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1 Einleitung

Aus Sichtweise der immer noch stark naturwissenschaftlich orientierten Medizin werden Krankheiten und Krankheitssymptome als Abweichungen mit physiologischen und biologischen Ursachen verstanden und Gesundheit entsprechend als das Fehlen dieser Normabweichungen. Ein Blick in unsere Alltagskultur verdeutlicht, dass Gesundheit jedoch viel mehr beinhaltet als alleine die Abwesenheit von Krankheit. So dreht sich die heutige „gesundheitsbesessene Welt“ (Richter und Hurrelmann 2016) um komplexe Themen von gesunder Ernährung und Körperoptimierung bis hin zu Fitnessuhren und Apps, die permanent die Bewegung und den Puls ihrer Nutzer messen und dokumentieren (Nettleton 2013; Richter und Hurrelmann 2016). Es scheint nahezu als wären Gesundheit und Wohlbefinden zu allgegenwärtigen Motiven der heutigen Gesellschaft geworden (Nettleton 2013). Dies spiegelt sich unter anderem auch darin wieder, dass Gesundheit und Wohlbefinden durch unterschiedlichste Kanäle transportiert und kommuniziert werden, sei es über Fernseh- oder Radiosendungen, Zeitungen und Magazine (Nettleton 2013; Richter und Hurrelmann 2016) oder die immer bedeutsamer werdenden sozialen Medien, wie z. B. Instagram und Facebook. Gesundheit, Wohlbefinden und Krankheit sind also längst keine Themen mehr, die allein unter „Experten“ diskutiert werden, sondern nehmen einen immer größeren Stellenwert in gesellschaftlichen Debatten und Laiendiskursen ein (Nettleton 2013).

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) definierte Gesundheit 1946 als „einen Zustand des vollständigen körperlichen, psychischen und sozialen Wohlbefindens und nicht nur [als] die Abwesenheit von Krankheit und Gebrechen“ (WHO 1946 zitiert nach Hornberg 2016, S. 63). Damit sind eben nicht nur physische Faktoren von Gesundheit angesprochen, die in der naturwissenschaftlich orientieren Medizin im Vordergrund stehen, sondern es werden auch die sozialen und psychischen Komponenten sowie das Wohlbefinden ausdrücklich eingeschlossen. Es besteht jedoch bis heute kein Konsens darüber, was Wohlbefinden überhaupt ist und eine einheitliche Definition sucht man vergeblich (Weltgesundheitsorganisation 2013; Diener und Ryan 2009).

Welche Rolle spielt nun in diesem Kontext eine soziologische Perspektive auf Gesundheit und Wohlbefinden? Die meisten Menschen nehmen die Welt, in der wir leben, hauptsächlich aus ihrer eigenen Perspektive wahr, wohingegen die Soziologie über diese individuelle Sichtweise hinausgeht und die Gesellschaft aus einem größeren Blickwinkel zu beschreiben versucht (Richter und Hurrelmann 2016; Giddens und Griffiths 2006). Diese Perspektive hat C. Wright Mills (1959) auch als „sociological imagination“ beschrieben (Mills 1959; Richter und Hurrelmann 2016). Anders als die naturwissenschaftliche Medizin, geht die Soziologie davon aus, dass Gesundheit und Krankheit weniger individuell sind und versucht deshalb überindividuelle Strukturen zu identifizieren, die wiederum das jeweilige individuelle Handeln maßgeblich beeinflussen (Bittlingmayer 2016).

Anthony Giddens (2006), einer der bedeutsamsten Vertreter der Soziologie, definiert diese als „[…] the scientific study of human social life, groups and societies. It is a dazzling and compelling enterprise, as its subject matter is our own behaviour as social beings. The scope of sociological study is extremely wide, ranging from the analysis of passing encounters between individuals on the street to the investigation of global social processes […].“ (Giddens und Griffiths 2006). Die Soziologie untersucht also „die Strukturen des sozialen Handelns und die Formen der Vergemeinschaftung und Vergesellschaftung, unter Berücksichtigung der jeweils vorherrschenden Normen und Werte. Sie untersucht die sozialen Prozesse und Institutionen, die die Integration der Gesellschaft bewirken. Sozialer Wandel und soziale Ungleichheit gehören zu den grundlegenden Phänomenen der soziologischen Theorie und Empirie.“ (Schäfers 2016). Sie ist zudem eine empirische Wissenschaft, denn ihr Wissen basiert auf einem Ansatz, dem empirische Forschung zugrunde liegt (Schäfers 2016; Richter und Hurrelmann 2016). Aufgabe einer soziologischen Perspektive auf Gesundheit und Wohlbefinden ist es unter anderem, soziale Strukturen und Verhaltensmuster in Bezug auf Gesundheit und Krankheit zu untersuchen. Antworten und Erklärungen auf die ihr zugrunde gelegten Fragen sucht die soziologische Sichtweise dabei nicht in der Untersuchung biologischer oder psychologischer Faktoren, sondern mithilfe der Erforschung sozialer Determinanten, wie zum Beispiel den Lebens- oder Arbeitsbedingungen von Menschen, die maßgeblich ihre Gesundheit beeinflussen (Germov 2009; White 2009). Auch unsere Einstellungen gegenüber Gesundheit und Wohlbefinden sind beeinflusst durch gesellschaftliche Diskurse und eng mit dem jeweiligen soziokulturellen Kontext verbunden (Nettleton 2013).

Diese Beispiele zeigen eindrucksvoll, dass es nicht ausreicht, allein der biomedizinischen Perspektive, die den Menschen als biologischen Organismus versteht, zu folgen. Ebenso wichtig ist ein sozialer Blick auf Gesundheit und Wohlbefinden, ein Blick auf die soziale Konstruktion von Gesundheit und Krankheit, die soziale Organisation der gesundheitlichen Versorgung sowie die systematische wissenschaftliche Analyse der sozialen Ursachen von Gesundheit und Krankheit, um zu einem besseren und umfassenden Verständnis dieser komplexen Thematik zu gelangen. Die soziologische Perspektive auf Gesundheit und Wohlbefinden stellt somit eine „second opinion“ (Germov 2009), eine zweite Perspektive gegenüber dem konventionellen medizinischen Blickwinkel zur Erforschung von Gesundheit und Wohlbefinden zur Verfügung und betont die Wichtigkeit des Verstehens des Sozialen – den Menschen also als soziales Wesen und eben nicht „nur“ als biologischen Organismus zu verstehen (Germov 2009; Richter und Hurrelmann 2016).

Die allgemeine Soziologie stellt dabei verschiedene, miteinander konkurrierende Theorien und Ansätze zur Verfügung, mithilfe einiger auch Gesundheit und Wohlbefinden untersucht werden können (Richter und Hurrelmann 2016). So existieren zum Beispiel neben strukturtheoretischen Ansätzen, die den Einfluss der Gesellschaft auf das individuelle Handeln in den Mittelpunkt rücken, handlungstheoretische Ansätze, die den Einfluss des Einzelnen auf die Gesellschaft fokussieren (Richter und Hurrelmann 2016; Germov 2009; Bittlingmayer 2016; Sperlich 2016). Aufgrund der Komplexität und Vielfalt soziologischer Theorien ist es jedoch nicht möglich, all diese in einem Beitrag ausführlich zu betrachten. Deshalb beschränkt sich die folgende Darstellung soziologischer Theorien und Perspektiven zunächst einmal auf solche, die auf Gesundheit und Wohlbefinden anwendbar sind. Zum anderen handelt es sich bei den im Folgenden vorgestellten Theorien wohl um einige der Bekanntesten aus diesem Bereich. Im Mittelpunkt stehen dabei Klassiker wie materialistische Theorien bzw. der Marxismus, die Strukturtheorie und der Strukturfunktionalismus, der symbolische Interaktionismus sowie als Beispiel für eine moderne Theorie, die feministische Theorie. Im Anschluss wird auf das Verhältnis zur naturwissenschaftlich dominierten Medizin eingegangen und das soziale Modell von Gesundheit ausführlich erläutert sowie dem biomedizinischen Modell gegenübergestellt. Der Beitrag schließt mit einem Fazit zur Soziologie von Gesundheit und Krankheit sowie Wohlbefinden.

2 Soziologische Theorien im Kontext von Gesundheit und Krankheit

Aufgabe einer soziologischen Theorie ist es, möglichst allgemeingültige Aussagen zum Zustand und zur Entwicklung von Gesellschaften zu treffen. Soziologische Theorien sind also grundlagenorientiert und können auf unterschiedliche Untersuchungsbereiche angewendet werden (Treibel 2006). Sie unterscheiden sich dabei deutlich von Alltagstheorien, denn sie sind in der Regel systematisch und empirisch überprüfbar (Barry und Yuill 2012; Germov 2009). Alltagstheorien beruhen hingegen überwiegend auf eigenen Erfahrungen und weniger auf überprüfbaren Fakten (Germov 2009). Auf diese Art und Weise ermöglichen es soziologische Theorien, Phänomene zu untersuchen und zu verstehen, die der Forschende selbst nicht konkret erlebt hat (Barry und Yuill 2012) und liefern damit das Grundgerüst, um über die individuelle Sichtweise hinauszugehen und die Gesellschaft aus einem weiteren Blickwinkel zu betrachten – mithin die „sociological imagination“ (Mills 1959) anzuwenden. Germov (2009) fasst Theorien zusammen als „an explanation of how things work and why things happen. Theories allow us to make sense of our world – they provide answers to the ‚how‘ and ‚why‘ questions of life – by showing the way certain facts are connected to one another.“ (Germov 2009).

Wie bereits angedeutet, existiert nicht die soziologische Theorie, sondern es konkurrieren ganz unterschiedliche Paradigmen und Ansätze miteinander, welche die Gesellschaft jeweils auf unterschiedliche Art und Weise und aus unterschiedlichen Blickwinkeln zu erklären versuchen. Grob lässt sich zwischen „Strukturorientierten Theorien“ und „Handlungsorientierten Theorien“ unterscheiden (Bittlingmayer 2016; Sperlich 2016; Germov 2009). Bei den strukturtheoretischen Ansätzen steht der Einfluss gesellschaftlicher Strukturen auf das individuelle Verhalten im Vordergrund (Sperlich 2016). Sie gehen davon aus, dass individuelle Entscheidungen vor allem aufgrund von gesellschaftlichen Strukturen getroffen werden (Bittlingmayer 2016; Germov 2009). Der sozialwissenschaftliche Strukturbegriff beruhte bis in die 1970er Jahre auf der Vorstellung, dass die Gesellschaft durch eine vertikale Klassen- und Schichtstruktur geprägt sei und eben jene Zugehörigkeit zu einer bestimmten Klasse auch gleichzeitig das individuelle Verhalten maßgeblich beeinflusst (Sperlich 2016; Bittlingmayer 2016). Germov (2009) definiert soziale Strukturen als „the recurring patterns of social interaction through which people are related to each other, such as social institutions and social groups.“ (Germov 2009). So wird zum Beispiel auch die Geschlechtszugehörigkeit wie „Mann“ oder „Frau“ als Struktur definiert (Bittlingmayer 2016). Aktuelle Forschungsergebnisse zeigen deutlich, dass Strukturen, wie die soziale Herkunft, das Geschlecht, die ethnische Zugehörigkeit sowie das Einkommen, maßgeblich Einfluss auf das individuelle Gesundheitsverhalten, psychische Erkrankungen sowie das subjektive Wohlbefinden nehmen (Bittlingmayer 2016; Lampert et al. 2019, 2018). Bittlingmayer (2016) verweist dabei auf zwei Merkmale eines modernen sozialwissenschaftlichen Strukturbegriffes:

  • Erstens ist zu beachten, dass die Zugehörigkeit zu einer Struktur nicht determinierend wirkt, d. h. die Eigenschaft zur Ober- oder Unterschicht zu gehören, lässt verschiedene Erkrankungen oder Verhaltensweisen unterschiedlich wahrscheinlich werden, legt diese jedoch nicht automatisch fest.

  • Zweitens werden soziale Strukturen vom Menschen selbst erzeugt und sind somit grundsätzlich wandel- und gestaltbar. Obwohl sie einerseits über lange Zeiträume Kontinuität und Beständigkeit aufweisen, können sie sich dennoch im historischen Verlauf verändern (Bittlingmayer 2016).

Handlungsorientierte Theorien oder auch Agency-Ansätze stellen hingegen das individuelle Handeln von Menschen in den Mittelpunkt und gehören zu den mikrosoziologischen Theorieansätzen (Sperlich 2016; Cockerham 2013; Germov 2009). Dem Agency-Ansatz „liegt die Annahme zugrunde, dass soziale Sachverhalte über das individuelle Verhalten erklärt werden können und demzufolge soziale Wirklichkeit primär durch menschliches Handeln hervorgebracht wird.“ (Sperlich 2016). Agency bezeichnet dabei die Fähigkeit von Menschen sowohl individuell als auch kollektiv ihr eigenes Leben sowie die Gesellschaft, in der sie leben, zu beeinflussen (Germov 2009). Aus handlungsorientierter Sichtweise werden im Kontext von Gesundheit und Krankheit z. B. individuelles Gesundheits- und Krankheitsverhalten sowie soziale Interaktionsprozesse (u. a. Arzt-Patient-Kommunikation) und Krankenrollenverhalten untersucht (Sperlich 2016). Die Agency-Perspektive geht zudem davon aus, „dass Handeln ein absichtsvolles Tun der Akteure darstellt, was sowohl ein bewusst rationales als auch ein gewohnheitsmäßiges oder an Wertvorstellungen orientiertes Handeln einschließt.“ (Sperlich 2016).

Die Trennung von Struktur und Agency wurde in der Vergangenheit stark kritisiert. Gefordert wurde, dass der Bezug auf das Individuum gemeinsam mit der Untersuchung der strukturellen Gegebenheiten erforscht werden muss, um Gesundheit und Krankheit ganzheitlich zu verstehen (Sperlich 2016). So kann beispielsweise das Konzept des Habitus von Pierre Bourdieu (Bourdieu 1982) genutzt werden, um Struktur und Agency miteinander zu verbinden (Sperlich 2016). Stefanie Sperlich (2016) beschreibt dies wie folgt: „Nach Bourdieu kann der Habitus als ein sozial erworbenes psychisches Dispositionssystem verstanden werden, welches das Wahrnehmen, Denken und Empfinden strukturiert (Bourdieu 1982). […]. Mit dem Habituskonzept wird einerseits betont, dass Handlungen jenseits eines ‚blinden‘ Ausübens von Regeln oder Normen von den Subjekten ausgeführt werden, weil sie sinnvoll und situationsangemessen und in diesem Sinne auch rational sind. Gleichzeitig werden Handlungen jedoch nicht als Ausdruck autonomer Subjektivität betrachtet, vielmehr ist der handlungsleitende ‚Praxis-Sinn‘ das Ergebnis der Auseinandersetzung mit der gesellschaftlichen Realität.“ (Sperlich 2016, S. 46 ff.).

Nachdem nun die zwei grundlegenden Theorieausrichtungen Struktur und Agency erläutert wurden, soll im Folgenden auf einige ausgewählte soziologische Theorien und ihren Bezug zu Gesundheit und Krankheit eingegangen werden. Es sei an dieser Stelle darauf verwiesen, dass der Fokus der hier vorgestellten Theorien in erster Linie auf „Krankheit“ liegt und diese vor allem in der medizinsoziologischen Forschung und weniger in der Gesundheitssoziologie Anwendung finden, welche ein noch verhältnismäßig junges Feld darstellt.

2.1 Marxismus/Materialistische Theorie

Der Marxismus (oder auch materialistische Theorie) gehört zu den strukturtheoretischen Theorien und geht zurück auf die Arbeiten von Karl Marx (1818 bis 1883) und Friedrich Engels (1820 bis 1895) (Germov 2009). Die zentrale These dieser Theorie besagt, dass soziale Phänomene in erster Linie durch die ökonomischen Strukturen einer Gesellschaft bestimmt werden (Barry und Yuill 2012). Entscheidend dabei ist die ungleiche Verteilung bzw. der Besitz von Produktionsgütern, wodurch unterschiedliche gesellschaftliche Machtverhältnisse entstehen (Barry und Yuill 2012). Marx hat dabei moderne, westliche Gesellschaften als Kapitalistische beschrieben, in denen die Machtverhältnisse ungleich verteilt sind; d. h. eine Minderheit besitzt die Produktionsmittel, die sie nutzt, um Profit zu generieren, wohingegen die Mehrheit – die nicht Besitzenden – ihre Arbeitskraft einsetzen müssen, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen (Barry und Yuill 2012). Auf diese Art und Weise entstehen zwei soziale Klassen: die Bourgeoisie (Besitzer der Produktionsmittel) und das Proletariat (Arbeiter) (Barry und Yuill 2012). Aus Besitz und nicht-Besitz von Produktionsmitteln resultieren wiederum soziale Ungleichheiten, wie zum Beispiel ungleiche Lebens- und Wohnbedingungen, die als Ausgangspunkt für die Analyse gesundheitlicher Ungleichheiten zwischen der herrschenden und der arbeitenden Klasse gesehen werden können (Barry und Yuill 2012). Die marxistische Theorie wurde dabei vielfach zur Untersuchung des Einflusses von Arbeits- und Lebensbedingungen in kapitalistischen Gesellschaften auf die Gesundheit genutzt (Germov 2009; Engels 1845/1958). Es konnte gezeigt werden, wie das Streben nach immer mehr Profit durch die Bourgeoisie zur Ausbeutung der Arbeiter, gefährlichen Arbeitsbedingungen und ärmlichen Lebensbedingungen des Proletariats führt und dies wiederum in höheren Morbiditäts- sowie Mortalitätsraten der arbeitenden Klasse resultiert (Germov 2009; Engels 1845/1958). Auch heute hat dieser theoretische Strang überraschend wenig an Aktualität eingebüßt. Trotz ihrer bestehenden Aktualität und Anwendbarkeit auf derzeitige gesellschaftliche Entwicklungen (z. B. bei der fortschreitenden Ökonomisierung des Gesundheitswesens, insbesondere bei den ökonomischen und strukturellen Veränderungen im Krankenhaussektor, die zu immer schlechter werdenden Arbeitsbedingungen der Beschäftigten in den Kliniken führen (Simon 2016)), wurde die Marxistische Theorie auch vielfach kritisiert. Insbesondere der ausschließliche Fokus auf die ökonomischen Einflussfaktoren sozialer Ungleichheiten und somit das außer Acht lassen anderer möglicher Determinanten stehen dabei im Mittelpunkt (Barry und Yuill 2012).

2.2 Strukturfunktionalismus

Der Strukturfunktionalismus gehört ebenfalls zu den strukturtheoretischen Ansätzen und beschäftigt sich in erster Linie mit der Frage, wie es Gesellschaften gelingt dauerhaft stabil zu bleiben und die soziale Ordnung beständig und auch unter sich wandelnden Bedingungen aufrecht zu erhalten (Germov 2009). Berühmte Vertreter sind z. B. Émile Durkheim (1858 bis 1917), Talcott Parsons (1902 bis 1972) und Robert Merton (1910 bis 2003) (Germov 2009). Der Strukturfunktionalismus geht davon aus, dass die Gesellschaft in unterschiedliche Subsysteme (z. B. soziales System, kulturelles System) unterteilt ist, die sich gegenseitig beeinflussen (Barry und Yuill 2012). Barry und Yuill (2012) beschreiben in diesem Zusammenhang eine Analogie der strukturfunktionalistischen Sicht vom Aufbau einer Gesellschaft und eines biologischen Organismus: „Just as the body is made up of different but interrelated and interdependent parts, so society is made up of a number of different systems and subsystems.“ (Barry und Yuill 2012). Jedes einzelne Subsystem muss demnach seine Aufgaben erfüllen, um die Gesellschaft und soziale Ordnung aufrecht zu erhalten (Germov 2009; Cockerham 2013). Der Fokus des Strukturfunktionalismus liegt also in der Untersuchung der einzelnen gesellschaftlichen Subsysteme, um zu verstehen wie diese sich gegenseitig beeinflussen und zusammenwirken, um somit wiederum die Gesellschaft dauerhaft und stabil aufrecht zu erhalten (Germov 2009). Dabei geht es weniger um die Erforschung von Einstellungen oder Verhaltensweisen auf individueller Ebene, sondern vielmehr darum, wie diese die Subsysteme als Ganzes beeinflussen. So hat jedes Individuum verschiedene Funktionen oder Rollen zu erfüllen (z. B. die Elternrolle, die Rolle des Erwerbstätigen) und sozialen Erwartungen zu entsprechen (d. h. wie man sich in bestimmten Situationen rollenkonform verhält), um die gesellschaftliche Ordnung aufrecht zu erhalten (Barry und Yuill 2012).

Im Kontext von Gesundheit und Krankheit stellte Parsons heraus, dass soziale Rollen und Erwartungen nur erfüllt werden können, wenn das Individuum gesund ist. Er definierte damit Krankheit als eine Form der Abweichung von der Norm, die die Menschen davon abhält ihren alltäglichen Rollenerwartungen nachzukommen (Germov 2009). In diesem Zusammenhang hat Parsons das Konzept der „sick role“ (Barry und Yuill 2012; Germov 2009) eingeführt, welches es dem „abweichenden“ Individuum ermöglicht, aus seinen gewohnten Rollen zeitweilig „auszusteigen“, um wieder gesund zu werden: „When a person takes on the ‚sick role‘, they are excused from their normal roles and responsibilities. The medical professions determines who is legitimately ‚sick‘. This regulatory role ensures that not too many people are unable to fulfil their normal roles – otherwise illness would have a detrimental effect on the society as a whole.“ (Barry und Yuill 2012). Vor allem bei der Analyse von Arzt-Patienten-Beziehungen kommt dieses Konzept häufiger zum Einsatz, z. B. in Form von einer Krankschreibung und damit der Legitimation von der Rolle des Erwerbstätigen in diesem Zeitraum auszusetzen. Ein wichtiger Kritikpunkt an der „Rolle des Kranken“ ist allerdings, dass bisher unklar ist in welcher Weise sie auf chronisch Erkrankte, dauerhaft Beeinträchtigte oder moribunde Patienten Anwendung finden kann (Germov 2009).

2.3 Symbolischer Interaktionismus

Der symbolische Interaktionismus gehört zu den handlungstheoretischen Ansätzen und fokussiert das individuelle Verhalten von Menschen und ihre Fähigkeit das eigene Leben sowie die Gesellschaft zu gestalten (Germov 2009). Berühmte Vertreter des symbolischen Interaktionismus sind zum Beispiel George Herbert Mead (1863 bis 1931), Anselm Strauss (1916 bis 1996) sowie Howard Becker (*1928) (Germov 2009). Die Grundannahme des symbolischen Interaktionismus ist, dass Menschen die soziale Wirklichkeit über Kommunikation, Sprache, Symbole und die jeweiligen Bedeutungszuschreibungen erzeugen (Germov 2009; Charmaz und Belgrave 2013). Die Theorie des symbolischen Interaktionismus beschäftigt sich also damit, wie Menschen ihre soziale Welt sehen, wahrnehmen und selbst gestalten, sie fokussiert damit weniger auf die Analyse größerer sozialer Systeme oder Strukturen (Barry und Yuill 2012). Im Kontext von Gesundheit und Krankheit macht der symbolische Interaktionismus deutlich, dass das was als „krank“ oder das was als „gesund“ gilt, subjektiv wahrgenommen und somit gesellschaftlich durch die handelnden Individuen konstruiert wird (Germov 2009). Solche Zuschreibungen können sich im Laufe der historischen Entwicklung maßgeblich ändern und unterscheiden sich zudem zwischen verschiedenen Kulturen. Wurde z. B. Homosexualität im vergangenen Jahrhundert noch als Krankheit verstanden, so ist dies heute in den westlichen Gesellschaften längst nicht mehr der Fall. Was sozial konstruiert als „krank“ oder „gesund“ wahrgenommen wird, ist zudem weniger abhängig von biologischen Faktoren (Germov 2009). Hier können die Analysen zu abweichendem Verhalten von Howard Becker herangezogen werden, um die Perspektive des symbolischen Interaktionismus deutlicher zu machen (Barry und Yuill 2012). Becker (2008) zeigt in seiner Definition von abweichendem Verhalten auf, dass das, was als abweichend bezeichnet wird, gesellschaftlich konstruiert ist und sich von Gruppe zu Gruppe oder auch Gesellschaft zu Gesellschaft unterscheiden kann. Folgt man also der Perspektive des symbolischen Interaktionismus, sind auch Gesundheit und Krankheit stets gesellschaftlich konstruiert und wandelbar. Bekannte Untersuchungsbereiche sind beispielsweise das subjektive Krankheitsempfinden oder aber auch die Arzt-Patient-Kommunikation (Germov 2009).

2.4 Feministische Theorie

Die feministische Theorie ist eine verhältnismäßig neue Theorie, die erst in den 1960er Jahren entstanden ist. Dabei existiert jedoch nicht die feministische Theorie, sondern sehr heterogene Strömungen, wie z. B. der liberale Feminismus, der radikale Feminismus oder der postmoderne Feminismus (Germov 2009). All diesen Theoriesträngen ist gemein, dass das Geschlecht – vor allem das weibliche – im Mittelpunkt der Untersuchung steht. Dem feministischen Ansatz liegt die Kritik zu Grunde, dass vorherige soziologische Theorien vor allem auf die Erforschung männlicher Akteure fokussierten und die Frau als Forschungsgegenstand tendenziell unterrepräsentiert war bzw. ist (Germov 2009). Germov (2009) weist zudem darauf hin, dass frühere theoretische Ansätze ein sexistisches Frauenbild vermitteln und führt dabei z. B. Parsons Rollenverständnis der Frau an, welche die gesellschaftlichen Aufgaben der Fürsorge für den Mann und die Familie zu erfüllen habe. Auch patriarchalische Gesellschaftsstrukturen und die Unterdrückung der Frauen werden stark kritisiert. Feministische Theorien beziehen sich also vor allem auf die Frage „What about the woman?“ (Germov 2009) und stellen soziale Ungleichheiten zwischen Männern und Frauen in den Untersuchungsfokus. Im Kontext von Gesundheit und Krankheit finden feministische Theorien Anwendung in der Untersuchung gesundheitlicher Ungleichheiten zwischen Männern und Frauen, die nicht auf biologische, sondern eben auf soziale Unterschiede, z. B. ungleiche Arbeitsbedingungen oder die Doppelbelastung in Beruf und Familie, zurückzuführen sind (Germov 2009). Im Kontext unserer immer noch eher patriarchalisch ausgerichteten Gesellschaft verweisen Barry und Yuill (2012) zudem auf ein weiteres Untersuchungsfeld, in dem feministische Theorien Anwendung finden: „Particular examples can be seen in relation to pregnancy and childbirth, where what was previously seen as a ‚natural‘ event attended by women rapidly became the focus of medical intervention, and now principally takes place in hospital, with the profession of obstetrics being dominated by men.“ (Barry und Yuill 2012).

3 Das soziologische Modell von Gesundheit

Nachdem verschiedene soziologische Theorien, die zur Erforschung von Gesundheit und Krankheit genutzt werden können, erläutert wurden, soll im Folgenden spezifischer auf das soziologische Modell von Gesundheit im Vergleich zum biomedizinischen Modell eingegangen werden. Es sollen dabei die unterschiedlichen Perspektiven und Denkrichtungen gegenübergestellt werden. Tab. 1 stellt das biomedizinische und das soziale Modell zusammenfassend gegenüber. Hier wird beschrieben, welche unterschiedlichen Annahmen, Schwerpunkte oder auch Ursachen von Krankheiten jeweils angelegt werden als auch welche Kritik hierzu geäußert wurde. Einige Beispiele dieser differenzierten Betrachtungsweisen werden im Folgenden genauer erläutert.

Tab. 1 Das biomedizinische und soziale Modell von Gesundheit im Vergleich.

In der Medizin herrscht als zentraler Erklärungs- und Therapieansatz von Gesundheit und Krankheit nach wie vor das biomedizinische Krankheitsmodell vor. Dieses widmet sich einer naturwissenschaftlichen Herangehensweise bei der Erklärung von Gesundheit und Krankheit und fand seinen Ursprung Ende des 19. Jahrhunderts (Roch und Hampel 2019). Dem biomedizinischen Modell – auch biologisches oder medizinisches Modell genannt – liegen Annahmen und Erkenntnisse der Bakteriologie der letzten Hälfte des 19. Jahrhunderts zu Grunde. Hierbei werden Krankheiten auf bestimmte Erreger, wie Keime und Bakterien, zurückgeführt und können damit einem kausalen Grund zugesprochen werden (Franke 2012). Menschen werden – dem biomedizinischen Modell folgend – vor allem als biologische Organismen verstanden. Krankheiten können nach diesem Verständnis durch die Untersuchung der Symptome erkannt und entsprechend therapiert werden.

Dieser Ansatz ist natürlich nicht falsch, er berücksichtigt pathophysiologische, biochemische und auch molekulargenetische Prozesse, die für die Entstehung und Entwicklung von Krankheiten essentiell sind (Franke 2012). Dennoch stößt das Modell auch an Grenzen, die im Folgenden aufgezeigt und zudem um weitere Perspektiven ergänzt werden sollen. Folgende Herausforderungen und Kritikpunkte an dem biomedizinischen Modell können angeführt werden (Richter und Hurrelmann 2016; Nettleton 2013; Germov 2009): Zum einen gibt es zwar Erkrankungen (z. B. Infektionskrankheiten), die auf eine Ursache zurückzuführen sind, der Großteil gegenwärtig vorherrschender Krankheiten in Industrienationen ist jedoch das Ergebnis multifaktorieller Ursachen, welche neben biomedizinischen Hintergründen auch soziale Faktoren einschließen. Zum anderen entspricht die Sichtweise auf Patienten nicht mehr dem aktuellen gesellschaftlichen Bild. Vorherrschend war die auf die Erkrankung (oder den Körper) reduzierte Sichtweise der Patienten als passive Objekte, anstatt den Patienten als ganzheitliche Person zu sehen. Darüber hinaus setzt sich auch zunehmend die Ansicht durch, dass Gesundheit nicht nur von den vermeintlichen Experten beurteilt werden kann, sondern dass auch „Laien“ also die Menschen selbst ihre Erfahrungen und subjektive Interpretation über ihren Körper und ihre Gesundheit hegen und dies auch einen wichtigen Teilbereich darstellt. Eng verbunden ist damit auch ein weiterer Punkt, der steigenden Kosten des Gesundheitssystems. So wird argumentiert, dass die Wirksamkeit der biomedizinischen Herangehensweise zur Behandlung und Reduzierung von Krankheiten überschätzt wird. Hier ist die evidenzbasierte Medizin gefragt, die an Bedeutung gewinnt.

Aus dieser Kritik heraus wird deutlich, dass es die soziologische Sichtweise ebenso braucht, um die Entstehung und Vermeidung von Krankheiten besser verstehen zu können und um gleichzeitig zu untersuchen, wie Gesundheit gefördert werden kann (siehe soziales Modell in Tab. 1). Das soziale Modell von Gesundheit und Krankheit betrachtet die gesellschaftlichen Bedingungen, in denen Menschen leben und arbeiten, statt die alleinige Verantwortung beim Individuum zu sehen. Während im biomedizinischen Modell vor allem die pathologischen und biologischen Prozesse als auch Risikofaktoren (z. B. Tabakkonsum) im Mittelpunkt stehen, so fokussiert das soziale Modell vor allem den sozialen Kontext und soziale Ungleichheiten, die zu einer Ungleichverteilung von Gesundheit und Krankheit führen (Richter und Hurrelmann 2016). Damit ist gemeint, dass jene mit einem hohen sozialen Status (hohe Bildung, hohes Einkommen, hohe berufliche Position) insgesamt eine bessere Gesundheit aufweisen, als jene mit niedrigem Sozialstatus. Damit ist beispielsweise gemeint, dass jene mit einem hohen sozialen Status (hohe Bildung, hohes Einkommen, hohe berufliche Position) weniger gesundheitsschädlichen Wohn- und Arbeitsbedingungen ausgesetzt sind, mehr psychosoziale Ressourcen (u. a. soziale Unterstützung, personale Kompetenzen) und weniger Risikoverhaltensweisen aufweisen, die letztlich zu einer besseren gesundheitlichen Lage führen (Granström et al. 2015; Lampert et al. 2019; Lampert et al. 2016; Marmot und Wilkinson 2001; Moor et al. 2017; Pförtner und Moor 2017) (Tab. 1).

Der soziologische Blick berücksichtigt also die sozialen Verhältnisse, ebenso wie die risiko-induzierenden Faktoren, d. h. jene Faktoren, die zu Risikofaktoren führen. Selbstverständlich gibt es auch beim sozialen Modell Kritikpunkte, wie beispielsweise, dass die WHO Gesundheit als „vollständigen körperlichen, psychischen und sozialen Wohlbefindens“ definiert, welcher nicht erreicht werden kann. Daher sollte es eher als Idealvorstellung angesehen werden.

4 Fazit

In den letzten 150 Jahren hat die Medizin- und Gesundheitssoziologie herausragende Erkenntnisse über die sozialen Dimensionen von Gesundheit und Krankheit hervorgebracht. Der vorliegende Beitrag hat gezeigt, dass die Soziologie dabei wichtige Theorien zur Erforschung von Gesundheit und Krankheit zur Verfügung stellt. Neben strukturtheoretischen Ansätzen, welche den Einfluss der Gesellschaft auf das individuelle Handeln untersuchen, wurden auch handlungstheoretische Ansätze vorgestellt, die den Zusammenhang des Individuums auf die Gesellschaft fokussieren. Im Mittelpunkt standen dabei einige der bekanntesten soziologischen Theorien und Perspektiven, welche bei der Erforschung von Gesundheit und Krankheit Anwendung finden. Beispielhaft wurde zusammenfassend auf Klassiker, wie materialistische Theorien bzw. den Marxismus, die Strukturtheorie und den Strukturfunktionalismus, den symbolischen Interaktionismus sowie die moderne feministische Theorie eingegangen. Zudem wurden wichtige Untersuchungsschwerpunkte der Medizin- und Gesundheitssoziologie angerissen. Das gesamte Themenspektrum ist jedoch noch um ein Vielfaches größer und differenzierter, weswegen hier nur erste Einblicke in die soziologische Perspektive von Gesundheit und Krankheit gegeben werden können. Weitere Forschungsthemen, die im vorliegenden Beitrag nicht zur Sprache gekommen sind, sind zum Beispiel medizinische Technologien und ihre gesellschaftlichen Konsequenzen, die Bioethik sowie die Prävention und Gesundheitsförderung. Der Beitrag konnte zudem zeigen, dass die Untersuchungsschwerpunkte der Soziologie – speziell der Medizin- und Gesundheitssoziologie – nicht auf der biomedizinischen Sichtweise der medizinischen Behandlung oder Heilung einer Krankheit oder „beeinträchtigten“ Gesundheit liegen, sondern vielmehr auf den sozialen Faktoren, Ursachen und Kontexten von Gesundheit und Krankheit (Richter 2014). Dazu wurde auch auf das Verständnis der naturwissenschaftlich dominierten Medizin eingegangen und dem biomedizinischen Modell das soziale Modell von Gesundheit gegenübergestellt. Auch das Wohlbefinden spielt im Kontext von Gesundheit und Krankheit eine immer bedeutsamere Rolle. Es zeigt sich jedoch, dass die zur Verfügung stehenden soziologischen Theorien sich eher auf „Gesundheit und Krankheit“ als auf das Wohlbefinden fokussieren. Obwohl Wohlbefinden oftmals in Bezug zu Gesundheit gesetzt wird, wird dieses Konstrukt jedoch noch zu selten genutzt und definiert und es bleibt vage, was Wohlbefinden aus soziologischer Perspektive genau ist.

Das Konstrukt des Wohlbefindens muss also zukünftig stärker in den Vordergrund gerückt werden, denn bei der Beurteilung von Gesundheit spielen aus soziologischer Sicht weniger objektive Befunde von Krankheiten eine Rolle, sondern vielmehr steht die subjektive Wahrnehmung im Mittelpunkt. Auch bezüglich des Wohlbefindens steht dies im Vordergrund, „denn wer diagnostiziert krank ist, kann sich nichtsdestotrotz gesund fühlen (vice versa).“ (Ohlbrecht und Winkler 2018, S. 3). Während eine Erkrankung oftmals durch Symptome objektivier- und messbar ist, verhält es sich mit der Gesundheit und ebenso mit dem Wohlbefinden anders, da es sich hier um die individuelle Wahrnehmung des Individuums handelt (Ohlbrecht und Winkler 2018). Insgesamt herrscht in der Wissenschaft noch kein Konsens darüber, wie Wohlbefinden und (subjektive) Gesundheit definiert werden (Hornberg 2016; Erhart et al. 2009), vielmehr existieren eine Bandbreite an verschiedenen Konzepten und Konstrukten, die, je nach Fachdisziplin und theoretischen Annahmen, ähnliche Komponenten umfassen. Mittlerweile ist die Literatur so stark angewachsen und die Dimensionen so divers, dass Pollard und Lee (2003) bereits von einer „confusing and contradicotry research base“ sprechen. Dodge et al. (2012) betiteln ihre Übersichtsarbeit zu den Definitionen und der Beschreibung von Wohlbefinden nicht ohne Grund als „The challenge of defining wellbeing“. In der Soziologie scheint die Forschung zu Wohlbefinden im Vergleich zu anderen Wissenschaften jedoch noch verhältnismäßig rückständig (Veenhoven 2008), auch wenn hier das Forschungsinteresse in den vergangenen Jahren angestiegen ist und z. B. in Bereichen wie der Erwerbstätigkeit (Arbeits- und Einkommenszufriedenheit) eingesetzt wird. Hier spielt vor allem die Zufriedenheit mit unterschiedlichen Lebensbereichen eine wichtige Rolle.

Zusammenfassend öffnet die Medizin- und Gesundheitssoziologie jedoch den Diskurs und zeigt, dass Gesundheit mehr als nur die Abwesenheit von Krankheit bedeutet und der Fokus vermehrt zu einer Berücksichtigung der subjektiven Bewertung von Gesundheit und Wohlbefinden gelenkt wird. Es gibt mittlerweile eine Bandbreite an Beschreibungen und Dimensionen von Wohlbefinden, weniger gelungen ist es bislang eine eindeutige Definition von Wohlbefinden zu finden. Zukünftige Aufgabe der Medizin- und Gesundheitssoziologie, welche eine unverzichtbare Ergänzung des biowissenschaftlichen Forschungsprogramms der Medizin darstellt (Richter 2014; Richter und Hurrelmann 2016), ist es also das Konzept des Wohlbefindens stärker in den Kontext von Gesundheit und Krankheit zu integrieren sowie auch zu definieren.