Zusammenfassung
Neben dem Brexit sind die Flüchtlings- und Eurokrise zentrale europäische Konfliktfelder. Eine wesentliche Gemeinsamkeit dieser Krisensituationen war der Mangel an entsprechenden Notfallvorkehrungen. Trotz unterschiedlicher politischer Handhabung stellt der de facto Bruch des EU-Rechts in der Flüchtlings- und Eurokrise langfristig Gefahren für Rechtsstaat, Demokratie und Gewaltenteilung dar.
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Notes
- 1.
Die primärrechtlichen Regelungen für die Währungsunion wären der Dritte Teil Titel VIII mit den Art. 119–144 AEUV; für die Thematik Grenzkontrollen, Asyl und Einwanderung der Dritte Teil Titel V, hier speziell Kap. 2 mit den Art. 77–80 AEUV. Hinzu rechnen noch die weiteren Rechtsinstrumente wie die entsprechenden Protokolle und Richtlinien.
- 2.
Eine qualifizierte Mehrheit – auch als Prinzip der doppelten Mehrheit bezeichnet – liegt vor, wenn “eine Mehrheit von mindestens 55 % der Mitglieder des Rates, gebildet aus mindestens 15 Mitgliedern, sofern die von diesen vertretenen Mitgliedstaaten zusammen mindestens 65 % der Bevölkerung der Union ausmachen.”, existiert. Danach könnten die “quotenunwilligen” Mitgliedstaaten mehrheitlich überstimmt und zu einer entsprechenden Verteilungsregel gezwungen werden. Da die Thematik im Dritten Teil Titel V des AEUV “Der Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts” angesiedelt und deshalb besonders souveränitätssensibel ist, wäre jedoch ein einstimmig beschlossener Konsens auch EU-politisch erstrebenswert. Vor dem Vertrag von Lissabon war dieser Titel zudem lediglich intergouvernemental zu erschließen.
- 3.
Siehe das Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (Genfer Flüchtlingskonvention, GFK) sowie das Protokoll über die Rechtsstellung der Flüchtlinge. Beide Verträge sind durch Art. 18 Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRC) sowie durch den Verweis in Art. 78 Abs. 1 AEUV in das europäische Primärrecht übergegangen. Siehe auch die Konkretisierung im Sekundärrecht durch die Asylverfahrensrichtlinie sowie durch die Qualifikations-/Anerkennungsrichtlinie.
- 4.
2016 legte die EU-Kommission die Neufassung einer Dublin-IV-Verordnung vor. Im Herbst 2017 fand sie die Zustimmung des Europäischen Parlaments. Die notwendige Zustimmung des Ministerrats kam bislang nicht zustande.
- 5.
Ex-Vizekanzler Gabriel (2015) äußerte am 8. September 2015 im ZDF: “Ich glaube, dass wir mit einer Größenordnung von einer halben Million für einige Jahre sicherlich klarkämen” und “Ich habe da keine Zweifel – vielleicht auch mehr.” Ein weiterer Ausdruck war der zeitgleiche Slogan “refugees welcome”, mit dem beispielsweise die Landesregierung in Schleswig-Holstein, Kommunen (Stadt Kiel), Fußballvereine (FC St. Pauli und Borussia Dortmund) sowie eine Vielzahl von Bürgern warben.
- 6.
Vgl. das Gutachten des Bundestages von 1992, das auf Schranken des Asylrechts verweist und die Möglichkeit eines “Staatsnotstandes” an drei Bedingungen knüpft: 1) Gefahr für die Sicherheit des Staates; 2) Gefahr für die öffentliche Sicherheit/Sicherheit der Bevölkerung; 3) eine nicht mehr zu bewältigende Zahl an Asylbewerber hinsichtlich Unterbringung und fiskalische Lasten. Vgl. Hienstorfer (1992, S. 14 ff.), der entsprechende Urteile des Bundesverfassungsgerichtes anführt. Vgl. aktuell zur Thematik einer unbegrenzten Aufnahme von Flüchtlingen, von Obergrenzen sowie des Staatsnotstandes Murswiek (2016) sowie Ritgen (2016).
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Meyer, D. (2022). Die Flüchtlings- und Eurokrise: Gemeinsamkeiten und Unterschiede in der politischen Handhabung. In: Europäische Union und Währungsunion in der Dauerkrise I . Springer, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-35715-3_3
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