In diesem Kapitel wird das zweite von zwei Fallbeispielen, die Entstehung des Themas Klimawandel, empirisch untersucht. Im Bereich der Raumplanung bzw. auch der Planungswissenschaft, wird unter dem Begriff Klimawandel in der Regel die aktuelle Klimaerwärmung vor dem Hintergrund ihrer Raumbedeutsamkeit verhandelt. Dies umfasst nicht nur die Auswirkungen des Raumes auf den Klimawandel durch die Emission von Treibhausgasen, sondern (mittlerweile) auch die Auswirkungen des prognostizierten und bereits eintretenden Klimawandels auf den Raum und den Umgang damit.

Zu dem Diskurs um das Thema Klimawandel wurden im Zeitraum 1995 bis 2014 in den planungswissenschaftlichen Zeitschriften 337 Artikel, an denen 443 Autor*innen beteiligt waren, veröffentlicht und im Rahmen dieser Arbeit analysiert. 4.420 Bezüge aus dieser Literaturauswahl zu weiteren Publikationen wurden erfasst und insbesondere häufig sowie besonders früh zitierte Publikationen zusätzlich analysiert. Neun leitfadengestützte Interviews mit Akteur*innen des Klimawandeldiskurses wurden geführt. Des Weiteren wurden einzelne Veröffentlichungen ausgewertet, die die Geschichte des Klimawandeldiskurses beschreiben (bspw. Egner 2007; Weingart et al. 2008; Aufenvenne et al. 2014; ARL 2011).

Abb. 8.1
figure 1

(Quelle: Eigene Erhebung auf Basis der planungswissenschaftlichen Zeitschriften 1995–2014)

Aufmerksamkeitskurve zum Thema Klimawandel 1995–2014 basierend auf der Anzahl einschlägiger Artikel

Die in Abb. 8.1 gezeigte Aufmerksamkeitskurve zum Thema Klimawandel basiert (analog zur Aufmerksamkeitskurve Schrumpfung, siehe Abb. 7.1) auf der Anzahl einschlägiger Artikel pro Jahr im Untersuchungszeitraum 1995–2014. Sie zeigt zunächst eine geringe Aktivität von 1995 bis 2006, die als Latenzphase eingeordnet wird (Kp. 8.1). Der Durchbruch des Themas findet im Jahr 2007 statt (Kp. 8.2), in dessen Folge die Artikelzahl in die Höhe schnellt. Auf den ersten Höhepunkt der Kurve im Jahr 2008 folgen ein zwischenzeitliches Absinken und ein erneuter Höhepunkt im Jahr 2012. Diese beiden Aufmerksamkeitshochs werden als Beginn und Ende der planungswissenschaftlichen Fokussierung (2008–2012) betrachtet (Kp. 8.3). Das anschließende Absinken der Kurve wird als Normalisierungsphase gefasst (Kp. 8.4). Eine umfassendere quantitative Gesamtbetrachtung der Themenkarriere Klimawandel wird in Abschnitt 8.5 vorgenommen.

8.1 1980 bis 2006: Latenzphase

In den 1980er Jahren erstarkt im deutschsprachigen Raum die Umweltbewegung und der Ökologiediskurs, der mit Waldsterben, Smog, Ozonloch, Saurer Regen, Tschernobyl oder eben der „Klima-Katastrophe“ (Der Spiegel, 11.08.1986, siehe Abb. 8.2) immer wieder auch in den Massenmedien großen Raum einnimmt. Unter anderem mit der Einsetzung der Enquete Kommission „Vorsorge zum Schutz der Erdatmosphäre“ im Jahr 1987 und international mit der Einrichtung des Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) im Jahr 1988 erhält das Thema Einzug in die Politik. Auf Vorlage der Enquete Kommission beschließt der Deutsche Bundestag 1990 erstmals ein konkretes klimabezogenes Handlungsziel, nämlich die CO2-Emissionen in Deutschland bis zum Jahr 2005 um 25 bis 30 Prozent gegenüber dem Referenzjahr 1987 zu reduzieren (Weingart et al. 2008: 74). 1992 wird auf der Weltumweltkonferenz in Rio de Janeiro die Klimarahmenkonvention der Vereinten Nationen über den Schutz des Klimas zusammen mit der Agenda 21 unterzeichnet. 1997 wird das Kyoto-Protokoll verabschiedet, das 2005 in Kraft tritt (Stock 2013: 18). Im Zuge der nationalen und internationalen Zielsetzungen ab Ende der 1980er Jahre erweitert sich die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Klimawandel um den Gegenstand der politischen Regulierung. Das Thema wird jetzt verstärkt auch von den Sozialwissenschaften aufgegriffen (Weingart et al. 2008: 44ff).

Abb. 8.2
figure 2

(Quelle: Der Spiegel Nr. 33, 11.08.1986)

„Die Klima-Katastrophe“ als Titelthema des Nachrichtenmagazins Der Spiegel

Das Erstarken des Ökologiediskurses findet auch in der Planungswissenschaft seinen Niederschlag. Aufgaben und Leitvorstellungen der Raumordnung werden mit der Novelle des Raumordnungsgesetzes von 1989 insbesondere zur Stärkung umweltpolitischer Belange angepasst (Söfker 2005: XXV). Auch die Einführung der Umweltverträglichkeitsprüfung 1990 wird durch eine intensive planungswissenschaftliche Debatte vorbereitet und begleitet. Das Thema „Klima“ oder „Treibhausgasemission“ wird in der Raumplanung erstmals im Kontext des „ökologischen Aufbaus“ der neuen Bundesländer, die vor der Wende die weltweit höchste Pro-Kopf-CO2-Emission aufwiesen, aufgegriffen (BMRBS 1991: 109ff). In den Raumordnungsberichten von 1991 und 1993 wird die Eindämmung des zusätzlichen, anthropogenen Treibhauseffekts als prioritäre Aufgabe der Bundesregierung dargestellt (BMRBS 1991: 109–112, 1994: 196–197).

Ein Beitrag der Raumordnung zum Klimaschutz wird erstmals 1993 in der IzR-Ausgabe „Raumstruktur und CO2-Vermeidung“ von Bergmann et al. systematisch ins Auge gefasst. Darin werden die Klimaschutzziele der Bundesregierung auf die Raumentwicklung bezogen, um daran anschließend eine umfassende „Raumstrukturstrategie“ zur Verringerung von Treibhausgasemissionen vorzulegen, die neben vielen anderen Aspekten auf eine höhere Dichte, Nutzungsmischung und dezentrale Konzentration abzielt (Bergmann et al. 1993: I, 508). Die Veröffentlichung geht auf eine Arbeitsgruppe zurück, deren Mitglieder auf Initiative des Bundesministeriums für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau (BMRBS) von der Leitung der BfLR aus verschiedenen Referaten der BfLR ausgewählt wurden und die zusammen mit Akteur*innen des Ministeriums den Zusammenhang zwischen Raumstruktur und CO2-Vermeidung diskutierten. Die unterschiedlichen Forschungsschwerpunkte der Akteur*innen lassen sich jeweils gut mit der gemeinsamen Untersuchung verknüpfen, sodass alle Beteiligten im Rahmen der nachfolgenden Publikation ihre jeweils eigene Forschung einbringen können, ohne sich dezidiert mit dem übergeordneten Thema zu befassen. Eine beteiligte Person berichtet im Interview, dass das Thema Klimawandel für sie und ihren Beitrag zu der Publikation keine Rolle gespielt habe (i25). Für die Person stellt die Publikation ein frühes Produkt im Rahmen eines von ihr ohnehin verfolgten Forschungspfades dar, sie betrachtet den Beitrag aber nicht als wichtiges oder wegweisendes Produkt, weder für die eigene Karriere noch für die Planungswissenschaft. Die Publikation war und ist für die Person primär im damaligen Nachhaltigkeitsdiskurs angesiedelt, während sie deren besonderen Beitrag zum Thema Klimawandel erst im Laufe des Interviews nachvollzieht. Sie profitiert davon, dass ihr Forschungsportfolio mit dem an Bedeutung gewinnenden Thema Nachhaltigkeit in Verbindung steht. Insbesondere der Wechsel Klaus Töpfers in das BMRBS im Jahr 1994 habe hierfür eine Rolle gespielt, so die Person:

„Und [Töpfer] fragte uns, da kann ich mich sehr dran erinnern, das ist so ein Moment: ‚Was haben Sie an der BfLR denn jetzt eigentlich zu Nachhaltigkeit gemacht?‘ Und an der Stelle mussten wir ein bisschen schlucken. Wir hatten natürlich über den Begriff nachgedacht, klar. Aber wir hatten gesagt, wir wollen das eigentlich nicht, weil das ist so ein Modebegriff, und der ist so weich und so schwabbelig, und wir wollten den eigentlich nicht. Und wir mussten aber zu dem Zeitpunkt einen städtebaulichen Bericht machen. Und dann hat Herr Töpfer gesagt: ‚So jetzt machen Sie mal einen Bericht zur nachhaltigen Stadtentwicklung‘. Und den durfte ich damals mit [anderen Personen] machen. Und wir haben dann diesen Bericht zur nachhaltigen Stadtentwicklung gemacht und das passte alles ganz wunderbar zu all den Aktivitäten, die da parallel liefen zum Klimawandel.“ (i25)

Im weiteren Verlauf der 1990er Jahre wird die Vermeidung des Klimawandels im planungswissenschaftlichen Diskurs allerdings nur selten, und wenn, dann als Teilaspekt des Themas Nachhaltige Stadtentwicklung, thematisiert (vgl. bspw. Thierstein und Walser 1996; Lorenz 1995; Michaelis 1996; Hamm 1997). Der ARL Arbeitskreis „Operationalisierung des Prinzips der Nachhaltigkeit in der Regionalplanung“ bereitet den Stand der Forschung zur Vermeidung des Klimawandels im Kontext der Raumplanung auf und legt Forschungsbedarfe offen (ARL 2000: 43–209). Wichtige Referenzen für diesen Diskurs bzw. für die dazu beitragenden Planungswissenschaftler*innen sind zunächst die Rio Konferenz 1992 sowie die dort initiierte Lokale Agenda 21. Ebenfalls zu nennen sind das fünfte Environmental Action Programme (EAP) der EU „Towards Sustainability“, das 1993 die Maßnahmen zur Vermeidung des Klimawandels sowie Forschungsbedarf bezüglich möglicher Auswirkungen des Klimawandels erwähnt, und das sechste EAP, das „Tackling Climate Change“ zur ersten von vier Prioritäten erhebt (European Commission 1992, 2001). Die in den einschlägigen Artikeln meistzitierte Veröffentlichung dieses Zeitraums ist „Zukunftsfähiges Deutschland: Ein Beitrag zu einer global nachhaltigen Entwicklung“ (Bund und Misereor 1997).

Die Auswirkungen und Anpassungserfordernisse im Zuge des Klimawandels werden in den 1990er Jahren kaum thematisiert, und wenn, dann nur am Rande (vgl. bspw. Bruns und Spehl 1998). Eine Ausnahme bildet das 1992 gegründete Potsdam Institut für Klimafolgenforschung (PIK), das im Jahr 1996 die erste Untersuchung zu den regionalen Auswirkungen des Klimawandels für Brandenburg vorlegt (vgl. Stock und Toth 1996). Auslöser dieser Untersuchung ist ein Besuch des Brandenburgischen Ministers für Umwelt, Naturschutz und Raumordnung Matthias Platzeck, dessen Ministerium in der Nachbarschaft des PIK liegt. Platzeck möchte wissen, ob es möglich sei, Klimafolgenforschung nicht nur in, sondern auch für Brandenburg zu betreiben (Platzeck 1996: V; Stock 1996: 1). Eine beteiligte Person berichtet:

„Und da war die Frage: ‚Könnt ihr irgendetwas sagen, was das für Brandenburg heißt?‘ Da war eigentlich ein großes Fragezeichen. Dann habe ich gemeint: ‚Lasst es uns doch mal versuchen‘. Und das war also der erste Versuch, aus dem dann auch ein regionales Klimamodell entstanden ist, um für so eine Region abzuschätzen, was sich da tut.“ (i26)

Zu diesem Zeitpunkt sei den Beteiligten „nicht so klar“ gewesen, inwiefern das Land Brandenburg überhaupt gravierende Auswirkungen durch den Klimawandel zu erwarten habe. Der anschließende Forschungsprozess sei in mehrfacher Hinsicht Neuland für die Mitarbeiter*innen des PIK und nur durch die Beteiligung verschiedener Forschungsabteilungen durchführbar gewesen. Als die sogenannte Brandenburgstudie erstmals die regionalen Auswirkungen des Klimawandels sowie Anpassungsbedarfe aufgezeigt habe, seien die Akteur*innen des PIK auf die Bedeutung der Raumplanung aufmerksam geworden (i26).

Nach Aussagen von Beteiligten sei es auch der Direktor des PIK Hans Joachim Schellnhuber gewesen, der im Wissenschaftlichen Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU) darauf gedrängt habe, sich im Rahmen des Jahresgutachtens 1998 mit den Folgen des Klimawandels zu beschäftigen (vgl. WBGU 1998). Diese Thematisierung im WBGU sei es wiederum gewesen, die den dort als wissenschaftlichen Mitarbeiter von Paul Velsinger beteiligten Planungswissenschaftler Mark Fleischhauer inspiriert habe, sich im Rahmen seiner Dissertation intensiv mit den Zusammenhängen zwischen „Klimawandel, Naturgefahren und Raumplanung“ auseinanderzusetzen (vgl. Fleischhauer 2003) (i27).

Im August 2002 vollzieht sich eine Hochwasserkatastrophe an der Elbe und an einigen ihrer Zuflüsse, die über mehrere Wochen hinweg die Schlagzeilen der Massenmedien dominiert. Sie wird medial mit dem Klimawandel in Verbindung gebracht, was zu einer Debatte über mögliche Auswirkungen der globalen Erwärmung in Politik und Öffentlichkeit führt. Dieses Framing wird nicht nur von den Planungswissenschaftler*innen, die sich mit Hochwasservorsorge beschäftigen, interessiert wahrgenommen, sondern auch von jenen, die sich mit dem Thema Klimawandel auseinandersetzen. Eine bereits mehrere Jahre einschlägig forschende Person berichtet über die Bedeutung dieses Ereignisses für ihre Forschung:

„Das passte dann sehr schön [zu meiner Publikation]. [….] Das war das erste Mal, dass so eine Fünf-B-Wetterlage im Zusammenhang mit Klimawandel thematisiert wurde, und auch das Thema Stadtentwicklung da ganz stark, in Dresden beispielsweise, diskutiert wurde: ‚Was hat man in der Vergangenheit falsch gemacht?‘, ‚Wird es in der Zukunft stärker werden?‘“ (i28)

Im Gegensatz zu den vorangegangenen großen Hochwasserereignissen an Rhein (1993 und 1995) und Oder (1997) wird das Elbehochwasser im Jahr 2002 auch in der Planungswissenschaft erstens besonders intensiv und zweitens mit Bezug zum Thema Klimawandel diskutiert (Bahlburg 2003: 144). Diese Kontextualisierung ist bemerkenswert, da eine direkte Kausalität, nach der die globale Erwärmung für die Überschwemmungen verantwortlich gemacht werden könnte, keineswegs evident ist (Schmidt-Thomé et al. 2006: 19; Gravert et al. 2018: 16). Als für die Themenentwicklung maßgeblich erweist sich allerdings nicht die (vermeintliche) Evidenz einer Kausalität, sondern vielmehr die mediale Berichterstattung, die den Zusammenhang wiederholt diskursiv herstellt.

In mehrfacher Hinsicht ist eben diese Kontextualisierung, die sich auch in der Planungswissenschaft manifestiert (vgl. Karl und Pohl 2003), ein entscheidendes Moment im planungswissenschaftlichen Klimawandeldiskurs. So verleiht die öffentliche Diskussion den wenigen bereits einschlägig forschenden Planungswissenschaftler*innen Selbstvertrauen im Umgang mit ihrem Thema und erweckt das Interesse weiterer Akteur*innen. Auch wird die abstrakte Forderung Treibhausgasemissionen zu reduzieren von nun an mit einer konkreten Bedrohung verknüpft. Indem die nachfolgenden Extremwetterereignisse – bspw. die Hitzewelle in Europa im August 2003 oder der Hurrikan Katrina in den USA im August 2005 – in den Massenmedien und in der Planungswissenschaft stets vor der allgemeinen Bedrohungskulisse des Klimawandels betrachtet werden, erhalten die jeweiligen Einzelereignisse besondere Aufmerksamkeit. Umgekehrt wird das übergreifende Thema durch die Einzelereignisse in unregelmäßigen Abständen immer wieder auf die öffentliche Agenda gehoben. Insbesondere findet eine inhaltliche Erweiterung des Themas von der Treibhausgasreduktion auf die Katastrophenvorsorge statt. Innerhalb der planungswissenschaftlichen Karriere des Klimawandelthemas beginnt die Verschiebung des fachöffentlichen Fokus von Fragen der Nachhaltigkeit hin zu Fragen der Anpassung an die Folgen der globalen Erwärmung. Das Thema Klimawandel wird dadurch von einer breiteren Fachöffentlichkeit rezipiert, etwa indem jetzt auch Wissenschaftler*innen in den Bereichen Risikoforschung und Regionalplanung partizipieren.

In diesem Zusammenhang schafft der ARL Arbeitskreis „Raumorientiertes Risikomanagement in Technik und Umwelt“ wichtige theoretische Grundlagen für die „in den Raumwissenschaften bislang eher vernachlässigte“ (ARL 2003: VII) Verknüpfung von Katastrophenvorsorge und Raumplanung, insbesondere im Rahmen zweier Ausgaben der ARL Forschungs- und Sitzungsberichte (vgl. Karl und Pohl 2003; Karl et al. 2005). Darin stellt das Mitglied der gemeinsamen Landesplanungsabteilung der Länder Berlin und Brandenburg Bahlburg (2003: 133, 137) klar, „Ausgangspunkt“ und „Anstoßgeber“ für den Arbeitskreis sei die oben genannte Brandenburgstudie des PIK gewesen. Insbesondere Stock (PIK) und Bahlburg schaffen in ihren Beiträgen Verknüpfungen zwischen den Themen Klimawandel und Raumentwicklung. So führt Stock (2003) in die Erstellung regionalisierter Klimaszenarien ein und untersucht dabei mögliche Auswirkungen auf verschiedene raumordnungsrelevante Bereiche. Bahlburg (2003) diskutiert die Aufgaben der räumlichen Planung in Bezug auf den Umgang mit Klimaänderungen und konstatiert, die Instrumente der Raumordnung bezüglich des vorbeugenden Hochwasserschutzes seien noch nicht mit Blick auf langfristige Klimaänderungen in den Blick genommen worden und erforderten nun erneute Aufmerksamkeit.

Wie zuvor im Nachhaltigkeitsdiskurs erhält das Thema Klimawandel nun im Katastrophendiskurs zunächst eine untergeordnete Bedeutung. Noch gilt die Annahme, dass Klimaänderungen tatsächlich bereits Auswirkungen auf Häufigkeit und Stärke der zu Schäden führenden Naturereignisse haben, als nicht gesichert. Die folgende Formulierung aus dem zweiten Band der oben genannten Forschungs- und Sitzungsberichte verdeutlicht dies exemplarisch:

„Hinzu tritt die zunehmend wahrscheinlicher werdende Klimaänderung, die – auch wenn noch keine einhellige Meinung der Fachleute derzeit vorliegt – gebieten würde, die Vorsorge zu verstärken.“ (Bahlburg 2005: 8)

Langfristige Klimaänderungen werden in den wenigen einschlägigen Publikationen in der Regel als zusätzlicher Begründungszusammenhang angeführt, um die Wichtigkeit der jeweils im Fokus stehenden Katastrophenvorsorge diskursiv herzustellen. Diese diskursive Verknüpfung führt jedoch nicht nur zu der intendierten Erhöhung der Aufmerksamkeit gegenüber der Katastrophenvorsorge, sondern auch dem Klimawandel wird dadurch planungswissenschaftliche Aufmerksamkeit verliehen. Insbesondere wird in dieser Zeit zunehmend das Potenzial erkannt, dass das Thema für die Raumplanung und die Planungswissenschaft birgt, wie eine interviewte Person konstatiert:

„Also da [in den 2000er Jahren] würde ich sagen hat die Raumplanung entdeckt, dass sie durch den Klimawandel neue Bedeutung erlangen kann. Das hat dann für viele, die eben im Bereich der Raumplanung tätig waren, neue Forschungsimpulse gegeben.“ (i29)

Eine Person schildert das Entstehen dieser Einsicht als einen wechselseitigen Prozess, bei dem man, zunächst in einer kleinen wissenschaftlichen Community im Rahmen von Arbeitskreisen, Drittmittelprojekten und weiteren Austauschformaten, in seiner Forschungstätigkeit herausgefordert worden sei, grundlegend neue Erkenntnisse zu produzieren, diese mit den anderen zu teilen, um schließlich wiederum anspruchsvolle Anfragen zu erhalten und neue Forschungsbedarfe zu ermitteln (i30).

Wesentliche Aspekte der Themen Klimaanpassung und Klimaschutz werden zwischen 2002 und 2006 in das Bezugssystem der Raumplanung übersetzt und grundlegende Fragen aufgeworfen, die in den folgenden Jahren vertieft werden. Allerdings lässt sich – abgesehen von den beiden genannten Forschungs- und Sitzungsberichten des ARL Arbeitskreises Raumorientiertes Risikomanagement in Technik und Umwelt – kein Anstieg der Häufigkeit einschlägiger planungswissenschaftlicher Artikel feststellen (siehe Abb. 8.1). Auch enthalten die Raumordnungsberichte in diesem Zeitraum noch keinen expliziten Bezug zum Thema Klimawandel (vgl. BBR 2000b, 2005).

Die befragten Personen, die vor dem Jahr 2007 zum Thema Klimawandel forschen und publizieren, sind privat und wissenschaftlich mit Umweltthemen verbunden. Der Brundtland Bericht (WCED 1987), der erste IPCC Sachstandsbericht (IPCC 1992), der Bericht der Enquete-Kommission zum Schutz der Erdatmosphäre (Deutscher Bundestag 1994), die Rio Konferenz und/oder einzelne Naturkatastrophen und -skandale hätten die Personen privat beschäftigt und an die Themen Nachhaltigkeit und/oder Katastrophenvorsorge herangeführt. Gefragt nach ihrer ersten – wissenschaftlichen oder privaten – Berührung mit dem Forschungsthema, berichtet eine Person:

B: „Das war die Einführung des Semestertickets. Ich gehörte zu denen – aus heutiger Sicht Hochnotpeinlichen – die [zu dem Hochwasser fuhren] und guckten, wie andere Sandsäcke geschleppt haben.“

I: „Und wie kamen Sie dann auf die Idee, dass das mit Ihrem Forschungspfad zu tun haben könnte bzw. dass man das mit Raumplanung in Verbindung bringen könnte?“

B: „Das war eigentlich auf der Hand liegend. Ich kann jetzt nicht sagen, dass es ein Heureka-Erlebnis gegeben hat, aber für mich war es immer auf der Hand liegend. Raumplanung ist ja schließlich verantwortlich für die Steuerung von Raumnutzungen und Raumfunktionen […].“ (i31)

Über das grundsätzlich bei allen befragten Personen vorhandene persönliche Interesse hinaus, kommen für das Aufgreifen des Klimawandelthemas im Kontext der Planungswissenschaft verschiedene Faktoren zum Tragen. Dabei ist zunächst festzustellen, dass die befragten Pionier*innen im Vorfeld dieser Themenwahl keinen eindeutigen Schwerpunkt in ihrer jeweiligen Forschungsbiografie entwickelt haben, sondern sich jeweils mit ganz unterschiedlichen Themen befasst haben. Eine Person berichtet von ihrer Themenwahl im Rahmen einer Qualifizierungsarbeit. Sie habe ursprünglich ein ganz anderes Thema fokussiert, habe dazu auch bereits ein Exposé vorgelegt, sei damit aber „nicht weiter vorangekommen“ (i32). Parallel habe sich an ihrem Fachbereich ein für die Person vollkommen neuer Arbeitsschwerpunkt ergeben, der eng mit dem Thema Klimawandel korrespondiert habe. Der Gedanke, das Promotionsthema mit diesem Arbeitsschwerpunkt zu verknüpfen, sei über mehrere Jahre hinweg gewachsen, bevor die Person schließlich ein neues Exposé angefertigt habe:

„Ich habe gedacht, Raumplanung sollte in der [Qualifizierungsarbeit] drin sein, irgendwas mit [meinem bisherigen Themenschwerpunkt] und einer der großen globalen Trends, der großen globalen Umweltentwicklungen. Und da Klimawandel da eben sehr stark diskutiert wurde, habe ich mich dann letztlich für einen Zusammenhang Klimawandel und Raumplanung entschieden. Es erschien mir am reizvollsten und dazu gab es damals noch nichts.“ (i32)

Fachlichen Austausch unterhält die Person primär mit ebenfalls jungen Wissenschaftler*innen, die sich entweder mit Nachhaltigkeit oder Katastrophenvorsorge beschäftigen. Für die Qualifizierungsarbeit zählen die weiter oben in diesem Kapitel genannten Arbeiten zu den wichtigsten Grundlagen aus dem Feld der deutschsprachigen Planungswissenschaft.

Die befragten Pionier*innen nennen jeweils ein oder zwei Personen, die mit dem Thema Klimawandel an sie herangetreten sind, als maßgebliche Initiator*innen für die Auseinandersetzung mit dem Thema. Darunter sind insbesondere Vorgesetzte und Autoritäten, aber auch Angestellte und Fachkolleg*innen aus dem nationalen und internationalen Kontext. Teilweise lässt sich ein Schneeballprinzip erkennen, indem die Themenwahl von drei befragten Akteur*innen durch eine Kaskade von Kontakten, die von Hans Joachim Schellnhuber ausgeht, beeinflusst wird. Zahlreiche weitere Akteur*innen lassen sich auf Grundlage der Interviews sowie anhand von Ko-Autorenschaften diesem Schneeballsystem zuordnen. Gegenstand der Kontakte sind einschlägige Auftragsvergaben, Betreuungsanfragen, Drittmittelprojekte, Personaleinstellungen und inhaltliche Auseinandersetzungen. Zumeist liegt vor diesen Kontakten keine persönliche Beziehung vor, sodass die Forschung zum Thema Klimawandel häufig als Anlass für die Kontaktherstellung gelten kann. Insbesondere stellen einschlägig forschende Akteur*innen Verbindungen zu bislang nicht einschlägig forschenden Akteur*innen her, die über eine bestimmte Expertise (bspw. im Bereich geografische Informationssysteme) oder institutionelle Anbindung (bspw. in einer bestimmten Region) verfügen, die für ein Forschungsvorhaben benötigt wird. Auf diese Weise diffundiert das Thema in neue Fachbereiche und verändert dadurch seine inhaltliche und soziale Struktur.

Eine zunehmende Forschungsförderung für Klimathemen im Bereich Raumplanung lässt sich ab dem Jahr 2005 belegen (Bruhse 2016: 49–50; Meyer und Overbeck 2009: 187–188). Im Feld der Klimawandelanpassung lassen sich im Kontext der Raumplanung sechs Drittmittelprojekte bis zum Jahr 2006 identifizieren. Sie alle gehen auf Initiativen außerhalb der deutschsprachigen Planungswissenschaft – bspw. ausländische Projektpartner*innen, Rückversicherung, PIK – zurück. Mitte 2006 wird das BMBF-Förderprogramm „klimazwei – Forschung für den Klimaschutz und Schutz vor Klimawirkungen“ aufgelegt, im Rahmen dessen auch drei Projekte mit Planungsbezug gefördert werden (vgl. BMBF und IW 2007). Für mehrere Planungswissenschaftler*innen, die für den weiteren Verlauf der planungswissenschaftlichen Themenkarriere zentrale Rollen einnehmen, stellen diese Projekte die ersten eigenen Forschungen mit explizitem Klimawandelbezug dar.

Über die extern induzierte Projektanbahnung in der Latenzphase berichtet eine Person:

„B: Das kam über [den*die Projektpartner*in] zustande. [Die Person] hatte ich mal bei einer ARL Veranstaltung, irgendwie ein Jahr vorher oder so […], wo internationale Leute, auch jüngere Wissenschaftler zusammengebracht worden waren, kennen gelernt. […] [Die Person] brauchte noch [eine*n deutsche*n Partner*in]. Wie es halt so ist.“

I: „Und da ist Ihnen dann klar geworden: ‚Klimawandel ist ein Thema für die Zukunft‘?“

B: „So ist das. Dann kam ja das erste Projekt.“ (i33)

Die interviewte Person legt hier dar, dass ihr der wegweisende Charakter des mehrjährigen Forschungsprojekts für die eigene Karriere von Beginn an bewusst gewesen sei, wobei einschränkend auf den expliziten Impuls seitens des Interviewers hinzuweisen ist. Die frühe Weitsicht können die anderen befragten Personen im Rahmen ihrer jeweiligen Forschungsbiografien nicht rekonstruieren. Einigkeit herrscht jedoch darin, dass die teilweise erst Jahre später einsetzende starke fachöffentliche Aufmerksamkeit nicht vorausgesehen worden sei.

Die Pionier*innen verfügen in ihrem Forschungsportfolio über ein thematisches Alleinstellungsmerkmal in der Planungswissenschaft. Als Reaktionen auf ihre Beiträge erhalten sie allerdings partiell Ignoranz und Widerstreben. Diese Resonanz wirkt einerseits motivierend, indem die Pionier*innen ihre Position mit Forschungsergebnissen unterlegen wollen, um die Relevanz ihres Themas vermitteln zu können. Andererseits führen die Widerstände zu Zweifeln. So erklärt eine Person:

„Also beispielsweise [eine leitende Person aus meiner Forschungseinrichtung] hat mich irgendwann mal darauf angesprochen, als ich gesagt habe: ‚Das könnte man mal hier für [eine bestimmte Region] untersuchen‘. Da hat [sie] gesagt: ‚Das ist überhaupt gar kein Thema für Deutschland. Das geht in eine ganz falsche Richtung. Wir müssen hier Klimaschutz machen und Anpassung an den Klimawandel ist ein Thema für Dritte Welt-Staaten‘. Also ich hab da durchaus so meine Krisen gehabt, wo ich dachte: ‚Ist das denn überhaupt was?‘, und war dann über jeden Zeitungsartikel froh, wo ich dann mal eine Umweltkatastrophe in Deutschland gesehen habe, die sich irgendwie mit Klima, mit Sturm oder mit Hochwasser-Ereignissen beschäftigt hat, und wo mal irgendwas drin stand.“ (i34)

Dem Zitat zufolge wird hier letztlich die Forschungsarbeit des Nachwuchswissenschaftlers bzw. der Nachwuchswissenschaftlerin durch eine etablierte Fachperson in Frage gestellt. Letztere argumentiert dabei, Klimawandelfolgen würden die Dritte Welt, nicht aber Deutschland treffen. Diese Position ist einerseits mit Unwissen zu erklären, wobei bemerkenswert ist, dass die etablierte Person trotz geringerer Fachkenntnis die Nachwuchswissenschaftlerin bzw. den Nachwuchswissenschaftler belehren möchte. Ebenso tritt hier ein nicht allein mit Unwissen zu erklärender, grundsätzlicher Widerwille zu Tage, die Relevanz der Thematik anzuerkennen.

Ein solches Widerstreben gegenüber dem Thema Klimawandelanpassung Anfang und Mitte der 2000er Jahre wird in mehreren Interviews geschildert. Es lässt sich unter anderem damit erklären, dass die Anpassung an die durch den Menschen verursachte globale Erwärmung für einige das Eingeständnis gescheiterter Umweltpolitik bedeutet: Viele etablierte Akteur*innen der Praxis und der Wissenschaft, in deren Aufgabenbereich das Thema Klimawandel fällt, verstehen sich als Agent*innen des Umweltschutzes und der Nachhaltigkeit. Der für sie neue Gedanke, sich gesellschaftlich an unvermeidbar gewordene Umweltveränderungen anpassen zu müssen, lässt sich vor diesem Hintergrund als Kapitulation interpretieren und ist dementsprechend gewöhnungsbedürftig. Das Thema Anpassung wird also in Opposition oder in Konkurrenz zur Vermeidung eben jener Umweltveränderungen gesehen. So berichtet eine Person, die das Thema erst später aufgreift, von der Zeit ab 2004:

„Die erste Phase war eher noch so ein bisschen schwieriger […], weil da die Klimaanpassung ja zum Teil ein bisschen negativ kommuniziert war, wegen der Konkurrenz mit Klimaschutz. Und gesagt wurde: ‚Das ist ein Opportunismus, während die eigentliche Notwendigkeit bei Klimaschutz liegt‘. Das habe ich auch selber geteilt teilweise.“ (i35)

Das Vorherrschen dieser Sichtweise bestätigen die anderen befragten Akteur*innen. So berichtet eine Person, etablierte Akteur*innen des Umweltbundesamtes hätten einer Erweiterung der Umweltprüfung um Aspekte der Klimawandelanpassung zunächst ablehnend gegenübergestanden, mit der Begründung,

„So nach dem Motto […]: ‚Ich hab doch nicht 30 Jahre dafür gekämpft die Umwelt vor den Menschen zu schützen, damit ich jetzt anfange […], den Menschen vor der Umwelt schützen zu müssen.‘“ (i36)

Die anfänglichen Vorbehalte gegenüber dem Thema Anpassung an den Klimawandel seitens einiger Akteur*innen aus dem Umweltbereich fallen in eine Zeit, in der das Thema Klimawandel sektorübergreifend eben diesem Umweltbereich zugeordnet wird und in der die erst ab 2007 zunehmend Raum gewinnende Einordnung als Querschnittsthema noch nicht etabliert ist. So berichtet eine Person über die Zeit vor dem Hurrikan Katrina:

„Dem BMVBW, BMVBSFootnote 1 ist das Thema überhaupt nicht transportierbar gewesen. Es ist auch lange Zeit negiert worden. Jegliche Versuche die Thematik damals […] zu einem Thema der Raum- und Stadtentwicklung zu machen, wurden auch von dem damaligen BMVBW und BMVBS als eine Umweltaktivität sozusagen tituliert, die im Verkehrsministerium keine Rolle spielen würde.“ (i37)

Für die integrierte Betrachtung der beiden Aspekte Klimaschutz und Anpassung an die Folgen des Klimawandels plädieren Fleischhauer und Bornefeld in ihrem Artikel „Klimawandel und Raumplanung“ in der RuR im Jahr 2006. Hierin werden die zwei Dimensionen zunächst getrennt voneinander auf die Raumplanung bezogen, um anschließend sowohl Synergieeffekte als auch Zielkonflikte beispielhaft zu nennen. Gemäß Fleischhauer ergab sich der Artikel daraus, dass er an der Fakultät Raumplanung der TU Dortmund zunächst ein Studienprojekt und anschließend die Diplomarbeit von Bornefeld betreute:

„Er hat sich in der Diplomarbeit mit dem Thema ‚Klimaschutz und Raumplanung‘ beschäftigt [vgl. Bornefeld 2005] und da kam mir die Idee vielleicht auf Basis meiner Dissertation [vgl. Fleischhauer 2003] und seinem Diplomarbeitsthema diese beiden Aspekte des Klimawandels mal zusammenzubringen, in einem Artikel, und gegenüberzustellen. Was ist sozusagen die Rolle der Raumplanung/Raumentwicklung.“ (i38)

Die parallele Betrachtung, partielle Verknüpfung oder teilweise auch pauschalisierende Vermischung der Themen Klimaschutz und -anpassung ist im politischen und öffentlichen Diskurs Mitte der 2000er Jahre nicht außergewöhnlich. Auch das IPCC erforscht seit dem Ersten Sachstandsbericht 1990 beide Dimensionen und das BMBF benennt seit November 2004 beide Aspekte als Teil des Rahmenprogramms „Forschung für Nachhaltigkeit“ (IPCC 1992; BMBF 2004d). Für die Karriere des Themas in der Planungswissenschaft kann die grundlegende Aufarbeitung und Zusammenführung der beiden Themenstränge allerdings als Meilenstein betrachtet werden. Schließlich ist Klimawandel bislang jeweils als untergeordnetes Thema eines der beiden Themen Nachhaltigkeit und Katastrophenvorsorge geführt worden, die in Bezug auf Akteur*innen, Inhalte und Arenen weitestgehend getrennt voneinander verhandelt worden sind. Dies zeigt sich auch im Literaturverzeichnis des genannten Artikels, in dem 15 deutschsprachige wissenschaftliche Publikationen sich entweder dem Klimaschutz oder der Klimaanpassung zuordnen lassen, keine jedoch beiden Dimensionen zugleichFootnote 2.

Der genannte Artikel ist zentraler Bestandteil der Fundierung für den im Folgejahr einsetzenden Durchbruch des Themas Klimawandel, indem er Erkenntnisse bündelt, wichtige Grundlagen zitiert und die beiden Dimensionen zusammenführt. Seine Bedeutung für den planungswissenschaftlichen Diskurs zeigt sich unter anderem darin, dass der Artikel die meistzitierte Veröffentlichung in den einschlägigen Artikeln im gesamten Untersuchungszeitraum ist (siehe Tab. 8.3). An dieser Stelle ebenfalls zu nennen ist die im August 2005 veröffentlichte Studie des PIK im Auftrag des Umweltbundesamtes „Klimawandel in Deutschland: Vulnerabilität und Anpassungsstrategien klimasensitiver Systeme“ (vgl. Zebisch et al. 2005). Sie bündelt das Wissen im Feld der Anpassung an den Klimawandel, schafft Anknüpfungspunkte für die Raumplanung und legt Forschungsbedarf für die Planungswissenschaft offen. Beide Publikationen zählen zu den wichtigsten Publikationen der Latenzphase (siehe Tab. 8.1).

Tab. 8.1 Erscheinungsjahr und Titel der Publikationen aus der Latenzphase (bis einschl. 2006), die am häufigsten in allen einschlägigen Artikeln zitiert werden

Zusammenfassung und Schlussfolgerungen

Das Thema Klimaschutz wird zunächst im Nachhaltigkeitsdiskurs verhandelt, kommt dort aber nicht über den Status eines sporadisch genannten Teilaspekts hinaus. Eine erste Studie im Feld der Anpassung an den Klimawandel wird am PIK durchgeführt, von wo aus das Thema in die Planungswissenschaft diffundiert. Auch hier ist es zunächst ein Teilaspekt eines etablierten Themas (Katastrophenvorsorge) und dient unter anderem als einer von mehreren Begründungszusammenhängen zur Herstellung der Relevanz der Katastrophenvorsorge. Die beiden Dimensionen Klimaschutz und -anpassung werden in der Planungswissenschaft bis zum Jahr 2006 von verschiedenen Akteur*innenkreisen getrennt voneinander verhandelt.

Seit dem Elbehochwasser 2002 werden Naturkatastrophen in den Massenmedien vermehrt mit dem Klimawandel sowie mit der Siedlungsentwicklung in Verbindung gebracht. Bei den wenigen Pionier*innen wächst mit zunehmender Auseinandersetzung der Glaube an das Thema, was dessen Bedeutung für die Disziplin aber auch für die eigene Karriere anbetrifft. Erste Drittmittelprojekte werden aufgelegt und es entsteht eine kleine Fachgemeinschaft, die sich gegenseitig informiert und motiviert. Allerdings erleben die Pionier*innen als Reaktionen auf ihre Kommunikationen mitunter Ignoranz und Widerstreben seitens planungswissenschaftlicher und -politischer Akteur*innen. Insbesondere die Dimension der Anpassung an den Klimawandel ist zunächst schwer vermittelbar, weil es seitens etablierter Akteur*innen in Konkurrenz zum Thema Klimaschutz gesehen wird. Auch wird das Thema als ein Umweltthema betrachtet, weshalb Akteur*innen außerhalb des Umweltsektors die Relevanz für den eigenen Wirkungsbereich nicht erkennen.

Die Zusammenführung beider Dimensionen in dem RuR-Artikel „Klimawandel und Raumplanung“ entpuppt sich in den Folgejahren als zentrale Grundlage für den anschließenden Durchbruch und die Fokussierung des Themas Klimawandel. Ebenfalls zentral ist die Studie des PIK „Klimawandel in Deutschland“ (Zebisch et al. 2005). Die beiden Veröffentlichungen gehen auf einschlägige Forschungspfade zurück, die seit 1996 (PIK) bzw. seit 1998 (Fleischhauer) kontinuierlich verfolgt werden.

8.2 2007: Durchbruchphase

Ab Mitte der 2000er Jahre erfährt das Thema Klimawandel mehr Resonanz in der Gesellschaft als je zuvor. Aktuelle Naturereignisse werden zunehmend im Kontext des Klimawandels besprochen, wie bspw. der Hurrikan Katrina im August 2005 oder der Orkan Kyrill im Januar 2007. Im Oktober 2006 kommt der einschlägige Dokumentarfilm ‚An Inconvenient Truth‘ in die Kinos des deutschsprachigen Raums, in dem der ehemalige US-Vizepräsident Al Gore eine zentrale Rolle einnimmt. Der unerwartet große Erfolg des Films dokumentiert das gesteigerte öffentliche Interesse und setzt Impulse für das Thema in Politik, Medien und Öffentlichkeit (Egner 2007: 250). Ebenfalls als Anstoßgeber fungiert der im Oktober 2006 veröffentlichte sogenannte Stern-Report, der auf eine Initiative der britischen EU-Ratspräsidentschaft zurückgeht. In dem Bericht werden die wirtschaftlichen Kosten der globalen Erwärmung berechnet und den verhältnismäßig geringen Kosten für Mitigationsmaßnahmen gegenübergestellt (vgl. Stern 2007). Das Thema wird damit in die Handlungslogik der Ökonomie (unter dem Code Gewinn/Verlust) übersetzt und macht den Klimawandel so zu einem für dieses gesellschaftliche Teilsystem berechenbaren und damit verstehbaren Problem (Egner 2007: 253–254). Wichtige Grundlage für Stern und Gore sind die stetig zunehmenden naturwissenschaftlichen Erkenntnisse, die regelmäßig durch das IPCC (2001, 2007a, 2007b) zusammengefasst werden. Der „Vierte Sachstandsbericht“ des IPCC wird in vier Teilen im Februar, April, Mai und November des Jahres 2007 veröffentlicht und erhält immer wieder breite Aufmerksamkeit in den Medien. Gore und das IPCC erhalten im Oktober 2007 zu gleichen Teilen den Friedensnobelpreis.

Auch in den einschlägigen Artikeln der Planungswissenschaft zählen die IPCC-Berichte zu den meistzitierten Referenzen (siehe Tab. 8.4). Ebenfalls von zentraler Bedeutung für die Planungswissenschaft ist das im Juni 2007 von der Kommission der Europäischen Gemeinschaft veröffentlichte Grünbuch „Anpassung an den Klimawandel in Europa – Optionen für Maßnahmen der EU“. Es veranlasst die Zusammenarbeit mehrerer bereits einschlägig forschender Planungswissenschaftler*innen im Rahmen eines Ad-hoc-Arbeitskreises der ARL. In ihrer Stellungnahme zu dem Grünbuch stellen sie im November 2007 fest, es habe die „politische Debatte um die Anpassung an die Folgen des Klimawandels auf dem Kontinent eröffnet“ (Ritter et al. 2007: 1). Weiterhin werde in dem Grünbuch festgestellt, dass „Raumplanung und Planung der Flächennutzung ein integraler Bestandteil der Anpassungspolitik“ seien (Ritter et al. 2007: 3). Der damit verbundene, zunächst nur grob umrissene Auftrag und Bedeutungsgewinn für die Raumplanung gibt Anlass für das Aufgreifen und Vertiefen des Themas durch zahlreiche Planungswissenschaftler*innen. Die IPCC-Berichte, das Grünbuch sowie eine weitere Veröffentlichung Ritters von November 2007 zählen zu den meistzitierten Veröffentlichungen in den einschlägigen Artikeln des Jahres 2008 (siehe Tab. 8.2).

Die eingangs dargestellte Themenkonjunktur in Politik, Medien und Öffentlichkeit führt zu einer steigenden Nachfrage nach Informationen und Politikansätzen zum Thema Klimawandel und Raumplanung. Interviewaussagen zufolge hätten die oben teilweise benannten Naturereignisse jeweils Aktivitäten in den planungspolitischen und -wissenschaftlichen Einrichtungen ausgelöst. Einerseits seien die Akteur*innen mit einem erhöhten Aufkommen externer Anfragen konfrontiert worden, andererseits hätten sie selbst Überlegungen angestellt, wie auf die Ereignisse und auf die dadurch induzierte Aufmerksamkeit mit Projektforschung oder Politikberatung zu reagieren sei. Einigen Planungsbüros habe sich ein neues Geschäftsfeld eröffnet, da staatliche Akteur*innen zunehmend Einzelstudien in Auftrag gegeben hätten, um das Thema Klimawandel und dessen Bedeutung für den eigenen Wirkungsbereich ermessen zu können.

Nach den Aussagen einer Person aus dem Grenzbereich zwischen Politik und Wissenschaft habe sich das Zusammenspiel unterschiedlicher Akteur*innen „dann gegenseitig ein Stück weit nach oben geschaukelt“ (i39). Initiativen für neue Veranstaltungen, Projekte oder auch Gesetze seien nicht mehr auf Ablehnung oder Desinteresse, sondern auf große Resonanz gestoßen. Auch im Bereich der einschlägigen Fördermittelvergabe habe ein Umdenken in Bezug auf die Finanzierung einschlägiger Forschung stattgefunden. Die Fördermittelgeber*innen – insbesondere BMBF, BMVBS, BMU, BBR, Umweltbundesamt, Ministerien der Länder – treten im Feld der Planungswissenschaft in Konkurrenz zueinander und setzen einander durch ihre Bekanntmachungen in Zugzwang. In allen Bereichen werden die Relevanz des Themas, die Chance auf einen Bedeutungsgewinn sowie große Wissensbedarfe zunehmend erkannt.

Das BMBF veröffentlicht im März 2007 die Bekanntmachung für die Fördermaßnahme „Klimawandel in Regionen zukunftsfähig gestalten“ („KLIMZUG“), im Rahmen derer ab Mitte 2008 sieben deutsche Regionen in einem Zeitraum von fünf Jahren gefördert werden (BMBF 2007a). Für das Programm der angewandten Forschung stellt das BMBF ein Fördervolumen von rund 83 Millionen Euro bereit, das von weiteren öffentlichen Fördermittelgeber*innen im Rahmen der Einzelprojekte teilweise deutlich aufgestockt wird (BMBF und IW 2011).

Der BMBF-Förderschwerpunkt „Forschung für die nachhaltige Entwicklung der Megastädte von morgen“ erlebt im Jahr 2007 einen im Sinne der Fragestellung bemerkenswerten inhaltlichen Wandel. Das Programm zielt zunächst auf die Entwicklung und Implementierung integrierter Planungsansätze für die nachhaltige Stadtentwicklung in Schwellenländern (BMBF 2004c: 23). Es läuft in den Jahren 2004 bis 2013, wobei die geförderten Projekte 2007 und 2010 einer Zwischenevaluierung unterzogen werden. In den ersten Bekanntmachungen des Förderprogramms im Februar 2004 wird der Klimawandel mit keinem Wort erwähnt (BMBF 2004b, 2004a; Krück 2004). In einer erweiterten Bekanntmachung einen Monat später wird der Klimawandel als eine von vielen Herausforderungen des globalen Wandels genannt, die eine Überprüfung vor dem Hintergrund des Prinzips der nachhaltigen Entwicklung erfordern (BMBF 2004c: 1, 2, 12). Zehn Projekte bewerben sich auf dieser Grundlage erfolgreich für die erste Förderperiode. Ab Anfang 2007 werden die Projekte informell durch den Projektträger, das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt e. V. (DLR), darüber informiert, dass das Thema Klimaschutz in den kommenden Förderperioden des Megastädte-Programms eine zentrale Bedeutung erhalten soll. Offiziell kommuniziert wird diese Neufokussierung im Rahmen eines Workshops am 15.08.2007, drei Monate vor der Antragsfrist für die zweite Förderperiode. In einer später verteilten Handreichung werden zunächst die Ergebnisse des Vierten Sachstandsberichts des IPCC sowie die jüngsten Anstrengungen der Bundesregierung für den Klimaschutz dargelegt. Sie werden zum Anlass genommen, die Schwerpunktförderung zwar weiterzuverfolgen, aber aufgrund des „veränderten nationalen und internationalen Kontexts“ inhaltlich zugunsten „energie- und klimaeffizienter Strukturen in urbanen Wachstumszentren“ anzupassen BMBF 2007b: 1–2; BMBF und DLR 2007).

Der Fokusverschiebung auf das Thema Klimaschutz wird somit nachträglich durch das BMBF und den Projektträger zur Bedingung für die Fortsetzung der Förderung erhoben. Als Reaktion darauf passen einige Projekte lediglich das Framing an, während andere den Impuls zum Anlass für eine grundlegende inhaltliche Neujustierung nehmen. Partiell gewinnen innerhalb der Projekte Akteur*innen an Bedeutung, die mit ihrem Wissen und ihren Beziehungen schnell an das neue Thema anknüpfen können. Als Gründe für die inhaltliche Intervention des BMBF sind neben der allgemeinen Themenkonjunktur politische Prozesse anzuführen. So hat vor Beginn der zweiten Förderphase die Bundesregierung gewechselt und die Leitung des BMBF ist von Bulmahn (SPD) an Schavan (CDU) übergegangen. Zudem verweist die oben genannte Handreichung auf die Deutsche EU-Ratspräsidentschaft in der ersten Jahreshälfte 2007, im Rahmen derer beschlossen wurde, den Ausstoß von Treibhausgasen in der EU bis 2020 um 20 Prozent gegenüber 1990 zu senken, sowie auf den G-8-Gipfel unter deutschem Vorsitz im Juni 2007, auf dem erstmals Einigung erzielt wurde, „dass die Erderwärmung nicht mehr als maximal 1,5–2,5 °C betragen darf“ (BMBF 2007b: 1). Über die tatsächlich vorliegenden Beweggründe im BMBF lässt sich auf Basis der vorliegenden Informationen nur spekulieren. Grundsätzlich ist aber festzustellen, dass es politisch opportun ist, einem von der Vorgängerin übernommenen Programm einen eigenen Stempel aufzudrücken und dabei ein Thema einzusetzen, dass eine gesamtgesellschaftliche Themenkonjunktur erfährt. Für den politischen Erfolg sind dabei nicht die Inhalte, sondern das Framing entscheidend. Auch ist es vor dem Hintergrund des erklärten Ziels „Einsatz, Weiterentwicklung und Diffusion deutscher Technologien, Verfahren und Dienstleistungen zu fördern“ (BMBF 2007b: 4) möglicherweise effektiver auf das mit Investitionsentscheidungen und deutschem Know-How (bspw. erneuerbare Energien, Gebäudeeffizienz, ingenieurtechnische Lösungen) verknüpfte Thema Klimaschutz zu setzen, als das mittlerweile in die Jahre gekommene und schwammig wirkende Umweltthema Nachhaltigkeit in den Vordergrund zu stellen.

Im weiteren Verlauf des Programms findet schließlich eine erneute Fokusverschiebung statt, als die bis Anfang 2008 nicht erwähnten Themen Anpassung an den Klimawandel und Resilienz in das Themenspektrum integriert werden. Hierbei könnten neben allgemeinen, programmunabhängigen Diskursverschiebungen auch programminterne Prozesse Einfluss genommen haben. So berichtet eine Person, einer der Projektanträge sei im Jahr 2008 bei der Förderentscheidung besonders kontrovers diskutiert worden. Dieser habe die Anpassung an den Klimawandel in den Mittelpunkt gestellt und weniger das seitens des BMBF zunächst intendierte Thema Klimaschutz. Es seien schließlich die externen Gutachter*innen gewesen, die das BMBF und das DLR davon überzeugt hätten, das Projekt trotz dieser thematischen Ausrichtung zu fördern (i40). Gemäß dieser Aussage sei der Aspekt Klimawandelanpassung im Jahr 2008 noch als inhaltliches Defizit gewertet worden, bei Abschluss des Projektes im Jahr 2013 war er jedoch integraler Programmbestandteil (vgl. BMBF 2013).

Die gesellschaftliche Themenkonjunktur und die dadurch ausgelösten Irritationen (siehe Kp. 4.1.2) in Politik und Praxis sind auch für die Entwicklung weiterer politisch gesteuerter Förderprogramme zentrale Impulse. Dieser Kausalzusammenhang wird in den Interviews geschildert, ist aber auch den Begründungen der Fördermaßnahmen zu entnehmen, die den jeweiligen Bekanntmachungen und Broschüren vorangestellt werden. Exemplarisch sei die Einleitung der Dokumentation der initialen Fachtagung des BMVBS und des BBR „Raumentwicklungsstrategien zum Klimawandel“ am 30.10.2007 zitiert:

„Strategien zur Begrenzung des Klimawandels und zur Anpassung an die Klimafolgen in Deutschland und in Europa stehen weit oben auf der politischen Agenda. Aktuelle Extremwetter und Witterungsereignisse verleihen dem Thema in den Medien und im Bewusstsein der Bevölkerung Nachdruck. […] Der Handlungsdruck betrifft nicht nur Fachpolitiken wie den Hochwasserschutz oder die Landwirtschaft, sondern unmittelbar auch die Raumplanung […].“ (Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung und BBR 2007: 7)

Gemäß Interviewaussagen sei die Entwicklung explizit klimabezogener Förderprogramme seitens einer bestimmten, politisch gesteuerten Einrichtung ab Anfang 2007 offiziell aufgenommen worden, nachdem eine Anfrage des übergeordneten Ministeriums eingegangen sei. Dies habe einen bemerkenswerten Wandel markiert, denn keine zwei Jahre zuvor habe das Ministerium die Zuständigkeit für das Thema noch zurückgewiesen. Im Jahr 2007 sei jedoch erkannt worden, dass Klimawandelanpassung eine Gesellschaftsaufgabe und ein Querschnittsthema sei. Dieses Aufgreifen des Themas durch das Ministerium sei kaum auf Impulse seitens der planungswissenschaftlichen Fachgemeinschaft oder auf neue planungswissenschaftliche Erkenntnisse zurückzuführen, wie eine interviewte Person erläutert:

„Der Hauptdriver dieser Sache war dann nicht die Forschung, sondern da kam es tatsächlich eher von Staatssekretärsseite und auch von oben, dass man sich eben mal damit auseinandersetzen musste.

[…] Ich glaube es gab mehrere Personen [in der Einrichtung], die dieses Thema stärker gesehen haben wollten. Vor allen für [einen bestimmten Bereich der Einrichtung war absehbar] dass man nicht nur Hochwasservorsorge als ein Thema betrachten muss, sondern generell Klimawandel. […] Ich bin mir sicher, dass es da auch Forschungsprojekte gab, die in die Planung eingespeist wurden, aber zunächst mal nicht umsetzungsfähig waren, bzw. dass man sie einfach rausgestrichen hat, weil andere wichtiger erschienen.“ (i41)

Für die veränderte Prioritätensetzung der Einrichtung sei dieser Aussage zufolge das Agieren des Ministeriums ausschlaggebend gewesen, das das Thema vor dem Jahr 2007 zurückgestellt, ab dem Jahr 2007 aber gefördert habe. Dieser Wandel im Ministerium sei wiederum primär auf politische bzw. ministerielle Handlungslogiken zurückzuführen. So sei das Ministerium durch die raumplanungsrelevanten Förderaktivitäten anderer Einrichtungen unter Zugzwang gesetzt worden:

„Ich bin felsenfest der Überzeugung, dass es damals keine politisch-strategische Entscheidung gewesen ist, sich diesem Thema zu widmen, sondern schlicht und ergreifend der Druck der anderen Einrichtungen. Das [Ministerium] hat dann gesagt: ‚Da machen wir auch mal etwas zu‘. […] Es gibt ganz anderes, wo man lange Dinge systematisch vorbereitet, wo man strukturell mit Arbeitskreisen zusammensitzt, wo man sozusagen strategisch überlegt, welche Themen man auf die Agenda setzt. Ich glaube hier ist es ein reines Nachziehen gewesen.“ (i42)

Darüber hinaus hätten die Landes- und Kommunalpolitik sowie die Planungspraxis zunehmend Druck auf die Bundespolitik ausgeübt, grundlegende raumplanerische Fragen in Bezug auf den Klimawandel aufzuarbeiten. Einer Interviewaussage zufolge sei bspw. von den Ländern im Rahmen der Ministerkonferenz für Raumordnung (MKRO) auf den einschlägigen Wissens- und Handlungsbedarf hingewiesen worden (i43). Auch planungswissenschaftliche Studien dokumentieren das plötzliche Erkennen von Wissenslücken bei dem Thema Klimawandel seitens der Planungspolitik und -praxis (bspw. Overbeck et al. 2009).

Mit den ersten öffentlichen Bekanntmachungen und Veranstaltungen der Fördermittelgeber*innen im Jahr 2007 einher geht das Einsetzen einer „breiten Debatte“ in der Planungswissenschaft und -praxis (Overbeck et al. 2009: 202). Dabei werden die beiden Aspekte Klimaschutz und -anpassung in der Regel zusammen verhandelt, insbesondere das Handlungsfeld der Anpassung verspricht der Disziplin aber einen Bedeutungsgewinn (ebd.). Diesem Ansatz folgt auch der im Mai 2007 gegründete ARL-Arbeitskreis zum Thema „Klimawandel und Raumplanung“. Er bindet, auch durch die zwischenzeitliche Zusammenarbeit mit dem Informations- und Initiativkreis „Regionalplanung“ der ARL, einige weniger einschlägig erfahrene Praktiker*innen und Wissenschaftler*innen in den Klimawandeldiskurs ein (vgl. Birkmann et al. 2009). Starke Schnittmengen in Bezug auf Inhalte und Akteur*innen weist der ARL-Arbeitskreis mit dem Leibniz-Verbundvorhaben „Anpassung an den Klimawandel durch räumliche Planung – Grundlagen, Strategien, Instrumente (KLIMAPAKT)“ auf, das im Januar 2008 die Arbeit aufnimmt (Umweltbundesamt 2015a, 2015b). Beide Vernetzungs- und Forschungsinitiativen sind auf mehrere Jahre angelegt und betrachten die Anpassungs- und die Vermeidungsdimension der Klimawandelthematik in einer integrierenden Perspektive. Das folgende Zitat verdeutlicht die Rolle der Vernetzungsaktivitäten für die Diffusion des Themas. Dabei kommt eine Person, die in den kommenden Jahren eine zentrale Position einnimmt, zum ersten Mal mit dem Thema in Berührung:

„Das war so ein [bestimmter Arbeitskreis], wo ein Arbeitstag einberufen wurde, wo ich netterweise eingeladen wurde. Während die anderen [Personen], die waren schon länger in der Szene auch mit Publikationen aktiv. […] So kam [meine erste einschlägige Publikation] dann zustande.“ (i44)

Zusammenfassung und Schlussfolgerungen

Für den Durchbruch des Themas im Jahr 2007 spielt die gesamtgesellschaftliche Themenkonjunktur eine wichtige Rolle. Sie führt dazu, dass Akteur*innen der Planungspraxis und -politik simultan die Relevanz des Themas für ihren jeweiligen Handlungsbereich erkennen, was einen selbstverstärkenden Effekt auslöst. Das gesamte Feld der Raumplanung wird in eine Irritation versetzt, die letztlich einen Handlungsbedarf in der Bundespolitik erzeugt. Die Zuständigkeit für das Thema ist nun mit einem Bedeutungsgewinn verknüpft, was dazu führt, dass komplexe Akteur*innen – bspw. in der Fördermittelvergabe – in Konkurrenz zueinander treten. Es werden Programme der Forschungsförderung angestoßen und angepasst, was ab Mitte des Jahres 2007 verstärkt fachöffentlich kommuniziert wird.

Nachdem bereits in der Latenzphase eine Fundierung des Themas durch Forschungs- und Vernetzungsaktivitäten innerhalb einer planungswissenschaftlichen Nische erfolgt ist, erreicht das Thema im Zuge der Durchbruchphase den planungswissenschaftlichen Mainstream. Die seit Mitte der 1990er stattfindende inkrementelle Diffusion des Themas wird abgelöst durch einen disziplinweiten Durchbruch. Hierfür ist nun nicht mehr der gerichtete persönliche Kontakt maßgeblich, bei dem das Interesse einer Person durch die Kommunikation einer bereits einschlägig forschenden Person geweckt wird. Vielmehr erreicht das Thema schlagartig eine allgemeine Bekanntheit, die dazu führt, dass Planungswissenschaftler*innen verschiedener Spezialisierungen das Aufgreifen des Themas auch unabhängig voneinander abwägen.

Die vor dem Jahr 2007 erlebte Ignoranz gegenüber dem Thema wird abgelöst durch eine besonders starke Resonanz. Der Wissensbedarf in Planungspolitik, -praxis und -wissenschaft ist schlagartig angestiegen. Planungswissenschaftler*innen, die bereits über epistemisches und soziales Kapital im Themenfeld Klimawandel verfügen, werden deshalb zu gefragten Expert*innen. Auch haben sie einen Vorteil in dem an Fahrt gewinnenden Wettbewerb um Wissensansprüche und Ressourcen. Sie übernehmen führende Funktionen in der fachgemeinschaftlichen Wissensproduktion, in den einschlägigen formellen Netzwerken sowie in der Fördermittelvergabe.

8.3 2008 bis 2012: Fokusphase

Abb. 8.3 zeigt die Aufmerksamkeitsentwicklung des Themas Klimawandel in Medien, Politik und Planungswissenschaft. Bei Berücksichtigung der unterschiedlichen Reaktionszeiten der drei Systeme ist ein nahezu zeitgleicher Durchbruch des Themas festzustellen. Während die Süddeutsche Zeitung im Jahr 2007 ein Allzeithoch erreicht, das von einer „Ermüdung“ im Sinne Luhmanns (1970) gefolgt ist, stellt der Durchbruch in den Systemen Politik und Planungswissenschaft den Auftakt einer mindestens fünf- bis sechsjährigen Fokussierung dar.

Abb. 8.3
figure 3

Karriere des Themas Klimawandel in Medien, Politik und Planungswissenschaft zwischen 1995 und 2014 (Quellen: Eigene Darstellung auf Grundlage von Abfragen im elektronischen Archiv des Deutschen Bundestags (2020), im Deutschen Referenzkorpus des Leibnitz-Instituts für Deutsche Sprache (2020) sowie der eigenen Erhebung planungswissenschaftlicher Zeitschriften 1995–2014)

Nach dem Durchbruch ist das Thema Klimawandel in den Medien, der Politik und der Planungswissenschaft etabliert. Während in den Medien weiterhin vereinzelt Klimaskeptiker*innen ein Forum erhalten, ist das Widerstreben etablierter Akteur*innen der Planungswissenschaft und -politik nun nicht mehr wahrzunehmen. Die Bedeutung der Raumplanung für das Thema Klimawandel wird im Jahr 2008 und 2009 durch zahlreiche politische Prozesse und Entscheidungen unterstrichen. Hierbei ist insbesondere die im Dezember 2008 veröffentlichte „Deutsche Anpassungsstrategie“ zu nennen, die unter Federführung des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (BMU) erarbeitet wurde. Sie stuft die Raumplanung als zentrales und vielseitiges Anpassungsinstrument ein und dient als vielzitierter Beleg für den Bedeutungsgewinn der Raumplanung (Bundesregierung 2008; Daschkeit 2010: 27).

In den planungswissenschaftlichen Zeitschriften erlebt die Themenkarriere Klimawandel im Jahr 2008 ihren vorläufigen Höhepunkt. Die Zeitschriften IzR, RAUM und PLANERIN bringen jeweils eigene, einschlägige Themenhefte heraus. Insgesamt lassen sich 45 der 382 planungswissenschaftlichen Artikel des Jahres 2008 (11,8 Prozent) dem Thema Klimawandel zuordnen. Innerhalb der einschlägigen Artikel rückt der Klimawandel, der in den Vorjahren zumeist als Teilaspekt anderer Themen aufgerufen wurde, in den Fokus. Weiterhin fällt auf, dass eine grundlegende Übersetzung des Themas in das Bezugssystem der Raumplanung angestrebt wird. Deutlich wird das an den explizit aufgeworfenen Fragen, wie bspw. „Was wissen wir?“ (Becker et al. 2008: 341) oder „Warum Klimaanpassung jetzt und künftig?“ (Dosch et al. 2008: 381) oder „Welche Rolle [kann] der Raumplanung bei der Anpassung an den Klimawandel zukommen […]?“ (Greiving und Fleischhauer 2008: 61). Auch die meistzitierten Werke deuten darauf hin, dass das Thema Klimawandel zunächst aus anderen wissenschaftlichen Disziplinen sowie anderen gesellschaftlichen Teilsystemen in die Planungswissenschaft übertragen wird. Zu den acht Publikationen, die im Jahr 2008 am häufigsten zitiert werden, zählen nur zwei Publikationen von Planungswissenschaftler*innen (siehe Tab. 8.2). Weiterhin ist bemerkenswert, dass insbesondere jüngere Publikationen zitiert werden. Die elf meistzitierten Publikationen sind im Durchschnitt 1,4 Jahre alt.

Tab. 8.2 Erscheinungsjahr und Titel der Publikationen, die im Jahr 2008 am häufigsten in den einschlägigen Artikeln zitiert werden

Insbesondere in den Jahren 2008 und 2009 laufen wichtige Forschungsprojekte zum Thema Klimawandel und Raumplanung an. Von besonderer planungswissenschaftlicher Bedeutung ist zunächst das BMBF-Programm „Klimawandel in Regionen zukunftsfähig gestalten“ („KLIMZUG“), im Rahmen dessen das erste Projekt im Juni 2008 startet. Auf der Grundlage einer Vorstudie aus dem Jahr 2008 (Gruehn et al. 2008) initiieren das BMVBS und das BBR zunächst das Modellvorhaben der Raumordnung (MORO) „Raumentwicklungsstrategien zum Klimawandel“, das im Juni 2009 die Forschungsaktivitäten aufnimmt. Das Vorhaben des Experimentellen Wohnungs- und Städtebaus (ExWoSt) „Urbane Strategien zum Klimawandel“ beginnt im Dezember 2009. Zwischen der ersten öffentlichen Kommunikation zu den Programmen und dem Start des ersten Projektes verstreichen jeweils ein bis zwei Jahre.

Das planungswissenschaftliche Aufmerksamkeitshoch im Jahr 2008 ist auf die im Zuge des Durchbruchs veränderten Anreizstrukturen zurückzuführen. So ist bspw. eine verstärkte Resonanz auf einschlägige Forschungsergebnisse zu verzeichnen, Drittmittel werden verfügbar und in Berufungsverfahren wird einschlägige Expertise belohnt. Zum einen greifen deshalb viele Planungswissenschaftler*innen das Thema erstmals auf, zum anderen sind die einschlägig erfahrenden Akteur*innen motiviert, ihre Wettbewerbsvorteile – insbesondere Reputation, Beziehungen und Wissen – in Wert zu setzen. Es setzt eine gegenüber den Vorjahren deutlich erhöhte Dringlichkeit ein, Wissensansprüche zu markieren und sich für die Einwerbung von Drittmitteln zu positionieren. Allerdings sehen nicht alle befragten Personen gleichermaßen eine strategische Motivation als Hintergrund für ihre erstmalige oder verstärkte Publikationstätigkeit zum Thema Klimawandel. Eine einschlägig erfahrene Person resümiert dazu:

„Ich weiß nicht, ob das nicht zu hoch gegriffen ist zu sagen, dass da irgendeine Strategie dahinter gesteckt hat. Eher so ein Bedürfnis einen bestimmten Erkenntnisstand auch mal zu kommunizieren. Also das ist letztendlich mal ein Thema, was eine Bedeutung hat, die von vielen nicht gesehen wird.“ (i45)

Hier wird eine epistemische Orientierung als Handlungsmotivation für die stark ausgeweitete, einschlägige Publikationstätigkeit dargelegt. Ergänzend ist anzumerken, dass diese zwar das entstandene „Bedürfnis“ partiell erklären kann, nicht aber den Zeitpunkt seines Entstehens. Zudem führt die interviewte Person an anderer Stelle dezidiert strategische Motive an.

Zahlreiche Planungswissenschaftler*innen betreten im Jahr 2008 erstmals das Feld der Klimawandelforschung: Im Jahr 2007 veröffentlichten elf Autor*innen einen einschlägigen Artikel, darunter sieben zum ersten Mal. Im Jahr 2008 publizieren 67 Autor*innen einen Artikel zum Thema, darunter 60 zum ersten Mal. Es entsteht eine Konkurrenz zwischen einschlägig erfahrenen und weniger erfahrenen Planungswissenschaftler*innen. Dies wird insbesondere im Rahmen der anschwellenden Forschungsförderung im Bereich Klimawandel deutlich. Zum Zeitpunkt der Antragstellung verfügen die bereits einschlägig erfahrenen Planungswissenschaftler*innen über einen Wettbewerbsvorteil und damit über einen vereinfachten Zugang zu Drittmittelförderung. Sie wissen um ihren Vorsprung gegenüber potenziellen Konkurrent*innen und wollen diesen beibehalten oder ausbauen, wie die folgende Interviewaussage verdeutlicht:

„Vor dem Hintergrund, dass ich mich vorher schon mit dem Thema begonnen habe zu befassen, waren wir auch in der Lage ein Angebot abzugeben, das die anderen ausgestochen hat, die sich sonst noch so in dem Bereich vielleicht hätten tummeln können.“ (i46)

Dass die etablierten Akteur*innen angesichts der wachsenden Konkurrenz ihre Wissensansprüche und ihre herausgehobene Stellung zu verteidigen suchen, zeigt auch die folgende Interviewaussage. Die befragte Person verfügt bereits über einschlägige Forschungserfahrung, hat sich aber nicht für eine bestimmte Drittmittelförderung beworben:

„Strategisch vielleicht eine der größten Fehlentscheidungen, die ich jemals getroffen habe, war die Tatsache, dass ich [das Förderprogramm] anderen überlassen habe. Woraufhin dann [andere Wissenschaftler*innen ohne einschlägige Erfahrung] eingestiegen sind in das Thema. Wir hätten die gekriegt, wenn wir einen Antrag, ein Angebot abgegeben hätten, haben wir aber nicht. […] Die haben ja vorher nichts gemacht zu dem Thema. Die sind eingestiegen mit [dem Förderprogramm].“ (i47)

Wie diese Aussage andeutet, sind die Förderprogramme für viele Akteur*innen die entscheidende Gelegenheit für den nachhaltigen Eintritt in den Diskurs. Durch sie können Neulinge auf einen Schlag Reputation und Personalmittel in dem Themenfeld gewinnen. Sie geben einen Impuls sich das Thema zu erarbeiten und zügig innerhalb der wachsenden Fachgemeinschaft Sichtbarkeit zu erlangen. Eine Interviewaussage beschreibt dieses Muster:

„Dann kam diese Ausschreibung […]. Wir haben glücklicherweise einen Zuschlag gekriegt […]. Und da ist dann für mich sehr schnell die Forderung im Team – dann erzeuge ich einen hohen Publikationsdruck –, dass ich sage: ‚Wir müssen schnell herauskommen mit ersten Sachen‘. State-of-the-art Artikeln in nicht so hochrangigen Sachen, Publikationen, aber zumindest erst einmal etwas sichtbar machen und möglichst dann auch weitere Sachen publizieren. Also neue Themen sind im Grunde genommen auch immer ein Impuls für neue Publikationen. […] Ja, dass man überhaupt erst einmal eine Sichtbarkeit erzeugt, vielleicht auch intern ein Paper, was zumindest auf der Website steht, oder irgendetwas, was zitiert werden kann.“ (i48)

Die Forschungsprogramme dienen auch als Vernetzungsformate, im Rahmen derer einschlägig erfahrene sowie unerfahrene Wissenschaftler*innen im Zuge von Konferenzen, Workshops und gemeinsamen Publikationen wiederholt zusammentreffen und sich austauschen. Dabei werden auch bereits bestehende Beziehungen und Austauschformate nun um das Thema Klimawandel erweitert oder modifiziert. Hierfür gibt die folgende Interviewaussage ein Beispiel:

„Ich glaube, die ersten Publikationen aus dieser Kooperation mit [einer bestimmten, etablierten Fachperson einer anderen Einrichtung], die liefen noch unter Hochwasser und später liefen die dann unter climate adaptation.“ (i49)

An dieser Stelle ist auf die unterschiedlichen Grade der Transformation innerhalb der individuellen Forschungspfade hinzuweisen. Während einige Akteur*innen lediglich Schlagworte austauschen, die dahinterliegenden Fragestellungen aber im Rahmen des neuen Themas weiterverfolgen oder ausbauen können, müssen andere Akteur*innen sich das Thema von Grund auf neu erarbeiten. Zwei interviewte Personen können als Beispiele für die beiden Extreme dienen:

Die erste Person veröffentlicht in den Jahren 1990 bis 2014 ca. 30 Publikationen, die die Themen „umweltfreundliche“, „nachhaltige“ und/oder „autoarme Mobilität“ im Titel führen, alle in dem Zeitraum bis einschließlich 2008. Dieselbe Person veröffentlicht bis 2014 ca. 10 Publikationen, die die Themen „Klimaschutz“ und „klimafreundliche Mobilität“ im Titel führen, alle in dem Zeitraum 2009 bis 2014 (vgl. Abb. 8.4). Die in den jeweiligen Forschungspfaden angesprochenen Inhalte und Strategien ähneln sich, allerdings wird ab dem Jahr 2009 das Thema Klimaschutz aufgearbeitet und auf die vorhandenen Forschungspfade bezogen, indem bspw. erörtert wird, welche Verkehrskonzepte nötig sind, um das klimapolitisch formulierte Zwei-Grad-Ziel zu erreichen. Für eine erstmalige, systematische Auseinandersetzung mit dem Thema Klimaschutz ist in diesem Fall ein Vortrag im Zuge eines Berufungsverfahrens zur Besetzung einer Professur ausschlaggebend.

Abb. 8.4
figure 4

(Quelle: Eigene Darstellung)

Beispielhafter Ausschnitt eines research trail mit dem vorübergehenden Themenschwerpunkt Klimawandel

Die zweite Person nimmt bereits eine etablierte Stellung innerhalb der planungswissenschaftlichen Fachgemeinschaft ein. Sie bewegt sich in einem Themenfeld, das als besonders anschlussfähig an das Thema Klimawandel gilt, allerdings ist das Thema selbst für die Person neu. Im Zuge eines Drittmittelprojektes muss die Person sich fachliches und soziales Wissen in dem neuen Feld erarbeiten. Auf die Frage nach ihrer Herangehensweise bei der Erschließung des Klimawandelfeldes entgegnet sie:

„Naja, was man ja klassisch macht. Also in der ersten Phase, wenn man in so ein Feld neu hereingeht, arbeitet man viel erstmal den Literaturstand auf, das was da ist. Das haben wir auch gemacht, dass wir immer bei Forschungsprojekten den State of the Art am Anfang versuchen abzugreifen. Und das haben wir damals am Anfang ein bisschen intensiver gemacht, weil wir uns da erstmal hereinkämpfen mussten, bis wir dann auch so das Feld der Akteure, die eine Rolle spielen, kennen gelernt haben. Das hat auch eine Zeit natürlich gedauert. Also weniger national, das ging ja schnell, da kennt man ja auch Leute vom Namen her, aber international ist das noch viel schwieriger.“ (i50)

Eine weitere Person kommt auf das Spannungsfeld von Kontinuität und Transformation in ihrer eigenen Forschungsbiografie zu sprechen. Sie berichtet von dem Verhältnis zwischen fachöffentlicher Fokussierung und dem eigenen Thema, das mit einem gesellschaftspolitischen Motiv verbunden ist. Sie erklärt, zunächst zu der Zeit vor dem Jahr 2008:

B: „Insofern würde ich nicht sagen, dass ich überhaupt nichts dazu gemacht habe. Aber ich habe nicht überall in die Überschrift reingeschrieben ‚Klimaschutz und [mein Schwerpunktthema]‘, sondern die Veröffentlichungen, die ich in der Zeit gemacht habe oder auch die Arbeit, die ich gemacht habe, hatte einen anderen Fokus.“

I: „Und warum haben Sie es nicht in die Überschrift geschrieben?“

B: „Weil das nicht der Fokus war. Der Fokus war [mein Schwerpunktthema]. Dann fängt man an zu definieren, was das ist und dann war ja eher die Frage: ‚trägt es was zum Klimaschutz bei?‘. Ich sage mal die intrinsische Motivation mich damit zu beschäftigen war [mein Schwerpunktthema] und nicht das Thema Klimaschutz, und deshalb stand es nicht in der Überschrift. […]

Es war [bis Mitte der 2000er Jahre] auch noch nicht so das Thema. Also wenn es damals vielleicht schon das Thema gewesen wäre, hätten wir [unsere Forschung] damit auch schon gelabelt, aber der Ausgangspunkt war schon klar: Wir wollen eine andere Stadt haben. […]

Und letztendlich beschäftigt man sich dann mit dem, womit man sich vorher auch schon beschäftigt hat, nämlich mit der Zukunft [meines Schwerpunktthemas] und dann kriegt das aber durch so eine Fragestellung einen Drall. Ja genau, wie so ein Kreisel, der vielleicht mal so, und dann mal ein bisschen in eine andere Richtung, aber im Prinzip immer noch in die Richtung, die man so hat, [einschlägt].“ (i51)

Die Ausrichtung der eigenen Forschung lässt sich in diesem Fall also als ein Kompromiss zwischen der Interpretation struktureller Relevanzerwartungen und des eigenen Forschungsportfolios verstehen.

Der Einfluss der Fördermittelgeber*innen ist im Jahr 2012 erneut ablesbar, als die Häufigkeit einschlägiger Artikel ihr Allzeithoch erreicht. 61 von 384 planungswissenschaftlichen Artikeln (15,8 Prozent) dieses Jahres lassen sich dem Thema Klimawandel zuordnen. In vielen dieser Artikel werden nun die Ergebnisse der mehrjährigen Drittmittelprojekte vorgelegt. Grundsätzliche Übersetzungsleistungen (bspw. „Klimaanpassung in der Regionalplanung“), wie sie im ersten Aufmerksamkeitshoch dominant waren, sind im Jahr 2012 kaum noch zu verzeichnen, in den Jahren 2013 und 2014 gar nicht mehr. Stattdessen findet eine Ausdifferenzierung zugunsten eines höheren Anteils an lokalen Fallstudien sowie einer stärkeren Spezialisierung auf Teilaspekte (bspw. Biomasse oder Regenwasserbewirtschaftung) statt. Auch verschiebt sich der Fokus auf die Implementierung der in den Vorjahren konzeptionierten Strategien und Regelungsstrukturen einschließlich der damit verbundenen Probleme. Auffällig ist, dass 14 einschlägige Artikel des Jahres 2012 sich anhand des Titels dem Thema Energiewende zuordnen lassen. Ebenfalls ist darauf hinzuweisen, dass das Allzeithoch der einschlägigen, planungswissenschaftlichen Artikel in einen Zeitraum fällt, in dem die Aufmerksamkeitskurve der Politik stark absinkt (siehe Abb. 8.3). Dies deutet auf ein Schließen des policy window in der Planungspolitik bzw. auf ein sinkendes Interesse nach Problemlösungen im Bereich Klimawandel hin.

Es ist zu vermuten, dass die Planungswissenschaft durch den mit der Klimawandelthematik verbundenen Bedeutungsgewinn, der sich bspw. in zahlreichen Auftragsforschungen und Förderprogrammen manifestiert, einen Zugewinn an Ressourcen verzeichnen kann. Gleichzeitig nimmt die Erforschung des Themas in der Fokusphase aber einen großen Teil der fachgemeinschaftlichen Aufmerksamkeit, das heißt der aufgewendeten Ressourcen, in Anspruch. Weil Aufmerksamkeit ein knappes Gut ist, geht der Fokus auf das Thema Klimawandel also zulasten anderer Themen. Heruntergebrochen auf die Akteur*innenebene heißt das, die verstärkte wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Thema Klimawandel führt zur Vernachlässigung anderer Forschungspfade. Die folgende Interviewaussage verdeutlicht dies:

„Wir haben ja vorher auch eine Reihe von planungsnäheren Projekten zum Teil gemacht. Dann kam halt dieses [Projekt mit Klimawandelbezug, mit mehreren Mitarbeiter*innen über mehrere Jahre]. Das war einfach wirklich groß für uns. Damit hat man uns dann auch gut ausgefüllt für eine lange Zeit. Wir haben parallel immer eine ganze Reihe andere Sachen gemacht, aber [das Projekt] war schon so ein großer Brocken.“ (i52)

Diese zwischenzeitliche Schwerpunktsetzung zugunsten des Themas Klimawandel, bei gleichzeitiger Vernachlässigung anderer Themen, ist von den politisch gesteuerten Fördermittelgeber*innen intendiert. Ihr Hauptziel ist allerdings weniger die Veränderung der Schwerpunktsetzung in der Planungswissenschaft, als vielmehr das Setzen des Themas und die Vermittlung von Wissen in Praxis und Politik. Eine Person aus diesem Bereich erklärt dies folgendermaßen:

„Es ging hier nicht um Grundlagenvermittlung, um klassische wissenschaftliche Forschung, sondern darum Forschung an die Akteure in den Regionen und Städten heranzutragen, ihnen Werkzeuge zu liefern und ihnen etwas an die Hand zu geben. Das war zum Teil ein sehr aufwendiger Prozess, weil natürlich trotzdem hier viele Abstimmungsprozesse notwendig waren, die einfach zeit- und ressourcenintensiv waren und auch nicht immer auf Freude gestoßen sind, weil natürlich viele Kollegen hier im Haus das auch nicht so gerne gesehen haben, dass so ein Thema so ganz stark in den Vordergrund tritt, weil ja viele Themen hier im Haus behandelt werden müssen. Aber man muss manchmal einfach mit solchen Mengen powern, um überhaupt ein Thema hoffähig zu machen.“ (i53)

Auch wenn es nicht das primäre Interventionsziel der Fördermittelvergabe ist, stuft die befragte Person deren Wirkung auf die Planungswissenschaft als hoch ein. Diese Wirkung wird grundsätzlich für nötig befunden, was aber nicht ausschließt, dass sie auch kritisch beobachtet wird. So resümiert die befragte Person: „[…] was wir da losgetreten haben, hat Forschung erzeugt, die in vielen Dingen doch sehr oberflächlich geblieben ist“. Dabei habe eine Rolle gespielt, dass die geförderten Forschungsprojekte eine starke Ähnlichkeit untereinander in Bezug auf ihre wissenschaftlichen Inhalte aufgewiesen hätten. Es habe viele Fragestellungen gegeben, die kaum behandelt worden seien, während bestimmte Fragestellungen sich laufend wiederholt hätten:

„Also es ist ein unheimlicher Mainstream gewesen auch, dass man sich bestimmten Fragen widmet. Das war auch ein bisschen so die Schattenseite [der Fördermittelvergabe].“ (i54)

Zusammenfassung und Schlussfolgerungen

In den Artikeln wird das Thema im Jahr 2008 grundsätzlich in das Bezugssystem der Raumplanung sowie in die unterschiedlichen Teilbereiche der planungswissenschaftlichen Disziplin übersetzt. Wissensbedarfe werden formuliert und Forschungsprogramme zu deren Deckung werden entwickelt. Es folgt eine Art fachgemeinschaftliche Arbeitsphase, in der – insbesondere im Zuge der großen Förderprogramme – jenes Wissen produziert wird, das in den Jahren 2010 bis 2012 verstärkt veröffentlicht wird. Inhaltlich geraten grundsätzliche Aufarbeitungen in den Hintergrund und die Umsetzung konkreter Maßnahmen sowie die damit verbundenen Probleme werden vermehrt thematisiert.

Die Etablierung des Themas Klimawandel im Jahr 2007 resultiert in einem Wandel der Anreizstrukturen: Was vor 2007 noch wenig Interesse oder Ablehnung hervorrief, gehört im Jahr 2008 zu den gefragtesten Themen in der Planungspolitik, -praxis und -wissenschaft. Dies führt dazu, dass einschlägig bereits erfahrene Planungswissenschaftler*innen ihre herausgehobene Stellung bezüglich Wissen, Beziehungen und Reputation in Wert setzen können und wollen. Ebenfalls greifen Planungswissenschaftler*innen ohne einschlägige Erfahrung in großer Zahl das Thema erstmals auf und versuchen früh Sichtbarkeit in dem Feld zu erlangen. Eine wichtige Rolle spielen dabei Drittmittel, denn sie ermöglichen den Neulingen die schlagartige Erhöhung ihres sozialen sowie ökonomischen Kapitals, was wiederum für die Wissensproduktion essentiell ist. Umgekehrt fungieren sie als Katalysator für die Einbindung neuer Planungswissenschaftler*innen, deren Kompetenzen und persönliche Beziehungen jetzt der gemeinschaftlichen Wissensproduktion zum Thema Klimawandel zu Gute kommen. Unterschiedliche Grade der Transformation individueller Forschungsbiografien lassen sich dabei beobachten: Während einige Akteur*innen lediglich Schlagworte austauschen, die dahinterliegenden Fragestellungen aber im Rahmen des neuen Themas weiterverfolgen oder ausbauen können, erarbeiten sich andere Akteur*innen das Thema von Grund auf neu.

Das Hochfahren der Wissensproduktion führt dazu, dass in den Jahren 2010 bis 2012 viele Ergebnisse veröffentlicht werden. Die Antworten auf den 2007 identifizierten Wissensbedarf werden also nach drei bis fünf Jahren verstärkt kommuniziert. Die angewandten Forschungsprogramme ermöglichen den Wissensaustausch zwischen Planungspraxis und -wissenschaft und unterstützen die Etablierung des Themas in verschiedenen Bereichen der Raumplanung. Die Fokussierung des Themas Klimawandel ist allerdings auch mit Nachteilen verbunden. Weil Aufmerksamkeit ein knappes Gut ist, geht die Priorisierung mit der vorübergehenden Vernachlässigung anderer Themen einher. Dies ist sowohl auf der Ebene einzelner Akteur*innen als auch in Bezug auf die gesamte Disziplin zu beobachten. Gleichzeitig führt die parallele Bearbeitung ähnlicher Fragestellungen im Rahmen der zahlreichen Forschungsprojekte zu Redundanzen in der Wissensproduktion.

8.4 2013 bis 2014: Normalisierungsphase

Die Ausführungen zur Normalisierungsphase der Themenkarriere Klimawandel können aufgrund der Datenlage nicht in gleichem Maße eingeordnet und bewertet werden, wie die vorangegangenen Jahre. Quantitative Daten liegen nur bis ins Jahr 2014 vor, also nur für zwei Jahre der mutmaßlichen Normalisierungsphase, während die Interviewaussagen aus den Jahren 2017 und 2018 stammen. Diese vorhandenen Daten zeigen deutlich, dass das Thema Klimawandel den Höhepunkt fachlicher Aufmerksamkeit ab dem Jahr 2013 vorläufig überschritten hat. Dies schließt allerdings nicht aus, dass in den Jahren nach 2014 ein erneutes Aufmerksamkeitshoch erreicht werden kann.

Extremwetterereignisse, wie bspw. das Hochwasser in Mitteleuropa Mitte 2013, zeigen der Planungswissenschaft und -politik immer wieder die Relevanz des Themas Klimawandel auf. Die grundsätzliche Bedeutung des Themas wird weiterhin nicht infrage gestellt, wohl aber wird stellenweise die Schwerpunktsetzung innerhalb des Themenfeldes kritisiert. Eine interviewte Person mahnt bspw. die „Rückbesinnung auf die eigene Profession“ der Raumplanung an: Das Wissen über Klimafolgen genüge, demgegenüber seien Kompetenzen im Bereich der rechtlichen und praktischen Umsetzung auszubauen (i55). Der Rückgang der Fördermittel im Bereich Klimawandel (Bruhse 2016: 50) und die Menge einschlägiger Artikel, die in den Jahren 2013 (15) und 2014 (28) nicht mehr an die hohen Zahlen der Vorjahre anknüpft, sind Indikatoren für das Einsetzen einer Normalisierung. Auch innerhalb der Artikel tritt das Thema Klimawandel nun verstärkt in den Hintergrund. Stattdessen nehmen Framings wie Umweltgerechtigkeit, smart cities oder Energiewende mehr Raum ein. Allerdings ist – analog zum Schrumpfungsdiskurs (siehe Kp. 7.5) – zu vermuten, dass das Thema Klimawandel in den aufwändigeren Publikationssegmenten (bspw. Monographien) weiterhin großen Raum einnimmt.

In den Interviews lässt sich eine eindeutige Tendenz der Ermüdung ablesen. Für die Akteur*innen hat das Thema im Rahmen ihrer eigenen Forschungsarbeit aus unterschiedlichen Gründen den Reiz verloren und gleichzeitig erwecken andere Themen ihr Interesse. So berichtet eine Person:

„[Ein bis zwei Jahre nach Projektende] kamen dann eigentlich erst die Abschlusspublikationen von [dem einschlägigen Drittmittelprojekt]. Die sind mehr oder weniger der Ausfluss davon. Auch was wir zuletzt gemacht haben, wir haben jetzt auch ein bisschen geschwenkt, dass wir Klimaanpassung, ich will nicht sagen auslaufen lassen, aber als Forschungsfeld nicht so intensiv weiter verfolgen, weil wir einfach mal andere Sachen machen wollen. [Projekte zu einem bestimmten anderen Thema sind jetzt eher in unserem Fokus.] Wir verstehen das schon auch als einen Beitrag zum Klimaschutz, jetzt nicht ganz so direkt unter dem Label, […] aber das ist momentan unsere Schiene.“ (i56)

Die Aussage bestätigt zum einen die Vermutung, dass das zweite Aufmerksamkeitshoch um das Jahr 2012 ein Resultat der auslaufenden Drittmittelprogramme ist. Zum anderen deutet sie darauf hin, dass die Ermüdung der Aufmerksamkeit bereits zum Zeitpunkt des Peaks eingesetzt hat. Die bereits vorliegenden Ergebnisse der einschlägigen Forschung sollen noch verwertet werden, verfügbare Ressourcen werden aber bereits zugunsten anderer Themen gebündelt.

Die Ermüdung lässt sich auf einen veränderten institutionellen Kontext zurückführen. Für das Erlangen von Reputation, Positionen oder Drittmitteln verliert das Thema an Potenzial. Die große Menge einschlägig forschender Akteur*innen sowie der starke planungswissenschaftliche Output zum Thema erschweren es, einen originellen und nützlichen Beitrag in die kollektive Wissensproduktion einzuspeisen, der von der Fachgemeinschaft auch als solcher wahrgenommen wird. Eine Interviewaussage beschreibt diesen Umstand:

„Mittlerweile hat sich das ja dermaßen breit entwickelt, alle möglichen Leute sind da eingestiegen in die Thematik. Das ist ja vor dem Hintergrund eigentlich überhaupt kein Alleinstellungsmerkmal mehr. Es macht ja fast jeder irgendwas dazu mittlerweile.“ (i57)

Einige Planungswissenschaftler*innen, die das Thema vor dem ersten Durchbruch aufgegriffen haben, konnten im Zuge der Fokusphase ihr wissenschaftliches Kapital stark vermehren und nehmen nun zentrale Positionen im planungswissenschaftlichen Netzwerk ein. Auf dieser Basis können sie eigenständig neue thematische Impulse setzen und sich im Rahmen neuer Themenkarrieren profilieren. Anderen Planungswissenschaftler*innen, die bspw. durch eine Anstellung in einem einschlägigen Drittmittelprojekt begonnen haben, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen, fällt dies weniger leicht. Sie konnten in der Fokusphase zwar epistemisches Kapital in dem Themenfeld erwerben, dieses aber bislang nur partiell in soziales, ökonomisches und politisches Kapital eintauschen. Für sie ist es schwieriger einen anderen Forschungspfad aufzunehmen, worauf die folgende Aussage einer leitenden Person über ihren Lehrstuhl hindeutet:

„Klimaanpassung haben wir momentan ein bisschen auf Sparflamme. Wenn da Anfragen kommen, wenn Projekte kommen, dann haben wir ein, zwei Mitarbeiter, die da auch ein Faible für haben, da würden wir glaube ich reingehen. Aber wir machen momentan keine Akquise.“ (i58)

Das Thema Klimawandel rückt gemäß Interviewaussagen bei Drittmittelanträgen zunehmend in den Hintergrund. Stattdessen nähmen jetzt einige Themen tragende Rollen in den Förderprogrammen ein, die in der Fokusphase als Teilaspekt des Klimawandels verhandelt wurden. Beispielsweise wird von mehreren Personen die wachsende Bedeutung des Themenfeldes Resilienz angesprochen. Dieses wurde im planungswissenschaftlichen Kontext zunächst im Zuge der Fokusphase des Klimawandeldiskurses eingeführt und dort gerahmt. Es weist starke inhaltliche Schnittmengen mit der Dimension der Anpassung an den Klimawandel auf, weshalb das im Klimawandeldiskurs erworbene wissenschaftliche Kapital in hohem Maße übertragbar ist. In den Interviews herrscht Einigkeit darüber, dass das Thema und der Begriff Resilienz nun – bspw. bei Drittmittelanträgen – gegenüber dem Thema Klimawandel in den Vordergrund rückt. Inwieweit es sich bei dieser begrifflich markierten Verschiebung um eine substanzielle Änderung des Forschungsinhalts handelt, wird unterschiedlich bewertet. Im Rahmen der Forschungsbiografien löst die begriffliche Verschiebung in keinem Fall einen Bruch in Bezug auf Kooperationspartner*innen, Methodische Herangehensweisen und institutionelle Rahmenbedingungen aus.

Eine Person betont im Interview zunächst die Vorteile von Brüchen in Forschungsbiografien. Allerdings fällt es ihr angesichts ihrer Wettbewerbsvorteile und der weiterhin vorhandenen Verfügbarkeit von Drittmitteln mittlerweile schwer, einen solchen Bruch selbst zu vollziehen:

„Das heißt, ich hätte auch nichts dagegen nochmal ein völlig anderes Thema hier zu nutzen. Aber man ist natürlich an [einer Forschungseinrichtung] auch immer gebunden, die Drittmittel zu akquirieren. Das heißt also, momentan können wir auch im Bereich Resilienz, Klimawandel, Anpassung gegenüber Extremereignissen relativ gut auf Gelder zugreifen.“ (i59)

Das Thema Klimawandel bleibt Teil des wahrgenommen Forschungsportfolios der befragten Personen. Im planungspraktischen Kontext ist die Nachfrage nach einschlägiger Expertise gemäß Interviewaussagen unvermindert hoch. In den parallel zur wissenschaftlichen Tätigkeit betriebenen Planungsbüros, die im Zuge der Fokusphase das Thema aufgegriffen haben, werden die Kompetenzen – bspw. im Rahmen privatwirtschaftlicher Gutachten – weiterhin abgerufen. Die folgende Interviewaussage aus dem Jahr 2017 verdeutlicht, dass einschlägige Projekte ein konstant wichtiges Marktsegment darstellen:

„Mittlerweile hat [das Büro] 20 […] Klimaschutzkonzepte gemacht […]. Das ist ein totaler Markt geworden für das Büro.“ (i60)

Im Rahmen der privatwirtschaftlichen Aktivitäten hat mittlerweile eine gewisse Routine eingesetzt. Das heißt, im Vergleich mit den ersten einschlägigen Projekten können Aufträge nun, acht bis zehn Jahre später, aufgrund der erworbenen, einschlägigen Kompetenzen mit stark verringertem Aufwand erfüllt werden. Gleichzeitig sind die darin entstehenden Erkenntnisse für die Wissenschaft nur noch von geringem Wert. Teilweise stellt die privatwirtschaftliche Tätigkeit sogar ein Hindernis für die wissenschaftliche Erkenntnisproduktion dar, wie die Aussage einer anderen Person belegt:

„Es ist glaube ich einfach auch eine Frage der Zeit. Also um sich in ein Thema einzuarbeiten, braucht man Zeit und Muße, sich mal hinzusetzen, vielleicht auch mal zwei Wochen lang nur Literatur anzugucken, mit anderen Wissenschaftlern nochmal in den kritischen Diskurs zu treten, Vorträge zu halten, sich Rückmeldungen zu holen. Das ist jetzt in den letzten Jahren auch so ein bisschen auf der Strecke geblieben. Und wir haben jetzt auch viele Projekte gemacht, wo wir gar nichts veröffentlicht haben, weil das nächste schon wieder anstand, die nächsten Abgabetermine und es ist auch ein bisschen schade. Im Grunde ist es auch eine Zeitfrage.“ (i61)

Im wissenschaftlichen Kontext fokussieren die befragten Personen nun wieder vermehrt andere Themen, wobei jeweils eine gewisse Übertragbarkeit des erworbenen Kapitals gegeben ist. Insbesondere der – teilweise schon vor dem Aufgreifen des Themas vorhandene – individuelle Schwerpunkt im Rahmen des Klimawandeldiskurses (bspw. Vulnerabilität oder Planungsrecht) wird weiterverfolgt. Bei einigen Akteur*innen rücken neue Schlagworte bzw. Themen (bspw. Resilienz) in den Vordergrund, während sich bei anderen Akteur*innen anhand der Publikationstitel eher eine Rückbesinnung auf früh vorhandene Forschungsfragen abzeichnet.

Das Urteil bezüglich des weiteren Forschungsbedarfs fällt differenziert aus. Die befragten Personen sehen aktuell wichtige und dringliche Fragestellungen primär in der rechtlichen und praktischen Umsetzung von klimawandelbezogenen Maßnahmen im Handlungsfeld der Raumplanung. Einigkeit besteht bezüglich der langfristigen Relevanz des Themas. Dies sollen zwei Zitate exemplarisch verdeutlichen:

„Also ich halte diese Dringlichkeit für extrem hoch, weil ich der Meinung bin, dass das Zwei-Grad-Ziel unbedingt erfüllt werden muss.“ (i62)

„Wenn ich mir so angucke, wie oft ich in der Lehre und auch in Vorträgen diese Schleife über den Klimawandel, CO2-Problematik und Zwei-Grad-Ziel […], wie oft ich das als Begründung dafür nehme, dann zu sagen: ‚im ÖPNV heißt es das‘ und ‚bei Mobilitätsmanagement heißt es das‘ und ‚für die Veränderung der Stadt heißt es das‘…“ (i63)

Beide Aussagen stammen von Personen, die ihre Forschungstätigkeit mit explizitem Bezug zum Thema Klimawandel seit dem Jahr 2014 reduziert haben.

Das Verhältnis des Themas Klimawandel zur fachöffentlichen Aufmerksamkeit hat sich gewandelt. Es wird nun leichter Interesse erwecken als Themen, die noch keine Karriere durchlaufen haben. Dafür spricht etwa die materielle Institutionalisierung des Themas. Es ist seit 2008 im Raumordnungsgesetz und seit 2011 im Baugesetzbuch und wurde dort mehrfach angepasst. Im Jahr 2017 ist es im Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung zentral verankert worden. Darüber hinaus manifestiert sich das Thema mehr und mehr in Planwerken, strategischen Leitbildern oder auch durch die eingesetzten Klimabeauftragten in vielen Kommunen. Insbesondere in großen Städten ist das Thema bereits weitgehend in alltägliche Routinen integriert, wie eine Person im Interview konstatiert:

„Die haben da sehr elaborierte Analysen und auch Strategien mittlerweile. Das hat sich geändert gegenüber der Anfangsphase, wo wir auch gerade große Städte hatten […]. Aber die sind mittlerweile gut aufgestellt, für sie ist das Thema durch.“ (i64)

Hier kommt der starke Anwendungsbezug der Planungswissenschaft zum Tragen: Zunächst entsteht eine Problemwahrnehmung, dass Maßnahmen im Bereich Klimawandel ergriffen werden können und müssen. Schließlich werden Maßnahmen entwickelt, umgesetzt und reflektiert, was dazu führt, dass das identifizierte Problem als gelöst gilt, was wiederum mit einem Absinken der planungswissenschaftlichen Aufmerksamkeit einhergeht.

Anhand der verstärkten Aufmerksamkeit gegenüber dem Thema Energiewende ab dem Jahr 2010 lässt sich die zyklische Entwicklung von planungswissenschaftlichen Themen veranschaulichen. Das Thema geht zwar diskursiv aus der Karriere des Themas Klimawandel hervor, jedoch wird zunehmend auf eine Kontextualisierung im Klimawandeldiskurs verzichtet. Ungeachtet dessen werden hier Inhalte transportiert, die im Kontext des Themas Klimawandel überhaupt erst Aufmerksamkeit erhalten haben. Hier schließt sich ein Kreis: In der Latenzphase und der Durchbruchphase kann das Thema Klimawandel auf etablierte Diskurse aufsatteln (bspw. Nachhaltigkeit, Katastrophenvorsorge), spielt aber in diesen Diskursen eine untergeordnete, ergänzende Rolle. In der Fokusphase gelangt das Thema Klimawandel und der Umgang damit selbst in den Fokus der Beiträge. Verschiedene Fragestellungen und Fachbereiche (bspw. Vulnerabilität, Mobilität) werden nun mit dem fokussierten Thema verknüpft, was ihnen fachgemeinschaftliche Resonanz sichert. In der Normalisierungsphase koppeln sich wiederum zwischenzeitliche Subthemen (bspw. Resilienz, Energiewende) vom Thema Klimawandel ab und gelangen teilweise selbst in den Fokus. Ungeachtet dessen werden viele der in der Fokusphase angestoßenen Diskussionen in der Normalisierungsphase fortgeführt. Das Thema Klimawandel hat scheinbar seine werbende Wirkung verloren. Zudem darf nun ein deutlich erhöhtes Wissen seitens der Fachgemeinschaft vorausgesetzt werden, sodass offenbar auf die Erläuterung zentraler Aspekte des Themas verzichtet werden kann und die Relevanz bestimmter Fragestellungen nun auch ohne Explizitmachung der Klimawandelproblematik hergestellt werden kann.

Zusammenfassung und Schlussfolgerungen

Die Häufigkeit einschlägiger Artikel kann in den Jahren 2013 und 2014 nicht an die hohen Zahlen der Vorjahre anknüpfen. Auch wird deutlich, dass die interviewten Personen sich nun verstärkt anderen Themen zuwenden. Innerhalb der einschlägigen Artikel wird das Thema Klimawandel zum Kontext für (ehemalige) Subthemen, die nun eine eigene Karriere erleben.

Es hat ein abermaliger Wandel des institutionellen Kontexts stattgefunden: Um neue Wissensansprüche zu markieren, Drittmittel zu generieren und an Einfluss zu gewinnen werden jetzt andere Themen als vielversprechend wahrgenommen. Dabei ist die gewachsene Konkurrenz ein entscheidender Punkt: Einschlägige Expertise ist kein Alleinstellungsmerkmal mehr, sodass es schwierig geworden ist, sich im planungswissenschaftlichen Netzwerk durch neue Erkenntnisse zum Thema Klimawandel zu profilieren. Gleichzeitig verfügen die einschlägigen Akteur*innen in keinem anderen Diskurs über so viel wissenschaftliches Kapital. Sie investieren dieses nun seltener mit explizitem Bezug zum Thema Klimawandel, sondern verstärkt in anderen Diskursen, die allerdings bezüglich Inhalt und Akteur*innen starke Schnittmengen mit dem Klimawandeldiskurs aufweisen.

8.5 1995 bis 2014: Quantitative Gesamtbetrachtung

Analog zu Abb. 7.3 werden vier quantitative Indikatoren über die Themenkarriere Klimawandel 1995–2014 in Abb. 8.5 zusammen betrachtet:

  1. 1.

    Die Anzahl des Strings *klima* im Volltext der Zeitschriften ARL-FB, disP, IzR, Raum, RuR in dem jeweiligen Jahr;

  2. 2.

    Die Anzahl der als einschlägig identifizierten Artikel in den Zeitschriften ARL-FB, disP, IzR, PLANERIN, RAUM, RaumPlanung und RuR;

  3. 3.

    Die Anzahl der einschlägigen Artikel aus 2., die den String *klima* im Titel tragen;

  4. 4.

    Die Anzahl der Incitations, das heißt der Zitationen aus den einschlägigen Artikeln der Folgejahre, die auf Publikationen des jeweiligen Jahres entfallen.

Die Werte werden in Prozent der jeweiligen Gesamtanzahl 1995–2014 dargestellt, sodass die Kurven die relative Häufigkeit der jeweiligen Werte bezogen auf den Gesamtzeitraum darstellen und sich besser vergleichen lassen.

Abb. 8.5
figure 5

(Quelle: Eigene Erhebung auf Basis der planungswissenschaftlichen Zeitschriften 1995–2014)

Relative Häufigkeitsverteilungen der Themenkarriere Klimawandel 1995–2014

Abb. 8.5 zeigt nach relativ konstanten Häufigkeitsverteilungen bis ins Jahr 2007 einen schlagartigen Durchbruch. Im Vorfeld des Durchbruchs, in den Jahren 2006 und 2007 vollzieht die Zitationskurve einen Anstieg, der darauf hindeutet, dass hier bereits eine Fundierung der späteren fachgemeinschaftlichen Fokussierung erfolgt. Das heißt, kurz vor dem ersten Aufmerksamkeitshoch werden bereits politische und wissenschaftliche Grundlagen veröffentlicht, die für den anschließend einsetzenden planungswissenschaftlichen Diskurs von Bedeutung sind. Im Jahr 2008 bzw. 2009 ist ein erstes Aufmerksamkeitshoch zu beobachten, dem ein dreijähriges Zwischentief folgt. In den Jahren 2012 und 2013 erreichen die Kurven, mit Ausnahme der Zitationskurve, ihr vorläufiges Allzeit-Hoch. 18,1 Prozent der einschlägigen Artikel werden im Jahr 2012 veröffentlicht und 18,4 Prozent der Wortnennungen im Volltext sind im Jahr 2013 zu verzeichnen. Die Anzahl einschlägiger Artikel, die *klima* im Titel führen, ist mit jeweils 21,9 Prozent im Jahr 2008 und 2012 gleichermaßen hoch. Nach dem zweiten Peak der Aufmerksamkeit verzeichnen alle Kurven ein Absinken im Folgejahr (2013 bzw. 2014).

Die Entwicklung der Anzahl einschlägiger Artikel ist in Tab. 8.3 dargestellt und anhand der Zeitschriften aufgeschlüsselt, sodass sich die Datengrundlage sowie die Häufungen in den jeweiligen Jahren und erhobenen Zeitschriften nachvollziehen lassen. Einschlägige Artikel nehmen mit 11,8 Prozent bzw. 15,7 Prozent aller veröffentlichten Artikel in den Jahren 2008 bzw. 2012 den größten Raum ein. In der untersten Zeile sind die Anteile einschlägiger Artikel an der Gesamtartikelzahl der jeweiligen Zeitschrift abgetragen. Im Vergleich der Zeitschriften wird deutlich, dass Klimawandelbeiträge in den ARL-FB mit Abstand den meisten Raum einnehmen (12,4 Prozent). Mit ca. 7 Prozent der jeweiligen Gesamtartikelzahl folgen die PLANERIN und die RaumPlanung. In den anderen Zeitschriften erreichen einschlägige Artikel einen Wert von jeweils unter 3 Prozent. Diese Anteile einschlägiger Artikel weisen eine starke Ähnlichkeit zum Schrumpfungsdiskurs auf (siehe Tab. 7.3). Die drei Zeitschriften ARL-FB, PLANERIN und RaumPlanung scheinen also ein besonders geeignetes Forum für die beiden Themenkarrieren und deren Protagonist*innen zu bieten. Dies lässt sich zum Teil durch die hier vorliegende, vergleichsweise starke Orientierung an aktuellen Wissens- und Handlungsbedarfen der Planungspraxis (siehe Kp. 6.3.2) erklären. Demgegenüber lassen die wissenschaftlich orientierten Zeitschriften – angesichts ihrer stärkeren Gewichtung methodischer und theoretischer Fundierungen – grundsätzlich weniger Raum für die Verhandlung prävalenter und praktischer Themen.

Tab. 8.3 Absolute Häufigkeiten von Artikeln zum Thema Klimawandel 1995–2014

In Abb. 8.6 sind die absoluten Häufigkeiten einschlägiger Artikel abgetragen, wobei die Zeitschriften gemäß ihrer Charakteristika (siehe Kp. 6.3.2) sortiert und visualisiert sind: Die PLANERIN, die RaumPlanung und die RAUM mit der stärksten Praxisorientierung übereinander, es folgen die IzR an der Schnittstelle zwischen Wissenschaft und Politik, die disP und die RuR als stark wissenschaftlich ausgerichtete Zeitschriften und oben die bezüglich ihres Formats besonders exponierten ARL-FB.

Abb. 8.6
figure 6

(Quelle: Eigene Erhebung auf Basis der planungswissenschaftlichen Zeitschriften 1995–2014)

Anzahl der Artikel zum Thema Klimawandel, aufgeschlüsselt nach Zeitschriften 1995–2014

Zunächst ist auf die Thematisierung des Klimawandels im Kontext des Nachhaltigkeitsdiskurses in den Jahren 1995 bis 1998 hinzuweisen (siehe Abb. 8.6). Insbesondere in der PLANERIN nimmt dieser Diskurs Raum ein. In der Latenzphase der 2000er Jahre stellen die ARL-FB das wichtigste Medium für die Thematisierung des Klimawandels im Rahmen der Katastrophenvorsorge dar. Gleichzeitig spielen die ARL-FB während des ersten Aufmerksamkeitshochs gar keine Rolle als Veröffentlichungsmedium, sondern erst wieder in den Jahren 2011 bis 2013, in denen sie maßgeblichen Anteil an dem zweiten Aufmerksamkeitshoch haben. Auffällig ist, dass die Abschlusspublikationen des 2007 gegründeten Arbeitskreises „Klimawandel und Raumplanung“ (siehe Kp. 8.2, Birkmann et al. 2013) erst veröffentlicht wird, als die Artikelzahlen der übrigen Zeitschriften von 52 (2012) auf 15 (2013) sinken, sodass ein Drittel der einschlägigen Artikel im Jahr 2013 in den ARL-FB erscheinen. Die PLANERIN veröffentlicht im Vergleich der Zeitschriften insgesamt die meisten einschlägigen Artikel (38 Prozent), was insbesondere in der Fokusphase ins Gewicht fällt. Sie weist nach der IzR und der RAUM die stärkste Fokussierung auf, das heißt die stärkste Ballung einschlägiger Artikel in dem Zeitraum 2008 bis 2012 gegenüber dem Gesamtzeitraum innerhalb der jeweiligen Zeitschrift. In der PLANERIN fallen 66 Prozent aller einschlägigen Artikel in den Zeitraum der Fokusphase, in der RAUM 70 Prozent und in der IzR 86 Prozent (siehe Abb. 8.7).

Abb. 8.7
figure 7

(Quelle: Eigene Erhebung auf Basis der planungswissenschaftlichen Zeitschriften 1995–2014)

Relative Häufigkeit einschlägiger Artikel eines Jahres bezogen auf die Gesamtzahl einschlägiger Artikel in der jeweiligen Zeitschrift 1995–2014 (Thema Klimawandel)Footnote

Die Zeitschriften mit den niedrigsten Fallzahlen (disP, RuR und RAUM) wurden für diese Analyse außen vor gelassen, weil hier bereits einzelne Artikel zu starken Ausschlägen der Kurve führen.

Für Abb. 8.8 gelten dieselben Erläuterungen wie für Abb. 7.6. Im Kern geht es darum, zu analysieren, in welchen Jahren besonders relevante – das heißt in der nachfolgenden Wissensproduktion zum Thema Klimawandel häufig verwendete – Erkenntnisse produziert werden. Die graue Kurve – Incitations aus allen Artikeln der RuR – wird als Indikator für die gleichmäßig verteilte, planungswissenschaftliche Erkenntnisproduktion als Ganzes genommen. Die hellblaue Kurve stellt die tatsächliche Verteilung der auf die Veröffentlichungen des abgetragenen Jahres eingehenden Zitationen aus einschlägigen Artikeln dar. Sie entfallen allein aufgrund der Häufung von Outcitations in den letzten sieben Jahren des Untersuchungszeitraums (siehe Balken im Hintergrund) tendenziell auf jüngere Publikationen. Die dunkelblaue Kurve stellt deshalb zur Einordnung den entsprechend der Häufungen einschlägiger Outcitations gewichteten Verlauf der themenunabhängigen Incitations der RuR dar. Alle RuR-Zitationen aus dem Jahr 2012 – dem Allzeithoch der einschlägigen Outcitations – werden bspw. mit dem Faktor 0,21 multipliziert, weil 21 Prozent aller einschlägigen Outcitations in diesem Jahr getätigt wurden. Outcitations aus dem Jahr 1999 werden dagegen mit dem Faktor 0 belegt und entfallen, weil in diesem Jahr keine einschlägigen Zitationen vorliegen. Weil der Klimawandeldiskurs jünger als der Schrumpfungsdiskurs ist, liegt der Höhepunkt dieser dunkelblauen Kurve gegenüber jenem der dunkelroten Kurve in Abb. 7.6 weiter rechts.

Abb. 8.8
figure 8

(Quelle: Eigene Erhebung auf Basis der planungswissenschaftlichen Zeitschriften 1995–2014)

Analyse der Zitationen von Artikeln zum Thema Klimawandel gegenüber den Zitationen aller Artikel

Die Differenz der beiden blauen Kurven, also die über- bzw. unterdurchschnittlich referenzierten Jahrgänge im Klimawandeldiskurs, lässt sich als ein Indikator dafür nehmen, in welchen Jahren Wissen produziert wurde, das über- bzw. unterdurchschnittlich relevant für den Klimawandeldiskurs der Folgejahre war. Nachdem sich die beiden Kurven bis ins Jahr 1995 kaum unterscheiden, entsteht in den Jahren 1996 und 1997 eine Differenz. Das in diesem Zeitraum publizierte Wissen war von besonderer Bedeutung für die Thematisierung des Klimaschutzes im Kontext der Nachhaltigkeitsdebatte (siehe Kp. 8.1). In den Jahren 1999 bis 2006 wurde vergleichsweise wenig einschlägig relevantes Wissen veröffentlicht (siehe Abb. 8.8).

Im Jahr 2006 setzt ein starker Anstieg der hellblauen Kurve ein, der von einem äußerst markanten Allzeithoch in den Jahren 2007 und 2008 gefolgt ist. Die Differenz zwischen den beiden blauen Kurven ist gleichzeitig am größten. Es wird also in diesen Jahren Wissen veröffentlicht, das sich für den Klimawandeldiskurs als außerordentlich nützlich erweist. Wird nun dieser Nutzen vor dem Hintergrund der Verteilung einschlägiger Artikel (Balken) als Indikator für den wissenschaftlichen Aufwand, der für die Produktion einschlägiger Erkenntnisse betrieben wird, betrachtet, so lässt sich auf die Effizienz der wissenschaftlichen Arbeit schließen. Es fällt auf, dass im Jahr 2007, dem Jahr des Durchbruchs, deutlich weniger einschlägig veröffentlicht wird als im Jahr 2008, dem ersten Aufmerksamkeitshoch. Die Wissensproduktion wird also im Jahr 2008 hochgefahren, die Menge relevanter, neuer Erkenntnisse in beiden Jahren bleibt aber konstant. In den Folgejahren gleichen sich die Kurven an, was angesichts des hohen wissenschaftlichen Outputs, insbesondere im Jahr 2012, auf ein sinkendes Aufwand-Nutzen-Verhältnis schließen lässt. Allerdings verlieren die Kurven mit zunehmender Nähe zum Ende des Untersuchungszeitraums an Aussagekraft: Zum einen lässt sich die Relevanz neuer Erkenntnisse erst nach mehreren Jahren einstufen und zum anderen sinken die akkumulierten Fallzahlen mit jedem Jahr, bis schließlich im Jahr 2014 nur noch Zitationen aus den Veröffentlichungen des selben Jahres berücksichtigt werden können.

Tab. 8.4 zeigt die in den einschlägigen Artikeln (1995 bis 2014) meistzitierten Veröffentlichungen. Auch hier wird die herausgehobene Stellung der Jahre 2007 und 2008 deutlich. Zudem lässt sich die hohe Bedeutung externer Impulse für die Planungswissenschaft erkennen: Unter den 17 meistzitierten Veröffentlichungen finden sich nur fünf originär planungswissenschaftliche Publikationen, sowie eine BBR-Studie mit Beteiligung einiger Planungswissenschaftler (vgl. Gruehn et al. 2008; siehe Kp. 8.3) und eine PIK-Studie (vgl. Zebisch et al. 2005; siehe Kp. 8.1).

Tab. 8.4 Meistzitierte Veröffentlichungen aus allen Artikeln zum Thema Klimawandel

Tab. 8.5 zeigt, wie viele Jahre zwischen den zitierenden Artikeln (Outcitations) und den zitierten Publikationen (Incitations) liegen. Neben den Jahren ist zunächst die durchschnittliche Zeitspanne zwischen Out- und Incitation abgetragen. Es zeigt sich, dass zu Beginn der Fokusphase, in den Jahren 2008, 2009 und 2010, tendenziell jüngere Publikationen zitiert werden. Dies verdeutlicht, dass bereits unmittelbar vor dem ersten Aufmerksamkeitshoch (2008) ein Wissensfundament geschaffen wurde, das sich in der Fokusphase – im Vergleich mit älteren Publikationen – als besonders nützlich für die Erkenntnisproduktion erweist. In den weiteren Spalten sind die absoluten Häufigkeiten der auf die jeweiligen Jahre entfallenen Zitationen abgetragen. Die Farbgebung bemisst sich nach der relativen Häufigkeit, das heißt dem Anteil der absoluten Häufigkeit eines Feldes gegenüber der Summe der Incitations derselben Zeile. Im Jahr 2007 werden bspw. 20 Mal Publikationen aus dem Jahr 2007 zitiert, was einer relativen Häufigkeit von 11 Prozent entspricht. Im Jahr 2012 werden 73 Mal Publikationen aus dem Jahr 2007 zitiert, was aufgrund des vielfach höheren einschlägigen Zitationsaufkommens des Jahres 2012 gegenüber dem Jahr 2007 nur eine relative Häufigkeit von 8 Prozent ergibt. Es ist weiterhin eine rote Rahmenmarkierung zu sehen. Sie markiert die Bezüge auf das Jahr 2007 und soll verdeutlichen, dass in der Fokusphase primär Erkenntnisse verwendet werden, die während des Durchbruchs oder in den Folgejahren (alle Zellen links der Markierung) produziert worden sind. 2008, 2009 und 2010 resultiert daraus eine zeitliche Verdichtung. 2014, sieben Jahre nach dem Durchbruch, sind die Incitations dagegen wieder gleichmäßiger (auf mittlerweile acht Jahre) verteilt.

Tab. 8.5 Zeitlicher Abstand zwischen einschlägigen Outcitations und Incitations

Abb. 8.9 bis Abb. 8.14 zeigen das Entstehen der Gigantischen Komponente des Ko-Publikationsnetzwerks zum Thema Klimawandel. Dabei sind die akkumulierten Verbindungen zu fünf Zeitpunkten abgetragen: 1998 (Abb. 8.9), 2001 (Abb. 8.10), 2004 (Abb. 8.11), 2007 (Abb. 8.12), 2009 (Abb. 8.13) und 2014 (Abb. 8.14). Anhand der sechs Abbildungen lassen sich jeweils Transformationen der Netzwerkstruktur ablesen, die für die Entstehung des Themas Klimawandel bedeutend waren.

Das Ko-Publikationsnetzwerk setzt sich aus den Autor*innen einschlägiger Artikel sowie deren Ko-Autor*innen zusammen. Die in den einschlägigen Artikeln zitierten Publikationen werden Teil des Netzwerks, sofern eine*r der Autor*innen einschlägiger Artikel daran beteiligt ist. Auf diese Weise werden alle wichtigen einschlägigen Publikationen der deutschsprachigen Planungswissenschaft Teil der Analyse, nicht aber systemexterne Veröffentlichungen, wie bspw. die des IPCC.

Die Knoten sind ab dem Jahr ihres ersten erstmaligen Auftretens im Klimawandeldiskurs abgetragen. Ihre Größe und Position resultiert aus allen akkumulierten Kanten (1976 bis 2014). Die Größe der Knoten repräsentiert ihre betweenness-Zentralität am Ende des Untersuchungszeitraums, die Kantenstärke zeigt das summierte Gewicht der Ko-Autorenschaften adjazenter Knoten. Die Grafiken wurden mit dem Force Atlas 2 Algorithmus erstellt. Um die zentralen Akteur*innen und ihre Verbindungen sichtbar machen zu können, wurden besonders Grad-zentrale Akteur*innen mit Hilfe des Noverlap-Algorithmus auseinander geschoben. Die Farben repräsentieren Modularitätsklassen im Jahr 2014, also Teilgruppen, die am Ende des Untersuchungszeitraums untereinander stärker miteinander verbunden sind als mit den Knoten anderer Teilgruppen.

Hintergrundinformation zu Abb. 8.9 bis 8.14

Datengrundlage: Alle Ko-Autorenschaften der 337 einschlägigen planungswissenschaftlichen Artikel sowie der darin zitierten Veröffentlichungen, an denen mindestens eine*r der 443 Autor*innen der einschlägigen Artikel beteiligt ist. Es ergibt sich ein Graph mit 1.036 Knoten und 4.750 Kanten.

Filter: Betrachtet wird nur die Gigantische Komponente. Diese umfasst 633 Knoten und 3.546 Kanten.

Knotenfarbe: Modularitätsklassen (Berechnung mit Auflösung 1,0, 20 Klassen (nicht alle farblich hervorgehoben)

Knotengröße: Betweenness-Zentralität bzw. in Abb. 8.14 gewichtete Grad-Zentralität

Kantenstärke: Summiertes Gewicht der Ko-Autorenschaften adjazenter Knoten (gewichtet nach Anzahl der Ko-Autor*innen (von 2 Ko-Autor*innen->Faktor 0,5, bis 31 Ko-Autor*innen-> Faktor 0,032)

Darstellung: Gephi, Algorithmus: Force Atlas 2 und Noverlap

Quelle: Eigene Erhebung auf Basis der planungswissenschaftlichen Zeitschriften 1995-2014

Abb. 8.9
figure 9

Das Ko-Publikationsnetzwerk zum Thema Klimawandel 1976–1998 (Knoten: 100, Kanten: 202, DichteFootnote

Abgetragen ist die Dichte der Gigantischen Komponente. Als Berechnungsgrundlage für die Dichte wird die Anzahl der Knoten des Jahres 2014 gewählt. Das heißt, die Anzahl verbundener Knotenpaare des jeweiligen Jahres – hier 1998 – wird durch die Anzahl möglicher Knotenverbindungen des Jahres 2014 geteilt. Auf diese Weise werden Vergleiche der Dichtewerte unterschiedlicher Jahre aussagekräftiger als würde die Knotenzahl des jeweiligen Jahres zu Grunde gelegt, weil die von Jahr zu Jahr zunehmende Knotenzahl zu einer exponentiell steigenden Anzahl aller möglichen Knotenverbindungen führt.

: 0,001 (Knotengröße: Betweenness-Zentralität))

Im Jahr 1998 sieht man mehrere unverbundene Subkomponenten auf der linken Bildhälfte, die sich teilweise um einen Gatekeeper gruppieren (siehe Abb. 8.9). Sie setzen sich inhaltlich mit dem Thema Nachhaltigkeit auseinander, jeweils mit unterschiedlichen Schwerpunkten, wie bspw. Fürst (Regionalplanung), Adam (Raumentwicklung), Beckmann (Mobilität), Burde (Wasser). Am rechten Bildrand sind in blau Stock und Toth zu sehen, die 1996 die Brandenburgstudie veröffentlicht haben. Zwischen diesen beiden Polen, dem Nachhaltigkeitsdiskurs und der ersten Analyse regionaler Auswirkungen des Klimawandels des PIK, entsteht der Diskurs um die Anpassung an den Klimawandel.

Abb. 8.10
figure 10

Das Ko-Publikationsnetzwerk zum Thema Klimawandel 1976–2001 (Knoten: 162, Kanten: 763, Dichte: 0,004 (Knotengröße: Betweenness-Zentralität))

Im Jahr 2001 kommt der bis 2014 betweenness-zentralste Akteur Greiving (grün, rechts) hinzu (siehe Abb. 8.10). Er knüpft durch seine Beteiligung an dem ARL-Positionspapier Flächenhaushaltspolitik (1999) an den Nachhaltigkeitsdiskurs an. Ebenfalls sichtbar vernetzende Funktion haben die ARL-FB „Nachhaltigkeitsprinzip in der Regionalplanung. Handreichung zur Operationalisierung“ (lila, oben links).

Abb. 8.11
figure 11

Das Ko-Publikationsnetzwerk zum Thema Klimawandel 1976–2004 (Knoten: 230, Kanten: 925, Dichte: 0,005 (Knotengröße: Betweenness-Zentralität))

Im Jahr 2004 kommen Birkmann (blau, oben) und Knieling (grau, mittig) hinzu (siehe Abb. 8.11). Knieling hat, ähnlich wie Fürst, primär zu den Themen Regionalplanung und regionale Kooperation veröffentlicht und dabei auch die Nachhaltigkeitsdebatte aufgegriffen. Birkmann hat bis ins Jahr 2003 zum Thema Nachhaltigkeitsindikatoren publiziert und dazu im Jahr 2003 promoviert. Im Jahr 2004 wechselt er an die United Nations University Bonn und veröffentlicht in den Folgejahren primär zum Thema Vulnerabilität. Wie sich anhand ihrer betweenness-Zentralität (Knotengröße) zeigt, erhalten Knieling, Birkmann und Greiving im weiteren Verlauf der Themenkarriere Maklerfunktionen. Während Knieling zentrale Bereiche des planungswissenschaftlichen Netzwerks mit dem Klimawandeldiskurs verknüpft, binden Birkmann und Greiving auch internationale Ko-Autor*innen ein, sodass ihre Position randständiger ist.

Abb. 8.12
figure 12

Das Ko-Publikationsnetzwerk zum Thema Klimawandel 1976–2007 (Knoten: 362, Kanten: 1.576, Dichte: 0,008 (Knotengröße: Betweenness-Zentralität))

Das Jahr 2007 weist die höchste Vernetzungsdynamik im gesamten Untersuchungszeitraum auf (siehe Abb. 8.12): Nachdem die Anzahl der Kanten innerhalb der Gigantischen Komponente in den fünf Jahren vor 2007 insgesamt 42,6 Prozent zugenommen hat, nimmt sie jetzt innerhalb eines Jahres um 45 Prozent zu. Die Dichte des Gesamtnetzwerks erhöht sich im Jahr 2007 um 100 Prozent (auf 0,004) und die der Gigantischen Komponente um 60 Prozent (auf 0,008). Diese Verdichtung ist besonders bemerkenswert, weil die Artikelzahlen des Jahres 2007 noch deutlich geringer ausfallen als jene der Folgejahre (siehe Tab. 8.3). Auch qualitativ sind Sprünge zu verzeichnen. Insbesondere das Positionspapier des ARL-Ad-hoc-Arbeitskreises „ARL Stellungnahme zum EU-Grünbuch ‚Anpassung an den Klimawandel in Europa’“ verknüpft unter anderem Birkmann, Fleischhauer (türkis, links neben Greiving), Knieling und Stock. Fleischhauer und Stock waren die ersten Akteur*innen, die das Thema Klimawandelanpassung explizit und systematisch aufgegriffen haben, allerdings war ihre Position bislang relativ isoliert. Knieling und Birkmann dagegen sind bereits gut im Vulnerabilitäts- und Nachhaltigkeitsdiskurs vernetzt, sie hatten aber bislang keine Publikation mit explizitem Klimawandelbezug. Neu hinzugekommen ist Schanze von der TU Dresden (rosa, oben rechts), dessen Schwerpunkt Hochwasserschutz ist (siehe Abb. 8.12).

Abb. 8.13
figure 13

Das Ko-Publikationsnetzwerk zum Thema Klimawandel 1976–2009 (Knoten: 473, Kanten: 2.231, Dichte: 0,011 (Knotengröße: Betweenness-Zentralität))

In den Jahren 2008 und 2009 kommen zahlreiche Akteur*innen neu hinzu, die das Thema Klimawandelanpassung aufgreifen (siehe Abb. 8.13). Sie ordnen sich größtenteils zwischen den betweenness-zentralen Akteur*innen ein, sodass hier – wo vor 2007 keine Knoten und Kanten zu sehen waren – ein stark verdichteter Bereich entsteht. Dieser blaue Cluster ist untereinander stark vernetzt und umringt von betweenness-zentralen Akteuren, die das Netzwerk mit dem übrigen Netzwerk verknüpfen – wie erst jetzt zunehmend erkennbar wird.

In den Jahren 2010 bis 2014 findet primär eine Verdichtung des Netzwerks statt (siehe Abb. 8.14). Zwar kommen noch 160 Akteur*innen hinzu, diese können aber keine herausgehobene Position mehr einnehmen. Da die betweenness-Zentralitäten des Jahres 2014 bereits in den vorangegangenen Abbildungen dargestellt sind, wird in Abb. 8.14 nun die gewichtete Grad-Zentralität zur Bemessungsgrundlage für die Knotengröße gewählt. Sie zeigt die Summe der gewichteten Ko-Autorenschaften an. Die Differenz der Knotengröße fällt bei Fleischhauer am größten aus. Er hat viel publiziert und kooperiert (= > hohe Grad-Zentralität), verbindet aber primär Akteur*innen, die (mittlerweile) ohnehin gut vernetzt sind, sodass er keine Maklerfunktion einnimmt (= > vergleichsweise niedrige betweenness-Zentralität). Auch bei den mittig positionierten Akteur*innen, also jenen, die erst im Zuge der Fokusphase Teil des Netzwerks wurden, sind einige Knoten nun größer dargestellt. Sie sind also innerhalb des themenspezifischen Netzwerks der Fokusphase sehr gut vernetzt, verfügen aber darüber hinaus über kaum exklusive Kontakte im Klimawandeldiskurs.

Abb. 8.14
figure 14

Das Ko-Publikationsnetzwerk zum Thema Klimawandel 1976–2014 (Knoten: 633, Kanten: 3.546, Dichte: 0,018 (Knotengröße: Gewichtete Grad-Zentralität))

Die sprunghafte Herausbildung der Gigantischen Komponente im einschlägigen Ko-Publikationsnetzwerk, die von Bettencourt et al. (2009: 214) als zentraler Indikator für die Entstehung eines wissenschaftlichen Feldes identifiziert wird (siehe Kp. 2.3), findet im Jahr 2007 statt. Um dies zu veranschaulichen, wird in Abb. 8.15 der Anteil der Knoten der Gigantischen Komponente gegenüber den Knoten des gesamten Graphen auf einer Zeitachse abgetragen. Der sprunghafte Anstieg von 10,9 Prozent, die im Jahr 2006 in der größten Netzwerkkomponente verbunden sind, auf 29,3 Prozent, die im darauf folgenden Jahr 2007 die Gigantische Komponente bilden, ist deutlich erkennbar.

Abb. 8.15
figure 15

(Quelle: Eigene Erhebung auf Basis der planungswissenschaftlichen Zeitschriften 1995–2014)

Entwicklung der Gigantischen Komponente im Klimawandeldiskurs

Zur Verdeutlichung ist die Entwicklung der Gigantischen Komponente zwischen 2005 und 2009 sowie 2014 in einer weiteren Netzwerkabbildung visualisiert (siehe Abb. 8.16). Die Kanten sind akkumuliert bis zu dem dargestellten Jahr abgetragen. Die Anzahl und Anordnung der Knoten entspricht jeweils der des Jahres 2014 (bzw. des gesamten Untersuchungszeitraums). In rot ist jeweils die Gigantische Komponente dargestellt, in blau und grün die beiden größten Subkomponenten des jeweiligen Jahres und in grau alle übrigen Subkomponenten.

Hintergrundinformation zu Abb. 8.16

Datengrundlage: Alle Ko-Autorenschaften der 337 einschlägigen planungswissenschaftlichen Artikel sowie der darin zitierten Veröffentlichungen, an denen mindestens eine*r der 443 Autor*innen der einschlägigen Artikel beteiligt ist. Es ergibt sich ein Graph mit 1.036 Knoten und 4.750 Kanten.

Filter: Kein Filter

Knotengröße & Kantenstärke: Keine Gewichtung

Farben: rot = Gigantische Komponente, blau = größte Subkomponente, grün = zweitgrößte Subkomponente, grau = alle weiteren Subkomponenten

Darstellung: Gephi, Algorithmus: Force Atlas 2 (mit ggü. Abb. 8.9-8.14 erhöhter Anziehungskraft)

Abb. 8.16
figure 16

(Quelle: Eigene Erhebung auf Basis der planungswissenschaftlichen Zeitschriften 1995–2014)

Netzwerkentwicklung und Herausbildung der Gigantischen Komponente im Klimawandeldiskurs

Zusammenfassung und Schlussfolgerungen

Auch für die Analyse der Themenkarriere Klimawandel dient die Verschneidung quantitativer und qualitativer Daten der wechselseitigen Validierung und Ergänzung. Insbesondere schaffen quantitative Daten eine intersubjektiv nachvollziehbare, nicht durch retrospektive Rationalisierungen und Erinnerungslücken verfälschte Gesamtbetrachtung, von der ausgehend der Diskurs erschlossen werden kann. Auf der anderen Seite versehen die Interviews, Forschungsbiografien und Literaturauswertungen die bibliometrischen Daten erst mit der Aussagekraft, die für die vorliegende Fragestellung benötigt wird.

Analog zur Themenkarriere Schrumpfende Städte zeigt die Themenkarriere Klimawandel eine Latenzphase, einen abrupten Durchbruch sowie eine markante Fokusphase. Der Untersuchungszeitraum endet zwei Jahre nach der Fokusphase, weshalb Aussagen über die Normalisierung kaum auf der Grundlage quantitativer Daten getroffen werden können. Die Fokusphase ist auch bei dieser Themenkarriere von zwei Aufmerksamkeitspeaks eingerahmt, von denen der zweite höher ausfällt als der erste. Zum einen liegen beide Peaks zwei Jahre weiter auseinander als es bei der Themenkarriere Schrumpfende Städte der Fall war. Zum anderen fallen die Peaks markanter aus, das heißt, die Ausschläge in den Jahren 2008 und 2012 sind besonders hoch. Hierbei kann zum einen die zeitliche Unschärfe eine Rolle spielen, indem beispielsweise ein über zwölf Monate erhöhter Output von Januar bis Dezember auf ein Datum ausfallen kann, während ein erhöhter Output von Juni bis Mai sich auf zwei Achsenpunkte verteilt. Ebenso lassen sich aber auch diskursive und strukturelle Ursachen heranziehen, wie die unterschiedlich ausfallende, partielle Überformung der Themenkarrieren durch Subdiskurse (bspw. Stadtumbau West, Resilienz) oder die zunächst stärker ausgeprägte Umsetzungsorientierung des Schrumpfungsdiskurses. Auch die Unterschiedlichkeit der Förderprogramme bezüglich investiver Maßnahmen, Laufzeit und Forschungsansatz fällt ins Auge.

Beide Aufmerksamkeitspeaks gegenüber dem Thema Klimawandel sind primär von den Artikelzahlen der Zeitschriften PLANERIN, RaumPlanung, RAUM und IzR getragen. Die ARL-FB sind vor dem Durchbruch das wichtigste Medium für einschlägige Beiträge. Wie schon beim Schrumpfungsdiskurs tragen sie zum Ende der Fokusphase maßgeblich zur Häufigkeit einschlägiger Artikel bei, als zwei Arbeitskreise ihre Ergebnisse veröffentlichen. Die stärkste Fokussierung, das heißt die stärkste Ballung einschlägiger Artikel in der Fokusphase gegenüber den übrigen Phasen, weisen die PLANERIN, die IzR und die Raum auf.

Wie die Abb. 8.8 und Tab. 8.5 zeigen, bringt das Jahr des Durchbruchs (2007), trotz mengenmäßig geringen Outputs, besonders relevante Ergebnisse hervor, während die Publikationen der Jahre davor relativ wenig zitiert werden. Wie auch schon bei der Themenkarriere Schrumpfende Städte lässt der Vergleich der Kurven und die Outputzahlen auf ein besonders gutes Aufwand-Nutzen-Verhältnis in der Durchbruchphase schließen, welches sich in den Folgejahren allmählich verschlechtert. Diese Einschätzung wird durch alle interviewten Akteur*innen bestätigt: So habe der „irrsinnige Aufwand“ zu Redundanzen geführt (i65) oder zu „nicht wirklich adäquaten Ergebnissen“ (i66). Dabei ist es allerdings wichtig darauf hinzuweisen, dass in dieser Arbeit mit Relevanz lediglich die Anzahl der auf einen Beitrag entfallenen Zitationen gemeint ist. In Anlehnung an Crane (1972: 77) haben aber nicht nur die besonders viel zitierten Problemdefinitionen und ersten Theorie- und Lösungsansätze, sondern auch deren (seltener zitierten) Fundierungen, Adaptionen und Spezifizierungen eine bedeutende Funktion für die Wissensproduktion. Die hohe Relevanz der Jahre des Durchbruchs und der beginnenden Fokusphase lässt sich, wie auch bei der Themenkarriere Schrumpfende Städte, teilweise darauf zurückführen, dass in diesen Jahren die Problemstellungen einschließlich anvisierter Lösungsstrategien geframed wurden, an denen sich die Fachgemeinschaft in den Folgejahren abarbeitet.

Die Analyse der Entwicklung des einschlägigen Ko-Publikationsnetzwerks zeigt den Zusammenhang zwischen sozialen und inhaltlichen Prozessen der Wissensproduktion. So entwickeln sich verschiedene Teilgruppen bzw. Themenstränge ohne direkte, gruppenübergreifende Zusammenarbeit. Unmittelbar vor der Fokusphase erfährt der Klimawandeldiskurs einen Durchbruch, was sich darin manifestiert, dass die relevanten Teilgruppen des einschlägigen Netzwerks Beziehungen zueinander aufbauen. Für Bettencourt et al. (2009) markiert dieses abrupte Zusammenschließen zu einer Gigantischen Komponente die Entstehung eines neuen wissenschaftlichen Feldes. Die Durchbruchphase ist also ein kritischer Moment sowohl für die Wissens- als auch für die Sozialstruktur der planungswissenschaftlichen Disziplin: Zum einen wird ein neues Problem gerahmt und in den disziplinären Themenkanon integriert, indem es in ein Verhältnis zu der bestehenden Wissensstruktur gesetzt wird und mit Bezügen zu dieser versehen wird. Zum anderen werden zahlreiche Brücken in der Sozialstruktur des planungswissenschaftlichen Netzwerks geschlagen, insbesondere durch die Aufnahme von Kooperationen zwischen bislang getrennt voneinander agierenden Teilgruppen.

8.6 Zwischenfazit zur Themenkarriere Klimawandel

Strukturell wird das Thema Klimawandel bis Mitte der 2000er Jahre vernachlässigt. Einige etablierte Akteur*innen lehnen eine schwerpunktmäßige Auseinandersetzung mit dem Thema sogar explizit ab. Vorbehalte bestehen insbesondere gegenüber dem Thema Anpassung an den Klimawandel, unter anderem weil es zunächst dem Umweltbereich zugeordnet wird und weil dessen Verfolgung das Eingeständnis gescheiterter Umweltpolitik erfordert. Dies ändert sich, als das Thema im Jahr 2007 nach einer Vielzahl von Ereignissen auf der politischen und medialen Agenda nach oben rückt. Politische Kommunikationen, wie das EU-Grünbuch Klimawandelanpassung oder die Deutsche Anpassungsstrategie stellen die Notwendigkeit von Anpassungsmaßnahmen heraus und betonen die Bedeutung der Raumplanung. Sie werden vielfach zum Anlass genommen, das Thema mit dem raumplanerischen und planungswissenschaftlichen Instrumentarium zu erschließen. Eine große Bedeutung nehmen Auftragsforschungen und Förderprogramme ein. Durch sie werden nicht nur einschlägige Akteur*innen vernetzt und mit finanziellen Ressourcen für mehrere Jahre ausgestattet. Auch rahmen sie das Thema, indem sie die schwerpunktmäßig zu verfolgenden Forschungsprobleme und anvisierten Lösungsstrategien definieren. Als die Ergebnisse der großen Forschungsprogramme insbesondere um das Jahr 2012 veröffentlicht werden, setzen bereits eine Ermüdung der Aufmerksamkeit und die Schwerpunktverlagerung auf neue Themen ein. Allerdings erhalten insbesondere praxisnahe Planungswissenschaftler*innen weiterhin Aufträge für regionale Vulnerabilitätsanalysen, Anpassungsstrategien oder Klimaschutzkonzepte, die sie mittlerweile mit einer gewissen Routine, allerdings auch mit geringer Aussicht auf wissenschaftlich relevanten Erkenntnisgewinn, bearbeiten.

Die Akteur*innen entwickeln in der Latenzphase teilweise eigenständig ein Interesse für Aspekte des Klimawandels. Das explizite Aufgreifen des Themas wird allerdings immer durch den direkten Kontakt mit bereits einschlägig interessierten Fachkolleg*innen oder Auftraggeber*innen aus Politik und Wirtschaft initiiert. Das Prinzip der (langsamen) Diffusion durch persönlichen Kontakt wird im Jahr 2007 abgelöst durch den disziplinweiten Durchbruch. Der gesamtgesellschaftliche Diskurs, die Anmeldung von Wissensbedarfen seitens der Planungspraxis und -politik sowie die Ankündigungen der Fördermittelgeber*innen schaffen ein Umfeld, in dem plötzlich ein großer Teil der planungswissenschaftlichen Disziplin sich mit dem Thema Klimawandel auseinandersetzt und einen eigenen Forschungsbeitrag auch unabhängig von persönlichen Kontaktaufnahmen erwägt. Im Zuge von Arbeitskreisen und Förderprogrammen nimmt die Vernetzungsaktivität Fahrt auf, insbesondere durch die Verknüpfung von bereits in der Planungswissenschaft etablierten (aber thematisch kaum bewanderten) Akteur*innen mit bereits einschlägig erfahrenen (aber bislang nur in der Nische bekannten) Forscher*innen. Akteur*innen, die das Thema erst nach 2008 aufgreifen, können bis zum Ende des Untersuchungszeitraums keine zentrale Position im Klimawandeldiskurs einnehmen. Die meisten von ihnen nehmen zunächst untergeordnete Funktionen in der Wissensproduktion ein, wie etwa die empirische Fundierung bereits bestehender Wissensansprüche oder die Bearbeitung von Forschungsprojekten, die von übergeordneten Akteur*innen entworfen wurden.

Inhaltlich wird das Thema Klimawandel vor 2007 sporadisch als Teilaspekt etablierter Themen benannt. Nachdem die Erkenntnis des Klimawandels bereits einige Jahrzehnte in den Naturwissenschaften verhandelt wurde und dort weitgehende Gewissheit auch über dessen anthropogene Verursachung hergestellt wurde, gelangt das Thema Anfang der 1990er Jahre in den planungswissenschaftlichen Diskurs. Zunächst wird es untergeordnet im Nachhaltigkeits- und später im Katastrophenvorsorgediskurs verhandelt. Trotz des anfänglichen Nischendaseins der Klimawandelthematik, werden bereits Kompetenzen aufgebaut und Erkenntnisse produziert, die später große Bedeutung erlangen. Allerdings trifft das Thema auf Vorbehalte. Akteur*innen des Umweltbereichs, in dem das Thema Klimawandel bislang primär verortet ist, lehnen eine intensive Beschäftigung mit dem Thema ab. Insbesondere wird die Anpassung an den Klimawandel in Konkurrenz zu den bereits seit Jahrzehnten verfolgten Aktivitäten im Bereich der Nachhaltigkeit gesehen, so dass die Aufrechterhaltung dieses Status Quo auch an strategische Interessen geknüpft ist. Im Jahr 2007 findet jedoch ein Umdenken in der Planungspolitik, -praxis und -wissenschaft statt, der einem Paradigmenwechsel gleichkommt. Nicht nur wächst die Erkenntnis, dass in Mitteleuropa umfassende Anpassungsmaßnahmen erforderlich sein werden. Auch wird klar, dass der Raumplanung dabei eine zentrale Rolle zukommt, so dass nicht nur der Politikbereich, sondern auch die wissenschaftliche Disziplin einen langfristigen Bedeutungsgewinn erwarten kann. Im Zuge des Durchbruchs bzw. Paradigmenwechsels werden etablierte Ansichten revidiert und ein neues Set an Zielen, Methoden, Akteur*innen und Forschungsprogrammen für die Fokusphase und darüber hinaus definiert.

Am Ende der Fokusphase ist die Themenkarriere zum planungswissenschaftlichen Kontext geworden, innerhalb dessen sich neue Themen etablieren. Einige Pionier*innen und Avantgardist*innen nehmen nun in der Planungswissenschaft und/oder -praxis zentrale Positionen ein. Die zunächst ignorierten oder abgelehnten Inhalte sind nun unhinterfragter Teil der fachgemeinschaftlichen Wissensstruktur.