Welchen Gegenständen die Planungswissenschaft besondere Aufmerksamkeit beimisst, unterliegt einem dynamischen Wandel. Themen wie Nachhaltigkeit, Soziale Stadt oder Gleichwertige Lebensverhältnisse spielten zu unterschiedlichen Zeiten eine markante Rolle. Zwar besaßen und besitzen diese Themen zweifelsohne planungswissenschaftliche Relevanz, weder das zunächst sehr geringe und schließlich außerordentlich hohe Ausmaß der ihnen entgegengebrachten Aufmerksamkeit noch der Auslöser oder der Zeitpunkt des Durchbruchs kann jedoch aus ‚rein wissenschaftlichen‘ (vermeintlich objektiven, epistemischen) Selektionskriterien erklärt werden. Warum einzelne Themen zu einem bestimmten Zeitpunkt aufkommen und in das Zentrum der disziplinären Aufmerksamkeit rücken, welche sozialen Mechanismen dem Themenverlauf zugrunde liegen und welche Auswirkungen solche temporären Fokussierungen auf die planungswissenschaftliche Disziplin haben, ist bislang kaum systematisch beleuchtet worden. Dabei entscheiden Themenkarrieren maßgeblich und langfristig nicht nur darüber, welche Fragen und Erkenntnisse als wichtig erachtet werden und welche nicht, sie beeinflussen auch Interpretationsmuster, Bewertungsmaßstäbe und somit letztlich die persönlichen Einstellungen von Planer*innenFootnote 1 und Planungswissenschaftler*innen. Die Fragen, welche Probleme Aufmerksamkeit erhalten und welche Akteur*innen sie in welchem Licht betrachten, hat wiederum nachhaltigen Einfluss auf die Ressourcenverteilung in der Wissenschaft, die disziplinäre Sozialstruktur sowie auf die Entstehung und Gültigkeit wissenschaftlicher Erkenntnisse. Hinzu kommt, dass die Planungswissenschaft eng mit dem Handlungsfeld der Raumplanung verknüpft ist, weshalb einerseits planungspraktische Relevanzkriterien die wissenschaftliche Agenda bestimmen, andererseits aber auch die wissenschaftliche Wissensproduktion auf die planerische Wahrnehmung, Gestaltung und Entwicklung räumlicher Strukturen einwirkt.

Im Rahmen dieser Arbeit wird deshalb ein Verständnis davon erarbeitet, wie sich Aufmerksamkeit für ein Thema in der Planungswissenschaft konstituiert und entwickelt. Hierfür werden Ansätze der medien- und kommunikationswissenschaftlichen sowie der politikwissenschaftlichen Agenda Setting-Forschung mit Theorien der Wissenschaftsforschung kombiniert. Dem Programm der institutionalistischen Wissenschaftssoziologie folgend, werden personenübergreifende Regeln und Normen der Wissenschaft zur Erklärung der aggregierten Themenwahl der Disziplin identifiziert. Anhand der empirischen Untersuchung der Diskurse Schrumpfende Städte und Klimawandel wird aufgezeigt, welche Mechanismen für die Entstehung von Themen in der Planungswissenschaft maßgeblich sind. Hierbei werden quantitative Methoden der Bibliometrie mit qualitativen Methoden der empirischen Sozialforschung kombiniert. Gegenüber beiden untersuchten Themen verläuft die disziplinäre Aufmerksamkeit zunächst auf niedrigem Niveau, erlebt dann einen Durchbruch und eine daran anschließende, mehrjährige Fokussierung, um schließlich wieder leicht abzusinken. Dieser sozial determinierte Verlauf eines Themas wird als Themenkarriere gefasst und anhand eines Phasenmodells systematisiert, so dass Muster von Themenkarrieren in der Wissenschaft jenseits der Fallstudien verallgemeinert werden können. Auf Basis der Erkenntnisse aus Theorie und Empirie werden die Auswirkungen der zwischenzeitlichen Fokussierung eines bestimmten Themas durch die planungswissenschaftliche Disziplin diskutiert. Die Arbeit schließt mit einem Plädoyer, das Verständnis von Themenkarrieren als integralen Bestandteil der Planungswissenschaft zu vertiefen und für die Reflexion wissenschaftlicher und planerischer Praxis zu nutzen.

1.1 Problemstellung und Hintergrund

Die gesellschaftlichen Megatrends der Stadtschrumpfung und des Klimawandels wurden vielfach zum Anlass genommen, die gängige raumplanerische Praxis neu zu justieren. Grundsätzlich handelt es sich bei beiden Phänomenen um mittel- bis langfristige Entwicklungen, die einen Großteil ihrer Wirkmächtigkeit erst in der Zukunft entfalten werden. Beide Trends sind, zumindest partiell, unumkehrbar, da auch der sofortige Stopp von Treibhausgasemissionen bzw. ein deutlicher Geburtenanstieg den Klimawandel bzw. den Bevölkerungsrückgang in den kommenden Jahrzehnten nicht aufhalten könnte. Auch waren beide Megatrends bereits Jahrzehnte vor ihrem Durchbruch in der Planungswissenschaft und der Raumordnungspolitik bekannt, wie sich anhand von Raumordnungsberichten und wissenschaftlichen Publikationen belegen lässt. Veränderte Rahmenbedingungen bzw. das plötzliche Erkennen eines neuen Planungsproblems können daher nicht als (alleinige) Begründung für den Zeitpunkt der Intensivierung der wissenschaftlichen Diskurse gelten. Die Frage, wie und warum die Themen einen starken Anstieg und anschließend eine Normalisierung der ihnen entgegengebrachten Aufmerksamkeit erfahren, ist deshalb weniger in dem beobachteten Phänomen selbst, als vielmehr in dessen Beobachtung zu suchen, das heißt in den Strukturen und Mechanismen der planungswissenschaftlichen Wissensproduktion.

Die gängige Erklärung für temporäre Fokussierungen in der Planungswissenschaft ist die Problemlösungsorientierung der Disziplin. Demnach würden, vergleichbar mit dem klassisch-linearen Planungsprozess, zunächst eine Beobachtung und deren Problematisierung erfolgen. Das Problem würde zur Entwicklung und der anschließenden Umsetzung von Lösungen führen. Wäre das Problem gelöst, wende sich die Planungswissenschaft anderen, noch ungelösten Problemen zu. Die Korrelation zwischen der Fokusphase mit der Implementierung und Institutionalisierung von Lösungsansätzen sowie die anschließende Normalisierung nach Umsetzung der Maßnahmen scheint diese funktionalistische Deutung zu stützen. Sie bedarf jedoch einer Klarstellung: Erkennt die Wissenschaft eigenständig Probleme und entwickelt Lösungen oder ist sie auf die Problemwahrnehmung und den daraus folgenden Wissensbedarf ihrer Systemumwelt angewiesen?

Ersteres würde eher der gängigen (Selbst-)Wahrnehmung der Wissenschaft als unabhängige und objektive Quelle einer universalistischen Rationalität entsprechen (Angermüller 2012: 717; Maasen et al. 2012: 28). Mit Bezug auf die Planungswissenschaft wird diese Perspektive beispielsweise dann eingenommen, wenn Expert*innenwissen und Evidenz als Legitimationsressource und Argumentationsbasis in umstrittenen Entscheidungsprozessen angeführt werden (Zimmermann 2010: 119; Flyvbjerg 1998). Allerdings lassen sich weder der Zeitpunkt noch die Abruptheit des Durchbruchs auf der Grundlage eines solchen Wissenschaftsverständnisses erklären, denn die Beobachtung und Problematisierung der beiden untersuchten Themen war bereits Jahre vor ihrem Durchbruch erfolgt. Trotz guter (systematischer, überprüfbarer) Argumente wurden die wenigen Planungswissenschaftler*innen, die die jeweiligen Themen vor ihrem disziplinweiten Durchbruch erforscht haben, lange Zeit kaum wahrgenommen, teilweise ridikülisiert oder sogar bewusst sanktioniert. Auch ist fraglich, inwiefern die Dominanz der Themen während ihrer jeweiligen Fokusphase durch ihre – wie auch immer zu bestimmende – besonders hohe wissenschaftliche Dringlichkeit und Wichtigkeit gerechtfertigt ist oder ob sie gegenüber anderen, ebenfalls bedeutsamen Themen vorübergehend vergleichsweise überrepräsentiert waren. Angesichts der Komplexität der Problemstellungen wirkt es zudem vorschnell, den Rückgang des fachöffentlichen Interesses auf die erschöpfende Beantwortung der Forschungsfragen zurückzuführen. Umgekehrt könnte – wie in den Medien oder der Politik (vgl. Wolfsfeld 2000) – auch eine überstrapazierte Aufmerksamkeitsspanne dafür verantwortlich sein, dass komplexe Probleme von der allgemeinen Fachöffentlichkeit als gelöst abgehakt werden – unabhängig davon, ob sie tatsächlich gelöst wurden. Das Prinzip einer eigenständigen, nicht durch externe Nachfrage induzierten Problemreaktion der Wissenschaft ist insofern als alleinige Erklärung für Themenkarrieren nicht tragfähig.

Auf den ersten Blick stichhaltiger ist die zweite Option: Planungswissenschaftliche Fokussierungen wären dann Reaktionen auf systemexterne Problemwahrnehmungen und die daraus resultierenden, an die Wissenschaft herangetragenen Wissensbedarfe. Dieses Bild ist im Feld der Raumplanung nicht ungewöhnlich und hat eine gewisse Tradition. Demnach sei die Planungswissenschaft primär Dienstleisterin in der Berufsausbildung und stelle wissenschaftliche Expertise – mehr oder weniger passgenau – auf Anfrage bereit (Gravert et al. 2020). Indem planungswissenschaftliche Themenkarrieren dieser Hypothese zufolge durch systemexterne Nutzenerwartungen determiniert seien, ließe sich die Erklärung ihres Zustandekommens gewissermaßen auslagern. Agenda Setting-Prozesse im Feld der Planungspraxis, nicht innerhalb der Planungswissenschaft wären entscheidend. Dementsprechend wären nicht mehr wissenschaftliche Prinzipien für die Problemdefinition und Themenentstehung maßgeblich, sondern unter anderem politische Handlungslogiken, die an Machtsicherung oder Demokratisierung orientiert sind und nicht unbedingt dem Primat der Problemlösung unterliegen (Diller und Oberding 2017: 58). Diese Erklärung würde nicht nur angesichts der verfassungsmäßig geschützten Freiheit der Wissenschaft Fragen nach der Autonomie und dem Selbstverständnis der planungswissenschaftlichen DisziplinFootnote 2 nach sich ziehen: Inwiefern ist die inhaltliche Ausrichtung nach externen Relevanzkriterien gewollt? Lässt sie sich mit wissenschaftlichen Idealen oder zumindest mit gängigen Wissenschaftsverständnissen in Einklang bringen? Welche Reibungsverluste ergeben sich aus der Verknüpfung der kurzen Zeitspannen politischer Themen mit den mitunter längerfristigen wissenschaftlichen Produktionszyklen? Ist es eine notwendige Konsequenz der gewünschten Praxisnähe, dass „die Forschung nicht in die gewünschte Tiefe für eine theoretische Weiterentwicklung gehen [kann]“ (Diller und Thaler 2017a: 26)? Nicht zuletzt bliebe trotz der im Rahmen dieser Position eingeräumten Heteronomie der Planungswissenschaft die Frage nach der Entstehung wissenschaftlicher Themen: Wie werden gesellschaftlich wichtige und dringliche Themen in das Wissenschaftssystem vermittelt? In gängigen wissenschaftssoziologischen Modellen wird schließlich die Fachgemeinschaft, nicht die gesellschaftliche Umwelt, zum Ausgangspunkt für die Erkennung und Vermittlung von Forschungsbedarfen sowie für die Allokation von Reputation auf der Basis wissenschaftlicher Aufmerksamkeitskriterien erklärt.

Zwischen den beiden genannten Positionen – Betonung der Autonomie bzw. der Heteronomie der Planungswissenschaft – anzusiedeln ist das ebenfalls verbreitete Bild eines transdisziplinären Feldes. Ihm gemäß seien Wissensgenerierung und Wissensweitergabe sowie insbesondere auch die Problemdefinition in der Raumplanung kein einseitiges Projekt, sondern Ergebnis „ko-produktiver“ (Blotevogel und Wiegand 2015: 156) bzw. „interaktiver“ (Zimmermann 2010: 117) Prozesse zwischen Wissenschaft auf der einen Seite sowie planender Verwaltung, Politik, Unternehmen, Medien, Zivilgesellschaft und weiteren Stakeholder*innen auf der anderen Seite (Blotevogel 2014: 10). Welche Probleme wichtig seien, worin sie genau bestünden und wer in welcher Form betroffen sei, werde genauso im kontinuierlichen Austausch zwischen Wissenschaft und Praxis festgelegt, wie die Formulierung von Forschungsfragen und das Anvisieren bestimmter Lösungspfade. Dieser Sichtweise folgend wären auch Themenkarrieren das Produkt eines ständigen, iterativen Austauschprozesses zwischen Wissenschaft und Praxis, der keiner einseitigen Rollenverteilung und Reihenfolge unterliege. Auch dieser Ansatz trägt allerdings noch wenig zur Klärung bei. Vielmehr wird den bereits aufgeworfenen Fragen zusätzliche Präzision und Relevanz verliehen: Wie läuft die Ko-Produktion (von Themen) zwischen Planungswissenschaft und Planungspraxis ab? Was ist dabei die Rolle der Planungswissenschaft, was sind ihre Stärken und Schwächen im Agenda Setting-Prozess? Kann die planungswissenschaftliche Disziplin auch unabhängig von konkreten Nutzenerwartungen Themen antizipieren und bearbeiten und ist sie gegebenenfalls in der Lage, diese an die Planungspolitik und -praxis zu vermitteln? Welchen Handlungslogiken folgt die Ko-Produktion und ist die Erfüllung wissenschaftlicher Selektions- und Qualitätskriterien gewährleistet?

Derlei Fragestellungen deuten bereits auf das normative Spannungsfeld hin, in dem sich diese Arbeit bewegt. Sie stellt damit einen theoretischen und empirischen Beitrag zu der zunehmend aufkommenden Diskussion und Reflexion über die wissenschaftliche Praxis in der noch jungen und dynamischen Disziplin der Planungswissenschaft dar. So wird ergründet, welche institutionellen Arrangements der Planungswissenschaft den Rahmen für Themenkarrieren schaffen und welche Auswirkungen Themenkarrieren auf die Disziplin haben. Die eingangs umrissene, funktionalistische Deutung – gemäß ihrer Bestimmung erkenne die Disziplin mehr oder weniger autonom Probleme, löse sie und wende sich neuen zu – lässt unabhängig von der eingenommenen Perspektive auf die Planungswissenschaft die wesentlichen Fragen unbeantwortet: Wie genau geht es eigentlich vonstatten, dass ein Problem erkannt wird (und ein anderes nicht)? Welche Mechanismen kommen zum Tragen, wenn vorübergehend ein großer Teil der planungswissenschaftlichen Ressourcen auf ein bestimmtes Problem verwendet wird (und auf andere nicht)? Und was genau führt dazu, dass ein Thema nach einigen Jahren wieder an fachgemeinschaftlicher Aufmerksamkeit verliert, während andere in den Fokus rücken? In Kurzform: Wie entstehen Themen in der Planungswissenschaft?

1.2 Ziel und Forschungsfrage

Das Ziel dieser Arbeit ist es, Themenkarrieren in der Planungswissenschaft zu beschreiben und Faktoren offenzulegen, die für die Entstehung von Themen verantwortlich sind. Hierfür werden Modelle der Themenentstehung aus den Medien- und Kommunikationswissenschaften sowie der Politikwissenschaft mit Theorien der Wissenschaftssoziologie verknüpft. Im Speziellen werden institutionalistische Theorien wissenschaftlicher Wissensproduktion um eine Konzeptualisierung der wissenschaftlichen Themenwahl sowie um ein Phasenmodell wissenschaftlicher Aufmerksamkeitszyklen ergänzt. Es wird ein analytischer Rahmen für die Untersuchung wissenschaftlicher Themenkarrieren entwickelt und auf zwei Themenkarrieren in der Planungswissenschaft angewendet. Auf der Grundlage der empirischen Beobachtungen werden Mechanismen und Auswirkungen von Themenkarrieren beschrieben und diskutiert.

Die Arbeit zielt außerdem auf eine Erweiterung der Planungstheorie um den Aspekt der Themenkarriere sowie auf einen empirisch fundierten Beitrag zur disziplinären Selbstreflexion der Planungswissenschaft. Es soll das Bewusstsein dafür geschärft werden, dass es Auf- und Abschwünge der Aufmerksamkeit gegenüber einem Thema gibt, die nicht durch vermeintlich objektive Notwendigkeiten erklärbar sind, die aber Wirkmächtigkeit innerhalb und außerhalb der Disziplin entfalten. Nicht zuletzt soll die Arbeit ein Baustein im theoretischen und empirischen Fundament sein, auf dessen Grundlage die Diskussion über Struktur und Dynamik der Planungswissenschaft informiert geführt werden kann.

Die leitende Forschungsfrage der vorliegenden Arbeit lautet:

Wie entstehen Themen in der Planungswissenschaft?

Diese Frage erlaubt einen deskriptiven sowie einen analytischen Zugang: Zum einen wird (deskriptiv) offengelegt, wie sich Themenkarrieren im Kommunikationssystem der Planungswissenschaft manifestieren. Zum anderen wird (analytisch) ergründet, welche Mechanismen zur Entstehung von Aufmerksamkeit gegenüber einem Thema führen.

Ein Thema wird dabei als Sinnkomplex verstanden, der als Struktur jeder Kommunikation zugrunde liegt und der bei den Teilnehmenden ein gemeinsames Wissen erzeugt. Dieser Sinnkomplex wird durch die Kommunikation darüber hergestellt, reproduziert und verändert (siehe Kp. 5.1). Im empirischen Teil dieser Arbeit qualifizieren sich Kommunikationen durch die Nennung bestimmter Schlüsselbegriffe als einschlägig, das heißt als zum Thema gehörend (siehe Kp. 6.2).

Mit der Entstehung von Themen ist genauer die Entstehung von Aufmerksamkeit gegenüber Themen gemeint. Aufmerksamkeit wird dabei als die Intensität der wissenschaftlichen Auseinandersetzung einer Fachgemeinschaft mit einem Thema gefasst. In Abgrenzung zur individuellen, kognitiven Aufmerksamkeit ist hier die fachöffentliche bzw. planungswissenschaftliche Aufmerksamkeit gemeint. Sie wird als ein soziales, zwischenmenschliches Phänomen verstanden, das erst in der Kommunikation über das Objekt der Aufmerksamkeit emergiert. Diese Kommunikation findet bspw. in thematisch einschlägigen Publikationen, Zitationen, Forschungsanträgen, Konferenzen oder Arbeitskreisen ihren Niederschlag (siehe Kp. 5.1). Im empirischen Teil dieser Arbeit wird die Frequenz einschlägiger Publikationen als ein Indikator für den Grad der fachöffentlichen Aufmerksamkeit gegenüber dem Thema herangezogen (siehe Kp. 6.3).

Der sozial determinierte Verlauf der Aufmerksamkeit gegenüber einem Thema wird als Themenkarriere gefasst. Wissenschaftliche Themenkarrieren durchlaufen unterschiedliche Phasen, in denen Bedeutungen, Akteur*innen und Institutionen sich wandeln und eine jeweils unterschiedliche Wirkung entfalten (siehe Kp. 5.1).

Die Planungswissenschaft ist eine wissenschaftliche Disziplin, in der räumliche und gesellschaftliche Entwicklungen sowie insbesondere deren Planung und Gestaltung erforscht werden. Indem sie auf ein konkretes gesellschaftliches Handlungsfeld ausgerichtet ist – die räumliche Planung –, zeichnet sich die Planungswissenschaft durch eine vergleichsweise hohe Anwendungsorientierung aus (siehe Kp. 1.4). Die Fragestellung zielt auf die deutsche Planungswissenschaft. Im empirischen Teil dieser Arbeit ist der wichtigste Anhaltspunkt zur Abgrenzung der Planungswissenschaft die Kommunikation über Fachartikel in deutschsprachigen planungswissenschaftlichen Zeitschriften (siehe Kp. 6.3).

1.3 Die institutionalistische Wissenschaftssoziologie als Perspektive

Nicht nur sind systematische Untersuchungen der planungswissenschaftlichen Disziplin bislang ungewöhnlich, auch sind hier Konzepte und Methoden der Wissenschaftssoziologie noch nicht in der vorgelegten theoretischen und empirischen Tiefe zum Einsatz gekommen. Um also das dieser Arbeit zugrundeliegende Verständnis zu vermitteln, wird im Folgenden die hier eingenommene Perspektive auf die Wissenschaft erläutert, bevor diese im weiteren Verlauf der Arbeit (siehe insb. Kp. 4 und 5) näher spezifiziert wird. Zunächst wird dafür die zentrale Prämisse der modernen Wissenschaftssoziologie hergeleitet, die auch Ausgangspunkt dieser Arbeit ist: Wissenschaft, wissenschaftliches Wissen und wissenschaftliche Aufmerksamkeit sind Produkte sozialen Handelns und somit der soziologischen Analyse mit dem Instrumentarium sozialwissenschaftlicher Theorien und Methoden zugänglich. Daran anschließend wird dargelegt, warum auf das institutionalistische Programm der Wissenschaftssoziologie zurückgegriffen wird und welche Vorentscheidung damit für die Bearbeitung und Beantwortung der Forschungsfrage getroffen wird.

1.3.1 Wissen(schaft) ist ein soziales Produkt

Die Wissenschaftssoziologie hat ihre Ursprünge in der Wissenschaftstheorie bzw. Philosophy of Science. Diese hat bis in die 1960er Jahre und darüber hinaus die Autonomie der wissenschaftlichen Entwicklung von gesellschaftlichen Einflüssen postuliert. Soziale Faktoren würden allenfalls bei der Entstehung wissenschaftlichen Wissens, nicht jedoch bei der Erklärung seiner Geltung eine Rolle spielen können (Feist 2006: 27; Weingart 2003: 41–42). Gemäß Popper (1935) müsse die logische Analyse diese Erklärung leisten und die Prüfung wissenschaftlicher Theorien könne nur auf Grundlage logischer oder empirischer Kriterien erfolgen (Feist 2006: 28). So schreibt Popper (1935: 4) in dem Teilkapitel „Ausschaltung des Psychologismus“ seines Hauptwerkes „Logik der Forschung“:

„Wir haben die Tätigkeit des wissenschaftlichen Forschers eingangs dahin charakterisiert, dass er Theorien aufstellt und überprüft. Die erste Hälfte dieser Tätigkeit, das Aufstellen der Theorien, scheint uns einer logischen Analyse weder fähig noch bedürftig zu sein: An der Frage, wie es vor sich geht, dass jemandem etwas Neues einfällt – sei es nun ein musikalisches Thema, ein dramatischer Konflikt oder eine wissenschaftliche Theorie –, hat wohl die empirische Psychologie Interesse, nicht aber die Erkenntnislogik. Diese interessiert sich nicht für Tatsachenfragen (Kant: ‚quid facti‘), sondern nur für Geltungsfragen (‚quid juris‘), – das heißt für Fragen von der Art: ob und wie ein Satz begründet werden kann; ob er nachprüfbar ist; ob er von gewissen anderen Sätzen logisch abhängt oder mit ihnen in Widerspruch steht usw.“

Nach Popper müsse Wissenschaft als Produkt unabhängig von Personen sowie von historischem und sozialem Kontext geprüft werden. Wissenschaft als Prozess hingegen könne sehr wohl Gegenstand soziologischer, psychologischer oder historischer Analyse sein und habe „mit Logik wenig zu tun“ (Popper 1935: 5).

Die frühen Arbeiten Mertons (1938a, 1938b, 1942) wurden als soziologisches Pendant zu Poppers Wissenschaftstheorie angesehen (Weingart 2003: 41). Beunruhigt durch „anti-wissenschaftliche Bewegungen“ insbesondere im deutschen Nationalsozialismus, fragte Merton nach den Normen, die konstitutiv für die „pure“ Wissenschaft seien (Merton 1938a). Sein funktionalistischer Ansatz führte ihn zu der Frage nach den institutionellen Imperativen, die gegeben sein müssen, damit die Erweiterung gesicherten Wissens möglich wird (Weingart 2003: 15–16). Er gelangte zur Formulierung eines Normensets für die wissenschaftliche Kommunikation, dem „wissenschaftlichen Ethos“. Demnach wird zum Prinzip erhoben, dass (1.) wissenschaftliche Erkenntnisse ein Gemeingut darstellen und der wissenschaftlichen Gemeinschaft zugänglich gemacht werden („communism“), dass (2.) wissenschaftliche Beiträge einer kritischen Prüfung durch die Gemeinschaft unterzogen werden („organised skepticism“), dass (3.) Beiträge unabhängig von persönlichem Nutzen beurteilt werden („disinterestedness“) und dass (4.) Beiträge nicht nach sozialen Kriterien, wie etwa Nationalität oder Geschlecht, beurteilt werden („universalism“) (Merton 1942: 268–278). Verstöße gegen diese Normen würden, gemäß Merton, eine optimale Entwicklung der Wissenschaft beeinträchtigen (Hasse 2012: 47).

Ausgehend von der Veröffentlichung des Grundlagenwerks „The structure of scientific revolutions“ von Thomas Kuhn (1970 [1962]) grenzte sich die Wissenschaftssoziologie zunehmend von dem (kritisch) rationalistischen Wissenschaftsverständnis Poppers und dem funktionalistischen Ansatz Mertons ab (Weingart 2003: 42; Feist 2006: 27–29). Kuhn stimmt mit Popper zunächst in dessen Kritik gegenüber dem klassischen Positivismus überein. So seien (wissenschaftliche) Beobachtungen immer untrennbar mit Theorien und Vorannahmen verknüpft. Induktion im klassischen Sinne sei folglich eine Illusion (Kuhn 1974: 2, 12). Grundsätzliche Vorbehalte äußert Kuhn allerdings gegenüber Poppers Falsifikationismus und dem damit verknüpften (kritisch) rationalistischen Verständnis einer logisch begründbaren Erkenntnis. Popper würde damit weniger eine Logik der Erkenntnisentstehung anbieten, als vielmehr eine Ideologie des Wissens. Dabei gäbe es Formen wissenschaftlichen Wissens, die logischer Analyse nicht zugänglich seien. In seinem Aufsatz „Logic of Discovery or Psychology of Research?“ konstatiert er:

„Already it should be clear that the explanation [to what scientific progress is, Anm. d. Verf.] must, in the final analysis, be psychological or sociological. It must, that is, be a description of a value system, an ideology, together with an analysis of the institutions through which that system is transmitted and enforced. Knowing what scientists value, we may hope to understand what problems they will undertake and what choices they will make in particular circumstances of conflict. I doubt that there is another sort of answer to be found.“ (Kuhn 1974: 21)

Gemäß Kuhn ist eben nicht nur der Prozess der Gewinnung wissenschaftlicher Erkenntnis, sondern gerade auch deren Geltung sozial determiniert – letztlich eine der Kernthesen seines oben erwähnten Grundlagenwerkes (Weingart 2003: 53). Popper selbst lässt in seiner Antwort auf Kuhn die oben ausgeführte Unterscheidung zwischen (sozialem) Prozess und (logisch begründbarem) Produkt beiseite, legt dabei jedoch eine viel grundlegendere Skepsis gegenüber soziologischer Analyse offen:

„In fact, compared with physics, sociology and psychology are riddled with fashions, and with uncontrolled dogmas. The suggestion that we can find anything here like ‚objective, pure description‘ is clearly mistaken. Besides, how can the regress to these often spurious sciences help us in this particular difficulty? Is it not sociological (or psychological, or historical) science to which you want to appeal in order to decide what amounts to the question ‚What is science?‘ or ‚What is, in fact, normal in science?‘ For clearly you do not want to appeal to the sociological (or psychological or historical) lunatic fringe? And whom do you want to consult: the ‚normal‘ sociologist (or psychologist, or historian) or the ‚extraordinary‘ one? This is why I regard the idea of turning to sociology or psychology as surprising. I regard it as disappointing because it shows that all I have said before against sociologistic and psychologistic tendencies and ways, especially in history, was in vain. No, this is not the way, as mere logic can show; and thus the answer to Kuhn’s question ‚Logic of Discovery or Psychology of Research?‘ is that while the Logic of Discovery has little to learn from the Psychology of Research, the latter has much to learn from the former.“ (Popper 1970: 57–58)

Dass Popper zunächst die Soziologie als eine von Moden und unkontrollierten Dogmen gezeichnete Disziplin ansieht, zeigt nicht nur die Relevanz der dieser Arbeit zugrundeliegenden Fragestellung. Auch würde Kuhn hier lediglich in dem Punkt widersprechen, die Physik wäre von solchen Moden und Dogmen unberührt. Unvereinbar ist Poppers Position hingegen darin, aufgrund der Moden und Dogmen den Nutzen dreier bedeutender Disziplinen in Frage zu stellen und sie als „irrsinnige Randerscheinungen“ zu disqualifizieren. Schließlich seien gemäß Kuhn eben solche Moden und Dogmen erforderlich für den Erkenntnisgewinn, denn der zwischenzeitliche Konsens der wissenschaftlichen Community bezüglich einiger Grundprinzipien erhöhe „both the effectiveness and the efficiency with which the group as a whole solves new problems“ (Kuhn 1970 [1962]: 162). In diesem Punkt können auch Wissenschaftstheoretiker wie Lakatos (1974) oder Feyerabend (1975) anknüpfen, indem sie weniger die Logik einer Theorie zum entscheidenden Kriterium für deren Geltung erheben, als vielmehr ihre Dienlichkeit für den Erkenntnisfortschritt.

Die Meinungsverschiedenheit zwischen Popper und Kuhn verliert an Schärfe, wenn sie vor dem Hintergrund der unterschiedlichen, jeweils zugrundeliegenden Positionen betrachtet wird. Popper ist primär an der normativen und präskriptiven Frage interessiert, wie wissenschaftliche Erkenntnisentstehung funktionieren sollte (bspw. Popper 1935: 20–21). Er versucht, die wissenschaftliche Geltung von Theorien logisch zu erfassen und legt dabei „Spielregeln“ der Wissenschaft fest (ebd.: 22). Kuhn hingegen beschäftigt sich mit der deskriptiven Frage, wie wissenschaftliche Erkenntnisentstehung in der Realität funktioniert. Er möchte die tatsächliche Entwicklung (der Geltung) von Theorien in der wissenschaftlichen Community erfassen und nimmt dabei einen primär soziologischen Standpunkt ein. Die Geltung einer Theorie hänge demnach weniger von logischen, als vielmehr von ästhetischen, sozialen oder psychologischen Faktoren ab (Feist 2006: 13). In der Untermauerung und Verbreitung dieser Erkenntnis, der Schaffung wissenschaftlichen Wissens lägen soziale Prozesse zugrunde, liegt eine der wesentlichen Errungenschaften aus Kuhns Arbeit, die die Wissenschaftssoziologie maßgeblich veränderte (Bettencourt et al. 2009: 212).

Für die Wissenschaftssoziologie nach Kuhn ist die Wissenschaft selbstverständlicher Teil der Gesellschaft und wissenschaftliches Wissen, ungeachtet seiner Spezifität, immer ein soziales Produkt (Weingart 2003: 41–42). Damit einher geht die Abwendung von der Perspektive, die Wissenschaft sei von gesellschaftlichen Einflüssen unabhängig und allein sachliche (und nicht soziale) Argumente seien für die Schließung wissenschaftlicher Kontroversen entscheidend (ebd.: 81). Die Prämisse, wissenschaftliches Wissen sei ein soziales Produkt, bezieht sich auf zwei Beobachtungen: Zum einen ist die Entstehung wissenschaftlicher Erkenntnis immer das Resultat von zwischenmenschlichen Interaktionen und nie allein auf eine geniale Einzelleistung zurückzuführen (Hasse 2012: 45). Zum anderen ist nicht nur die Gewinnung, sondern auch die Rezeption und Geltung des gemeinschaftlich entstandenen Wissens sozial konstruiert. In dieser Perspektive sind wissenschaftliche Wahrheiten Konstruktionen, die nicht durch Logik oder eine naturgesetzliche Ordnung vorgegeben sind, sondern die in den „sozialen, historischen, politischen, d. h. in durch und durch kontingenten Praktiken wissenschaftlicher Wissensproduktion“ angelegt sind (Angermüller 2012: 717). Gewonnenes Wissen kumuliert nicht zu einem unveränderlichen, allgemein gültigen Regelwerk, sondern es wird in wissenschaftlichen Gemeinschaften kontinuierlich verhandelt, reproduziert, aktualisiert und gegebenenfalls falsifiziert (Miller und Fox 2001: 675).

Die Wissenschaft wird somit von ihrem epistemologischen Sonderstatus befreit und die Produktion wissenschaftlichen Wissens zu einem spezifischen Typus sozialen Handelns oder der Kommunikation erklärt (Weingart 2003: 12). Sie wird somit der soziologischen Beobachtung mit dem Instrumentarium sozialwissenschaftlicher Theorien und Methoden zugänglich, wie sie auch für die Analyse anderer Teilbereiche der Gesellschaft zum Einsatz kommen (Hasse 2012: 45). Mit Blick auf die dieser Arbeit zugrunde liegende Fragestellung wird ersichtlich, warum die theoretischen Grundlagen zu ihrer Beantwortung nicht in der Wissenschaftsphilosophie, sondern in der neueren Wissenschaftssoziologie zu suchen sind. Normative und präskriptive Fragen, wie etwa die Frage nach einer optimalen oder logisch begründbaren Verteilung wissenschaftlicher Aufmerksamkeit, werden in dieser Arbeit ausgeklammert. Die vorliegende Frage hingegen, wie Aufmerksamkeit in der wissenschaftlichen Praxis tatsächlich entsteht, ist deskriptiver und analytischer Natur und zielt auf real stattfindende Prozesse in der wissenschaftlichen Gemeinschaft ab. Soziale Faktoren stehen bei der Beantwortung dieser Frage an erster Stelle.

1.3.2 Die Ausrichtung der Wissenschaft ist durch Institutionen bestimmt

Gemäß Maasen et al. (2012: 27) wird in der Wissenschaftssoziologie klassischerweise unterschieden zwischen einer institutionalistischen Perspektive, die soziale Bedingungen und Arrangements in den Blick nimmt, und einer kognitiven oder diskursiven Perspektive, die „Texte, Begriffe, Theorien, intellektuelle Orientierungen, Problemformulierungen und -lösungen sowie die dabei verwendeten Mittel untersucht“. Die vorliegende Fragestellung lässt sich aus beiden Perspektiven interpretieren und beantworten. Die diskursive Variante würde die inhaltliche Entwicklung eines Themas in den Fokus rücken. Mit Blick auf Themenkarrieren wären bspw. Aufschlüsse denkbar, inwiefern Bedeutungsverschiebungen mit Veränderungen der fachöffentlichen Aufmerksamkeit einhergehen und inwiefern hier (kausale) Wirkungszusammenhänge vorliegen (vgl. Günzel et al. 2018). Diese Arbeit nimmt stattdessen die sozialen Mechanismen und Strukturen der wissenschaftlichen Gemeinschaft zum Ausgangspunkt für die Beschreibung und Erklärung von Themenkarrieren. Anstatt also Themenkarrieren aus den sich verändernden inhärenten Qualitäten eines Themas herleiten zu wollen, wird in dieser Arbeit danach gefragt, welche sozialen Prozesse dazu führen, dass die wissenschaftliche Community das Thema zu einem bestimmten Zeitpunkt auswählt, um es einer Themenkarriere auszusetzen (vgl. Ben-David und Collins 1966: 452). Bei aller Betonung des Sozialen kann und soll andererseits das Inhaltliche nicht im Sinne einer Black Box ausgeklammert werden, schließlich wirken sich epistemische Strukturen und Dynamiken auf die sozialen Prozesse aus, indem sie etwa Akteur*innen aktivieren oder Anlass für Kooperationen geben (Heidler 2011: 16–17).

An dieser Stelle sei auf das durch die DFG geförderte Forschungsprojekt „Themenkarrieren in der Planungswissenschaft“ (DFG Projektnummer: 249373398) hingewiesen, aus dem diese Arbeit hervorgeht. Dort wurde eine Verknüpfung der institutionalistischen mit der diskursiven Perspektive unternommen, sodass zum einen ein Phasenmodell mit den empirischen Erkenntnissen aus den beiden Perspektiven erstellt werden konnte und zum anderen untersucht wurde, inwiefern strukturelle Faktoren die inhaltliche Entwicklung eines Themas beeinflussen oder inwiefern umgekehrt durch Bedeutungsverschiebungen neue Akteur*innen benannt werden und der Zugang zu Fördermitteln verändert wird (vgl. Gravert et al. 2019).

Die hier eingenommene Perspektive grenzt sich von der häufig als institutionalistische Wissenschaftssoziologie bezeichneten präskriptiven Erforschung des idealtypischen wissenschaftlichen Ethos im Sinne des frühen Merton (1938a, 1938b, 1942) sowie der Entwicklung eines formellen Rahmens zur Optimierung wissenschaftlicher Praxis im Sinne der Effizienz- oder Innovationsförderung ab. Zwar hat die institutionalistische Wissenschaftssoziologie ihre Ursprünge in den Arbeiten Mertons, jedoch trat sein normativer Ansatz seit den Arbeiten Kuhns zugunsten einer deskriptiven und explanativen Orientierung in den Hintergrund. Insbesondere Whitley (1970) kritisierte in seinem Aufsatz „Black Boxism and the Sociology of Science“, dass die institutionalistische Wissenschaftssoziologie den tatsächlichen Entstehungsprozess wissenschaftlichen Wissens und die lokale Praxis der Forschenden völlig unberührt ließ (Hofmann und Hirschauer 2012: 87–88). In seiner Arbeit hebt er die Wechselwirkungen zwischen institutionellen Strukturen und wissenschaftlichem Wissen hervor und rückt dabei die strukturierende Funktion der Reputation in den Vordergrund. Whitleys (1984) Feststellung, die institutionellen Strukturen würden nicht nur das Tempo der wissenschaftlichen Entwicklung, sondern auch ihre Ausrichtung bestimmen, gilt als Ursprung und Leitlinie für das institutionalistische Programm der Wissenschaftssoziologie (Hasse 2012: 51).

Dem Programm der institutionalistischen Wissenschaftssoziologie folgend, werden in dieser Arbeit die tatsächlich handlungsleitenden, akteur*innenübergreifenden Regelungsstrukturen in den Blick genommen (und präskriptive Fragen außer Acht gelassen). Es wird davon ausgegangen, dass das Handeln von Akteur*innen immer eingebettet ist in Regel- bzw. Institutionensysteme. Institutionen können sowohl formell (bspw. Gesetze, Verträge) als auch informell (bspw. Verhaltenskodexe, Normen) sein, sichtbar (bspw. Absichtserklärungen) wie latent (implizite Erwartungshaltungen). Sie bestimmen Handlungsspielräume, schränken diese aber umgekehrt ein und belegen von der Norm abweichendes Verhalten mit Sanktionen. Demnach determinieren Institutionen das Akteur*innenhandeln nicht, sondern sie stimulieren, ermöglichen und limitieren es. Durch diese Lenkungswirkung des institutionellen Kontextes wird das Handeln von Akteur*innen für die anderen Interaktionsteilnehmer*innen erwartbar. Nicht nur schaffen Institutionen einen Handlungskontext, gleichzeitig produziert und reproduziert das durch sie beeinflusste soziale Handeln den institutionellen Kontext.

Auch Forschungsentscheidungen sind durch personenübergreifende, institutionelle Arrangements strukturiert. Gleichzeitig produzieren und reproduzieren alltägliche Forschungsentscheidungen die fachgemeinschaftliche Wissens- und Sozialstruktur, die den institutionellen Kontext für die Mitglieder der Fachgemeinschaft determiniert (siehe Kp. 5.3). Weil also auch die Wahl von Forschungsthemen und der themengebundene Einsatz wissenschaftlicher Ressourcen in den strukturellen Kontext eingebettet sind, werden dieser Kontext und dessen Wandel als Erklärungsmoment für die Entstehung von Themen in der Planungswissenschaft anvisiert.

1.4 Die Planungswissenschaft als Untersuchungsfeld

Die Planungswissenschaft erforscht räumliche und gesellschaftliche Entwicklungen sowie insbesondere deren Planung und Gestaltung. Sie ist in Forschung, Lehre und Wissenstransfer auf ein konkretes gesellschaftliches Handlungsfeld ausgerichtet – die Raumplanung bzw. die Planungspraxis (Levin-Keitel und Sondermann 2017: 3; Diller und Thaler 2017a: 58; Mackrodt und Lerch 2017: 21). Analog zur Rechtswissenschaft (->Justiz) oder Sportwissenschaft (->Sport) stellt die Planungswissenschaft also die Reflexionstheorie der Planung dar und macht sich als solche die evaluativen Leitorientierungen als konstitutives Element der eigenen theoretischen Perspektive zu eigen (Schimank 2005a: 15). Dementsprechend legt die Planungswissenschaft einen Schwerpunkt auf das engineering praxistauglicher Planungsprozesse, -instrumente und -strukturen, die an aktuelle planerische Problemstellungen, Themen und Ideale wie bspw. Nachhaltigkeit, Klimaanpassung oder Gleichwertige Lebensverhältnisse anknüpfen (Hellmich et al. 2017: 8; Diller und Thaler 2017b: 58).

Sowohl als eigenständige wissenschaftliche Disziplin als auch als gesellschaftliches Handlungsfeld ist der Bereich der Raumplanung aufgrund der Raumbedeutsamkeit zahlreicher Politiken verschiedenster Ressorts kaum abgrenzbar. Im Gegensatz zu den sektoralen Fachplanungen wie bspw. Verkehrsplanung oder Wasserwirtschaft zeichnet sich die Raumplanung durch ihren integrativen Anspruch aus, das heißt durch ihre Funktion der überfachlichen Koordinierung von Nutzungsansprüchen an Räume (Danielzyk und Münter 2018; Feiertag 2018: 66; Fürst und Mäding 2011; Fürst 2010: 15). Ausgehend von einer technokratisch verstandenen Profession, die ganzheitliche, rationale Antworten und Handlungsanleitungen für vermeintlich lineare Planungsprozesse erarbeitet, hat sich die Planungswissenschaft zu einer interpretativ-kommunikativ orientierten Disziplin mit zunehmender Skepsis gegenüber synoptischen Planungsidealen entwickelt (Peters 2004: 5–7; Selle 2005).

1.4.1 Die Institutionalisierung der planungswissenschaftlichen Disziplin

Seit Mitte der 1960er Jahre ist die Planungswissenschaft im deutschsprachigen Raum zu einer relevanten wissenschaftlichen Disziplin gereift, die als solche an Universitäten und Fachhochschulen in Fakultäten, Lehrstühlen und Studiengängen formal institutionalisiert istFootnote 3 (Wiechmann 2019c: 2). Auch an außeruniversitären Forschungseinrichtungen wird Planungswissenschaft praktiziert, wobei insbesondere die fünf im „Raumwissenschaftlichen Netzwerk (5R)“ verbundenen Forschungseinrichtungen über eine planungswissenschaftliche Ausrichtung verfügenFootnote 4. Hinzu kommen die Einrichtungen der Ressortforschung, insbesondere das Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) und das Umweltbundesamt (UBA), die in der Planungswissenschaft eine vergleichsweise wichtige Rolle einnehmen (Feiertag 2018). Die institutionelle Anbindung an die genannten Organisationen ist kein Erfordernis für das Betreiben von Planungswissenschaft, was sich in den Fachbeiträgen von Forscher*innen anderer disziplinärer Zuordnungen sowie Akteur*innen der Planungspraxis zeigt.

Verglichen mit anderen Gesellschaftswissenschaften war die Planungswissenschaft in ihrer noch relativ jungen Disziplinhistorie zurückhaltend mit der Verständigung über sich selbst. Eine über Jubiläumsvorträge und Diskussionsrunden hinausgehende, mehrere planungswissenschaftliche Einrichtungen umspannende Selbstreflexion ist schwer zu finden. Eine disziplinpolitische Vertretung nach außen wurde bislang kaum wahrgenommen (Wiechmann 2020: o. S.). Als Dachorganisation der Planungsschulen fungiert auf europäischer Ebene die „Association of European Schools of Planning (AESOP)“. In Deutschland ist die „Akademie für Raumentwicklung in der Leibniz-Gemeinschaft (ARL)“ eine wichtige Plattform und Akteurin zur Förderung disziplinärer Kommunikation. Sie setzt sich aus einem Netzwerk ehrenamtlich tätiger Wissenschaftler*innen und Praktiker*innen einschließlich ihrer gewählten Mitglieder zusammen. Charakteristisch ist ihre transdisziplinäre, anwendungsorientierte Ausrichtung als Mittlerin zwischen Wissenschaft und Praxis, die sich in zielgruppenspezifischen Veröffentlichungs-, Beratungs- und Veranstaltungsformaten niederschlägt (Blotevogel und Wiegand 2015). Eine ähnliche Funktion nimmt die Deutsche Akademie für Städtebau und Landesplanung (DASL) ein. Als disziplinäre Konferenzen sind im deutschsprachigen Raum der jährliche ARL-Kongress sowie die alle zwei Jahre stattfindende „Dortmunder Konferenz“ zu nennen, die aber innerhalb ihrer Disziplin nicht die gleiche Breitenwirkung entfalten, wie bspw. die soziologischen oder geografischen Kongresse der Deutschen Gesellschaft für Soziologie bzw. der Deutschen Gesellschaft für Geographie.

Zwar gibt es disziplinspezifische Lehrbücher und Fachzeitschriften, bislang jedoch keinen etablierten Kanon planungstheoretischer Literatur (Wiechmann 2018: 1781). Insbesondere angesichts der Vielfältigkeit und Tiefe interdisziplinärer Anknüpfungspunkte – etwa zur Geografie, Ökonomie oder Soziologie – tritt innerhalb der Disziplin vermehrt die Frage nach ihrer Eigenständigkeit auf. Auch ihr „traditionell eher geringes Interesse an Theorie“ trägt ihr mitunter den Vorwurf des Eklektizismus oder auch der mangelnden eigenen Paradigmatisierung ein (ebd.: 1772). Nicht zuletzt in ihrer ausgeprägten Anwendungsorientierung und der damit verbundenen „Ankettung“ an öffentliche und politische Problemwahrnehmungen wird eine der wesentlichen Ursachen für die „Disparatheit“ und „Theorielosigkeit“ der Disziplin gesehen (Häußermann und Siebel 1978: 485; Diller und Thaler 2017b). Weder über die relevanten Denkschulen noch über den Gegenstandsbereich der Planung gibt es einen disziplinären Konsens (Wiechmann 2018: 1772). Reader zur Planungstheorie waren bis vor kurzem nur in englischer Sprache verfügbar und auch diese waren eher Ausdruck der Diversität als der Konvergenz planungswissenschaftlicher Selbstverständnisse (Wiechmann 2019d, 2018: 1781). Inwiefern aktuelle Vorstöße, wie bspw. die „ARL Reader Planungstheorie“ (Wiechmann 2019a, 2019b), eine kohäsive Wirkung für die Disziplin entfalten können, wird sich erst in Zukunft zeigen.

1.4.2 Das Verhältnis der Planungswissenschaft zur Planungspraxis

Die Planungswissenschaft ist nicht nur inter-, sondern auch transdisziplinär angelegt. Auf vielfältige und umfassende Weise ist sie mit der Planungspraxis verwoben, was letztere zu einem wichtigen Bestandteil des institutionellen Kontextes von Planungswissenschaftler*innen macht. Das Handlungsfeld der Planungspraxis umfasst in einem breiten Verständnis die Gesamtheit der Handlungen, „die auf zukünftige räumliche Entwicklungen gerichtet sind und die Gestaltung und Nutzung von Räumen steuernd beeinflussen“ (Lamker et al. 2017: 10). Planungspraxis geht demnach über das politisch-administrative System der Stadt- und Raumplanung hinaus und wird als Arena betrachtet, in der Akteur*innen unterschiedlicher institutioneller Hintergründe in verschiedenen Konstellationen die Raumplanung und -entwicklung verhandeln (Gravert et al. 2020; Mackrodt und Lerch 2017: 21–28). Neben Akteur*innen aus Politik und Verwaltung sind dies insbesondere Träger*innen öffentlicher Belange, private Planungsbüros, Akteur*innen aus der Zivilgesellschaft, der Wirtschaft und der Wissenschaft (Levin-Keitel und Sondermann 2017: 1).

Charakteristisch für die Planungswissenschaft ist ihre Anwendungsorientierung. Die Auseinandersetzung mit raumwirksamen, gesellschaftlichen Entwicklungen – etwa in den Bereichen Demografie, Mobilität oder Arbeitsmarkt – ist eine ihrer zentralen Aufgaben. Diese Entwicklungen ergeben sich unter anderem aus technologischen Errungenschaften, politischen Entscheidungen oder gerichtlichen Verfügungen. Auch die Institutionen der Planung – von Gesetzen über Leitbilder bis hin zu Werten und Normen – unterliegen angesichts der sich verändernden Rahmenbedingungen einer ständigen Aktualisierung. Die Planungswissenschaft verfolgt mithin einen Forschungsgegenstand im Wandel, weshalb ihr, analog zur Soziologie, „ewige Jugendlichkeit“ attestiert werden kann. So konstatiert Siebel (2013: 148) zur Soziologie:

„Anders als in den Naturwissenschaften kann Soziologie nicht hoffen, ihrem Gegenstand in geduldiger Forschungsarbeit allmählich näher zu kommen. Sie kann froh sein, wenn der Abstand nicht größer wird, und dazu muss sie ihre Fragestellungen, ihre Begriffe und Erklärungen laufend ändern.“

Einhergehend mit gesellschaftlichen und planerischen Transformationen verändern sich nicht nur raumbezogene Planungsaufgaben und die Bedingungen, unter denen diese Aufgaben bewältigt werden müssen (Kilper 2018: 1946). Ebenso wandeln sich theoretische Prämissen, Fragestellungen und Methoden sowie letztlich auch Wahrnehmungen, Perspektiven und Relevanzkriterien innerhalb der Planungswissenschaft.

Diese Nähe zum Forschungsgegenstand wird noch verstärkt durch die verhältnismäßig ausgeprägte präskriptive und normative Ausrichtung der Planungswissenschaft (Wiechmann 2008: 10; Peer und Sondermann 2016: 34). Gemäß Wiechmann (2008: 10) fragt sie traditionell eher danach, wie geplant werden soll, als danach, wie tatsächlich geplant wird. Dabei rücken immer wieder Wertentscheidungen in den Fokus – bspw. ‚Was ist schön?‘, ‚Was ist gerecht?‘, ‚Was ist nachhaltig?‘. Diese Fragen lassen sich nicht in disziplinärer Isolation diskutieren. Die planungswissenschaftliche Orientierung am Gemeinwohl setzt ein Verständnis aktueller gesellschaftlicher Bewertungsmaßstäbe voraus. Nicht nur ihre Forschungsgegenstände kann die Planungswissenschaft also kaum autonom auswählen. Auch die Bewertung empirischer Befunde oder die Entwicklung von Handlungsoptionen ist stets vor dem Hintergrund eines gesellschaftlichen Diskurses zu sehen.

Die Ausbildung von Planungspraktiker*innen ist eine weitere zentrale Verknüpfung zwischen Wissenschaft und Praxis. An Universitäten und Fachhochschulen vermitteln Planungswissenschaftler*innen Wissen, Fähigkeiten und normative Orientierungen an zukünftige Planungspraktiker*innen. Die starke Nachfrage in der Planungspraxis nach Absolvent*innen der Planungsfakultäten zeigt, wie praxisrelevant diese Kompetenzen sind. Nicht nur in der Berufsausübung, sondern auch im Rahmen der gesellschaftlichen Teilhabe finden die universitär vermittelten Kompetenzen und Bewertungsmaßstäbe der Absolvent*innen ihren Niederschlag.

Die nur an wenigen Standorten angesiedelte universitäre Ausbildung ist auf ein relativ eng abgegrenztes Berufsfeld ausgerichtet. Daraus ergibt sich, dass ein hoher Anteil der Akteur*innen aus der Planungswissenschaft mit jenen aus der Praxis persönliche Beziehungen unterhält. Verglichen mit anderen wissenschaftlichen Disziplinen ist das Netzwerk der Planungswissenschaft daher relativ eng mit jenem der Praxis verwoben. Planungswissenschaftler*innen sind aber nicht nur im Rahmen von persönlichen Bekanntschaften, formellen Netzwerken, Kooperationen oder Austauschgeschäften eng mit Akteur*innen der Praxis verknüpft. Oft sind Wissenschaft und Praxis in einer Person vereint, beispielsweise durch das parallele Innehaben eines Lehrstuhls und eines Planungsbüros.

Nicht zuletzt die gegenseitige Vermittlung und gemeinsame Produktion von Wissen verknüpft Wissenschaft und Praxis. Planungsforschung – von Bestandsaufnahmen über die Entwicklung und Implementierung von Ideen bis hin zu Wirkungsanalysen – findet schließlich nicht im Labor statt, sondern „in der Regel in Städten und Regionen unter Beteiligung lokaler Akteure“ (Zimmermann 2017: 27; Pahl-Weber 2011: 405–406). Forschende benötigen Praxiswissen und sind diesbezüglich auf die Informationen von Praktiker*innen sowie gegebenenfalls eigene Praxiserfahrungen angewiesen. Umgekehrt wird planungswissenschaftliches Wissen – beispielsweise zu möglichen Trends der Raumentwicklung und zukünftigen Herausforderungen – als Entscheidungsgrundlage sowie als Legitimationsressource seitens der Praxis nachgefragt. So treten Planungswissenschaftler*innen immer wieder als Expert*innen in der Praxis auf – beispielsweise im Zuge systematischer Evaluierungen, Strategieentwicklungen oder städtebaulichen Wettbewerben. Bei derartigen Dienstleistungen müssen sich Wissenschaftler*innen nicht nur an den disziplinären Qualitätskriterien orientieren. Stattdessen ist insbesondere auch die gesellschaftliche Relevanz und Nützlichkeit von Wissensbeständen zu bemessen, um angesichts mehrerer möglicher Interpretationen oder Optionen Urteilssicherheit herstellen zu können (Weingart et al. 2015: 45–46).

Eine zentrale Kopplung zwischen Wissenschaft und Praxis ergibt sich aus der zweckgebundenen Allokation finanzieller Ressourcen. Insbesondere im Rahmen von Auftragsforschungen, politisch beeinflusster Mittelvergabe oder Ressortforschung modifizieren Politik, Verwaltung oder Wirtschaft die planungswissenschaftliche Wissensproduktion auf der Basis ihrer jeweiligen Relevanzkriterien. In der Planungswissenschaft haben politische Fördermittelgeber*innen (insb. BMI, BMBF, BMU, Landesministerien) und die Ressortforschung eine verhältnismäßig hohe Bedeutung (für die Rolle der Ressortforschung und insb. des BBSR siehe Feiertag 2018 und Wissenschaftsrat 2017). Ihre Einflussnahme erhöht die Ressourcen der Planungswissenschaft signifikant, verringert aber gleichzeitig die Autonomie der Disziplin in der Frage, welche Fachbereiche und welche Forschungsfragen Priorität erhalten. Auf Seiten der Planungspraxis ist die Mittelvergabe mit konkreten Nutzenerwartungen verknüpft. Der inhaltliche Fokus der Planungswissenschaft soll vorübergehend modifiziert werden, damit eine bestimmte Leistung erbracht wird – beispielsweise die Analyse, Bewertung und Lösung eines gesellschaftlichen Problems. Den Forschungsbedarf formulieren teilweise Expert*innengremien mit planungswissenschaftlicher Beteiligung. Oftmals ergeben sich die Verteilungsentscheidungen aber auch vollkommen unabhängig von Erkenntnissen und Prioritäten der Wissenschaft – beispielsweise im Zuge von Regierungswechseln, Gesetzesänderungen oder der veränderten öffentlichen Wahrnehmung von Problemen.

1.4.3 Planungswissenschaftliche Vorarbeiten zur Entstehung von Themen

Zwar hat sich die Planungswissenschaft bislang kaum systematisch mit Themenkarrieren befasst, es gibt aber dennoch zahlreiche planungswissenschaftliche Studien, die als Anknüpfungspunkte für diese Untersuchung dienen können. So ist die Verhandlung von Begriffen, Trends, Priorisierungen, Transformationen und Innovationen immer wieder Gegenstand von Diskussionen, wobei allerdings der Fokus fast ausnahmslos auf die Raumplanung als politisches Handlungsfeld gelegt wird, während Thematisierungsprozesse innerhalb der Wissenschaft kaum eine Rolle spielen. Nebeneinander betrachtet decken die Studien ein Spektrum ab, das von reinen Inhaltsanalysen mit einem Fokus auf Begriffe und Bedeutungen, über diskursanalytische Ansätze mit einem Fokus auf die Konstruktion und die transformative Kraft bestimmter Konzepte, bis hin zu Arbeiten mit einem Fokus auf Planungsprozesse und -strukturen als Kontext für das Entstehen von Strategien, Innovationen oder Themen reicht.

Einen Fokus auf Sinnzusammenhänge leisten eine Reihe inhalts- und diskursanalytischer Forschungsansätze. Sie wurden insbesondere seit der kommunikativen Wende verfolgt, im Zuge derer die planungstheoretische Anerkennung der sozialen Konstruktion von Wissen Einzug in die Planungswissenschaft erhielt (vgl. Healey 1992, 1996; Fischer und Forester 1993; Fürst 1996). Einige dieser Forschungsansätze untersuchen Sinnzusammenhänge weniger im Hinblick auf ihren diskursiven Herstellungskontext, sondern stärker hinsichtlich ihrer inhaltlichen Bezüge. So wird bspw. von Siebel (2000, 2004) und Schubert (2001) eine Auseinandersetzung mit der Europäischen Stadt vorgenommen. Schubert verfolgt dabei das Ziel, die vielfältige, normative und teilweise widersprüchliche Verwendung des Begriffs der Europäischen Stadt und des damit bezeichneten Konzeptes zu dekonstruieren. Roskamm (2011) untersucht den Begriff der Dichte, der für die Stadtentwicklung eine wesentliche Orientierungsgröße sei, hinsichtlich seiner Bezüge zu anderen Themenkomplexen wie bspw. Gesellschaft oder Raum. Selle (2018) befasst sich mit dem Begriff der Urbanität, der eine Art „Leerform“ darstelle, „in die – je nach Zeitgeist und individuellen Vorlieben – unterschiedlichste bauliche und/oder soziale Inhalte eingepasst werden“ (ebd.: 36). Diese „Verwendungsbeliebigkeit“ sei jedoch kein Alleinstellungsmerkmal, stattdessen wimmle es in der Planung von solchen „anscheinend beliebig interpretierbaren Begriffen“ (ebd.). Trotz augenscheinlich unterschiedlicher Erkenntnisinteressen und Forschungsdesigns ist den genannten Arbeiten die Dekonstruktion von Sinnzusammenhängen gemein. Die strukturellen Bedingungen für die Bedeutungsentwicklung in der Raumplanung werden dabei meist – implizit oder explizit – als gegeben vorausgesetzt und stehen nicht im Zentrum der Auseinandersetzungen.

Weitere Arbeiten sind stärker in der Tradition Michel Foucaults verortet und legen den Fokus auf den diskursiven Herstellungskontext für bestimmte Sinnzusammenhänge in der Planung. Dies leisten Hesse und Kaltenbrunner (2005) zum Begriff der Zersiedlung sowie Nuissl und Heinrichs (2011) zu dem der Governance in der Raumplanung. Schmitt (2007) und Wiechmann (2009) untersuchen die Diskursgeschichte von Metropolregionen, Sharp und Richardson (2001) operationalisieren die diskurstheoretischen Ansätze Foucaults für ihre Analyse der Transeuropäischen Netze und des Begriffs der Nachhaltigkeit. Rydin (1997) konzentriert ihre Untersuchungen auf die diskursiven Konzeptionen Nachhaltiger Stadtentwicklung und Healey (1999) setzt sich mit den Diskursen um die ökonomische Entwicklung und Leistungsfähigkeit im Kontext der Raumplanung auseinander.

Unter anderem die seit den 1990er Jahren verstärkt geführten Diskurse um das Thema Nachhaltigkeit haben zu einer Reihe von Studien geführt, die sich mit der Rolle von Schlüsselbegriffen und idealisierten Konzepten in Politikprozessen auseinandersetzen (bspw. Davidson 2010; Gunder und Hillier 2009; Roo und Porter 2007). So stellen Porter und Roo (2007) fest, dass gewisse Schlüsselbegriffe der Planung, wie bspw. Kompakte Stadt oder Nachhaltigkeit, durch ihre Unschärfe und Inkonsistenz („fuzzyness“) im Planungsprozess zu Unsicherheiten führten, die jedoch als solche nicht unbedingt wahrgenommen würden. Während sich alle beteiligten Akteur*innen meist problemlos auf das Ziel der Nachhaltigen Entwicklung einigen könnten, seien die in diesem Namen verfolgten Strategien und Handlungen oft zuwiderlaufend. Der Planungsprozess könne, ohne dass es den Akteur*innen bewusst sei, durch die verschiedenen Deutungen verfälscht werden und zu unbefriedigenden oder gar kontraproduktiven Ergebnissen führen. Healey (2007: 22–38) schreibt der Idee der Nachhaltigkeit dennoch eine transformative Kraft zu:

„There can be no doubt of the innovative and transformative potential of ‚sustainability‘ discourses. The notion has the rhetorical power to break up established frames of reference and policy trajectories, bringing in new ideas and new actors. But its power is also its weakness. As a rhetorical device, the term ‚sustainability‘ has a fluidity of meaning. As a broad banner behind which many new voices can march into the citadels of government policy-making, this fluidity or fuzziness has a positive benefit. But this power becomes a weakness when the storming of the citadel has been successful, whereupon demands are made to translate the concept into specific measures. The guardians of the citadel, having failed to keep out the insurgents, may then pacify them by channeling their efforts into routines of policy specification and control.“ (Healey 2007: 24)

Die Fluidität und das integrative Potenzial der Nachhaltigkeitsidee seien also zunächst Voraussetzung für die Gewinnung von Mitstreitenden. Oft durchlebe das neue Konzept dann eine Veränderung, „in order to force a match with the prevailing institutional setting“ (Porter und Roo 2007: 13). Dies reduziere aber gleichzeitig die Schlagkraft des Konzeptes für die tatsächliche Transformation politischer Programme.

An diesem Punkt setzt Gunder an, der allerdings dem Begriff sustainability (2006) sowie auch dem Begriff multi-culturalism (2005) die systemverändernde Wirkung weitestgehend abspricht. Er beschreibt sie als leere Signifikanten (Laclau 2005), die ab einem gewissen Zeitpunkt von dem dominanten kulturellen Imperativ des Wirtschaftswachstums vereinnahmt worden seien. Er argumentiert, die Vorläufer der Konzepte seien eine unzusammenhängende Mischung aus Diskursen, wissenschaftlichen Fakten, Praktiken und Interessen gewesen, die erst nach einer gewissen Zeit unter dem jeweiligen Überbegriff vereint worden seien. Ihr anschließender Aufstieg hin zu „universalising transcendental ideals of western planning practice“ hänge unweigerlich mit ihrer Vereinnahmung durch die hegemoniale Planungsagenda – neoliberale Globalisierung – zusammen (Gunder 2011: 210; Gunder 2010). Davidson (2010) baut auf den Arbeiten Gunders auf und legt dar, wie das vereinende Ziel der Nachhaltigkeit Akteur*innen in der Praxis ermögliche, mit Enthusiasmus über ihr Engagement und die positive Transformation zu sprechen, während sie an anderer Stelle selbst einräumten, letztlich nur zur Fortsetzung und Legitimierung des Status quo beizutragen (Davidson 2010: 402; Brown 2016: 127). Gunder kommt angesichts dieser Diagnosen zu dem Schluss, die Rolle der Planer*innen und Planungswissenschaftler*innen im Umgang mit solchen Ideologien müsse hinterfragt und diese Reflexion zum Bestandteil des Planungsstudiums gemacht werden:

„[…] students also should develop the ability in ideological deconstruction to recognize how discourses comprising what good planners are supposed to support and encourage, such as sustainability, can be twisted and manipulated to other ends. Unfortunately, this also requires students and their academic mentors to reflect critically on how their discourses, although enhancing the authority of the discipline, also can impose pernicious effects of injustice on those that are planned within society as well as adversely effect the environment.“ (Gunder 2006: 218)

Im Nachgang der kommunikativen Wende gab es zudem eine Reihe planungstheoretischer Vorstöße, die sich am Pragmatismus orientieren (vgl. Flyvbjerg 1998, 2000; Flyvbjerg und Richardson 2002; Reuter 2000). Mit Blick auf die im Planungsprozess entstehenden Sinnzusammenhänge und die daraus resultierenden Planungsentscheidungen wollen sie die zugrundeliegenden (nicht zu antizipierenden) Machtstrukturen im Kommunikationsprozess aufdecken. Sie verstehen Planung explizit als einen politischen Prozess, in dem Akteur*innen durch eine machtbasierte Beeinflussung des Diskurses bestimmte Deutungen und damit im Resultat auch Ergebnisse produzierten.

Weitere Vorstöße aus der Planungswissenschaft, die ebenfalls versuchen inhaltliche Sinnzusammenhänge im Lichte des strukturellen Kontextes zu dekonstruieren, setzen sich mit „Evidence Based Planning“ (Faludi und Waterhout 2006) und dem diesem zugrunde liegenden Politikverständnis auseinander. Vor dem Hintergrund eines zunehmenden Legitimationsdrucks in der Raumplanung gäbe es eine immer stärkere Orientierung der Planungspolitik an vermeintlich gesichertem Wissen, um den Programmen und Politiken Legitimation zu verschaffen (Davoudi 2006). Das Vorhandensein eindeutiger Fakten und Handlungserfordernisse als Grundlage für Planungsprozesse sei jedoch in Frage zu stellen, so dass das Wissen selbst zum Problem werde und das Verständnis der diskursiven Herstellung und Wirkung von Wissen in den Fokus gelange (Zimmermann 2010: 116). Die Analyseansätze widmen sich deshalb der Frage, welche Rollen Evidenz und Expert*innen tatsächlich in den Entscheidungs- und Umsetzungsprozessen spielten und in welchem Verhältnis diese zu strukturellen Aspekten und Akteur*innen stünden. Faludi und Waterhout (2006) beschreiben diesen Ansatz als einen zwischen den traditionell substantiellen und prozeduralen Planungstheorien verorteten Versuch, Planung eine Legitimation durch Evaluation in Bezug auf ihre inhaltlichen Grundlagen und die Planungsprozesse zu verleihen. Beispielhaft ist hier die Studie von Aring und Sinz (2006) zu nennen, die den Prozess der Leitbildentwicklung in der deutschen Raumordnung zwischen 2003 und 2006 nachzeichnen.

Die Diskussion um die Bedeutung von Wissen in Planungsprozessen wird in den Studien zur Politikberatung im Feld der Raumplanung aufgegriffen und weitergeführt. Hierbei werden insbesondere die Handlungslogiken und Rollen bestimmter Akteur*innen (insb. Staat, Wissenschaft sowie an der Schnittstelle verortete Organisationsformen) untersucht (bspw. Zimmermann 2010, 2017; Pahl-Weber 2011; Feiertag 2018). Von dieser Perspektive ausgehend vollziehen Zimmermann et al. (2015) die Veränderungen nach, die durch das Thema Klimawandel in der Stadtverwaltung dreier deutscher Großstädte ausgelöst wurden, und betonen dabei die Rolle neuer Akteur*innen und organisationaler Arrangements sowie der mit ihnen verbundenen wettstreitenden Epistemologien.

Barbehön et al. (2015) sowie Diller und Oberding (2017) befassen sich mit der Rolle der (kollektiven) Problemwahrnehmung und -formulierung in Planungsprozessen und beziehen sich dabei einerseits auf Rittel (1992) sowie andererseits auf Schönwandt et al. (2006; 2013) und Schönwandt (2011). Demzufolge gäbe es in der Planung keine eindeutigen, gutartigen, „zahmen“ Probleme („tame problems“), sondern primär einzigartige, komplexe, „bösartige“ Probleme („wicked problems“) (Rittel und Webber 1973). Anstatt diese abschließend zu lösen, könnten sie bestenfalls mit einen Lösungsbeschluss versehen werden. Ob die Problembearbeitung eingestellt werde, hänge nicht von dem Problem, sondern von der Erschöpfung der für die Bearbeitung benötigten Ressourcen ab. Die Fähigkeit, Probleme zu formulieren, sei zudem durch die Verfügbarkeit bereits denkbarer Lösungsansätze determiniert. Problemlösung folge also nicht auf Problemformulierung, stattdessen werde beides stets gleichzeitig gedacht. Hierin wird die Ursache für falsche oder fehlende Problemwahrnehmungen gesehen: Zum Problem werde nur erhoben, was durch erprobte Theorien und Methoden, Maßnahmen und Strategien lösbar erscheine (Diller und Oberding 2017: 56–58; Schönwandt 2011: 297). Aus der sozialkonstruktivistischen Sichtweise auf den bislang überwiegend negativ konnotierten Problembegriff lasse sich zudem eine „normative Wende“ zugunsten eines positiveren Verständnisses ableiten: So seien Probleme Ergebnis einer „grundsätzlich erwünschten kollektiven Aktivität der Problemkonstruktion“, die geteilte Sinnhorizonte schaffe, selbst wenn die Probleme nicht gelöst würden (Diller und Oberding 2017: 60–61; Barbehön et al. 2015: 27, 30). Auf der Grundlage politikwissenschaftlicher Theorien identifizieren Diller und Oberding (2017: 59–60) darüber hinaus drei Faktoren, die beeinflussen, ob ein Thema auf die Agenda gelange: (1.) das Thema selbst: Seine Eindeutigkeit, das Ausmaß der Betroffenheit, „die Komplexität, die Relevanz, Dringlichkeit und ggf. Krisenbehaftetheit, der Neuigkeitswert und die symbolische Bedeutung“, (2.) die Akteur*innenkonstellation: „Organisation des Fachdiskurses und der Kampagnenfähigkeit von Interessengruppen, Macht, Ressourcen, Ownership für das Thema und rhetorische Strategien“ und (3.) die Übereinstimmung der politischen Sichtweise mit der öffentlichen Meinung und das Vorhandensein einer politischen Lösung des Problems.

Ansätze der strategischen Planung und der Innovationsforschung beschäftigen sich mit der Frage, wie institutionelle und prozedurale Rahmenbedingungen auf Planungsprozesse und Planungsinhalte wirken. Von besonderem Interesse ist jeweils, wie Neuerungen Einzug in die Planung halten bzw. wie sich Strategien herausbilden. Eine theoretische Reflexion von Strategiebildungsprozessen, wie sie von Wiechmann (2008) sowie Wiechmann und Hutter (2008, 2010) vorgenommen wird, erforscht die Muster und Prozesse, die zur Herausbildung neuer Strategien führen. Sie stellen fest, dass sich Strategien in der Planung vielmehr selbst herausbildeten und Ergebnisse nicht intendierter Lernprozesse seien, als dass sie absichtsvoll gestaltet und plangemäß umgesetzt würden. Keller et al. (1998) unterscheiden mit einem ähnlichen Fokus zwischen Veränderungen im Planungsverständnis, die im gesellschaftlichen, politischen und ökonomischen Umfeld der Planung ihren Ursprung haben, und solchen, die aus Lernprozessen innerhalb des Planungsbereichs selbst resultieren.

Ibert (2003) überträgt den in der Ökonomie geprägten Innovationsbegriff in die räumliche Planung und interpretiert die strategische Organisation von sozialen Innovationen als eine neue Aufgabe der Planung. Das DFG-Forschungsprojekt „Innovationen in der Planung: Wie kommt Neuartiges in die räumliche Planung?“ (Projektnummer: 231764123) schließt an dieses Verständnis an und betrachtet „proaktive und intendierte Veränderungen aus der Mitte der Profession oder des Politikfeldes“ (Ibert et al. 2015: 172). Dabei werden anhand von vier Fallbeispielen interessante Aufschlüsse über die Generierung und Institutionalisierung neuer Ideen offengelegt (Zupan 2015, 2017; Honeck 2015; Füg 2015; Koczy 2015; Ibert et al. 2018; Christmann et al. 2018). Christmann et al. (2020: 501) identifizieren schließlich fünf Phasen einer sozialen Innovation in der Planung:

  • „incubating“: Vorherrschende Deutungsmuster geraten in die Kritik und die Zeit scheint reif für eine Veränderung. Zwar sind einzelne Bestandteile der Innovation bereits identifiziert worden, deren Verschmelzung zu einer Innovation steht aber noch aus.

  • „generating“: Die Innovation wird erstmals formuliert und dort implementiert, wo die Voraussetzungen günstig sind.

  • „formatting“: Die Innovation diffundiert, wobei sich bestimmte Elemente als besonders anschlussfähig und praxistauglich erweisen, während andere aufgegeben werden.

  • „stabilizing“: Die Idee ist weitverbreitet und der Fokus verschiebt sich von der allgemeinen Innovation auf lokale Spezifika und deren Handhabung. Häufig findet eine weitere Konsolidierung auf die Schlüsselelemente der Innovation statt, die essentiell für die alltägliche Praxis unter Normalbedingungen sind.

  • „adjusting“: Die Innovation ist etabliert und verliert ihren ursprünglichen „Reiz des Neuen“. Die Restriktionen der Innovation werden unübersehbar und einige beteiligte Akteur*innen stehen ihr zunehmend kritisch gegenüber.

Den bislang genannten Ansätzen ist gemein, dass sie den Fokus auf die Planungspraxis legen, während die Planungswissenschaft, sofern sie überhaupt Erwähnung findet, als eine von vielen Akteur*innen im Agenda Setting-Prozess umrissen wird. Innerdisziplinäre Thematisierungsprozesse werden dabei allerdings kaum erörtert. In diese Lücke stößt beispielsweise Roth (2015), die die Diffusion des Schrumpfungs- bzw. shrinkage-Begriffs ausgehend von dessen Etablierung im (ost-)deutschen Diskurs in die englischsprachige wissenschaftliche Literatur untersucht. Als wegweisend ist ein Vorstoß von Hesse (2010) zu nennen, der im Rahmen einer thematischen Empfehlung an die ARL Themenkarrieren in der Planungswissenschaft anhand von zwei Fallbeispielen untersucht hat: erstens anhand der Themenwahl der wissenschaftlichen Plenarsitzungen der ARL und zweitens anhand des Themas Metropolregionen. In beiden Fallbeispielen sei der planungswissenschaftliche Diskurs wesentlich durch wissenschaftsexterne Faktoren bestimmt worden. Hesse regt deshalb eine weiterführende Diskussion der Entstehungsbedingungen, der gesellschaftlichen Kontexte und der diskursiven Frames planungspraktischer und planungswissenschaftlicher Themen an. Diese würde zum einen die „Themenrelevanz auf den Prüfstand stellen“, zum anderen aber auch die soziale Konstruktion dieser Relevanz sichtbar machen (ebd.: 8). Dieser Ansatz, einschließlich der bereits grob umrissenen Verknüpfung von wissenschafts- und kommunikationssoziologischen Ansätzen zur Bereicherung der Planungstheorie, wird mit dieser Arbeit systematisch weitergeführt.

Als letztes seien die Arbeiten genannt, die im Rahmen des DFG-Projekts „Themenkarrieren in der Planungswissenschaft“ entstanden sind, das den Kontext für diese Arbeit darstellt. Hierzu gehören zum einen die Arbeiten, die über eine reine Meta-Perspektive auf die beiden untersuchten Themenkarrieren Schrumpfende Städte und Klimawandel hinausgehen und sich als Beiträge verschiedener Teildiskurse in diese einfügen (bspw. Wiechmann 2015b, 2015a; Wiechmann und Bontje 2015; Schulze Dieckhoff et al. 2018). Hinzu kommen Arbeiten mit einem Schwerpunkt auf die Konstruktion und Transformation inhaltlicher Bedeutungszusammenhänge im Zuge einer Themenkarriere (insb. Günzel et al. 2018; siehe auch Günzel 2016a, 2016b). Insbesondere zu nennen sind die Beiträge, die ihren Fokus auf Strukturen und Akteur*innen legen und jeweils zentrale Aspekte der hier vorliegenden Arbeit aufgreifen. So werden planungswissenschaftliche Themenkarrieren aus dem Blickwinkel von Agenda Setting-Theorien untersucht (Gravert et al. 2013), mit Hilfe von kommunikationssoziologischen Ansätzen analysiert (Gravert et al. 2019) und vor dem Hintergrund des Verhältnisses zwischen Planungswissenschaft und -praxis betrachtet (Gravert et al. 2020).

1.5 Vorgehen und Aufbau der Arbeit

Grundlegend für das Forschungsvorhaben sind drei Theoriestränge: (1.) Theorien und Modelle zur Entstehung von Aufmerksamkeit in der Wissenschaft, (2.) Ansätze zur Entwicklung von Aufmerksamkeit für Themen in Politik, Medien und Öffentlichkeit und (3.) der institutionelle Kontext des Wissenschaftssystems. Der analytische Bezugsrahmen verknüpft, bündelt und fokussiert diese theoretischen Erkenntnisse und leitet die anschließende empirische Untersuchung an. Auf Basis der vergleichenden Analyse zweier Fallbeispiele wird schließlich die Forschungsfrage ‚Wie entstehen Themen in der Planungswissenschaft?‘ beantwortet (siehe Abb. 1.1).

Abb. 1.1
figure 1

(Eigene Darstellung)

Erkenntnisleitende Struktur der Arbeit

Im ersten Theoriekapitel (Kp. 2) werden bereits bestehende Theorien und Modelle aus der Wissenschaftssoziologie zur Entstehung von Aufmerksamkeit in der Wissenschaft systematisiert, erläutert und es wird diskutiert, inwieweit diese Ansätze zur Beantwortung der vorliegenden Forschungsfrage nutzbar gemacht werden können. Die Ansätze verbindet, dass sie soziale und inhaltliche Transformationen in der Wissenschaft untersuchen (Explanandum) und dass sie das soziale Handeln der Wissenschaftler*innen für die Beschreibung und Erklärung in den Vordergrund stellen (Explanans). In diesem Rahmen betrachten sie allerdings jeweils spezifische Phänomene: Wissenschaftliche Revolutionen, Denkkollektive, Epistemische Gemeinschaften, invisible colleges, theory groups und Modeerscheinungen. Der im Rahmen dieser Arbeit gewählte Forschungsgegenstand – Themenkarrieren – wurde bislang nicht wissenschaftssoziologisch betrachtet. Dennoch legen die diskutierten Ansätze Faktoren, Mechanismen und Strukturen offen, die zu dem anvisierten Verständnis von Themenkarrieren in der Wissenschaft beitragen.

Leitend für das zweite Theoriekapitel (Kp. 3) ist die Frage, was Themen sind und wie Themen entstehen. Weil die Wissenschaftssoziologie diese spezifischen Fragestellungen für ihr Feld noch nicht verfolgt hat, werden nun jene Disziplinen bemüht, die zu ihrer Beantwortung bereits auf elaborierte Forschungstraditionen verweisen können: Die Medien- und Kommunikationssoziologie sowie die Politikwissenschaft. Sie verfügen über eine große Bandbreite von Konzepten und Erklärungen zur Entstehung von Themen, die sich unter anderem aus der Unterschiedlichkeit der disziplinären Sichtweisen und Forschungsinteressen sowie aus der Betrachtung verschiedener Gesellschaftsbereiche – primär Politik, Medien und/oder Öffentlichkeit – ergibt. Zunächst werden in Kapitel 3 die Begriffe Thema und Aufmerksamkeit konzeptualisiert. Es folgt die Erläuterung von Themenzyklusmodellen, für die insbesondere die „Themenkarriere“ nach Luhmann sowie der „issue-attention cycle“ nach Downs grundlegend sind. Anschließend werden die Agenda Setting-Theorien der Medien- und Kommunikationswissenschaften und zuletzt jene der Politikwissenschaft dargelegt.

Im dritten Theoriekapitel (Kp. 4) wird der Frage nachgegangen, wie die Wissenschaft strukturiert ist und in welchem institutionellen Kontext Wissenschaftler*innen handeln. Dieses Verständnis der Wissenschaft als soziales System wird als Grundlage benötigt, um im Anschluss eine eigene Forschungsheuristik und Methodik vorlegen zu können, mit deren Hilfe die empirische Analyse erfolgen kann. So ist zu klären, wie sich Themen in der wissenschaftlichen Wissensproduktion manifestieren, durch welche Entscheidungen Themen an Aufmerksamkeit gewinnen und welche Regeln und Motive für diese Entscheidungen von Bedeutung sind. Zunächst wird deshalb in Kapitel 4 die Funktionsweise und die Einbettung des Wissenschaftssystems in die Gesellschaft aus einer systemtheoretischen Perspektive beleuchtet. Es folgt eine Betrachtung der Binnendifferenzierung der Wissenschaft sowie der wissenschaftlichen Wissensproduktion auf Ebene der Fachgemeinschaften. Zuletzt wird der institutionelle Kontext wissenschaftlicher Akteur*innen auf der Basis institutionalistischer Theorien erläutert.

Aufbauend auf den drei Theoriesträngen zur Entstehung von Aufmerksamkeit in der Wissenschaft, zur Entstehung von Aufmerksamkeit gegenüber Themen und zur Funktionsweise der Wissenschaft wird in Kapitel 5 ein analytischer Rahmen zusammengesetzt, der die empirische Analyse auf die im Sinne der Fragestellung relevanten Aspekte fokussiert. Dabei sollen zum einen die Erklärungsansätze zur Themenentstehung anhand eines wissenschaftssoziologisch informierten Blicks bezüglich ihrer Übertragbarkeit auf die Planungswissenschaft geprüft werden. Zum anderen sollen wissenschaftssoziologische Erkenntnisse im Hinblick auf ihr Erklärungspotenzial bezüglich der Entstehung von Themen durchleuchtet werden. Als Ergebnis werden allgemeine Kategorien und Konzepte im Sinne einer Forschungsheuristik systematisiert, die eine theoriegeleitete Beobachtung, Beschreibung und Einordnung empirischer Sachverhalte ermöglicht.

Im empirischen Teil dieser Arbeit wird der Analyserahmen in einer vergleichenden Fallstudienanalyse angewendet. Hierzu werden zunächst das empirische Vorgehen und die Methodik dargelegt (Kp. 6). Anhand der Beispiele Schrumpfende Städte (Kp. 7) und Klimawandel (Kp. 8) wird die Entstehung und Entwicklung von Aufmerksamkeit gegenüber den Themen im Zeitraum 1995–2014 nachgezeichnet und in vier Phasen – Latenz-, Durchbruch-, Fokus- und Normalisierungsphase – segmentiert. Die Entstehung und Entwicklung beider Themen wird dabei zunächst anhand quantitativer, bibliografischer Kennziffern – insbesondere Publikationen, Ko-Autorenschaften und Zitationen – nachvollzogen. Mit Hilfe von Methoden der Bibliometrie, der deskriptiven Statistik sowie der formalen Netzwerkanalyse werden Erkenntnisse bezüglich der themenspezifischen Wissens- und Akteur*innenstrukturen zu unterschiedlichen Zeitpunkten gewonnen. Aufbauend auf der quantitativen Auswertung wird eine qualitative Analyse vorgenommen, bei der die Themenwahlen ausgewählter wissenschaftlicher Akteur*innen auf Basis ihrer Forschungsbiografien sowie mit Hilfe von Leitfaden-Interviews analysiert werden.

In Kapitel 9 werden die empirischen Befunde beider untersuchter Themenkarrieren anhand der Phaseneinteilung vergleichend eingeordnet. Unter Rückgriff auf die Theoriekapitel werden themenübergreifende Mechanismen von Themenkarrieren in der Planungswissenschaft identifiziert und modellhaft generalisiert. Anschließend wird näher darauf eingegangen, wie die temporären Fokussierungen ausgelöst wurden und welche Auswirkungen sie auf die disziplinäre Wissens- und Sozialstruktur haben.

In Kapitel 10 werden die eingangs im Rahmen der Problemstellung aufgeworfenen normativen Fragen auf der Grundlage der vorgelegten theoretischen und empirischen Erkenntnisse diskutiert. Zunächst werden dabei Vor- und Nachteile wissenschaftlicher Fokussierungen beleuchtet, um schließlich zu Denkanstößen für den disziplinären Umgang mit (dem Wissen über) Themenkarrieren zu gelangen. Zuletzt wird eine methodische Reflexion vorgenommen und weiterer Forschungsbedarf offengelegt (siehe Abb. 1.1).