In diesem abschließenden Kapitel werden auf Basis der vorgelegten Erkenntnisse Anknüpfungspunkte für weitergehende Diskussionen und Forschungen gegeben. Im Gegensatz zu den vorangegangenen Kapiteln werden hier keine systematisch gewonnenen Forschungsergebnisse dargestellt. Vielmehr ist der Abschnitt als Brücke zu verstehen, mit der das gewonnene Wissen über Themenkarrieren in der Planungswissenschaft für weitergehende Diskussionen und Forschungen zugänglich gemacht wird.

Die Reaktionen seitens planungswissenschaftlicher Kolleg*innen auf Fachbeiträge mit Teilen der hier vorgelegten Erkenntnisse haben insbesondere zwei Dinge gezeigt:

  • Erstens ist niemand überrascht, dass die planungswissenschaftliche Wissensproduktion von Themenkonjunkturen geprägt ist. Auch die Erkenntnis, dass der Zeitpunkt und das Ausmaß temporärer Fokussierungen primär durch wissenschaftsexterne Faktoren bestimmt werden, ruft kein Erstaunen hervor. Schon eher gewöhnungsbedürftig ist für viele der Umstand, dass dieses Phänomen systematisch untersucht wird und dass die DFG dieses Vorhaben unterstützt. In der planungswissenschaftlichen Disziplin sind Themenkarrieren also Normalität, ihre explizite Benennung, Analyse und kritische Hinterfragung ist es dagegen nicht.

  • Zweitens wird das Thema als sensibel eingestuft und ruft gleichzeitig großes Interesse hervor. Ohne dass die Vorträge dies zum Gegenstand gemacht haben, rücken in den Diskussionen stets normative und präskriptive Fragen in den Fokus. Dabei ist kaum zu übersehen, dass das Fachpublikum jeweils eigene Berührungspunkte nicht nur mit der Planungswissenschaft, sondern auch mit den untersuchten Themenkarrieren hat und somit eine unmittelbare Betroffenheit vorliegt. Ausdruck dessen ist beispielsweise die immer wieder aufkommende Frage, wie einzelne wissenschaftliche Akteur*innen sowie die Disziplin als Ganzes (das Wissen über) Themenkarrieren nutzen können. Ebenfalls geäußert werden Bedenken, die planungswissenschaftliche Disziplin könne in ein schlechtes Licht gerückt werden, was sich wiederum auf die Fördermittelvergabe auswirken könne.

Eine Diskreditierung wissenschaftlicher Themenkarrieren, der planungswissenschaftlichen Disziplin oder der Fördermittelvergabe wäre auf Basis der vorgelegten Erkenntnisse unzulässig. Auch in der abschließenden Betrachtung lässt sich das differenzierte Bild planungswissenschaftlicher Themenkarrieren, das in dieser Arbeit gezeichnet wurde, nicht mit einer pauschalen Bewertung versehen. Die Entwicklung von Handlungsempfehlungen war ebensowenig Gegenstand der Forschungsarbeit. Gleichwohl sollen der Verwendung des hier gewonnenen Wissens keine Steine in den Weg gelegt werden. Im Gegenteil: Erklärtes Ziel dieser Arbeit ist es, ein Baustein im theoretischen und empirischen Fundament zu sein, auf dessen Grundlage die Diskussion über Struktur und Dynamik der Planungswissenschaft informiert geführt werden kann.

In diesem Sinne wird im Folgenden zunächst das eingangs umrissene normative Spannungsfeld erkundet, in dem sich diese Arbeit bewegt (siehe Kp. 1.1). Dabei werden in Abschnitt 10.1 insbesondere jene Fragen aufgegriffen, die für die sporadisch in verschiedenen Disziplinen aufkommenden Diskussionen um Modeerscheinungen in der Wissenschaft (siehe Kp. 2.4) charakteristisch sind: ‚Haben temporäre Fokussierungen einen positiven oder einen negativen Effekt auf die Wissensproduktion?‘ und ‚Lassen sie sich vermeiden?‘. In Abschnitt 10.2 werden einige Anhaltspunkte dazu gegeben, wie ein bewusster Umgang mit Themenkarrieren in der Planungswissenschaft aussehen könnte. Den Abschluss dieser Arbeit und gleichzeitig den möglichen Startpunkt für weitere Arbeiten bilden die methodische Reflexion und Benennung weiteren Forschungsbedarfs in Abschnitt 10.3.

10.1 Positive und negative Aspekte temporärer Fokussierungen: Gelegenheitsfenster für wissenschaftliche Innovation oder Vereitelung planungswissenschaftlicher Theorieentwicklung?

Die Ergebnisse dieser Arbeit lassen sich als empirische Fundierung der als „fashions“ oder „Modeerscheinungen“ in der Wissenschaft diskutierten Phänomene betrachten. In den in Abschnitt 2.4 dargelegten Debatten vertreten die Anhänger*innen eines rationalistischen Wissenschaftsverständnisses die Ansicht, Modeerscheinungen repräsentierten Dysfunktionalitäten der Wissenschaft, die behoben werden müssten. Auf der anderen Seite erkennen pragmatisch orientierte Wissenschaftsbeobachter*innen auch positive Aspekte und fordern mitunter eine proaktive Gestaltung von Modeerscheinungen im Sinne der Wissenschaft. Aus der Betrachtung planungswissenschaftlicher Fokussierungen lassen sich für beide Seiten gute Argumente ableiten.

Für eine positive Bewertung vorübergehender Fokussierungen spricht die damit einhergehende Befriedigung planungspraktischer Bedarfe: Die Planungswissenschaft stellt in einer solchen Phase mit einem außergewöhnlich hohen Ressourcenaufwand sicher, dass das Problem möglichst effektiv bearbeitet wird. Sie sorgt dafür, dass wissenschaftsexterne Nutzenerwartungen erfüllt werden und erneuert damit den Nachweis ihrer gesellschaftlichen Relevanz. Für die Produktion und Kommunikation einschlägigen Wissens erhält die Wissenschaft Finanzmittel sowie die Möglichkeit auf der Basis ihres Fachwissens punktuell Entscheidungsprozesse im Feld der Planungspraxis mitzugestalten. Indem Wissenschaft und Praxis sich vorübergehend gemeinsam auf das (nahezu) gleiche Problem konzentrieren und beide Bereiche dabei auf den gegenseitigen Austausch angewiesen sind, rücken Wissenschaft und Praxis näher zusammen. Die temporär forcierte Verknüpfung unterschiedlicher Wissensarten und die Aufnahme transdisziplinärer Beziehungen reichen dabei über die Phase der Fokussierung hinaus. In diesem Sinne dient das Thema der strukturellen Kopplung zwischen der Wissenschaft und anderen Gesellschaftsbereichen.

Innerhalb der Planungswissenschaft wird ein offenkundig bislang vernachlässigtes Thema etabliert und mit Nachdruck in die disziplinäre Wissens- und Sozialstruktur integriert. Expert*innen und benötigtes Wissen werden aus ihrem Nischendasein befreit und dem Austausch mit anderen Fachbereichen der Disziplin zugeführt. Indem verschiedene, sonst getrennte Teilgruppen vorübergehend zur Erforschung eines spezifischen Themas in den Austausch treten, erlebt die Disziplin eine temporäre Kohäsion. Es werden jetzt neue soziale und kognitive Beziehungen zwischen verschiedenen Bereichen des disziplinären Netzwerks geschaffen. Diese Verknüpfung bislang unverbundener Wissensbereiche und Akteur*innen verspricht wiederum Innovationen. Auch stellt der mit der Fokussierung verbundene Wandel ein Möglichkeitsfenster dar, etablierte Wissensstrukturen in Frage zu stellen. Es fällt nun leichter, Theorien und Modelle kritisch zu prüfen und gegebenenfalls zu modifizieren oder durch Nützlichere zu ersetzen. Des Weiteren schafft eine Fokussierung Orientierung in der kollektiven Wissensproduktion und gewährleistet, dass aus dem überwältigenden Angebot aller verfügbaren Erkenntnisse eine Auswahl als bekannt und gültig vorausgesetzt werden kann.

Für eine negative Bewertung temporärer Fokussierungen spricht die geringe Effizienz der Wissensproduktion: Während die Erkenntnisse aus der Durchbruchphase sowie unmittelbar davor und danach mit vergleichsweise geringem Aufwand gewonnen wurden, aber große wissenschaftliche Bedeutung erlangen, steht der hohe Ressourcenaufwand im Zuge der Fokusphase einem vergleichsweise geringen wissenschaftlichen Nutzen gegenüber – zumindest  wenn man als Indikator heranzieht, wie oft die Erkenntnisse in nachfolgenden Publikationen zitiert werden (siehe Kp. 7.6 und 8.5). Dies ist insbesondere deshalb zu hinterfragen, weil mit der Fokussierung des einen Themas die Vernachlässigung anderer Themen einhergeht, für die also vorübergehend weniger Aufmerksamkeit und finanzielle Ressourcen verfügbar sind. Ein weiterer zentraler Kritikpunkt an temporären Fokussierungen ist die ihnen zugrundeliegende Abhängigkeit wissenschaftlicher Erkenntnisproduktion von kaum wissenschaftsseitig beeinflussbaren Agenda Setting-Prozessen im Feld der Planungspolitik und -praxis. Dabei ist zu bedenken, dass mit einer Themenkarriere tiefgreifende und langfristige Veränderungen der disziplinären Wissens- und Sozialstruktur einhergehen. Diese Veränderungen sind vergleichsweise stark durch wissenschaftsexterne Nutzenerwartungen induziert, während fachgemeinschaftliche Relevanzkriterien eine nachgeordnete Rolle spielen. So erleben insbesondere jene Wissenschaftler*innen einen langfristigen Zuwachs an wissenschaftlichem Kapital, die die Bedürfnisse der Planungspraxis kurzfristig am besten befriedigen können. Warum dies problematisch ist, erläutern Häußermann und Siebel im Jahr 1978 (S. 485) bezogen auf ihren Fachbereich der Stadtplanungssoziologie:

„Stadtplanungssoziologie trifft zwar auf eine kaufkräftige Nachfrage nach sozialwissenschaftlichen Informationen, aber nur dort, wo für die planende Verwaltung krisenhafte Entwicklungen sichtbar werden. […] Zugleich nimmt die Steuerungskapazität des politisch-administrativen Systems zumindest relativ zum steigenden Problembestand ab, wodurch Planung immer mehr auf’s kurzfristige Reagieren eingeengt wird. Wenn sich aber planende Verwaltung in Feuerwehrfunktionen erschöpft, wird sie nur zu eng definierten und schnell wechselnden Problembereichen Informationen nachfragen. Stadtplanungssoziologie wird so am goldenen Strick von Forschungs- und Gutachteraufträgen in die kurzatmigen Aktualitäten staatlichen Krisenmanagements hineingerissen. Darin sind ihre Theorielosigkeit und Banalität begründet.“

Kritisch zu betrachten ist also nicht allein „die nur allzu freiwillig akzeptierte In-Dienst-Nahme“ der Disziplin durch die Planungspraxis, sondern insbesondere die daraus resultierende „Ankettung“ an krisenhafte Entwicklungen bzw. deren Erkennung durch die Planungspraxis (ebd.). Sie lässt sich nicht mit dem Ziel von Planer*innen und Planungswissenschaftler*innen vereinen, Krisen systematisch vorzubeugen. Zudem ist eine rasche Abfolge disziplinärer Fokussierungen tendenziell hinderlich für die kontinuierliche und systematische Entwicklung eines planungswissenschaftlichen Theoriekerns.

Die Beantwortung der Frage, inwieweit Aufmerksamkeitszyklen als schädlich oder gewinnbringend für die Disziplin einzustufen sind, hängt von der eingenommenen Perspektive auf die planungswissenschaftliche Wissensproduktion ab. Ist die Planungswissenschaft eine eigenständige Disziplin und soll sie es sein? Welche Bedeutung soll die Praxisrelevanz einnehmen, welche die wissenschaftliche Autonomie? Bedürfen Themen bzw. Forschungsprobleme einer Priorisierung und wenn ja, nach welchen Maßstäben soll diese erfolgen?

10.2 Anstöße zum Umgang mit Themenkarrieren in der Planungswissenschaft

Unabhängig davon, zu welcher Bewertung planungswissenschaftlicher Themenkarrieren man nach Abwägung der Vor- und Nachteile gelangt, können die zuletzt genannten schwerwiegenden Kritikpunkte nicht gänzlich unbeantwortet bleiben. Dabei ist es sicherlich keine Option, Krisen im Feld der Planungspraxis zukünftig zu ignorieren, um die Planungstheorie in Ruhe weiterentwickeln zu können. Planungswissenschaftliche Thematisierungsdynamiken sind nicht die Ursache vermeintlich unwissenschaftlicher, möglicherweise kritikwürdiger Mechanismen, sondern allenfalls ihr Symptom. Man kann Themenkonjunkturen gut oder schlecht finden, vermeiden lassen sie sich nicht. Genausowenig lässt sich die Umsetzung wissenschaftlichen Wissens in der Planungspraxis unabhängig von dortigen Problemwahrnehmungen realisieren. Dennoch stellt sich die Frage, welche Handlungsoptionen die Disziplin für den Umgang mit (dem Wissen über) Themenkarrieren hat. Hierzu werden im Folgenden einige Anhaltspunkte gegeben.

10.2.1 Temporäre Fokussierungen als integralen Bestandteil der wissenschaftlichen Wissensproduktion anerkennen

Wie vermutlich jedes andere soziale System ist auch die Wissenschaft unvermeidbar von Aufmerksamkeitszyklen geprägt. Diese als „unwissenschaftliche“ Abweichungen in einem ansonsten Wahrheits-orientierten System abzutun, würde bedeuten, die Augen vor der Realität zu verschließen. Stattdessen gilt es, sie als integralen Bestandteil der wissenschaftlichen Wissensproduktion anzuerkennen, sich ihrer bewusst zu machen und das Wissen über sie zu erweitern. Dies schließt die Prozesse der Thematisierung, die den Thematisierungsprozessen zugrundeliegenden Mechanismen und ihre Auswirkungen mit ein. Dadurch kann einerseits ein besseres (Selbst-)Verständnis der Wissenschaft erreicht werden. Andererseits kann das gewonnene Wissen über Themenkarrieren Ausgangspunkt für die Überprüfung institutioneller Rahmenbedingungen und die Entwicklung individueller und kollektiver Handlungsstrategien sein.

10.2.2 Kontinuität der Wissensproduktion gewährleisten

Gerade angesichts der zunehmenden Abhängigkeit von Drittmitteln, der vorübergehenden Fokussierung bestimmter Themen und der damit einhergehenden Vernachlässigung anderer Themen ist die Bedeutung der kontinuierlichen Pflege und Weiterentwicklung verschiedener – auch vorübergehend weniger beachteter – Forschungsstränge hervorzuheben. Solange diese Kontinuität der Wissensproduktion in den jeweiligen Spezialgebieten gewährleistet ist, sind Wissensbestände aktuell und abrufbar. Auch gibt es Ansprechpartner*innen, die konsultiert werden können, wenn in der Praxis oder in anderen Fachbereichen Wissensbedarf entsteht. Wie die Entwicklung des Themas Schrumpfende Städte über die 1990er Jahre hinweg zeigt, kann ein personelles und inhaltliches Abreißen eines Forschungsstranges den zumindest vorübergehenden Verlust der gewonnenen Erkenntnisse aus dem kollektiven Gedächtnis bedeuten. Diese Expertise muss dann teilweise mit erheblichem Aufwand erneut produziert und angeeignet werden. Eine kontinuierliche Forschung lässt sich dagegen mit geringem Ressourceneinsatz gewährleisten. Um Wissensbestände zu pflegen, weiterzuentwickeln und abrufbar zu halten, bedarf es eines kleinen Kerns von Akteur*innen, die nach innen integrierend wirken und nach außen Sichtbarkeit erzeugen. Für derartige Forschungsstränge sind ein kontinuierlicher Zugang zu finanzieller Förderung und ein Mindestmaß an Vernetzung hilfreich. Bereits ein oder zwei einigermaßen passfähig spezialisierte Teilgruppen können bei Aufkommen eines Themas eine wichtige Funktion einnehmen, indem sie schnell relevante Wissensbestände und Forschungslücken benennen und Handlungsempfehlungen geben.

10.2.3 Temporäre Fokussierungen antizipieren

Zwar lassen sich der Zeitpunkt und das Ausmaß einer zukünftigen Steigerung der Aufmerksamkeit nicht vorhersagen und auch nicht seitens der Wissenschaft beeinflussen. In Bezug auf einige Handlungsfelder und Wissensbestände lässt sich aber sehr wohl auf einen zukünftigen Bedeutungsgewinn spekulieren (bspw. Umweltgerechtigkeit, Biodiversität, Telearbeit, Postwachstum, Austerität, Flächenversiegelung) oder zumindest von einem unregelmäßigen Auf und Ab des Interesses ausgehen (bspw. Umweltprüfung, Metropolregionen, Gleichwertige Lebensverhältnisse, Resilienz, Suburbanisierung). Bereits während des Nischendaseins lässt sich systematisch Wissen schaffen und eventuell auf spezifische Nachfragen vorbereiten, so dass es im Falle einer erhöhten Aufmerksamkeit abgerufen werden kann. Es gilt Kingdons Surf-Metapher: „If you’re not ready to paddle when the big wave comes along, you're not going to ride it in“. Die Einrichtung von Arbeitskreisen, die Thematisierung in Qualifizierungsarbeiten und der Einsatz von Drittmitteln im Vorfeld disziplinärer Fokussierungen ermöglichen die Entwicklung von Ideen und Netzwerkkontakten, die sich bei plötzlich einsetzenden Handlungs- und Wissensbedarfen als äußerst wichtig erweisen können.

10.2.4 Temporäre Fokussierungen gestalten

Im Zuge des Durchbruchs wird – ausgehend von der Krise des etablierten Wissensbestandes – das neue Thema gerahmt. Das heißt, welche Institutionen, Akteur*innen, Handlungsfelder, Ideen und Wissensbestände mit dem Thema verknüpft werden und mit ihm zusammen in das Zentrum der Aufmerksamkeit gelangen, ist in einem kurzen Zeitraum in besonderem Maße beeinflussbar. Zu Beginn der Fokusphase hat sich dann ein Frame durchgesetzt, der im Sinne eines Politikmonopols nicht nur eine bestimmte Deutung des Problems, sondern auch institutionelle Arrangements zu dessen Stützung umfasst. Nach einer Disruption ist dann eine gewisse Planungssicherheit und Stabilität erreicht, die nur noch punktuell und mit größerem Aufwand verändert und erweitert werden kann. Dies gilt für das Handlungsfeld der Raumplanung als Ganzes sowie – damit verbunden – für die planungswissenschaftliche Wissensproduktion. In beiden Feldern können Wissenschaftler*innen sich einbringen und Einfluss nehmen, auch wenn die letztendliche Entscheidung über das Framing in den Händen derjenigen liegt, die es im Zuge von Ressourcenallokationen und Weisungsbefugnissen durchsetzen können.

10.2.5 Temporäre Fokussierungen nutzen

Der Durchbruch und die Fokussierung eines Themas stellen ein Gelegenheitsfenster dar. Es gerinnt zur allgemeinen Erkenntnis, dass „das Alte nicht mehr geht“. Teilbereiche der Planungswissenschaft sowie des Handlungsfeldes der Raumplanung werden in eine Irritation versetzt, und es setzt schlagartig ein hoher Handlungs- und Wissensbedarf ein. Die bestehenden institutionellen Arrangements – Gesetze, Instrumente, Ressourcenverteilungen, Machtverhältnisse, Wissensbestände – geraten unter Druck. Lang gehegte oder neu entwickelte Ideen zu ihrer Modifikation haben jetzt verbesserte Umsetzungschancen, sofern sich ein Zusammenhang mit dem aufkommenden Thema herstellen lässt. Allerdings ist die Zeit dafür knapp. Wer erst bei Öffnen des Gelegenheitsfensters beginnt, eine neue Idee systematisch zu erforschen, läuft Gefahr, die anvisierten Ergebnisse erst vorlegen zu können, wenn der Handlungs- und Wissensbedarf bereits befriedigt, der Aufmerksamkeitszyklus vorbei und das Politikfenster geschlossen ist. Im Sinne Shermans (1996: 98) kann eine Themenkarriere als „Vorschlaghammer“ eingesetzt werden, mit dem verkrustete Strukturen aufgebrochen und substanzieller Wandel erreicht werden kann. Genauso kann sie allerdings auch zur Minimierung oder Verzögerung tiefgreifender Veränderungen beitragen, indem der entstandene Druck durch die vorübergehende Umetikettierung existierender Ansätze lediglich abgeleitet wird. Sowohl auf kollektiver als auch auf individueller Ebene lassen sich mit dem Wissen um Themenkarrieren Handlungsoptionen und -ergebnisse besser einordnen, planen und bewerten.

10.2.6 Strukturelle Kopplungen zwischen Planungswissenschaft und Systemumwelt erforschen

Die Kopplung zwischen Wissenschaft und Praxis ist eng und vielfältig. Verknüpfungen ergeben sich aus der systemübergreifenden Vernetzung, Anwendungsnähe, normativen Ausrichtung, Vermittlung von Expert*innenwissen sowie der Fördermittelvergabe (siehe hierzu ausführlich Gravert et al. 2019; Hildegard Matthies et al. 2015; Kaldewey et al. 2015). Während sich gesellschaftliche und planungspraktische Transformationen in der planungswissenschaftlichen Wissensproduktion niederschlagen, wirken planungswissenschaftliche Impulse auf planungspolitische Vorgaben und Institutionen, auf planungspraktische Handlungsoptionen und Strategien sowie letztendlich auf die Gestaltung und Entwicklung von Räumen. Einerseits ist die Planungswissenschaft durch gesellschaftliche Relevanzkriterien und Nutzenerwartungen geprägt, andererseits entfaltet sie selbst planungspraktische und gesellschaftliche Wirkung. Ein genaueres Verständnis dieses komplexen Wechselspiels zwischen der Disziplin auf der einen sowie der planerischen Praxis, den planungspolitischen Strategien und den gesellschaftlichen Debatten auf der anderen Seite ist von großer Bedeutung für die kritische Selbstreflexion der Planungswissenschaft. Dies schließt nicht nur die Analyse der eigenen Rolle bei Agenda Setting-Prozessen im Handlungsfeld der Raumplanung mit ein, genauso ist die Verknüpfung disziplininterner Problemwahrnehmungen mit wissenschaftsexternen Impulsen zu erforschen.

10.2.7 Einfluss der Fördermittelvergabe bewusst machen und überprüfen

Wie anhand der Themenkarrieren Schrumpfende Städte und Klimawandel gezeigt wurde, haben politische Fördermittelgeber*innen (insb. BMI, BMBF, BMU) und die Ressortforschung (insb. des BBSR, UBA) eine vergleichsweise hohe Bedeutung für die planungswissenschaftliche Wissensproduktion. Sie verfügen über die Instrumente und Ressourcen, um Themen in der Planungswissenschaft zu setzen. Insbesondere die starke Einflussnahme durch thematisch einseitige, gut ausgestattete Förderprogramme konnte in beiden untersuchten Themenkarrieren nachgewiesen werden. Die dadurch erhöhte Salienz bestimmter Themen verändert disziplinäre Wissensstrukturen und Bewertungsmaßstäbe nachhaltig. Grundsätzlich ist bei den Förderentscheidungen zu hinterfragen, inwieweit den kurzfristigen Verwertungsinteressen von Politik und Praxis Vorrang gegenüber der langfristigen Anhebung der wissenschaftlichen Qualität gegeben wird. Eine Verengung der disziplinären Wissensproduktion auf das aktuell politisch Machbare würde die Wissenschaft gefährden (Siebel 2013: 150). Die mit den Fördermitteln einhergehenden politischen Erwartungen und Ziele sowie ihr Einfluss auf die Erkenntnisgewinnung sollten deshalb im wissenschaftlichen Kontext explizit gemacht und reflektiert werden. Auch die geringe Abstimmung zwischen den unterschiedlichen Ministerien in der Fördermittelvergabe ist bemerkenswert. Zudem lässt sich darüber streiten, inwieweit einzelfallabhängig die Vorteile einer konzentrierten Mittelvergabe (u. a. Ankurbeln der Wissensproduktion bei akutem Bedarf, möglicherweise überfälliges Agenda Setting in Wissenschaft und Praxis) die Nachteile (u. a. Erschweren langfristiger und eigenständiger Forschungsstrategien, redundante Ergebnisse) in Politik, Praxis und Wissenschaft langfristig überwiegen (siehe Kp. 10.1). Auch die Rolle der Ressortforschung gibt Anlass zur Reflexion: Das Umweltbundesamt und das BfLR bzw. BBR haben nicht nur während des Durchbruchs zentrale Erkenntnisse entwickelt und zusammengetragen, sondern auch Jahrzehnte vor dem Durchbruch bereits Studien zu den Themen vorgelegt. Dies spricht für eine vergleichsweise hohe Kompetenz der Ressortforschung, Themen einerseits frühzeitig zu erkennen und andererseits schnell aufzuarbeiten und zu kommunizieren. Sie gibt zusätzlich Anlass dazu, die Ausprägung dieser Kompetenz in der übrigen Disziplin (in diesem Fall ohne Ressortforschung) zu überprüfen.

10.2.8 Das disziplinäre Agenda Setting überprüfen

Disziplinäre Selbstreflexionen – nicht nur in der Planungswissenschaft – im Rahmen von Podiumsdiskussionen und Vorträgen zeichnen oft das Bild einer Wissenschaft, die als neutrale, systematische Beobachterin am besten Probleme frühzeitig antizipieren, sie anhand ihrer Wichtigkeit und Dringlichkeit in eine Rangfolge bringen und Lösungen entwickeln könne. Allerdings, so das Narrativ, finde die Wissenschaft nicht genügend Gehör in Politik und Gesellschaft. Der letzte Punkt wird durch die empirischen Ergebnisse dieser Arbeit bestätigt: Die Planungswissenschaft ist kaum in der Lage, eigenständig Themen in der gesellschaftlichen Umwelt zu setzen. Warum das so ist und wie es sich ändern lässt, könnte Gegenstand weitergehender Forschungen sein. Allerdings sind gegenüber dem genannten Narrativ Zweifel angebracht in Bezug auf die Fähigkeit der Planungswissenschaft, die gesellschaftliche Relevanz neuer Fragen selbst zu erkennen und deren Beantwortung systematisch zu verfolgen. Zwar spüren durchaus einzelne, überwiegend junge Wissenschaftler*innen frühzeitig neue Themen auf und ergreifen die mit ihnen verbundene Chance, neues und nützliches Wissen zu generieren. Solange aber die Systemumwelt keinen Wissensbedarf anmeldet, fällt die disziplinäre Resonanz auf ihre Erkenntnisse gering und teilweise sogar ablehnend aus. Es zeigt sich eine ausgeprägte Pfadabhängigkeit der Wissenschaft: Etablierte Strukturen – bspw. Normen, Verteilungsentscheidungen, Schlüsselpositionen – sind darauf ausgerichtet, das geltende Paradigma gegenüber konkurrierenden Wissensansprüchen zu schützen. Wer bereits über wissenschaftliches Kapital in anderen Themenfeldern verfügt, scheut den Aufwand, ein neues Thema aufzuarbeiten. Das Aufgreifen eines neuen Themas beinhaltet das Risiko, dass einschlägige Kommunikationen verhallen, weil kein Resonanzboden bzw. keine einschlägige Fachgemeinschaft vorhanden ist. Wer neue Fragen untersucht, muss diese in alte Diskurse einbetten, was einschlägigen Kommunikationen zwar eine erhöhte Rezeption verschafft, andererseits aber das Erkennen und Entwickeln des neuen Themas als eigenständiges Handlungsfeld erschwert. Diese Mechanismen sind wichtig, denn sie gewährleisten Kontinuität und Kohäsion in der Wissensproduktion. Auch sorgen sie dafür, dass Forschungsprobleme von denjenigen Forscher*innen bearbeitet werden, die dafür die besten Voraussetzungen (insbesondere Wissen, Reputation und Beziehungen) haben. Umso mehr stellt sich aber die Frage, inwieweit die Identifizierung und Priorisierung von Themen trotz der Pfadabhängigkeiten und strategischen Interessen gewährleistet werden können. Als Indikator für die Wichtigkeit neuer Themen ist deren Aufgriff in der nachfolgenden Wissensproduktion ungenügend, weil diese durch die Größe und Ausrichtung bestehender Fachgebiete geprägt ist und dementsprechend Forschungen im Rahmen etablierter Wissensstrukturen bevorzugt. Ansatzpunkte für die Priorisierung disziplinärer Wissensbereiche geben wiederkehrende Formate, die das Erkennen und teilweise auch das Setzen von Themen bereits zum Ziel haben: Ritualisierte Diskussionen befreundeter Wissenschaftler*innen in vorübergehender Abgeschiedenheit, Austauschformate zwischen Politik und Wissenschaft zur Identifizierung zukünftiger Förderbedarfe, thematisch offene Arbeitskreise und Diskussionsrunden möglichst über Disziplinen und gesellschaftliche Teilsysteme hinweg, Redaktionssitzungen von Fachzeitschriften oder die systematische Raumbeobachtung. Auch bei diesen Formaten stellt sich die Frage, inwieweit eine Priorisierung von Themen unabhängig von Einzelinteressen und Pfadabhängigkeiten gewährleistet werden kann. Die im Rahmen dieser Arbeit gesammelten Interviewaussagen legen nahe, dass hierfür Inter- und Transdisziplinarität, Vertrauen sowie inspirierende Persönlichkeiten nützliche Faktoren sind. Fraglich ist, inwieweit langfristige Perspektiven für die Erforschung der identifizierten Themen unabhängig von gesellschaftlichen Impulsen und disziplinären Aufmerksamkeitszyklen gestärkt werden können.

10.2.9 Agenda Setting-Prozessen in der Raumplanung größeren Stellenwert in Forschung und Lehre beimessen

In der planungswissenschaftlichen Forschung und Lehre stehen oft die Prozesse der Planerstellung, -umsetzung und -evaluation sowie die Inhalte der Planung im Mittelpunkt. Der Kontext in denen die Planung stattfindet, das heißt, die Frage danach, warum überhaupt geplant wird, wird dagegen häufig verkürzt behandelt. Dabei ist gerade die Frage nach dem ‚warum‘ grundlegend dafür, ‚wie‘ (Prozesse, Akteur*innen) und ‚was‘ (Inhalte, Maßnahmen) geplant wird. Zwar werden planungsrelevante Rahmenbedingungen, bspw. im Rahmen von SWOT-Analysen, benannt und erörtert. Die Frage aber, warum bestimmten Rahmenbedingungen eine Planungsrelevanz beigemessen wird und anderen nicht, wird selten gestellt. Wer bestimmt, welche Probleme durch die Planung gelöst werden sollen und welche nicht? Wie entscheidet sich, was überhaupt als ein Problem wahrgenommen wird und was nicht? Das Framing und die Priorisierung von Problemstellungen ist Grundvoraussetzung für Planung und Planungswissenschaft und dementsprechend wirkmächtig. Sie folgt keiner rationalen, objektiven Logik, sondern ist abhängig davon, welche Themen bestimmte Akteur*innen zu bestimmten Zeiten als nützlich oder wichtig ansehen. Priorisierungen und Thematisierungsdynamiken sind folglich genauso umkämpfte wie grundlegende Aspekte von Planung. Ihnen sollte ein entsprechender Stellenwert in Lehre und Forschung beigemessen werden. Ein Basiswissen über Aufmerksamkeitszyklen, Agenda Setting- und Framing-Prozesse sollte zum Repertoire ausgebildeter Planer*innen gehören, genauso wie der planungswissenschaftliche Theoriekanon in diesem Bereich gut sortiert sein sollte.

10.3 Methodische Reflexion und Forschungsbedarf

„Der Kanon an Fragen, die die Forschung stellen kann, erweist sich entgegen ursprünglicher Hoffnungen als unendlich. Es scheint vielmehr so zu sein, dass all das viele angehäufte Wissen zugleich das unbegrenzte Universum des Nichtwissens mit anwachsen oder zumindest sichtbar werden lassen hat.“ (Weingart 2003: 9–10)

Im Sinne des oben genannten Zitats hat sich der Katalog an offenen Fragen im Zuge dieser Forschungsarbeit nicht verkürzt, sondern vervielfacht. Gleichzeitig haben die angewendete Methodik und der analytische Rahmen sich zwar als äußerst robust und ertragreich erwiesen, bestimmte Aspekte aber unterbelichtet gelassen. Im Folgenden werden fünf Forschungsideen diskutiert, die diese Arbeit besonders gewinnbringend ergänzen und weiterführen könnten.

10.3.1 Zur methodisch determinierten Konstruktion eines deutschsprachigen Diskurses

Zum Ausgangspunkt der Untersuchung von Themenkarrieren wurden in dieser Arbeit planungswissenschaftliche Artikel in deutschsprachigen Zeitschriften gewählt. Diese insbesondere in Abschnitt 6.3 erläuterte Strategie hat sich in der Empirie bewährt, weil sie ermöglicht, die untersuchten Themenkarrieren auf systematische und intersubjektiv nachvollziehbare Weise in Bezug auf kognitive und soziale Strukturen zu erschließen. Gleichwohl hat sie aber Defizite erkennen lassen, die nur teilweise durch die Ergänzung um qualitative Methoden ausgeräumt werden können. Zu diesen Defiziten gehören die nur indirekt vorhandene Berücksichtigung von Veröffentlichungsformaten abseits planungswissenschaftlicher Zeitschriften sowie die weitgehende Ausblendung des englischsprachigen Diskurses. Zu Letzterem einige Beobachtungen aus der Empirie, die nicht systematisch geprüft und berücksichtigt werden konnten:

  • Es gibt ein Spektrum zwischen Akteur*innen, die ausschließlich deutschsprachig veröffentlichen, und solchen, deren 20 meistzitierte Veröffentlichungen englischsprachig sind.

  • Englischsprachige Veröffentlichungen vereinen im Vergleich zu deutschsprachigen Publikationen in der Regel ein Vielfaches der Zitationen auf sich.

  • Die Bedeutung englischsprachiger Veröffentlichungen nimmt mit der Zeit zu, sowohl im individuellen Karriereverlauf vieler Akteur*innen als auch auf Ebene der gesamten Disziplin sowie mit zunehmender Progression der Themenkarrieren (insbesondere im Schrumpfungsdiskurs).

  • Der Klimawandeldiskurs weist starke und vielfältige Bezüge zu englischsprachigen Fachbeiträgen auf, während der Schrumpfungsdiskurs insbesondere in den 00er Jahren in besonderem Maße deutschsprachig geprägt ist.

Es stellen sich Fragen dazu, in welchem gegenseitigen Austauschverhältnis der methodisch determinierte deutschsprachige Diskurs zum internationalen Diskurs steht und welche Konsequenzen sich daraus für die Wissensproduktion ergeben. Welche Auswirkungen hat die starke internationale Anbindung einiger Akteur*innen auf ihre Netzwerkposition in der deutschsprachigen Fachgemeinschaft? Erfahren sie einen Bedeutungsgewinn, indem sie als Brücke zwischen den Diskursen fungieren, oder einen Bedeutungsverlust, weil sie ihre Ressourcen zugunsten des englischsprachigen Diskurses verlagern? Wie unterscheiden sich die Diskurse inhaltlich? Wenn Forscher*innen ihre Ergebnisse für das jeweils zu erwartende Fachpublikum in internationalisierbare und lokalspezifische Portionierungen aufteilen, welche Konsequenzen hat das für den deutschsprachigen Diskurs? Inwiefern werden wissenschaftliche Inhalte zur Herstellung der Internationalisierbarkeit reduziert, abstrahiert und gefiltert? Welche Rolle spielt die Internationalisierbarkeit von Ergebnissen schon bei der Themenwahl? Sind bestimmte Inhalte an Universitäten stärker repräsentiert, weil diese von internationaler Relevanz sind, was wiederum bei Berufungsverfahren ins Gewicht fällt? Besteht die Gefahr, dass das Interesse gegenüber bestimmten (bspw. raumspezifischen) Problemen aufgrund der geringeren internationalen Verwertbarkeit abnimmt?

10.3.2 Zur Berücksichtigung der Unterschiedlichkeit von Forschungsbiografien und Forscher*innentypen

In dieser Arbeit wurden die individuellen Charakterzüge und persönlichen Präferenzen einzelner Planungswissenschaftler*innen kaum berücksichtigt. Von einer derart feinkörnigen Analyse zu der anvisierten Beschreibung und Erklärung der aggregierten Themenwahl in der planungswissenschaftlichen Disziplin zu gelangen, wäre im Rahmen dieses Vorhabens nicht leistbar gewesen. Der analytische Rahmen reduziert Individuen auf ihre Entscheidungen und Kommunikationen innerhalb des wissenschaftlichen Systems und trifft dabei vereinfachende Annahmen. Zwar hat jede interviewte Person Wahrnehmungen, Ideen, Interessen und Identitätskonstruktionen auch abseits wissenschaftlicher Verwertungsmechanismen. Allerdings ist bei der Frage, warum das Thema im Kontext der Planungswissenschaft aufgenommen worden ist und warum ein Gedanke im wissenschaftlichen Kommunikationssystem veröffentlicht worden ist, immer der wissenschaftliche Verwertungsgedanke von zentraler Bedeutung und als solcher auch explizit in den Interviews benannt. Das heißt, die Empirie bestätigt die Annahme, Forschungsentscheidungen seien anhand der Orientierung an epistemischem, sozialem, ökonomischem und politischem Kapital – mit unterschiedlichen Gewichtungen – zu erklären.

Gleichwohl ist die Unterschiedlichkeit und Spannbreite der untersuchten Forscher*innentypen bemerkenswert und aufschlussreich. Jede untersuchte Forschungsbiografie weist eine spezifische Forschungs- und Publikationsstrategie auf. Einige seien kurz umrissen:

  • Die Drittmittel-AkquisiteurinFootnote 1 ist thematisch flexibel und verfügt über die Kompetenzen und Beziehungen, um erfolgversprechende Forschungsanträge zu stellen. Eine Professorin erklärt ihren Ansatz folgendermaßen durch die Prägung in einem Planungsbüro:

  • „Ich habe durch das Büro natürlich vielleicht eine Vorprägung, die auch eine Rolle spielt. Im Büro ist man extrem akquiseorientiert, weil man permanent denkt ‚Akquise, Akquise, Akquise‘. […] Und mit dieser Logik, mit diesem Denken, diesem Modus bin ich an die Hochschule gekommen und habe gemerkt, dass ich eigentlich die Hochschule fast wie das Büro weiterbetreibe, also permanent gucke, was es für Akquisitions- und Drittmittelmöglichkeiten gibt.“ (i68)

  • Der Impulsgeber hat seine Stärken beim Erkennen von Problemen und Ideen, bei Gedankenspielen und Visionen. Er möchte insbesondere Akteur*innen der Praxis erreichen und legt bei Vorträgen und Veröffentlichungen weniger Wert auf die systematische, empirische und theoretische Fundierung seine Thesen.

  • Die kritische Mahnerin ist eine gefragte Rednerin und Diskussionspartnerin nicht nur im planungswissenschaftlichen Kontext. Ihr Themenportfolio ist vielseitig und immer mit einer normativ-kritischen Positionierung verbunden. Sie schöpft ihre Reputation nicht primär aus Veröffentlichungen in planungswissenschaftlichen Zeitschriften.

  • Der Idealist kämpft für seine Herzensangelegenheit in verschiedenen Arenen, mitunter auch in der Wissenschaft. Manchmal muss er Kompromisse eingehen, um seine wissenschaftliche Karriere am Laufen zu halten.

  • Die Wissenschafts-Fokussierte erkennt früh Forschungslücken und verfügt über die Kompetenzen mit relevanten Vorstößen zu ihrer Schließung beizutragen. Ihre Motivation ist die wissenschaftliche Anerkennung, weshalb sie theoretisch und methodisch fundierte Veröffentlichungen mit hoher Reichweite in ihrem Fachbereich anstrebt.

  • Der Planungspraktiker interessiert sich kaum für seine innerwissenschaftliche Reputation und orientiert sich stattdessen an den Nutzenerwartungen und Relevanzkriterien der Planungspraxis. Er sucht effiziente und effektive Lösungen für planungspraktische Probleme und versucht diese im Rahmen seiner Möglichkeiten zur Umsetzung zu bringen.

Einzelne Personen vereinen mehrere der genannten Identitätskonstruktionen mit unterschiedlicher Schwerpunktsetzung auf sich. Hinzu kommen Faktoren wie Alter, Geschlecht, Position, Fachbereich oder Organisationszugehörigkeit. Bislang wurde die Unterschiedlichkeit der Identitätskonstruktionen kaum systematisch in wissenschaftssoziologischen Arbeiten aufgearbeitet. Schimanks (2006: 59–60) Einteilung in anwendungsdistanzierte, anwendungsoffene und anwendungsfixierte Forscher*innentypen wären ein vielversprechender Ausgangspunkt für tiefergehende Untersuchungen. Wie gelangen Wissenschaftler*innen zu ihren spezifischen Identitätskonstruktionen und Veröffentlichungsstrategien? Wie verhalten sich bestimmte Forscher*innentypen in den Phasen einer Themenkarriere und was ist ihr Beitrag darin? Welcher Forscher*innentyp übernimmt welche Funktion für die wissenschaftliche Erkenntnisproduktion und -kommunikation? Wie verändert sich der Anteil bestimmter Forscher*innentypen angesichts der zunehmenden Output-Orientierung der Wissenschaft und was bedeutet das für die Wissenschaft?

10.3.3 Zur Nutzung der quantitativen Datengrundlage

Die Empirie fußt auf einer aufwendig erhobenen und ebenso reichhaltigen Datengrundlage. Insbesondere die bibliometrischen Daten bieten bisher ungenutztes Potenzial, um weitere Aufschlüsse über die planungswissenschaftliche Wissens- und Sozialstruktur offenzulegen. Beispielsweise lässt sich die häufig gestellte Frage nach der Eigenständigkeit der planungswissenschaftlichen Disziplin auf der Grundlage von Zitations- und Ko-Publikationsdaten näherungsweise beantworten. So lässt sich analysieren, welche Autor*innen und Publikationen zitiert werden, mit wem (zu welchen Themen) kooperiert wird oder welche Bezüge zu anderen Disziplinen maßgeblich für die Erkenntnisentstehung sind. Auch eine Systematisierung des planungswissenschaftlichen Theoriekerns, wie sie beipielsweise von Wiechmann (2018) oder Diller und Thaler (2017a) vorgenommen wird, lässt sich mit Hilfe einer quantitativen Netzwerkanalyse unterstützen. Glückler und Goeke (2008) sowie Aufenvenne und Steinbrink (2014) verfolgen bereits einen ähnlichen Ansatz in der Disziplin der Geografie. Anhand von Zitationsdaten lässt sich ermitteln, welche Theorien von zentraler Bedeutung sind und wie diese untereinander in Beziehung stehen. Die inhaltliche Nähe zwischen Publikationen und Theorien lässt sich etwa über netzwerkanalytische Verfahren der Kozitation (Publikationen stehen miteinander in Verbindung, wenn sie von denselben Artikeln zitiert werden) oder der bibliografischen Kopplung (Artikel stehen miteinander in Verbindung, wenn sie auf die gleiche Publikation verweisen) auswerten. Vorstellbar ist auch, die Entwicklung eines planungswissenschaftlichen Theoriekerns anhand der Veränderungen theoretischer Bezüge im Zeitverlauf zu identifizieren und zu verfolgen.

10.3.4 Zur Untersuchung der Wechselwirkungen zwischen Planungswissenschaft und Systemumwelt

Diese Arbeit untersucht Thematisierungsprozesse im System der Planungswissenschaft und fasst Prozesse und Mechanismen in anderen gesellschaftlichen Teilsystemen (Politik, Wirtschaft, Medien, Recht), in anderen wissenschaftlichen Disziplinen sowie im Feld der Planungspraxis als systemexterne Impulse. Das heißt, diese wurden in Bezug auf ihre Einflussnahme auf die Planungswissenschaft analysiert, nur am Rande aber auch in Bezug auf ihre jeweilige Entstehung. Beispielsweise wurde das Zustandekommen bestimmter Entscheidungen der Fördermittelvergabe sowie der Ressortforschung zwar untersucht, um hier aber zu gesicherten Aussagen gelangen zu können, müssten die im Rahmen dieser Arbeit erhobenen Aussagen um weitere Perspektiven ergänzt werden. Die systematische Erschließung dieser vielschichtigen, nicht-öffentlichen und umkämpften Entscheidungen erfordert ein konkret darauf abzielendes Forschungsdesign. Des Weiteren könnten die unterschiedlichen Motive der verschiedenen Fördermittelgeber*innen sowie insbesondere ihre jeweilige Funktion in der planungswissenschaftlichen Wissensproduktion analysiert werden. Nicht zuletzt bleibt der Einfluss der planungswissenschaftlichen Wissensproduktion auf (Thematisierungs-)Prozesse in der Systemumwelt in dieser Arbeit unterbelichtet.

10.3.5 Zur Allgemeingültigkeit der empirischen Befunde

Die in Kapitel 2 und 4 dargelegten wissenschaftssoziologischen Erkenntnisse zeigen, dass einzelne Strukturen und Mechanismen der Thematisierung disziplin- und diskursübergreifend auftreten. Dies wird auch für den aus der Theorie abgeleiteten analytischen Rahmen in Anspruch genommen. Dessen Eignung als Kategoriengerüst zur Erfassung und Einordnung empirischer Beobachtungen planungswissenschaftlicher Thematisierungsprozesse wurde in den Kapiteln 7, 8 und 9 unter Beweis gestellt. Bezüglich der Allgemeingültigkeit der hier vorgelegten empirischen Ergebnisse lässt sich darüber hinausgehend allerdings keine Aussage treffen. Inwiefern sich ähnliche Abfolgen und Mechanismen von Thematisierungsprozessen in der Planungswissenschaft oder in anderen Disziplinen manifestieren, werden zukünftige Analysen zeigen müssen. Grundsätzlich sind hierfür die Besonderheiten der Planungswissenschaft – bspw. Normativität, Interdisziplinarität, Anwendungsorientierung, starke Kopplung mit anderen gesellschaftlichen Teilsystemen (siehe Kp. 1.4) – sowie der beiden untersuchten Themen – parallele Aufmerksamkeitszyklen in Politik und Medien, hohe planungspraktische Bedeutung, Rolle von Fördermitteln – zu berücksichtigen. Diese Arbeit leistet nicht die abschließende Erklärung wissenschaftlicher Themenkarrieren, sondern dient als Aufschlag für die weitere Untersuchung und Diskussion wissenschaftlicher Thematisierungsprozesse in der Planungswissenschaft und darüber hinaus.