Sowohl die Buchreihe Das Lied von Eis und Feuer (Originaltitel A Song of Ice and Fire) als auch die Filmserie Game of Thrones haben seit ihrem Erscheinen eine enorme gesellschaftliche Resonanz erfahren. Die Serie gilt als eine der populärsten Produktionen der TV-Geschichte. Ein großer Teil der Fangemeinde im Internet berichtet über ein graduelles Hineingezogen-Werden in die komplexe Handlungsstruktur, das in eine Faszination mündet, der man sich kaum wieder entziehen kann. All dies sind Voraussetzungen, die dazu prädestinieren, zu einem Studienobjekt der Soziologie zu werden. Das war aber bislang nicht oder nur in einem marginalen Ausmaß der Fall. Die auffallende „soziologische Abstinenz“ zu Game of Thrones mag damit zusammenhängen, dass der In-Beziehung-Setzung der fiktiven Welt von Game of Thrones mit der gesellschaftlichen Realität im Rahmen der dominanten soziologischen Paradigmen Schranken gesetzt sind. Die sogenannte Cultural Sociology und die Kulturproduktion und -rezeption, die sie analysiert, haben sich über einen Zeitraum von mehreren Jahrzenten quasi co-evolutionär entwickelt. Beide legen ihren Schwerpunkt auf einen sozio-politischen Symbolismus bzw. dessen sozialwissenschaftliche Interpretation. Game of Thrones lässt sich schwer in diese Tradition einordnen. Der Publikumserfolg liegt nicht an einer Widerspiegelung aktueller gesellschaftlicher Realitäten, sondern in der spezifischen Form der Fiktion selbst, in der es um die Ästhetisierung fundamentaler menschlicher Kräfte geht und die in dieser Weise eine Wirkung durch eine effektvolle Metaphorik erzielt.
In einem Interview wurde dem Autor der Serie, George R. R. Martin, die Frage gestellt, ob er zustimmen würde, dass es in seinen Büchern um Macht gehe. Und Martin antwortete, ja, gewiss, es gehe um Macht, den Gebrauch von Macht, es gehe um die Art, wie die Sehnsucht nach Macht und die Lust zur Macht uns korrumpiert, so wie uns auch der Mangel an Macht korrumpieren könne. All dies bringe Menschen dazu, Dinge zu tun, die sie nicht tun sollten (George R. R. Martin 2019a). Soweit die Sichtweise des Autors selbst. Also, Geschichten über machtlüsterne Menschen, die dazu gebracht werden, Dinge zu tun, die sie nicht tun sollten, das ist in jedem Fall etwas, wo man gerne hinhört oder hinsieht, und etwas, was jede Menge Spannung verspricht. Hier liegt ein Ausgangspunkt für die Erklärung des Erfolges der Serie: Die Ästhetik der Macht als künstlerische Gestaltung oder, im ursprünglichen Wortsinn, Versinnlichung eines der bedeutendsten und wirkmächtigsten sozialen Phänomene in der Form einer Fantasy Fiction. Die Attraktivität von Game of Thrones basiert demnach nicht auf einem inhaltlich-thematischen oder soziopolitischen Realismus, sondern auf formal-ästhetischen Qualitäten.
Zu den Themen der Geschichten und Verfilmungen, die im gängigen Verständnis nicht den Normen entsprechen, zählen wohl die exzessive Gewalt und ebenso exzessive Sexualität. Eine Studie des Institutes für Soziologie der Universität Wien ging zunächst von der Hypothese aus, dass dies die Hauptmotive für den Konsum der Serie sind. Die Hypothese wurde jedoch im Zuge der empirischen Erhebung falsifiziert. Es konnte klar belegt werden, dass diese Inhalte als solche nicht zu den zentralen Motiven des Konsums der Serie zählen. „Vorkommen von sexuellen Handlungen und Nacktheit“ wurden nur von 18 % der Befragten als Motiv genannt, und Gewaltszenen wie Folter und Hinrichtung von 20 %. Es wäre ja auch verwunderlich, wenn in einer Zeit des Überangebotes von Sexualität und von Gewalt im Internet hier noch Bedarf nach einer im Vergleich dazu trotz alledem moderaten Filmserie eine wichtige Rolle spielen würde. Die Studie berichtet zwar von signifikanten Unterschieden in den entsprechenden Antworten von Männern und Frauen, aber das ist analog bei Umfragen zur Häufigkeit von Geschlechtsverkehr der Fall, den Männer den Umfragen zufolge signifikant häufiger haben als Frauen, was aber das bislang ungelöste Rätsel nach sich zieht, mit wem eigentlich, wenn es tatsächlich so wäre. Dass bei solchen Antworten Stereotype bzw. Selbststereotype eine Rolle spielen, dürfte also klar sein. Ausschlaggebend für Game of Thrones-Rezipient*innen waren vielmehr die Aspekte „Interesse am Verlauf und Ausgang der Intrigen“ (87,6 %) und „mehrere parallellaufende Handlungsstränge“ (66,7 %)“ (Dietrich et al. 2015, S. 34). Ähnlich war das Ergebnis bei der Erhebung der Rezipient*innen-Meinungen über die Gründe der Beliebtheit der Serie: Gewalt und Sex sind nachrangig gegenüber Story/Handlung, Unvorhersehbarem und den spezifischen Figuren der Handlung eingestuft (Dietrich et al. 2015, S. 41). Es ist also, kurz zusammengefasst, nicht der Realismus der Sexualität oder der Gewalt, der die Attraktivität von Game of Thrones darstellt, sondern die Einbindung dieser Inhalte in eine spezifische Form der Fiktionalität.
Ähnlich verhält es sich mit Versuchen, politische und soziale Inhalte als Widerspiegelung gesellschaftlicher Realitäten zu dekodieren. Auf soziologischen Internetseiten finden sich durchwegs Aussagen wie, die Popularität von Game of Thrones basiere darauf, dass sie die Realität der Gesellschaft reflektiere, die Korruption in der Gesellschaft darstelle etc. Selbst wenn diese Analysen zutreffend wären, ist daraus nicht der immense Publikumserfolg zu begründen. Wenn jemand an Korruption in der Gesellschaft interessiert ist, dann würden sich einfach die Nachrichten im Hauptabendprogramm empfehlen, die stehen Game of Thrones ja um nichts nach.
George R. R. Martin, der es ja wissen muss, hat einmal gemeint, er wolle nichts über reale Politik schreiben, und er habe nicht vor, Lektionen zu erteilen (teaching lessons), sondern Geschichten zu erzählen (telling stories)Footnote 1. Und es sind gerade diese Geschichten, die das Faszinosum ausmachen. Die Leitthemen der zeitgenössischen Soziologie wie Gender, soziale Ungleichheit oder neoliberal agierende Machteliten mögen zwar als Inhalte zu erkennen oder hineinzuinterpretieren sein, aber sie bestimmen nicht als solche den Verlauf der Handlung und stellen auch keine Attraktoren für das Publikum dar. Die Handlungs- und Inszenierungslogik in Game of Thrones entwickelt sich quasi aus sich heraus. Sie stellt eine fiktive Welt im eigentlichen Sinne dar. Es ist die Formenlogik der Fantasy Fiction, die die Spannung erzeugt und damit ihr Publikum begeistert. Sie entfaltet ihre Wirkung durch die ästhetische Konstruktion von Metaphern. Sehr abstrakt und theoretisch ausgedrückt, findet sich in gelungener Fantasy Fiction keine homomorphe Widerspiegelung, sondern eine funktionale Ästhetisierung von Gesellschaft und Lebenswelt der Rezipient*innen. Das soll im Folgenden am Beispiel des spezifischen Machtbegriffes in Game of Thrones und der Metapher von Drachen ausgeführt werden.