Zusammenfassung
Es besteht wohl kein Zweifel, dass die Filmmusik des Komponisten Ramin Djawadi am weltweiten Erfolg der Serie Game of Thrones einen erheblichen Anteil hat. Djawadi gelang es, eine ideal auf die vielschichtige Phantasiewelt der Serie abgestimmte Klangwelt zu kreieren, die die zahlreichen Unwägbarkeiten und überraschenden Wendungen der Handlungsfolgen musikalisch reflektiert. Seine epische, stark emotionale und vor allem unglaublich bildhafte Tonsprache zeichnet sich, neben allen innovativen Aspekten im Sound Design, durch einen Rückgriff auf Kompositionstechniken aus, deren Ursprünge weit in die Musikgeschichte zurückreichen. In dem Beitrag werden die wesentlichen Techniken der Filmmusik, wie das Underscoring, die Mood-Technik und vor allem die subtile Leitmotivtechnik betrachtet, die sich durch sämtliche Staffeln hindurchzieht und mit deren Hilfe der hochkomplexen Handlung eine Einheit und ein innerer Zusammenhalt gewährt wird. Insbesondere eingegangen wird auf die Titelmusik sowie auf die Szene Light of the Seven, die zur ersten Szene des Finales der sechsten Staffel The Winds of Winter erklingt und die auch ein deutliches Beispiel dafür ist, wie die Wahrnehmung der Zuschauer mithilfe der Musik geleitet werden kann.
„I actually enjoy the fantasy world quite a bit. You have no boundaries“.
Ramin Djawadi, zitiert bei Lalwani (2016).
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Schlüsselwörter
1 „When I write music, I paint“
Ramin Djawadi, zitiert bei Trenholm (2018).
Nachdem der Dirigent Eliahu Inbal im September 2019 im Rahmen des Linzer Brucknerfestes die sehr selten gespielte Urfassung von Anton Bruckners 8. Symphonie aufgeführt hatte, äußerte – so berichtet Inbal in einem Interview – eine junge Besucherin über diese Symphonie ganz euphorisch, dass das ja stellenweise wie die Filmmusik von Game of Thrones geklungen habe (Grubmüller 2019).
Diese Verbindung zu Bruckner, die weiter unten noch näher ausgeführt wird, steht symptomatisch für die Filmmusik der Serie Game of Thrones, die sich neben allen innovativen Aspekten im Sound Design durch Kompositionsweisen und Techniken auszeichnet, deren Ursprünge weit in die Musikgeschichte zurückreichen. Die packende, emotionale und vor allem unglaublich bildhafte Filmmusik des Komponisten Ramin Djawadi trägt zweifelsohne einen erheblichen Anteil am Erfolg der Serie. Geholfen hat Djawadi hierbei, neben seiner hervorragenden und vielseitigen musikalischen Ausbildung, auch seine Fähigkeit der Synästhesie. In seiner Wahrnehmung sind Farben und Töne miteinander gekoppelt. „I can almost see the music. It comes in the form of colors – colors jump out at me, and that translates into notes. They come fully formed: the orchestration parts, not just the melodies“ (zitiert bei Tomashoff 2018). Komponieren ist für Djawadi ein „Bild mit Musiknoten“ zu malen, ein „klangliches Bemalen einer Geschichte“, wobei ihn die Farben der Szenen zu ganz bestimmten Klängen inspirieren (Tokarski 2018). Diese „Bemalung“ bzw. Vertonung der Geschichte mit all ihren überraschenden Wendungen und Unwägbarkeiten, die Komplexität der schwer überschaubaren Anzahl an Charakteren, Volksstämmen, Kontinenten und Phantasiesprachen fordert auch eigene Gesetzmäßigkeiten der musikalischen Abbildung, um die es im Folgenden streiflichtartig gehen soll. Zunächst wird das Verhältnis von diegetischer und extradiegetischer Musik angesprochen; anschließend werden die wesentlichen Techniken und Funktionen der Filmmusik erläutert und hierbei insbesondere die Titelmusik sowie die Komposition Light of the Seven näher betrachtet.
Grundsätzlich ist zu sagen, dass die Filmmusik in Game of Thrones sowohl diegetisch als auch – in weit größerem Ausmaß – extradiegetisch ist und diese beiden Kategorien zur Differenzierung von realer Welt und Phantasiewelt eingesetzt werden. Diegetische Musik ist Teil der erzählten Welt im Film, sie wird somit von den Figuren im Film wahrgenommen. In Game of Thrones ist dies vorwiegend dann der Fall, wenn in den Szenen eine sozusagen „reale“ Welt gezeigt wird, wie etwa Feste, Hochzeiten, Tänze etc. Dieser diegetischen Musik verleiht Djawadi oftmals mittels entsprechender Instrumentierung, beispielsweise durch Tambourin, Cymbalon oder Lauteninstrumente sowie auch durch Anklänge an Kirchentonarten eine pseudo-mittelalterliche Färbung.
Großteils ist die Filmmusik in Game of Thrones jedoch extradiegetisch, d. h. sie hat keinen Ursprung in der gezeigten Welt des Films und wird ausschließlich von der Zuschauerin und dem Zuschauer wahrgenommen. Djawadi setzt hier folgende, sich zuweilen überschneidende Techniken ein: Underscoring, Mood-Technik und Leitmotivtechnik.
Bei der Technik des Underscoring wird die Bilderfolge mithilfe tonmalerischer Mittel synchron ins Akustische umgesetzt; diese Kompositionsweise kommt Djawadis eingangs angeführten Worten des „Bemalens einer Geschichte“ wohl am nächsten. Tonmalerei – die Nachbildung von Natur- oder Kulturerscheinungen mit musikalischen Mitteln – kann in der abendländischen Musikgeschichte auf eine jahrhundertelange Tradition verweisen. In Game of Thrones dient sie zur klanglichen Illustrierung von Bewegungselementen, Naturgewalten, Tierstimmen etc. Beim Underscoring wird auch auf bestimmte Klangklischees zurückgegriffen, um mittels entsprechender Instrumentenwahl Bezüge zu Schauplätzen (Bullerjahn 2001, S. 78) bzw. zu regionalen oder gesellschaftlich-sozialen Besonderheiten herzustellen. So charakterisiert Djawadi etwa in Game of Thrones die Wildlings durch das Didgeridoo, das Volk der Dothrakis, das – wie Djawadi vermerkt – „ethnische Züge“ hat (zitiert bei Kalus 2016), durch „ethnische Instrumente“ wie Taikos, d.s. japanische Röhrentrommeln, das armenische Doppelrohrblattinstrument Duduk oder das aus dem indonesischen Gamelan stammende Trommelinstrument Bedug. Besondere tonmalerische Effekte ergeben sich ferner durch den Einsatz der Glasharmonika, die Djawadi für die „White Walkers“ wählt. Die Klangcharakteristik dieses Instrumentes ergibt einen „really high, eerie, icy sound“ (Vineyard 2016), der sehr gut zu den mythischen Kreaturen der „Weißen Wanderer“ passt. Beim deskriptiven Underscoring verstärkt die Musik die bildlichen Eindrücke, sie liefert jedoch keine zusätzlichen Informationen. Im Gegensatz dazu erweitern sowohl die Mood- wie auch die Leitmotiv-Technik das filmische Geschehen um eine bedeutungstragende klangliche Dimension.
Die Mood-Technik befasst sich mit allem, was nicht direkt auf der Leinwand zu sehen ist: Sie etabliert die Atmosphäre sowie den emotionalen Aspekt einer Szene. In seinen Studien zur Filmmusik hat der Musikwissenschaftler Wolfgang Thiel die Mood-Technik als „eine dramaturgische Beiordnungsmethode von Musik zum Bild“ bezeichnet, die „die psychischen Regungen und Reaktionen der Leinwandhelden“ verdeutlicht (Thiel 1981, S. 433). Angeknüpft wird hierbei an die Tradition der Affekten- und Figurenlehre der Barockzeit, in welcher sich eine musikalische Emotionskultur herausgebildet hat, nach der wir mit bestimmten Wendungen und Ausdrucksformen, mit Instrumentierung, Dynamik, Tonlage, Tonart oder Intervallen bestimmte Vorstellungen, Gefühle und Stimmungen verbinden (Bullerjahn 2001, S. 84). Dies sei nun anhand der Titelmusik gezeigt.
2 „Make it a journey“ – Die Titelmusik
Ramin Djawadi, zitiert bei Wigler (2019).
„The idea was to really capture the overall mood of the show. I didn’t want to be specific to any house and character. I wanted to create a theme or piece of music that says: ‚This is Game of Thrones. The show’s starting, and this is the mood you want to be in.‘ The words that were described to me were, ‚Make it a journey‘“ (Ramin Djawadi, zitiert bei Wigler 2019).
Die Titelmusik für eine Serienadaption benötigt ein Hauptthema, das die Grundstimmung und den Charakter der gesamten Serie umfasst und zudem einen hohen Wiedererkennungswert aufweisen muss, da es bei wichtigem Handlungsgeschehen – auch klanglich angepasst an die jeweiligen Inhalte – in den diversen Szenen immer wieder aufscheint. Ihr Leitinstrument ist das Violoncello, das die Klangwelt von Game of Thrones insgesamt in weiten Teilen prägt.
Der Scherzo-Satz aus der eingangs erwähnten Urfassung der 8. Symphonie von Anton Bruckner bildete die Inspirationsquelle für Djawadis Titelmusik. Eröffnet wird sie durch ein sogenanntes Riff, einer kurzen, prägnanten, ostinat wiederholten Formel, aus welcher heraus sich das sehr epische und somit in seinem Charakter ideal zur Serie passende Hauptthema aufbaut. Das Hauptthema ist zwar in den meisten Partituren im ¾-Takt notiert, es wäre jedoch ebenso im 6⁄8Takt denkbar.Footnote 1 In dieser rhythmischen Offenheit könnten Anspielungen auf Praktiken spätmittelalterlicher Mensuralmusik gesehen werden: „Even the theme’s rhythmic and metrical features may be seen to relate to medieval and medievalist aspects. Like so many early works, it may be rendered either in 3/4 or 6/8 (or perhaps tempus perfectum prolatio minor or tempus imperfectum prolatio maior) and the highly repetitive double iambic rhythmic backing may be seen in many other medievalist film and television scores“ (Cook et al. 2018, S. 238).
Für die Etablierung der Atmosphäre ist neben dem entsprechenden Instrument auch die Wahl der Intervalle wesentlich, zumal sich hinter jedem Intervall ein spezifischer musikalischer Gestus und eine gezielte emotionale Wirkung verbirgt. Das prägende Intervall des Hauptthemas ist die Quint, die in Studien zum Einsatz von Intervallen in der Filmmusik mit den Begriffen „Macht“ (Sonnenschein 2001, S. 121) oder Kampf assoziiert bzw. als „Warrior Interval“ (Soule 2018) bezeichnet wird. Zudem eröffnet der abrupte Wechsel zwischen kleiner und großer Terz – zwischen c-Moll und C-Dur – ein breites emotionales Spektrum, womit Unwägbarkeit, Umbruch und die Vermeidung klarer Festlegung angedeutet werden können, die die gesamte Serie kennzeichnen. Nach dem vom Violoncello präsentierten Hauptthema, das von der Violine sowie schließlich vom Orchester übernommen wird, erfolgt eine kurzzeitige Verbreitung atmosphärischer Ruhe durch einen Frauenchor.
Die Titelmusik endet mit wenigen, im pianissimo gehaltenen Takten, in welchen Djawadi die in den Vereinigten Staaten beheimatete Bordunzither Dulcimer mit Kantele, einer in Finnland, Estland und Karelien verbreiteten Kasterzither zu einer kurzen solistischen Kombination verbindet (Suter 2019). Eine klare regionale bzw. geographische Zuordnung wird somit verunmöglicht. Der als Fadeout gestaltete Schluss festigt nichts, sondern lässt alle Entwicklungen offen. In der gesamten Serie erfüllt die Titelmusik sowohl epische als auch dramaturgische Funktion. Das Hauptthema ist durch seine klare, sehr klassische Bauweise offen für Variationen und kann an die jeweilige Szene und deren Stimmung adaptiert werden.Footnote 2 Dadurch, dass das Hauptthema an wichtigen Wende- und Höhepunkten der Handlung zur restlichen musikalischen Gestaltung bzw. den Themen der einzelnen Charaktere beigemengt wird, nimmt es gleichsam die Stellung eines übergeordneten Leitmotivs ein, das für Game of Thrones insgesamt steht.
3 „A Song of Leitmotives“
Février (2019).
Die zweifelsohne interessanteste Filmmusik-Technik in der Serie ist die der Leitmotive. Hierbei werden Personen, Häuser, aber auch Schauplätze, Situationen, Gedanken oder Vorgänge durch immer wiederkehrende musikalische Motive oder Formeln charakterisiert, die so komponiert sind, dass sie auch miteinander kombiniert werden können. Der Einfluss von Richard Wagner, der die Leitmotivtechnik zwar nicht erfunden, jedoch systematisiert hat, ist hierbei unbestritten, wie überhaupt die Werkkonzeptionen Wagners in ihrer epischen Erzählweise und der Interaktion aller Künste Generationen von Filmkomponisten geprägt haben. Nicht umsonst wird Richard Wagner in der einschlägigen Forschung als der „erste Filmkomponist der Geschichte“ bezeichnet, so etwa von Sabine Sonntag: „Mit seiner Idee, Musik als eigenständige, oft sogar kontrapunktische Schicht zur Handlung zu begreifen, gilt Richard Wagner Vielen als Erfinder der Filmmusik schlechthin“ (Sonntag 2010, Klappentext). Insbesondere die Leitmotivtechnik von Wagners Ring-Tetralogie, die auch thematisch Parallelen zu Game of Thrones aufweistFootnote 3 und die in der popkulturellen Mittelalterrezeption eine gewichtige Rolle spielt, war vorbildgebend für Ramin Djawadi.
So wie schon bei Richard WagnerFootnote 4 steht der Einsatz der Leitmotivtechnik auch in der Filmmusik zuweilen unter Kritik. Theodor W. Adorno und Hanns Eisler sahen in ihr einen Ersatz für den fehlenden kompositorischen Einfall. Mittels Leitmotivtechnik kann ein Komponist „zitieren, wo er sonst erfinden müßte“. Zudem führe die Leitmotivpraxis, wenn sie „wie im Film, nicht zu ihrer musikalischen Konsequenz entfaltet werden kann, zu äußerster Dürftigkeit der eigentlichen kompositorischen Gestaltung“ (Adorno und Eisler 2006, S. 12). Dem ist jedoch entgegenzuhalten, dass ein Leitmotiv im Film, selbst wenn es hinsichtlich seiner musikalischen Struktur unangetastet bleibt, durch das jeweils andere Bildmaterial auch andere semantische Bezüge erhält und somit jedes erneute Erscheinen eines Leitmotivs auch „eine Veränderung desselben im Filmverlauf bewirkt“ (Bullerjahn 2001, S. 92).
Die Leitmotive in Game of Thrones dienen als Wegweiser und Gedächtnisstütze, machen Handlungsstränge, Haupt- und Nebenfiguren deutlich, sie sind quasi ein Textersatz, kreieren einen sinnstiftenden Zusammenhang und eine Einheit über die einzelnen Staffeln hinweg, was angesichts der Komplexität der Handlung besonders wichtig ist. Die Musik wird hier zum vielschichtig angelegten Kommentar des filmischen Geschehens, dem durch das über die gesamten Folgen ausgebreitete Gewebe von Zitaten und Reminiszenzen innerer Zusammenhalt gewährleistet wird. Mittels der Leitmotivtechnik kreiert Djawadi eine Art musikalischer Bogenform, indem er in der achten Staffel die wesentlichen Leitmotive der gesamten Serie nochmals anklingen lässt.
Sämtliche Leitmotive erscheinen sowohl in ihrer ursprünglichen Form als auch in rhythmischen sowie melodischen Variationen oder in anderer Instrumentierung, womit sich auch ihr semantischer Gehalt verändert. Etliche der Leitmotive entwickeln sich mit den Charakteren, die sie verkörpern, weiter, wie etwa das Leitmotiv von Daenerys Targaryen, das von seinem ersten Auftreten über das Schlüpfen der Drachen bis zu ihrem Aufstieg als Königin der Stadt Meereen weitergeformt wird.
Leitmotive sind ein wesentliches Mittel der musikalischen Darstellung des Nicht- Sichtbaren. Mittels der Leitmotivtechnik wird die Musik – gemäß den Worten von Thomas Mann – „in einem Maße wie nie zuvor zum Werkzeug psychologischer Anspielungen, Vertiefungen, Bezugnahmen“ (Mann 1983, S. 68). „Nun wird auch klarer, was Wagner meint, wenn er dem Orchester die Fähigkeit zu ‚musikalischer Kundgebung oder Ahnung‘ zuspricht: Der Komponist soll die ‚melodischen Momente‘ so formen, dass sie die Hörer kommende Handlung vorausahnen lassen oder geschehene Handlung in Erinnerung rufen“ (Geck 2000, S. 321). Somit bieten Leitmotive den Zuschauern auch die Perspektive des Autors bzw. Regisseurs, dessen eigenen Blick auf das filmische Geschehen, der sich von dem der Schauspieler unterscheiden kann. Dies ist auch der Grund, warum – von wenigen Ausnahmen abgesehen – Instrumentalklänge und nicht die menschliche Stimme Träger der Leitmotive sind (Fuhrmann 2013). Auch in Game of Thrones werden die Leitmotive vorwiegend instrumental ausgeführt.Footnote 5
Leitmotive können auch eine starke manipulative Funktion aufweisen, indem sie die Filmhandlung in ein ganz bestimmtes Licht rücken. „Without any dialogue on the screen you are able to guide the audience, and with Game of Thrones we are able to guide the audience, either in the right direction, or the wrong direction […] By moods or by playing a certain theme you are able to tell a story“, drückt Djawadi seine Faszination für diese Technik aus (Djawadi 2017b). Wie die Wahrnehmung der Zuschauerinnen und der Zuschauer mittels der Leitmotivtechnik gelenkt werden kann, und zwar in die richtige Richtung, sei nun anhand der im Jahre 2016 entstandenen Komposition Light of the Seven erläutert, die zur ersten Szene des Finales der 6. Staffel The Winds of Winter erklingt.
4 Light of the Seven
Light of the Seven ist eine in großem Bogen aufgebaute Szene mit langen Passagen ohne Dialog, in denen die Musik im absoluten Vordergrund steht. Diese hebt sich von der Musik zu anderen Sequenzen der Serie deutlich ab: durch den erstmaligen Einsatz des Klaviers, das bislang völlig außerhalb der Klangsprache von Game of Thrones stand, sowie durch eine Klangwelt, die auch von der Minimal Music geprägt ist.
Inhaltlich steht die Szene im Zeichen der Rache. In King’s Landing beginnt der Tag von Cerseis und Loras’ Verhandlung. Da jedoch nur Loras am Ort des Prozesses in der Septe von Baelor vor den Priestern erscheint, wird die Verhandlung zur Farce. Cersei hat hingegen einen Plan geschmiedet, den man allenfalls mit Hilfe der Leitmotive vorausahnen kann: Sie lässt die Septe von Baelor mittels Seefeuer in die Luft sprengen und bringt somit sämtliche hierin befindlichen Personen, darunter auch ihre Schwiegertochter Margaery, um. Gezeigt wird dies erst ganz am Ende der Szene. Zuvor lässt Cersei noch ihren Cousin Lancel sowie Grand Maester Pycelle von den Little Birds – einer Gruppe von Kindern, die als Spione und Auftragsmörder eingesetzt werden – ermorden.
Die Szene hat drei Leitmotive, die die Einzelhandlungen verknüpfen:
Das erste MotivFootnote 6, das in seiner minimalistischen Ausrichtung dem Spannungsaufbau dient, besteht aus gebrochenen Dreiklängen, die vom Klavier gespielt werden:
Dieses Motiv weist eine frappierende Ähnlichkeit zu einem Klavierstück von Ludovico Einaudi auf, das den bezeichnenden Titel Bella Notte trägt und im Jahre 2001 entstand.Footnote 7
Das zweite Leitmotiv – Hauptmotiv der gesamten Szene – charakterisiert Cersei, die zum ersten Mal in der Serie ein eigenes Leitmotiv erhält; es besteht aus den vier Tönen der absteigenden natürlichen c-Moll-Tonleiter:
Die Bedeutung dieses die gesamte Szene dominierenden Motivs wird sowohl durch die Wahl der Tonart c-Moll – der Haupttonart der Titelmusik – als auch durch die Wahl des Instrumentes ausgedrückt, da das Motiv bei seinem erstmaligen Erklingen vom Violoncello, dem Leitinstrument der Serie, gespielt wird.
Das dritte Motiv der Little Birds, das wiederum vom Klavier übernommen wird, besteht lediglich aus drei kleinen Dezimen in hoher Lage:
In seiner Klanglichkeit erinnert dieses stark an der Minimal Music orientierte Motiv an Arvo Pärts Klavierstück Für Alina (1976).Footnote 8
Cersei ist die Hauptperson in Light of the Seven, obwohl sie in der gesamten Szene kein einziges Wort spricht, sie wird nur durch ihr Bild und durch die Musik repräsentiert. Die Szene beginnt mit dem Läuten der Glocken und einer Ankleidezeremonie von Cersei, ihrem Sohn König Tommen und ihrer Schwiegertochter Königin Margaery.
Man sieht dann wie die Menschen – ohne Cersei und Tommen – in den Tempel eintreten. Nach den mehrfach wiederholten Klavierfiguren des ersten Motivs, die gleich nach den Glockenklängen einsetzen, erklingt Cerseis Motiv, wobei die Klavierfiguren zur Begleitung werden. Beim Eintreten der Priester in den Tempel wird Cerseis Motiv vom Klavier übernommen. Hierauf erklingt das Leitmotiv der Little Birds; die Little Birds selbst sieht man hier noch nicht, hingegen sieht man Grand Maester Pycelle in seiner Kammer. Somit weist nur die Musik bereits zu diesem Zeitpunkt auf seine bevorstehende Ermordung durch die Kinder hin. „Sometimes, before we can usher in the new, the old must be put to rest“, sagt Maester Qyburn, kurz bevor er Pycelle von den Kindern ermorden lässt.Footnote 9
Unmittelbar vor dem Mord erklingen das Motiv der Little Birds und Cerseis Motiv in einer Variante, in welcher zwei Knabenstimmen im zuweilen minimal verschobenen Unisono vom Valyrischen inspirierte Silben Ah, ya, ya, ya, ya singen.
Auch Lancel wird mit Cerseis Leitmotiv von den Little Birds in die Katakomben gelockt und schwer verletzt. Während er im Sterben liegt, sieht er, wie Kerzen in eine Sprengflüssigkeit herunterbrennen und erahnt somit Cerseis Rachevorhaben. Es gelingt Lancel jedoch nicht mehr, die Kerzen zu löschen. In diesem Moment erklingt eine von der Orgel gespielte Variante der Titelmusik. Hierauf erfolgt ein Schnitt in die Septe, wo die Menschen immer noch auf das Erscheinen von Cersei warten. Sie kommt natürlich nicht, nur ihr Leitmotiv ist in vielfacher, nahezu insistierender Wiederholung zu hören.
Einzig Königin Margaery ist über Cerseis Abwesenheit beunruhigt; sie merkt, dass etwas nicht stimmt. Schließlich wendet sie sich an den High Sparrow: „There is something wrong. Cersei ist not here, Tommen is not here. Why do you think they are not here? […] Cersei understands the consequences of her absence, and she is absent anyway, which means she does not intend to suffer those consequences. The trial can wait. We all need to leave.“Footnote 10
Die Räumung der Septe, die Margaery nach einer kurzen Diskussion mit dem High Sparrow veranlasst, kommt zu spät. Während die Menschen unter den Klängen von Cerseis Motiv, das in einem großangelegten Crescendo mit der Titelmusik kombiniert wird, versuchen, den Ausgang zu erreichen, wird das Gebäude in die Luft gesprengt. Cersei beobachtet die Explosion aus sicherer Entfernung mit einem Glas Wein in der Hand. Erst hier wird im Bild gezeigt, was die Musik während der gesamten Szene bereits angedeutet hat. In Light ot the Seven ist es somit die Musik, die das Handlungsgeschehen antizipiert und als „auktoriale Erzählerin“ (Krähe und Krist 2018) mittels subtiler Leitmotivtechnik zusammen mit den Bildern den Zuschauern und Zuschauerinnen Hinweise auf Cerseis Intrige gibt.
5 Resümee
„The real winner was the music“ schrieb die Rezensentin Lili Loofbourow in einer Kritik zu diesem Finale der sechsten Staffel (Loofbourow 2016). Dies lässt sich natürlich nicht auf die gesamte Serie übertragen. Zweifelsohne kann jedoch abschließend festgestellt werden, dass Ramin Dajwadi mit dieser Filmmusik eine ideal auf die Vorlage abgestimmte Klangwelt kreierte, mit kompositorischen Techniken, die Jahrhunderte in die Musikgeschichte zurückreichen. Die Musik ist so erfolgreich, dass sie mittlerweile auch ohne Film existieren kann. Djawadi reiste in den Jahren 2017/2018 mit einem 80-köpfigen Orchester um die Welt und spielte die Musik von Game of Thrones in insgesamt 72 Konzerten (Ehlers 2019). Zudem haben sich in den Folgejahren zahlreiche genreverwandte Filme und Videospiele an der Tonsprache von Djawadis Musik orientiert.
Doch schon vor der Entstehung des Filmes war eine klangliche Komponente mitgedacht, da Musik in der Romanreihe von George R. R. Martin einen breiten Raum einnimmt. Instrumentalmusik und Tänze bei Hochzeiten und diversen Festen sowie insbesondere eine Vielfalt von Liedformen, deren Spannbreite von derben Tavernenliedern über Volkslieder, Arbeitsgesänge, Liebeslieder, Balladen und Huldigungslieder bis hin zu religiösen Hymnen reicht, tragen zur Intertextualität von Martins hochkomplexer Romanwelt bei. Nicht umsonst enthält der Titel der Romanreihe die Musikform des Liedes: A Song of Ice and Fire.
Notes
- 1.
In einem Aufsatz von Christian Weng, in welchem u. a. auf die Verbindung zu Bruckners Scherzo hingewiesen wird, ist das Hauptthema der Titelmusik von Djawadi im 6⁄8Takt notiert (Weng 2016, S. 300).
- 2.
Siehe z. B. Djawadi (2017a).
- 3.
Die inhaltlichen Parallelen sind offensichtlich: die generelle Thematik von Macht, Liebe und Verrat, sowie die Bedeutung von Drachen, Riesen, Zwergen, Göttern, Inzest, usw. Siehe hiezu Frey (2015).
- 4.
Beispielsweise bezeichnete Claude Debussy Richard Wagners „Ring“ aufgrund der Leitmotivtechnik als „musikalisches Adreßbuch“ (Debussy 1974, S. 27).
- 5.
Das wohl bekannteste Beispiel eines in seiner ursprünglichen Form vokalen Leitmotivs stellt das Lied The Rains of Castamere dar, das innerhalb der Serienwelt als das „Lied der Lennister“ bezeichnet wird und in vielfältigen Abwandlungen quasi die Basis musikalischer Leitmotivik der Mitglieder des Hauses Lennister bildet.
- 6.
- 7.
Wie bei Djawadi dienen auch bei Einaudi die Dreiklangszerlegungen der Begleitung. Ob der Anklang an Einaudi einer Absicht entsprang kann nicht verifiziert werden.
- 8.
Gemeint ist hier lediglich eine klangliche Ähnlichkeit. Zu der zwar minimalistischen, aber in sich hochkomplexen Struktur von Arvo Pärts Tintinnabuli-Stil, die auch das Stück Für Alina prägt, hat Djawadis Musik keinen Bezug.
- 9.
Light of the Seven, Youtube-Videoausschnitt 3′21–3′28.
- 10.
Light of the Seven, Youtube-Videoausschnitt 5′49–6′23.
Literatur
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Fink, M. (2022). Alter Wein in neuen Schläuchen? Zu Techniken und Funktionen der Filmmusik von Ramin Djawadi in Game of Thrones. In: Gamper, A., Müller, T. (eds) „Beyond the Wall”: Game of Thrones aus interdisziplinärer Perspektive. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-36145-7_4
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Publisher Name: Springer VS, Wiesbaden
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