Schlüsselwörter

1 Einleitung

Die Nutzung der neuen elektronischen Medien findet derzeit einen rasanten Anstieg insbesondere bei Jugendlichen. Die virtuelle Welt des World Wide Web ist für viele zu einer zweiten Heimat geworden (KIM-Studie 2009; Smith und Steffgen 2013; Steffgen et al. 2010). Diese verstärkte Mediennutzung mit deren inhärenten Gefahren und Risiken beschäftigt nicht nur Eltern, Pädagogen und Politiker, sondern auch die breite Öffentlichkeit. Insbesondere die Gesundheitsgefahren und -risiken des Mobbings mittels moderner Kommunikationstechnologien, das Cybermobbing, erlangen hierbei in jüngster Vergangenheit von wissenschaftlicher Seite verstärkte Aufmerksamkeit (Davidson und Martellozzo 2008; Steffgen 2014; Vaillancourt et al. 2017).

Im folgenden Beitrag werden, aufbauend auf einer Begriffsklärung von Cybermobbing unter Berücksichtigung der relevanten Prävalenzraten, die potenziellen gesundheitlichen Folgen analysiert und diskutiert. Hierzu wird vorab traditionelles Mobbing von Cybermobbing abgegrenzt sowie eine Phänomenologie des Cybermobbings vorgestellt, zudem sowohl das „Happy Slapping“ als auch das „Online Grooming“ gehört. Neben Angaben zur Prävalenz insbesondere in Luxemburg werden die wesentlichen gesundheitlichen Auswirkungen von Cybermobbing herausgearbeitet. Abschließend werden unterschiedliche Möglichkeiten der Prävention des individuell schädigenden Einflusses von Cybermobbing aufgezeigt.

2 Cybermobbing – eine definitorische Eingrenzung

2.1 Abgrenzung zwischen Mobbing und Cybermobbing

Das klassische Mobbing unter Kindern und Jugendlichen ist mittlerweile ein vielfältig untersuchtes und fest etabliertes Forschungsfeld in der Aggressionsforschung, dessen Gefährdungspotenzial weitgehend belegt ist (Böhmer und Steffgen 2020; Huberty und Steffgen 2008; Scheithauer et al. 2003). Mobbing wird nach Olweus als Spezialfall aggressiven Verhaltens definiert: „Ein Schüler oder eine Schülerin wird gemobbt, wenn er oder sie wiederholt und im Laufe der Zeit negativen Handlungen seitens eines oder mehrerer anderer Schüler oder Schülerinnen ausgesetzt ist” (1996, S. 266). Folgende Merkmale sind dabei zentral (Huberty und Steffgen 2008):

  1. 1.

    Bei Mobbing handelt es sich um negative Handlungen – aggressive Verhaltensweisen, Gewalt –, die eine Person oder Personengruppe (Täter) gegenüber einer anderen Person (Opfer) ausübt. Hierbei ist die Intentionalität von großer Bedeutung, d. h., dass eine Handlung zielgerichtet ausgeführt wird, um einen anderen zu schädigen. Dies impliziert, dass das aggressive Verhalten auch vom Opfer als verletzend empfunden wird.

  2. 2.

    In der Beziehung zwischen Täter und Opfer besteht ein ungleiches, asymmetrisches Kräfte- bzw. Machtverhältnis, wobei der Täter dem Opfer überlegen ist. Das Machtungleichgewicht kann sowohl auf physischen (z. B. Größe), kognitiven (z. B. Intelligenz) als auch sozialen Faktoren (z. B. sozialer Status) beruhen. Das Opfer, das den negativen Handlungen ausgesetzt ist, hat Mühe sich zu verteidigen und ist somit dem Täter eher hilflos ausgeliefert.

  3. 3.

    Mobbing wiederholt sich (z. B. einmal pro Woche oder mehrmals am Tag), über einen längeren Zeitraum (z. B. über mehrere Wochen oder über mehrere Jahre) und erfolgt systematisch. Opfer werden ausgesucht, um regelmäßig schikaniert zu werden. Daher werden einzelne „Ausraster“ und negative Handlungen, die einmal gegen eine Person und ein anderes Mal gegen eine andere Person gerichtet sind, nicht als Mobbing verstanden.

  4. 4.

    Das vierte Merkmal bezieht sich auf die Erscheinungsformen des Mobbings. Die Begrenzung von Mobbing auf direkte körperliche Angriffe werden dem Phänomen nicht gerecht. Olweus (2002) unterscheidet stattdessen mittelbare Gewalt von unmittelbarer Gewalt. Unter unmittelbarer Gewalt versteht er direkte, offene Angriffe (physisches oder verbales Mobbing), unter mittelbarer Gewalt jeden Versuch, eine Person sozial auszugrenzen (relationales Mobbing).

Bei diesen vier Mobbing-Kriterien handelt es sich um die geläufigsten Aspekte, die sich in jeweils leicht veränderter Form in der Literatur wiederfinden (vgl. Kulis 2005; Olweus 2002; Scheithauer et al. 2003; Wolke und Stanford 1999). Als darüberhinausgehendes Definitionsmerkmal erweist sich nach Schäfer und Korn (2001) sowie Smith und Morita (1999):

  1. 5.

    dass Mobbing meist in sozialen Kontexten auftritt, denen man sich nicht ohne weiteres entziehen kann und die durch eine starre Gruppenstruktur geprägt sind. Schule repräsentiert hierbei solch ein soziales Umfeld. Da Schülerinnen und Schüler schulpflichtig sind und täglich zur Schule gehen müssen, sind die Fluchtmöglichkeiten von (potenziellen) Opfern stark begrenzt. Zusätzlich bewegen sich Schulpflichtige über Jahre hinweg in gleichen sozialen Umwelten, was dazu führt, dass über die Zeit hinweg veränderungsresistente Gruppengefüge entstehen. Einmal angenommene soziale Rollen (z. B. die des Opfers) sind dann nur noch schwer abzulegen. Daher kann aus Opfersicht von einem Zustand des „Ausgeliefertseins“ gesprochen werden, bei dem eigene Handlungsmöglichkeiten stark eingeschränkt sind. Auch die virtuelle Welt des Internets, insbesondere die sogenannten Sozialen Netzwerke, erfüllt diese Kriterien.

Cybermobbing, das Mobbing via moderner Kommunikationstechnologien, steht in engem Zusammenhang mit dem traditionellen Begriff des Mobbings. Es ist insbesondere das Nutzen von elektronischen Kommunikationsmitteln zum Zwecke des Mobbings, welches die beiden Verhaltensweisen voneinander abgrenzt. Neben diesem Aspekt können jedoch weitere Unterschiede benannt werden, die es erschweren, Cybermobbing als verdecktes psychologisches Mobbing zu betrachten (Hinduja und Patchin 2009). Da der Täter meist anonym bleibt, liegt die Kontrolle über die Situation verstärkt in seinen Händen. Er fühlt sich vor Sanktionen geschützt und die aggressiven Handlungen durchdringen noch stärker die Privatsphäre des Opfers. An jedem Ort, zu jeder Zeit können Mobbinghandlungen durchgeführt werden (Smith et al. 2008). Daneben wird bei Cybermobbing auch betont, dass a) neben der Intention des Täters zu schädigen, insbesondere der negative Effekt auf das Opfer auschlaggebend ist, b) der Aspekt der Wiederholung der Tat nicht immer gegeben ist, c) eine potenziell sehr große Reichweite der Handlungen erkennbar ist, d) die Angriffe allgegenwärtig sein können und e) die Verstärkung des Täters häufig verzögert erfolgt, da beispielsweise das Opfer eine negative Handlung nicht unmittelbar, sondern erst mit Zeitverzögerung wahrnimmt (Schenk 2020).

Insgesamt weist eine Vielzahl von Befunden darauf hin, dass Opfer von traditionellem Mobbing häufig auch Opfer von Cybermobbing sind (Hinduja und Patchin 2009; Smith und Steffgen 2013; Steffgen und König 2009). Zudem erweisen sich Mobbing-Opfer zum Teil auch als potenzielle Cybermobbing-Täter (König et al. 2010). Neben Opfer und Täter besitzen darüber hinaus auch Außenstehende, sogenannte Bystander, beim Cybermobbing eine bedeutsame Rolle (Salmivalli 2010; Machackova et al. 2018). Die Außenstehenden nehmen insofern am Mobbinggeschehen teil, als sie a) problematische Inhalte, d. h. die negativen Handlungen des Täters, betrachten, weiterleiten und/oder liken oder b) den Täter oder das Opfer beispielsweise mit Nachrichten direkt unterstützen.

2.2 Unterschiedliche Formen von Cybermobbing

Es lassen sich viele unterschiedliche Formen von Cybermobbing differenzieren. Die von Smith et al. (2006) aufgestellte Typologie basiert auf dem jeweils verwendeten elektronischen Kommunikationsmittel mithilfe dessen Cybermobbing durchgeführt wird:

  • Cybermobbing durch Textnachrichten: zum Beispiel das Versenden von beleidigenden SMS

  • Cybermobbing durch Fotos oder Videos: normalerweise werden diese mit den Kameras der Mobiltelefone gemacht und anschließend auf Fotoseiten im Internet verteilt

  • Cybermobbing durch Telefonanrufe, besonders mithilfe von Mobiltelefonen

  • Cybermobbing durch E-Mails

  • Cybermobbing in Chatrooms

  • Cybermobbing durch Instant Messenger

  • Cybermobbing auf Webseiten

Dementsprechend finden sich in der Literatur mittlerweile eine Vielzahl von Begrifflichkeiten, die dieser Differenzierung Rechnung tragen (electronic mobbing, e-mobbing, sms mobbing, mobile mobbing, online mobbing, digital mobbing und Internetmobbing).

Andere Autoren wiederum differenzieren Cybermobbing anhand der Ausrichtung der durchgeführten Handlungen (vgl. zusammenfassend Hinduja und Patchin 2009). So unterscheidet Willard (2006) zwischen:

  • Flaming: Streitigkeiten, hitzige Online-Diskussionen mit Hilfe von elektronischen Nachrichten, bei denen vulgäre und beleidigende Worte verwendet werden. An diesen meist kurzlebigen Streitigkeiten sind zwei oder mehr Personen beteiligt sowie manchmal auch Bystander, die Einfluss auf den Verlauf der Diskussion nehmen. Wesentlich ist außerdem, dass Flaming Gewaltdrohungen enthalten kann (aber nicht muss), welche auch zu physischer Gewalt führen können. Bei Flaming befinden sich die beteiligten Personen auf der gleichen Machtebene, weshalb es teilweise nicht als Cybermobbing im engeren Sinne angesehen wird.

  • Belästigung: Wiederholtes Senden von beleidigenden und/oder bedrohlichen Nachrichten. Hierbei ist vor allem das Andauern über die Zeit hervorzuheben; im Gegensatz zu Flaming handelt es sich bei Belästigung um das wiederholte Senden von negativen Nachrichten/Informationen über einen längeren Zeitraum. Beim Opfer kann, sobald es online ist, eine ständige Angst vor Belästigung bestehen. Die Belästigung ist meist einseitig; antwortet das Opfer seinerseits mit beschimpfenden Nachrichten, dann nur in der Absicht, das Verhalten des Täters zu beenden.

  • Verunglimpfung: Jemanden durch die Verbreitung von Gerüchten oder Lügen im Internet beleidigen oder diffamieren. Das Opfer ist dabei nur indirekt beteiligt, da die Empfänger der Nachrichten andere Personen sind, wobei es sich entweder um dem Opfer bekannte Personen oder aber um sämtliche Nutzer des Kommunikationsmittels handeln kann (z. B. beim Veröffentlichen von Gerüchten in sozialen Netzwerken). Verunglimpfung im Internet kann Sprache beinhalten, die als Beleidigung oder Verleumdung strafbar ist.

  • Personifikation: Durch Auftreten als eine andere Person im Internet (Rollenübernahme mit Hilfe von Benutzernamen, Passwörtern etc.) wird versucht, diese andere Person durch unangemessenes Verhalten schlecht aussehen zu lassen und sie vorzuführen. Das Ziel besteht darin, dem Ansehen dieser anderen Person zu schaden.

  • Outing und Verrat: Geheimnisse, intime oder peinliche Informationen oder Bilder einer Person online verbreiten (outing). Dabei ist meist eine Gruppe von Personen beteiligt. Um Verrat handelt es sich z. B., wenn ein Täter ihm anvertraute private Informationen beispielsweise per E-Mail an andere weiterleitet oder andere Personen seine Onlineunterhaltung mit dem Opfer mitlesen lässt.

  • Ausschluss: Jemanden bewusst aus einer Online-Gruppe ausschließen (Chats, Freundeslisten, thematische Foren etc.). Dies geschieht besonders häufig unter Jugendlichen, die eine sogenannte In-Group und deren Außenseiter definieren. Gerade im Schulsetting führt der Ausschluss von Online-Aktivitäten meist auch zu einem Ausschluss aus dieser Gruppe im täglichen Leben, was bedeutende emotionale Konsequenzen für das Opfer haben kann.

  • Cyberstalking: Wiederholtes Senden von Nachrichten, die Bedrohungen und eventuell auch Erpressungen enthalten oder verstörend wirken. Dabei soll das Opfer eingeschüchtert und/oder ihr Ruf oder ihre Freundschaften zerstört werden. Der Unterschied zwischen Belästigung und direktem Cyberstalking ist zum Teil schwierig festzulegen, jedoch ist insbesondere die Furcht des Opfers um die eigene Sicherheit ein deutlicher Indikator dafür, dass es sich um Cyberstalking handelt. Indirektes Cyberstalking nimmt meist die Form von Verunglimpfung oder Personifikation an (siehe oben). Wesentlich ist, dass Opfer von Cyberstalking aus Angst vor den Konsequenzen oftmals zögern dieses zu berichten, vor allem, wenn sie selbst dem Täter das Material (z. B. Fotos aus einer vorherigen intimen Beziehung) geliefert haben.

Eine weitere spezifische Form von Cybermobbing stellt das „Happy Slapping“ dar. Darunter wird eine meist unerwartete Attacke auf ein Opfer verstanden, wobei Unterstützer des Täters das Vorgehen filmen, oftmals mit der Kamera eines Mobiltelefons, um es danach im Internet zu verbreiten. Dier Täter und seine Unterstützer versuchen die gewalthaltige Tat meist wie ein Spiel erscheinen zu lassen. Bei Happy Slapping werden mindestens zwei Täter benötigt: der eigentliche Täter, der die Attacke vornimmt sowie eine Person, die die Tat filmt. Der meist stattfindende körperliche Missbrauch wird hier einer breiten Öffentlichkeit gezeigt und zur Verfügung gestellt.

Auch „Online Grooming“, die systematische, gezielte Anbahnung von Kontakten von Erwachsenen mit dem Ziel der sexuellen Ausbeutung von Minderjährigen, kann als eine spezifische Form des Cybermobbings angesehen werden. Diese Form des Cybermobbings geht über Belästigung hinaus, Kinder und Jugendliche erhalten hier z. B. unaufgefordert pornographisches Bildmaterial zugesandt, werden zu Treffen animiert und für Fotoshootings angeworben (Derr 2009; Katzer 2008). Dabei bauen Täter über das Internet (z. B. im Chat) über einen längeren Zeitraum Vertrauen zu ihrem minderjährigen Opfer auf, oftmals indem sie sich ebenfalls als Teenager ausgeben und sich als verständnisvoller Zuhörer darstellen. Durch Geschenke und Aufmerksamkeit wird diese Beziehung gestärkt. Die Anonymität im Internet, die geringere Hemmschwelle und die relativ hohe Verfügbarkeit von Opfern erleichtern es den Tätern, das aufgebaute Vertrauen auszunutzen und sexuelle Gewalt auszuüben (Katzer 2008). Im Weiteren kann es dann zu sexuellen Übergriffen im Chat, bis hin zu Treffen und Übergriffen im realen Leben kommen. Der Zugang der Täter zu ihren Opfern erweist sich in der virtuellen Welt als insgesamt leichter und unauffälliger umsetzbar (Derr 2009).

Zusammenfassend lassen sich nach Weitzmann (2017) Online-Verhaltensweisen als Cybermobbing kennzeichnen, wenn sie als massive Belästigung, Bloßstellung, Diffamierung, Demütigung und/oder Bedrohung wahrgenommen werden.

3 Ausmaß des Problems Cybermobbing

Aufgrund starker methodischer (z. B. Stichprobenwahl, Messmethode) und definitorischer Differenzen in den derzeit vorliegenden Studien zur Prävalenz des Cybermobbings erweist es sich als äußerst schwierig, das Ausmaß der Problematik zu quantifizieren (Schenk 2020; Smith und Steffgen 2013).

Thorp (2004) berichtet in einer der ersten Studien zur Erforschung des Auftretens von Cybermobbing in den USA, dass während des Jahres 2000 6 % der befragten Jugendlichen Opfer von Cybermobbing wurden. Auch Oliver und Candappa (2003) belegen, dass 4 % der Schüler zwischen 12 und 13 Jahren mit aggressiven Textnachrichten auf ihren Mobiltelefonen konfrontiert wurden. In einer von Burgess-Proctor (vgl. Patchin und Hinduja 2006) durchgeführten Studie in den USA gaben 38,3 % der Jugendlichen an, schon einmal Opfer von Cybermobbing gewesen zu sein. 16 % der Stichprobe führen an, schon einmal andere Online angegriffen zu haben. Eine telefonische Befragung, die von Ybarra und Mitchell (2004) mit Jugendlichen zwischen 10 und 17 Jahren durchgeführt wurde, ergab, dass 19 % bei einem Cybermobbingvorfall entweder als Opfer oder als Täter beteiligt waren.

In Kanada erreichte der Anteil der Internetnutzer, die bereits über Internet schikaniert und bedroht wurden 25 % (MNet 2001). 69 % geben an jemanden zu kennen, der bereits Opfer von Cybermobbing wurde (Beran und Li 2005). In einer weiteren Studie belegt Li (2006), dass fast 25 % Opfer von Onlineaggressionen wurden, während 17 % angaben, schon einmal jemanden auf diese Art und Weise angegriffen zu haben (Vaillancourt et al. 2017).

Auch für Europa liegen vergleichbare Daten vor. In einer repräsentativen Untersuchung des National Children’s Home, einer britischen Wohltätigkeitsorganisation für Kinder, von 2005 geben 20 % der Befragten an, Opfer von Cybermobbing gewesen zu sein, wobei 14 % durch Textnachrichten, 5 % in Chatrooms und 4 % durch E-Mails bedroht wurden. Smith et al. (2006) belegen einen noch höheren Anteil an Schülern, die bereits Erlebnisse mit Cybermobbing hatten (22 %), wobei 6,6 % der Schüler angaben, in den letzten zwei Monaten längere Zeit unter Angriffen gelitten zu haben.

Für Deutschland berichten Katzer und Fetchenhauer (2007), dass über 40 % aller befragten Chatter von anderen Chatteilnehmern bereits beleidigt, gehänselt, geärgert oder beschimpft, 14 % von anderen erpresst, unter Druck gesetzt oder bedroht und fast ein Viertel aller Chatter von anderen in Gesprächen ausgegrenzt, nicht beachtet oder isoliert wurden. Weiterhin zeigen sie, dass 38 % der befragten Chatter schon gegen ihren Willen nach sexuellen Dingen gefragt wurden oder ihnen über sexuelle Erfahrungen anderer berichtet wurde. 11 % der chattenden Jugendlichen erhielten unaufgefordert Nacktfotos und 5 % Pornofilme, zudem wurden 8 % zu sexuellen Handlungen vor der Webcam aufgefordert. Weiterhin zeigt Oppenheim (2008) auf, dass 15 % der 10- bis 15-Jährigen bereits sexuell im Netz bedrängt wurden, indem sie beispielsweise aufgefordert wurden, sexuelle Handlungen vorzunehmen, über Sex zu reden, oder sexuelle Erfahrungen im Chat zu teilen.

In Luxemburg geben 3,8 bis 4,4 % der Schüler an, regelmäßig Opfer von Cybermobbing und 3,9 bis 5 % andere regelmäßig online zu mobben (Steffgen et al. 2010).

Fasst man die derzeit vorliegenden Studien aus unterschiedlichen Europäischen Ländern, den USA, Kanada und Australien zusammen, so sind Prävalenzraten der Cyberviktimisierung von 3 % bis 26 %, und des Cybermobbings von 6 % bis 17 % anzunehmen (Li et al. 2012; Smith und Steffgen 2013). Insgesamt unterstreichen die Prävalenzraten, dass es sich bei Cybermobbing um ein relevantes und ernstzunehmendes Problem handelt.

4 Gesundheitliche Folgen von Cybermobbing

Werden in der Forschung insbesondere die Folgen des Cybermobbings für Opfer thematisiert, so lassen sich auch negative gesundheitliche Folgen für Täter von Cybermobbing belegen (Campbell et al. 2013). Die gesundheitlichen Konsequenzen für Bystander wurden bisher kaum untersucht (Steffgen et al. 2018).

So weisen Täter erhöhte Depressionswerte (Selki et al. 2015) sowie höhere Ängstlichkeit (Lam et al. 2013) bei geringerem Selbstwertgefühl (Patchin und Hinduja 2010) auf. Dies verdeutlicht, dass auch das Handeln der Täter einen direkten Bezug zu ihrer Gesundheit hat.

Insbesondere jedoch weisen Opfer kurz- und langfristige physische und psychische Gesundheitsprobleme aufgrund des erfahrenen Cybermobbings auf (Vaillancourt et al. 2017). Dabei treten als Folge des Cybermobbings sowohl akute, direkte Belastungen (sich verletzt fühlen, verängstigt sein) als auch dauerhafte Belastungen (psychische und gesundheitliche Probleme) auf (Gradinger et al. 2012). Vielfältige negative Auswirkungen sind belegt, wie z. B. psychosomatische Beschwerden (Schlafstörungen, Kopf- und Bauchschmerzen, Bettnässen oder gestörtes Essverhalten), Gefühle der Hilflosigkeit, Traurigkeit, persönliche Abwertungen, negative Selbstwertgefühle, Selbstmitleid, Selbstbeschuldigungen, sozialer Rückzug, Isolation, Beziehungsprobleme, Leistungsabfall in der Schule bis hin zum Meiden der Schule (Smith und Steffgen 2013; Sourander et al. 2010; Steffgen und König 2009; Willard 2006). Insbesondere die sexuelle Viktimisierung im Chat stellt für die Opfer eine starke emotionale Belastung dar, die mit zum Teil dauerhaften negativen psychischen Folgen einhergeht (Katzer und Fetchenhauer 2007). Neben einem erhöhten Depressionsrisiko (Machmutow et al. 2012), einem verstärktem Angsterleben (soziale Angst und Schulangst, Juvonen und Cross 2008) sind selbstverletzendes (Lam et al. 2013) bis hin zu suizidalem Verhalten (Weitzel et al. 2020) Folgen von Cybermobbing (Schenk 2020).

Auch Ybarra und Mitchell (2004) legen dar, dass Jugendliche, die Cybermobbing erlebt haben, mit höherer Wahrscheinlichkeit depressive Verstimmungen und andere Verhaltensprobleme zeigen, und auch häufiger Opfer von Mobbing außerhalb des Internets werden, was wiederum die Gesundheitsproblematik weiter verstärkt (Li et al. 2012). Im Vergleich zwischen klassischem Mobbing und Cybermobbing belegen Smith et al. (2006), dass:

  • Cybermobbinghandlungen wie ungewollt verbreitete Fotos, Filme ebenso wie Telefonanrufe von Opfern als belastender wahrgenommen werden als klassische Mobbinghandlungen,

  • die Verbreitung von Aggressionen über Webseiten und durch Textnachrichten von Opfern als genauso belastend empfunden werden wie klassische Mobbinghandlungen.

Die Studie von msn.uk (2006) zeigt zudem auf, dass 11 % der Befragten angaben, dass die Auswirkungen des Cybermobbings ernster sind als erlebte körperliche Angriffe.

Anzunehmen ist, dass, vergleichbar mit klassischem Mobbing, die in der Kindheit und Jugend erlebten Cybermobbingerfahrungen, sich auch noch im späteren Erwachsenenalter negativ auswirken werden (Takizawa et al. 2014).

5 Präventions- und Interventionsansätze

Die psychologisch-pädagogische Fachliteratur hat mittlerweile eine Vielzahl anwendbarer Interventionskonzepte zu klassischem Mobbing dokumentiert (Smith et al. 1999). Diese werden von einer Vielzahl von Schulen angewendet und für deren spezifische Bedürfnisse adaptiert. Insgesamt gewinnen in Bezug auf Mobbing-Interventionen schulweite Mehr-Ebenen-Konzepte zunehmend an Bedeutung (Scheithauer et al. 2003). Ttofi und Farrington (2011) konnten anhand einer Meta-Analyse belegen, dass derartige Konzepte bis zu 23 % an Mobbingverhalten und bis zu 20 % an Viktimisierung reduzieren können.

Diese Konzepte sind auch als Ansatzpunkte für Interventionen gegenüber Cybermobbing zu nutzen. Jedoch ist davon auszugehen, dass gegenüber den Mobbingansätzen zusätzliche Aspekte zu berücksichtigen sind, z. B. hinsichtlich der Kenntnisse über die Funktionsmöglichkeiten von technischen Kommunikationsmitteln. So verfügen Lehrer und Eltern zum Teil über geringere Kenntnisse über die Nutzung neuer Kommunikationstechnologien als Kinder und Jugendliche.

Erste empirische Befunde in diesem Bereich belegen, dass es Schülern insgesamt an angemessenen Strategien und Verhaltensweisen fehlt, um mit erlebtem Cybermobbing umzugehen (Li 2005). Daher zielen unterschiedliche Ansätze darauf, den Mangel an Problembewusstsein bei Eltern und Schulpersonal zu minimieren. Erste Richtlinien für Eltern, Erzieher und Lehrer wurden vorgelegt, die Schüler dazu auffordern über ihre Erfahrungen zu berichten. Zudem wird gefordert (Hinduja und Patchin 2009), dass:

  • Schulen Einfluss auf die Eltern nehmen sollen,

  • vertrauensvolle Beziehungen zwischen Schülern und Lehrern aufgebaut werden,

  • angemessene soziale Normen sowie sozial-emotive Kompetenzen (z. B. Empathie, siehe Steffgen et al. 2011) entwickelt und

  • Medienkompetenz vermittelt werden.

Cross et al. (2012) benennen darüber hinaus fünf Strategien, welche sich als effektiv zur Reduzierung von Cybermobbing erweisen sollen. Es gilt:

  1. 1.

    Problemverständnis/Bewusstsein sowie Handlungskompetenzen über (Cyber-)Mobbing bei Lehrern, Schülern und Eltern zu entwickeln,

  2. 2.

    proaktive Schulpolitik, Handlungspläne und Praktiken zu entwickeln, um auf den unterschiedlichen Ebenen angemessen zu reagieren,

  3. 3.

    ein unterstützendes soziales Umfeld herzustellen,

  4. 4.

    eine schützende physikalische bzw. technische Umwelt zu gestalten,

  5. 5.

    eine Vernetzung zwischen Schule, Familie und Gemeinschaft/Gemeinde zu etablieren.

Insgesamt ist festzustellen, dass bisher kaum wissenschaftlich evaluierte Interventionsprogramme zu Cybermobbing vorliegen. Das Programm „Medienhelden“ stellt hier ein erster theoriebasierter präventiver Ansatz zur Reduktion von Cybermobbing und zur Förderung der Medienkompetenz von Schülern dar (Schultze-Krumbholtz et al. 2012). Ziele des Programms sind es, Problembewusstsein zu erarbeiten, Informationen/Wissen zu vermitteln sowie angemessene soziale Normen zu etablieren. Neben dem Erlernen von Perspektivenübernahme und Empathie sollen ebenso Einstellungen angepasst werden. Zudem sollen die Schüler lernen, ihre Mediennutzung bzw. ihr Medienverhalten kritisch zu hinterfragen, angemessene Handlungskompetenzen herauszubilden, sowie das Klassenklima zu verbessern und zufriedenstellende Peerbeziehungen zu entwickeln. Erste Befunde der Wirksamkeitsevaluation des Programms weisen darauf hin, dass die einzelnen Programmelemente sehr positiv von Lehrern und Schülern aufgenommen und beurteilt werden (Jäkel et al. 2012).

Als wesentlich erweist es sich, dass neben Maßnahmen auf pädagogischer Ebene (Schule, Lehrer, Eltern) sowie individueller Ebene (Opfer, Täter, Bystander; vgl. Pfetsch et al. 2011), auch Maßnahmen auf technischer (Provider) sowie juristischer und polizeilicher Ebene erforderlich sind. Insbesondere das Happy Slapping sowie das Online-Grooming erfordern es, dass weitere Schritte im Jugendmedienschutz vorzunehmen sind. Insgesamt sollte bei Cybermobbing-Interventionen sowohl auf der individuellen (z. B. psychosoziale Charakteristiken berücksichtigend), der familiären (z. B. die durch die Familie vermittelten Werte), der schulischen (z. B. dem Schulklima und den Schüler-Lehrer-Beziehungen), der öffentlichen (z. B. der gesellschaftlichen Kommunikation von Cybermobbing) als auch der technischen (z. B. der Umgang mit Online-Medien) Ebene angesetzt werden (Papatraianou et al. 2014).

6 Fazit

Cybermobbing in seinen unterschiedlichen Formen, dessen relevante Prävalenz und weitreichenden gesundheitlichen Folgen (bis hin zu suizidalem Verhalten der Opfer) verweisen deutlich auf einen konkreten Handlungsbedarf in diesem Bereich.

Neben Interventionen auf pädagogischer sowie individueller Ebene sind auch Maßnahmen auf technischer (Provider) sowie juristischer und polizeilicher Ebene erforderlich. Erste spezifische Präventionsprogramme für Cybermobbing wurden vorgelegt, eine nötige Wirksamkeitsevaluation steht jedoch noch weitgehend aus.