der Haushaltsbefragung verdeutlichten einerseits, wie divers die Mobilitätsansprüche bei den einzelnen Personen sind, andererseits konnten zentrale Routen und Knotenpunkte sowie der Bedarf für einen Bürgerbus identifiziert werden. Nicht zuletzt erhielt das Vorhaben durch die Haushaltsbefragung auch ein breites Echo.

Die Haushaltsbefragung ist dabei eine Methode, die auf eine Repräsentativität der Ergebnisse abzielt und viele Personen erreichen soll. Gleichzeitig bietet sie den Teilnehmenden die Möglichkeit, ihre Bedarfe und Sichtweisen zu formulieren und in ein Vorhaben einzubringen, weshalb diese Methode deliberativer Natur ist.

4.1.5 BürgerBus-Rundtour

Eine weitere Methode, die auf eine Initiative der Arbeitsgruppe „Mobilitätsverein“ zurückging, war die „BürgerBus-Rundtour durch die Gemeinde Wangerland“. Die Gemeindebewohner*innen sollten die Möglichkeit bekommen, einen typischen Bürgerbus kennenzulernen und der Arbeitsgruppe Feedback in Bezug auf die Ausstattung des Busses und die Ausgestaltung des BürgerBus-Systems zu geben. Gleichzeitig sollten die Initiative weiter bekannt gemacht und engagierte Bürger*innen für das Vorhaben gewonnen werden. In Zusammenarbeit mit der Gemeinde und der konzeptionellen Unterstützung der wissenschaftlichen Begleitung plante und organisierte die Arbeitsgruppe „Mobilitätsverein“ das Format. Von Mitgliedern der Arbeitsgruppe konnte ein moderner BürgerBus für die Rundtour organisiert und genutzt werden.

In einem Zeitraum von fünf Stunden und mit einem festen Fahrplan wurden an einem Samstag mit dem Bürgerbus fünf zentrale Orte wie etwa Wochenmärkte in ausgewählten Ortschaften der Gemeinde Wangerland angefahren. An jeder Station hatten die Bewohner*innen Zeit, sich mit der Initiative auszutauschen, das Fahrzeug kennenzulernen und sich ggf. in eine Interessent*innen-Liste einzutragen. Die Aktivierung der Teilnehmenden fand in erster Linie über die lokale und regionale Presse, den im Rahmen des Projektes aufgebauten Verteiler, über die Gemeinde, über die Projekt-Homepage sowie über die angefahrenen Einrichtungen statt. Insgesamt nahmen ca. 100 Interessierte das Angebot wahr. Erreicht werden konnten die unterschiedlichsten Altersgruppen von Jugendlichen bis hin zu Senior*innen, aber auch Personen mit Handicap.

Die „BürgerBus-Roundtour“ kann als informative und konsultative Methode betrachtet werden. Einerseits können sich die Teilnehmenden über das Vorhaben informieren und andererseits ihre Sichtweise und Bedarfe gegenüber den Projektverantwortlichen artikulieren.

4.1.6 Collagen und Visionen

Unter dem Titel „Z-Werkstatt: Wie sieht das Leben auf dem Land bzw. in der Gemeinde Wangerland im Jahr 2030 bzw. 2050 aus? Eine bildliche und narrative Auseinandersetzung mit der Zukunft“ sollten die Teilnehmer*innen der Abschlussveranstaltung von „Wat nu?“ in Kleingruppen in Form einer Collage darstellen, wie sie sich selbst eine wünschenswerte Raumnutzung in der Gemeinde Wangerland im Jahr 2050 vorstellen. Als Grundlage für die Collage diente ein Luftbild der Gemeinde Wangerland. Die Teilnehmenden konnten aus einer großen Zahl an Bildern zu den Themen Mobilität, Nahversorgung, Freizeit, Tourismus, Energieversorgung, Natur, Wohnen/Leben sowie Bildung wählen. Für jedes genutzte Bild mussten die Kleingruppen einen Steckbrief ausfüllen, der das Bild beschrieb, potenzielle Chancen und Risiken sowie Umsetzungsmöglichkeiten aufzeigte.

Das Ziel der Z-Werkstatt bestand darin, in Erfahrung zu bringen, mit welchen Werten, Technologien und Ansätzen die Teilnehmer*innen positive Konnotationen verbinden und inwiefern es Unterschiede oder Gemeinsamkeiten in den Vorstellungen der Teilnehmer*innen gibt (vgl. Abb. 5). Interessant war dabei, dass sich über alle Gruppen hinweg und trotz Unterschieden in der Auswahl der Maßnahmen und Bilder hinsichtlich des Zukunftsbildes für das Jahr 2050 einige Gemeinsamkeiten ergaben. Mithilfe dieser Methode konnte gezeigt werden, dass zumindest die teilnehmenden Bewohner*innen der Gemeinde Wangerland der Digitalisierung und neuen Technologien grundsätzlich offen gegenüberstehen und hier auch regionale Entwicklungschancen sehen. Dennoch wurde auch deutlich, dass der Gemeinschaftsgedanke sowie der Umwelt- und Naturschutz in Zukunft eine bedeutendere Rolle einnehmen sollten. Gleichzeitig wirken die Bilder generell anregend und inspirierend für weitere Diskussionen. An der Z-Werkstatt nahmen Personen verschiedenen Alters teil. Insgesamt haben an der Z-Werkstatt ca. 70 Personen teilgenommen.

Abb. 5
figure 5

(© Ernst Schäfer/ARSU)

Ergebnis einer Arbeitsgruppe im Rahmen der Collagen-Methode.

Die Z-Werkstatt kann als deliberatives und kokreatives Format betrachtet werden, das gleichzeitig eine Diskussion zu den behandelten Themen und die gemeinsame Erarbeitung von Zukunftsentwürfen ermöglicht.

4.1.7 Hafen der Möglichkeiten

Der Hafen der Möglichkeiten war ein Format, bei dem sich verschiedene (Bürger*innen-)Initiativen mit Bezug zum demografischen Wandel vorstellen konnten. Das Format kam im Laufe des Projektes „Wat nu?“ sowohl bei der öffentlichen Auftaktveranstaltung als auch bei der Abschlussveranstaltung zum Einsatz. Bei der Auftaktveranstaltung diente der Hafen der Möglichkeiten als Ausgangs- und Inspirationspunkt für das Projekt und die teilnehmenden Bürger*innen und Politiker*innen aus der Gemeinde. Gleichzeitig bot sich bestehenden regionalen Initiativen die Möglichkeit, sich in der Gemeinde Wangerland vorzustellen und neue Kontakte zu knüpfen. Daher wurden bei der Auftaktveranstaltung explizit Initiativen eingeladen, die nicht in den Projektgemeinden von „Wat nu?“ etabliert waren. Dazu zählten auch Partnerprojekte aus dem Umfeld der BMBF-Fördermaßnahme „Kommunen innovativ“, sodass über den Hafen der Möglichkeit ein Austausch zwischen diesen Gemeinden und Projekten befördert wurde. Die Zielgruppe der Auftaktveranstaltung waren in erster Linie Bewohner*innen und Politiker*innen der „Wat nu?“-Modellkommunen.

Bei der Abschlussveranstaltung wurde dagegen explizit der Fokus auf lokale Initiativen gelegt, um einerseits den lokalen Bewohner*innen und Politiker*innen die Möglichkeit zu geben, bereits bestehende Initiativen in der eigenen Gemeinde kennenzulernen. Andererseits sollte den lokalen Initiativen die Möglichkeit gegeben werden, sich mit regionalen und überregionalen Akteuren zu vernetzen, die ebenfalls zur Abschlussveranstaltung eingeladen waren.

Für die Auftaktveranstaltung konnten 20 regionale und überregionale Initiativen gewonnen werden, für die Abschlussveranstaltung insgesamt elf lokale und zwölf überregionale Initiativen. Die Initiativen erhielten die Möglichkeit, sich entweder persönlich vor Ort zu präsentierten oder aber Material für die Vorstellung der Initiative zu übersenden. Der Hafen der Möglichkeit war während der beiden Veranstaltungen kontinuierlich geöffnet, im Rahmen des Veranstaltungsprogramms war jedoch auch ein Zeitfenster vorgesehen, innerhalb dessen eine Führung durch den Hafen der Möglichkeit erfolgte und die Initiativen sich noch einmal gesondert vorstellen konnten und für Nachfragen und Diskussionen zur Verfügung standen.

Der Hafen der Möglichkeiten ist in erster Linie ein informatives Format mit deliberativen Elementen, das die Möglichkeit der Information und des Austausches zu bestehenden Initiativen bietet.

4.2 Reflexion der Formate

Die im Abschn. 4.1 dargestellten Formate und Methode werden vor dem Hintergrund der konzeptionellen Grundlagen (Abschn. 3.2) reflektiert, wozu die folgenden Partizipationsaspekte gehören:

  • Beteiligungsintention

  • Beteiligungsintensität

  • Zusammensetzung der Akteure

  • Umgang mit Beteiligungsbarrieren

  • Wirkung auf und Aktivierung von Akteur*innen

Im Rahmen von „Wat nu?“ wurde deutlich, dass im Verlauf partizipativer Vorhaben verschiedene Beteiligungsintentionen auftreten und angestrebt werden. Zunächst ging es im Projekt darum, eine möglichst breite Perspektivenvielfalt bezogen auf den demografischen Wandel in der Region abzubilden, damit nicht nur Themen bestimmter Altersgruppen oder Milieus behandelt werden. Mithilfe eines Methoden-Mix aus klassischen Workshops und aufsuchender Beteiligung konnten sehr unterschiedliche Personenkreise eingebunden und viele relevante Perspektiven auf den demografischen Wandel eingeholt und berücksichtigt werden. Insbesondere die unkonventionellen Formate, wie z. B. der Fotowettbewerb und die der aufsuchenden Beteiligung, wie z. B. Mental-Maps, Interviews und Befragungen oder die BürgerBus-Rundtour, haben sich bezogen auf die Multiperspektivität als sehr nützlich erwiesen. Auch in Bezug auf die Aktivierung und Einbindung besonders benachteiligter Gruppen und gesellschaftlicher Milieus erwiesen sich diese Formate als zielführend. So wurden im Rahmen der Durchführung des Fotowettbewerbs sowie von Interviews, der Mental-Maps-Methode oder der BürgerBus-Tour Jugendliche, Personen aus bildungsfernen Haushalten und Milieus, Personen mit eingeschränkter Mobilität, aber auch Tourist*innen und Zweitwohnungsbesitzer*innen erreicht. In den klassischen Workshops, wie z. B. der Bürgerwerkstatt, die entweder mittags oder abends stattfanden, waren zunächst vor allem Ratsmitglieder und bereits in Vereinen sowie in etablierten lokalen Unternehmen engagierte Personenkreise und damit deren Perspektiven vertreten. Die Haushaltsbefragung hat sich dagegen in Bezug auf die Legitimität durch Repräsentativität als zielführende Methode erwiesen. Das Ziel war hier ein repräsentatives Abbild der Mobilitätsbedarfe. Im Rahmen von „Wat nu?“ wurde deutlich, dass im Verlauf partizipativer Vorhaben verschiedene Beteiligungsintentionen auftreten und angestrebt werden. Es zeigt sich jedoch auch, dass sich die Beteiligungsintentionen nicht immer voneinander trennen lassen. So kann die Multiperspektivität damit verbunden sein, dass man benachteiligte Gruppen und gesellschaftliche Milieus einbindet und darüber ein repräsentatives Abbild der demografischen Strukturen in der Gemeinde erreicht, auch wenn dies über subjektive Sichtweisen von Einzelpersonen geschieht.

Im Zusammenhang mit der Beteiligungsintensität wurden in „Wat nu?“ alle Intensitätsebenen angesprochen. Bei vielen Teilnehmenden war von Anfang an der Wunsch vorhanden, die rein deliberative Ebene zu verlassen und an Vorhaben im Sinne der Kokreation und Koproduktion zu arbeiten. Es hat sich jedoch herausgestellt, dass insbesondere im Zusammenhang mit der Koproduktion bei den Akteuren nicht nur die Bereitschaft, sondern auch das Interesse und vor allem aber auch die notwendigen (zeitlichen) Ressourcen vorhanden sein müssen, um an Vorhaben kontinuierlich arbeiten zu können. Der erforderliche zeitliche Aufwand steigt, je intensiver die Beteiligung ist und je konkreter ein Vorhaben in Koproduktion umgesetzt werden soll. Das kann vor allem bei Akteuren, die sich im Rahmen ihrer Freizeit engagieren, zu einem Hemmnis werden. So hatte im Rahmen von „Wat nu?“ nur ein kleiner Teil der Teilnehmenden überhaupt die Kapazitäten, sich jenseits der Bürgerwerkstätten zu engagieren. Bei Kokreation und Koproduktion müssen zudem die Formate und Methoden so ausgewählt werden, dass sie es auch Laien ermöglichen, an für sie fremden Themen zu arbeiten sowie Fortschritte und Erfolge zu erzielen.

Bei der Zusammensetzung der Teilnehmenden gab es Unterschiede zwischen den Formaten, obwohl sich die Formate grundsätzlich an alle Personenkreise richteten. Die Bürgerwerkstätten richteten sich vor allem an Personenkreise, die ein Interesse an einer kontinuierlichen und projektbegleitenden Zusammenarbeit hatten. Formate der aufsuchenden Beteiligung sollten dagegen vor allem diejenigen erreichen, die sich eher spontan und unverbindlich einbringen wollten. So nahmen an den Bürgerwerkstätten zu Beginn des Projektes bereits engagierte und in der Gemeinde bekannte Akteure teil. Über die Formate der aufsuchenden Beteiligung wurden dagegen jüngere, aber vor allem auch weniger bekannte Personenkreise erreicht. Nicht wenige Personen, die über die aufsuchende Beteiligung erreicht wurden, haben anschließend auch an den Bürgerwerkstätten teilgenommen. Neben neuen Perspektiven entstand so auch eine größere Dynamik in den Bürgerwerkstätten. Die Bürgerwerkstätten konnten zunehmend dazu genutzt werden, konkrete Projekte voranzubringen. Unter der Anleitung und Moderation der „Wat nu?“-Mitarbeiter*innen wurden Ergebnisse diskutiert, nächste Schritte festgelegt, Aufgaben verteilt und neue Beteiligungsformate entwickelt, die konkreten Fragestellungen dienten. Es entstand zunehmend der Charakter einer Initiative, in der sich die Menschen engagieren, und weniger der eines Beteiligungsprozesses. Dieser Wandel im Selbstverständnis und in der Wahrnehmung von „Wat nu?“ hat zur Motivation vieler Akteure beigetragen, kontinuierlich mitzumachen.

Bezogen auf den Abbau von Beteiligungshemmnissen kann aus den Erfahrungen von „Wat nu?“ zwischen Wahrnehmung des Vorhabens, Aktivierung für die Teilnahme sowie Wecken der Bereitschaft zur Mitgestaltung seitens der Teilnehmenden unterschieden werden. Dabei spielen Durchdringung, Interesse, Zugänglichkeit und Kontinuität eine wichtige Rolle. Mit Durchdringung ist hier gemeint, ob die erforderliche Anzahl an und die richtigen Personen mit den Kommunikationskanälen erreicht werden. So hat sich im Rahmen von „Wat nu?“ gezeigt, dass sich bestimmte Personenkreise über lokale und regionale Zeitungen oder über die Projektwebseite nicht angesprochen fühlen oder gar nicht erst erreicht werden. Eine ernsthafte Wahrnehmung des Vorhabens und der Beteiligungsmöglichkeit wurde bei den meisten Personengruppen vor allem über direkte Ansprache, Mund-zu-Mund-Propaganda oder über die Formate der aufsuchenden Beteiligung erzielt. Neben der Durchdringung ist aber auch das Interesse ein wichtiger Faktor bei der Aktivierung bezogen auf ein Vorhaben. Hierbei sind vor allem die Themen und die persönliche Einschätzung in Bezug auf die Wirksamkeit eines Vorhabens zentral. So haben einige spätere Teilnehmende das Projekt so lange nicht wahrgenommen, bis für sie interessante Themen auf die Agenda kamen oder bis es an die Bearbeitung konkreter Themen ging. Ferner müssen auch die ausgewählten Formate das Interesse der Teilnehmenden wecken und zur Zielgruppe passen. Der Fotowettbewerb hat z. B. insbesondere Lehrer*innen angesprochen, die diesen in ihren Unterricht integrierten und somit als Multiplikator*innen für die Aktivierung von Jugendlichen fungierten. Ferner müssen die Beteiligungsmöglichkeiten auch zugänglich sein, das heißt Personen den Zugang zur Beteiligung unter Berücksichtigung individueller Hemmnisfaktoren ermöglichen. Hier haben sich vor allem die Formate und Methoden der aufsuchenden Beteiligung als zielführend erwiesen. Diese Formate fanden an vertrauten Orten und in einer informellen Umgebung statt, so konnte einem anfänglichen Misstrauen oder Vorbehalten gegenüber dem Vorhaben entgegengewirkt werden. Niedrigschwellige Partizipationsmöglichkeiten (z. B. ein Fotowettbewerb, BürgerBus-Tour) oder persönliche Gespräche (Interviews, Mental Maps) ermöglichen es, erste Erfahrungen zu sammeln und den Kontakt zu den Projektakteuren außerhalb einer Workshop-Umgebung aufzubauen. Darüber hinaus sprechen diese Formate aufgrund ihrer Spontanität auch Personenkreise an, die an den kontinuierlichen Veranstaltungen nicht teilnehmen möchten, aus verschiedenen Gründen (z. B. aufgrund der Tageszeit oder von Immobilität) nicht teilnehmen können oder bisher von dem Vorhaben nichts mitbekommen haben. Schließlich ist bezogen auf die Wahrnehmung auch die Kontinuität ein wichtiger Faktor. Je häufiger und kontinuierlicher über das Vorhaben berichtet wird, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass man im Laufe der Zeit auch größere Personenkreise erreicht. Die Menschen mussten in der Region das Vorhaben und dessen Absichten erst nach und nach kennen lernen. Es ist nicht möglich, mit einem Kommunikations- oder Beteiligungsformat alle potenziellen Gruppen zu einem bestimmten Zeitpunkt zu erreichen und zu aktivieren. Hinzu kommt, dass eine gewisse Kontinuität in der öffentlichen Wahrnehmung vertrauensbildend wirkt, wie sich im Verlauf von „Wat nu?“ gezeigt hat. Erst nach ca. anderthalb bis zwei Jahren Arbeit konnte man sagen, dass das Vorhaben in der Region etabliert war. Mit Blick auf die Aktivierung für die Teilnahme hat sich gezeigt, dass die „üblichen“ Aktiven in der Gemeinde grundsätzlich mit den klassischen Workshop-Formaten für die Teilnahme am Projekt gewonnen werden konnten. Andere Personenkreise, wie Jugendliche, Tourist*innen, Zweitwohnungsbesitzer*innen, immobile Personengruppen usw., mussten dagegen gezielt aktiviert werden.

Aus den Projekterfahrungen können damit vier unterschiedliche Typen von potenziellen Akteuren und Akteursgruppen, die sich in Bezug auf ihre Haltungen gegenüber Beteiligungsvorhaben und Projekten sowie dem Aktivierungsaufwand unterscheiden, abgeleitet werden. Die erste Gruppe kann als progressiv Aktive bezeichnet werden. Hierbei handelt es sich um Akteure, die sich grundsätzlich und regelmäßig im Rahmen von Beteiligungsformaten und Arbeitskreisen einbringen und eine positive Haltung gegenüber Projekten und Beteiligungsvorhaben haben. Eine zweite Gruppe kann man als repressiv Aktive bezeichnen. Sie nehmen ebenfalls regelmäßig im Rahmen von Beteiligungsvorhaben teil, bringen dabei jedoch eher eine ablehnende Haltung gegenüber den Projekten und Beteiligungsvorhaben zum Ausdruck. Die Aktivierung beider Gruppen erfordert einen eher geringen Aufwand, da es sich hierbei i. d. R. um Akteure handelt, die über das Geschehen in ihrer Umgebung informiert sind und auch ein Interesse an den Geschehnissen haben. Die dritte Gruppe kann als Schläfer bezeichnet werden. Sie bilden eine sehr heterogene Gruppe, die grundsätzlich ein Interesse hat und auch bereit ist, sich einzubringen, die Akteure werden jedoch von sich aus nicht aktiv. Dies kann unterschiedliche Gründe haben: Möglicherweise liegen ihre Prioritäten im Alltag woanders oder die Teilnahme am Beteiligungsvorhaben wird durch zeitliche, räumliche oder persönliche Barrieren be- oder verhindert. Für die Aktivierung dieser Gruppe bedarf es spezieller Formate, die die Lebenswelt der Akteure einbeziehen. Schließlich gibt es die sogenannten Inaktiven, die grundsätzlich kein Interesse an aktiver Beteiligung und Mitwirkung haben. Diese Gruppe lässt sich nur schwer aktivieren. Denkbar wäre hier etwa der Einsatz hoher monetärer Anreize, in letzter Konsequenz aber auch eine – rechtlich kaum durchsetzbare – Verpflichtung zur Teilnahme. Abb. 6 fasst die vier Akteursgruppen zusammen und stellt den voraussichtlichen Aktivierungsaufwand dar.

Abb. 6
figure 6

(© Ernst Schäfer/ARSU GmbH)

Akteursgruppen und der erforderliche Aktivierungsaufwand.

5 Fazit

Mit ihrer konzeptionellen Ausrichtung und ihrem methodischen Selbstverständnis können Reallabore einen adäquaten Rahmen bieten, um die für die Problembearbeitung erforderlichen Governance-Strukturen zu etablieren und so den Handlungsradius und die -fähigkeit einzelner Akteure bzw. Akteursgruppen zu steigern. Es braucht jedoch Akteure auf allen Seiten, die bereit sind, sich auf solche Prozesse einzulassen. Einerseits bedeutet dies, dass die Initiatoren, wie z. B. wissenschaftliche Einrichtungen oder Kommunen, ein ernsthaftes Interesse an Anpassungs- und Veränderungsprozessen haben und entsprechende Räume für diese Prozesse bieten müssen. Auf der anderen Seite müssen die entsprechenden Akteure (Bürger*innen, Unternehmer*innen usw.), die diese Anpassungs- und Veränderungsprozesse mitgestalten und tragen sollen, auch die Bereitschaft und die Ressourcen dafür mitbringen. Dafür müssen diese Akteure aktiviert und adäquat eingebunden werden.

Wie in diesem Beitrag gezeigt, kann für die Aktivierung und die Einbindung der Bürger*innen auf einen breiten Verfahrens- und Methodenkanon zurückgegriffen werden. Generell hat sich gezeigt, dass sich über unkonventionelle Ad-hoc-Formate und Methoden der aufsuchenden Beteiligung sehr unterschiedliche Personenkreise für die Partizipation aktivieren lassen und Beteiligungsbarrieren überwunden werden können. Andererseits konnten so einzelne Personen nicht nur punktuell, sondern auch für eine kontinuierliche Zusammenarbeit aktiviert werden. Der Fokus im Rahmen von „Wat nu?“ lag dabei vor allem auf aufsuchenden Formaten, die auf öffentlichen Plätzen oder durch gezielte Ansprachen realisiert wurden, und auf einer kontinuierlichen Zusammenarbeit zwischen Gemeinde und Bürger*innen. Neben den Formaten spielen bei der Aktivierung der Akteure aber auch die Durchdringung, das Interesse und die Kontinuität eine zentrale Rolle.

Der Aktivierungs- und Beteiligungsprozess muss also kontinuierlich über die gesamte Projektlaufzeit vorangehen, indem die einzelnen Veranstaltungen und Prozessschritte aufeinander aufbauen und auf ein gemeinsames Ziel hinarbeiten. Neben der deliberativen und konsultativen Komponente rücken in diesem Zusammenhang vor allem die Kokreation und Koproduktion in den Mittelpunkt. Es geht nicht mehr allein darum, Probleme zu definieren und Lösungsideen zu generieren, sondern auch darum, die entsprechenden Lösungsansätze Wirklichkeit werden zu lassen – also Veränderungsprozesse zu realisieren und zu verstetigen. Damit einher geht ein veränderter Anspruch an die zu aktivierenden Akteure und an das Vorhaben. Die darin wirkenden Personen und Personengruppen müssen sich als Initiativen verstehen, die Veränderungsprozesse anstoßen und umsetzen wollen. Dafür müssen diese Personengruppen aber auch die Bereitschaft und die Ressourcen mitbringen, sich nicht nur punktuell mit Ideen und Anregungen zu beteiligen, sondern kontinuierlich in einer Initiative mitzuarbeiten.