Zusammenfassung
In diesem Beitrag wird der Dualismus von Öffentlichkeit und Privatheit im Anschluss an postkoloniale Theorieperspektiven daraufhin befragt, inwiefern er auf kolonialen Wissensformen und Wahrnehmungsmustern gründet, die eng mit dem bürgerlichen Geschlechtercode verwoben sind. Ausgangspunkt ist die Annahme, dass die bürgerliche Öffentlichkeit nicht nur exklusiv männlich, sondern auch exklusiv weiß ist. Weißheit konstituiert sich in diesem Zusammenhang maßgeblich über die Abgrenzung gegen koloniale Andere und die Produktion rassistischer Ausschlüsse aus dem öffentlichen Raum. Ziel des Beitrags ist es zu zeigen, wie der Dualismus öffentlich/privat in diesem Zusammenhang als koloniales Sinnschema der Ausgrenzung aus dem Raum politischer Relevanzen operiert. Ein Kristallisationspunkt dieser Prozesse ist die Rassifizierung von Geschlechterverhältnissen. Im Mittelpunkt steht die Frage, wie der Dualismus öffentlich/privat die Reproduktion kolonialer Sinn- und Wissensschemata befördert, und wie eine Dekolonialisierung geschlechterbezogener Gesellschaftstheorie zur Dekonstruktion kolonialer Sinnmuster beitragen kann.
Abstract
In this contribution, the private-public divide is questioned from a postcolonial perspective. The focus is on colonial knowledge forms and perception patterns that are closely intertwined with the bourgeois gender code. Initial point is the assumption that the bourgeois public is not only exclusively male, but also exclusively white. In this connection, whiteness is socially fabricated by means of boundary making against colonial others and the production of racializing exclusions. The contribution aims to show how the private-public divide functions as a colonial scheme of social exclusion from the political, public sphere. A focal point of these processes is the racialisation of gender relations. The question how the public-private divide contributes to the reproduction of colonial meaning patterns and how a decolonization of a gender oriented social theory can add to the deconstruction of colonial knowledge schemata, is central.
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Notes
- 1.
In Theorien des politischen Liberalismus ist die Privatsphäre, verstanden als Bereich natürlicher Beziehungen, ausdrücklich außerhalb des Gesellschaftsvertrags verortet worden (Pateman 1989; Nussbaum 1999). Trotz der Geschlechtsblindheit dieses Modells bürgerlicher Öffentlichkeit (vgl. Fraser 1990, 2001), blieb der politische Liberalismus innerhalb feministischer Theoriebildung eine entscheidende theoretische Bezugsgröße.
- 2.
Im Anschluss an den Critical-Whiteness-Ansatz (vgl. Dietze 2009a, S. 222) zielt der Begriff des Weißseins auf das Machtverhältnis, und das daran geknüpfte Regime einer vermeintlich rationalen, bürgerlichen Öffentlichkeit; es geht also nicht um eine rassistischen Sichtweisen folgende Markierung phänotypischer Aspekte.
- 3.
- 4.
Von wenigen Ausnahmen wie etwa Rosa Luxemburg (1913) abgesehen. Ihre Arbeiten wurden allerdings nicht kanonbildend, im Gegensatz zu Max Weber, der mit William E.B. DuBois den ersten schwarzen Soziologen der USA während seiner Amerikareise traf und von dessen Veröffentlichung The Souls of Black Folk (1903) wohl angetan war; Sklaverei und Rassismus finden in Webers Arbeiten aber keinen Niederschlag (vgl. Kaube 2014). Nach Wolfgang Mommsen (1987, S. 27) hat Weber sogar einen „schroffen Imperialismus“ vertreten, während Karl Marx Kolonialismus eher nüchtern als notwendige Phase des Kapitalismus betrachtet habe, die im Verlauf des universalgeschichtlichen Prozesses zum Kommunismus überholt werde (Mommsen 1987, S. 28).
- 5.
Im Vergleich zu Shalini Randeria (1999, 2006) hat Gurminder Bhambra hierbei nicht ‚nur‘ die Verknüpfung der gemeinsam geteilten Geschichten der uneven modernities im Blick, sondern zeigt, wie aus dieser sozialen Verknüpfung heraus eine koloniale gesellschaftliche Wirklichkeit entstanden ist, die auf Typisierung bzw. Klassifizierung, Hierarchisierung und Abwertung basiert.
- 6.
- 7.
Das Präfix post signalisiert daher auch nicht, dass es hier um eine vergangene und damit abgeschlossene Phase der Geschichte gehe, sondern um das, was hierüber hinausgeht und kontinuiert.
- 8.
Eine ähnliche Form partizipatorischer Öffentlichkeit findet sich bei den Irokesen in Form des Langhauses, das als gemeinschaftliche Vorratskammer, aber auch als gemeinschaftlicher Versammlungsraum diente.
- 9.
Gayatri Chakravorty Spivak (1988, 1990) hat im Vergleich dazu in ihrer Analyse stärker auf die asymmetrische Beziehung zwischen Mehrheits- und Minderheitsidentitäten fokussiert. Im Begriff des Othering erfasst sie dabei jenen Prozess, „by which the empire can define itself against those it colonizes, excludes and marginalizes“ (Ashcroft et al. 2007, S. 173). Analog hat Homi K. Bhaba (1994) in den Begriffen der hybriden Identität und der Mimikry rekonstruiert, wie als Effekt der Begegnung mit den Kolonisatoren (und auch in Migrationskontexten) ein erkennbar verändertes Subjekts entsteht; ein Subjekt, das die Differenz zum Kolonisator niemals aufholen kann, sondern aus dessen Perspektive defizitär bleibt.
- 10.
Das Interesse der Missionsforschung an der Geschlechterthematik setzte in den 1990er Jahren ein; dies war aber nicht von einer kolonialkritischen Haltung begleitet. Pionierarbeiten zur Beteiligung weißer deutscher Frauen am Regime des Kolonialismus stammen aus dem Kontext feministischer und antirassistischer, historischer Forschung; vgl. hierzu Martha Mamozai (1982) und Fatima El-Tayeb (2001) sowie den Überblick bei Annette Dietrich (2007, S. 16–17).
- 11.
Notabeln waren in der feudalen, clanbasierten Struktur die lokalen Autoritäten.
- 12.
Das Verständnis von Privatheit bzw. Seklusion ist sehr wohl geschlechtlich codiert. Die soziale Praxis der Seklusion ist aber ein komplexes Phänomen, dessen sozio-historischer Ursprung beispielsweise nicht in der Religion zu suchen ist, sondern in der männlichen Herrschaft (vgl. Ahmed 1992; Graham-Brown 2003). Als Medium räumlicher Einschließung und sozialer Abgrenzung war es in der gesellschaftlichen Oberschicht verbreitet; in diesem Sinne war es also ein Klassenphänomen. Wie harim und Schleier zu Repräsentanten kolonialer Sinnmuster werden, kann an dieser Stelle nicht weiter diskutiert werden. Vergleiche dazu Heidemarie Winkel (2009, S. 113–146). Dies soll nicht negieren, dass der Schleier auch ein Symbol des politischen Islam ist; aber auch die Entwicklung islamischer Fundamentalismen kann im Zusammenhang der Kontinuierung postkolonialer westlicher Dominanz gesehen werden (vgl. Keddie 2007, S. 57–61).
- 13.
- 14.
Nach Leila Ahmed (vgl. 1992, S. 106) war das wohltätige Engagement von Frauen in diesem Zusammenhang beachtlich. In 30 % der heute noch existierenden waqf-Dokumente werden Frauen als Stifterinnen oder Verwalterinnen genannt.
- 15.
Zitiert nach Genius Media Group Co.: https://genius.com/Mona-haydar-hijabi-lyrics. Auf Mona Haydars persönlicher Website findet sich das offizielle Video zum Lied: http://www.monahaydar.com/.
- 16.
Es handelt sich um das an Verkaufszahlen orientierte Online-Magazin billboard. https://www.billboard.com/articles/columns/pop/8063598/best-protest-songs-of-2017-top-20. https://www.billboard.com/articles/news/pride/8022687/top-feminist-anthems-songs.
- 17.
- 18.
Sie können bis in das 13. Jahrhundert zurückverfolgt werden (vgl. Abu-Lughod 1991).
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Winkel, H. (2022). Der Dualismus von Öffentlichkeit und Privatheit als koloniales Sinnschema. Eine postkolonialtheoretische Annäherung. In: Burkart, G., Cichecki, D., Degele, N., Kahlert, H. (eds) Privat – öffentlich – politisch: Gesellschaftstheorien in feministischer Perspektive. Gesellschaftstheorien und Gender. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-35401-5_16
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