Schule und Unterricht erfahren seit einigen Jahren einen – teils radikalen – Gestaltwandel. Die in dieser Arbeit untersuchten Schulen des perLen-Forschungsprojekts zeichnen sich durch eine verstärkte, an den individuellen Bedürfnissen und Voraussetzungen der Schülerinnen und Schüler ausgerichtete Unterrichts- und Lernorganisation aus. Es lassen sich vermehrt Phasen des selbstständigen und eigenverantwortlichen Lernens beobachten, dies sowohl bezüglich des fachlichen als auch verstärkt hinsichtlich des überfachlichen (personalen, sozialen, methodischen) Kompetenzerwerbs (u. a. Stebler et al., 2018). In der vorliegenden Arbeit steht die Frage im Zentrum, wie Schulleitende und Lehrpersonen ihre Schul- und Unterrichtsentwicklung in Richtung einer personalisierten Gestaltung der Lehr- und Lernprozesse gestalten.

Als Erstes werden aus Studie 1 (Längsschnittanalyse qualitativer Daten) Ergebnisse zu den Entwicklungsprozessen in den untersuchten Schulen im Erhebungszeitraum (Abschnitt 7.1) und Ergebnisse zu (gemeinsamen) Entwicklungsgegenständen vor dem und im Erhebungszeitraum dargelegt (Abschnitt 7.2). Anschließend folgen Ergebnisse der transformativen Mixed-Methods-Analyse (Studie 2). Zunächst wird untersucht, inwiefern sich die Dimensionen personalisierten Lernens (siehe Abschnitt 3.2, u. a. Stebler et al., 2018) in den berichteten Entwicklungstätigkeiten bezüglich des Unterrichts widerspiegeln (Abschnitt 7.3). Danach werden die codierten Textstellen zusammengefasst und den Oberflächen- oder Tiefenmerkmalen von Unterricht zugeordnet (Abschnitt 7.4). Diese werden ausgezählt und mit den Fragebogenantworten zur Frage „Wie gut ist Ihre Schule in ihrer Entwicklung unterwegs?“ korreliert. Zum Schluss werden die Ergebnisse der mit diesen zwei Merkmalen vorgenommenen Clusterbildung der elf Schulen mittels Clusteranalyse berichtet (Abschnitt 7.5).

7.1 Studie 1/Teil 1: Beschreibung des Entwicklungsprozesses der einzelnen Schule des perLen-Projekts

In der vorliegenden Untersuchung wird angenommen, dass Entwicklungstätigkeiten für die Einführung und die Weiterentwicklung personalisierter Lernumgebungen sowohl auf Unterrichts- als auch auf Schulebene notwendig sind und sich die zwei Ebenen wechselseitig beeinflussen (siehe Abschnitt 4.5). In Studie 1 wird der folgenden Forschungsfrage nachgegangen: Wie, aus welchem Anlass, mit welchen Mitteln, mit welchem Ziel und unter Bearbeitung welcher Themen und Gegenstände gestalten Schulleitende und Lehrpersonen ihre unterrichtszentrierte Schulentwicklung zu personalisiertem Lernen? Zu Beginn des Kapitels wird das Kategoriensystem vorgestellt (Abschnitt 7.1.1) und die elf Schulen werden beschrieben (Abschnitt 7.1.2). Danach werden die wichtigsten Ergebnisse zusammengefasst (Abschnitt 7.1.3).

7.1.1 Kategoriensystem für die Analyse von Entwicklungsprozessen in Richtung personalisierten Lernens

Die Fallbeschreibungen basieren auf der strukturierenden Inhaltsanalyse (siehe Abschnitt 6.4.1.1) des gesamten Interviewmaterials mit dem in Tabelle 7.1 aufgeführten Kategoriensystem. Dieses Kategoriensystem ist in einem ersten Schritt aufbauend auf dem uSpL-Modell (siehe Abschnitt 4.2) konstruiert (Deduktion) und während des Codierens am Interviewmaterial erweitert und expliziert worden (Induktion). In der Tabelle sind die Kategorien, die Kategorienbeschreibungen (Memos), die Fundstellenanzahl und Ankerbeispiele, die die Kategorien exemplarisch illustrieren, aufgeführt.

Tabelle 7.1 Studie 1: Hauptkategorien und Subkategorien I, Kategorienbeschreibungen (Memos), Fundstellenanzahl und Ankerbeispiele

Insgesamt konnten 3478 Fundstellen codiert werden. Die erste Hauptkategorie (2750 Fundstellen) umfasst die Entwicklungstätigkeiten in den Entwicklungsdimensionen: Unterrichtsentwicklung in Richtung einer personalisierten Gestaltung von Lehr- und Lernprozessen (1364 Fundstellen), Entwicklung organisationaler Strukturen (721 Fundstellen), Entwicklung der Kooperation zwischen Lehrpersonen (451 Fundstellen), Professionalisierung der Lehrpersonen und Personalrekrutierung (189 Fundstellen), Entwicklung eines gemeinschaftlichen Schullebens (231 Fundstellen). Die Fundstellen der ersten Hauptkategorie sind für die Beantwortung der Teilfrage 1.4, die sich darauf bezieht, welche Entwicklungsprojekte von Schulleitenden und Lehrpersonen im Erhebungszeitraum beschrieben werden, relevant. Zudem werden die Fundstellen der Subkategorie „Entwicklung organisationaler Strukturen“ für die Beantwortung der Teilfrage 1.3, die sich darauf bezieht, wie Lernräume, Lerngruppen, Lernzeiten und weitere organisatorische Merkmale strukturiert sind, verwendet.

Die zweite Hauptkategorie „Allgemeine Aussagen zur unterrichtszentrierten Schulentwicklung in Richtung personalisierten Lernens (uSpL)“ (239 Fundstellen) unterteilt sich in Steuerung (102 Fundstellen), Beginn (38 Fundstellen), Stand zu Beginn des Erhebungszeitpunkts (62 Fundstellen) und Metaziele (37 Fundstellen) einer unterrichtszentrierten Schulentwicklung in Richtung personalisierten Lernens. Die Fundstellen zum Beginn werden für die Beantwortung der Teilfrage 1.2 (Beginn der uSpL) und die Fundstellen zu den Metazielen für die Teilfrage 1.5 verwendet. Aussagen zum Stand der unterrichtszentrierten Schulentwicklung in Richtung personalisierten Lernens zu Beginn des Erhebungszeitraums werden am Anfang der Beschreibungen zu den Entwicklungstätigkeiten (Teilfrage 1.4) dargestellt.

„Rahmenbedingungen der Schule“ (131 Fundstellen) ist die dritte Hauptkategorie. Hierzu gehören die Schulform und die Trägerschaft (20 Fundstellen), der Schulstandort (6 Fundstellen), finanzielle Mittel für die unterrichtszentrierte Schulentwicklung in Richtung personalisierten Lernens (30 Fundstellen) und Merkmale der Schülerinnen und Schüler (75 Fundstellen). Diese Angaben fließen in die Beantwortung der Teilfrage 1.1 (Rahmenbedingungen) ein.

Die vierte und letzte Hauptkategorie „Kooperation mit außerschulischen Akteursgruppen“ (358 Fundstellen) differenziert in Eltern (176 Fundstellen), Kontakte zu Schulen mit ähnlichen Unterrichtskonzepten (61 Fundstellen), Schulbehörden (48 Fundstellen), Beratende (22 Fundstellen) und weitere Akteursgruppen (51 Fundstellen). Diese Interviewaussagen werden zur Klärung der Teilfrage 1.4, der Beschreibung der Entwicklungsprojekte, ergänzend hinzugezogen.

Werden die prozentualen Häufigkeiten der Fundstellen pro Schule gegenübergestellt (Tabelle 7.2) zeigt sich, dass besonders bei der Kategorie „Unterrichtsentwicklung“ im Verhältnis zur Gesamtfundstellenanzahl pro Schule eine große Varianz der Fundstellenanzahl zwischen 25 % (Schule J) und 51 % (Schule M) zu beobachten ist. Dies deutet u. a. darauf hin, dass in Schule M deutlich mehr über Themen der Unterrichtsentwicklung gesprochen wird als in Schule J. Bei den anderen Kategorien zeigt sich eine solch hohe Unterschiede weniger.

Tabelle 7.2 Fundstellenanzahl aufgesplittet nach Schulen und Hauptkategorien (Tabelle 7.1) in Prozent

7.1.2 Fallbeschreibungen der elf Schulen

Prozesse der Schul- und Unterrichtsentwicklung in Richtung personalisierten Lernens können in jeder Schule sehr unterschiedlich verlaufen und sind komplex, weil u. a. Akteurinnen und Akteure mit unterschiedlichen Intentionen in verschiedenen Tätigkeitsfeldern zusammenwirken (siehe u. a. uSpL-Modell in Abschnitt 4.2). Wie der jeweilige Entwicklungsprozess in den elf untersuchten Schulen im Erhebungszeitraum gestaltet wird, sollen die nachfolgenden Ergebnisse aufzeigen. Hierfür wurden die codierten Interviewaussagen zu Summaries verdichtet, für die Teilfragen relevante Summaries ausgewählt und diese Summaries anschließend für die Fallbeschreibungen in einem Fließtext aufgearbeitet (siehe Abschnitt 6.4.1). In den Fallbeschreibungen werden zu jeder Schule erstens die Rahmenbedingungen (Teilfrage 1.1), zweitens der/die Auslöser und der Beginn der Schul- und Unterrichtsentwicklung in Richtung personalisierten Lernens (Teilfrage 1.2) und drittens der Aufbau und die Struktur des Unterrichtskonzepts beschrieben (Teilfrage 1.3). Viertens folgt der Hauptteil dieses Ergebniskapitels, die Beschreibung der Entwicklungstätigkeiten im Erhebungszeitraum (Teilfrage 1.4). Falls in den Interviews unterschiedliche Aussagen vorliegen, beispielsweise zwischen den Schulleitenden und Lehrpersonen, dann wird explizit darauf hingewiesen. Zum Abschluss folgen fünftens die Metaziele des Entwicklungsprozesses (Teilfrage 1.5) und sechstens eine pointierte Zusammenfassung des Falls, in der vor allem Besonderheiten der Entwicklungstätigkeiten hervorgehoben werden.

7.1.2.1 Fallbeschreibung Schule A

Schule A ist während der Erhebungsphase in einer Konsolidierungsphase. Das neue Unterrichtskonzept ist seit einigen Jahren eingeführt und teils umfangreiche Anpassungen sowie Optimierungen werden vorgenommen.

Rahmenbedingungen der Schule

Die Schule ist eine öffentliche Gesamtschule mit Kindergarten-, Unter-, Mittel- und Oberstufe in ländlicher Region.Footnote 1 Die Schule besuchen ca. 120 Schülerinnen und Schüler und ca. 20 Lehrpersonen sind angestellt. Es gibt wenige Schülerinnen und Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf. In der Oberstufe werden zwei Leistungsstufen zusammen unterrichtet. Es gibt einige Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund, die fast alle die deutsche Sprache gut beherrschen. Diejenigen Schülerinnen und Schüler, die in die Gemeinde zugezogen sind, kommen häufig aus Familien des höheren Bildungsmilieus.

Beginn der Schul- und Unterrichtsentwicklung in Richtung personalisierten Lernens

Auslöser für die Entwicklung eines neuen Unterrichtskonzepts waren sinkende Zahlen von Schülerinnen und Schülern einige Jahre vor der perLen-Erhebung und die damit einhergehende Gefahr, dass der Schulstandort geschlossen wird und die Schülerinnen und Schüler auf andere Schulen verteilt werden. Die Schulleitung suchte nach Lösungen, besuchte andere Schulen mit innovativen Unterrichtskonzepten und initiierte den Entwicklungsprozess hin zu offeneren und individualisierten Unterrichtsformen, bei dem eine Pädagogische Hochschule beratend mitwirkte. Ein großer Teil der Lehrpersonen hat die Schule in der Umstellungsphase verlassen. Das Unterrichtskonzept wurde vor dem ersten Erhebungsjahr zuerst in der Sekundarstufe und später in der Primarstufe eingeführt. In dieser Zeit regte sich Widerstand bei den Eltern, der durch Dialog und Überzeugungsarbeit verringert wurde.

Aufbau und Struktur des Unterrichtskonzepts zum Zeitpunkt der ersten Datenerhebung

Die Oberstufe ist in zwei Lerngruppen mit je kleineren Sublerngruppen von ca. vier Schülerinnen und Schülern unterteilt. Die Lern- und Sublerngruppen sind alters- und leistungsdurchmischt. Die Sublerngruppen treffen sich wöchentlich unter der Leitung einer älteren Schülerin oder eines älteren Schülers. Sie werten gemeinsam zum Beispiel die Planungen des selbstständigen und eigenverantwortlichen Lernens im offenen Unterricht oder bei den Hausaufgaben aus.

Der Stundenplan strukturiert sich in geführte und offene Unterrichtsphasen. Im geführten Unterricht werden unter der Leitung einer Lehrperson neue Lerninhalte eingeführt. Diese Lerninhalte üben und vertiefen die Schülerinnen und Schüler selbstständig und eigenverantwortlich sowie in Begleitung von Lehrpersonen im offenen Unterricht. Im Letzteren bearbeiten die Schülerinnen und Schüler sogenannte „Aufgabensammlungen“. Aufgabensammlungen beinhalten thematisch passende Lernaufgaben, die in einer internetbasierten Datenbank abgelegt und von Lehrpersonen der Schule sowie Lehrpersonen anderer Schulen, die einen Zugang haben, nutzbar sind. Für die Aufgabensammlungen müssen die Lehrpersonen Informationsblätter mit Hinweisen zum Bearbeiten der einzelnen Aufgaben entwerfen. Diese Informationen wurden im vorhergehenden Unterrichtsmodell mündlich mitgeteilt. Zum Bearbeiten einer Aufgabensammlung haben die Schülerinnen und Schüler sechs bis acht Lektionen Zeit. Sie können die Aufgaben in ihrem eigenen Tempo bearbeiten und teilweise selbst entscheiden, wie viele davon sie im Unterricht und wie viele zu Hause erledigen. Sie planen am Anfang jeder Woche ihre Aufträge und definieren für sich, wann sie welche Aufträge bearbeiten wollen. Sie korrigieren ihre gelösten Aufgaben mit einem Lösungsordner und schreiben am Ende einer Aufgabensammlung einen Test zu den Lerninhalten, wobei sie selbst entscheiden können, wann sie den Test schreiben.

Damit die Lehrpersonen überblicken, welche Schülerinnen und Schüler im offenen Unterricht wie intensiv betreut werden müssen, teilen sie die Lernenden in drei Betreuungslevels ein: von Schülerinnen und Schülern, die viel strukturierende und fachliche Lernbegleitung und -beratung benötigen, bis zu Schülerinnen und Schülern, die sehr selbstständig und eigenverantwortlich lernen können. Zudem werden regelmäßige Coaching-Gespräche durchgeführt. Dies sind Einzelgespräche zwischen Schülerin oder Schüler und Lehrperson, in denen das Lernen und die individuellen Lernwege zentrale Gesprächsthemen sind.

Die aufeinander abgestimmten geführten und offenen Unterrichtsphasen werden in den Fächern Deutsch und Mathematik umgesetzt. In den Naturwissenschaften wird mit diesem Unterrichtsmodell nicht unterrichtet, weil in den Jahren vor der perLen-Erhebung viele dieser Fachlehrpersonen die Schule verlassen hatten und Entwicklungstätigkeiten daher nicht langfristig geplant werden konnten. Im Fach Geschichte wurden die ersten gelungenen Versuche durchgeführt und in den Fremdsprachen arbeiten die Lehrpersonen zu Grammatikthemen mit einem fachlichen Input und nachfolgenden Aufgabensammlungen.

Entwicklungstätigkeiten im Erhebungszeitraum

Die Lehrpersonen überarbeiten ihre Stoffpläne im Fach Mathematik. Angeregt von einer Weiterbildung im zweiten Erhebungsjahr zum Thema „Selbstorganisiertes Lernen“ definieren sie Lernziele für drei Leistungsniveaus und ordnen Lerninhalte und Lernaufgaben zu. Zudem werden im ersten Erhebungsjahr in Mathematik und Deutsch Lehrmittel eingeführt, die für einen Unterricht mit mehreren Leistungsniveaus geeignet sind. Allerdings wird berichtet, dass sie bisher keine geeigneten Lehrmittel für alters- und leistungsdurchmischte Lerngruppen gefunden hätten.

Im Zuge der Überarbeitung von Stoffplänen und der Einführung neuer Lehrmittel werden die Aufgabensammlungen in Mathematik und Deutsch weiterentwickelt. Die Lernaufgaben aus den neuen Lehrmitteln stellen die Lehrpersonen neu zusammen, ergänzen eigene Lernaufgaben und ordnen diese mit einem „Advance Organizer“ übersichtlich an. Zudem werden die Lernaufgaben in Wahl- und Pflichtaufgaben unterteilt, um die Aufgabenfülle besser zu strukturieren, und es wird eine Internetseite von und für Lernende eingerichtet, auf der Schülerinnen und Schüler, die frühzeitig mit einer Aufgabensammlung fertig sind, Beiträge schreiben und diese hochladen können. Die Ausweitung der Aufgabensammlungen auf andere Fächer wie zum Beispiel Geschichte wird im zweiten Erhebungsjahr eingestellt, weil die dadurch steigende selbstständige und eigenverantwortliche Lernzeit die Schülerinnen und Schüler überfordere. Bezüglich der Aufgabensammlungen besteht eine wichtige Entwicklungsaufgabe gemäß der Schulleitung in der Weiterentwicklung eigener Lernaufgaben, weil diese noch zu textlastig seien und Schülerinnen und Schüler mit visuellen Lerntypen dadurch benachteiligt würden. Es gebe auch zu wenige Lernaufgaben, bei denen Schülerinnen und Schüler problemorientiert an einem gemeinsamen Lerngegenstand in Einzelarbeit oder in Kooperation mit Mitschülerinnen und Mitschülern lernen könnten. Solche Problemlöseaufgaben beginnen die Lehrpersonen in Mathematik im dritten Erhebungsjahr zu entwickeln und zukünftig sollen diese dem Kollegium vorgestellt und miteinander diskutiert werden.

Neben den Stoffplänen, Lehrmitteln und Aufgabensammlungen arbeiten die Schulleitung und die Lehrpersonen an Formen des kooperativen sowie selbstständigen und eigenverantwortlichen Lernens. Kooperative Lehr- und Lernformen sollen vermehrt eingesetzt werden. Lehrpersonen der Primar- und Oberstufe stimmen ab, welche kooperativen Lehr- und Lernformen bereits in der Primarstufe eingeführt und in der Oberstufe vertieft werden und wie die Schülerinnen und Schüler das gegenseitige Unterstützen und Helfen erlernen und üben sollen. Im dritten Erhebungsjahr bilanzieren die Lehrpersonen, dass die Schülerinnen und Schüler durch kooperatives Lernen vermehrt Selbstwirksamkeit erleben würden und dass in Deutsch und Mathematik sowie Mensch und Umwelt sehr viel, in Geschichte und in den Naturwissenschaften hingegen weniger kooperative Lehr- und Lernformen eingesetzt würden. Auch bei den Formen des selbstständigen und eigenverantwortlichen Lernens arbeiten die Lehrpersonen stufenübergreifend zusammen und sprechen sich ab im Hinblick darauf, welche Lernkompetenzen in der Primarstufe aufgebaut und gefestigt werden sollen, damit die Lehrpersonen der Oberstufe darauf aufbauen können. Solche Lernkompetenzen sind beispielsweise die Planung der selbstständig zu bearbeitenden Lernaufgaben, der Umgang mit eigenen Fehlern, die Verwaltung der eigenen Arbeitszeit oder das Korrigieren der Aufgaben.

In den offenen Unterrichtsphasen ist die strukturierende Lernunterstützung bezogen auf fachliche und überfachliche Kompetenzentwicklung ein weiteres Thema. Auf allen Stufen setzen die Lehrpersonen ein Instrument ein, mit dem die Schülerinnen und Schüler ihre Lernaufgaben in den offenen Unterrichtsphasen planen und reflektieren. In der Kindergarten- und Primarstufe wird dieses in einfacherer Form eingeführt. Die Lehrpersonen der Oberstufe setzen das Instrument für die Dokumentation der Lernprozesse ein. Die Schülerinnen und Schüler tragen ein, welche Lernaufgaben sie wann bearbeitet haben, und reflektieren ihr Lernen. Im ersten Erhebungsjahr wurde der Planungsaspekt ergänzt: In Sublerngruppen sollen die Schülerinnen und Schüler ihre Arbeitszeit in offenen Unterrichtsphasen planen, das heißt festlegen, wann sie welche Lernaufgabe bearbeiten. Im zweiten Erhebungsjahr schreiben die Lernenden nur noch die Planung in das Instrument und reflektieren am Ende der Woche mit anderen Lernenden in der Sublerngruppe, ob sie ihre Planung erreicht haben oder nicht. Im dritten Erhebungsjahr werden in Deutsch das selbstständige Planen und das Durchführen des Plans sowie deren Auswertung nicht nur in den offenen Unterrichtsphasen, sondern auch in geführten Unterrichtsphasen eingesetzt. Weitere Themen hinsichtlich der Lernunterstützung in offenen Unterrichtsphasen sind erstens, wie Lehrpersonen intervenieren können, wenn Schülerinnen und Schüler zu Beginn der Arbeit an den Aufgabensammlungen in den offenen Unterrichtsphasen zu viel Zeit dafür einsetzen, ihren Arbeitsplatz einzurichten und nötige Arbeitsmaterialien zu finden. Zweitens übernehmen die Lehrpersonen im Erhebungszeitraum die Korrekturen der Lernaufgaben. Zuvor hatten die Schülerinnen und Schüler ihre Lernaufgaben selbst korrigiert. Allerdings beobachteten die Lehrpersonen, dass die Korrekturen nicht ihren Erwartungen entsprachen. Weil nun die Lehrpersonen die Aufgaben kontrollieren, ist es ihnen möglich, persönliche Rückmeldungen zu geben. Drittens ist es für die Lehrpersonen herausfordernd, wenn einige Schülerinnen und Schüler, obschon sie die Lerninhalte in den Aufgabensammlungen nicht verstehen, weiterarbeiten, ohne eine Lehrperson oder andere Lernende zu fragen. Darum möchten die Lehrpersonen im dritten Erhebungsjahr, dass die Lernenden das Abarbeiten der Lernaufgaben aus den Aufgabensammlungen verringern und sich mit weniger Aufgaben vertieft auseinandersetzen. Zudem erwies sich ein kurzer inhaltlicher Input vor der offenen Unterrichtsphase als hilfreich für ein verstehensbezogenes Bearbeiten von Lernaufgaben. Viertens ist Abschreiben eine weitere Herausforderung. Dies wird gefördert, weil die Schülerinnen und Schüler teilweise zeitgleich dieselben Aufgaben bearbeiten und Prüfungen schreiben. Die Lehrpersonen möchten dem entgegenwirken, indem sie den Schülerinnen und Schülern aufzeigen, was selbstständiges und eigenverantwortliches Lernen bedeutet und wie sie einander wirksam helfen können. Dagegen möchte die Schulleitung erreichen, dass die Lernenden nicht voneinander abschreiben, indem alle jeweils an einer anderen Aufgabe respektive an einer anderen Prüfung arbeiten.

Die Absprachen zwischen den Lehrpersonen der Primar- und Oberstufe bezüglich der Lehr- und Lernformen, der Formen der Lernunterstützung und weiterer Entwicklungstätigkeiten hinsichtlich der personalisierten Gestaltung von Lehr- und Lernformen erfolgen in zwei wöchentlichen Sitzungen. Im dritten Erhebungsjahr wurde eine dieser Sitzungen gestrichen. Des Weiteren hospitieren sich die Lehrpersonen stufenübergreifend im Unterricht, um zu schauen, wie kooperatives sowie selbstständiges und eigenverantwortliches Lernen bei den jeweiligen Lehrpersonen umgesetzt wird. Allerdings werden die Hospitationen nur von der Schulleitung, jedoch nicht von den Lehrpersonen beschrieben.

Neben diesen Entwicklungstätigkeiten auf Unterrichtsebene werden weitere auf Schulebene beschrieben. So werden etwa die Lerngruppen in geführten Unterrichtsphasen durchmischt. In Mathematik und Deutsch werden ab dem dritten Erhebungsjahr leistungsdurchmischte Lerngruppen unterrichtet. Die Lehrpersonen arbeiten mit zwei Leistungsniveaus an einem gemeinsamen Gegenstand. Schülerinnen und Schüler des höheren Leistungsniveaus besuchen weitere geführte Unterrichtsstunden, in denen sie für ihr Leistungsniveau spezifische Lerninhalte erarbeiten. Vor dem dritten Erhebungsjahr mussten sich die Schülerinnen und Schüler diese zusätzlichen Lerninhalte meist selbst aneignen. Des Weiteren stehen der Schule seit dem ersten Erhebungsjahr für den Entwicklungsprozess keine Beraterinnen und Berater mehr zu Verfügung. Zuletzt stellen die Lehrpersonen fest, dass sie im zweiten und dritten Erhebungsjahr weniger kritische Rückmeldungen von den Eltern zum neuen Unterrichtskonzept erhalten hätten. Es seien zunehmend Verständnis und Akzeptanz vorhanden. Die Eltern seien beispielsweise beeindruckt von den Coaching-Gesprächen und der guten Einschätzung des eigenen Lernens durch die Schülerinnen und Schüler.

Metaziele der Schul- und Unterrichtsentwicklung

Ein Ziel der Schul- und Unterrichtsentwicklung ist es, trotz sinkender Anzahl von Schülerinnen und Schülern den Schulstandort zu sichern. Zudem soll im neuen Unterrichtsmodell die Lehrpersonen vermehrt auf die einzelne Schülerin und den einzelnen Schüler eingehen können und sie bzw. ihn bei der Persönlichkeitsentwicklung individuell unterstützen. Ein weiteres Ziel ist, die Durchlässigkeit zwischen den Stufen innerhalb der Schule zu steigern, sodass auch stufengemischte Lerngruppen entstehen. Des Weiteren beschreiben die Lehrpersonen den Anspruch, durch ein vermehrt individualisiertes Lernen einen Beitrag zu gerechteren Bildungschancen zu leisten, wobei dies stark vom Lernverhalten der Schülerinnen und Schüler abhänge. Gerade bei Schülerinnen und Schülern, die solche offenen Lernangebote weniger gut nutzen, sehen die Lehrpersonen Entwicklungsbedarf in Bezug auf ihr Unterrichtskonzept.

Fallzusammenfassung

In Schule A unterrichten die Lehrpersonen in offenen Unterrichtsphasen sowohl in alters- als auch leistungsdurchmischten Lerngruppen. Es werden viele Entwicklungstätigkeiten auf der Unterrichtsebene beschrieben, und zwar hinsichtlich folgender Gegenstände: Stoffpläne, Lehrmittel, Aufgabensammlungen, kooperative Lehr- und Lernformen, Formen des selbstständigen und eigenverantwortlichen Lernens sowie Lernunterstützung. Die Entwicklungstätigkeiten zielen darauf ab, das Lernangebot so zu verbessern, dass einerseits vermehrt Wahlmöglichkeiten, beispielsweise bei den Lernaufgaben, bestehen und dass andererseits die Schülerinnen und Schüler in den offenen Unterrichtsphasen weniger einer Erledigungsmentalität von Lernaufgaben folgen, sondern sich vermehrt tiefgehend und verstehensbezogen mit Lerninhalten auseinandersetzen. Des Weiteren werden die Schülerinnen und Schüler darin gestärkt, Teil einer kooperativen Lerngemeinschaft zu sein, indem sie das gegenseitige Helfen und Unterstützen erlernen und üben. Darüber hinaus ist die Koordinationsleistung zwischen den Stufen hervorzuheben. Das ist beispielsweise im Kompetenzerwerb des gegenseitigen Helfens unter Schülerinnen und Schülern zu erkennen: Die Lehrpersonen sprechen sich ab, welche Kompetenzen wann gelehrt und angeeignet werden, damit die nachfolgende Stufe darauf aufbauen kann.

7.1.2.2 Fallbeschreibung Schule B

Schule B ist im Vergleich zu den anderen Schulen besonders, weil hier der Entwicklungsprozess in Richtung einer personalisierten Gestaltung von Lehr- und Lernprozessen im Erhebungszeitraum abgebrochen wurde.

Rahmenbedingungen der Schule

Die Schule ist eine öffentliche Sekundarschule in ländlicher RegionFootnote 2 mit ca. 90 Schülerinnen und Schülern und ca. 15 Lehrpersonen. Schülerinnen und Schüler aus verschiedenen Leistungsniveaus werden gemeinsam unterrichtet. Es besuchen sowohl zukünftige Gymnasiasten als auch leistungsschwache Schülerinnen und Schüler die Schule. Es gibt viele Schülerinnen und Schüler aus Familien des hohen Bildungsmilieus. Ungefähr ein Fünftel hat einen Migrationshintergrund. Die meisten von ihnen sind in der dritten und der vierten Generation in der Schweiz und gut integriert. Vereinzelt gibt es Schülerinnen und Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf.

Beginn der Schul- und Unterrichtsentwicklung in Richtung personalisierten Lernens

Der Schulstandort war viele Jahre vor dem ersten Erhebungsjahr gefährdet, weil infolge einer Gesetzesänderung kleinere Schulen geschlossen werden sollten. Auf der Suche nach einem kostengünstigeren Schul- und Unterrichtsmodell schlossen sich Schulen aus der Region, die ebenfalls vom Risiko einer Schulschließung bedroht waren, zu einem Netzwerk zusammen und stellten einen Antrag für alters- und leistungsdurchmischten Unterricht. In zwei Schulen wurde diese Unterrichtsform genehmigt, nicht jedoch in Schule B.

In der Zeit der Vernetzung mit anderen Schulen begann die Schulleitung von Schule B im eigenen Unterricht, Schülerinnen und Schüler selbstständig und eigenverantwortlich an Lernaufgaben arbeiten zu lassen. Aufgrund der positiven Erfahrungen von motivierten und engagierten Schülerinnen und Schülern las die Schulleitung wissenschaftliche Literatur zu offeneren Formen des Lehrens und Lernens und besuchte Schulen, in denen mit solchen Unterrichtskonzepten unterrichtet wird. Diese Erfahrungen trug die Schulleitung dem Kollegium vor. Daraufhin bildete sich eine Entwicklungsgruppe, die ein Konzept mit vermehrt offenen Lehr- und Lernformen entwarf und dieses im eigenen Unterricht umsetzte. Die anderen Lehrpersonen unterrichteten in bisherigen Unterrichtsstrukturen.

Aufbau und Struktur des Unterrichtskonzepts zum Zeitpunkt der ersten Datenerhebung

Das Kollegium ist im ersten Erhebungsjahr in drei Gruppen geteilt: die Entwicklungsgruppe, die das neue Unterrichtskonzept entwickelt, die Gruppe, die sich für die Entwicklungstätigkeiten interessiert, aber nicht eingebunden ist oder nicht mitwirkt, und die letzte Lehrpersonengruppe, die sich gegen das Konzept ausspricht. Die zweite und die dritte Gruppe unterrichten eher traditionell. Die Entwicklungsgruppe umfasst drei bis vier Personen, die ihre

Mathematik-, Deutsch- und Französischstunden ihrer Lerngruppen zusammenlegen, damit offene Unterrichtsphasen stattfinden können. Mindestens zwei Lehrpersonen sind pro Stunde anwesend und für rund 40 Schülerinnen und Schüler in zwei Lernräumen zuständig. Die Lerngruppe ist altersdurchmischt (zwei Jahrgänge) und leistungsdurchmischt (zwei Leistungsniveaus). Ein zentrales Arbeitsinstrument sind thematisch aufeinander abgestimmte Sammlungen von Lernaufgaben, die je nach Alter und Leistungsniveau unterschiedlich viele Lernaufgaben mit verschiedenen Schwierigkeitsgraden umfassen. Alle Lernenden arbeiten pro Unterrichtsfach an derselben Aufgabensammlung und müssen in einer vorgegebenen Wochenanzahl die Aufgabensammlung selbstständig und eigenverantwortlich durchgearbeitet und den anschließenden Leistungstest abgeschlossen haben. Wie, wann, mit wem und wo die Schülerinnen und Schüler ihre Aufgaben bearbeiten, ist ihnen überlassen. Sie korrigieren die gelösten Aufgaben selbst. Wenn sie dies möchten, übernimmt jedoch eine Lehrperson die Korrektur. Hierbei nutzt die Entwicklungsgruppe eine schulinterne Datenbank, auf der die Lösungen gespeichert sind. Die Lernenden können mit ihren privaten Mobilgeräten oder Tablets auf die Datenbank zugreifen und die Lösungen anschauen. Allerdings verfügen nicht alle Lernenden über ein solches Gerät. Deswegen werden im ersten Erhebungsjahr finanzielle Mittel organisiert, damit solche Geräte zukünftig angeschafft werden können.

Neben den offenen Unterrichtsphasen erhalten die Schülerinnen und Schüler inhaltliche Inputs. Zudem gibt es an einem Wochentag eine Planungs- und Reflexionsstunde, in der sie ihre Lernprozesse reflektieren und zukünftige Lernaufgaben planen. Diese Aufgabenplanung wird schriftlich festgehalten. Zudem dokumentieren sie in einer Liste, welche Aufgaben sie wann gelöst haben. Hierbei sind die Schülerinnen und Schüler in kleineren, altersdurchmischten Sublerngruppen organisiert, in denen ältere Lernende jüngere in der Reflexion und Planung anleiten und unterstützen.

Entwicklungstätigkeiten im Erhebungszeitraum

Im ersten Erhebungsjahr beschreiben Mitglieder der Entwicklungsgruppe, wie sie zu Beginn des Schuljahres neue Schülerinnen und Schüler in das neue Unterrichtskonzept einführen. An einem Elternabend wird das Konzept vor den neuen Eltern vorgestellt. Einige hatten kritische Einwände geäußert, die in den darauffolgenden Wochen und Monaten immer wieder vorgetragen wurden. Ein Kritikpunkt betrifft den intensiven unterrichtlichen Einsatz von privaten Tablets, obwohl nicht alle Schülerinnen und Schüler über eines verfügen. Des Weiteren kritisierten die Eltern das Unterrichtskonzept mit Phasen des selbstständigen und eigenverantwortlichen Bearbeitens von Lernaufgaben. Diesbezüglich sieht die Entwicklungsgruppe einen Grund darin, dass die Eltern aus ihrer eigenen Schulzeit einen eng geführten Frontalunterricht gewöhnt sind, während es in dem offeneren Unterrichtskonzept weniger „geordnet“ abläuft, weil die Schülerinnen und Schüler parallel an unterschiedlichen Lernaufgaben arbeiten. Ebenso hätten die Eltern Angst, dass ihre Kinder nicht genug lernen könnten und den Übertritt ins Gymnasium nicht schaffen würden.

Die Leitung der Entwicklungsgruppe begegnet der Kritik nach eigenen Aussagen ruhig und abwartend. Sie reichte die Kritik an die lokale Schulbehörde weiter, welche für die strategische Führung der Schule verantwortlich ist. Die lokale Schulbehörde verwies die Eltern wiederum an die Schule. Die engagierten Eltern, die als leistungsbewusste und sehr aktive Personen beschrieben werden, organisierten daraufhin Elternabende und einen Elternrat, um mit anderen Eltern über das Unterrichtskonzept ins Gespräch zu kommen.

In dieser Zeit wechselte die Leitung der lokalen Schulbehörde. Während die abtretende Leitungsperson der Entwicklungsgruppe viele Handlungsfreiräume bot, schaut die neue Leitung genauer hin. Zudem erkrankt die Leitung der Entwicklungsgruppe für mehrere Monate und eine andere Person aus der Entwicklungsgruppe übernimmt ad interim die Leitungsfunktion der Entwicklungsgruppe und die Schulleitung. Des Weiteren erstellen die engagierten Eltern in diesem Zeitraum einen Forderungskatalog zur Unterrichts- und Schulqualität, der der Interimsleitung eingeschrieben zugesendet wird. Unter anderem fordern die Eltern einheitliche Unterrichtsstrukturen. Die Interimsleitung nimmt den Forderungskatalog zur Kenntnis, geht jedoch nicht weiter darauf ein und sucht auch nicht das Gespräch mit den Eltern. Anschließend kommunizieren die Eltern wiederum mit eingeschriebenen Briefen und nehmen erneut Kontakt mit der lokalen Schulbehörde auf. Daraufhin führt die Schulbehörde Unterrichtsbesuche durch, welche gemäß der Auskunft der Lehrperson im dritten Erhebungsjahr seit Jahren wieder einmal stattfinden. Auch die engagierten Eltern seien am Ende des ersten Erhebungsjahres mehrmals im Schulhaus präsent gewesen.

Im zweiten Erhebungsjahr erstellt die lokale Schulbehörde einen Forderungskatalog, in dem sie u. a. einheitliche Unterrichtsstrukturen verlangt. Die Entwicklungsgruppe geht auf diesen Katalog nicht ein. In dieser Zeit sind die Personen der Entwicklungsgruppe krankgeschrieben, u. a. wegen ansteigender psychischer Belastungen. Einige Wochen später kündigen sie. Nun wird ein zweites Mal eine Interimsschulleitung eingestellt, die das Unterrichtskonzept der Entwicklungsgruppe stoppt. Die leistungsdurchmischten Lerngruppen in Mathematik werden ebenso abgeschafft wie das Arbeiten mit den Aufgabensammlungen. Die im dritten Erhebungsjahr interviewte Lehrperson, die nicht in der Entwicklungsgruppe mitwirkt, unterrichtet im Fach Englisch nach wie vor in leistungsdurchmischten Lerngruppen. Im tieferen Leistungsniveau werden Lernziele und Lernaufgaben individuell angepasst. Die leistungsstärkeren Schülerinnen und Schüler erhalten zusätzliche Lernaufgaben. Dies kann mithilfe eines Lehrmittels für leistungsdurchmischte Lerngruppen gut umgesetzt werden. Des Weiteren wird im dritten Erhebungsjahr im pädagogischen Team des Fachbereichs Englisch ein Stoffplan erarbeitet, in dem die Lehrpersonen festlegen, wann welches Thema in den leistungsdurchmischten Lerngruppen behandelt wird.

Metaziele der Schul- und Unterrichtsentwicklung

Ein Ziel der Schul- und Unterrichtsentwicklung ist die Standortsicherung. Weil die Anzahl der Schülerinnen und Schüler sinkt und bildungspolitische Initiativen Druck auf kleinere Schulen ausüben, weil diese geschlossen oder mit anderen Schulen zusammengelegt werden sollen, ist auch der Standort von Schule B gefährdet. Um ihr Weiterbestehen zu sichern, wird das neue Unterrichtsmodell ausprobiert. Zudem soll mit dem Unterrichtskonzept besser auf die persönlichen Lernbedürfnisse der Schülerinnen und Schüler eingegangen werden. Ein drittes und letztes Metaziel der Entwicklungsgruppe ist die nachhaltige Implementierung des Unterrichtskonzepts in der gesamten Schule, sodass alle Lehrpersonen damit arbeiten.

Fallzusammenfassung

Da der Entwicklungsprozess in Schule B gestoppt wurde, hebt sich dieser Fall von den zehn anderen Schulen ab. Deshalb orientiert sich die Fallzusammenfassung an möglichen Gründen dafür, warum der Entwicklungsprozess nicht zu einer nachhaltigen Implementierung des Unterrichtskonzepts führte. Sieben Gründe werden in den Interviews beschrieben: (1) Ein erster Grund ist die längere Krankheit der Leitung der Entwicklungsgruppe. Damit fällt in einer herausfordernden Zeit eine wichtige Person weg, welche die Veränderungen initiierte und vorantrieb. (2) Zweitens gibt es drei, teils konkurrenzierende Gruppen im Kollegium: Es gibt erstens Lehrpersonen, die sich gegen das Unterrichtskonzept aussprechen, und zweitens Lehrpersonen, die zwar interessiert sind, aber entweder nicht in die Entwicklungstätigkeiten integriert werden oder dies nicht wollen. Drittens besteht die Entwicklungsgruppe, die versucht, in Teamsitzungen andere Lehrpersonen mit Filmen, Forschungsergebnissen und Diskussionen von ihrem Konzept zu überzeugen sowie Ängste und Befürchtungen zu eruieren. Ebenfalls thematisiert werden der Spardruck und die Gefahr der Schulschließung oder Schulzusammenlegung. Allerdings sei die Kommunikation mit dem gesamten Team aus der Sicht der Lehrperson im dritten Erhebungsjahr nicht optimal gelaufen. Sie habe erst Ende des zweiten Erhebungsjahres erfahren, wie die Entwicklungsgruppe ihren offeneren Unterricht gestalte. (3) Der dritte Grund ist die ungenügende Kommunikation mit den Eltern. Aussagen aus allen Interviews zufolge wurden die Möglichkeiten und Ziele des Unterrichtskonzepts zu wenig aufgezeigt und zudem wurde auf die Einwände und Kritikpunkte zu wenig eingegangen. Des Weiteren stellte sich das Aushalten und Ausharren der Leitenden der Entwicklungsgruppe trotz starker Kritik als ungünstige Strategie heraus. (4) Ein weiterer zentraler Grund ist das lang anhaltende und unablässige Engagement der Eltern, die durch ihre Aktivitäten Veränderungen bewirken konnten. (5) Auch der Wechsel des Präsidiums der lokalen Schulbehörde wird von Personen der Entwicklungsgruppe als Grund genannt. Die vorhergehende Leitung ließ der Entwicklungsgruppe viele Freiräume. Dies änderte sich mit der Neubesetzung des Präsidiums. Diese Person vertritt teils die Forderungen der Eltern. (6) Erschwerend kam gemäß der Leitung der Entwicklungsgruppe hinzu, dass die Lehrpersonen, welche gegen das Unterrichtskonzept waren, in einem engen verwandtschaftlichen Verhältnis mit der neuen das Präsidium innehabenden Person standen. (7) Ein letzter Grund bezieht sich auf die didaktische Gestaltung des offeneren Unterrichtskonzepts. Die Beschreibungen der Entwicklungsgruppe und die Aussagen der Lehrperson im dritten Erhebungsjahr zeigen, dass die Unterrichtsgestaltung einige problematische Aspekte aufweist. So ist die fachliche und strukturierende Lernbegleitung während der selbstständigen und eigenverantwortlichen Arbeitsphasen nur dann vorhanden, wenn Schülerinnen und Schüler dies explizit verlangen. Ansonsten werden sie stark sich selbst überlassen. Eine von den Lehrpersonen initiierte Kontrolle und Auswertung der Lernfortschritte sowie eine Korrektur der Lernaufgaben durch die Lehrpersonen finden kaum statt. Ebenso selten gibt es fachliche Inputs in geführten Settings, bei denen neue Lerninhalte eingeführt und erklärt werden.

7.1.2.3 Fallbeschreibung Schule D

Die Schule D hat das Unterrichtskonzept vor vielen Jahren eingeführt und befindet sich im Erhebungszeitraum in einer Konsolidierungsphase. Es werden weniger umfangreiche Veränderungen und Optimierungen vorgenommen.

Rahmenbedingungen der Schule

Die Schule ist eine öffentliche Sekundarschule in ländlicher RegionFootnote 3 mit ca. 110 Schülerinnen und Schülern und ca. 20 Lehrpersonen. Die Zahlen der Schülerinnen und Schüler an der Schule sind rückläufig. Die Lerngruppen sind hinsichtlich des Alters, der Lernstände, der Lerntypen sowie der sozialen und der familiären Hintergründe heterogen. Ein geringer Anteil weist einen Migrationshintergrund auf. Des Weiteren sind Austauschschülerinnen und Austauschschüler an der Schule. Viele Schülerinnen und Schüler haben herausfordernde familiäre Verhältnisse und sie kommen sowohl aus bildungsnahen als auch bildungsfernen Schichten.

Beginn der Schul- und Unterrichtsentwicklung in Richtung personalisierten Lernens

Viele Jahre vor dem ersten Erhebungsjahr wurde im Kanton der Schule D die Einführung eines neuen Unterrichtsmodells diskutiert. Die Schulleitung wollte dieses Unterrichtsmodell in der eigenen Schule jedoch nicht umsetzen. Daraufhin planten und entwickelten die Schulleitung und das Kollegium ihr eigenes Konzept mit altersdurchmischtem und individualisiertem Lernen. Wenige Jahre nach dem Beginn mit dem neuen Unterrichtskonzept war der Schulstandort infolge eines veränderten kantonalen Finanzierungsmodells gefährdet. Mit dem Unterrichtskonzept war es möglich, den Standort zu sichern.

Aufbau und Struktur des Unterrichtskonzepts zum Zeitpunkt der ersten Datenerhebung

Die Schule umfasst sechs alters- und leistungsdurchmischte Lerngruppen. Pro Lerngruppe gibt es drei bis sechs Sublerngruppen. Diese sind ebenfalls alters- und leistungsdurchmischt. Eine Schülerin oder ein Schüler des ältesten Jahrgangs leitet eine solche Gruppe. Die Sublerngruppen treffen sich ca. zwei Mal wöchentlich, werten das selbstständige und eigenverantwortliche Lernen in den offenen Unterrichtsphasen der vergangenen Woche aus und planen die zukünftige Woche. Die Planung wird schriftlich festgehalten. Zudem wird kontrolliert, ob Hausaufgaben erledigt wurden.

In den Lerngruppen finden zum Beispiel in Mathematik und Deutsch im geführten Unterricht frontale Inputs statt, in denen neue Lerninhalte eingeführt werden. Die neuen Lerninhalte werden im offenen Unterricht beim selbstständigen und eigenverantwortlichen Lernen geübt, gefestigt und vertieft. Daneben gibt es kursorisch organisierte Fächer, zum Beispiel Französisch und Englisch, in denen sowohl leistungs- als auch altersgetrennt unterrichtet wird. Des Weiteren werden Wahlfächer angeboten, aus denen die Schülerinnen und Schüler auswählen können.

Alle zwei bis drei Wochen führen die Lehrpersonen Coaching-Gespräche mit jeder und jedem einzelnen Lernenden durch. Die Gespräche werden schriftlich protokolliert und archiviert. Darüber hinaus arbeiten die Lehrpersonen mit einem Kompetenzraster und einer schulexternen Datenbank.Footnote 4 Die schulexterne Datenbank ist ein internetbasiertes Computerprogramm mit vielfältigen Funktionen: Lehrpersonen können Unterrichtsvorbereitungen miteinander austauschen oder sie können Aufgabensammlungen hoch- und herunterladen. Die Aufgabensammlungen können neben einer Sammlung thematisch passender Lernaufgaben auch Prüfungen oder Abschlussarbeiten beinhalten. Zu jeder Aufgabensammlung sind Lernziele definiert. Die Lehrpersonen weisen die Aufgabensammlungen, die bei Bedarf individuell angepasst werden können, den Schülerinnen und Schülern für die offenen Unterrichtsphasen zu. Die Lernenden können die Aufgabensammlungen unterschiedlich schnell bearbeiten. In dieser schulexternen Datenbank werden die individuellen Lernprozesse verwaltet, indem jede geplante und getätigte Arbeit der Schülerinnen und Schüler von einer Lehrperson dokumentiert und registriert wird, zum Beispiel Aufgabensammlungen, Prüfungen, Noten, Förderziele, soziale Ziele etc. Zudem können Treffpunkte organisiert und den Lernenden, die jeweils einen Zugang zur schulexternen Datenbank haben, mitgeteilt werden.

Entwicklungstätigkeiten im Erhebungszeitraum

Entwicklungstätigkeiten zielen erstens auf mehr kooperatives Lernen zwischen Schülerinnen und Schülern ab und zweitens werden zusätzliche Lernangebote erarbeitet, aus denen die Schüle/innen und Schüler wählen können. Das zeigt sich beispielsweise in der Entwicklung eines alters- und leistungsdurchmischten Englischunterrichts. Erste Entwicklungsversuche sind im ersten Erhebungsjahr nicht optimal verlaufen. Die Schulleitung kritisiert die zu geringe Zahl der Redebeiträge der Schülerinnen und Schüler, weil die Lehrpersonen zu lange frontal unterrichten, Arbeitsblätter verteilen und zu wenige kooperative Lehr- und Lernformen einsetzen. Im neuen Konzept, das nach dem ersten Erhebungsjahr erprobt wird, arbeiten die Schülerinnen und Schüler die ersten 30 Minuten innerhalb ihrer Sublerngruppen unter der jeweiligen Leitung einer Mitschülerin oder eines Mitschülers. Beispielsweise lernen sie gemeinsam Vokabeln, lesen einen Text und besprechen Verständnisprobleme. Anschließend nehmen alle aus dem Text individuell Wörter heraus, welche sie lernen möchten. Zum Abschluss des ersten Teils fassen die Schülerinnen und Schüler den Text zusammen und präsentieren ihn vor der gesamten Lerngruppe. Im zweiten, geführten Unterrichtsteil können die Lehrpersonen neue Lerninhalte einführen und erklären. Es werden hier auch von Lehrpersonen durchgeführte Workshops angeboten, aus denen die Schülerinnen und Schüler auswählen können. Dieses Konzept wird im ersten Erhebungsjahr in einer Wochenstunde, im zweiten in zwei und im dritten Erhebungsjahr in drei Wochenstunden eingesetzt.

Kooperative Lernsettings und Wahlmöglichkeiten von Lerngegenständen werden auch durch den neu eingeführten Vertiefungsunterricht in Französisch und in den Naturwissenschaften gestärkt. In zwei Wochenstunden findet dieser Unterricht in kleineren Lerngruppen mit zwei Assistierenden – in Französisch sind dies die Austauschschülerinnen und Austauschschüler aus der französischen Schweiz – statt. In Französisch wird verstärkt die mündliche Konversation geübt und in den Naturwissenschaften können die Lernenden eigene Projekte bearbeiten.

Die Vielfalt von Lernangeboten erweitern die Schulleitung und die Lehrpersonen durch eine Fahrradwerkstatt und durch die Einführung von Abschlussarbeiten. In der Fahrradwerkstatt können leistungsschwache und verhaltensauffällige Lernende während der Schulzeit Fahrräder reparieren. Diese Fahrradwerkstatt hat sich bewährt und bleibt bis über das dritte Erhebungsjahr bestehen. Ein Jahr vor dem ersten Erhebungsjahr werden Abschlussarbeiten eingeführt und bis zum dritten Erhebungsjahr jedes Jahr eingesetzt. Abschlussarbeiten sind von den Schülerinnen und Schülern selbst gewählte Projekte, die sie über eine gewisse Zeit bearbeiten und zu denen sie eine schriftliche Arbeit verfassen. Die fertigen Abschlussarbeiten werden an einer Ausstellung präsentiert.

Ein weiteres Thema, an dem die Schulleitung und die Lehrpersonen arbeiten, ist eine vermehrt strukturierende, auf individuelle Lernvoraussetzungen und -bedürfnisse eingehende Lernunterstützung. Die Schulleitung und die Lehrpersonen unterstreichen die Bedeutsamkeit einer strukturierenden Lernunterstützung in den offenen Unterrichtsphasen, die adaptiv an die Lernleistungen angepasst wird. Während die meisten Schülerinnen und Schüler die Aufgaben motiviert, selbstständig und eigenverantwortlich bearbeiten und bei Verständnisschwierigkeiten nachfragen, brauchen wenige andere mehr Unterstützung. Letztere sind meist nicht motiviert und benötigen von der Lehrperson klare (Leistungs-)Erwartungen und Hilfestellungen in der Organisation der Lernprozesse. Die Lehrpersonen diskutieren, wie diese Schülerinnen und Schüler an das selbstständige und eigenverantwortliche Lernen im offenen Setting herangeführt werden können, und sie beschreiben, wie sie in ihrer Lernunterstützung abwägen müssen zwischen einerseits dem Gewähren von Freiräumen im Lernprozess und andererseits der stetigen Kontrolle und Vorstrukturierung einzelner Lernschritte.

Zusätzliche Herausforderungen ergeben sich durch die offenen Raumstrukturen. Die Schülerinnen und Schüler können ihren Lernraum meist selbst aussuchen. Lehrpersonen müssen diejenigen, die stärkere Unterstützung benötigen, aufsuchen, um deren Lernprozesse zu kontrollieren. Währenddessen sind sie nicht im Klassenzimmer und können daher etwaige Fragen der dort arbeitenden Schülerinnen und Schüler nicht beantworten. In allen drei Erhebungsjahren diskutieren die Lehrpersonen über mögliche Lösungsansätze. Ihnen ist es wichtig, dass sie erstens diejenigen Schülerinnen und Schüler schnell ausfindig machen können, die größeren Unterrichtstützungsbedarf haben. Zweitens sind sie bestrebt, dass trotz der intensiveren Lernunterstützung von Schülerinnen und Schülern, die in ihrem Lernen eher unselbstständig sind, auch Zeit bleibt für die Leistungsstärkeren. Drittens wollen die Lehrpersonen, u. a. durch das vermehrt kooperative Lernen, die Schülerinnen und Schüler darin fördern, sich gegenseitig zu unterstützen und einander zu helfen. Allerdings ergibt sich hier die Herausforderung, wie sich im alters- und leistungsdurchmischten Englischunterricht zeigt, dass auch über private Themen gesprochen wird und die Schülerinnen und Schüler abgelenkt werden.

Hilfreiche Instrumente für über den offenen Unterricht hinausgehende Lernunterstützung sind Coaching-Gespräche und ein Kompetenzraster. Coaching-Gespräche sind Einzelgespräche mit Schülerinnen und Schülern hauptsächlich zu ihren Lernprozessen. Im dritten Erhebungsjahr einigen sich die Lehrpersonen auf einen standardisierten Gesprächsablauf. Sie definieren Gesprächsinhalte und erstellen Formulare. Es wird besprochen, wie die Schülerinnen und Schüler zu aktiveren Redebeiträgen motiviert werden können, in denen sie selbst etwas zur Lösungsfindung hinsichtlich eigener Herausforderungen beitragen. Die Lehrpersonen arbeiten mit einem Kompetenzraster. Dieses wird inhaltlich nicht weiterentwickelt, weil die Einführung des Kompetenzrasters des Lehrplans 21 abgewartet wird. Letzteres Kompetenzraster soll zukünftig von einer externen Firma in die schulexterne Datenbank integriert werden, in der die Aufgabensammlungen verwaltet werden. Damit soll es möglich sein, den Aufgabensammlungen Kompetenzen zuzuordnen.

Auf Schulebene beschäftigen sich Lehrpersonen und Schulleitende mit drei Themen: erstens mit der Aufgabenverteilung im Team-Teaching, zweitens mit dem Personalwechsel und der Einarbeitung neuer Lehrpersonen sowie drittens mit der sinkenden Anzahl von Schülerinnen und Schülern und der Planung der Umstrukturierung von Lernenden.

In Bezug auf den ersten Punkt wird erläutert, dass Schulische Heilpädagoginnen und Heilpädagogen im Team-Teaching mit Klassenlehrpersonen unterrichten. Eine solche Fachperson berichtet, wie sich bei einem Wechsel der Team-Teaching-Partnerin oder des Team-Teaching-Partners die Gestaltung der Zusammenarbeit verändert. Im ersten Erhebungsjahr beschreibt die interviewte Fachperson eine Zusammenarbeit, in der sie auch Verantwortungsbereiche und Aufgaben der Klassenlehrperson übernehmen konnte. Im zweiten Erhebungsjahr arbeitete sie mit einer anderen Lehrperson zusammen, die bei der die Verteilung von Aufgaben- und Verantwortungsbereichen zwischen Klassenlehrperson und Schulischer Heilpädagogin/Schulischem Heilpädagogen eine strikte Trennung vornahm. Beide Personen waren für den je eigenen Bereich zuständig. Die interviewte Fachperson hatte nun weniger Arbeit und war auch weniger in die Planung des Unterrichts und von Ausflügen involviert, was nicht ganz ihrer Auffassung vom Team-Teaching entsprach. Im dritten Erhebungsjahr hat sich die Zusammenarbeit aus ihrer Sicht gebessert, da die klare Aufgabentrennung gelockert wurde.

Zweitens beschreiben die Lehrpersonen den Weggang von zwei erfahrenen Lehrpersonen und den damit einhergehenden Verlust von Erfahrungs- und Wissensbeständen hinsichtlich des Unterrichtens in den offenen Unterrichtsphasen. Das Einarbeiten neuer Lehrpersonen sei sehr zeitintensiv für alle Beteiligten und ein langer Prozess. Die Lehrpersonen berichten von einer Zeitdauer von bis zu einem Dreivierteljahr.

Drittens führen sinkende Anzahlen von Schülerinnen und Schülern während des Erhebungszeitraums zu einer Planungsphase, in der darüber nachgedacht wird, wie die Lerngruppen und die Lehrpersonenteams neu strukturiert werden könnten. Die Schulleitung und einige Lehrpersonen erarbeiten einen Lösungsansatz, der nach dem dritten Erhebungsjahr dem Kollegium vorgestellt und mit allen Lehrpersonen diskutiert werden soll. Das Konzept sieht neu zwei größere Lerngruppen vor, denen je vier Klassenlehrpersonen zugeordnet sind. Jede dieser Lerngruppen verfügt über ein großes Lernbüro. Die anderen Lernräume werden hauptsächlich für geführte Unterrichtsphasen genutzt.

Metaziele der Schul- und Unterrichtsentwicklung

Schulleitende und Lehrpersonen gestalten eine an die individuellen Lernbedürfnisse und -voraussetzungen der Schülerinnen und Schüler angepasste Lernumgebung. Ziel ist es, erfolgreiche Lernprozesse zu initiieren.

Fallzusammenfassung

Die offenen Unterrichtsphasen werden in alters- und leistungsdurchmischten Lerngruppen durchgeführt und auf den Englischunterricht ausgeweitet. Bei dieser Entwicklung und auch in weiteren Entwicklungstätigkeiten zeigt sich, dass die Schulleitung und die Lehrpersonen kooperatives Lernen fördern. Sie stellen sich etwa die Frage, welche lernorganisatorischen Strukturen nötig seien und wie die Lehrpersonen die Schülerinnen und Schüler dahingehend fördern können, dass diese sich – auf die Lerninhalte bezogen – gegenseitig unterstützen und einander helfen. Zudem werden Lernangebote ausgebaut, zum Beispiel Vertiefungsunterricht, Fahrradwerkstatt oder Abschlussarbeit, und die Anzahl der Wahlmöglichkeiten für Lerngegenstände wird erhöht. Ein weiterer Punkt, mit dem sich die Lehrpersonen intensiv beschäftigen, ist eine wirkungsvolle Lernunterstützung, in der die individuellen Lernvoraussetzungen berücksichtigt werden können. Trotz der beschriebenen Herausforderungen, die von den Lehrpersonen aktiv bearbeitet werden, ziehen sie grundsätzlich ein positives Fazit zum Lernen in den offenen Unterrichtsphasen. Dies zeigt sich beispielsweise dann, wenn eine Lehrperson aufgrund verspäteter Bus- und Zuganreise erst nach Unterrichtsbeginn in die Schule kommt und die Schülerinnen und Schüler bereits mit der Arbeit angefangen haben.

7.1.2.4 Fallbeschreibung Schule E

Das Unterrichtskonzept ist zum ersten Erhebungszeitpunkt bereits einige Jahre eingeführt. Schule E befindet sich daher in einer Konsolidierungsphase mit leichten Anpassungen und Optimierungen.

Rahmenbedingungen der Schule

Die öffentliche Sekundarschule in ländlicher RegionFootnote 5 umfasst ca. 180 Schülerinnen und Schüler und ca. 40 Lehrpersonen. Heterogen sind die Schülerinnen und Schüler hinsichtlich der sozioökonomischen Herkunft und der Bildungsnähe der Eltern. In jedem Jahrgang gibt es wenige Lernende mit sonderpädagogischem Förderbedarf und mit Migrationshintergrund.

Beginn der Schul- und Unterrichtsentwicklung in Richtung personalisierten Lernens

Der Kanton hatte der Schule einige Jahre vor dem ersten Erhebungsjahr den Auftrag gegeben, eine leistungsdurchmischte Sekundarschule zu entwickeln. Diese Idee wurde an der Schule aufgegriffen und nach einigen Besuchen an anderen Schulen mit ähnlichen Unterrichtskonzepten weiterentwickelt. Ein Jahr nach dem Auftragserhalt wurde das neue Unterrichtskonzept im ersten Jahrgang eingeführt.

Aufbau und Struktur des Unterrichtskonzepts zum Zeitpunkt der ersten Datenerhebung

Die Schule ist in drei Jahrgänge mit je vier leistungsdurchmischten Lerngruppen unterteilt. Alle Schülerinnen und Schüler eines Jahrgangs haben in einem großen Lernbüro ihren persönlichen Arbeitsplatz. Hier finden offene Unterrichtsphasen statt, in denen sie selbstständig und eigenverantwortlich ihre Aufgabensammlungen bearbeiten. Daneben gibt es geführte Unterrichtsphasen, während derer unter der Leitung einer Lehrperson neue Lerninhalte eingeführt werden. Diese Art von Unterricht findet in Deutsch, Mathematik sowie Mensch und Umwelt in homogenen Leistungsgruppen und in den Realienfächern in leistungsdurchmischten Lerngruppen statt.

Des Weiteren werden regelmäßig Coaching-Gespräche durchgeführt. Die Lehrpersonen verfügen wöchentlich über zwei Unterrichtsstunden für die Gespräche. Die einzelnen Lernenden haben alle drei bis vier Wochen ein Coaching-Gespräch. Dieses dient der Lernbegleitung und der Lernberatung. Gesprächsgrundlage sind ein von der Schülerin bzw. vom Schüler ausgefülltes Formular sowie die verschriftlichten Aufgabenplanungen und erledigen Lernaufgaben. Zusammen werden diese Dokumente ausgewertet. Neben dem Lernprozess kann in den Coaching-Gesprächen auch über die Gestaltung eines lernförderlichen schulischen und privaten Umfelds gesprochen werden. Das aus den Coaching-Gesprächen gewonnene Wissen fließt in den Unterricht der Lehrpersonen ein und die Lehrpersonen passen, wenn möglich, ihre Unterrichtsplanungen an.

Entwicklungstätigkeiten im Erhebungszeitraum

Auf der Unterrichtsebene lassen sich Entwicklungstätigkeiten und damit einhergehende Veränderungen bei den Wahlmöglichkeiten von Lerninhalten, den Planungsinstrumenten und der Lernunterstützung feststellen.

Die Lehrpersonen möchten mehr Wahlmöglichkeiten hinsichtlich der Lerninhalte anbieten. Ziel ist es, stärker auf die individuellen Lernbedürfnisse der Schülerinnen und Schüler einzugehen. Jedoch geht damit die Herausforderung einher, dass viele Lerninhalte durch den Lehrplan bereits definiert sind und wenig Gestaltungsraum zulassen. Zusätzlich kommt hinzu, dass Lerninhalte durch die Aufnahmeprüfung für das Gymnasien oder durch den Stellwerktest ebenfalls vorgegeben sind.

Des Weiteren achten die Lehrpersonen im Erhebungszeitraum stärker darauf, dass die Schülerinnen und Schüler häufiger mit dem Planungsinstrument arbeiten. Mit diesem Instrument planen und strukturieren sie ihre Lernzeit vor allem in den offenen Unterrichtsphasen und legen fest, wann sie welche Lernaufgaben erledigen und wann sie für Prüfungen lernen.

Hinsichtlich der Lernunterstützung ist für alle Lehrpersonen eine Weiterbildung (CAS) zum Thema „Lerncoaching“ obligatorisch. Ein Thema, das die Lehrpersonen beschäftigt, ist die Verbesserung der Lernunterstützung von leistungsschwächeren Schülerinnen und Schülern in den offenen Unterrichtsphasen, indem sie ihnen beim Organisieren und Strukturieren der Arbeitsaufträge helfen und häufiger die Lernprozesse kontrollieren. Im dritten Erhebungsjahr resümieren die Lehrpersonen, dass sich das selbstständige und eigenverantwortliche Lernen verbessert habe. Insbesondere seien disziplinarische Probleme seltener geworden. Grundsätzlich stellen die Lehrpersonen und Schulleitenden fest, dass die meisten Schülerinnen und Schüler im offenen Unterricht gut bis sehr gut selbstständig und eigenverantwortlich lernen. Sie geben pünktlich und zuverlässig ihre erarbeiteten Lernaufgaben ab. Einen Grund dafür sehen die Lehrpersonen in der über die drei Erhebungsjahre verbesserten und gestärkten pädagogischen Beziehung zu den Lernenden, die insbesondere durch die individuellen Coaching-Gespräche gestiegen sei. Des Weiteren fühlen sich die Lehrpersonen durch die Coaching-Gespräche mehr verantwortlich für den Erfolg und das Wohlbefinden der einzelnen Schülerinnen und Schüler.

Entwicklungspotenzial gibt es in der Verarbeitungstiefe von Lernaufgaben. Einige Schülerinnen und Schüler bearbeiten die Lernaufgaben eher oberflächlich. Eine aus eigenem Interesse heraus motivierte und vertiefte Auseinandersetzung mit den Lernaufgaben und Lerninhalten findet bei diesen Schülerinnen und Schülern kaum statt.

Auf Schulebene werden Veränderungen in der Kooperation im Lehrpersonenteam beschrieben. Zum Beispiel wird eine schulinterne Datenbank erstellt, auf der Unterrichtsvorbereitungen und -materialien abgelegt und ausgetauscht werden können. Zudem wird ein neues Arbeitszeitmodell – das Jahresarbeitszeitmodell – eingeführt, das besser zum Unterrichtsmodell passt, weil damit die Arbeitszeiten der Klassenlehrpersonen so organisiert werden können, dass sie von morgens bis nachmittags präsent sind. Zudem stellen die Lehrpersonen fest, dass sie sich zunehmend häufiger und differenzierter über schwierige Unterrichtssituationen, pädagogische und didaktische Grundhaltungen, Herangehensweisen an Herausforderungen und Konsequenzen für Lernende austauschen würden. Im Jahrgangsteam bildet sich eine gemeinsame pädagogische Grundhaltung und ein gemeinsames Verständnis von Lernen in den offenen Unterrichtsphasen heraus.

Des Weiteren werden die Kooperationsstrukturen im Kollegium angepasst. Erstens wird das Lehrpersonenteam „Fachlehrpersonen“ aufgelöst und die Fachlehrpersonen werden den Jahrgangsteams zugeordnet. Zweitens gibt es für jedes Jahrgangsteam eine Teamleitung, die während der Erhebungszeit immer mehr Kompetenzen und Verantwortungsbereiche zugesprochen bekommt. Zum Beispiel kann die Teamleitung nun Absenzen der Lernenden unterschreiben. Zudem ist sie zusammen mit der Schulleitung dafür verantwortlich, dass die Entwicklung des Unterrichtsmodells in den jeweiligen drei Jahrgängen der Schule nicht zu weit auseinanderdriftet. Eine externe Evaluation einer Pädagogischen Hochschule bemängelte die teils unterschiedliche Ausgestaltung des Modells. Damit sich die Lehrpersonen im pädagogischen und didaktischen Handeln annähern können, sind Hospitationen zwischen den Jahrgangsteams geplant. Hierfür wird ein Hospitationsbogen erstellt und in Fachgruppen werden die Hospitationen geplant. Im Erhebungszeitraum fanden jedoch keine Hospitationen statt, weil keine Lehrperson den Unterricht der hospitierenden Lehrperson übernehmen konnte, der wegen der Hospitation ausgefallen wäre.

Darüber hinaus werden Personalwechsel geschildert. Zum einen kündigt die Schulleitung auf Ende des dritten Erhebungsjahrs. Zum anderen verlässt eine Lehrperson das interviewte Jahrgangsteam, weil sie ihren Schwangerschaftsurlaub bezieht. Weil keine Vikarin bzw. kein Vikar gefunden wurde ist die große Lerngruppe nur noch auf drei Klassenlehrpersonen aufgeteilt, was mit einer Mehrbelastung einhergeht, weil die Lehrpersonen nun für mehr Schülerinnen und Schüler verantwortlich sind. Allerdings wird nach dem letzten Erhebungsjahr eine neue Lehrperson im Team ihre Arbeit aufnehmen. Hier braucht es wieder neue Absprachen und das Finden eines gemeinsamen Konsenses in der pädagogischen und didaktischen Gestaltung von Unterricht.

Ein letzter Punkt ist der Aufbau eines Elternrats. Trotz einer Weiterbildungsveranstaltung einer Fachperson zum Thema „Elternmitwirkung“ konnten Konflikte zwischen den verschiedenen Elternvertretungen nicht gelöst werden. Im ersten Erhebungsjahr hatten noch regelmäßige Sitzungen mit vier Elternvertretungen stattgefunden. Im dritten Erhebungsjahr war nur noch eine Elternvertretung anwesend und die Sitzungen wurden anschließend nicht mehr durchgeführt. Für die Zeit nach dem dritten Erhebungsjahr soll der Elternrat mit der neuen Schulleitung neu organisiert werden.

Metaziele der Schul- und Unterrichtsentwicklung

Ein Ziel der Schulleitenden und Lehrpersonen besteht darin, das selbstständige und eigenverantwortliche Lernen in den offenen Unterrichtsphasen zu fördern.

Fallzusammenfassung

In Schule E sind die lernorganisatorischen Strukturen gefestigt. Veränderungen finden insofern statt, als bestimmte Aspekte – wie der Einsatz des Planungsinstruments, eine strukturiertere Lernunterstützung leistungsschwächerer Schülerinnen und Schüler oder die Wahlmöglichkeiten bei Lerninhalten – stärker gewichtet werden als zuvor. Diesbezüglich lässt sich feststellen, dass die Lehrpersonen hinsichtlich der Entwicklungstätigkeiten auf Unterrichtsebene das Nutzungsverhalten der Schülerinnen und Schüler beschreiben und erläutern, inwiefern sich dieses im neuen Unterrichtskonzept im Vergleich zum alten Konzept unterscheidet und inwiefern die Schülerinnen und Schüler das selbstständige Lernen verantwortungsbewusst ausführen.

Recht umfangreiche Entwicklungstätigkeiten lassen sich auf Schulebene, insbesondere zur Kooperation zwischen den Lehrpersonen, finden. So wird u. a. ausgeführt, dass die Kooperationsstrukturen in der Schule etwa bei den Teamleitungen angepasst werden oder dass die Lehrpersonen im Jahrgangsteam immer stärker eine gemeinsame pädagogische und didaktische Grundhaltung entwickeln.

7.1.2.5 Fallbeschreibung Schule F

Im ersten Erhebungsjahr arbeiten die Lehrpersonen bereits seit einigen Jahren mit ihrem neuen Unterrichtskonzept. Im Erhebungszeitraum werden umfassende Veränderungen vorgenommen.

Rahmenbedingungen der Schule

Schule F ist eine öffentliche Primarschule (Kindergarten, Unterstufe, Mittelstufe) in einer Agglomerationskerngemeinde (Kernstadt)Footnote 6 mit insgesamt ca. 320 Lernenden. In der Mittelstufe unterrichten ca. 20 Lehrpersonen. Mehr als zwei Drittel der Schülerinnen und Schüler haben einen Migrationshintergrund und kommen aus Familien mit tiefem sozioökonomischem Status. In der Schule sind ungefähr 25 Nationen vertreten. Viele Schülerinnen und Schüler kommen aus Familien mit alleinerziehenden Müttern, wohnen in Sozialwohnungen und erleben zu Hause Gewalt oder Scheidungen. Die Lehrpersonen beschreiben eine große Leistungsdifferenz zwischen denjenigen Schülerinnen und Schülern, die von den Lernzielen des Lehrplans befreit sind, und denjenigen Schülerinnen und Schülern, die später ins Gymnasium gehen werden. Auch die Konzentrationsfähigkeit sei sehr heterogen.

Beginn der Schul- und Unterrichtsentwicklung in Richtung personalisierten Lernens

Die Schulleitung wurde mehrere Jahre vor dem ersten Erhebungsjahr in der Schule eingestellt und begann gemeinsam mit dem Kollegium darüber nachzudenken, wie eine zukünftige Schule aussehen könnte. Während die Projekte „Tagesstrukturen“ und „Integration“ kurz vor der Umsetzung standen, war auf Unterrichtsebene noch relativ wenig unternommen worden. Deswegen war der Unterricht fortan neuer Schulentwicklungsschwerpunkt. Die Schulleitung besuchte in der Folge innovative Schulen mit ähnlichen strukturellen und heterogenen Herausforderungen. Die Umstellung auf das neue Unterrichtskonzept war zu Beginn in zwei Lerngruppen vorgesehen. Auf Wunsch der Lehrpersonen wurde sie jedoch in allen Lerngruppen zugleich vorgenommen. Bis wenige Jahre vor dem ersten Erhebungsjahr bereitete sich das Team danach auf das neue Unterrichtskonzept vor. Unter anderem besuchten die Lehrpersonen sehr viele Weiterbildungen.

Aufbau und Struktur des Unterrichtskonzepts zum Zeitpunkt der ersten Datenerhebung

Die Schule umfasst zwei Schulhäuser. Pro Schulhaus gibt es in der Unter- sowie in der Mittelstufe je drei altersdurchmischte Lerngruppen. Jede Lerngruppe verfügt über einen Lernraum. Hier wechseln sich geführte und offene Unterrichtsphasen und selbstständige und eigenverantwortliche Lernsequenzen ab. Zudem kann es sein, dass beides gleichzeitig stattfindet: Eine Gruppe von Schülerinnen und Schülern erhält einen fachlichen Input, während die andere Gruppe an ihren Lernaufgaben arbeitet. Für Letzteres erhalten die Schülerinnen und Schüler einen Plan mit Lernaufgaben. Je nach Fach unterscheidet sich das Verhältnis von offenen und geführten Unterrichtsphasen.

Innerhalb des altersdurchmischten Deutsch- und Mathematikunterrichts werden verschiedene Niveaus unterschieden. Zum Beispiel erarbeiten sich die Lehrpersonen der Mathematik aufbauend auf dem Lehrmittel drei Leistungsniveaus für jede der drei Klassenstufen. Insgesamt ergeben sich daraus neun Leistungsniveaus. Für jedes Leistungsniveau gibt es verschiedene Lernaufgaben. Für die Zuteilung der Schülerinnen und Schüler in eines der drei Niveaus werden mit den Schulischen Heilpädagoginnen und Heilpädagogen und der Lehrperson für integrative Schulform am Anfang des Schuljahres Lernstandserfassungen in Mathematik und Deutsch durchgeführt. Wenn die Lernenden die Lernaufgaben eines Niveaus bearbeitet haben, können sie eine Prüfung ablegen und ins nächsthöhere Niveau aufsteigen. In dieser Niveaueinteilung befinden sich die Lehrpersonen im Erhebungszeitraum in einem Entwicklungs- und Optimierungsprozess. Besonderes Entwicklungspotenzial sei im Lösen und Üben der Lernaufgaben vorhanden: Ziel ist es, dass die Lernenden sich mit den Aufgaben vertieft auseinandersetzen. Des Weiteren benötige es Lernaufgaben, die dem Leistungsniveau der Schülerinnen und Schüler noch besser entsprächen und die weder über- noch unterfordern würden. Des Weiteren wird eine stärkere Durchlässigkeit zwischen Unter- und Mittelstufe angestrebt, damit die Drittklässlerinnen und Drittklässler der Unterstufe auch Lernaufgaben und Prüfungen von der Mittelstufe lösen können.

Eine weiteres Strukturmerkmal der Lernumgebung ist das gegenseitige Helfen und Unterstützen. Regelmäßig werden Schülerinnen und Schüler in hierfür notwendigen überfachlichen Kompetenzen geschult. Es geht nicht darum, sich Lösungen gegenseitig vorzulesen, sondern vielmehr darum, zum Beispiel mit geschicktem Nachfragen zu helfen. Des Weiteren werden Lernende, die ein Thema besonders gut verstehen, von Lehrpersonen zu Helferinnen und Helfern ernannt. Diese erhalten eine Karte mit zwei Farben: rot und grün. Ist die rote Seite zu sehen, dürfen andere Lernende die Helferin oder den Helfer nicht stören. Ist die grüne Seite sichtbar, kann die Helferin oder der Helfer bei Fragen zu und Problemen bei der Aufgabenbearbeitung angefragt werden. Darüber hinaus gibt es in jeder Lerngruppe wiederum Sublerngruppen, die sich aus ca. drei Lernenden aus je einer Altersstufe zusammensetzen. Hier werden unter der Leitung der ältesten Schülerin oder des ältesten Schülers die verschriftlichten Planungen und bearbeiteten Lernaufgaben des offenen Unterrichts angeschaut.

Entwicklungstätigkeiten im Erhebungszeitraum

In Schule F werden umfangreiche Entwicklungstätigkeiten zu folgenden Themen erläutert: Lehrmittel und Lerninhalte, Lehr- und Lernformen, Lernunterstützung, Lernstandserfassung und Leistungsbeurteilung sowie Kooperation im Team und Mitwirkung der Eltern.

Offizielle, jahrgangsgetrennte Lehrmittel seien für das altersdurchmischte Lernen auf Primarstufe weniger geeignet, wie die Schulleitung festhält. Für die Schule gebe es keine Lehrmittelvorgaben, sodass die Lehrpersonen frei entscheiden könnten. Im ersten Erhebungsjahr einigen sich die Lehrpersonen der Mittelstufe auf ein gemeinsames Lehrmittel und stellen fest, dass sie zwar altersdurchmischt unterrichten können; ein Lernen am gemeinsamen Gegenstand zur gleichen Zeit kann so jedoch nicht zufriedenstellend umgesetzt werden. Sie sammeln deswegen Lernaufgaben aus alten und neuen Lehrmitteln und setzen sie so zusammen, dass ein altersdurchmischtes Lernen am gemeinsamen Gegenstand umsetzbar ist. In Deutsch und in den Fremdsprachen begannen die Lehrpersonen bereits vor dem ersten Erhebungsjahr, ein eigenes Lehrmittel zu entwickeln. Nach einjährigen Entwicklungstätigkeiten haben sie dieses Projekt nicht weitergeführt, weil sie mit dem Ergebnis nicht zufrieden waren. Nun verwenden sie das offizielle Lehrmittel. Die Deutschlehrpersonen schätzen ihr Lehrmittel im ersten Erhebungsjahr als geeignet für altersdurchmischtes Lernen ein. Zudem ordnen die Lehrpersonen für ein Lernen am gemeinsamen Gegenstand die Lernaufgaben und die Lerninhalte so an, dass es pro Quartal für die ganze Lerngruppe ein Thema gibt, zum Beispiel Rechtschreibung. Dieses wird jährlich wiederholt und je nach Altersstufe und Leistungsniveau mehr oder weniger vertieft. In Französisch soll nach dem dritten Erhebungsjahr ein neues Lehrmittel eingeführt werden.

Es wird bereits deutlich, dass das Lernen am gemeinsamen Gegenstand in altersdurchmischten Lerngruppen auf Primarstufe ein zentrales Entwicklungsthema ist. Lernen am gemeinsamen Gegenstand bedeutet für die Lehrpersonen, dass in einer altersdurchmischten Lerngruppe, auf einer Stufe, in einem Fach und zur selben Zeit auf unterschiedlichen Leistungsniveaus zum selben Thema gelehrt und gelernt wird. Herausforderungen und Entwicklungspotenziale liegen nicht nur in der beschriebenen Anordnung von Lerninhalten und Lernaufgaben, sondern auch im anspruchsvollen Abwägen zwischen dem Lernen am selben Thema in der Gemeinschaft und den individuellen Übungs- und Vertiefungsphasen in den jeweiligen Leistungsniveaus. Am passgenauen Ineinandergreifen der zwei Lernsettings wird stetig gearbeitet. Des Weiteren sind kurze 45-Minuten-Unterrichtssequenzen herausfordernd. Lehrpersonen benötigen für das Durchlaufen aller Lernphasen von einem problemorientierten Aufbau bis hin zum Üben und Anwenden Doppelstunden von 90 Minuten. Bis zum ersten Erhebungsjahr war dies kaum möglich, weil die Positionierung der Unterrichtsstunden des Fachunterrichts (Fremdsprachen, Religion und Gestalten) im Stundenplan 90-Minuten-Zeitblöcke kaum zuließ. Im zweiten und dritten Erhebungsjahr konnten mehr Doppellektionen durchgeführt werden, weil nun auch die Fremdsprachen in altersdurchmischten Lerngruppen unterrichtet werden.

Das Lernen am gemeinsamen Gegenstand zielt u. a. auf eine vermehrt kooperative Lernumgebung ab. Kooperative Lehr- und Lernformen waren ein von der Bildungsbehörde vorgegebenes Entwicklungsprojekt. Es sollten verschiedene Unterrichtsformen, zum Beispiel Gruppenpuzzle, Placemat, Strukturlegetechniken oder reziprokes Lesen, eingeübt werden. Die Lehrpersonen gehen davon aus, dass die Schülerinnen und Schüler die eingeführten kooperativen Lehr- und Lernformen nach einer Übungsphase gut werden anwenden können.

Ein zweites Ziel des Lernens am gemeinsamen Gegenstand ist das selbstständige und eigenverantwortliche Lernen, das vor allem bei der Bearbeitung von Aufgabensammlungen in den individuellen Übungs- und Vertiefungsphasen angewendet wird. Diesbezüglich stellen die Lehrpersonen fest, dass einige Schülerinnen und Schüler damit überfordert seien. Sie seien schwer zu motivieren und bräuchten eine häufige und strukturgebende Lernunterstützung, in der Lernaufgaben und Hausaufgaben stetig eingefordert werden. Grundsätzlich habe sich das selbstständige und eigenverantwortliche Lernen im Erhebungszeitraum verbessert, weil u. a. die Schülerinnen und Schüler ihre eigenen Lernprozesse besser reflektieren und einschätzen könnten. Einige Schülerinnen und Schüler würden sich sogar für den Lernstoff des nächsthöheren Leistungsniveaus interessieren.

Das Lernen am gemeinsamen Gegenstand in altersdurchmischten Lerngruppen wird im Erhebungszeitraum im Fremdsprachenunterricht, das heißt in Englisch und Französisch, eingeführt. Der Englischunterricht besteht aus einem größeren Teil geführter Unterrichtsphasen und einem kleineren Teil offener Unterrichtsphasen. In den letzteren Phasen werden beispielsweise individuell Aufgabensammlungen oder kooperativ Leseaufgaben bearbeitet. Für die Entwicklung eines altersdurchmischten Französischunterrichts erarbeiten die Lehrpersonen Aufgabensammlungen, in denen die Aufgaben der jeweiligen Unité aufgeführt sind. Diese können die Schülerinnen und Schüler in offenen Unterrichtsphasen selbstständig lösen. In den von den Lehrpersonen geführten Unterrichtsphasen werden Lerninhalte hingegen mit der gesamten Lerngruppe eingeführt und erklärt. Während dies für die jüngere Lerngruppe neue Themen sind, geht es in der Lerngruppe mit den älteren Schülerinnen und Schülern um eine Wiederholung. Neue Lerninhalte für letztere Gruppe werden mit den Schülerinnen und Schülern gesondert besprochen. Die Lehrpersonen resümieren, dass das altersdurchmischte Lernen in Französisch insofern herausfordernd sei, weil die Leistungsspanne zwischen den Fünftklässlerinnen und Fünftklässlern, die sehr wenig Französisch könnten, und den Sechstklässlerinnen und Sechstklässlern, die viele Lerninhalte bearbeiten müssten, sehr groß sei. Dennoch wird die Altersdurchmischung als positiv bewertet, weil die ältesten Lernenden Selbstwirksamkeit erleben, indem sie im Vergleich mit den jüngeren Lernenden sehen, was sie selbst schon alles können.

Ein weiteres Thema im Entwicklungsprozess ist die Lernunterstützung, besonders in den offenen Unterrichtsphasen. Die Lehrpersonen haben alle kurzfristigen und langfristigen Lernziele, abzugebenden Lernaufgaben und vermittelten Lerninhalte verschriftlicht. Dieses sehr umfangreiche und arbeitsintensive Verfahren war in einer Weiterbildung besprochen worden und die Lehrpersonen hatten sich darauf geeinigt, dass mündliche Abmachungen zwischen Schülerinnen und Schülern und Lehrpersonen gleichbedeutend seien wie schriftliche. Somit reicht es aus, den Lernenden bestimmte Aufträge oder individuelle Lernziele mündlich mitzuteilen. Dies wird als entlastend wahrgenommen, weil nun weniger Schreibarbeit geleistet werden muss.

Ein nächstes, für die Schule zentrales Thema sind Lernstandserfassungen und Leistungsbeurteilungen. Leistungstests finden im interviewten Mittelstufenteam in allen drei altersdurchmischten Lerngruppen zur selben Zeit und zum selben Thema statt. In der Prüfung wird zwischen den drei Jahrgangsstufen differenziert. Das heißt, alle Schülerinnen und Schüler beispielsweise der vierten Klasse des Mittelstufenteams schreiben den gleichen Test zur selben Zeit. Inhaltlich unterscheidet sich dieser jedoch von den Tests der Fünft- und Sechstklässlerinnen und -klässler. Entwicklungsbemühungen, in den drei Jahrgangsstufen inhaltlich gleiche Leistungstests mit unterschiedlichen Schwierigkeitsgraden und differenzierten Lernzielen zu erstellen, sind wegen des hohen Aufwands im ersten Erhebungsjahr gestoppt worden. Zudem beschäftigen sich die Lehrpersonen mit Fragen der Beurteilung: Welche Leistungskriterien müssen für welche Note erfüllt sein und welche Formen und Varianten der Leistungsbeurteilung gibt es und welche bewähren sich in der Praxis? Die Lehrpersonen wollen diejenigen Lernenden mehr würdigen, welche trotz guter Lern- und Arbeitsleistungen im Unterricht – beispielsweise infolge von Prüfungsangst – weniger gute Noten schreiben. Zum Beispiel lassen die Lehrpersonen im Fach Mensch und Umwelt weniger schriftliche Leistungstests schreiben und bewerten vermehrt Plakate oder Portfolios. In einem Mathematikprojekt wird die Leistungsbeurteilung an das erreichte Leistungsniveau geknüpft: Diejenigen Schülerinnen und Schüler, welche die Prüfungen des höchsten Niveaus ihres Jahrgangs schreiben, haben die Chance auf die beste Bewertung, jene des mittleren Niveaus können maximal gute Bewertungen und jene des tiefsten Niveaus maximal befriedigende Bewertungen erhalten. Zusätzlich fließen Ergebnisse der Lernberichte und Lernplakate in die Leistungsbeurteilung ein. Die Lehrpersonen tauschen sich regelmäßig über die Leistungsbeurteilungen aus, um Sicherheit zu gewinnen.

Neben den Entwicklungen im Unterricht werden Veränderungen in der Zusammenarbeit zwischen Lehrpersonen beschrieben. Ein wichtiger Aspekt der Kooperation ist die gemeinsame Unterrichtsvorbereitung in Fachgruppen der Mittelstufe. Das Ziel jeder Vorbereitungsgruppe ist es, zu Beginn eines jeden Quartals die Vorbereitungen fertigzustellen. Diese umfassen eine Grobplanung, Unterrichtspläne für die offenen Unterrichtsphasen sowie die Beschreibung von Unterrichtssequenzen, Lernziele und Prüfungen. Die Umsetzung der Unterrichtsplanung ist danach jeder Lehrperson selbst überlassen. Die Lehrpersonen beginnen im zweiten Erhebungsjahr, sich die Unterrichtsvorbereitungen aus den verschiedenen Fächern gegenseitig vorzustellen, um einerseits einen Einblick zu erhalten und andererseits thematische Überschneidungspunkte zu finden. Solche umfangreichen Unterrichtsvorbereitungen sind manchmal jedoch schwer nachvollziehbar. Deshalb einigen sich die Lehrpersonen darauf, weniger Lerninhalte vorzubereiten und diese dafür tiefer, detaillierter und verständlicher aufzubereiten. Zudem unterstreichen sie, dass sie es nicht immer produktiv fänden, so intensiv gemeinsam vorzubereiten, weil sie vermehrt eigene Wünsche und Bedürfnisse zurückstellen müssten. Trotz der Einwände schätzen sie die Zusammenarbeit als Bereicherung für ihre Unterrichtstätigkeiten.

Die Lehrpersonen des interviewten Mittelstufenteams nehmen Herausforderungen im Schulteam wahr. Es herrsche eine zunehmend gereizte Stimmung, in der sich die Lehrpersonen nicht mehr getrauen würden, direkte Kritik zu äußern, weil sich einige von ihnen schnell persönlich betroffen fühlen würden. Dies wird auf die Überlastung der Lehrpersonen zurückgeführt, die zunimmt, wenn sich das Schuljahr dem Ende zuneigt oder immer wieder neue Entwicklungsideen umgesetzt werden. Die Lehrpersonen wünschen sich hier eine fruchtbare und konstruktive Arbeitskultur, in der hinsichtlich der Weiterentwicklung des Unterrichtskonzepts Verständnisschwierigkeiten geklärt werden und ein gemeinsamer Grundgedanke erarbeitet wird. Auch die Zusammenarbeit zwischen den Lehrpersonen in einem Unterstufenteam wird als herausfordernd beschrieben. Eine Lehrperson, die bereits länger an der Schule arbeitet, ist mit dem Unterrichtskonzept und mit ihrer arbeitsintensiven Lerngruppe überfordert. Sie hat jedoch wenig Unterstützung und Hilfe von den Lehrpersonen im selben Team erhalten oder eingefordert.

Für die Kooperation im Team und die gemeinsame Entwicklung und Umsetzung des Unterrichtskonzepts wichtig ist die Einarbeitung neuer Lehrpersonen. In den letzten Jahren gab es viele Personalwechsel, u. a. auch aufgrund des Unterrichtskonzepts. Die Einarbeitung neuer Lehrpersonen erfolgt unter der Anleitung einer erfahrenen Lehrperson, die im Erhebungszeitraum zwei Mal gut funktioniert hat. Besonders die gemeinsame Unterrichtsvorbereitung ist bedeutsam, weil hier intensiv über das Lehren und Lernen gesprochen wird. Die Einarbeitung ist in einem anderen Stufenteam weniger erfolgreich verlaufen, weshalb die Lehrpersonen bezogen auf die gesamte Schule Entwicklungspotenzial erkennen konnten.

Das letzte Thema ist die Zusammenarbeit mit Eltern, welche besser über das Unterrichtskonzept informiert und aufgeklärt werden sollen. Im ersten Erhebungsjahr seien viele Eltern kritisch eingestellt gewesen. Im darauffolgenden Schuljahr hätten sich die Widerstände der Eltern etwas gelegt. Ein Vorschlag für eine bessere Kommunikation wurde ausgearbeitet und im Gesamtteam diskutiert. Anschließend wurde ein obligatorischer Elternabend zum Thema „Schulkultur“ organisiert. Ein Teil des Elternabends waren Gruppenarbeiten, in denen Lehrpersonen und Eltern gemeinsam etwas erarbeiten sollten. Aufgrund fehlender Informationen verliefen manche Gruppenarbeiten allerdings nicht so, wie sich das die Organisatorinnen und Organisatoren vorgestellt hatten. Dies erzeugte Frust und Spannungen im Schulteam.

Metaziele der Schul- und Unterrichtsentwicklung

Die mit heterogenen Schülerinnen und Schüler einhergehenden Herausforderungen sollen aktiv bearbeitet werden. Ein Ziel ist es, ein auf das jeweilige persönliche Leistungsniveau ausgerichtetes Lernangebot zu gestalten. Die Schülerinnen und Schüler sollen weder unter- noch überfordert werden.

Fallzusammenfassung

Im interviewten Mittelstufenteam werden umfassende Entwicklungstätigkeiten hinsichtlich der Weiterentwicklung des Unterrichtskonzepts beschrieben. Insbesondere das Lernen am gemeinsamen Gegenstand in altersdurchmischten Lerngruppen auf der Mittelstufe wird intensiv bearbeitet: Lernaufgaben und Lerninhalte werden neu organisiert und strukturiert, während an kooperativen Lehr- und Lernformen sowie am selbstständigen und eigenverantwortlichen Lernen mit Aufgabensammlungen Feinjustierungen vorgenommen werden. Auch die Formen der Lernunterstützung sowie der Leistungsbeurteilung, in der nicht nur fachliche, sondern auch überfachliche Kompetenzen erfasst werden sollen, werden bearbeitet. Die Entwicklungstätigkeiten zeigen deutlich auf, dass diese umfangreichen Arbeiten nur als Team geleistet werden können. Jedoch lassen sich im Kollegium und auch in einem Unterstufenteam Herausforderungen in der Zusammenarbeit feststellen.

7.1.2.6 Fallbeschreibung Schule G

Schule G führte das Unterrichtskonzept vor vielen Jahren ein und befindet sich im gesamten Erhebungszeitraum in einer Konsolidierungsphase. Wenige Anpassungen und Optimierungen werden vorgenommen.

Rahmenbedingungen der Schule

In die private Sekundarschule in ländlicher RegionFootnote 7 gehen ca. 70 Schülerinnen und Schüler, die von elf Lehrpersonen unterrichtet werden. Die Schülerinnen und Schüler kommen aus Familien mit unterschiedlichem sozioökonomischem Hintergrund. Die Schule ist einerseits auf Schülerinnen und Schüler spezialisiert, die zum Beispiel infolge von Mobbing ein geringes schulisches Selbstbewusstsein haben und die in ihrer bisherigen schulischen Laufbahn weniger erfolgreich gewesen sind (Schulverweigerung, Verhaltensauffälligkeiten etc.). Andererseits werden auch Hochbegabte an der Schule unterrichtet. Des Weiteren gibt es einige Lernende mit Lese- und Rechtschreibschwäche sowie Schülerinnen und Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf.

Beginn der Schul- und Unterrichtsentwicklung in Richtung personalisierten Lernens

Die Schulleitung übernahm viele Jahre vor dem ersten Erhebungsjahr die Schule, baute sie neu auf und führte bereits bei Beginn ein Unterrichtskonzept ein, das auf die personalisierte Gestaltung von Lehr- und Lernprozessen abzielt.

Aufbau und Struktur des Unterrichtskonzepts zum Zeitpunkt der ersten Datenerhebung

In Schule G gibt es zwei große Lerngruppen, die in je drei kleinere Lerngruppen unterteilt sind. Eine Klassenlehrperson ist für je eine kleinere Lerngruppe zuständig. Die Schülerinnen und Schüler werden in alters- und leistungsdurchmischten Gruppen unterrichtet. In offenen Unterrichtsphasen arbeiten sie u. a. selbstständig und eigenverantwortlich an ihren Aufgabensammlungen. Der geführte Unterricht findet in altersdurchmischten und niveaugetrennten Lerngruppen statt, in denen neue Lerninhalte eingeführt werden. Zusätzlich werden die Lernergebnisse wöchentlich in den kleineren Lerngruppen präsentiert und es finden Coaching-Gespräche statt.

Unter einer Aufgabensammlung wird an dieser Schule eine Sammlung fachübergreifender und thematisch passender Lernaufgaben verstanden, anhand deren die Lernenden Fachinhalte erarbeiten und vertiefen sowie überfachliche Kompetenzen erwerben. Die Aufgabensammlungen umfassen einen Einstieg ins Thema sowie unterschiedliche Aufgabentypen mit verschiedenen Lernaktivitäten und Lernzielen. Die Schülerinnen und Schüler beginnen in geführten Unterrichtsphasen mit den Aufgabensammlungen und bearbeiten sie in den offenen Unterrichtsphasen weiter. Die Aufgabensammlungen werden in einer schulinternen Datenbank gespeichert und sind für jede Lehrperson zugänglich.

Die Lehrpersonen beurteilen den Leistungsstand mit einem von den Schulleitenden und den Lehrpersonen selbst entwickelten Kompetenzraster. Dieses umfasst drei Kompetenzbereiche: fachliche Kompetenzen (Stoff und Inhalte), Lernkompetenzen (Tiefe der Inhaltsverarbeitung durch elaborierte Strategien, die dazu beitrage, das eigene Lernen zu verstehen und zu gestalten) und Selbstkompetenzen (personale und soziale Kompetenzen).

Entwicklungstätigkeiten im Erhebungszeitraum

Für die Schulleitung wie auch für die Lehrpersonen sind die Erarbeitung und die Weiterentwicklung von guten Aufgabensammlungen für das selbstständige und eigenverantwortliche Lernen bedeutsam. Schülerinnen und Schüler sollen sich mit den Inhalten über längere Zeit auseinandersetzen und diese tiefenverstehend durchdringen. Kern einer Aufgabensammlung ist ein fachliches Problem, das auf unterschiedlichen Lösungswegen bearbeitet werden kann. Zudem soll es möglich sein, dass Schülerinnen und Schüler mit unterschiedlichsten Leistungsniveaus daran arbeiten können. Entwicklungstätigkeiten zielen auf eine verbesserte Verarbeitungstiefe der Lerninhalte ab. Beispielsweise wird die Aufgabenanzahl mit Lückentexten reduziert, während vermehrt Probleme gestellt werden, bei denen kreative Lösungen gefordert sind. Auch der Lebensweltbezug wird verstärkt, indem zu den Lernaufgaben passende Bilder der letzten Schulausflüge hinzugefügt werden. Zusätzlich erarbeiten die Lehrpersonen in den Aufgabensammlungen der Mathematik mehr Lernaufgaben, bei denen die Lernenden im direkten Umfeld der Schule Beobachtungen oder Messungen durchführen sollen. Für die Weiterentwicklung der Aufgabensammlungen besuchen die Lehrpersonen Weiterbildungen und treffen sich alle drei Wochen, um die Aufgaben, unter Berücksichtigung der Rückmeldungen von den Schülerinnen und Schülern, zu evaluieren, zu kritisieren und zu überarbeiten. Weil Ressourcen fehlen, können sich die Lehrpersonen im dritten Erhebungsjahr jedoch seltener zusammensetzen.

Bei der Bearbeitung der Aufgabensammlungen sollen die Schülerinnen und Schüler nicht nur fachliche, sondern auch überfachliche Kompetenzen einüben, mit denen sie zum selbstständigen und eigenverantwortlichen Lernen befähigt werden. Das gezielte Erlernen und Üben von überfachlichen Kompetenzen wird im Erhebungszeitraum intensiviert, während der Umfang fachlicher Lerninhalte reduziert wird.

Die überfachlichen Kompetenzen sind gemäß den Lehrpersonen wichtig für den Erfolg kooperativer Lehr- und Lernformen. Die Schülerinnen und Schüler sollen dazu befähigt werden, Verantwortung für das eigene Lernen und das Lernen der Gruppe zu übernehmen sowie in Teams zusammenzuarbeiten. Kooperative Lehr- und Lernformen werden im Erhebungszeitraum sowohl in den offenen als auch in den geführten Unterrichtsphasen vermehrt eingeübt und eingesetzt, beispielsweise bei der Aufgabenkorrektur: In Deutsch lesen sich die Lernenden gegenseitig selbst geschriebene Texte vor und bewerten diese anhand vordefinierter Kriterien. Oder es wird in Kleingruppen ein Lernprodukt erarbeitet, welches der Lerngruppe präsentiert und von den Mitschülerinnen und Mitschülern bewertet wird. Des Weiteren können die Schülerinnen und Schüler selbst Lernaufgaben erstellen, welche von anderen Schülerinnen und Schülern unter deren Anleitung gelöst werden. Ergänzt werden die kooperativen Lehr- und Lernformen mit spielerischen Teamentwicklungsübungen. Am Ende des Erhebungszeitraums sind die Lehrpersonen mit der Umsetzung zufrieden. Die Lernenden beherrschen verschiedene kooperative Lehr- und Lernformen und arbeiten motiviert mit anderen Schülerinnen und Schülern zusammen.

Für Schulleitende und Lehrpersonen ist die pädagogische Beziehungsarbeit ein zentraler Faktor für erfolgreiches Lernen. Nach einer diesbezüglichen Befragung der Schülerinnen und Schüler werden an einem Weiterbildungstag in der Schule Entwicklungsziele definiert, um die Beziehung zu den Schülerinnen und Schülern zu intensivieren und diese hinsichtlich von Konflikten und Unterrichtsstörungen präventiv zu gestalten. Konkret fragen die Lehrpersonen vor allem bei denjenigen Schülerinnen und Schülern nach, die nur geringe oder keine Lernfortschritte erzielen. Oder es wird bereits in der Mittagspause das Gespräch mit den Lernenden gesucht, um allfällige Konflikte zwischen den Lernenden zu bearbeiten, damit in der nachfolgenden Unterrichtsstunde wieder ein lernförderliches Klima herrscht.

Neben den Entwicklungstätigkeiten hinsichtlich der didaktischen Gestaltung werden auch auf struktureller Ebene Veränderungen beschrieben. Im dritten Erhebungsjahr werden die zwei großen Lerngruppen zusammengeführt. Hierfür wurden Umbauarbeiten vorgenommen, damit zukünftig offene Unterrichtsphasen in einem Raum stattfinden können. Die Lehrpersonen beschreiben positive Veränderungen, zum Beispiel im Informationsaustausch zwischen den Lehrpersonen. Der informelle Austausch wird einfacher, weil nun alle Lehrpersonen ihren Schreibtisch in einem Raum haben. Des Weiteren können die Lehrpersonen die Schülerinnen und Schüler schneller finden, weil sie nicht mehr zwischen zwei Lerngruppen hin- und herwechseln müssen. Deshalb ist es ihnen besser und häufiger möglich, die Schülerinnen und Schüler in ihrem selbstständigen und eigenverantwortlichen Lernen zu begleiten und zu unterstützen, wenn dies erforderlich ist. Auch die Verantwortung für das Einarbeiten neuer Lehrpersonen wird besser verteilt, weil nun mehr Lehrpersonen im Raum der offenen Unterrichtsphasen anwesend sind und bei Unklarheiten gefragt werden können. Allerdings ist die Einarbeitung neuer Lehrpersonen – im Erhebungszeitraum sind es zwei – ein aufwendiger und langwieriger Prozess, der bis zu zwei Jahre dauern kann. Neben dem erhöhten Arbeitsaufwand wird auch der mit dem Weggang verbundene Verlust von Know-how bedauert, der durch die neuen Lehrpersonen meist nicht sofort kompensiert werden kann. Mit der Zusammenlegung der großen Lerngruppen müssen sich zwei Lehrpersonenteams auf ein einheitliches pädagogisches und didaktisches Grundverständnis einigen. In den vergangenen Jahren haben sich in den Teams teilweise unterschiedliche Haltungen entwickelt, die im differenten Unterrichtshandeln sichtbar werden. Die Lehrpersonen tauschen sich darüber offen aus und finden einen Konsens, bei dem auch die Aufgaben- und Verantwortungsbereiche neu verteilt werden. Ein wesentlicher Grundsatz für das Handeln besteht darin, dass eine Lehrperson trotz der Handlungsautonomie dem ganzen Kollegium gegenüber rechenschaftspflichtig in Bezug auf ihr Handeln ist. Konkret heißt das, dass Lehrpersonen sich gegenseitig darüber informieren, was im Unterricht in der Lernbegleitung von Schülerinnen und Schülern wann und warum getan wird. Den Lehrpersonen steht es zu, dies zu kommentieren und Stellung zu nehmen. Die Umstrukturierung wird schulintern evaluiert und in Zertifizierungsarbeiten zweier Lehrpersonen ausgewertet.

Ein letztes Entwicklungsthema beschreiben die Lehrpersonen hinsichtlich eines Gesprächsprotokolls für Elterngespräche. In diesem Protokoll werden sämtliche Elterngespräche zusammengefasst und schulische und private Informationen über die Lernenden gesammelt. Jede Person, die an der Schule arbeitet, hat Zugriff auf das Dokument und kann dort Themen festhalten. Damit erhoffen sich die Lehrpersonen, sich schneller und effektiver auf Elterngespräche vorbereiten und in den Gesprächen eine inhaltliche Stringenz wahren zu können. Das Protokoll wird von den Lehrpersonen unterschiedlich genutzt. Nach Besprechungen im Gesamtteam einigen sie sich auf einen einheitlichen Umgang damit.

Metaziele der Schul- und Unterrichtsentwicklung

Ein Ziel ist es, ein an die individuellen Lernvoraussetzungen und -bedürfnisse der Schülerinnen und Schüler angepasstes Lernangebot zu schaffen, in dessen Rahmen erfolgreiches Lernen und Lernerfolg im fachlichen und überfachlichen Kompetenzerwerb erlebt werden. Heterogenität wird als Chance und fruchtbare Ressource für die Unterrichtsgestaltung wahrgenommen, um für jede Schülerin und jeden Schüler und mit den Schülerinnen und Schülern zusammen bestmögliche Übergänge in die Berufswelt zu gestalten.

Fallzusammenfassung

In Schule G steht die Weiterentwicklung der Aufgabensammlungen im Fokus. Diese sollen die Schülerinnen und Schüler motivieren und kognitiv aktivieren, sodass sie sich mit Lerninhalten tiefgehend auseinanderzusetzen. Ebenso als wichtig erachtet wird der Bezug der Lernaufgabe zur Lebenswelt der Schülerinnen und Schüler. Sowohl in den offenen als auch in den geführten Unterrichtsphasen wird kooperatives Lernen gestärkt, wofür mit den Schülerinnen und Schülern gezielt hierfür nötige überfachliche Kompetenzen eingeübt werden. Eine weitere, umfangreiche Weiterentwicklung ist die Zusammenlegung der zwei großen Lerngruppen, die besonders bezüglich der Kooperation zwischen Lehrpersonen Veränderungen mit sich bringt, weil ein Konsens hinsichtlich pädagogischer und didaktischer Grundvorstellungen erarbeitet werden muss und Aufgaben- sowie Verantwortungsbereiche neu aufgeteilt werden.

7.1.2.7 Fallbeschreibung Schule H

In Schule H laufen im ersten Erhebungsjahr die letzten Vorbereitungen für die Einführung des neuen Unterrichtskonzepts. Im zweiten Erhebungsjahr stellen zwei Jahrgangsteams um, zu denen auch die interviewten Lehrpersonen gehören. Im dritten Erhebungsjahr folgt das dritte Jahrgangsteam.

Rahmenbedingungen der Schule

Die Schule ist eine öffentliche Sekundarschule in einer Agglomerationskerngemeinde (Nebenkern)Footnote 8 mit ca. 400 Lernenden und ca. 60 Lehrpersonen. Mehr als zwei Drittel der Schülerinnen und Schüler haben einen Migrationshintergrund. Es sind ungefähr 20 Nationen in der Schule vertreten. Im Jahrgang der interviewten Lehrpersonen weist fast ein Fünftel sonderpädagogischen Förderbedarf auf. An Schule H gibt es zudem Kleinklassen (14–16 Lernende), in denen die Lernenden mit Lernbehinderungen unterrichtet werden.

Beginn der Schul- und Unterrichtsentwicklung in Richtung personalisierten Lernens

In der politischen Gemeinde von Schule H befindet sich eine weitere Sekundarschule. Beide Schulen unterrichteten mit unterschiedlichen Konzepten. Ein neues Schulgesetz, das einige Jahre vor dem ersten Erhebungsjahr verabschiedet wurde, untersagte zwei Unterrichtskonzepte in einer politischen Gemeinde. Beide Schulen entschieden sich gemeinsam, ein neues Konzept zu entwickeln, in dem eigenverantwortliches und selbstständiges Lernen der Schülerinnen und Schüler zentral ist. Bis zum Erhebungszeitraum wurden in Schule H für dieses Unterrichtskonzept Schulräume umgebaut und ein neues Schulhaus wurde errichtet. Im zweiten Erhebungsjahr fand die Umstellung statt.

Im bisherigen Unterrichtskonzept waren bereits Formen von offenen Unterrichtsphasen implementiert gewesen. In einigen Mathematik-, Deutsch-, Geschichte-, Geografie- sowie Religion- und Kulturstunden konnten die Schülerinnen und Schüler selbstständig und eigenverantwortlich Lernaufgaben lösen. In der Summe waren es insgesamt vier bis fünf Stunden wöchentlich. Zuerst wurde dies in einem Jahrgang eingeführt und erprobt. Wenige Jahre vor dem ersten Erhebungsjahr begannen die anderen zwei Jahrgänge mit der Umsetzung des Konzepts. Aufgrund der wenigen Unterrichtsstunden war das selbstständige und eigenverantwortliche Lernen im Unterrichtstag jedoch zu wenig präsent und es war ihm gemäß der Einschätzung der Lehrpersonen und der Schulleitenden zu wenig Bedeutung beigemessen worden. Deswegen wurde im neuen Unterrichtskonzept die Stundenanzahl für diese Lernform erhöht.

Aufbau und Struktur des Unterrichtskonzepts zum Zeitpunkt der ersten Datenerhebung

In der Schule sind die Schülerinnen und Schüler in drei Jahrgangsgruppen mit je ca. 130 Lernenden organisiert. Im zweiten Erhebungsjahr wird im interviewten Jahrgangsteam das neue Unterrichtskonzept eingeführt. Ein Jahrgang teilt sich in zwei große Lerngruppen mit wiederum drei bis vier Lerngruppen. Ein Team von Lehrpersonen ist für eine große Lerngruppe verantwortlich.

In der Schule gibt es in Mathematik, Französisch, Deutsch, Geografie sowie Religion und Kultur aufeinander abgestimmte geführte und offene Unterrichtsphasen. Alle anderen Fächer sind kursorisch organisiert. Während die offenen Unterrichtsphasen in leistungsdurchmischten Lerngruppen stattfinden, sind die Lerngruppen in geführten Unterrichtsphasen leistungshomogen. In den Realienfächern sind die Lerngruppen immer leistungsdurchmischt. In den geführten Unterrichtsphasen werden beispielsweise mittels frontaler Inputs neue Lerninhalte eingeführt, welche die Schülerinnen und Schüler in offenen Unterrichtsphasen üben und vertiefen können. Letzteres findet in Großraumbüros statt, in denen jede Schülerin und jeder Schüler über einen eigenen Arbeitsplatz verfügt, wo selbstständig und eigenverantwortlich Aufgabensammlungen bearbeitet werden. Die Schülerinnen und Schüler planen ihre Lernzeit selbst, indem sie festlegen, welche Aufgaben sie wann bearbeiten. Neben dem Großraumbüro können die Schülerinnen und Schüler auch den Flur als Lernort nutzen, wenn sie zum Beispiel Partner- oder Gruppenarbeiten ausführen. Die Lehrpersonen korrigieren die Lernaufgaben und dokumentieren die Arbeitsschritte in einem Computerprogramm, in das die Schülerinnen und Schüler wie auch die Eltern Einsicht haben, aber nichts daran verändern können.

Darüber hinaus findet alle drei Wochen mit jeder Schülerin und jedem Schüler ein Coaching-Gespräch statt. Die Lehrpersonen verfügen hierfür über eine Unterrichtsstunde pro Woche. Vereinzelt finden die Gespräche auch während des Unterrichts statt, wenn die Lerngruppe ruhig arbeitet. Themen sind in erster Linie die persönlichen Lernprozesse: Zum Beispiel wird über Lebensgewohnheiten gesprochen, die das selbstständige und eigenverantwortliche Lernen fördern oder beeinträchtigen können, und über Möglichkeiten, die sich darauf beziehen, wie sich die Lernenden in ihren schulischen Leistungen verbessern könnten.

Entwicklungstätigkeiten im Erhebungszeitraum

Für die Einführung des neuen Unterrichtskonzepts erarbeiten sich die Lehrpersonen Stoffpläne und Aufgabensammlungen und entwickeln Formen der Lernunterstützung. Für die Erstellung der Stoffpläne für leistungsdurchmischte Lerngruppen werden in Fachgruppen die Lerninhalte der drei Leistungsniveaus und der drei Schuljahre in Pflicht- und Wahlpflichtbereiche unterteilt. Inhalte des Pflichtbereichs behandeln die Lehrpersonen häufig im geführten Unterricht. Der Wahlpflichtbereich umfasst Inhalte, die größtenteils für den offenen Unterricht geplant sind und aus denen die Schülerinnen und Schüler auswählen können. Im Durchschnitt umfasst der Pflichtbereich ca. 60 Prozent aller Lerninhalte. In Französisch ist der Anteil mit ca. 80 bis 90 Prozent am höchsten und in Geografie, Natur und Technik mit ca. 50 Prozent am tiefsten.

Nach der Überarbeitung der Stoffpläne arbeiten die Lehrpersonen Kriterien guter Aufgabensammlungen für die offenen Unterrichtsphasen aus. Den Lehrpersonen ist es wichtig, motivierende und für Schülerinnen und Schüler attraktive Lernaufgaben zusammenzustellen, die selbstständig bearbeitet werden können und mehrere Lösungswege zulassen. Besonders die leistungsschwächeren Schülerinnen und Schüler erhalten weniger textlastige Aufgaben. Daneben sollte aber auch der Aufwand für die Begleitung und die Korrektur der Aufgaben für die Lehrpersonen leistbar sein. Anschließend stellen die Lehrpersonen Lernaufgaben aus den Lehrmitteln sowie Eigenentwicklungen zu Aufgabensammlungen zusammen. Die Lernenden haben für die Bearbeitung einer Aufgabensammlung bis zu drei Wochen Zeit.

Bezüglich der Lernunterstützung in den offenen Unterrichtsphasen diskutieren die Lehrpersonen, wie sie die Lernprozesse so kontrollieren können, dass sich die Schülerinnen und Schüler tatsächlich mit den Lernaufgaben auseinandersetzen und sich nicht ablenken lassen. Im Vergleich zum vorherigen Unterrichtskonzept ist die Kontrolle in der Aufgabenbearbeitung nun besser möglich, weil die Lehrpersonen durch die häufigeren offenen Unterrichtsphasen eine bessere Übersicht über die einzelnen Arbeitsstände haben und so schneller diejenigen ausmachen können, die mit den Lernaufgaben nicht erwartungsgemäß vorankommen. Wenn die Schülerinnen und Schüler die Lernaufgaben zum vereinbarten Zeitpunkt nicht erledigt haben, erhalten sie einen negativen Eintrag, der sich auf das Zeugnis auswirkt. Dieses Strafsystem wird kritisiert, weil damit ein intrinsisch motiviertes und eigenverantwortliches Arbeiten weniger gefördert werde und die Schülerinnen und Schüler in ihrer Eigenverantwortung hinsichtlich ihrer Lernprozesse teilweise entmündigt würden. Durch die Strafen werde Handlungsdruck aufgebaut, der sie davon abhalten könne, eigene Entscheidungen zu treffen. Die Lehrpersonen diskutieren über ein geeignetes Maß, das je nach Schülerin und Schüler individuell angepasst werden sollte. Grundsätzlich stellen die Lehrpersonen fest, dass ein eher autoritärer Stil der Lernunterstützung in den offenen Unterrichtsphasen – indem sie direkt aus ihrer Perspektive den Lernenden sagen, was und wie gelernt werden soll – weit weniger erfolgreich ist als ein Stil, bei dem die Bedürfnisse und Voraussetzungen der einzelnen Schülerinnen und Schüler berücksichtigt und Lernprozesse in einem diskursiven Gespräch geplant und reflektiert werden. Damit haben die Lehrpersonen bereits häufig positive Erfahrungen gemacht. Beispielsweise benötigen leistungsschwächere Schülerinnen und Schüler vermehrt strukturgebende Hilfestellungen in der Lernorganisation, zum Beispiel in Bezug darauf, welche Lernaufgaben in welcher Reihenfolge wann bearbeitet werden sollen. Ungefähr zwei Drittel der Schülerinnen und Schüler können ihre Lernprozesse größtenteils selbst organisieren.

Eine weitere Veränderung in der Lernunterstützung ist, dass die Lehrpersonen in den offenen Unterrichtsphasen, verglichen mit dem alten Unterrichtsmodell, vermehrt fachfremde Lerninhalte erklären müssen. Diesbezüglich beschreiben sie, wie sie die Schülerinnen und Schüler mit gezielten Fragen zum Verständnisproblem häufiger selbst zum Denken anregen oder Strategien aufzeigen, wie das Problem bearbeitet werden könnte.

Ein für die Lernunterstützung wichtiges Instrument sind die Coaching-Gespräche. Mit der Einführung des neuen Unterrichtskonzepts einhergehend stellen die Lehrpersonen einige Veränderungen und Entwicklungspotenziale fest. Die Coaching-Gespräche sind wichtig und bedeutsam in der Lernunterstützung, jedoch liegen sie mit einem Abstand von ca. drei Wochen zeitlich weit auseinander und die Lehrpersonen haben zwischen zwei Coaching-Gesprächen kaum Zeit, mit den Schülerinnen und Schülern an persönlichen Zielen zu arbeiten. Jedoch stellen sie fest, dass die Lernenden die Lehrpersonen vermehrt außerhalb des Unterrichts selbstständig aufsuchen, um Fragen zu klären und Schwierigkeiten zu besprechen. Auf diese Weise entstehen zwischen zwei Coaching-Gesprächen immer wieder informelle und kürzere Gespräche. In einer systematischeren und häufigeren Einbindung der Coaching-Gespräche in den Unterrichtsalltag, beispielsweise um häufiger an den persönlichen Entwicklungszielen arbeiten zu können, sehen die Lehrpersonen Entwicklungspotenzial. Weiteren Entwicklungsbedarf beschreiben die Lehrpersonen in der Rechenschaftspflicht gegenüber den Eltern und im Umgang mit vertraulichen Informationen. Die Lehrpersonen müssen den Eltern die Inhalte des Coaching-Gesprächs berichten. Doch wie sollen die Lehrpersonen mit Inhalten umgehen, die ihnen die Schülerinnen und Schüler vertraulich erzählen? Die Lehrpersonen möchten ihr Konzept der Coaching-Gespräche nach dem dritten Erhebungsjahr überarbeiten.

Ein weiteres Mittel in der Lernunterstützung sind Planungsinstrumente, mit denen die Lernenden die Bearbeitung der Lernaufgaben und das Lernen auf Prüfungen planen. Bereits im vorhergehenden Unterrichtskonzept wurde dies eingeführt. Diesbezüglich stellen die Lehrpersonen fest, dass die Lernenden häufig mit den Lernaufgaben beginnen und diese anschließend in das Planungsinstrument eintragen. Auch die Vorbereitung auf Prüfungen wird häufig wenig weitsichtig geplant. Aufgrund der geringen Nutzung ändern einige Lehrpersonen die Funktion des Planungsinstruments: Die Lernenden sollen darin festhalten, welche Aufgaben sie in den jeweiligen Stunden gelöst haben.

Eine weitere Veränderung im Vergleich zum vorherigen Unterrichtskonzept liegt in der Quantität und der Qualität der pädagogischen Beziehung zwischen Lehrpersonen und Lernenden. Für zwei Lehrpersonen habe sich die Beziehung durch das neue Unterrichtskonzept verbessert. Sie hätten nun, vor allem durch die offenen Unterrichtsphasen, häufigere Kontakte zu sehr vielen Lernenden des Jahrgangs und sie stellen fest, dass die Lernenden grundsätzlich herzlicher zu ihnen seien. Ein Grund sehen die Lehrpersonen darin, dass sie alle Lernenden eines Jahrgangs öfter sehen und mit ihnen sprechen können, weil alle auf demselben Stockwerk unterrichtet werden. Im alten Unterrichtskonzept mussten die Lernenden dauernd zwischen drei Schulhäusern und verschiedenen Zimmern wechseln. Die anderen beiden Lehrpersonen relativieren die beschriebenen Verbesserungen jedoch. Vor der Umstellung waren sie als Klassenlehrperson für 20 Lernende zuständig. Sie unterrichteten zwar ab und zu in anderen Lerngruppen, die Bezugskinder waren aber stets diese 20. Im neuen Unterrichtskonzept sind sie in offenen Unterrichtsphasen für 60 Lernende zuständig, weil drei Klassen zu einer großen Lerngruppe zusammengelegt wurden. Die 20 Bezugskinder sind nun nicht mehr im Klassenverband organisiert, sondern auf einem Stockwerk verteilt. Für die Lehrpersonen ist es komplizierter und zeitaufwendiger, sie für persönliche Gespräche aufzusuchen. Weil die Lehrpersonen ihre 20 Bezugskinder weniger sehen und weniger Gespräche führen, sei die Beziehung auch weniger intensiv. Allerdings sind sich die Lehrpersonen darin einig, dass im neuen Unterrichtsmodell in der Beziehungsarbeit das Lernen der Schülerinnen und Schüler stärker berücksichtigt wird.

Des Weiteren vergleichen die Lehrpersonen das Lernverhalten von leistungsstärkeren und leistungsschwächeren Schülerinnen und Schülern im leistungsdurchmischten Lernsetting, das mit dem neuen Unterrichtskonzept eingeführt wurde. Einerseits organisieren Leistungsstärkere ihre Lernprozesse in den offenen Unterrichtsphasen besser und sind auch bereit, ohne direkten Lernauftrag zu lernen. Andererseits strengen sich die Leistungsschwächeren vermehrt an, eigenständig zu arbeiten, weil sie die leistungsstärkeren Lernenden als Vorbild sehen. Hier entsteht ein gesunder Wettbewerb, weil auch die leistungsstärkeren Schülerinnen und Schüler merken, dass einige aus den tieferen Leistungsniveaus große Lernfortschritte erzielen. Des Weiteren beobachten die Lehrpersonen, dass die leistungsschwächeren Lernenden mehr Fragen stellen als im vorhergehenden Unterrichtskonzept, weil sie sich – so vermuten die Lehrpersonen – durch die größeren Lerngruppen und die größere Anonymität mehr trauen.

Auch auf der Ebene der Raum-, Zeit- und Teamstrukturen finden Veränderungen statt. So wird von einem Umbau der Lernräume und einem Neubau sowie neuem Mobiliar berichtet. Die Raumstrukturen werden so gestaltet, dass es größere Lernräume für die offenen Unterrichtsphasen und kleinere Räume für die geführten Unterrichtsphasen sowie für kooperatives Lernen gibt. Die Lehrpersonen kritisieren die Räume für geführten Unterricht aber als zu klein und den Raum für den offenen Unterricht als zu groß. Zudem ist viel Metall verbaut worden. Für eine ruhigere Raumstimmung hätten sich die Lehrpersonen mehr Holz gewünscht. Aufgrund kostensparender Bauweise ist die Bauqualität suboptimal: Türen fallen von allein zu, Fenstergriffe fallen ab, Handgeländer gehen nach zwei Wochen kaputt etc. Angesichts der Kritikpunkte wünschen sich die Lehrpersonen wiederum einen Neubau.

Die Struktur des Stundenplans wird während der Lehrstellensuche an die individuellen Bedürfnisse angepasst. Benötigen Schülerinnen und Schüler für ihre zukünftige Lehrstelle spezifische fachliche Kompetenzen, so können sie vermehrt einen entsprechenden Unterricht besuchen. Der Umfang anderer Unterrichtsfächer, die weniger relevant sind für die Lehrstelle, wird hingegen reduziert. Schülerinnen und Schüler, die bis zu einem bestimmten Zeitpunkt keine Lehrstelle finden, werden ganz vom Unterricht befreit. Sie besuchen Workshops und erhalten individuelles Coaching.

Zuletzt verändern sich auch die Teamstrukturen im Kollegium durch die Zusammenlegung der zwei Leistungsniveaus und die Neuorganisation der Lerngruppen in Jahrgangsteams. Dies führt zu einer intensiveren Kooperation unter den Lehrpersonen. Sie müssen zum Beispiel einen Konsens bezüglich der pädagogischen und didaktischen Ausgestaltung der offenen Unterrichtsphasen finden. Dieser sei noch nicht im ganzen Team gefunden. So nutzen einige Lehrpersonen die offenen Unterrichtsphasen als eine Art Pause und um Lernaufgaben zu korrigieren. Die interviewten Lehrpersonen sehen sich eher als aktive Unterstützerinnen und Unterstützer schulischen Lernens, die bei Fragen und Schwierigkeiten helfen sowie bei disziplinarischen Problemen intervenieren. Zudem ist die Einarbeitung neuer Lehrpersonen herausfordernd, weil der zeitaufwendige Prozess der Konsensfindung teilweise von Neuem beginnt. Aber auch neue Formen der Unterrichtsvorbereitungen etablieren sich, zum Beispiel indem einige Lehrpersonen den Unterricht eines Fachs für den gesamten Jahrgang vorbereiten. Diese intensivere Kooperation sei im und vor dem ersten Erhebungsjahr von Befürchtungen und Ängsten begleitet gewesen. Gründe eruieren die Schulleitenden darin, dass wenig Wissen zu und wenig Erfahrung mit intensiven Kooperationsformen vorhanden gewesen seien.

Metaziele der Schul- und Unterrichtsentwicklung

Ein Ziel des neuen Unterrichtskonzepts besteht darin, den Lernenden einen Lernort anzubieten, wo sie sich wohl- und gut aufgehoben fühlen. Ein weiteres Ziel sind bestmögliche Anschlussmöglichkeiten an die Berufswelt. Des Weiteren möchten die Lehrpersonen alle Schülerinnen und Schüler zum selbstständigen und eigenverantwortlichen Lernen motivieren.

Fallzusammenfassung

In Schule H wird das neue Unterrichtskonzept im zweiten Erhebungsjahr eingeführt. Schul- und Unterrichtsstrukturen werden grundlegend verändert und reorganisiert. So richten die Lehrpersonen nicht nur große Lernräume für offene und kleinere Lernräume für geführte Unterrichtsphasen ein und erhöhen die Anzahl offener Unterrichtsstunden, sondern sie ordnen auch Lerninhalte in Stoffplänen und Lernaufgaben in Aufgabensammlungen an und schaffen Strukturen für eine systematische Lernunterstützung aller Schülerinnen und Schüler wie beispielsweise regelmäßig stattfindende Coaching-Gespräche. Darüber hinaus beschäftigen sich die Lehrpersonen intensiv mit der Frage, wie sie das Lernangebot, u. a. Lernaufgaben, Lernunterstützung sowie Lehr- und Lernformen, gestalten können, damit sich die Schülerinnen und Schüler motiviert und aktiv mit den Lerninhalten auseinandersetzen und diese tief durchdringen. Im Vergleich mit dem vorhergehenden Unterrichtskonzept fällt den Lehrpersonen u. a. auf, dass sie in der Lernunterstützung stärker die individuellen Lernprozesse berücksichtigen. In den Ausführungen wird deutlich, dass ein solcher Entwicklungsprozess im Team bewältigt wird. Lehrpersonen kooperieren intensiver miteinander, suchen beispielsweise gemeinsame Grundvorstellung didaktischen Handelns und bereiten gemeinsam und füreinander Unterricht vor. Darüber hinaus werden einige Potenziale hinsichtlich der Weiterentwicklung, Optimierung und Anpassung des Unterrichtskonzepts beschrieben, die in den Jahren nach dem Erhebungszeitraum bearbeitet werden sollen.

7.1.2.8 Fallbeschreibung Schule J

Schule J befindet sich in einer Konsolidierungsphase. Um den Schulstandort zu sichern, wird der Unterricht seit vielen Jahren proaktiv weiterentwickelt. Der Schulleitung und den Lehrpersonen ist es wichtig, nicht nur externe Entwicklungsprojekte zu übernehmen, sondern diese nutzbringend zu adaptieren und eigene Projekte zu lancieren.

Rahmenbedingungen der Schule

Die öffentliche Primarschule (Kindergarten-, Unter-, Mittelstufe) mit ca. 180 Lernenden und ca. 40 Lehrpersonen liegt in einer Agglomerationskerngemeinde (Kernstadt).Footnote 9 Die Schülerinnen und Schüler kommen sowohl aus Elternhäusern mit hohem als auch aus Familien mit niedrigem sozioökonomischem Status. Die Leistungsspanne reicht von leistungsstarken Schülerinnen und Schülern, die Begabtenförderung erhalten, bis hin zu Schülerinnen und Schülern mit sonderpädagogischem Förderbedarf. Letztere machen im ersten Erhebungsjahr ungefähr die Hälfte aller Lernenden aus. Ungefähr ein Drittel erhält DaZ-Förderung. Drei Jahre vor dem ersten Erhebungsjahr gab es ca. 80 Prozent mit Migrationshintergrund. Der Prozentsatz ist mittlerweile deutlich gesunken und wird bis Ende der Erhebung bei unter 50 Prozent liegen. Mit der veränderten Zusammensetzung der Schülerinnen und Schüler fallen zukünftig jedoch finanzielle Fördermittel weg. Zudem werden finanzielle Zulagen für Mehrjahrgangsklassen gestrichen.

Beginn der Schul- und Unterrichtsentwicklung in Richtung personalisierten Lernens

Viele Jahre vor der perLen-Erhebung versuchten einige Lehrpersonen, die mit der damaligen Schul- und Unterrichtssituation unzufrieden waren (Disziplinprobleme etc.), den Unterricht in altersdurchmischten Lerngruppen durchzuführen. Wenige Jahre später wurde dieses Unterrichtskonzept weiterentwickelt und in der ganzen Schule eingeführt.

Aufbau und Struktur des Unterrichtskonzepts zum Zeitpunkt der ersten Datenerhebung

Die Schule verfügt sowohl in der Unterstufe als auch in der Mittelstufe über je drei altersdurchmischte Lerngruppen. Gemäß den Schilderungen der Lehrpersonen finden aufeinander aufbauende geführte und offene Unterrichtsphasen statt. In geführten Unterrichtsphasen werden neue Lerninhalte eingeführt, die in offenen Unterrichtsphasen geübt und vertieft werden. Solche aufeinander aufbauenden Unterrichtsphasen werden in der Mittelstufe häufiger durchgeführt als in der Unterstufe. Es kommt auch vor, dass die Unterrichtsphasen gleichzeitig stattfinden, und zwar dann, wenn die Lerngruppen in Team-Teaching-Sequenzen aufgeteilt werden und je eine Lehrperson mit einer Lerngruppe eine Unterrichtsphase durchführt. Hierbei können entweder die Lernenden selbst wählen, ob sie in der geführten oder der offenen Unterrichtsphase lernen wollen, oder die Lehrpersonen lassen zwei Gruppen rotieren. Es werden vielfältige Lehr- und Lernformen eingesetzt: klassischer Frontalunterricht und verschiedene Formen von Einzel-, Partner- und Gruppenarbeiten.

Für das Lernen in offenen Unterrichtsphasen bereiten die Lehrpersonen Lernaufgaben und Lernmaterialien so auf, dass die Lernenden diese weitgehend selbstständig und eigenverantwortlich bearbeiten können. Die Lernaufgaben werden nach drei Leistungsniveaus sortiert. Alle Schülerinnen und Schüler beginnen mit dem tiefsten Niveau und können nach erfolgreichem Abschluss zum nächsthöheren Niveau voranschreiten.

In der Mittelstufe wird die Notengebung an die drei Leistungsniveaus gekoppelt: Im tiefsten Niveau schreiben die Lernenden eine Lernzielkontrolle, nachdem sie alle Aufgaben dieses Niveaus bearbeitet haben. Diese Kontrolle können sie so oft wiederholen, wie sie möchten. Bei bestandenem Test erhalten sie maximal eine genügende bis gute Note. Eine gute bis sehr gute Note bekommen die Lernenden erst beim bestandenen Test des zweithöchsten Leistungsniveaus. Dieser Test kann einmal wiederholt werden. In beiden Niveaus sammeln die Lernenden für bearbeitete Lernaufgaben Punkte, die ebenfalls in die Notengebung einfließen. Im höchsten Leistungsniveau gibt es weder Leistungstests noch Punkte für bearbeitete Lernaufgaben. Hier wird das Produkt, zum Beispiel eine Präsentation oder Lernplakate, benotet.

Während in der Regel größtenteils in den Lerngruppen unterrichtet wird, öffnen die Lehrpersonen an einem Halbtag pro Woche den Unterricht und legen die drei Lerngruppen einer Stufe zusammen. Dabei können alle Schülerinnen und Schüler der Mittelstufe und der Unterstufe je zwischen drei Räumen frei wählen: Ein Raum steht für Stillarbeit mit Flüsterkultur zur Verfügung, ein zweiter für Partner- und Gruppenarbeiten, und der dritte Raum ist das Spielzimmer. Zusätzlich gibt es für die Mittelstufe einen weiteren Raum, in dem sich Sechstklässlerinnen und Sechstklässler auf das Gymnasium vorbereiten und Sexualkunde gelehrt wird.

Entwicklungstätigkeiten im Erhebungszeitraum

Die Lehrpersonen des Mittelstufenteams überarbeiten im Erhebungszeitraum ihre Stoffpläne in Mathematik, Englisch, Französisch sowie Mensch und Umwelt. Ein Gestaltungsatelier wird neu implementiert und die Lehrpersonen erarbeiten einen Stoffplan. In den Stoffplänen sind alle Lerninhalte und Lernziele für alle drei Jahrgänge aufgeführt und in thematischen Zyklen angeordnet. Ein Thema wird mehrmals, jedoch in unterschiedlichen Vertiefungsgraden, innerhalb von drei Schuljahren behandelt. Den thematischen Zyklen haben die Lehrpersonen der Mittelstufe vor der perLen-Erhebung Lernaufgaben zugeordnet. Zusätzlich werden in einem Zyklus die Lernaufgaben zu den drei Leistungsniveaus gruppiert. Die Lernaufgaben selbst sowie deren Zuteilungen werden im Erhebungszeitraum überarbeitet. Zudem bereiten die Lehrpersonen im Fach Mensch und Umwelt ein neues kantonales Lehrmittel für den altersdurchmischten Unterricht mit verschiedenen Leistungsniveaus auf.

Die Lehrpersonen beschreiben ihre Lernunterstützung im Unterricht als situativ und orientiert an den Lernvoraussetzungen und -bedürfnissen der Schülerinnen und Schüler. Es gibt Lernende, die über längere Zeit hinweg sehr gut selbstständig und eigenverantwortlich lernen können und weniger Lernunterstützung benötigen als eher leistungsschwächere Lernende. Letztere erhalten häufiger und eine stärker strukturierende Lernunterstützung. Dieser Häufigkeitsunterschied zwischen den zwei Gruppen wird von den Lehrpersonen besprochen. Sie nehmen sich vor, das Verhältnis ausgeglichener zu gestalten.

Ein umfassendes Entwicklungsvorhaben ist die Weiterentwicklung des Unterrichts mit einem Raumkonzept, bei dem die drei Lerngruppen einer Stufe zusammengelegt werden und die Schülerinnen und Schüler zwischen drei Lernräumen mit unterschiedlichen Verhaltensregeln wählen können. Die Schulleitung möchte im Erhebungszeitraum mit den Lehrpersonen raumspezifische Formen kooperativen Lernens entwickeln und einführen. Jedoch erwähnen die interviewten Lehrpersonen dieses Entwicklungsvorhaben nicht. Dafür berichten sie über eine Ausweitung des Raumkonzepts. Zum einen werden Unter- und Mittelstufen jedes Schulhauses zusammengelegt. Damit geht eine stärkere Zusammenarbeit zwischen Lehrpersonen der Unter- und Mittelstufe einher. Es finden vermehrt Sitzungen statt, in denen vor allem die Organisation der Lernumgebung besprochen wird und weniger Themen zur Unterrichtsgestaltung wie etwa die Lernbegleitung oder Lernaufgaben. Zum anderen soll das Raumkonzept häufiger eingesetzt werden, was aber nicht umgesetzt wird, weil es nicht mit dem Stundenplan vereinbar ist und nicht genügend finanzielle Ressourcen vorhanden sind. Am Ende des Erhebungszeitraums möchten die interviewten Lehrpersonen die Stufen wieder trennen. Erstens ist das interviewte Lehrpersonenteam zum Schluss gekommen, dass die bisherige Entwicklung in eine Richtung verlaufe, die nur noch wenig mit den anfangs gesetzten Zielvorstellungen dieser Lernumgebung übereinstimme. Zweitens sei das Entwicklungstempo in der Mittelstufe deutlich höher als in der Unterstufe, weshalb das Mittelstufenteam in seiner Weiterentwicklung des Raumkonzepts gebremst werde. Drittens schließlich berichten die Lehrpersonen von Meinungsverschiedenheiten zwischen Lehrpersonen der Mittel- und Unterstufe, was die Umsetzung und die Weiterentwicklung zusätzlich erschwere. Zum Beispiel seien die neuen Lehrpersonen einer Unterstufenklasse wenig kompromissbereit, was zu Uneinigkeiten im Schulteam und längeren Diskussionen ohne zufriedenstellendes Ergebnis führe.

Die Lehrpersonen beschreiben, wie sie in der Strukturierung der Lernräume vor zwei Herausforderungen stehen. Alle Lernräume sind zu jeder Zeit besetzt, weshalb es den Lehrpersonen nicht möglich ist, ihre Lerngruppen räumlich zu trennen. Es sind meist alle Schülerinnen und Schüler in einem Raum, was für eine stille Lernatmosphäre herausfordernd ist. Diejenigen Schülerinnen und Schüler, die Ruhe benötigen, können zum Beispiel im Treppenhaus arbeiten. Die Raumsituation kann durch den Bau eines Pavillons etwas entlastet werden, weil die Lernräume nun nicht mehr so stark ausgelastet sind. Allerdings wird zukünftig eine vierte Lerngruppe auf der Mittelstufe eröffnet, sodass die Lernräume dann wieder voll belegt sind.

Mit der Zusammenarbeit sind die Lehrpersonen des interviewten Mittelstufenteams größtenteils zufrieden. Sie stellen fest, dass sie in der Konsensfindung und Beschlussfindung effizienter geworden seien, weil sie sich über Grundvorstellungen der pädagogischen und didaktischen Gestaltung geeinigt hätten. Wenn allerdings neue Lehrpersonen zum Team stoßen, muss dieser Konsens neu verhandelt werden. Das sei insofern herausfordernd, als die zeitaufwendigen Diskussionen über Grundvorstellungen immer wieder neu geführt werden müssten. Allerdings sehen die Lehrpersonen auch einen Gewinn, weil dadurch neues Professionswissen ins Team komme, das die Zusammenarbeit bereichere. Darüber hinaus haben sich die Lehrpersonen von strukturellen Zwängen in Sitzungen lösen können. So muss die Sitzungsleitung nicht mehr stetig auf Diskussionen der Traktanden beharren und wichtige Themen werden nun zu Ende diskutiert, auch wenn die Sitzungszeit bereits abgelaufen ist.

Metaziele der Schul- und Unterrichtsentwicklung

Ein Ziel ist die Verringerung disziplinarischer Probleme. Die Lehrpersonen wollen eine Schule, in der sich die Lernenden jeden Alters besser kennen und respektvoll miteinander umgehen. Ein weiteres Ziel ist es, guten Unterricht zu gestalten, sodass jede Schülerin und jeder Schüler Erfolg im Lernprozess hat sowie fachliche und überfachliche Kompetenz erwirbt.

Fallzusammenfassung

Die Lehrpersonen beschreiben Anpassungen und Optimierungen in den Stoffplänen, den Lernaufgaben und der Lernunterstützung. Es werden Feinjustierungen vorgenommen, um das Lernangebot an die Voraussetzungen der Schülerinnen und Schüler anzupassen. Umfangreichere Entwicklungstätigkeiten betreffen die Ausweitung des Raumkonzepts. Das Konzept des selbstständigen und eigenverantwortlichen Lernens in drei Räumen, zwischen denen die Schülerinnen und Schüler wählen können, wurde vom Mittelstufenteam erarbeitet und eingeführt. Nun werden die Lerngruppen der Unter- und Mittelstufe vermischt. Diese Entwicklung verläuft für die Mittelstufenlehrpersonen suboptimal, weil sie einerseits für die Kooperation zwischen den Lehrpersonen der Unter- und Mittelstufe herausfordernd ist und andererseits in ihrer Umsetzung nur bedingt mit den Vorstellungen der Mittelstufenlehrpersonen übereinstimmt.

7.1.2.9 Fallbeschreibung Schule K

Schule K befindet sich in einer Konsolidierungsphase: Das Unterrichtskonzept wurde einige Jahre vor der perLen-Erhebung eingeführt und im Erhebungszeitraum werden Optimierungen vorgenommen.

Rahmenbedingungen der Schule

Die Schule ist eine öffentliche Sekundarschule in ländlicher RegionFootnote 10 mit ca. 110 Lernenden und ca. 20 Lehrpersonen. Ungefähr fünf Lernende haben einen Migrationshintergrund und es gibt wenige Schülerinnen und Schüler aus Familien mit niedrigem sozioökonomischem Status. In jeder Lerngruppe gibt es mindestens eine Schülerin oder einen Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf.

Beginn der Schul- und Unterrichtsentwicklung in Richtung personalisierten Lernens

Am Anfang des Entwicklungsprozesses stand ein Sparzwang: In der Schule mussten durch Zusammenlegung kleinerer Lerngruppen Lehrpersonenstellen eingespart werden, um den Schulstandort zu sichern. In einem ersten Versuch hatten die Schulleitenden und Lehrpersonen leistungsdurchmischte Lerngruppen gebildet, sodass eine Lehrperson für ca. 36 Schülerinnen und Schüler verantwortlich war. Mit diesem Modell waren Schulleitende wie auch Lehrpersonen nicht zufrieden, weshalb sie kleinere alters- und leistungsdurchmischte Lerngruppen einführten. Auf diese Weise erhofften sich die Lehrpersonen und die Schulleitenden, individueller auf die Schülerinnen und Schüler eingehen zu können und deren Verantwortungsbewusstsein für ihre eigenen Lernprozesse zu stärken.

Aufbau und Struktur des Unterrichtskonzepts zum Zeitpunkt der ersten Datenerhebung

In der Schule gibt es sechs alters- und leistungsdurchmischte Lerngruppen. Zwei Lerngruppen können aufgrund eines Umbaus in einem großen Lernraum unterrichtet werden. Zwei weitere Lerngruppen werden durch eine Wand mit eingebauter Tür voneinander getrennt. Auch hier finden gemeinsame Unterrichtssequenzen statt. Die letzten zwei Lerngruppen werden separat voneinander unterrichtet, weil die Lernräume nicht miteinander verbunden sind. Zusätzlich gibt es in jeder Lerngruppe kleinere Sublerngruppen. Diese sind ebenfalls alters- und leistungsdurchmischt und die älteste Schülerin oder der älteste Schüler leitet eine solche Gruppe. Sie helfen und unterstützen einander gegenseitig in der Organisation des selbstständigen und eigenverantwortlichen Lernens, indem sie zu Beginn der Woche gemeinsam die zu lösenden Aufgabensammlungen planen und dies schriftlich festhalten. Aufgabensammlungen bestehen aus einer Zusammenstellung von thematisch ähnlichen Lernaufgaben, die die Schülerinnen und Schüler vor allem im offenen Unterricht bearbeiten. Sie haben Zugriff auf die Lösungen und korrigieren ihre Lernaufgaben selbst. Am Ende der Woche werden die Planung und deren Umsetzung in den Sublerngruppen ausgewertet.

In der Schule wird in den Fächern Mathematik, Deutsch, Mensch und Umwelt, Geografie sowie Geschichte in abwechselnden geführten und offenen Unterrichtsphasen unterrichtet. In geführten Unterrichtsphasen werden meist mit frontalen Inputs neue Lerninhalte eingeführt, die in den offenen Unterrichtsphasen geübt und vertieft werden, indem Schülerinnen und Schüler die Aufgabensammlung bearbeiten. Beide Phasen finden im selben Lernraum mit der gesamten Lerngruppe statt oder die Lerngruppen werden geteilt, sodass je eine Gruppe entweder in der geführten oder in der offenen Unterrichtsphase lernt. Zum Beispiel führt eine Lehrperson mit den jüngeren Schülerinnen und Schülern geometrische Formen ein, während die andere Lehrperson die selbstständige und eigenverantwortliche Arbeit mit den Aufgabensammlungen begleitet. In den anderen Fächern (Fremdsprachen, Religion und Kultur etc.) sind die Lerngruppen leistungshomogen zusammengesetzt. Zusätzlich finden individuelle Coaching-Gespräche mit allen Schülerinnen und Schülern statt. In diesen Einzelgesprächen werden die Lernprozesse und insbesondere die Arbeitsfortschritte während der offenen Unterrichtsphasen reflektiert.

Entwicklungstätigkeiten im Erhebungszeitraum

Die Schulleitung berichtet, dass eine Lehrperson in ihrer alters- und leistungsgemischten Lerngruppe vermehrt Lernen am gemeinsamen Gegenstand ermögliche. Hierfür ordne sie die Lerninhalte nach einem Spiralprinzip an, damit Lernthemen in bestimmten Zeitabständen immer wieder erneut bearbeitet werden. Damit ergibt sich die Möglichkeit, dass die gesamte Lerngruppe an einem gemeinsamen Lernthema arbeitet und dass ältere Schülerinnen und Schüler Lerninhalte der vergangenen Schuljahre wiederholen können. Jedoch erachten die Lehrpersonen diesen Entwicklungsschritt als sehr herausfordernd, weil der Lehrplan viele Lerninhalte verpflichtend vorgebe und somit ein oftmaliges Wiederholen von Lerninhalten nicht möglich sei. Zudem könne mit den Lehrmitteln für altersdurchmischte Lerngruppen, mit denen die Lehrpersonen vor allem in Mathematik arbeiten, Lernen am gemeinsamen Gegenstand in Lerngruppen, die nicht nur alters, sondern auch leistungsdurchmischt sind, kaum umgesetzt werden.

Entwicklungstätigkeiten, die das gesamte Schulteam betreffen, beziehen sich auf die Aufgabensammlungen und die Lernunterstützung in den offenen Unterrichtsphasen. Zum Thema „Aufgabensammlung“ besuchen die Lehrpersonen eine Weiterbildung und diskutieren den bisherigen Einsatz. In einigen Lerngruppen können die Schülerinnen und Schüler nur die Aufgabensammlungen eines Fachs bearbeiten, dessen zuständige Fachlehrperson im Raum anwesend ist. Das Kollegium einigte sich darauf, den Schülerinnen und Schülern die freie Wahl zu lassen, welches Fach sie bearbeiten möchten, unabhängig davon, ob die Fachlehrperson vor Ort ist oder nicht. Diese größere Wahlfreiheit wird den Lehrpersonen zufolge von den Lernenden grundsätzlich positiv wahrgenommen.

Hinsichtlich der Lernunterstützung möchten die Lehrpersonen leistungsschwächere Lernende in den offenen Unterrichtsphasen intensiver fördern und diese Schülerinnen und Schüler in ihrem Lernen unterstützen. Leistungsschwächere seien eher unselbstständig. Sie verstünden schriftliche Aufträge kaum und würden sich selten Unterstützung von den Lehrpersonen holen. Häufig säßen sie herum und warteten. Die Lehrpersonen achten darauf, dass diese Schülerinnen und Schüler stärker in die Tätigkeiten der Sublerngruppe einbezogen werden, und verringern den Leistungsdruck auf sie, indem sie weniger Lernaufgaben zur Bearbeitung aufgeben. Für eine umfassende Lernunterstützung mit mehr Personal fehlen an der Schule die Ressourcen. Zudem werden diese gekürzt, weil an der Schule im Erhebungszeitraum weniger Schülerinnen und Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf unterrichtet werden. Dies führt dazu, dass das IF-Konzept (integrative Förderung) insofern angepasst wird, als die verfügbaren Personalressourcen neu gleichmäßiger auf alle Lerngruppen verteilt werden. Die Lehrpersonen stellen fest, dass sich das selbstständige und eigenverantwortliche Lernen bei vielen Schülerinnen und Schülern im Erhebungszeitraum verbessert habe. Immer mehr von ihnen verstünden, dass sie für sich selbst lernen und nicht für die Lehrperson.

Neben diesen Entwicklungstätigkeiten wird das pädagogische Leitbild, aufbauend auf den mit dem Unterrichtskonzept gesammelten Erfahrungen, überarbeitet. Die Schulleitung berichtet, wie beispielsweise das Ermöglichen individueller Lernwege, die in einer Lerngemeinschaft eingebettet sind, und das Erfahren von Selbstwirksamkeit stärker betont würden.

Im Erhebungszeitraum verlassen zwei Klassenlehrpersonen die Schule. Dies beeinflusst nicht nur das Lernverhalten der Lerngruppen für eine gewisse Zeit negativ, weil feste Bezugspersonen fehlen, sondern es bringt auch einen Mehraufwand für die anderen Lehrpersonen mit sich, weil sie gerade zu Beginn der Anstellung der neuen Lehrpersonen deren Beziehungsarbeit übernehmen. Denn die Schülerinnen und Schüler sprechen bei Schwierigkeiten und Problemen eher diejenigen Lehrpersonen an, die seit einigen Jahren an der Schule tätig sind.

Metaziele der Schul- und Unterrichtsentwicklung

Im ersten Erhebungsjahr möchte die Schulleitung eine bewusstere und bessere Nutzung des neuen Unterrichtskonzepts erzielen. Ein weiteres Ziel besteht darin, den Schulstandort zu sichern, um nicht mit anderen Schulen fusionieren zu müssen. Die Lehrpersonen möchten eine höhere Akzeptanz des altersdurchmischten Lernens in der Bevölkerung erreichen, insbesondere bei den Eltern, aber auch bei den Schülerinnen und Schülern selbst.

Fallzusammenfassung

In Schule K werden gemeinsame Entwicklungstätigkeiten hinsichtlich der Feinjustierungen des Unterrichtskonzepts beschrieben. So wird der Einsatz der Aufgabensammlungen angepasst und vermehrt auf die Lernunterstützung leistungsschwächerer Schülerinnen und Schüler geachtet. Des Weiteren erläutert die Schulleitung, dass eine Lehrperson für ihre Lerngruppen den Stoffplan überarbeite – was von den interviewten Lehrpersonen aufgrund der strikten Vorgaben des Lehrplans nicht durchgeführt wird – und dass das Leitbild der Schule überarbeitet werde.

7.1.2.10 Fallbeschreibung Schule L

Das neue Unterrichtskonzept ist seit wenigen Jahren im interviewten Jahrgangsteam eingeführt. Im Zeitraum der perLen-Erhebung werden umfangreichere Optimierungen und Anpassungen vorgenommen.

Rahmenbedingungen der Schule

Schule L ist eine öffentliche Sekundarschule in einer AgglomerationsgürtelgemeindeFootnote 11 mit ca. 300 Schülerinnen und Schülern und ca. 40 Lehrpersonen. Im ersten Erhebungsjahr weist ca. ein Drittel der Lernenden einen Migrationshintergrund auf und ca. ein bis drei Lernende pro Lerngruppe haben einen sonderpädagogischen Förderbedarf.

Beginn der Schul- und Unterrichtsentwicklung in Richtung personalisierten Lernens

Der Unterricht wird in Schule L seit sehr vielen Jahren weiterentwickelt: Vor der Einführung des neuen Unterrichtskonzepts war bereits ein anderes Konzept implementiert worden. Allerdings konnten die Schulleitenden und Lehrpersonen dieses nicht wie gewünscht weiterentwickeln, weil es nicht möglich war, den heterogenen Lernvoraussetzungen und -bedingungen der Schülerinnen und Schüler in der Unterrichtsgestaltung gerecht zu werden und die Lernenden auf gesellschaftliche Veränderungen, zum Beispiel die Digitalisierung, vorzubereiten. Inspiriert von populärwissenschaftlicher Literatur und Studien über wirkungsvolle Lernprozesse sowie von Schulen mit innovativen Unterrichtskonzepten begannen die Schulleitenden daraufhin, den Entwicklungsprozess in Richtung des neuen Unterrichtskonzepts aufzugleisen.

Ein zweiter Auslöser war eine Gesetzesänderung, gemäß der nur noch ein einziges Unterrichtsmodell innerhalb einer politischen Gemeinde zulässig ist. Da Schule L neben einer anderen Sekundarschule die zweite Schule in derselben politischen Gemeinde ist und beide unterschiedliche Unterrichtskonzepte umsetzten, entschieden sich die Schulleitenden und die Lehrpersonen der beiden Schulen in einer gemeinsamen Tagung für ein gemeinsames Unterrichtskonzept.

Aufbau und Struktur des Unterrichtskonzepts zum Zeitpunkt der ersten Datenerhebung

Die Schule gliedert sich in drei Jahrgänge. Jeder Jahrgang umfasst zwei große Lerngruppen mit je drei kleineren Lerngruppen. Ein Team von Lehrpersonen ist für eine große Lerngruppe verantwortlich und eine Klassenlehrperson für eine Lerngruppe. Die Schülerinnen und Schüler haben neben geführtem Unterricht, in dem in leistungs- und altershomogenen Gruppen zum Beispiel mit frontalen Inputs neuer Lernstoff eingeführt wird, offene Unterrichtsphasen. In Letzteren vertiefen und üben die Schülerinnen und Schüler in leistungsdurchmischten Lerngruppen sowie selbstständig und eigenverantwortlich den Lernstoff. Sie lösen Aufgabensammlungen in Großraumbüros, in denen alle einen persönlichen Arbeitsplatz haben. Die Aufgabensammlungen sind eine Zusammenstellung thematisch passender Lernaufgaben und werden in geführten und offenen Unterrichtsstunden eingesetzt. Zudem enthalten sie Lernziele sowie unterstützende Hinweise in Bezug auf Verständnisprobleme und deren Bearbeitung. Wenn die Schülerinnen und Schüler in Partner- oder Gruppenarbeit Lernaufgaben bearbeiten, können sie dafür den Flur nutzen. Die gelösten Aufgaben korrigieren die Lehrpersonen. Die Verwaltung der zu bearbeitenden Aufgabensammlungen erfolgt über ein Computerprogramm, in das die Schülerinnen und Schüler wie auch die Eltern Einsicht haben. Anpassungen und Änderungen können jedoch nur die Lehrpersonen vornehmen. Daneben wird mit jeder Schülerin und jedem Schüler alle drei Wochen ein Coaching-Gespräch geführt. Dies sind Einzelgespräche über das Lernen und die Lernfortschritte. Die offenen und geführten Unterrichtsphasen finden in Mathematik, Deutsch, Mensch und Umwelt, Französisch sowie Englisch statt. Die anderen Fächer sind kursorisch organisiert.

Entwicklungstätigkeiten im Erhebungszeitraum

Im Erhebungszeitraum werden drei auf das didaktische Handeln bezogene Elemente des Unterrichtskonzepts entwickelt: Kompetenzraster und kompetenzorientierte Stoffpläne, Aufgabensammlungen sowie Förderung leistungsstarker Schülerinnen und Schüler.

Vor der perLen-Erhebung haben Schulleitende und Lehrpersonen je ein Kompetenzraster in Mathematik und Deutsch entwickelt. Die Raster werden für die förderorientierte Beurteilung von fachlichen und überfachlichen Kompetenzen eingesetzt. Die Verknüpfung der fachlichen Kompetenzen mit den Noten ist sehr herausfordernd für die Lehrpersonen. Aus diesem Grund und angesichts der aufwendigen Weiterentwicklung warten sie auf den Lehrplan 21 und beobachten die Aktivitäten der Schulen im Verband der mosaik-Sekundarschulen sowie im Projekt „Personalisiertes Lernen“ der Stiftung Mercator Schweiz. Mit dem Lehrplan 21 arbeiten die Fachschaften Natur und Technik sowie Mensch und Umwelt. Die Fachschaft Natur und Technik erarbeitet sich einen Dreijahresplan für fachliche Kompetenzen. Hierzu überträgt sie die Kompetenzen des Lehrplans 21 auf das Lehrmittel und legt fest, welche Kompetenzen in welchen der drei Jahrgänge sich die Schülerinnen und Schüler aneignen sollen. Die Fachschaft Mensch und Umwelt sichtet die fachlichen Kompetenzbereiche des Lehrplans 21 und beginnt diese auf den Unterricht zu übertragen. Diese Arbeiten werden wegen der Überarbeitung des Lehrplans 21 vorläufig nicht fortgesetzt.

Aufgabensammlungen sind ein wichtiges Instrument im Unterrichtskonzept von Schule L. Die Lehrpersonen arbeiten im Erhebungszeitraum an einer größeren Vielfalt von Lernaufgaben und zudem an motivierenden und kognitiv aktivierenden Lernaufgaben. Zudem sollen die Schülerinnen und Schüler vermehrt die Möglichkeit erhalten, zwischen den Lernaufgaben behandelten Lerninhalten auszuwählen. Zum Beispiel umfassen Aufgabensammlungen im Fach Mensch und Umwelt im ersten Erhebungsjahr viele Lehrpersonen-Inputs, die im dritten Erhebungsjahr vermehrt von Schülerinnen und Schülern übernommen werden, wobei diese ihr Input-Thema selbst wählen. Zudem tauschen sich die Lehrpersonen zu ihren Erwartungen und ihren Vorstellungen der Verarbeitungstiefe, Genauigkeit und Gründlichkeit von Aufgabensammlungen ab. Durch den Austausch fordern sie dies bei den Schülerinnen und Schülern selbstbewusster ein. In diesem Zusammenhang beobachten die Lehrpersonen, dass sich die Lernenden in ihrem dritten Schuljahr vermehrt und intensiver mit den Lernaufgaben und den Lerninhalten auseinandersetzen.

Ein weiteres Entwicklungsziel ist die Förderung leistungsstarker Schülerinnen und Schüler. Die Lehrpersonen möchten vor allem diejenigen Lernenden stärker unterstützen, die später das Gymnasium besuchen möchten. Allerdings kann eine häufigere Lernunterstützung nicht umgesetzt werden, weil die Lehrpersonen viel Unterrichtszeit in disziplinarische Maßnahmen und ein förderliches Lernklima investieren müssen. Darüber hinaus äußert eine Lehrperson, dass die leistungsstärkeren Schülerinnen und Schüler beim selbstständigen Arbeiten an Aufgabensammlungen eigenverantwortlich mehr leisten und zusätzliche Lernaufgaben in Vorbereitung auf das Gymnasium lösen könnten. Diese Möglichkeit werde jedoch oft nicht genutzt, u. a. weil die Lehrpersonen fehlende lernförderliche Gruppendynamiken unter den leistungsstärkeren Schülerinnen und Schülern feststellen.

In Mathematik wird das Konzept aufgrund eines schlechten Abschneidens an einem standardisierten Leistungstest überarbeitet und stärker auf ein individualisiertes Lernangebot ausgerichtet. Zu Beginn werden die Lehrpersonen in einer internen Evaluation gefragt, was aus ihrer Sicht Grenzen und Möglichkeiten individualisierten Unterrichts sind. Neu werden die Anzahl geführter Unterrichtsstunden auf zwei erhöht und die Anzahl offener Unterrichtsstunden auf zwei reduziert. Mit der Reduktion offener Unterrichtsstunden reagieren die Lehrpersonen darauf, dass viele Lernende vermehrt Schwierigkeiten bekundeten, die Lernaufgaben selbst einzuteilen und zu lösen. Zudem werden nicht nur die offenen, sondern auch die geführten Unterrichtsstunden in leistungsdurchmischten Lerngruppen unterrichtet. Welche Veränderungen auf inhaltlicher Ebene mit dem Konzept einhergehen, zum Beispiel wie stärker individualisiert werden soll, können die Lehrpersonen im Interview nicht erläutern. Sie verweisen auf die Schulleitenden, die das Konzept ausgearbeitet haben. Mit dem neuen Konzept beginnen die Lehrpersonen nach dem dritten Erhebungsjahr.

Auch die Kooperationsstrukturen im Kollegium werden weiterentwickelt: Im Erhebungszeitraum werden Fachschaften eingeführt. Fachschaften wurden im Kollegium schon seit einigen Jahren diskutiert. Es gab bereits teils informelle, jahrgangsübergreifende Fachschaften. Hier trafen sich die jeweiligen Fächerverantwortlichen der Jahrgänge und stellten sich gegenseitig ihre Unterrichtsvorbereitungen vor. Im Erhebungszeitraum informieren sich einige Lehrpersonen in anderen Schulen über Erfahrungen mit Fachschaften. Mit Rekurs auf die meist positiven Erkenntnisse üben sie Druck aus und machen sich für die Einführung stark. Für ein Schuljahr werden Fachschaften gegründet. Drei bis vier Fachlehrpersonen erarbeiten sich an den Weiterbildungstagen einen Überblick über die drei Sekundarschuljahre eines Fachs und schätzen ab, an welchen Stellen verschiedene Lehr- und Lernformen sinnvoll eingesetzt werden können. Des Weiteren werden in der Fachschaft die nächsten Entwicklungsschritte zum Unterrichtskonzept für jedes Fach eruiert, geplant und konzipiert. Nach der einjährigen Phase resümieren die Lehrpersonen, dass sie den jahrgangsübergreifenden Austausch bereichernd fänden und gute Entwicklungsideen für das Unterrichtskonzept entstanden seien. Zukünftig sollen Möglichkeiten gefunden werden, wie sie dauerhaft und ohne die Weiterbildungstage in Fachschaften zusammenarbeiten können.

Außerhalb der fachschaftlichen Kooperationsstrukturen wird auch in den Jahrgangsteams eine intensive Zusammenarbeit gepflegt. So bereiten die Lehrpersonen Unterricht füreinander vor. Die fertigen Unterrichtsplanungen werden für die eigenen geführten Unterrichtsphasen eingesetzt und geben viele Gestaltungsaspekte bereits vor. Deshalb diskutieren die Lehrpersonen, wie sie trotz der Übernahme fremder Unterrichtsplanungen vermehrt ihre eigenen Unterrichtsstile bewahren können. Erschwerend kommt hinzu, dass es manchmal schwierig sei, die innere Denkstruktur der fremden Unterrichtsvorbereitungen nachzuvollziehen. Des Weiteren kommt es häufig vor, dass die Unterrichtsplanung nicht so umgesetzt wird, wie sie es vorgibt. In solchen Fällen fragen sich die Lehrpersonen, warum sie diese Arbeit vollbringen, wenn ihre Planungen dann doch anders eingesetzt würden. Diese Themen führen zu Meinungsverschiedenheiten im Team und die Gesprächskultur verschlechtert sich: Zum einen schweifen die Lehrpersonen in Diskussionen häufiger vom Thema ab und zum anderen lassen sie einander nicht ausreden. Im zweiten Erhebungsjahr entspannt sich die Situation, weil die Lehrpersonen auf der Grundlage der mit dem neuen Unterrichtskonzept gesammelten Erfahrungen besser abschätzen können, wie viel Individualität die Umsetzung der Unterrichtsplanung verträgt. Die Lehrpersonen wertschätzen nun vermehrt die Arbeit der Kolleginnen und Kollegen. Zur Verbesserung der Gesprächskultur übernimmt in jeder Sitzung eine Lehrperson die Beobachtungsposition und hat anschließend den Gesprächsverlauf und das gegenseitige Aussprechenlassen zu reflektieren. Diese Idee stammt aus einer im Team durchgeführten Supervision. Meinungsverschiedenheiten und Konflikte werden jedoch nicht nur in Jahrgangsteams beschrieben, sondern auch zwischen den drei Jahrgangsteams der gesamten Schule L. Die Lehrpersonen stellen fest, dass die Jahrgangsteams unterschiedlich engagiert und leistungsbereit seien. Dies zeige sich darin, dass die anderen Jahrgangsteams die Unterrichtsvorbereitungen vom interviewten Jahrgangsteam übernähmen, ohne diese weiterzuentwickeln. Zudem würden sie relativ wenige eigene Materialien auf die schulinterne Datenbank hochladen und teilweise komme es vor, dass Daten gelöscht würden und nicht mehr auffindbar seien. Dies führt zu Unmut im interviewten Lehrpersonenteam.

Metaziele der Schul- und Unterrichtsentwicklung

Ein Ziel von Schule L ist es, den gesetzlich vorgeschriebenen Bildungsauftrag zu erfüllen. Des Weiteren sollen die Lernenden positive Lernerlebnisse haben, für ein lebenslanges Lernen motiviert werden und fachliche sowie überfachliche Kompetenzen erwerben. Die Schülerinnen und Schüler sollen Verantwortung für die eigenen Lernprozesse und ihr eigenes soziales Handeln in der Schulgemeinschaft übernehmen sowie einen möglichst nahtlosen Übergang in weiterführende Schulen vollziehen.

Fallzusammenfassung

In Schule L wird der Unterricht bereits seit sehr vielen Jahren weiterentwickelt, damit für die heterogenen Lerngruppen ein angepasstes Lernangebot gestaltet werden kann. Mit der Einführung des neuen Unterrichtskonzepts werden die personalen Lernvoraussetzungen und -bedingungen noch stärker ins Zentrum der Entwicklungstätigkeiten gestellt. Im Erhebungszeitraum ist das Konzept bereits eingeführt und es werden kompetenzorientierte Stoffpläne in Anlehnung an den Lehrplan 21 erarbeitet, die Attraktivität von Lernaufgaben wird erhöht und es wird über eine bessere Lernunterstützung leistungsstärkerer Schülerinnen und Schüler diskutiert. Des Weiteren wird das Konzept des Mathematikunterrichts hinsichtlich einer stärkeren Individualisierung überarbeitet.

In Schule L werden intensive Formen der Zusammenarbeit nicht nur hinsichtlich der Weiterentwicklung des Unterrichtskonzepts beschrieben, sondern auch hinsichtlich der alltäglichen Unterrichtsarbeit wie etwa der Unterrichtsplanung. Die Lehrpersonen bereiten den Unterricht füreinander vor. Aufgrund enttäuschter Erwartungen bezüglich der Verwendung der Planungen entstehen im interviewten Jahrgangsteam, aber auch zwischen den Jahrgangsteams konflikthafte Situationen, die aktiv bearbeitet werden.

7.1.2.11 Fallbeschreibung Schule M

In Schule M wurde das Unterrichtskonzept vor vielen Jahren eingeführt. Außer in der Oberstufe befindet sich die Schule im Erhebungszeitraum in einer Konsolidierungsphase, in der Anpassungen und Optimierungen vorgenommen werden. Die Oberstufe wird neu eröffnet.

Rahmenbedingungen der Schule

Schule M ist eine private Gesamtschule (Kindergarten-, Unter-, Mittel- und Oberstufe) mit insgesamt ca. 100 Lernenden und ca. 15 Lehrpersonen. Sie befindet sich in einer Agglomerationskerngemeinde (Kernstadt).Footnote 12 Die meisten Schülerinnen und Schüler kommen aus Familien mit hohem sozioökonomischem Status und wohnen in einer größeren Stadt. Im ersten Erhebungsjahr gibt es ca. zehn Lernende mit sonderpädagogischem Förderbedarf.

Beginn der Schul- und Unterrichtsentwicklung in Richtung personalisierten Lernens

Die Schulleitung gründete gemeinsam mit einer zweiten Person sehr viele Jahre vor dem ersten Erhebungsjahr die Schule. Drei Auslöser werden genannt: Erstens waren sie in der damaligen Zeit mit den starren, eng strukturierten Schul- und Unterrichtsbedingungen unzufrieden. Es gab nur Stellen mit 100-Prozent-Pensen, kein Team-Teaching, einen festen Stundenplan und keine klassenübergreifenden Unterrichtsprojekte. Zweitens wollten sie Schule und Unterricht neu denken und etwas Neues ausprobieren. Zum Beispiel war es ihnen ein Anliegen, eine Schule mit einem lernförderlichen Umfeld aufzubauen, das sich auf sensible und schüchterne Schülerinnen und Schüler spezialisiert. Drittens war es für die Schulleitung motivierend, eine Schule wie ein kleines Unternehmen zu führen, für das zum Beispiel Werbung betrieben oder berufliche Vorsorge organisiert werden muss.

Aufbau und Struktur des Unterrichtskonzepts zum Zeitpunkt der ersten Datenerhebung

Wichtige Aspekte des Unterrichtskonzepts sind Lernen am gemeinsamen Gegenstand sowie individualisiertes Lernen. Lernen am gemeinsamen Gegenstand findet beispielsweise in Mathematik bei der Bearbeitung komplexer Problemlöseaufgaben statt: Die Kinder einer Lerngruppe arbeiten an derselben Problemstellung, die gemeinsam und meist in alters- und niveaudurchmischten Gruppen gelöst wird. Die Aufgaben lassen verschiedene Lösungswege zu. Auf eine solche Aufgabe oder auch nach frontalen Inputs einer Lehrperson zu neuen Lerninhalten (geführte Unterrichtsphase) folgt eine individualisierende Phase der Übung und Anwendung des Gelernten (offene Unterrichtsphase), in der die Schülerinnen und Schüler ihrem Leistungsniveau entsprechende Lernaufgaben und Lernziele erhalten. Sie können hierbei die Lehr- und Lernformen (Einzel-, Partner- oder Gruppenarbeit) frei wählen und korrigieren anschließend ihre Lösungen selbst.

Neben der Lernunterstützung im Unterricht werden Coaching-Gespräche geführt. Dies sind Einzelgespräche, in denen die Lernprozesse reflektiert und Herausforderungen besprochen werden. Diese Coaching-Gespräche finden entweder als „Tür-und-Angel-Gespräche“ oder zu definierten Zeitpunkten statt.

Entwicklungstätigkeiten im Erhebungszeitraum

In Schule M wird die Oberstufe neu eingeführt. Damit gehen umfassende Entwicklungstätigkeiten einher. Erstens erarbeiten sich die Lehrpersonen einen Dreijahresplan für die Fächer Mensch und Umwelt, Physik, Biologie, Geschichte, Suchtprävention und Gesundheit. In den Plänen wird festgelegt, wann welche Themen innerhalb der drei Jahre behandelt werden. Im zweiten Erhebungsjahr sind die Dreijahrespläne fertiggestellt. Zweitens suchen und erarbeiten die Lehrpersonen Lernaufgaben, die die Schülerinnen und Schüler bestmöglich auf den weiterführenden Bildungsweg vorbereiten.

Drittens ist individuelles Lernen ein Entwicklungsthema. Die Lehrpersonen möchten die individuellen Lernstände und -prozesse besonders gewichten. Herausfordernd ist hierbei, den Überblick über die Vielfalt zu behalten. So ziehen sie im zweiten Erhebungsjahr das Fazit, dass eine starke Individualisierung, bei der jede Schülerin und jeder Schüler individuelle Lerninhalte bearbeitet, für sie nicht umsetzbar sei, weil u. a. der Verwaltungs- und Organisationsaufwand viel zu hoch sei und deswegen auch die Zeit fehle, um die Lernenden bestmöglich im Lernprozess zu unterstützen. Deswegen orientieren sich die Lehrpersonen stärker am Lernen am gemeinsamen Gegenstand mit individuellen Phasen der Übung und Anwendung der Lerninhalte. Ebenso bestehen bleibt die individuelle Gestaltung der Lernprozesse in der Vorbereitung für weiterführende Bildungswege. Hier werden je nach Bildungsweg Lerninhalte und Lernziele individuell bestimmt.

Viertens möchten die Lehrpersonen, dass die Schülerinnen und Schüler vermehrt miteinander und voneinander lernen. Im Entwicklungszeitraum habe sich das kooperative Lernverhalten zwar gebessert, es sei aber noch nicht auf dem von den Lehrpersonen angestrebten Niveau. Fünftens fördern die Lehrpersonen das selbstständige und eigenverantwortliche Lernen. Es zeigt sich, dass einige Schülerinnen und Schüler mit steigendem Leistungsdruck und erhöhten Anforderungen der weiterführenden Schulen selbstständiger und eigenverantwortlicher lernen. Allerdings hätten insbesondere Leistungsschwächere Schwierigkeiten damit. Die Lehrpersonen leisten hier strukturierende Lernunterstützung, indem sie zum Beispiel vorgeben, wann welche Lernaufgaben bearbeitet werden sollen, und dies auch kontrollieren.

Darüber hinaus werden stufenübergreifende Projektarbeiten durchgeführt, um u. a. das Lernen am gemeinsamen Gegenstand in der gesamten Schule zu stärken. Es finden beispielsweise stufenübergreifende Projekte in Unter- und Oberstufe oder in Mittel- und Oberstufe statt. Zu einem bestimmten Thema bereiten die Lernenden der Oberstufe Inputs und Lernaufgaben vor und setzen diese in den unteren Stufen ein. Des Weiteren wird stufenübergreifend Reciprocal Teaching eingesetzt.

Weitere Entwicklungstätigkeiten der Lehrpersonen der anderen Stufen beziehen sich auf die Erarbeitung und die Einführung eines Kompetenzrasters. Damit sollen die Lernleistungen jeder einzelnen Schülerin und jedes einzelnen Schülers differenziert eingeschätzt werden, um ihnen und den Eltern die Leistungsentwicklung und die Leistungsbewertung transparent darzulegen. Das Raster umfasst Lerninhalte, Lernstrategien und Selbstevaluationsteile. Bereits vor dem Erhebungsjahr hatten die Lehrpersonen und die Schulleitung mit einer anderen Schule ähnlicher Größe zusammen damit begonnen, ein Kompetenzraster zu entwickeln, und führten diese Entwicklung im Erhebungszeitraum nun fort. In einem ersten Schritt erarbeiteten zuerst die Lehrpersonen aus beiden Schulen stufenweise Kompetenzen für alle Fächer. Anschließend wurde der Entwurf von Lehrpersonen der jeweils anderen Stufen eingesehen, die Passung zwischen den Stufen überprüft und Feedback gegeben. An diesen Schritten waren Regel und Fachlehrpersonen beteiligt. Des Weiteren sahen sich Eltern das Kompetenzraster an und gaben Rückmeldungen. Es ist am Ende des Erhebungszeitraums für alle Stufen, außer für die Oberstufe, fertiggestellt und soll im folgenden Schuljahr eingeführt werden. Er wird bei Standort- und Coaching-Gesprächen sowie in den Wochen-, Quartals- oder Jahresplänen der Lernenden eingesetzt. Die Lehrpersonen der Oberstufe nehmen die Arbeit an ihrem Kompetenzraster nach dem Erhebungszeitraum auf.

Des Weiteren werden Lernaufgaben stetig weiterentwickelt. Hierfür sind Lehrpersonen und die Schulleitung in einem selbst initiierten Schulnetzwerk tätig. Ungefähr 13 Schulen treffen sich zweimal jährlich für einen halben Tag und bearbeiten Lernaufgaben eines Fachs. Die Fachdidaktikerinnen und Fachdidaktiker sammeln und erarbeiten stufenspezifische und stufenübergreifende Lernaufgaben und ordnen sie bestimmten Themenbereichen zu, zum Beispiel

Denk-/Problemlöseaufgaben oder Präsentations-/Ausdrucksaufgaben. In Zukunft sollen im Netzwerk auch Eltern mitwirken. Neben den Lernaufgaben aus den Lehrmitteln nutzen die Lehrpersonen Problemlöseaufgaben u. a. aus Publikationen von Martin Wagenschein, Kurt Reusser und Gerhard Steiner. Anhand dieser Aufgaben lösen die Schülerinnen und Schüler meist gemeinsam und über mehrere Stunden komplexe Probleme. Beispielsweise sollen in den Aufgaben Gesetzmäßigkeiten erkannt und erläutert sowie Arbeitsschritte begründet und Ergebnisse vor der Lerngruppe präsentiert werden. Die Lernaufgaben werden mit den Kompetenzrastern verknüpft. Ziel ist es, bei den Schülerinnen und Schülern tiefgehende Verstehensprozesse auszulösen. Die Mittelstufenlehrpersonen berichten, dass sie stetig auf der Suche nach solchen Lernaufgaben seien.

Nach der Eröffnung der neuen Oberstufe zu Beginn des Erhebungszeitraums wurden bei gleichbleibenden Raumkapazitäten zunächst mehr Schülerinnen und Schüler unterrichtet, weshalb für jedes Stufenteam weniger Lernräume verfügbar waren. Dank des im dritten Erhebungsjahr fertiggestellten Schulaus- und -umbaus verfügt nun aber jede Stufe über genügend Lernräume. Bis zum zweiten Erhebungsjahr fehlte ein Raum, in dem die Lehrpersonen allein und ungestört mit den Schülerinnen und Schülern Coaching-Gespräche führen konnten. Sie fanden meist situativ im selben Lernraum statt, in dem auch die anderen Schülerinnen und Schüler lernten. Nach der baulichen Erweiterung gibt es einen separaten Raum für Coaching-Gespräche, die nun regelmäßig stattfinden können. Zudem nehmen die Lehrpersonen einige Coaching-Gespräche auf Video auf, um die Gespräche im Schulteam zu analysieren und zu reflektieren. Eine Lehrperson zeigt den Eltern in Elterngesprächen Ausschnitte aus den Coaching-Gesprächen.

Mit der neuen Oberstufe vergrößert sich das Schulteam und die Schulleitung und die Lehrpersonen berichten, wie sie ihre Sitzungsstrukturen anpassen würden. Die Lehrpersonen der Oberstufe vernetzen sich intensiver mit den Lehrpersonen der Mittel- und Unterstufe. Dies geschieht u. a. in stufenübergreifenden Projekten. Die häufig informelle Zusammenarbeit wird von einer Lehrperson kritisiert, weil die Entwicklungstätigkeiten deswegen wenig aufeinander abgestimmt würden. Hier wünschen sich die Lehrpersonen häufigere Sitzungen im Schulteam, in denen gemeinsam Absprachen vorgenommen und Vereinbarungen getroffen werden. Zudem werde in Sitzungen des gesamten Schulteams zu wenig auf stufenspezifische und fachliche Inhalte und Bedürfnisse eingegangen. Hier wünschen sich die Lehrpersonen mehr Zeit, um sich in den jeweiligen Stufen austauschen zu können.

Metaziele der Schul- und Unterrichtsentwicklung

Ein Ziel ist es, möglichst große Lernfortschritte zu erreichen, und zwar bei einer möglichst kleinen Differenz zwischen den einzelnen Leistungsniveaus. Des Weiteren sind für die Schulleitung zwei wichtige pädagogische Leitideen bedeutsam: erstens eine Schule des Denkens und zweitens eine Schule des Sichausdrückens. Die Vorstellung einer „Schule des Denkens“ beinhalten zum Beispiel, dass Lerninhalte tief durchdrungen und verstanden werden, worauf etwa die Problemlöseaufgaben abzielen. Das Sichausdrücken wiederum zeigt sich beispielsweise in der musikalischen Darbietung von Liedern oder Präsentationen mathematischer Ergebnisse vor der Lerngruppe.

Fallzusammenfassung

Die Lehrpersonen und die Schulleitung von Schule L entwickeln und gestalten einen Unterricht, in dem Phasen des individuellen Lernens und des Lernens am gemeinsamen Gegenstand ineinandergreifen. Die Schülerinnen und Schüler lernen kooperativ an gemeinsamen Themen und Problemstellungen und können Lerninhalte gleichzeitig in Übungs- und Anwendungsphasen individuell vertiefen. Diesbezüglich Balance zu finden, erweist sich jedoch als herausfordernd. Dies zeigt sich an der neu eingeführten Oberstufe, deren Lehrpersonen zu Beginn stark individuelles Lernen ermöglichen wollen, dann jedoch u. a. aufgrund des hohen Organisationsaufwands vermehrt kooperative Lernsettings einsetzen, in denen gemeinsame Lerngegenstände bearbeitet werden. Darüber hinaus werden weitere Entwicklungstätigkeiten auf der Oberstufe beschrieben: Ausarbeitung von Stoffplänen, Sammlung und Zusammenstellung von Lernaufgaben oder die Unterstützung der Schülerinnen und Schüler im selbstständigen und eigenverantwortlichen Lernen. Die Lehrpersonen der anderen Stufen stellen ein Kompetenzraster fertig und erarbeiten sich qualitätsvolle Lernaufgaben, auf deren Grundlage sich die Lernenden tiefgehend mit Problemstellungen auseinandersetzen, wodurch verstehensbezogene Lernprozesse initiiert werden sollen. Nach der Einführung der neuen Oberstufe stehen den Lehrpersonen bis zur Fertigstellung der baulichen Erweiterungsmaßnahmen vorübergehend weniger Lernräume zu Verfügung. Des Weiteren kommt es infolge der Neueinführung der Oberstufe zu Veränderungen in den Strukturen und Formen der Kooperation im Kollegium.

7.1.3 Fallübergreifende Zusammenfassung der Ergebnisse

Entscheiden sich Schulleitende und Lehrpersonen, Lerngruppen zu durchmischen und Unterricht vermehrt auf die personalisierte Gestaltung von Lehr- und Lernprozessen auszurichten, dann gehen damit umfassende Veränderungen auf Schul- und Unterrichtsebene einher. Die Fallbeschreibungen zeigen, dass sich die Schulen in den Entwicklungstätigkeiten sowie in der konkreten pädagogischen und didaktischen Gestaltung der Unterrichtskonzepte unterscheiden, weil diese u. a. vom Handeln der Lehrpersonen und der Schülerinnen und Schüler, den räumlichen und zeitlichen Rahmenbedingungen, der Schulgröße und -form oder den Merkmalen der Schülerinnen und Schüler abhängen. Im Folgenden werden Kernaspekte zusammengefasst und die Unterschiede zwischen den Schulen aufgezeigt.

Auslöser des Entwicklungsprozesses

Auslöser solcher Entwicklungsprozesse sind einerseits schulinterne Faktoren, etwa die Unzufriedenheit mit der Schul- und Unterrichtssituation (z. B. Schule J), sowie die Motivation und der Wille, Schule und Unterricht radikal umzugestalten (z. B. Schule M). Andererseits werden schulexterne Auslöser wie etwa Gesetzesänderungen (z. B. Schule L) oder die Standortsicherung aufgrund sinkender Zahlen an Schülerinnen und Schülern (z. B. Schule K) genannt.

Merkmale in der organisationalen Struktur der Einzelschulen

In allen Schulen wird in ausgewählten Fächern, vor allem in Mathematik und in Deutsch, zwischen geführten und offenen Unterrichtsphasen unterschieden. In geführten Unterrichtsphasen werden neue Lerninhalte meist mit frontalen Inputs eingeführt, die in offenen Unterrichtsphasen durch selbstständiges und eigenverantwortliches Lösen von Lernaufgaben geübt und vertieft werden. Einige Schulen setzen dieses Konzept auch im Fremdsprachenunterricht um. So werden in Schule D und F entsprechende Unterrichtskonzepte entwickelt. Allerdings gibt es Schulen, beispielsweise Schule K, die sich gegen diese Entwicklung aussprechen, weil sie befürchten, dass die unter der Anleitung einer Lehrperson durchgeführten Sprech- und Dialogübungen zu wenig eingesetzt werden würden.

Des Weiteren sind insbesondere in großen Schulen feste Zeitspannen im Stundenplan für geführte und offene Unterrichtsphasen vorgesehen (z. B. Schule H und L). In anderen Schulen (z. B. Schule F, J und K) werden diese Phasen auch situativ eingesetzt. Merken die Lehrpersonen im Unterricht, dass einige Schülerinnen und Schüler mit einer Lernaufgabe Schwierigkeiten haben oder einen kurzen Input zu einem Lerninhalt benötigen, um diesen besser zu verstehen, können sie dies im selben Lernraum durchführen. Währenddessen arbeiten die anderen an ihren Lernaufgaben weiter.

Dies ist u. a. möglich, weil in den Schulen die offenen und geführten Unterrichtsphasen größtenteils in einem Raum mit verschiedenen Lernzonen stattfinden. Dagegen gibt es vor allem in größeren Sekundarschulen (Schule H und L) große Lernräume, sogenannte „Lernlandschaften“, in denen jede Schülerin und jeder Schüler über einen persönlichen Arbeitsplatz verfügt und wo mehr als 30 Schülerinnen und Schüler Platz finden. Die geführten Unterrichtsphasen finden in separaten, kleineren Lernräumen statt.

In allen Schulen werden die Lerngruppen durchmischt und je nach Fach flexibel neu zusammengesetzt. In den offenen Unterrichtsphasen gibt es leistungsdurchmischte (z. B. Schule L), altersdurchmischte (z. B. Schule F) sowie alters- und leistungsdurchmischte Lerngruppen (z. B. Schule A).

Die aufgeführten organisationalen Strukturelemente (Lernzeit, Lernraum und Lerngruppen) sind innerhalb der einzelnen Schulen einheitlich, das heißt, jede Lehrperson arbeitet in den gleichen Strukturen. Eine Ausnahme bildet Schule K: Hier ist die Struktur der Lernräume unterschiedlich. Während zwei Lerngruppen zusammen in einem großen Lernraum unterrichtet werden, sind zwei weitere Lerngruppen durch eine Wand mit einer Tür getrennt. Die letzten beiden Lerngruppen liegen zu weit auseinander, als dass sie für gemeinsamen Unterricht zusammengelegt werden könnten. In Schule B wiederum gibt es zwei Gruppen von Lehrpersonen, die in unterschiedlichen organisationalen Strukturen (Raum, Zeit und Lerngruppen) arbeiten: zum einen die Entwicklungsgruppe, welche die Umstrukturierungen vorgenommen hat, und zum andern die weiteren Lehrpersonen, welche noch in den vorhergehenden Strukturen unterrichten. In dieser Schule wurde der Entwicklungsprozess aus diversen Gründen abgebrochen.

Merkmale der didaktischen Handlungsebene

Weitere Unterschiede lassen sich nicht nur auf der organisationalen Strukturebene finden, sondern auch auf der didaktischen Handlungsebene. In allen Schulen wird das herausfordernde Verhältnis zwischen individuellem Lernen und kooperativem Lernen in der Lerngemeinschaft thematisiert. Würde ein stark individuelles Lernen zugelassen und alle Schülerinnen und Schülern würden an je eigenen Inhalten, Lernaufgaben und Lernzielen arbeiten, gäbe es kaum noch inhaltlich relevante Lerngegenstände, an denen die Lerngruppe gemeinsam arbeitet. Jedoch ist das Abwägen zwischen individuellen Lernwegen und dem Lernen in der Gemeinschaft ein stetiger Balanceakt, wie Lehrpersonen der neu eröffneten Oberstufe von Schule M dies beschreiben. Zudem muss insbesondere in öffentlichen Schulen ein Lehrplan eingehalten und es müssen teils verpflichtende Lehrmittel bearbeitet werden, die ein individuelles Lernen einschränken.

Kooperatives Lernen wird in vielfältigen Lehr- und Lernformen umgesetzt. Einige Schülerinnen und Schüler werden, wenn sie sich in einem Lerngegenstand sehr gut auskennen und diesen tiefgehend verstanden haben, zu Hilfslehrpersonen ernannt, die den Mitschülerinnen und Mitschülern bei Schwierigkeiten helfen können (z. B. Schule F). In Sublerngruppen unterstützen sich die Schülerinnen und Schüler in der Organisation und Planung der offenen Unterrichtsphasen. Sie planen für sich selbst die nächsten Aufgaben, legen fest, wann sie auf Prüfungen lernen müssen, und werten diese Planung gemeinsam aus (z. B. Schulen D und K).

Lehrpersonen sind Teil der kooperativen Lerngemeinschaft und unterstützen in offenen Unterrichtsphasen, in denen die Schülerinnen und Schüler selbstständig und eigenverantwortlich Lernaufgaben bearbeiten, aktiv das schulische Lernen, beraten bei Fragen und Schwierigkeiten und intervenieren bei disziplinarischen Problemen. Dass nicht alle Lehrpersonen ihre Tätigkeiten so wahrnehmen, wird in Schule H beschrieben. Hier gibt es Lehrpersonen, welche die offenen Unterrichtsphasen zum Korrigieren von Lernaufgaben nutzen oder eine Art „Pause“ machen. Dennoch heben die interviewten Lehrpersonen aller Schulen hervor, dass in den offenen Unterrichtsphasen Zeit vorhanden sei, um die Schülerinnen und Schüler in ihrem Kompetenzerwerb individuell zu unterstützen und dabei besonders die individuellen Lernvoraussetzungen und -bedingungen zu berücksichtigen. Herausfordernd ist diesbezüglich, dass die leistungsschwächeren Schülerinnen und Schüler stärker in der Strukturierung der offenen Lernumgebung unterstützt werden müssen (z. B. Schule H), weshalb weniger Zeit für andere Schülerinnen und Schüler bleibt. Deswegen wird in Schule L darüber diskutiert, wie trotz der ressourcenintensiven Lernunterstützung leistungsschwächerer Schülerinnen und Schüler auch die leistungsstärkeren unterstützt werden können. Ein positiv bewertetes Lernunterstützungsformat sind die Coaching-Gespräche in den Sekundar- und Gesamtschulen: Hier können die individuellen Lernvoraussetzungen und -bedingungen besonders berücksichtigt werden; in Einzelgesprächen werden Lernprozesse reflektiert und Highlights sowie Stolpersteine besprochen. Lehrpersonen und Schulleitende der Schule B und der Primarschulen berichten nicht über solche Coaching-Gespräche.

Ein in allen Schulen wichtiges Instrument für die offenen Unterrichtsphasen sind Aufgabensammlungen. Dies sind thematisch passende Lernaufgaben, die die Schülerinnen und Schüler in den offenen Unterrichtsphasen selbstständig und eigenverantwortlich bearbeiten. Zusätzlich können in den Aufgabensammlungen Informationsblätter beiliegen, die Hinweise zur Aufgabenbearbeitung geben (z. B. Schule A). Des Weiteren können Lernziele definiert und die Aufgaben mit dem schulinternen Kompetenzraster verknüpft sein (z. B. Schule D). Schule A differenziert die Aufgaben in Pflicht- und Wahlaufgaben. Bei der Erarbeitung solcher Aufgabensammlungen übernehmen die Lehrpersonen häufig Lernaufgaben aus den offiziellen Lehrmitteln. Teilweise werden die Lernaufgaben selbst entwickelt. In einigen Schulen wird der Fokus auf qualitätsvolle Lernaufgaben gelegt (z. B. Schulen G und M). Es werden Lernaufgaben eingesetzt, die verstehens- und problemorientiertes Lernen fördern. Die bearbeiteten Aufgabensammlungen werden entweder von den Lehrpersonen (z. B. Schule L) oder von den Schülerinnen und Schülern selbst (z. B. Schule B) korrigiert.

Damit das selbstständige und eigenverantwortliche Lernen beispielsweise mit den Aufgabensammlungen gelingt, benötigen die Schülerinnen und Schüler fachliches Verständnis der Lerninhalte, welches sie u. a. in den geführten Unterrichtsphasen erlangen. Darüber hinaus sind überfachliche Kompetenzen notwendig, beispielsweise das Planen der zu bearbeitenden Lernaufgaben, bei dem festgelegt wird, welche Aufgaben wann gelöst werden und wann auf die Prüfungen vorbereitet wird. Solche überfachlichen Kompetenzen werden eingeführt und geübt. Die Lehrpersonen erklären und lassen die Schülerinnen und Schüler Lernstrategien und das Helfen und Unterstützen von Mitschülerinnen und Mitschülern ausprobieren (Schulen A und D). Überfachliche Kompetenzen werden auch mit Reflexionsteilen in den Aufgabensammlungen oder in Planungsbüchern (z. B. Schule L), in Sublerngruppen (z. B. Schulen D und K) oder in Coaching-Gesprächen trainiert (z. B. Schule M).

Kooperative Gestaltung von Entwicklungsprozessen in Richtung personalisierten Lernens

Die zuvor zusammengefassten Strukturmerkmale sowie Merkmale didaktischen Handelns deuten auf einen komplexen Entwicklungsprozess hin, in dem verschiedene Personen hinsichtlich verschiedener Aufgabenbereiche intensiv miteinander kooperieren. Es wird etwa gemeinsam und füreinander Unterricht vorbereitet (z. B. Schulen J und F), Aufgabensammlungen werden mit anderen Lehrpersonen über eine Datenbank ausgetauscht (z. B. Schulen D und L) oder es wird ein Konsens hinsichtlich pädagogischer und didaktischer Gestaltung von offenen Unterrichtsphasen gefunden. Zum Beispiel werden in Schule H Kriterien guter Aufgabensammlungen erarbeitet.

In der engen Zusammenarbeit entstehen jedoch auch herausfordernde Situationen. Meinungsverschiedenheiten und Konflikte können auftreten, wenn unterschiedliche Vorstellungen zur Frage aufeinandertreffen, wie das Unterrichtskonzept ausgestaltet und weiterentwickelt werden soll (z. B. Schulen B, F und L). Des Weiteren wird der Wechsel von Lehrpersonen als herausfordernd geschildert, weil das Einarbeiten der neuen Lehrpersonen sehr zeitaufwendig (z. B. Schulen D, F und H) sei und bis zu zwei Jahren dauern könne (z. B. Schule G). Zusammen mit den neuen Lehrpersonen muss im Team jedes Mal wieder ein Konsens über pädagogische und didaktische Grundvorstellungen erarbeitet werden. Dies ist dann besonders herausfordernd, wenn die Wechsel regelmäßig stattfinden (z. B. Schulen E und J).

In den Fallbeschreibungen zeigt sich darüber hinaus auch, dass nicht nur in Schulen, die erst seit wenigen Jahren personalisierte Unterrichtskonzepte eingeführt haben (z. B. Schulen H, L und F), viele und umfassende Entwicklungstätigkeiten beschrieben werden, sondern auch in Schulen, die bereits seit vielen Jahren mit solchen Konzepten arbeiten (z. B. Schulen G, M und J). Die Schulleitenden und die Lehrpersonen passen ihr Unterrichtskonzept fortlaufend weiter an und optimieren es. Damit reagieren sie aktiv auf veränderte Rahmenbedingungen von Schule und Unterricht, zum Beispiel auf veränderte Schülerzahlen oder auf die Zusammensetzung der Schülerinnen und Schüler. Ausgehend von den heterogenen Lernvoraussetzungen und Lernbedingungen ist es das Ziel, Lernumgebungen zu gestalten, in denen sich Schülerinnen und Schüler aktiv an einer kooperativen Lerngemeinschaft beteiligen, mit Lehrpersonen sowie mit Mitschülerinnen und Mitschülern Lerninhalte tiefgehend bearbeiten und dabei zunehmend Verantwortung für das eigene Lernen übernehmen. Die Schülerinnen und Schüler gestalten ihre Lernprozesse zunehmend selbstständiger, indem sie Teilziele für ihren Arbeitsprozess setzen, diese stetig reflektieren, die eigene Lernzeit einteilen und sich für ein verstehensorientiertes Durchdringen des Lernstoffs motivieren. Das Ziel besteht darin, dass sie mit Unterstützung der Lehrperson fachliche und überfachliche Kompetenzen erwerben.

7.2 Studie 1/Teil 2: Gemeinsame Entwicklungsgegenstände der untersuchten Schulen vor dem und im Erhebungszeitraum

Die Ergebnisse des ersten Teils von Studie 1 (siehe Abschnitt 7.1.3) zeigen, dass in den Schulen je nach Rahmenbedingungen und Entwicklungszielen teils unterschiedliche Unterrichtskonzepte ausgearbeitet werden. Zudem zeigt sich eine große Varianz von konkreten Entwicklungstätigkeiten: Beispielsweise investieren einige Schulen (z. B. Schule M) viel Zeit in die Suche und die Entwicklung von Lernaufgaben mit problemorientiertem Zugang, die verstehensbezogenes Lernen über einen längeren Unterrichtszeitraum hinweg ermöglichen. Andere Schulen orientieren sich bei der Unterrichtsvorbereitung stärker an den Lehrmitteln. Teilweise müssen sie das, weil die Lehrmittel verpflichtend sind.

Im zweiten Teil von Studie 1 stehen Gemeinsamkeiten in der Prozessgestaltung im Zentrum der Ausführungen. Aufbauend auf den beschriebenen Entwicklungstätigkeiten werden Entwicklungsgegenstände eruiert. In einem ersten Schritt wurden die Kategorien des Kategoriensystems (siehe Abschnitt 7.1.1) zu Entwicklungsgegenständen verdichtet (Abschnitt 7.2.1; Teilfrage 1.6; siehe Abschnitt 1.3) und in einem zweiten Schritt wurde untersucht, welche Entwicklungsgegenstände in welchen Schulen und in welchem Zeitraum – vor oder im Erhebungszeitraum – von Schulleitenden oder Lehrpersonen thematisiert wurden (Abschnitt 7.2.2; Teilfrage 1.7; siehe Abschnitt 1.3).

7.2.1 Entwicklungsgegenstände vor dem und im Erhebungszeitraum

Entwicklungsgegenstände sind inhaltlich ähnliche Entwicklungstätigkeiten, die auf einem Abstraktionsniveau formuliert sind, das einen Vergleich zwischen den Schulen ermöglicht. In Tabelle 7.3 sind die 21 mithilfe des Kategoriensystems erfassten Entwicklungsgegenstände aufgeführt. In der Spalte „Zugehörige Subkategorie(n)“ wird ersichtlich, welche Kategorie(n) dem jeweiligen Entwicklungsgegenstand zugeordnet wurde(n).

Tabelle 7.3 Verdichtung der Kategorien aus dem Kategoriensystem zu Entwicklungsgegenständen

Acht Entwicklungsgegenstände können der Unterrichtsentwicklung, vier der Entwicklung organisationaler Strukturen und zwei der Professionalisierung und Personalrekrutierung zugeordnet werden. Die Bereiche „Entwicklung von Inhalten, der Häufigkeit und Intensität der Kooperation zwischen Lehrpersonen“, „Entwicklung eines gemeinschaftlichen Schullebens“ und „Tätigkeiten in der Steuerung einer uSpL“ werden nicht weiter differenziert.

Zudem bestehen 15 Entwicklungsgegenstände aus lediglich einer Kategorie, beispielsweise „Entwicklung von Lernaufgaben und Aufgabensammlungen für selbstständiges und eigenverantwortliches Lernen“. Unter sechs Entwicklungsgegenstände konnten hingegen mehrere Kategorien gefasst werden, zum Beispiel bei „Einsatz von formativen und summativen Leistungsbeurteilungen“, während die folgenden Kategorien gar nicht in die Analyse aufgenommen wurden, weil hierunter keine Beschreibungen von Entwicklungstätigkeiten codiert werden konnten:

  • Stand der uSpL zu Beginn des Erhebungszeitraums;

  • Metaziele der uSpL;

  • Schulform und Trägerschaft;

  • Schulstandort;

  • Finanzielle Mittel für die uSpL;

  • Merkmal der Schülerinnen und Schüler;

  • Weitere Akteursgruppen (Medien, Gewerbe, Besucherinnen und Besucher etc.)

In den nachfolgenden Unterkapiteln (Abschnitt 7.2.1.1 bis Abschnitt 7.2.1.21) werden die 21 Entwicklungsgegenstände beschrieben und mit Auszügen aus den Interviews unterlegt.

7.2.1.1 Neuanordnung von Lerninhalten für alters- und/oder leistungsdurchmischte Lerngruppen

Die elf untersuchten Schulen bilden für die offenen, teils auch für die geführten Unterrichtsphasen heterogene Lerngruppen. Schulleitende und Lehrpersonen durchmischen Schülerinnen und Schüler verschiedener Jahrgänge und/oder verschiedener Leistungsniveaus. Damit die vielen zu behandelnden Lerninhalte für verschiedene Alters- und/oder Leistungsstufen während mehrerer Schuljahre strukturiert aufeinander aufgebaut, priorisiert und überblickt werden können und keine Lerninhalte vergessen gehen oder diese nicht unnötig wiederholt werden, erstellen die Lehrpersonen Stoffpläne. Beispielsweise bestimmen sie für eine heterogene Lerngruppe, welche Lerninhalte wann und mit wem behandelt werden: „[Wir] haben also [Stoffpläne] gemacht, sodass die [Schülerinnen und Schüler] nicht jedes Jahr das Gleiche hören, sondern im Dreijahreszyklus verschiedene Themen [behandeln]“ (LP_Schule-M_t2). Des Weiteren dienen solche Stoffpläne den Lehrpersonen als Orientierungsrahmen, der es ihnen ermöglicht, Lerninhalte zu ordnen und zu gewichten.

Trotzdem haben wir so Basics, wo wir finden, das müssen alle gehabt haben. Und da haben wir Stoffpläne schon vor Jahren […] gemacht, wo wir gesagt haben: Auf das einigen wir uns [und] das müssen alle im Schulhaus durchgenommen haben. […] Das ist dann wirklich verpflichtend. (SL_Schule_L_t1)

7.2.1.2 Entwicklung von Lernaufgaben und Aufgabensammlungen für selbstständiges und eigenverantwortliches Lernen

Neben den Stoffplänen sind Aufgabensammlungen ein wichtiges Instrument für Lehrpersonen der untersuchten Schulen. In Aufgabensammlungen sind thematisch passende Lernaufgaben zusammengestellt, welche die Schülerinnen und Schüler größtenteils in offenen Unterrichtsphasen selbstständig und eigenverantwortlich lösen. Die Aufgabensammlungen werden an die verschiedenen Altersgruppen und Leistungsstände angepasst. In einer Schule wird in einer Lerngruppe zwischen drei Jahrgängen und drei Leistungsniveaus pro Jahrgang unterschieden.

In diesen [Aufgabensammlungen] sind nicht vierte bis sechste [Klasse] auf dem gleichen Blatt. Dort erhält der Viertklässler eine, der Fünftklässler [...] und der Sechstklässler [...]. Und sie sehen dann immer innerhalb von dieser [Aufgabensammlung der vierten Klasse] [...] auch die […] drei verschiedenen Niveaus. (SL_Schule-F_t1)

Die Erstellung solcher Aufgabensammlungen resultiert etwa aus dem Fehlen geeigneter Lehrmittel für die heterogen durchmischten Lerngruppen. Für die Erarbeitung einer Aufgabensammlung werden Lernaufgaben aus verschiedenen Lehrmitteln zusammengetragen und teils eigene Lernaufgaben entwickelt. So ist es den Lehrpersonen möglich, passende Lernaufgaben für den Lernstand der Schülerinnen und Schüler anzubieten.

I: [...] Haben Sie für jedes Fach geeignete Lehrmittel oder wie machen Sie das?

LP_2: Ja also das Mathelehrmittel, [...] das ist ein eigenentwickeltes. [...]

LP_1: [...] hauptsächlich von [einer Lehrperson der Schule entwickelt]

LP_2: [...] Und bei den anderen Fächern [haben wir] aufgrund der [Durchmischung] der Klassen [...] [keine] klassischen Lehrmittel. [...] Wir nehmen [sie] vielleicht zur Hilfe, aber das meiste entwickeln wir selbst. Dann auch [...] auf den Lernstand der einzelnen Kinder abgestimmt und natürlich auch, was der Lehrplan fordert, [...] das ist natürlich [...] alles lehrplanbasiert. Aber wir entwickeln sehr vieles selber. (LP_Schule-J_t1)

Die Passgenauigkeit der Lernaufgaben an die Lernbedürfnisse ist u. a. in Schule M ein wichtiges Thema:

[Wir] passen immer wieder [die Lernaufgaben] an jedem Einzelnen an. [Wir suchen] immer wieder adaptiv die richtigen Aufgaben und die richtigen Anforderungen. Ich merke, dass dort meine Ansprüche steigen, dass ich dort immer noch adaptiver und noch genauer mit ihnen arbeiten [möchte]. (LP_Schule-M_t2)

7.2.1.3 Vielfältiger Einsatz von Lehr- und Lernformen, deren Erprobung sowie Verbesserung

In allen Schulen berichten Schulleitende und Lehrpersonen von einer Vielzahl von Lehr- und Lernformen: Partner- und Gruppenarbeit, Einzelarbeit, Frontalunterricht, Vorträge, Projektunterricht etc.: „Ich persönlich lege viel Wert darauf, dass ich über eine Methodenvielfalt im Unterricht verfüge und es nicht nur Frontalunterricht ist, sondern alles Mögliche, x-verschiedene Formen, die es gibt“ (LP_Schule-G_t1). Aus diesen alternativen Lehr- und Lernformen können die Schülerinnen und Schüler in offenen Unterrichtsphasen meist selbst wählen: „Und die Kinder merken das aber auch selber, also wenn sie selbstständig wählen können, also wenn sie eine Einzelarbeit, Partner- oder Gruppenarbeit machen können“ (LP_Schule-M_t1). Verschiedene kooperative Lehr- und Lernformen werden beschrieben und von den Lernenden auch gefordert. Sie können Lernaufgaben gemeinsam bearbeiten oder einige Schülerinnen und Schüler werden als „Hilfslehrpersonen“ eingesetzt. Dies sind Schülerinnen und Schüler, welche die fachlichen Lerninhalte sehr gut verstehen und anderen Schülerinnen und Schülern helfen möchten: „Also erste bis dritte Klasse arbeiten zusammen und erreichen gemeinsam Ziele und wo sie sich gegenseitig unterstützen und fördern, ja sogar als Hilfslehrer [und Hilfslehrerinnen] […] betätigen“ (LP_Schule-M_t1). „[Ich hatte] schon drei bis vier Situationen, [in denen] ein Dritt- und ein Erstklässler zusammen etwas erarbeitet haben. Der Erstklässler hat es nicht verstanden, der Drittklässler ist dabei und hilft und schaut und unterstützt sowie erklärt“ (LP_Schule-D_t1). Zudem helfen sich die Schülerinnen und Schüler bei der Lernorganisation im offenen Unterricht. Zum Beispiel geben sie sich Rückmeldungen zum Arbeitsstand der Aufgabenbearbeitung: „Bei mir schauen die [Hilfslehrpersonen] auch wirklich die Bilanz von ihren ‚Schäfchen‘ an und sagen manchmal: ‚Du, was ist hier los gewesen?‘ Sie geben sich auch Rückmeldungen und die [Hilfslehrperson] schaut, dass sie […] so weit kommen wie geplant“ (LP_Schule-K_t1).

Die Lehrpersonen erproben regelmäßig neue Lehr- und Lernformen und oftmals wird beschrieben, wie sie ein angemessenes Verhältnis zwischen individualisiertem und gemeinschaftlichem, kooperativem Lernen schaffen möchten: „Mit zu den Veränderungen gehört […] die Frage, […] diese Balance zu finden zwischen […] dieser Atomisierung [respektive starken Individualisierung], […] [und dem, was] wir jetzt zusammen und […] miteinander machen“ (LP_Schule-M_t2). Das Lernen am gemeinsamen Gegenstand wird in Schule A mit Problemlöseaufgaben umgesetzt:

In der Mathematik haben wir gerade […] angefangen auszuprobieren, auch immer so Lektionen zu machen mit der altersgemischten Klasse, [in denen] wirklich […] in Gruppen […] an Problemlöseaufgaben [gearbeitet wird]. Das […] wäre jetzt für mich ein Ziel und ich denke aus Sicht von der Schule ist es schon auch längerfristig ein Ziel, dass die Schüler [und Schülerinnen] am gleichen Thema, aber auf verschiedenen Niveaus arbeiten. (LP_Schule-A_t3)

7.2.1.4 Erarbeiten von Lernangeboten zur Förderung überfachlicher Kompetenzen

Wie im vorhergehenden Kapitel festgehalten wurde, wird vor allem in offenen Unterrichtsphasen das Miteinander- und Voneinanderlernen gefördert. Um die kooperativen Lernbeziehungen wirksam zu gestalten, leiten die Lehrpersonen ihre Schülerinnen und Schüler darin an und üben mit ihnen, wie sie sich wirkungsvoll helfen und unterstützen können oder wie ein gutes Feedback gegeben wird:

LP_1: Aber sie helfen sich schon recht viel gegenseitig. Wir [machen] Helferkurse […]

I: Also für die Kinder?

LP_1: […] Wie man einander hilft. Also dass man nicht einfach die Lösungen vorliest, sondern mal zuerst fragt, was hast du nicht verstanden, und dann die W-Fragen und so. (LP_Schule-F_t2)

Des Weiteren werden mit den Schülerinnen und Schülern verschiedene Lern- und Arbeitstechniken eingeübt, die u. a. für das selbstständige und eigenverantwortliche Lernen wichtig sind:

Das ist übrigens auch noch ein Punkt, den wir noch nicht erwähnt haben, dass wir [alle 14 Tage] für […] eine halbe Stunde [die Schülerinnen und Schüler] versammeln. Dann stellt irgendeine [Lehrperson] Lern- und Arbeitstechniken vor. [Wir] kommunizieren [das] und [die Schülerinnen und Schüler müssen] das nachher gerade auch versuchen [und] anwenden. (LP_Schule-G_t1)

Eine weitere Möglichkeit, überfachlichen Kompetenzerwerb bei den Schülerinnen und Schülern zu initiieren, ergibt sich für die Lehrpersonen in den Coaching-Gesprächen. Hier werden etwa die verschriftlichten Lernreflexionen aus dem offenen Unterricht besprochen:

Wir haben das letzte Jahr [Notizen] gehabt, wo die Schüler wirklich [notiert] haben: „20 Minuten nichts gemacht.“ Und da haben wir gesagt: „Da sind wir stolz, dass sie das schreiben.“ [...] Das ist doch die Ehrlichkeit und um das geht es: „Weil wir können dir nur helfen, wenn du sagst, was du da jetzt gemacht hast“, und dass das nicht eine Strafe zur Folge hat, sondern: „Nein, das macht gar nichts!“ Wir müssen dann vielleicht nur miteinander reden. (SL_Schule-A_t1)

7.2.1.5 Anpassung der Lernunterstützung an die heterogenen Lernvoraussetzungen und -bedingungen der Schülerinnen und Schüler

Ein weiterer Entwicklungsgegenstand ist die Anpassung der Lernbegleitung und -förderung an eine heterogene Lerngruppe. Die Lehrpersonen von Schule D beschreiben diesbezüglich ein Abwägen zwischen einer sehr engen, strukturierenden und kontrollierenden Lernunterstützung und einer Lernunterstützung, bei der sie den Schülerinnen und Schülern viele Freiheiten in der Gestaltung eigener Lernprozesse einräumen:

Ja eben. Es ist ein Dilemma: Freiheit geben und dann aber wie wieder die Sache unter Kontrolle zu bringen. [...] Es ist [...] immer eine Gratwanderung, wie viel gibt man ihnen frei und riskiert, dass sie dann eben hier unten einen Schwatz ablassen gehen [oder] gehen sie wirklich arbeiten. (LP_Schule-D_t2)

Besonders hervorzuheben sind in diesem Zusammenhang die Coaching-Gespräche. Dies sind meist Einzelgespräche zwischen einer Lehrperson, die nicht unbedingt die Klassenlehrperson sein muss, und der Schülerin oder dem Schüler. Gemeinsam wird der Lernprozess reflektiert und es werden Highlights wie auch Herausforderungen besprochen:

LP_3: Und das allerpersonalisierteste Gefäß, das wir haben, ist klar das Coaching-Gespräch [...]. Ich meine [...] diese Infos, die man dort bekommt und die Möglichkeiten, die man dort hat, die bekommst du nirgends. [...]

LP_1: Ja.

LP_3: Ich glaube nicht, dass man das einfach nebenbei einfließen lassen könnte. Oder einfach nicht in diesem Umfang. Und ich finde, dass dann dieses Wissen aus den Coaching-Gesprächen eben in den Unterricht schon einfließt, aber nicht methodisch-didaktisch, sondern persönlich. Man lernt ja dann über diese Kinder Dinge, die man dann im Alltag auch wieder einfließen lassen kann.

LP_1: Ja. (LP_Schule-E_t3)

Des Weiteren wird eine erfolgreiche Beziehungsarbeit als wichtig für eine wirksame Lernunterstützung erachtet. Das folgende Zitat zeigt auf, dass die Art der Beziehungsarbeit von Lerngruppe zu Lerngruppe variieren kann:

Ich habe das Gefühl [...], weil wir ja jedes Jahr eine neue [Klassen-]Zusammensetzung haben, [...] definiert man sich wieder anders. Also dieses Jahr zum Beispiel habe ich [...] eine leistungsstarke Klasse, also rein kognitiv, aber es mangelt an ganz vielen anderen Orten. [Hier wird dann] Beziehungsarbeit [wichtig]. Die Beziehungsarbeit ist [...] ein großer Bestandteil [...] bei uns. Ich finde, der hat sich [...] wie verdoppelt. Also diese Kinder wollen viel mehr von einem als Person. Der Fokus ist noch stärker auf die Beziehung und das finde ich an und für sich auch gut, weil ohne Beziehung hat das Lernen [...] keinen Erfolg. Aber das [ist] eine Feststellung. Letztes Jahr hatte ich es viel einfacher. [Da] konnte ich eher [...] die Wissensvermittlerin sein und dieses Jahr ist es [bin ich] sehr stark Bezugsperson. (LP_Schule-J_t2)

7.2.1.6 Instrumente für Schüle/innen und Schüler zur Verwaltung und Organisation ihrer Lernprozesse

Die Schülerinnen und Schüler verfügen über Instrumente, die es ihnen ermöglichen, das selbstständige und eigenverantwortliche Lernen zu strukturieren und zu organisieren. Sie planen beispielsweise Lernaufgaben für die nächsten Unterrichtsstunden und legen fest, wann sie für welche Prüfungen lernen. Oder sie dokumentieren nach dem Bearbeiten der Lernaufgaben ihre Arbeitsfortschritte. Solche Instrumente werden „Agenda“, „Lernbuch“, „Lerntagebuch“, „Lernjournal“, „Planungsbuch“, „Tagesplan“ oder „Wochenplan“ genannt. Zudem bieten manche Instrumente die Möglichkeit, dass die Schülerinnen und Schüler ihre Lernprozesse reflektieren oder die Lehrpersonen schriftliche Rückmeldungen geben können:

I: Dokumentation dieser Lernwege, wie ist das das? [...]

LP_3: Also es hat [ein Instrument]. […] Dort schreibt [die Schülerin/der Schüler] seine Hausaufgaben hinein und die ganze Planung, was so läuft im [offenen Unterricht]. Was macht er[/sie] dort wann [und] an welchem Tag? Es hat auch immer eine Seite, um [die Umsetzung des Plans zu reflektieren]. In [diesem Instrument] gibt es auch Rückmeldungen, die wir [Lehrperson] machen können. Positive und negative Rückmeldungen, welche mit den Punkten „Selbst- und Sozialkompetenzen“ des Zeugnisses gekoppelt sind. (LP_Schule-K_t1)

7.2.1.7 Instrumente für Lehrpersonen zur Verwaltung und Organisation der Lernprozesse von Schülerinnen und Schüler

Die Lehrpersonen verfügen über Instrumente, mit denen sie die Lernprozesse dokumentieren, verwalten und überblicken können. Beispielsweise wird ein solches Instrument eingesetzt, um Lernziele, Lerninhalte und Lernaufgaben für einen bestimmten Zeitraum zu definieren und festzuhalten. Konkret weisen sie den Schülerinnen und Schülern beispielsweise mit einer zweiwöchigen Bearbeitungsfrist eine Aufgabensammlung zu, die vor allem in offenen Unterrichtsphasen bearbeitet wird. Weil die Schülerinnen und Schüler zu unterschiedlichen Zeitpunkten mit denselben Aufgabensammlungen beschäftigt sein können, erhalten die Lehrpersonen einen Überblick über die Arbeitsstände. Die Instrumente liegen meist in Form von Computerprogrammen vor und sind in schulinternen oder schulexternen Datenbanken gespeichert. Mit den Programmen können Lehrpersonen auch Informationen und Unterrichtsvorbereitungen austauschen.

[In der externen Schuldatenbank] geht es […] um die [Aufgabensammlungen und spezifisch] die Lernaufgaben. [Dieses Programm dient dazu,] den Überblick zu behalten, welche Schülerin/welcher Schüler hat noch [Lernaufgaben] offen in welchem Fach. Was hat er[/sie] gemacht? Was muss er[/sie] noch verbessern? (SL_Schule-L_t1)

7.2.1.8 Einsatz von formativen und summativen Leistungsbeurteilungen

Summative Leistungsbeurteilungen, zum Beispiel Leistungstests, werden je nach Arbeitsstand eingesetzt. Ist eine Schülerin oder ein Schüler mit einer Lerneinheit fertig, kann sie oder er den Leistungstest schreiben, während die Mitschülerinnen und Mitschüler noch weiterarbeiten. Daneben wird auch berichtet, dass alle Schülerinnen und Schüler zur selben Zeit eine an das Leistungsniveau und die Altersstufe angepasste Leistungskontrolle schreiben. Auch werden die Leistungstests zum Beispiel in Schule F an den von den Schülerinnen und Schülern bearbeiteten Lernstoff angepasst. Damit soll überprüft werden, was die Lernenden tatsächlich bearbeitet haben:

I: Und dann ist in der Prüfung nur das, was geprüft wird.

LP_2: Dann prüft man dies.

LP_1: Man kann es sich dann wirklich zusammenstellen. Also dann hat man [...] das Thema „Wald und Bäume“ gehabt. [...] Da hat es vier Unterthemen gegeben und wenn man jetzt nur drei geschafft hat, dann hat man einfach nur diese drei geprüft. (LP_Schule-F_t2)

Die Lehrpersonen von Schule L beschreiben, wie sie neben klassischen Prüfungen auch andere Formen der Leistungsbeurteilung einsetzen:

Ich finde es auch wieder immer gut, zu merken, dass Lernzielkontrollen auch völlig anders sein [können]. Sei das eben [...] irgendein Radiospot oder man nimmt etwas. Diese Abwechslung von anderen Arten von Lernzielkontrollen [funktionieren gut] und [die Schülerinnen und Schüler] finden es vielleicht weniger anstrengend als eine Prüfung. (LP_Schule-L_t3)

Darüber hinaus sind formative Leistungsbeurteilungen wichtig. Diese erfolgen etwa bei der Einschätzung überfachlicher Kompetenzen, die, wie bereits dargelegt (siehe Abschnitt 7.2.1.6), während des Lernens in den offenen Unterrichtsphasen in Planungsinstrumenten festgehalten werden kann: „In [diesem Instrument] gibt es auch Rückmeldungen, die wir als [Lehrperson] machen können. Positive und negative Rückmeldungen, welche mit den Punkten ‚Selbst- und Sozialkompetenzen‘ des Zeugnisses gekoppelt sind“ (LP_Schule-K_t1).

7.2.1.9 Umstrukturierung von Lernräumen

Kleinere Lernräume für den geführten Unterricht und größere Lernräume für den offenen Unterricht werden beispielsweise in Schule E eingerichtet. Letztere ähneln Großraumbüros, in denen für mehr als 30 Schülerinnen und Schüler Platz vorhanden ist und alle über einen individuellen Arbeitsplatz verfügen:

I: Jetzt kommen wir auf das Etikett „Personalisierte Lernkonzepte“ zu sprechen. [...] Wie zeigen sich personalisierte Lernkonzepte in ihrem Unterricht? [...]

LP_3: Ja als Erstes hier. Man kommt rein und wir haben ein Großraumbüro mit 60, 70 Arbeitsplätzen. Das ist [...] nicht ein normales Schulzimmer. (LP_Schule-E_t3)

Allerdings weist nicht jede der untersuchten Schulen eine solche Infrastruktur auf. Schulen, in denen ein so großer Lernraum nicht umsetzbar oder nicht gewollt ist, teilen den einzelnen Lernraum beispielsweise mit Sichtwänden in verschiedene Lernzonen ein. Dadurch entstehen Lernzonen für Einzel-, Partner- und Gruppenarbeit oder für Inputsequenzen. Im folgenden Zitat bezieht sich die Lehrperson auf eine solche Raumteilung. Eine Gruppe arbeitet selbstständig an Lernaufgaben, während sich die andere Gruppe in der geführten Unterrichtssequenz mit der Lehrperson neue Lerninhalte aneignet: „Eben den Raum in […] zwei Hälften zu teilen, das können wir dank den Kindern auch, weil die mitmachen“ (LP_Schule-J_t2).

7.2.1.10 Umstrukturierung der Lerngruppen

Auch die Gruppenzusammensetzung wird verändert, wodurch sich die Heterogenität der Lerngruppen erhöht. Die Größe und die Zusammensetzung der Lerngruppen sind je nach Raumangebot und Ausgestaltung des Unterrichtskonzepts unterschiedlich. So werden in den geführten Unterrichtsphasen meist homogene Lerngruppen gebildet, in offenen Unterrichtsphasen dagegen leistungs- und/oder altersdurchmischte: „Also im Moment haben wir […] sechs sogenannte ‚Gesamtklassen‘. Diese sind alle gleich heterogen gemischt. Also in meiner Klasse hat es siebtes, achtes, neuntes und zehntes Schuljahr von allen Niveaus“ (SL_Schule-D_t1). In Schulen mit Großraumbüros und großen Lerngruppen von mehr als 30 Schülerinnen und Schülern sind diese in kleinere Lerngruppen unterteilt, für die je eine Klassenlehrperson verantwortlich ist: „Also pro Jahrgang haben wir zwei [Lerngruppen über 30 Schülerinnen und Schülern]. Eine [solche Lerngruppe] ist personalbesetzt durch 50 Kinder. […] Das sind eigentlich drei Klassen. Das heißt [eine Lehrperson] hat etwa 17 Schüler“ (SL_Schule L_t1). Darüber hinaus gibt es in einigen Schulen Sublerngruppen. Dies sind kleinere leistungs- und/oder altersdurchmischte und über eine längere Zeit bestehende Lerngruppen: „Wir arbeiten alle mit sogenannten [Sublerngruppen]. [Die] sind zusammengestellt aus Erst-, Zweit- und Drittklässlern. Vier bis sechs Schüler […]. Jemand ist der […] Chef, […] der quasi [die Sublerngruppe] führt“ (LP_Schule-K_t1). Unter der Leitung einer Schülerin oder eines Schülers werden beispielsweise die Planungen für die offenen Unterrichtsphasen und deren Umsetzung zusammen ausgewertet.

7.2.1.11 Anpassungen des Stundenplans

In den untersuchten Schulen werden die Stundenpläne so angepasst, dass mindestens zwei Unterrichtsstunden zeitlich aufeinander folgen, in denen die Schülerinnen und Schüler in offenen Unterrichtsphasen an den Aufgabensammlungen arbeiten oder die Lehrpersonen offene und geführte Unterrichtsphasen hinsichtlich eines gemeinsamen Themas flexibel abwechseln können. Ziel ist es, dass sich die Schülerinnen und Schüler länger als 45 Minuten mit den Lerninhalten auseinandersetzen können:

Wir machen Zwei-Lektionen-Blöcke. […] Wir lassen die Pausenglocke auch aus, […] einfach [damit] die Kinder ins Arbeiten hereinkommen [und] mehr Zeit haben […]. [Bei] einer Lektion: kaum bis du drin, bist du wieder draußen, […] vor allem dann, wenn es um das eigenständige Lernen [geht], wenn man diesen Prozess anschieben will und [die Lehrpersonen] nicht nur vorne stehen und tack, tack, tack und jetzt nimmst du auf, was du kannst, oder lässt es sein. Wenn man will, dass die Kinder ins Arbeiten kommen, dann braucht es […] zwei Lektionen. (SL_Schule-J_t1)

Des Weiteren berichten die Lehrpersonen von Schule M, dass im Stundenplan Zeitfenster für die Planungen und die Reflexion des selbstständigen und eigenverantwortlichen Lernens eingeplant seien:

Wir haben immer am Montagmorgen Planungsstunde, [bei der die] Schüler [und Schülerinnen] ihre Woche planen können. [Hier verschaffen sie] sich einen Überblick darüber, […] was [sie] diese Woche erreichen [wollen], [welche] Rahmenbedingungen […] wir geben und [wie] sie sich ihre Arbeit [auf]teilen. (LP_Schule-M_t1)

Auch die Coaching-Gespräche werden fest in die zeitliche Struktur des Stundenplans verankert: „Für mich […] finden [die Coaching-Gespräche] jede Woche statt. Also ich habe während zwei Lektionen […] mit vier Schülern [Gespräche]“ (SL_Schule-E_t1).

7.2.1.12 Entwicklung der Team- und Kooperationsstrukturen von Lehrpersonen

In kleineren Schulen berichten die Lehrpersonen über Zusammenarbeit zu Entwicklungsthemen mehrheitlich in informellen Kooperationsstrukturen wie etwa Gesprächen an der Kaffeemaschine:

Wir sind ein Team und das ist glaube ich unsere große Stärke. Wir sprechen sehr viel [miteinander]. Also hier die Kaffeemaschine [...] ist schon wichtig. […] [Wenn] irgendjemand an irgendetwas leidet oder Mühe hat, dann ist man sofort da und diskutiert. (SL_Schule-D_t1)

In größeren Schulen findet diese Kooperation vermehrt in formellen Kooperationsstrukturen statt. Zum Beispiel gibt es in Schule H eine erweiterte Schulleitung, in der Entwicklungsthemen und nächste Entwicklungsschritte für die gesamte Schule besprochen und bestimmt werden. „[Die erweiterte Schulleitung, ESL,] ist eigentlich die Verbindungsstelle zwischen der Schulleitung und den Jahrgangsteams plus die Fachlehrperson, welche die Verbindung herstellt zu den Fachlehrpersonen. Und das ist ein mehr oder weniger wöchentlicher Austausch, den wir pflegen, im Rahmen einer ESL-Sitzung“ (SL_Schule-H_t1). Auch werden neue Kooperationsstrukturen eingeführt, mit der die Kooperation und die Vernetzung der einzelnen Lehrpersonenteams verstärkt werden sollen: „Und dann haben wir jetzt neu […] ein fixes Gefäß […] mit der Unterstufe, [in dem] wir uns einmal im Monat mit der Unterstufe treffen“ (LP_Schule-J_t2). Intensiv kooperiert wird auch bei gemeinsamen, stufenübergreifenden Unterrichtsprojekten: „Neu ist auch, dass wir aber dieses Jahr mehr vernetzt sind mit der Gesamtschule […]. Wir hatten mit der Unterstufe mehr Projekte, [bei denen] wir […] spontan zusammengesessen sind und das ausprobiert haben und […] auch mit der Mittelstufe“ (LP_Schule-M_t2).

7.2.1.13 Entwicklung der Inhalte, der Häufigkeit und der Intensität der Kooperation zwischen Lehrpersonen

Die interviewten Personen heben deutlich hervor, dass die Kooperation zwischen den Lehrpersonen eine notwendige Bedingung für die Umsetzung solcher Unterrichtskonzepte sei. „I: Und die pädagogische Grundhaltung des personalisierten Unterrichtens: Inwiefern wirkt sich das auf die Zusammenarbeit im Kollegium aus? […] SL: Also es bedingt eigentlich die Zusammenarbeit. Ohne Zusammenarbeit würde das gar nicht gehen“ (SL_Schule-L_t1). Inhaltlich bezieht sich die Zusammenarbeit auf sehr viele Tätigkeitsbereiche, von der Organisation des Schularztes bis hin zu kollegialem Feedback zum Unterricht und zu den Unterrichtsvorbereitungen, in denen verstärkt die personalen Voraussetzungen der Schülerinnen und Schüler berücksichtigt werden.

Die Lehrpersonen von Schule H, in der im zweiten Erhebungsjahr das neue Unterrichtskonzept eingeführt wurde, müssen zum Beispiel die schulärztliche Betreuung neu organisieren.

LP_1: Also eben, ich denke, wir, wir in [unserem Jahrgangsteam] selber arbeiten schon viel enger zusammen als man vorher mit den einzelnen Lehrpersonen zusammengearbeitet hat. Also auf alle Fälle! Man tauscht sich auch viel häufiger aus.

LP_2: [Wir] müssen zum Teil auch neue Wege finden. Plötzlich müssen, ich nehme jetzt das aktuelle Beispiel, wir die Kinder [zum Schularzt] schicken. Ja das heißt, wir haben ein Durcheinander in [unserem Jahrgang]. [Wir] müssen es neu organisieren und zusammensitzen. Früher, als der Schularzt gekommen ist, habe ich mitgeteilt, der Schularzt käme, die Mädchen dann und die Jungs dann, egal wie sie Schule haben. [Das] geht nicht [mehr]. Man […] muss es anschauen. (LP_Schule-H_t2)

Neben organisatorischen Angelegenheiten berichten Schulleitende und Lehrpersonen eine häufigere Kooperation hinsichtlich der Unterrichtsgestaltung und der Lernprozesse von Schülerinnen und Schülern. Gerade wenn mehrere Lehrpersonen im offenen Unterricht anwesend sind oder wenn geführte Unterrichtsphasen im Team-Teaching stattfinden, ergeben sich Möglichkeiten, um sich über den Unterricht und die Schülerinnen und Schüler auszutauschen:

Für mich [ist] äußerst wertvoll und [...] ein wesentlicher Unterschied zu früher, dass ich nicht mehr Einzelkämpfer bin. Ich kann durchaus mal meine zwei anderen [Lehrpersonen], die ebenfalls präsent sind, fragen, wie sie [die Kinder] wahrnehmen oder was sie beobachtet haben. Nachher habe ich noch [eine weitere Lehrperson] neben mir, [die] wahnsinnig gut darin ist, Leute zu analysieren. [...] Ich kann auf andere zurückgreifen und wir können gemeinsam auch [eine Schülerin oder] einen Schüler beurteilen. Es ist nicht einfach nur die Meinung von [einer Lehrperson], wie es früher so war. Ich bin einfach früher [die Lehrerin oder] der Lehrer gewesen, meine Meinung zählte. (LP_Schule-G_t1)

Des Weiteren wird in Teamsitzungen der Unterricht reflektiert und verbessert:

[In Teamsitzungen und Schulungen schauen] wir Themen an, [bei denen] wir dauernd dran sind, um auf irgendeine Art zu verbessern, genauer hinzuschauen. [Zum Beispiel] was [wir] zwischendrin [mit den Schülerinnen und Schülern unternehmen müssen], zwischen den Settings in der Mittagspause [und in den] Pause draußen. (LP_Schule-G_t2a)

Zusätzlich gibt es in Schule G Sitzungen, bei denen Aufgabensammlungen und die darin enthaltenen Lernaufgaben im Team kritisch analysiert werden:

[In den Sitzungen sitzen wir] als Team zusammen, zeigen einander unsere Aufgabensammlungen und [schauen diese] kritisch an. Wie könnte man das noch besser machen, anders machen? Und so gehen einem natürlich immer wieder Sachen auf, [bei denen] wir merken, ja, da könnte man sicher mehr rausholen oder das ist jetzt eine Aufgabe, welche nicht viel hergibt. (LP_Schule-G_t2a)

7.2.1.14 Personalrekrutierung

Stellen Schulleitende neue Lehrpersonen ein, achten sie darauf, dass die Lehrpersonen motiviert sind, mit dem jeweiligen Unterrichtskonzept zu arbeiten: „Aber im Großen und Ganzen klappt es wirklich sehr gut. Es hat auch damit zu tun, dass wir […] diese Lehrpersonen aussuchen konnten und sie haben ja dieses System gewollt“ (SL_Schule-A_t1). Ebenso wichtig ist es den Schulleitenden, dass neue Lehrpersonen eine integrative Beschulung unterstützen und die Herausforderungen mit heterogenen Lerngruppen als Bereicherung wahrnehmen:

I: Das heißt, du suchst eigentlich auch die Lehrpersonen aus. [Wäre das ein Problem], wenn jemand [...] komplett gegen die Integration von Kindern mit Down-Syndrom ist [...]?

SL: Dann wär’s ein Problem. [...] Also das ginge nicht. Also es muss ein Bekenntnis sein zur Integration oder zur Inklusion. Das ist ganz klar. (SL_Schule-M_t1)

Des Weiteren werden in einigen Schulen für den offenen Unterricht und die Unterstützung der Schülerinnen und Schüler beim selbstständigen und eigenverantwortlichen Lernen Klassenassistenzen angestellt:

[Es gibt] noch ein Element, welches etwas speziell ist. Das haben wir eigentlich selbst erfunden [...]: Klassenassistenz. Das ist eine nicht pädagogisch ausgebildete Person, die wir vor allem […] in unserem [offenen Unterricht] beim selbstständigen Planen, Sichorganisieren, Sicheinteilen, Seine-Aufträge-Sortieren, Ordnunghalten [einsetzen]. Das ist ja ein sehr, ein relativ wichtiger Anteil. Und diese Person begleitet vor allem Schüler [und Schülerinnen], die in diesem Bereich Mühe haben. (SL_Schule-L_t1)

7.2.1.15 Professionalisierung der Lehrpersonen

Ziel von Entwicklung ist es, dass nicht nur die Schülerinnen und Schüler in ihrem Kompetenzerwerb unterstützt und gefördert werden, sondern auch Lehrpersonen. Professionalisierungsprozesse können in Weiterbildungen angeregt werden:

Weiterbildung passiert ja […] auf mehreren […] Füssen. Das eine ist die persönliche Weiterbildung, die jeder Lehrer [und jede Lehrerin] selbst setzt. Dann gibt […] [es] die schulinterne Weiterbildung. Dort setzen wir die Themen und dort setzen wir auch Gefäße. Das handeln wir miteinander aus am Anfang des Jahres. (SL_Schule-A_t1)

Ein Weiterbildungsthema in Schule L sind kooperative Lehr- und Lernformen. In Schule E besuchen die Lehrpersonen individuelle Weiterbildungen (CAS) zum Thema „Lerncoaching“. Weitere Möglichkeiten der Professionalisierung ergeben sich in der intensiven ko-konstruktiven Kooperation zwischen Lehrpersonen, zum Beispiel bei der gemeinsamen Unterrichtsvorbereitung, -durchführung und -reflexion. Zu Letzterem haben die Lehrpersonen in Schule M ein Video ihrer Coaching-Gespräche aufgenommen und diese im Kollegium reflektiert:

Dann haben wir zum ersten Mal seit vier oder fünf Jahren wieder mit Video gearbeitet. […] Jede Lehrperson hat so ein Gespräch aufgenommen, […] einen Ausschnitt [transkribiert] und an einem Weiterbildungstag haben wir dann alle diese acht oder neun Videos, die entstanden sind, […] gemeinsam angeschaut und uns Feedback gegeben in Bezug auf verbale, nonverbale, paraverbale Kommunikation, auch auf Lernprozessebene. (LP_Schule-M_t3)

Ziel der Professionalisierung ist es, die Lehrpersonen dazu zu befähigen, ein Lernangebot zu gestalten, das die heterogenen personalen Voraussetzungen der Schülerinnen und Schüler berücksichtigt und in dem individuelle und kooperative Lernphasen aufeinander abgestimmt sind und ineinandergreifen.

7.2.1.16 Entwicklung eines gemeinschaftlichen Schullebens

Die Schulleitenden und Lehrpersonen beschreiben ein verändertes Gemeinschaftsgefühl, das über die eigene Lerngruppe hinaus beobachtbar sei. Dieses Gemeinschaftsgefühl äußert sich beispielsweise in einer gemeinsamen pädagogischen und didaktischen Grundhaltung:

Wir müssen die [Lehrpersonen] dazu bringen, dass sie so arbeiten, und das muss im Inneren [der Lehrperson] muss das passieren. [...] Ich habe gesagt: „Was nützt das, Struktur zu ändern, viel Geld in die Struktur zu setzen? Wir müssen nicht die Struktur ändern. Wir müssen schauen, dass wir den Unterricht ändern können, dass der Lehrer [oder die Lehrerin] anders unterrichten kann und dass die Schüler[/innen] sich dort drin wohlfühlen“, und da sind wir dran. Darum haben wir strukturell gar nichts geändert. (SL_Schule-A_t1)

Die intensivere Kooperation zwischen den Lehrpersonen fördere ein stärkeres Gemeinschaftsgefühl im Lehrpersonenteam:

Also bei uns war das der entscheidende Punkt in jenem Moment, als wir umgestiegen sind auf [das neue Unterrichtskonzept]. Also wir hätten das gar nicht alleine und jeder einzeln für sich machen können. Wir waren wirklich aufeinander angewiesen. Jemand hat das Schreiben übernommen, jemand hat die Grammatik übernommen und was auch immer. Das hat auch einen extremen Zusammenhalt gegeben. (SL_Schule-K_t1)

Des Weiteren berichten die Lehrpersonen von Schule F, dass Ausflüge nun nicht mehr in Klassenverbänden, sondern in Jahrgangs-/Stufenteams stattfänden. Die Lehrpersonen kennen die anderen Kinder bereits und können besser abschätzen, welche von ihnen herausforderndes Verhalten zeigen könnten: „Ausflüge machen […] wir mit der ganzen Stufe. […] Ich kenne die Kinder schon vom Namen her […] und ich weiß auch, welche so ein bisschen die Schwierigeren sind“ (LP_Schule-F_t1). Des Weiteren sehen die Lehrpersonen einen Vorteil in den größeren Lerngruppen. Diese bieten den Schülerinnen und Schülern eine größere Auswahlmöglichkeit hinsichtlich der Lernpartnerinnen und Lernpartner: „Wir sind ja eine Schicksalsgemeinschaft als [Lerngruppe]. Wir wählen uns ja nicht wirklich freiwillig aus. Aber wir schaffen in der Mittelstufe Gefäße, […] wo es eine gewisse Freiwilligkeit in Bezug auf mit wem will ich arbeiten [gibt]“ (LP_Schule-J_t2). Die Schulleitung von Schule F beobachtet in diesem Zusammenhang, dass sich die Schülerinnen und Schüler durch die größeren Lerngruppen untereinander besser kennen und die Pausen deswegen friedlicher ablaufen:

Und darum ist es ja eigentlich auch, das ist ja der große Punkt […], das soziale Lernen. Das soziale Lernen wird gerade für diese Kinder [wichtig], wo wir so viele verschiedene Kulturen und Werte haben. […] Da haben wir nach zwei Jahren bereits Erfolg. Jetzt zum Beispiel die […] 80 Kinder im Lager. Ja, das sind Welten gegenüber vier, fünf Jahren. Jaja, Welten. Die haben auch ganz, auch die C-Klassen-Kinder, sind nicht mehr die Gockel, die Jungen sind nicht mehr die Gockel, die fallen viel weniger auf, die müssen sich nicht mehr künstlich hervortun. Man ist in der Gemeinschaft. (SL_Schule-F_t1)

7.2.1.17 Tätigkeiten in der Steuerung einer uSpL

Prozesse der Schul- und Unterrichtsentwicklung können durch verschiedene Arbeitsinstrumente gesteuert werden, beispielsweise Zeitpläne, Evaluationen, Leitbilder oder Schulprogramme. Die interviewten Personen berichten u. a. von Evaluationen durch die lokale Schulbehörde: „I: Evaluationen? […] SL: Extern, das ist die Schulevaluation, die alle vier Jahre […] kommt. Das ist das, [was] man muss“ (SL_Schule-J_t1). Die externen Evaluationen geben Hinweise für die Weiterentwicklung der Schule, welche jedoch nicht immer als solche wahrgenommen werden, wie nachfolgendes Zitat zeigt:

I: Jetzt habe ich hier im Evaluationsbericht [von der Schulbehörde] gelesen […], dass die Regeln oder die Rolle zwischen Schulleitung und Teamleitung zum Teil noch nicht so klar definiert sind. Hat sich das jetzt ein wenig gelöst?

SL: Nein. Ich glaube das sind Ansichtssachen. (SL_Schule-E_t1)

Die Schulleitenden und Lehrpersonen von Schule J befragen sich selbst mit eigenen Evaluationsbögen. Das Team wurde beispielsweise befragt, ob es die zukünftige Schulleitung unterstütze, die das neue Unterrichtskonzept einführen wolle: „Dann haben wir eine Evaluation gemacht, ob ich getragen würde vom Team und ob sie [mit mir] einverstanden wären. Die ist sehr gut ausgefallen“ (SL_Schule-J_t1). Darüber hinaus werden in Schule M auch die Schülerinnen und Schüler regelmäßig befragt: „[Wir befragen] regelmäßig die Schüler [und Schülerinnen] […], weil eigentlich müsste die Unterrichtsentwicklung neben wissenschaftlichen Impulsen […] ganz stark von den [Schülerinnen und Schülern] herkommen. […] Damit sie uns sagen [können], was wir brauchen“ (LP_Schule-M_t3). In Schule K wollen Lehrpersonen und Schulleitende gemeinsam ein neues Schulprogramm erarbeiten, in dem u. a. auch Ziele für die Entwicklungstätigkeiten definiert werden sollen: „I: Was wären […] Ziele oder Pläne für das kommende Jahr in der Unterrichtsentwicklung? LP_2: Das setzen wir in etwa zwei Wochen fest. LP_1: Vor allem [möchten wir] ein neues Schulprogramm [Zustimmung LP_3] aufgleisen“ (LP_Schule-K_t2).

7.2.1.18 Zusammenarbeit mit und Mitwirken der lokalen oder/und interregionalen Schulbehörde(n)

Bezüglich der Zusammenarbeit mit den Schulbehörden berichten die Schulleitenden von Schule L, dass sie für die Einführung des neuen Unterrichtskonzepts die Verantwortungsträgerinnen und Verantwortungsträger überzeugen mussten: „Und wir haben […] die Schulpflege davon überzeugt und gesagt: […] ‚Komm, das nehmen wir als Chance! Wie müsste eine Schule für die Zukunft sein?‘“ (SL_Schule-L_t1). Damit das neue Unterrichtskonzept eingeführt werden konnte, musste die Schulbehörde dieser zustimmen: „LP_1: Ja. Die Schulbehörde auch. Das Modell wäre nicht möglich gewesen ohne eine großzügige Behörde, die etwas Mut gezeigt hat, dass nicht immer alles nach Schema F abläuft. LP_4: Sie stehen ja auch immer im Winde draußen. LP_2: Mhm“ (LP_Schule-D_t1). Zudem stellt die Schulbehörde für Schule K eine Sonderbewilligung aus, wenn die Lerngruppen alters- und leistungsdurchmischt zusammengesetzt werden: „Wir durften [so nicht unterrichten]. Das ist der eine Grund gewesen. Wir [brauchten] eine Bewilligung […] von der [Schulbehörde]: […] eine Sonderbewilligung [für] alters und [leistungs]durchmischte Klassen“ (SL_Schule-K_t1). Des Weiteren müssen die für die Schul- und Unterrichtsentwicklung verwendeten Ressourcen in dem von der Schulbehörde gesetzten Rahmen liegen: „Als wir gestartet sind und Visionen entwickelt haben, war [der Schulbehörde] wichtig, dass wir nicht mehr Ressourcen als eine ‚normale Schule‘ erhalten“ (SL_Schule-L_t1).

7.2.1.19 Zusammenarbeit mit und Mitwirken von Eltern

In der Zusammenarbeit mit den Eltern, zum Beispiel um diese über das neue Unterrichtskonzept zu informieren, schaffen die Schulen Kommunikationsstrukturen:

LP_2: Ja, aber wir haben schon etwas getan mit der ganzen Kommunikationsarbeit. […] Wir laden die Eltern ein, wenn wir die Projektwochen abgeschlossen haben […]. Wir […] geben den Eltern wirklich ganz viele verschiedene Gefäße, wo sie ihre Ängste oder Besorgnisse mit anderen Leuten, Eltern oder mit uns besprechen können. (LP_Schule-L_t1)

Zudem können die Eltern den Unterricht besuchen:

Bei uns kann man ja jederzeit schauen kommen. Man muss sich nicht anmelden. Wir haben die Besuchswoche, in der man schauen kommen kann und die Eltern können auch immer anrufen. […] Einige Eltern verstehen nicht, was wir hier machen […] und warum man es macht. Das ist dann zum Teil noch aufwendig, um ihnen das zu erklären. Aber die Eltern ins Boot holen [ist wichtig]. (LP_Schule-J_t1)

In Schule M dürfen die Eltern in Prozessen der Schul- und Unterrichtsentwicklung mitwirken:

Wir [legen] den Eltern Dinge [vor] und möchten wissen, wie ist ihre Stellungnahme. Wir möchten sie hören, wir möchten, dass sie uns Feedbacks geben. [Zum Beispiel zum] Kompetenzpass [und zu den] überfachlichen Kompetenzen. Guckt euch die mal an. Was sagt ihr dazu? Dann sagen die: „Wir finden, da fehlt was.“ oder „Das finden wir zu viel verlangt.“ […] Sie haben zum Beispiel bei den Prozessdimensionen, [bei denen] es um […] bildnerisches Gestalten und Werken geht, […] gesagt, das fand ich absolut genial: „Da fehlt die Kommunikation, das muss […] eine Basisprozessdimension sein, wenn es um Ausdruck geht. Jedes Objekt, das ich herstelle, hat etwas zu bedeuten, das ist eine Aussage. Und das steht hier nirgends.“ Also elementare Hinweise kriegen wir. (SL_Schule-M_t1)

In den meisten Schulen grenzen die Schulleitenden und Lehrpersonen den Einflussbereich der Eltern jedoch stärker ein: „Ja aber in der […] Schulentwicklung [reden die Eltern nicht] wirklich [mit], nicht wahr? Da sprechen sie nicht wirklich mit“ (LP_Schule-K_t1). Dass Eltern wichtig sind für eine erfolgreiche Schul- und Unterrichtsentwicklung, zeigt in umgekehrter Weise Schule B, in der der Entwicklungsprozess u. a. durch das Intervenieren der Eltern abgebrochen wurde: „Also massive Widerstände sind gekommen gegen [den Einsatz privater elektronischer Geräte im Unterricht], weil eben nicht jeder eines hatte [und gegen] diese Unterrichtsformen“ (SL_Schule-B_t1).

7.2.1.20 Zusammenarbeit mit und Mitwirken in Schulnetzwerken und Kontakt zu weiteren Schulen mit ähnlichen Unterrichtskonzepten

Insbesondere zu Beginn des Entwicklungsprozesses werden andere Schule im In- und Ausland mit ähnlichen Unterrichtskonzepten besucht, um Ideen und Anregungen für die Entwicklung des eigenen Unterrichts und der Schule zu erhalten. „Auf der anderen Seite haben wir verschiedene Schulen besucht […] und haben dann gefunden, diese Schule mit einem Teil Eigenverantwortung, mit einem Teil selbstständigem Arbeiten, das ist für uns die Zukunft“ (SL_Schule-H_t1). Des Weiteren sind drei der untersuchten Schulen durch eine schulexterne Datenbank miteinander vernetzt und können zum Beispiel Aufgabensammlungen austauschen: „Über diese Software arbeiten wir noch mit anderen […] Schulen zusammen. Gerade wir in der Mathematik haben dies sehr aufgeteilt und können quasi [Aufgabensammlungen] von anderen Schulen übernehmen. Da findet ein reger Austausch statt“ (LP_Schule-K_t1). An einer Schule wurde ein eigenes Netzwerk gegründet, in dessen Rahmen mehrmals jährlich qualitätsvolle Lernaufgaben ausgearbeitet werden:

Dann […] haben wir ein Netzwerk [gegründet] und mittlerweile sind etwa 12 oder 15 Schulen dabei. Wir treffen uns [und bearbeiten] ein Fach. Wir bringen den Entwurf, der wird überarbeitet [und] zurückgemeldet. Dann geben wir ihn der Fachdidaktik und dann kommt er nochmals ins Plenum. Wir diskutieren das nochmals stufenspezifisch und dann noch stufenübergreifend. (SL_Schule-M_t1)

7.2.1.21 Zusammenarbeit mit und Mitwirken von Beratenden

Beraterinnen und Berater werden von den Schulleitenden zur Unterstützung bei der „Organisations- und Teamentwicklung“ (SL_Schule-F_t1) und zur Reflexion der Entwicklungstätigkeiten engagiert: „Also wir haben einmal Person A bei uns gehabt, [die] uns ein wenig von außen gespiegelt hat“ (SL_Schule-L_t1). Beraterinnen und Berater wirken bei der Initiierung des Entwicklungsprozesses unterstützend mit: „Diese Philosophie […] habe ich […] mit [dem Berater/der Beraterin] zusammen […] angeschaut, wie […] wir diese Philosophie zum Tragen bringen [können]“ (SL_Schule-A_t1). In anderen Fällen arbeiten die Beratenden mit dem Kollegium zum Beispiel an den praktizierten Beurteilungsformen: „Von der Pädagogischen Hochschule ist jemand gekommen, der mit uns […] unsere Beurteilungs[instrumente] angeschaut hat. […] Dann [hat er/sie einen] Input gegeben, was wir mal ausprobieren könnten. Jetzt probieren wir es aus und […] dann im August werden wir wieder zusammensitzen“ (LP_Schule-F_t1).

7.2.2 Gemeinsame Entwicklungsgegenstände aller untersuchten Schulen vor und im Erhebungszeitraum

Während bereits im ersten Teil von Studie 1 (siehe Abschnitt 7.1.3) eine große Varianz von Entwicklungstätigkeiten beschrieben werden konnte, zeigt sich diese Vielfalt auch auf der Ebene der Entwicklungsgegenstände. Wie bereits ausgeführt lassen sich nach der Verdichtung des Kategoriensystems 21 Entwicklungsgegenstände (siehe Abschnitt 7.2.1) eruieren. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, ob sich über die elf untersuchten Schulen hinweg ein gemeinsamer Kern der Gestaltung einer unterrichtszentrierten Schulentwicklung in Richtung personalisierten Lernens feststellen lässt. Um diese Frage klären zu können, werden die 21 Entwicklungsgegenstände sowie die elf Schulen einander in Tabelle 7.4 gegenübergestellt. Dieser Gegenüberstellung lässt sich entnehmen, ob Entwicklungstätigkeiten hinsichtlich des Entwicklungsgegenstands vor dem oder im Erhebungszeitraum (EZ) beschrieben werden (x) oder ob dies nicht der Fall ist (-).

Tabelle 7.4 Entwicklungsgegenstände vor dem und im Erhebungszeitraum des perLen-Projekts

Die Übersicht in Tabelle 7.4 zeigt, dass zu 20 Entwicklungsgegenständen in allen Schulen entweder vor dem und/oder im Erhebungszeitraum Entwicklungstätigkeiten beschrieben werden (Kombinationen „xx“, „x-“ und „-x“). Lediglich bei den Beratenden lässt sich die Kombination „--“ feststellen, und zwar in den Schulen B, D und M. Hier wird weder von den Schulleitenden noch von den Lehrpersonen über eine Zusammenarbeit mit Beraterinnen und Beratern berichtet. Zu beachten gilt es diesbezüglich, dass „-“ nicht heißt, dass hierzu keine Entwicklungstätigkeiten ausgeführt werden. Es bedeutet lediglich, dass der betreffende Entwicklungsgegenstand in den Interviews nicht erläutert wird. Umgekehrt steht der Vermerk „x“ lediglich für eine Beschreibung von Entwicklungstätigkeiten. Ob diese tatsächlich stattgefunden haben, kann anhand der Datenlage nicht eruiert werden. Aufgrund dieser methodischen Grenzen werden die Entwicklungsgegenstände nachfolgend nicht hinsichtlich jedes „x“ und jedes „-“, sondern in allgemeiner Form beschrieben.

So lässt sich resümierend festhalten, dass diese 20 Entwicklungsgegenstände einen gemeinsamen Kern von Tätigkeiten in einer unterrichtszentrierten Schulentwicklung in Richtung personalisierten Lernens darstellen. Die Entwicklungsgegenstände der Unterrichtsentwicklung ([1] bis [8]), der organisationalen Struktur ([9] bis [12]), der Kooperation zwischen Lehrpersonen (13), der Personalrekrutierung (14), der Steuerung der uSpL (17) und der Zusammenarbeit mit Eltern (19) werden häufiger beschrieben als Professionalisierung von Lehrpersonen (15), Entwicklung eines gemeinschaftlichen Schullebens (16) oder die Zusammenarbeit mit der/den lokalen und/oder interregionalen Schulbehörde(n) (18) sowie mit Schulnetzwerken und Schulleitenden und Lehrpersonen weiterer Schulen mit ähnlichen Unterrichtskonzepten (20).

7.2.3 Zusammenfassung der Ergebnisse

Sowohl die Beschreibungen der Entwicklungsprozesse (siehe Abschnitt 7.1) als auch die Entwicklungsgegenstände (siehe Abschnitt 7.2) machen deutlich, dass das Kerngeschäft der Lehrpersonen im Zentrum steht: Es werden Stoffpläne überarbeitet, vielfältige Lehr- und Lernformen eingesetzt, Lernaufgaben zur selbstständigen Bearbeitung zusammengestellt und neue Formen der Lernunterstützung eingeführt. Neben dem fachlichen wird vermehrt auch der überfachliche Kompetenzerwerb unterstützt und gefördert und es werden Instrumente zur Organisation und Verwaltung von individuellen Lernprozessen genutzt.

Diese Entwicklungstätigkeiten sind eingebettet in eine Entwicklung auf Schulebene. Das heißt, organisationale Strukturen werden für alle Lehrperson einheitlich verändert. So werden Lerngruppen alters- und/oder leistungsdurchmischt zusammengesetzt, die Lernzeit wird flexibilisiert, geführte und offene Unterrichtsphasen werden unterschieden, Lernräume so umstrukturiert, dass die Schülerinnen und Schüler in den offenen Unterrichtsphasen selbstständig und eigenverantwortlich Lernaufgaben bearbeiten können, und Lehrpersonen in neuen Teams gruppiert, die einerseits die Entwicklung gemeinsam voranbringen und verantworten und andererseits vermehrt in der täglichen Unterrichtsarbeit kooperieren: Sie bereiten gemeinsam oder füreinander den Unterricht vor, führen Team-Teaching durch und reflektieren ihre Erfahrungen.

In den Beschreibungen der Entwicklungstätigkeiten zeigt sich, dass sich die beiden Ebenen der organisationalen Schulstruktur und des didaktischen Handelns gegenseitig bedingen. Werden etwa Lerngruppen durchmischt und Lernräume für offene Unterrichtsphasen mit Einzelarbeitsplätzen für mehr als 30 Schülerinnen und Schüler in Lernlandschaften umgeformt, so finden sich die Lehrpersonen in Teams zusammen, bestimmen beispielsweise Verhaltensregeln und fordern diese auch aktiv ein, um in den großen Lernräumen ein ruhiges Lernklima zu schaffen. Die Lehrpersonen erarbeiten Lernaufgaben, die sich in ihrer Qualität und ihrem Potenzial zur Tiefenverarbeitung für ein selbstständiges Lernen eignen. Darüber hinaus unterstützen ihre Schülerinnen und Schüler je nach deren individuellen Voraussetzungen: Leistungsschwächere erhalten bei der Lernorganisation vermehrt strukturierende Lernunterstützung. Diesbezüglich können auch die organisationalen Strukturen verändert werden. Wenn die Lehrpersonen beispielsweise merken, dass sich die Schülerinnen und Schüler nicht wie erwartet bei Schwierigkeiten mit Lernaufgaben helfen und unterstützen, organisieren sie Kurse, in denen die Schülerinnen und Schüler dafür nötige Kompetenzen erwerben und üben.

Die Einführung und die Weiterentwicklung personalisierter Unterrichtskonzepte umfassen nicht nur die drei Bereiche des Unterrichts, der organisationalen Strukturen und der Kooperation zwischen Lehrpersonen, sondern sie stärken auch die Professionalisierung der Lehrpersonen, zum Beispiel im Lerncoaching, die Anstellung von motivierten, für das Unterrichtskonzept geeignete Lehrpersonen sowie ein gemeinschaftliches Schulleben.

Darüber hinaus sind die Entwicklungstätigkeiten auf der Ebene des Unterrichts und auf der Ebene der Schule in ein Schulsystem eingebettet, auf das verschiedene außerschulische Akteursgruppen wie die lokale(n) Schulbehörde(n), Beratende, Eltern oder weitere Personen anderer Schulen mit ähnlichen Unterrichtskonzepten einen Einfluss haben können. Beispielsweise sind einige Schulen mit Gesetzesänderungen oder Ressourcenkürzungen konfrontiert, die dazu führen, dass das bisherige Unterrichtskonzept nicht mehr umsetzbar ist und weiterentwickelt werden sollte. In solchen Fällen findet der gesamte Entwicklungsprozess unter Rahmenbedingungen wie etwa gesetzlichen Vorgaben und finanziellen Mitteln für Entwicklungsstunden statt, innerhalb derer der Entwicklungsprozess zu gestalten ist.

Trotz der hier aufgeführten gemeinsamen Charakteristika eines Entwicklungsprozesses in Richtung personalisierten Lernens wird dieser in jeder Schule anders gestaltet, beeinflusst von schulspezifischen Aspekten wie etwa dem Grad der Flexibilität von Lernräumen und Stundenplänen, den Merkmale der Schülerinnen und Schüler und deren Bereitschaft, das neue Unterrichtskonzept mitzutragen, beruflichen Kompetenzen der Lehrpersonen sowie deren Motivation und Wille, Unterricht und Schule neu zu denken etc. Zudem ist der Entwicklungsprozess komplex, weil verschiedene Personen hinsichtlich unterschiedlicher Tätigkeitsfelder miteinander interagieren. Ziel ist es, eine Lernumgebung zu gestalten, in der die personalen Lernvoraussetzungen und -bedingungen stärker berücksichtigt werden als zuvor und die Schülerinnen und Schüler vermehrt selbstständig lernen können sowie mehr Wahlmöglichkeiten haben und Entscheidungen hinsichtlich ihrer Lernprozesse selbst treffen können. Zudem sollen sie Verantwortung für ihre Lernprozesse übernehmen und aktiv an einer kooperativen Lerngemeinschaft partizipieren. Allerdings stellt sich an diesem Punkt die Frage, wie präsent die zuletzt aufgeführten Dimensionen personalisierten Lernens (siehe Abschnitt 3.2, u. a. Stebler et al., 2018) in den Interviewaussagen der Schulleitenden und Lehrpersonen sind. Dieser Frage wird im ersten Teil von Studie 2 nachgegangen.

7.3 Studie 2/Teil 1: Dimensionen personalisierten Lernens in der berichteten Unterrichtsentwicklung

Während in Studie 1 mit den Fallbeschreibungen (Abschnitt 7.1) und den gemeinsamen Entwicklungsgegenständen (Abschnitt 7.2) der übergreifende Prozess der Schulentwicklung in den elf Schulen im Analysefokus stand, rückt in Studie 2 die Unterrichtsentwicklung selbst ins Zentrum. In diesem Ergebniskapitel wird untersucht, inwiefern die Dimensionen personalisierten Lernens (siehe Abschnitt 3.2, u. a. Stebler et al., 2018) in den Interviews thematisiert werden (2. Forschungsfrage: Welchen Dimensionen personalisierten Lernens lassen sich die identifizierten Entwicklungstätigkeiten zuordnen?).

Datengrundlage sind die 1364 Fundstellen zur Unterrichtsentwicklung aus Studie 1 (siehe Abschnitt 7.1.1 und Anhang D im elektronischen Zusatzmaterial). Diese wurden mit einer strukturierenden Inhaltsanalyse (Kuckartz, 2018) ein zweites Mal codiert (siehe Abschnitt 6.4.2.1). Hierfür wurde zuerst deduktiv ein Kategoriensystem entlang der fünf Dimensionen personalisierten Lernens (siehe Abschnitt 3.2) erstellt, das danach induktiv erweitert wurde (Codierregeln siehe Anhang I im elektronischen Zusatzmaterial). Nachfolgend wird zuerst erläutert, welche Dimensionen personalisierten Lernens sich in den Interviewaussagen wiederfinden lassen (Abschnitt 7.3.1; Teilfrage 2.1). Anschließend werden die Dimensionen personalisierten Lernens anhand der Interviewaussagen beschreiben und konkretisiert (Abschnitt 7.3.2 bis Abschnitt 7.3.6; Teilfrage 2.2).

7.3.1 Kategoriensystem zu Dimensionen personalisierten Lernens

In Tabelle 7.5 ist das Kategoriensystem mit der dazugehörigen Anzahl von Fundstellen abgebildet.

Tabelle 7.5 Studie 2: Kategoriensystem zu den Dimensionen personalisierten Lernens und Anzahl der Fundstellen

Zu allen Kategorien konnten insgesamt 1575 Fundstellen codiert werden. Das sind mehr Fundstellen als die 1364 Fundstellen zur Unterrichtsentwicklung aus Studie 1 (siehe Abschnitt 7.1.1 und Anhand D), weil die Grenzen der Fundstellen neu gesetzt werden konnten. Dabei wurden in der ersten (n = 567) und in der fünften Dimension (n = 472) deutlich mehr Fundstellen codiert als in der zweiten (n = 226), der dritten (n = 197) und der vierten Dimension (n = 113).

Dieses quantitative Verhältnis zwischen den Kategorien spiegelt sich auch in jeder Schule wider. In Tabelle 7.6 ist für jede Schule das prozentuale Verhältnis der Fundstellenanzahl pro Kategorie dargestellt. Die Prozentangaben erlauben einen Vergleich zwischen den Schulen. Es zeigt sich, dass in allen Schulen mehr Aussagen zu der ersten und der fünften Dimension codiert wurden als zu den anderen drei Dimensionen. Eine Ausnahme bildet Schule K, bei der die dritte Dimension mehr Fundstellen aufweist als die fünfte. Allerdings ist die Aussagekraft dieser Anzahlverhältnisse begrenzt, weil die Anzahl Fundstellen nicht nur von den in den Interviews gesetzten Gewichtungen bestimmter Gesprächsthemen durch die interviewten Personen abhängt, sondern auch von der Interviewführung und der Interviewsituation (siehe Abschnitt 6.4.2.1).

Tabelle 7.6 Fundstellenanzahl aufgesplittet nach Schulen und Dimensionen personalisierten Lernens in Prozent

Bevor die Kategorien beschrieben werden, wird eine bedeutsame inhaltliche Ergänzung erläutert, die am Anfang des Codierprozesses vorgenommen wurde, um die Trennschärfe für eine eindeutige Zuordnung der Fundstellen zu erhöhen (siehe Abschnitt 6.4.2.1): Die Kategorien wurden den drei Bereichen „Lernangebot“, „Lernnutzung“ und „Mehrdimensionale Bildungswirkung“ in Anlehnung an das systemische Rahmenmodell von Unterrichtsqualität und -wirksamkeit (Reusser & Pauli, 2010b) zugeordnet. Während die erste und die fünfte Dimension Äußerungen zur Gestaltung und Entwicklung des Lernangebots umfassen, wurden Fundstellen, in denen die Lernnutzung der Schülerinnen und Schüler beschrieben wird, entweder der dritten oder der vierten Dimension zugeordnet. Die zweite Dimension umfasst Erläuterungen zur mehrdimensionalen Bildungswirkung. Diese Differenzierung lässt sich anhand des Beispiels von Aufgabensammlungen illustrieren: Aufgabensammlungen sind eine Zusammenstellung von thematisch ähnlichen Lernaufgaben, die auf ein Lernziel oder mehrere Lernziele ausgerichtet sind. Die Schülerinnen und Schüler lösen die Aufgaben vorwiegend in offenen Unterrichtsphasen. Sie können meist selbst entscheiden, welche Lernaufgabe sie innerhalb einer vorgegebenen Frist wann und wo bearbeiten. Lehrpersonen und Schulleitende erarbeiten solche Aufgabensammlungen und stellen sie als Lernangebot zur Verfügung, was zur ersten Dimension gehört. Während der Bearbeitung werden die Schülerinnen und Schüler bei Verständnisschwierigkeiten von Lehrpersonen oder Mitschülerinnen und Mitschülern unterstützt. Dies lässt sich in der fünften Dimension verorten. Beschrieben die Schulleitenden und Lehrpersonen ein Nutzungsverhalten, das heißt, wie die Schülerinnen und Schüler die Aufgabensammlungen bearbeiten, dann wurde dies, wenn zusätzlich das selbstständige Arbeiten im eigenen Lerntempo thematisiert worden war, der dritten Dimension zugeordnet. Der vierten Dimension wurden Aussagen zur Verantwortungsübernahme für die eigenen Lernprozesse zugewiesen, beispielsweise dazu, dass die Schülerinnen und Schüler in Gruppenarbeiten intensiv an den Lernaufgaben arbeiten und sich nicht mit anderen Dingen befassen. Ausführungen, die der zweiten Dimension zugeordnet wurden, umfassen den von Lehrpersonen und Schulleitenden beobachteten fachlichen und überfachlichen Kompetenzzuwachs während der Bearbeitung der Aufgabensammlungen.

7.3.2 Erste Dimension: Unterrichtsangebot an Schülerinnen und Schüler und Lerngruppen sowie deren personale Voraussetzungen anpassen

Unter der ersten Dimension werden Aussagen zur didaktischen Gestaltung einer binnendifferenzierenden, individualisierenden und/oder adaptiven Lernumgebung zusammengefasst, in der das Lernangebot an die Fähigkeiten und Fertigkeiten der Schülerinnen und Schüler angepasst wird (Stebler et al., 2017, 2018). In den Interviewaussagen ist dies beispielsweise an der Differenzierung von Lerninhalten hinsichtlich von Alters- und Leistungsniveaus beschrieben:

Also was ich jetzt finde [und] was bei der Mathematik extrem viel gebracht hat, ist, dass alle am gleichen Thema arbeiten, aber eben auf diesen drei verschiedenen Jahrgängen. Also dann geht es irgendwo um Figuren. Die in der ersten Oberstufe [...] arbeiten mit Vierecken und lernen diese Vierecksformen kennen und Flächen [sowie] Umfänge [berechnen] und so weiter. [...] Die in der Zweiten arbeiten mit Kreisen und die in der Dritten [...] haben dann nochmals [...] etwas Anspruchsvolleres oder repetieren das Ganze. Und dann [findet] das alles auf verschiedenen [Leistungs-]Niveaus [statt]. (LP_Schule-M_t2)

Auch bei der Bearbeitung von Lernaufgaben in offenen Unterrichtsphasen können Lehrpersonen das Lernangebot differenzieren, indem sie Aufgabensammlungen mit unterschiedlichen Schwierigkeitsgraden und unterschiedlicher Bearbeitungsdauer erstellen: „Jetzt kommen natürlich nachher wieder Übungsphasen. […] Dort gibt es verschiedene Schwierigkeitsgrade und es gibt verschiedene Zeiten, in denen die Kinder diese Dinge erledigen“ (SL_Schule-L_t1). Des Weiteren ergeben sich bei den Aufgabensammlungen Möglichkeiten der individuellen Anpassung, indem für einzelne Schülerinnen und Schüler Aufgaben herausgestrichen oder ergänzt werden: „Nachher streichen wir als Lehrpersonen selbstständig raus, wenn wir finden, ein Kind ist jetzt da überfordert, und einem anderen können wir dann Zusatzmaterial geben, welches aber schon fixfertig vorbereitet ist“ (LP_Schule-F_t3).

Ein weiterer Aspekt ist das Bereitstellen von Handlungs- und Autonomiespielräumen, innerhalb welcher Schülerinnen und Schüler eigenständig ihre individuellen Lernwege verfolgen können (Stebler et al., 2017). Möglichkeiten der partizipativen Mitgestaltung ergeben sich beispielsweise dann, wenn Lehrpersonen die Stoffpläne in Pflicht- und Wahlinhalte unterteilen. Bei Letzterem können die Schülerinnen und Schüler auswählen, welche Lerninhalte sie bearbeiten und vertiefen möchten:

[Im Pflichtbereich] versuchen wir auch möglichst optimal zu unterrichten und da gehören Input-Lektionen dazu. Das ist im [offenen Unterricht] nicht in dieser Effizienz zu erreichen und dann haben wir diesen [Wahlpflichtbereich], wo wir wollen, dass die Schüler [und Schülerinnen] aus diesem [Pflichtbereich] Anknüpfungspunkte finden und sich selbst […] eigene [Lern-]Pläne […] schmieden können. (SL_Schule-H_t1)

Der letzte Themenfeld ist die individuelle Lernunterstützung (Stebler et al., 2017, 2018). Hier ergaben sich im Codierprozess Abgrenzungsschwierigkeiten zum Punkt der fünften Dimension (siehe Abschnitt 7.3.6): Als Lehrpersonen begeistern, zumuten, herausfordern, „Ansteckung“ (contagion), Lerndialog und Zusammenarbeit (Stebler et al., 2017). In beiden Fällen wird die Lernunterstützung thematisiert. Während in der fünften Dimension Aussagen zum Wie der Lernunterstützung codiert werden, sind es in der ersten Dimension die organisationalen Strukturen und Konzeptionen, Materialien und Instrumente sowie Inhalte der Lernunterstützung, beispielsweise Aussagen zur Organisation des „Spezialunterrichts“ (DaZ, Logopädie, Psychomotorik etc.), zum standardisierten Ablauf in Interventionen bei hinderlichen und störenden Lernverhalten (z. B. Time-out) oder zum Zeitpunkt, zur Häufigkeit, zum Ablauf und zum Ort von Coaching-Gesprächen, in denen Arbeitsschritte und Lernprozesse individuell reflektiert und ausgewertet werden:

LP_2: [...] Es hat sich noch verändert, dass wir eigentlich jetzt konsequent Coaching-Gespräche eingeführt haben. Das haben wir immer gewollt und konnten nicht, [...] weil wir den Raum nicht gehabt haben. [...]

LP_3: Und die Idee war so, dass [...] mit [jeder Schülerin und] jedem Schüler viermal im Lauf des Jahres ein viertelstündiges Coaching-Gespräch stattfindet. Also wo stehst du, was wäre das nächste Ziel, was sind die Schritte, mit denen du das etwa erreichen könntest. (LP_Schule-L_t3)

7.3.3 Zweite Dimension: Personale und soziale Kompetenzen aufbauen und ganzheitliche Förderung der Schülerinnen und Schüler

Die zweite Dimension beinhaltet ein mehrdimensionales Wirkungsverständnis von Bildung, bei dem nicht nur der fachliche, sondern auch der überfachliche Kompetenzerwerb bedeutsam ist (Stebler et al., 2018). Es geht um die ganzheitliche Förderung der Person: „Ich bin [in meiner ganzen Schulzeit] noch nie so intensiv auf die einzelnen Persönlichkeiten eingegangen wie jetzt hier in [Schule-M]“ (LP_Schule-M_t2). Für den fachlichen Kompetenzerwerb sind der Schulleitung aus Schule M nicht nur Phasen des Auswendiglernens wichtig, sondern insbesondere das tiefenverstehende und problemorientierte Durchdringen von Lerninhalten, beispielsweise dann, wenn die Schülerinnen und Schüler die Aufgabe erhalten, mathematische Formeln herzuleiten:

Die ganz Guten, die kriegen dann die Formel raus. Die können dann wirklich formal-operatorisch mit [zwölf Jahren] super denken. An welcher Schule dürfen sie das? Das ganze Gymnasium kannst du das wieder vergessen, da müssen sie einfach nachvollziehen. Aber die können selber [...] eine solche Formel herausfinden. Und sie sind kribbelig, richtig kribbelig. Sie finden das so fantastisch. (SL_Schule-M_t1)

Aussagen, die auf die Förderung und die Kultivierung sozialer Kompetenzen abzielen, richten sich u. a. auf einen wertschätzenden und respektvollen Umgang zwischen den Lernenden in heterogenen Lerngruppen:

I: Was ist schon erreicht? Was läuft [...] gut?

LP_1: Ich finde, das Soziale läuft sehr gut. Ich habe 18 Schüler [und Schülerinnen]. Davon ist jeder[/jede] so unterschiedlich: von sehr stark bis sehr schwach, sogar auch noch ein integrierter Schüler aus einer Heilpädagogischen Schule. Es wird einfach jeder akzeptiert. Es ist wirklich eine Gruppe und jeder kennt die Stärken und Schwächen der anderen Schüler [und Schülerinnen] und akzeptiert das. Es wird niemand gemobbt. Ich finde das Soziale sehr sehr stark. Es geht mir auch sehr gut an dieser Schule.

LP_2: [...] Das ist eigentlich schon etwas, was ich sehr erstaunlich finde und auch schön zu sehen ist. [...] Wir haben irgendwie Streitschlichter, aber für was haben wir eigentlich Streitschlichter? Es gibt nicht irgendwie Streit plus Schlägereien oder so etwas. Das kennen wir eigentlich nicht und ich wüsste nicht, wann es das letzte Mal war. Ich kann mich vielleicht an etwas in vier Jahren erinnern. Ich denke einfach so die [Sublerngruppen] und das [dortige] Selbstverständnis, wie gewisse Sachen [(z. B. selbstständig Geburtstage feiern)] gemacht werden, wie es so läuft und wie sie gewisse Verantwortung übernehmen. [...] Es läuft einfach, wenn gewisse [Schülerinnen und Schüler] auch die Verantwortung übernehmen. Ich denke, in [Jahrgangs-]Klassen ist es im Sozialen etwas anders. [...] Da besteht eine gewisse Diskrepanz. (LP_Schule-K_t1)

Sozialer Kompetenzerwerb wird auch in Interviewaussagen thematisierte, in denen beschrieben wird, wie Schülerinnen und Schüler die Unterschiede und die Vielfalt in der Lerngruppe akzeptieren (Zitat 1) oder durch das Helfen und Lösen von Problemen Selbstwirksamkeit erleben (Zitat 2):

Zitat 1: Akzeptanz von Unterschieden

LP_2: [...] Das ist auch eine große Akzeptanz in der Klasse. Der eine macht das. Der andere das und jeder lernt quasi an dem Ort, wo er ist. [...] Diese Akzeptanz [...] ist schon sehr gewachsen in den letzten zwei, drei Jahren. Es fragt auch keiner: „Warum muss jetzt der das und ich nicht?“ oder „Wieso muss ich das, wenn er das nicht muss?“ [...]

LP_1: Ja und das erlaubt auch ein Zurückgehen. [...] Wenn sie jetzt in der Dritten sind und sagen können, ich habe das in der Ersten einfach nicht verstanden und ich möchte an dem noch arbeiten. [...] Das gibt keinen Konkurrenzdruck in dem Sinn. (LP_Schule-M_t3)

Zitat 2: Selbstwirksamkeit

Die Schüler [und Schülerinnen] erleben Selbstwirksamkeit, [da] sie einerseits in verschiedenen Rollen sind: […] sie [möchten] hoffentlich […] nicht immer nur Sachen erklärt haben wollen, sondern […] auch mal in dieser Rolle [sein], dass sie etwas erklären können. Und [andererseits] dass […] sie […] ein Problem lösen [und] merken, ich bin ja imstand, vielleicht […] mit mehr oder weniger Hilfe vorwärtszukommen. Ich denke, das macht es aus. (LP_Schule-A_t3)

Über einen Bereich der überfachlichen Kompetenzen wird im Vergleich zu den anderen Themen relativ häufig gesprochen, und zwar über die Lernmotivation der Schülerinnen und Schüler, die durch verschiedene Elemente des Unterrichtskonzepts gestiegen sei. So beobachten die Lehrpersonen von Schule M, dass die Lernmotivation insbesondere am Ende des Schuljahres hoch sei, obwohl bereits alle Noten feststehen und die Ferien nahe seien. Die Lehrpersonen führen dies darauf zurück, dass die Lernenden ihre Lernaufgaben selbst wählen und diese selbstständig in ihrem Lerntempo bearbeiten können (Zitat 3). Ähnliche Beobachtungen hinsichtlich der Motivationssteigerung durch die Auswahlmöglichkeiten von Lehrinhalten führen Lehrpersonen von Schule H aus (Zitat 4). Auch steigere sich die Motivation bei den Schülerinnen und Schülern durch den Einsatz von Kompetenzrastern in Schule G, weil damit die Lernziele und die Leistungsfortschritte transparent und sichtbar gemacht werden könnten (Zitat 5).

Zitat 3: Ende Schuljahr

LP_1: Aber die Kinder [...] sind leistungsbereit. Ich finde, wir haben viele leistungsbereite Kinder. So Unmotivierte haben wir sehr wenige. [...]

LP_3: [...] Es ist so. [...] Ich spreche wirklich gerne davon. Im letzten [...] Jahrgang in der letzten Schulwoche wurde noch gearbeitet. Dieser Schüler X [wollte] unbedingt noch seinen Mathe-Auftrag abgeben. Sie haben bis – ich habe dies noch nie so erlebt – Ende dritter Klasse noch so viel gearbeitet. Wir haben, glaube ich, gearbeitet bis am Schluss. Auch mit den [leistungsschwächeren] B-Schülern [und B-Schülerinnen], und dies spricht wirklich für unsere Arbeit. (LP_Schule-M_t1)

Zitat 4: Wahl von Lerninhalten

LP_3: Dass man auf sie eingehen kann. Also eben, dass sie […] nicht kommen [und ich sage], das ist jetzt das, was du machst, sondern dass ich überlegen kann, von dem machst du jetzt das und einen Teil nimmst du von da und wir setzen das neu zusammen. […]

LP_1: Ja, es ist natürlich eine größere Motivation für sie.

LP_3: Das ist der Mehrwert. (LP_Schule-H_t3)

Zitat 5: Kompetenzraster

Es ist für viele auch motivierend, wenn sie zunächst auf ihrem Kompetenzraster sehen, wo sie stehen und wie sie vorwärtskommen mit ihren Lernnachweisen. So ist es immer ersichtlich und man sieht auch, wohin man kommen könnte. Vereinzelt ist es auch so, dass sie möglichst innerhalb eines Jahres aufsteigen möchten und nicht einfach ein Jahr lang noch im selben Niveau absitzen müssen. Sie wollen vorwärtskommen. Natürlich sind nicht alle so, aber viele funktionieren so und es motiviert sie richtig, wenn sie sehen, sie kommen vorwärts oder können sogar aufsteigen. Das ist cool. (LP_Schule-G_t1)

Das Zitat 5 zum Kompetenzraster zielt auf den letzten Inhalt dieser Dimension ab: Instrumente zur summativen und formativen Leistungsbeurteilung, mit denen der fachliche und überfachliche Kompetenzerwerb überprüft, dokumentiert und reflektiert wird. Wie das Zitat 5 zeigt, werden in Schule G mit Kompetenzrastern die Lernleistungen und deren Entwicklung über einen längeren Zeitraum hinweg dokumentiert und mit den Schülerinnen und Schülern regelmäßig besprochen. Weitere Instrumente sind die Notengebung, in die Lehrpersonen die Art und Weise der Lernprozessgestaltung während der offenen Unterrichtsphasen einfließen lassen, oder Portfolios, in denen wichtige Lernleistungen gesammelt werden.

7.3.4 Dritte Dimension: Selbstgesteuertes Lernen auf eigenen Wegen ermöglichen

In dieser Dimension sind Beschreibungen der Lehrpersonen und Schulleitenden zusammengefasst, in denen das Nutzungsverhalten der Schülerinnen und Schüler hinsichtlich eines „selbstgesteuerten Lernens auf eigenen Wegen“ geschildert wird. Selbstgesteuertes Lernen wird verstanden als eigenständig erlebtes Lernen mit Autonomiespielräumen und Wahlmöglichkeiten bezüglich Themen, Lernwegen, Lernzeittaktung und Lernorten (Stebler et al., 2017). So können die Schülerinnen und Schüler die Möglichkeit nutzen, die Aufgaben im offenen Unterricht in ihrem Lerntempo zu lösen:

Ja und die [Schülerinnen und Schüler] können wirklich auch vorwärts[machen] mit ihrem Programm, wo andere vielleicht länger Zeit benötigen. Wir stoppen sie dort nicht und verbieten ihnen weiterzuarbeiten, weil die anderen noch nicht so weit sind. Sondern sie können dann wirklich mit ihrem Programm […] fortfahren. (LP_Schule-K_t1)

Hierfür planen die Schülerinnen und Schüler ihre Stunden selbst und teilen sich die Zeit ein, indem sie festlegen, wann sie welche Aufgaben bearbeiten: „Dazu kommt, dass im [offenen Unterricht] sie selbständig entscheiden können, wie lange sie an etwas arbeiten wollen, und sie sich dort wirklich auch die Zeit einteilen müssen. Das, finde ich, […] ist ein großer Teil“ (LP_Schule-L_t1). Die erledigten Lernaufgaben können die Schülerinnen und Schüler in Schule K selbst kontrollieren:

Die [Schülerinnen und Schüler] haben immer und zu jeder Zeit Zugang zu den Lösungen. Also es ist nicht so: „Mach diese Aufgaben, wir korrigieren sie dann morgen zusammen“, sondern es ist Teil des Systems, dass sie ganz viel oder eigentlich das meiste selber korrigieren, selber kontrollieren und selber merken müssen. (LP_Schule-K_t1)

Teil des selbstständigen Lernens ist dessen Reflexion. Es gibt immer wieder Sequenzen, in denen die Schülerinnen und Schüler ihre eigenen Lernwege reflektieren: „Wir haben noch [ein Planungsinstrument], [in das die Schülerinnen und Schüler] hineinschreiben müssen, […] was sie in dieser [offenen Unterrichts-]Stunde gemacht haben, [und] eine kleine Reflexion, wie es gegangen ist und über die Stunde“ (LP_Schule-A_t1). Dass solche Reflexionsphasen herausfordernd sein können, verdeutlicht folgendes Zitat:

Und auch was Reflexionsfähigkeit angeht, müssen sie eben […] immer wieder […] gucken: Was habe ich gemacht? Was steht noch an? Wo habe ich Probleme? Warum habe ich die Probleme? Also wirklich auch sich selber hinterfragen. […] Das ist auch ein großes Thema, auf jeden Fall. Ja. (LP_Schule-E_t3)

Ein weiterer Aspekt dieser Dimension sind Lernwerkzeuge. Die Schülerinnen und Schüler kennen zum einen verschiedene Lernwerkzeuge und zum anderen nutzen sie diese auch aktiv (Stebler et al., 2017). Lernwerkzeuge umfassen Lernstrategien für den fachlichen (z. B. Lesestrategien) und überfachlichen Kompetenzerwerb (z. B. selbstständige Reflexion der eigenen Lernwege) sowie Hilfsmittel, die den selbstständigen Lernprozess unterstützen (z. B. computerbasierte Lernprogramme).

In Abschnitt 7.3.1 wurde definiert, dass in dieser Kategorie die Beschreibungen des Nutzungsverhaltens der Schülerinnen und Schüler codiert werden. Allerdings gibt es zwei Ausnahmen: Erste Ausnahme ist, wenn Schulleitende und Lehrpersonen beschreiben, wie sie mit den Schülerinnen und Schülern den Einsatz solcher Lernwerkzeuge einüben, damit sie im offenen Unterricht selbstständig arbeiten und lernen können: „Wir haben ja noch die Lerntechniken und diese werden explizit eingeführt, aufgefrischt und verlangt. […] Es gibt eine [Lehrpersonen-]Gruppe, die sich darum kümmert. In der Vorbereitung oder auch nachher gibt es immer wieder einen Anstoß, [die Lerntechniken] wieder durchzuführen“ (LP_Schule-L_t1). Die zweite Ausnahme sind Instrumente für Lehrpersonen, die es ihnen ermöglichen, die individuellen Lernwege zu verwalten, damit die Schülerinnen und Schüler im offenen Unterricht selbstständig arbeiten und lernen können (z. B. Software zur Verwaltung von zu lösenden und bereits erarbeiteten Lernaufgaben). Des Weiteren zu nennen sind diesbezüglich Instrumente für Schülerinnen und Schüler, mit denen sie ihre eigenen Lernwege planen, verwalten und reflektieren können (z. B. Wochenplan, Agenda).

7.3.5 Vierte Dimension: Kompetenzorientiertes Lernen zur persönlichen Sache machen

Kompetenzorientiertes Lernen zur persönlichen Sache zu machen bedeutet, dass sich die Schülerinnen und Schüler zur Anstrengung und Übernahme von (Mit-)Verantwortung für zielerreichendes Lernen verpflichten und sich an verbindlichen Kompetenzerwartungen und Gütemaßstäben messen lassen (Stebler et al., 2017). Dies zeigt sich etwa darin, dass die Schülerinnen und Schüler in Schule L mitbestimmen können, wann Gelerntes überprüft wird und in welchem Format das geschehen soll (Zitat 1). Auch in Schule K schätzen die Schülerinnen und Schüler selbst ein, wann der für sie beste Zeitpunkt eines Leistungstests ist (Zitat 2).

Zitat 1: Zeitpunkt und Form der Leistungsüberprüfung

SL_1: [Es gibt] alle Varianten von [...] Tests, die während [...] des offenen Unterrichts [individuell] gemacht werden können, dann, wann die Schülerinnen und Schüler wollen.

SL_2: Also wir versuchen auch manchmal [zu] sagen: „Du hast jetzt das gemacht, wie beweist du dir jetzt, dass du das kannst?“ [Es gibt] Lernbilder, Mind-Mapping [oder] einen Vortrag, [womit] [die Schülerin/der Schüler] schnell alle informiert, was [sie/er] gelernt hat […]. [Die Lehrperson] muss [fairerweise] am Anfang sagen, wie [die Schülerin oder] der Schüler beurteilt [wird]. Also wie beweist [die Schülerin/der Schüler] mir schlussendlich, dass [sie/er] das kann. Das kann auch ein klassischer Test sein. Und der kann zu einem Zeitpunkt X oder individuell sein, indem [die Schülerin/der Schüler] mir sagt: „Jetzt habe ich es geschnallt, Sie, ich kann das jetzt gut. Kann ich den Test machen?“ (SL_Schule-L_t1)

Zitat 2: Zeitpunkt der Leistungsüberprüfung

Ich versuche. mehr Eigenverantwortung [an die Schülerinnen und Schüler] abzugeben. Das heißt, [sie müssen] selber rausfinden, bin ich bereit für die Prüfung. Wenn nicht, was brauche ich noch? Was muss ich von […] der Lehrperson noch holen, dass [ich] bereit [bin für die Prüfung]? (LP_Schule-K_t3)

Zudem berichten die Lehrpersonen von Schule L, dass die Schülerinnen und Schüler eigene Entscheidungen in ihrem Lernprozess treffen und diesen mitverantworten. Dies bringe mit sich, dass nicht nur positives, sondern auch lernhinderliches Lernverhalten (z. B. Abschreiben) gezeigt werde:

LP_2: Ein Teil [...] ist auch, dass [die Schülerinnen und Schüler] jetzt viel mehr Entscheidungen treffen müssen, wie [sie] dies gelernt [haben] oder nicht, oder haben [sie es] nur gemacht oder haben [sie] es auch gelernt. Haben [sie] abgeschrieben oder haben [sie] es nochmals angeschaut? In diesem Umfeld eigene Entscheidungen zu treffen, ist für mich auch noch eine wichtige Sache von Individualisierung oder Personalisierung.

LP_1: Ich finde, dort ist es weniger häufig eine Entscheidung zum vornherein. Dies machen vielleicht die Besten, aber viele werden gespiegelt, wenn sie schon die Entscheidung falsch getroffen haben. Also wenn sie es erledigt und nicht gelernt haben. (LP_Schule-L_t1)

Des Weiteren lässt sich Mitverantwortung von Schülerinnen und Schülern in Interviewaussagen erkennen, in denen beschrieben wird, wie sie aktiv auf die Lehrpersonen zugehen und für ein nächstes Coaching-Gespräch anfragen oder ihre eigenen Coaching-Gespräche selbst vorbereiten: „Und auch den Kindern diese Verantwortung zu übergeben und sie auch ein Stück weit zwingen und sagen, schau wir haben jetzt ein halbstündiges [Coaching-]Gespräch. Du bereitest das vor und es ist in deiner Verantwortung, über was wir hier sprechen“ (LP_Schule-E_t3). Oder sie fragen die Lehrperson oder Mitschülerinnen und Mitschüler bei Verständnisproblemen in der Aufgabenbearbeitung in offenen Unterrichtsphasen: „Wenn du im [offenen Unterricht] bist, kommen dich [die Schülerinnen und Schüler] mehr fragen, also gerade die schwächeren Schüler [und Schülerinnen]“ (LP_Schule-H_t2). Auch die Zuverlässigkeit beim selbstständigen Bearbeiten von Lernaufgaben wird als Teil des eigenverantwortlichen Lernens verstanden. Dass dies nicht bei jeder Schülerin und jedem Schüler zu beobachten ist, verdeutlicht nachfolgendes Zitat: „Die Zuverlässigen sind weiterhin zuverlässig und die Unzuverlässigen bringen die Sachen bis heute noch nicht“ (LP_Schule-L_t2). Eine Herausforderung bezüglich des eigenverantwortlichen Lernens ist das Abschreiben:

Für die Zukunft habe ich einen Punkt, der mir jetzt aufgefallen ist. Es wird erstaunlich viel [...] Zeug abgeschrieben. Man kommt in den Clinch zeitlich, will die Sachen nicht nach Hause nehmen, also schreibt man schnell [vom] Kollegen oder [von der] Kollegin ab. (LP_Schule-L_t3)

Eine weitere Herausforderung wird im Abarbeiten von Lernaufgaben ohne damit einhergehende intensive Auseinandersetzung mit den Lerninhalten gesehen. Eigenverantwortliches Lernen würde im Gegensatz dazu bedeuten, dass sich die Schülerinnen und Schüler auf das Thema einlassen und sich in einer fruchtbaren Lernumgebung verstehensorientiert damit auseinandersetzen. Ein Beispiel hierfür sind die in Schule M eingesetzten Problemlöseaufgaben:

Die […] Sequenz der Problemlösung dauerte 100 Minuten. Also die Kinder arbeiteten in gemischten Gruppen, altersdurchmischt, in geschlechtsgemischten Gruppen, teilweise alleine, manchmal zu zweit, manchmal zu dritt an dieser Problemlösung. Musst du dir jetzt mal vorstellen, eineinhalb Stunden […] eine ganze Klasse hochkonzentriert. (SL_Schule-M_t1)

Die Schulleitenden und Lehrpersonen schildern, dass die meisten Schülerinnen und Schüler zu Beginn kaum eigenverantwortlich lernen würden, und halten fest, dass diese Kompetenz unter der Leitung der Lehrpersonen schrittweise aufgebaut werden sollte: „Sie wären von Anfang an komplett überfordert, wenn sie zu viel Eigenverantwortung oder individuelle Lernangebote haben. Das ist auch eine Erfahrung, die wir immer wieder machen, dass wir die Jugendlichen dort nicht überfordern dürfen“ (LP_Schule-G_t1).

7.3.6 Fünfte Dimension: Als Lehrperson und Lerngemeinschaft bildend und unterstützend wirken

Diese Dimension thematisiert im Kern die kooperative Gestaltung von Lehr- und Lernbeziehungen. Es wird unterschieden zwischen einerseits Lernunterstützung, -begleitung und -coaching durch die Lehrpersonen und andererseits dem Wirken der Lerngemeinschaft. Hinsichtlich der Kooperationsbeziehung zwischen der Lehrperson und den Schülerinnen und Schülern stehen in dieser Kategorie Aussagen zu der Frage, wie Lehrpersonen die Beziehungen dialogisch gestalten, im Zentrum. Aussagen zu den organisationalen Strukturen und Konzeptionen, zu den Materialien und Instrumenten sowie zu den Inhalten werden unter der ersten Dimension (siehe Abschnitt 7.3.2) gefasst. Das Handeln der Lehrpersonen ist von einer begeisternden, zumutenden und herausfordernden Art geprägt (Stebler et al., 2017). Sie ermutigen die Schülerinnen und Schüler (Zitat 1) und fordern sie heraus (Zitat 2):

Zitat 1: Ermutigen

Und immer, wenn ein Kind den Eindruck hat, ich möchte jetzt das probieren, obwohl das ein bisschen schwieriger ist, dann versuchen wir das Kind dazu zu ermutigen. Und wenn es sich überfordert, dann versuchen wir mit ihm das so zu besprechen, dass es merkt, das ist okay, wenn es das jetzt nicht kann, und dass es versteht, dass es auch später noch eine Gelegenheit hat, [...] das zu lernen. (LP_Schule-M_t1)

Zitat 2: Herausfordern

Das ist dann eigentlich die große Kunst der Lehrperson, [die Schülerinnen und Schüler] herauszufordern, dass sie [...] wirklich am höchsten [...] Niveau kratzen, welches sie können, sodass sie nicht überfordert sind, dass sie wieder einen Dämpfer erhalten, aber dass sie sich wirklich herausfordern. (SL_Schule-F_t1)

Solche Lerndialoge

  • sind vertrauensvoll geführte Gespräche, in denen Schülerinnen und Schüler ehrliche Rückmeldungen geben können: „Die Kinder melden uns das [direkt], wenn wir zu lange instruieren. Dann meldet sich vielleicht einer und fragt: ‚Können wir anfangen zu arbeiten?‘ […] Gut, es ist bestimmt auch das Klima. […] Sie wissen, sie dürfen solche Sachen sagen“ (LP_Schule-M_t1).

  • orientieren sich an der individuell und realistisch eingeschätzten Leistungserwartung an die Schülerinnen und Schüler.

  • haben einen reflektierenden Charakter. Lernprozesse werden gemeinsam reflektiert: „Wir sprechen […] – ganz individuell – [über] diese [Lern-]Schwierigkeiten, die es gibt, oder sagen, was gut gelaufen ist“ (LP_Schule-M_t1).

  • unterstützen die Schülerinnen und Schüler im selbstständigen und eigenverantwortlichen Lernen: „Das üben sie gerade mit den Wochenschwerpunkten. Das ist eine gute Art, ihnen die Unterstützung zu geben, [damit] sie die Informationen finden, die sie brauchen“ (LP_Schule-G_t1).

  • gründen auf einer positiven Lehr- und Lernbeziehung: „Wir lernen ja füreinander und für die Beziehung […] und das müssen wir hinkriegen. […] Ohne Beziehung gibt es kein Denken und kein freies Sichausdrücken“ (SL_Schule-M_t1).

Des Weiteren wirkt die Lerngemeinschaft bildend. Dies wird beispielsweise in Aussagen beschrieben, in denen das Miteinander- und Voneinanderlernen in Partner- und Gruppenarbeiten oder weiteren kooperativen Lehr- und Lernformen erläutert wird:

Die Ziele sind schon […] die […] Gemeinschaft und das finde ich jetzt noch persönlich auch wichtig, dass man […] am gleichen Gegenstand auch bleibt […] und nicht jeder macht völlig etwas anderes. […] Es ist dann auch das Wertvolle, [wenn] sie voneinander lernen oder beim anderen schon schauen, aha, der hat jetzt auch schon mit dem Zirkel gearbeitet, ah genau, […] dort kann ich auch schauen gehen und der kann mir auch einmal sagen, wie ich diesen Zirkel in die Hand nehme. (LP_Schule-F_t1)

Für ein ko-produktives Lernen an gemeinsamen Lernaufgaben ist den Lehrpersonen von Schule J ein lernwirksames Sozialklima wichtig, das u. a. durch Intervenieren der Lehrpersonen bei Störungen gefördert wird:

Und am Anfang [gehen] alle Lehrpersonen vom Schulhaus in ihre Klasse, stehen hin und sagen: „Hört zu! Es läuft im Moment nicht gut. Ihr habt ein Time-out, damit ihr besser lernen könnt und dass die, die lernen wollen, auch ihre Möglichkeiten haben. Wir wünschen euch viel Kraft, dass ihr das gut durchsteht.“ Wir wissen alle von dem und dann gilt das [...]. Meistens reichen drei Wochen und dann läuft es ziemlich gut. Es braucht natürlich noch ein oder zwei Kinder, die es so weiterziehen müssen. Die es noch nicht begriffen haben. [...] Dann kann man der Klasse gratulieren und sagen, doch jetzt ist gut. Weiter so! [...] Dann reicht das meistens. (SL_Schule-J_t1)

Die Schülerinnen und Schüler können nicht nur hinsichtlich Aufgabenbearbeitung miteinander und voneinander lernen, sondern auch bei der Organisation des selbstständigen und eigenverantwortlichen Lernens:

Auch [helfen sie sich viel untereinander] wie die [Aufgabensammlungen] bearbeitet werden oder bei Aufträgen am Computer oder [...] wie man sich auf die Prüfung vorbereiten kann. Manchmal auch: „Hey schau, nun hast du nicht richtig korrigiert!“ [...] Oder jemand sagt: „Nein, geh nochmals zur LP_3 und lass dir das Blatt nochmals geben.“ Sie helfen sich recht gut. (LP_Schule-K_t1)

Die Wahl der Lernpartnerinnen und Lernpartner beschäftig die Schulleitung von Schule M: Suchen sich die Schülerinnen und Schüler ihre Lernpartnerinnen und Lernpartner selbst und sollen sie die Auswahl begründen oder werden Zuteilungen vorgenommen?

Ich muss heute den Kindern der Mittelstufe sagen: „Wählt euch einen Lernpartner, mit dem ihr gut lernen könnt.“ Dann ist das klar. Da gehen Mädchen und Jungs zueinander. [...] Dann fragst du sie noch: „Wie habt ihr da zusammengearbeitet?“ [Und ein Kind antwortet:] „Ja mit [Schüler X] geht es eben sehr gut oder mit [Schülerin Y] kann ich gut zusammenarbeiten.“ Und manchmal sind auch noch etwas andere Gefühle dabei. Aber das ist ja auch schön. Statt [dies ins Lächerliche zu ziehen], kann man die auch produktiv nutzen. (SL_Schule-M_t1)

Auch die Frage, ob alle Schülerinnen und Schüler für das gegenseitige Helfen und Unterstützen kompetent sind und wie dafür notwendige Kompetenzen aufgebaut und eingeübt werden können, wird in den Interviews besprochen. In Schule M thematisieren die Lehrpersonen, wie sich die Schülerinnen und Schüler lernwirksam helfen können: „Wir [besprechen mit] den Kindern: […] ‚Wie hilfst du einem anderen Kind?‘ […] Wie hilfst du, dass das schlau ist, für beide Beteiligten? Über das sprechen wir mit den Kindern und einmal hatten wir so ein Helferkürslein initiiert“ (LP_Schule-M_t1).

Jedoch umfasst Lerngemeinschaft nicht nur die Lehrperson und die Schülerinnen und Schüler, sondern in einem weiteren Sinne auch intensiv miteinander kooperierende Teams von Lehrpersonen (siehe Abschnitt 7.2.1.13) oder die gesamte Schulgemeinschaft (siehe Abschnitt 7.2.1.16), in der etwa gemeinsame Schulfeste und Projektarbeiten durchgeführt werden. Diese Aspekte werden hier nicht aufgeführt, weil die diesbezüglichen Fundstellen nicht zu dem dieser Arbeit zugrunde liegenden Verständnis von Unterrichtsentwicklung (siehe Abschnitt 4.5.1) passen.

7.3.7 Zusammenfassung der Ergebnisse

Die in den vorhergehenden Kapiteln dargelegten Auswertungen gehören zu den ersten empirischen Arbeiten auf Grundlage der fünf Dimensionen personalisierten Lernens. Diese Dimensionen wurden erst im späteren Verlauf des perLen-Projekts definiert und publiziert, weshalb deren Wortlaut die Datenerhebung in den Interviews kaum tangiert hatte. Konkret heißt dies, dass nicht direkt nach den Dimensionen gefragt wurde. Dennoch lassen sich allen Dimensionen Textstellen aus den Interviews in allen Schulen zuordnen. Allerdings mussten die fünf Dimensionen für eine eindeutige Codierung angepasst werden. So wurde die Unterscheidung zwischen Lernangebot, Lernnutzung und Bildungswirkung ergänzt. Aussagen zur Gestaltung des Lernangebots wurden entweder in der ersten oder der fünften, Aussagen zum Nutzungsverhalten der Schülerinnen und Schüler in der dritten oder der vierten und Aussagen zur Bildungswirkung in der zweiten Dimension codiert. Darüber hinaus wurden Aussagen zu den Inhalten und den Organisationsstrukturen der Lernunterstützung der ersten und Aussagen zur Frage, wie die Lernunterstützung gestaltet wird, der fünften Dimension zugeordnet.

Bezogen auf eine unterrichtszentrierte Schulentwicklung in Richtung personalisierten Lernens zeigen die Ergebnisse, dass Schulleitende und Lehrpersonen ein Lernangebot unter Berücksichtigung der personalen Voraussetzungen der Schülerinnen und Schüler entwickeln. Sie ermöglichen und unterstützen selbstständige und eigenverantwortliche Lernprozesse, in denen vermehrt eigene Entscheidungen in Bezug auf Lernzeit, Lernaufgaben, Lernthema und Lernpartnerin oder Lernpartner getroffen werden können. Es wird nicht nur ein fachlicher, sondern vermehrt auch ein überfachlicher Kompetenzerwerb gefördert, damit die Schülerinnen und Schüler u. a. dazu befähigt werden, die offeneren Lernumgebungen wirkungsvoll zu nutzen. Zudem bilden Schulleitende, Lehrpersonen und Schülerinnen und Schüler eine Lerngemeinschaft und wirken darin auf nachhaltige Bildungsprozesse.

7.4 Studie 2/Teil 2: Merkmale der Oberflächen- und Tiefenstruktur von Unterricht in der Entwicklung einer vermehrt personalisierten Gestaltung von Lehr- und Lernprozessen

Für nachhaltige Bildungsprozesse ist das didaktische Handeln einer Lehrperson hoch relevant. Dieses lässt sich zu zwei Qualitätsebenen von Unterricht in Beziehung setzen: Dies ist einerseits die lernorganisatorische Gestaltungsebene und somit die Oberflächenstruktur von Unterricht, wozu beispielsweise Inszenierungsformen und Unterrichtsmethoden gehören. Andererseits handelt es sich um die – oftmals nur indirekt wahrnehmbare – Tiefenebene der psychologischen Qualität der Angebotsgestaltung, des Lehrens und der Impulsgebung, wodurch kognitive, motivational-emotionale und soziale Dynamiken des Lernens bei Schülerinnen und Schülern erst ausgelöst werden. Zu den Qualitätsmerkmalen der Tiefenstruktur von Unterricht gehören kognitive Aktivierung, adaptive Lernunterstützung oder effektive Klassenführung (siehe Abschnitt 4.5.1.3).

Nachfolgend geht es darum, zu ermitteln, inwiefern sich die Aussagen der interviewten Personen über die Gegenstände, Ziele und Maßnahmen der Unterrichtsentwicklung in Richtung personalisierten Lernens auf die Oberflächen- bzw. auf die Tiefenstrukturebene von Unterricht beziehen (2. Forschungsfrage: Welchen Merkmalen auf zwei Qualitätsebenen des Unterrichts (Oberflächen- und Tiefenstrukturebene) personalisierten Lernens lassen sich die identifizierten Entwicklungstätigkeiten zuordnen?). Für die Beantwortung dieser Fragen wurden die Fundstellen der im ersten Teil von Studie 2 vorgenommenen (dimensionalen) Codierung (siehe Abschnitt 7.3) zuerst zu Summaries verdichtet. Hierfür wurden pro Interview und pro Kategorie die Interviewaussagen zusammengefasst, die mit einem Kategorieninhalt übereinstimmen. Beispiel eines Inhaltes der ersten Dimension personalisierten Lernens ist die Differenzierung von Lerninhalten hinsichtlich von Alters- und Leistungsniveaus: Wenn sich die interviewte Person in einem Interview einmal oder mehrmals zu diesem Thema äußert, wurde diese Aussagen zu einem Summary zusammengefasst. Auf diese Weise ergaben sich innerhalb einer Kategorie – respektive einer Dimension personalisierten Lernens – und eines Interviews mehrere Summaries. Bereits während dieser Formulierung der Summaries wurden diese in einem weiteren Schritt im Hinblick auf Merkmale der Oberflächen- und Tiefenstruktur von Unterricht differenziert. Anschließend wurden die Summaries aller Interviews einer Schule ausgezählt und in ein prozentuales Verhältnis gesetzt.

Mit diesem Analyseschritt wird der gesamthafte, in den Interviews beschriebene Entwicklungsprozess in jeder der elf Schulen fokussiert. Einzelne Untersuchungen der Zeiträume zwischen den Erhebungen, so wie es in Teil 1 von Studie 1 praktiziert wurde (siehe Abschnitt 7.1), werden nicht angestrebt. Das Ziel besteht vielmehr darin, die quantifizierten Interviewdaten mit den Angaben aus dem Fragebogen zum eingeschätzten Entwicklungsstand zu kombinieren. Da sich die Einschätzung des Entwicklungsstands nicht auf einen einzelnen Erhebungszeitpunkt bezieht, werden die Summaries der einzelnen Interviews pro Schule zusammengenommen.

Im Folgenden wird dargelegt, welche Aspekte der Oberflächen- und der Tiefenstruktur von Unterricht in den Interviewaussagen zur Unterrichtsentwicklung thematisiert werden (Abschnitt 7.4.1; Teilfrage 2.3; siehe Abschnitt 1.4). Anschließend wird beschrieben, in welchem prozentualen Verhältnis die Anteile der Interviewaussagen, die der Qualitätsebene der Oberflächenstruktur des Unterrichts zugeordnet werden können, zu den Anteilen der Interviewaussagen, die der Qualitätsebene der Tiefenstruktur von Unterricht zugeordnet werden können, stehen (Abschnitt 7.4.2; Teilfrage 2.4; siehe Abschnitt 1.4).

7.4.1 Kategoriensystem zu Merkmalen der Oberflächen- und der Tiefenstruktur von Unterricht

Die im Folgenden dargestellten Ergebnisse gründen auf den Interviewaussagen zur Unterrichtsentwicklung aus dem ersten Teil von Studie 1 (siehe Abschnitt 7.1.1). Unterricht wird anhand der drei Teilkulturen des didaktischen Dreiecks (u. a. Reusser, 2008) definiert: Ziel- und Stoffkultur, Lehr- und Lernkultur sowie Interaktions- und Unterstützungskultur (siehe Abschnitt 4.5.1.2). Die Aussagen werden hinsichtlich dieser drei Teilkulturen ausgewertet. Nicht in die Analyse mitaufgenommen werden Aussagen zur Entwicklung organisationaler Strukturen (siehe Abschnitt 4.5.2), wie beispielsweise Flexibilisierung des Stundenplans, Umbau und Möblierung von Lernräumen oder die Durchmischung von Lerngruppen. Diese Aspekte lassen sich in Anlehnung an das uSpL-Modell der Schulebene zuordnen (siehe Abschnitt 4.2), weil sie systematische Entwicklungstätigkeiten mit dem Ziel umfassen, einheitliche Organisationsstrukturen in der gesamten Schule einzurichten.

Die Aussagen zur Unterrichtsentwicklung wurden bereits im ersten Teil von Studie 2 anhand der Dimensionen personalisierten Lernens codiert (siehe Abschnitt 3.2). Die Fundstellen werden in Summaries zusammengefasst und den Merkmalen der Oberflächen (Abschnitt 7.4.1.1) respektive der Tiefenstruktur von Unterricht (Abschnitt 7.4.1.2) zugeordnet.

7.4.1.1 Merkmale der Oberflächenstruktur von Unterricht

Summaries der Oberflächenstruktur beinhalten zusammengefasste Äußerungen der Schulleitenden und Lehrpersonen zu Aspekten der Lerninfrastruktur sowie des organisatorischen und unterrichtsmethodischen Handelns, die einen binnendifferenzierenden, adaptiven und individualisierten Unterricht und Wahl- sowie Entscheidungsfreiräume im Lernen ermöglichen. Anhand von drei Zitaten aus den Lehrpersoneninterviews von Schule G (erster Erhebungszeitpunkt) wird das Vorgehen nachfolgend illustriert. Im ersten Zitat wird die Methodenvielfalt thematisiert: „Ich persönlich lege viel Wert darauf, dass ich über eine Methodenvielfalt im Unterricht verfüge und es nicht nur Frontalunterricht ist, sondern alles Mögliche, x-verschiedene Formen, die es gibt. Ich probiere auch, viele spielerische Sachen einzubauen“ (LP_Schule-G_t1). Das zugehörige Summary lautet wie folgt: „Die Lehrpersonen setzen vielfältige Lehr- und Lernmethoden ein.“ In den nächsten beiden Zitaten werden kooperative Lernsituationen zwischen Schülerinnen und Schülern in offenen Unterrichtsphasen beschrieben:

Zitat 1: Gemeinsames Bearbeiten von Lernaufgaben

Kooperative Lernformen haben wir ganz unterschiedliche. Schon rein dadurch, dass sie alle wie in einem Großraumbüro miteinander an unterschiedlichen Aufträgen arbeiten. Es gibt aber immer wieder, dass sie regelmäßig […] auch die gleiche Arbeit haben. Das gibt ihnen immer wieder die Möglichkeit, Synergien zu nutzen. […] Wenn sie in derselben [Lerngruppe] sind, können sie immer zusammen den Auftrag bearbeiten. Das ist etwas, das bei uns sehr viel gemacht wird. (LP_Schule-G_t1)

Zitat 2: Gegenseitiges Helfen und Unterstützen

Was ich auch noch spannend finde, ist, dass oft ältere Schüler [und Schülerinnen] oder Schüler [und Schülerinnen] in höheren Niveaus wirklich auch den Jüngeren helfen oder sie unterstützen. […] Ich sage oft: „Geh mal schnell zu diesem, der kann dir hier bei dem helfen, weil er auch zum Teil wirklich besser ist in gewissen Bereichen als ich.“ (LP_Schule-G_t1)

Die Beschreibung kooperativer Lernsituationen zwischen den Schülerinnen und Schülern erfolgt in Zitat 2 anhand der gemeinsamen Bearbeitung von Lernaufgaben und in Zitat 3 anhand des gegenseitigen Helfens und Unterstützens beim Aufgabenlösen. In den Zitaten werden Aspekte der organisatorischen und strukturellen Ebene erläutert: Lehrpersonen ermöglichen ein Miteinander- und Voneinanderlernen durch eine entsprechende Lerninfrastruktur; kooperatives Lernen findet oft statt und beim Helfen und Unterstützen gibt es einen Altersunterschied zwischen den Schülerinnen und Schülern. Die zwei zugehörigen Summaries werden den folgenden Merkmalen der Oberflächenstruktur zugeordnet:

  • Häufigkeit, Struktur und Organisation

    1. o

      von Lehr- und Lernformen (z. B. stufenübergreifender Projektunterricht, außerschulische Praktika, Lerntechniken, -methoden sowie -strategien für selbstständiges Lernen, Miteinander- und Voneinanderlernen der Schülerinnen und Schüler, binnendifferenzierte Übungsphasen, computerbasierte Lernprogramme);

    2. o

      von Aufgabensammlungen und Einsatz von Lehrmitteln;

    3. o

      der Lernunterstützung (z. B. Zeit, Ort und Häufigkeit von Coaching-Gesprächen und besondere Formen der Lernunterstützung mit Schulischer Heilpädagogin/Schulischem Heilpädagogen, DaZ-Lehrperson, Logopädin/Logopäden, Schulsozialarbeiterin/Sozialarbeiter etc.);

  • Erstellen und Verwenden von Stoffplänen (z. B. Kompetenzpässe und -raster, Drei-Jahres-Stoffpläne, Anpassung der Lerninhalte an heterogene Lerngruppe, Anordnung der Lerninhalte im Spiralprinzip);

  • Konzeption, Entwicklung und Verwendung von Instrumenten der Leistungsbeurteilung sowie weiteren Verfahren der Notengebung;

  • Instrumente zur Verwaltung und Dokumentation personalisierten Lernens (z. B. schulinterne und schulexterne Datenbanken, Planungsinstrumente, Kompetenzraster);

  • Organisation und Strukturierung der Lerngruppe im Unterricht, beispielsweise in Partner- oder Gruppenarbeiten (freie Partnerwahl, von Lehrpersonen zusammengestellte Gruppen etc.);

  • Strukturierung der Lernzeit im Unterricht (Fristen für die Bearbeitung der Aufgabensammlungen etc.).

7.4.1.2 Merkmale der Tiefenstruktur von Unterricht

Merkmale der Tiefenstruktur beziehen sich auf die Beschreibung psychologisch-pädagogischer Prozesse und Merkmale guten Unterrichts. Lehrpersonen gestalten anregende und motivierende Lernumgebungen mit kognitiv aktivierenden Lernaufgaben und mit einer förderlichen Lernatmosphäre. Die Dialoge mit den Schülerinnen und Schülern sind von einer ko-konstruktiven Gesprächsführung geprägt und unterstützen sie in ihren Lernprozessen. Das Lernangebot passen die Lehrpersonen an die individuellen Voraussetzungen und Bedürfnisse sowie an die Fähigkeiten und Fertigkeiten an. Beispielsweise erhalten leistungsstärkere Schülerinnen und Schüler anspruchsvollere Lernaufgaben als leistungsschwächere Schülerinnen und Schüler.

Insgesamt konnten fünf Merkmale der Tiefenstruktur von Unterricht extrahiert werden. Diese werden im Folgenden beschrieben und je mit einem Summary-Beispiel und einem Zitat oder mehreren Zitaten unterlegt.

Merkmal 1: Kognitiv und motivational aktivierende Lernumgebung

Hierunter sind Aussagen gefasst, die sich beispielsweise auf qualitativ hochwertige (Problemlöse-)Lernaufgaben für geführte und offene Unterrichtsphasen, die tiefgreifende Verstehensprozesse evozieren, oder auf Lernziele, Lerninhalte und Lernaufgabe, die an die individuellen Lernvoraussetzungen und -bedingungen angepasst werden, beziehen.

Summary-Beispiel: In Schule E berichten die Lehrpersonen, dass die Schülerinnen und Schüler vor allem bei langfristigen Arbeitsaufträgen die Möglichkeit haben, sich mit Lerninhalten, die sie interessant finden, vertieft auseinanderzusetzen. Dies kommt im folgenden Zitat zum Ausdruck:

Dann mehr in die Tiefe geht als einfach nur […] ein Arbeitsblatt [ausfüllen] und das Thema haben wir jetzt [und] können wir jetzt. Sondern [die Schülerinnen und Schüler] beschäftigen sich in vielen Fächern dort, wo sie Interessen haben, in die Tiefe. Also wenn ich jetzt an die Langzeitaufträge denke, dort können sie ja oft ganz wählen […] was sie wirklich interessiert. (LP_Schule-E_t1)

Merkmal 2: Ko-konstruktive und adaptive Lernunterstützung, ausgerichtet auf die Lerninteressen und -voraussetzungen der einzelnen Schülerinnen und Schüler

Unter einer ko-konstruktiven und adaptiven Lernunterstützung sind Aussagen zu folgenden Themen gefasst:

  • Unterstützung der Schülerinnen und Schüler im Organisieren und Strukturieren von Lernprozessen im offenen Unterricht,

  • adaptive Lernunterstützung bei fachlichen Verständnisschwierigkeiten hinsichtlich von Lerninhalten und Lernaufgaben,

  • Phasen des scaffolding und fading,

  • prozessbegleitende Lernberatung, in deren Rahmen individuelle Lernwege und Arbeits- sowie Lösungsstrategien mit den Schülerinnen und Schülern reflektiert werden,

  • hohe fachliche und überfachliche Leistungserwartung und

  • Lernunterstützung zwischen Schülerinnen und Schülern bei organisatorischen und inhaltlichen Verständnisproblemen.

Summary-Beispiel: In Schule F beschreiben die Lehrpersonen, wie sie ihre Lernunterstützung an die Kompetenz der Schülerinnen und Schüler, selbstständig und eigenverantwortlich zu lernen, anpassen. Zum Beispiel kommunizieren sie denjenigen Schülerinnen und Schülern, für die eine solch offene Lernumgebung herausfordernd ist, mit Nachdruck die Erwartungen an das Lernverhalten (Zitat 1) oder die Lehrpersonen reduzieren die zu bearbeitenden Lernaufgaben und überwachen häufiger die Lernprozesse der betreffenden Schülerinnen und Schüler (Zitat 2).

Zitat 1: Erwartungen in der Lernunterstützung kommunizieren

Ich denke, für gewisse Kinder ist es auch eine Herausforderung jetzt auch. Wir haben natürlich schon die, […] die man schon noch dann auch stark daran hinführen muss und […] auch wirklich dann manchmal hart sein muss und einfahren, wirklich einfahren, jetzt will ich es sehen und jetzt kommt es. (LP_Schule-F_t1)

Zitat 2: Anpassen der Lernunterstützung an die Kompetenz, selbstständig und eigenverantwortlich lernen zu können

LP_1: […] Ich betreue dann natürlich die [Schülerinnen und Schüler] auch individuell. Die einen brauchen überhaupt nichts und die anderen, eben mit den anderen streiche ich dann an, welche Aufgaben sie machen müssen, das ist wie so ein bisschen unterschiedlich.

LP_3: Oder ich weiß immer, bei welchem ich anklopfen muss und sagen, würdest du es mir mal zeigen.

LP_2: Genau, aber das ist wie so das, das Abschätzen und Einschätzen, bei wem muss ich jetzt wirklich und wen kann ich jetzt vielleicht auch ein bisschen laufen lassen, das finde ich schon auch noch. (LP_Schule-F_t1)

Ein weiteres Summary-Beispiel bezieht sich auf die Qualität der Lerndialoge: In den offenen Unterrichtsphasen kann es vorkommen, dass die Schülerinnen und Schüler Aufgaben eines für die anwesende Lehrperson fachfremden Fachs bearbeiten. Die Lehrperson von Schule E hebt in diesem Zusammenhang hervor, dass durch fragengeleitete Lerndialoge Wissensbestände bei den Schülerinnen und Schülern aktiviert werden, um das Verstehensproblem gemeinsam zu erschließen und ko-konstruktiv zu bearbeiten.

Und da finde ich ist […] gerade auch das Tolle, dass diese Situationen eben auch echt geschaffen werden. […] Wenn ich […] etwas mit [einer Schülerin oder] einem Schüler bearbeiten muss, von dem ich keine Ahnung habe […] und dann gibt es wirklich echte Beratungssituationen: Also was wissen wir […], was musst du am Schluss haben und hast du Hilfsmittel zur Verfügung? […] So können qualitativ sehr gute Gespräche entstehen. (LP_Schule-E_t1)

Merkmal 3: Unterrichts- und Klassenführung für ein lernförderliches Sozialklima

Beispiele für dieses Merkmal sind die folgenden:

  • Lehrpersonen unterstützen lernförderliches und intervenieren bei lernhinderlichem Verhalten der Schülerinnen und Schüler,

  • Schaffung einer produktiven Lernatmosphäre im offenen Unterricht,

  • Gestaltung und Förderung einer lernwirksamen Beziehung zwischen Schülerinnen und Schülern sowie zwischen Schülerinnen und Schülern und Lehrpersonen.

Summary-Beispiel: Die Lehrpersonen von Schule E halten fest, dass sie in den offenen Unterrichtsphasen stets eine produktive Lernatmosphäre schaffen möchten. In einer solchen Lernatmosphäre fühlen sich die Schülerinnen und Schüler wohl, werden bei Fehlern oder Verständnisfragen nicht bloßgestellt und können in einem ruhigen Lernklima arbeiten.

Und auch einen [Rahmen] schaffen, dass [die Schülerinnen und Schüler] sich wohlfühlen, dass sie nicht irgendwie das Gefühl haben, [sie] stelle[n] [sich] jetzt bloß vor den anderen, wenn [sie] irgendetwas nicht verstanden habe[n]. Eine Atmosphäre zu schaffen, [in der] es möglich ist, dass [die Schülerinnen und Schüler] ruhig arbeiten können. […] Also dass [es] nicht immer drunter und drüber geht. (LP_Schule-E_t1)

Merkmal 4: Förderung überfachlicher Kompetenzen für selbstständiges und eigenverantwortliches Lernen

In diesem Merkmal geht es darum, Schülerinnen und Schülern überfachliche beizubringen und diese mit ihnen zu üben, damit sie ihre Lernprozesse selbstständig und eigenverantwortlich steuern können, indem sie beispielsweise Lernpläne erstellen und umsetzen, konzentriert an ihren Lernaufgaben arbeiten, sich motivieren etc.

Summary-Beispiel: Selbstständiges und eigenverantwortliches Lernen, bei dem Schülerinnen und Schüler einen Plan erstellen und diesen abarbeiten, erfordert Motivation und Wille und ist für manche Schülerinnen und Schüler sehr herausfordernd (Zitat 3). Es kommt vor, dass Schülerinnen und Schüler vortäuschen, etwas zu arbeiten, aber eigentlich nur ruhig an ihrem Platz sitzen (Zitat 4) oder voneinander abschreiben (Zitat 5). Zielstrebige Schülerinnen und Schüler, die bereits wissen, welches ihre Ziele für den weiteren Bildungsweg sind, können gemäß den Aussagend der Lehrpersonen gut eigenverantwortlich lernen. Sie fordern Aufgabensammlungen und stecken sich selbst Lernziele (Zitat 6).

Zitat 3: Hoher Anspruch

LP_1: Dies ist ein hoher Anspruch, nur schon einen ganzen Morgen planen und dann an dem wirklich auch arbeiten. Auch probieren, das Ziel, das man sich gesetzt hat, zu erreichen. Zum Teil sind sie mit dem auch überfordert, das ist so, ja.

LP_2: Ja und dort sind wir, müssen wir ja auch, also sie sind ja auch hier, um dies zu lernen in diesen drei Jahren.

LP_1: Müssen sie, ja. (LP_Schule-D_t1)

Zitat 4: Vortäuschen von Arbeit

LP_1: Manchmal gehen einzelne Schüler [und Schülerinnen] noch vergessen, das müssen wir schon auch sehen. […] Es passiert, dass man jemanden wirklich vergisst. Für 14 Tage siehst du ihn nicht so bewusst.

LP_3: Das sind halt diejenigen, die vortäuschen, sie seien am Arbeiten und ganz schön brav am Tisch sitzen. (LP_Schule-D_t1)

Zitat 5: Abschreiben

LP_3: Und hier fragen manchmal die Besucher, die kommen, schreiben denn die nicht voneinander ab? Sie könnten schon, aber sie wollen ja für sich wissen, ob sie etwas können.

LP_1: Ja, also da müssen wir uns keine Illusionen machen. Sie haben auch Handy, Facebook und alles Mögliche. (LP_Schule-D_t1)

Zitat 6: Zielstrebiges Lernen

Durch die Prüfungen der Kantonsschule und die Berufe, die gelernt werden möchten. Das merken [die Schülerinnen und Schüler] jeweils schon Mitte der zweiten [Klasse] und wissen dann bereits, in welchen Fächern sie aufs Pedal drücken müssen. (LP_Schule-D_t1)

Merkmal 5 : Rückmeldungen und Feedback der Schülerinnen und Schüler an Lehrpersonen zum Unterricht und Nutzung der daraus gewonnenen Erkenntnisse für die Weiterentwicklung des Unterrichtskonzepts

Das fünfte und letzte Merkmal umfasst Feedbacks in Form von Evaluationen, mündlichen Rückmeldungen etc., auf deren Grundlage der Unterricht weiterentwickelt werden kann.

Summary-Beispiel: In Schule M werden regelmäßig schulinterne Befragungen mit Schülerinnen und Schülern, Lehrpersonen und Eltern durchgeführt (Zitat 7). Die Schulleitung befragt ihre Schülerinnen und Schüler in jedem Quintal zu dem Unterricht (Zitat 8).

Zitat 7: Schulinterne Evaluationen

[Wir machen] alle paar Jahre eine große Umfrage, [in der] die Eltern, die Kinder, alle Lehrpersonen befragt werden, ein riesiges Instrument. (SL_Schule-M_t1)

Zitat 8: Feedback von Schülerinnen und Schülern

Aber das Entscheidende ist, ich muss [in jedem] Quintal meine Schülerinnen und Schüler fragen: „Wie war der Unterricht, wie war ich als Lehrperson, wie war die Klasse, in Bezug auf dein Lernen?“ Und wir schreiben immer alles auf. […] Zu Beginn des Schuljahres sagen sie immer: „Was ist mir wichtig, wie musst du sein, wie muss der Unterricht sein, die Klasse?“ (SL_Schule-M_t1)

7.4.2 Absolute und relative Häufigkeiten der den Merkmalen der Oberflächen- und der Tiefenstruktur von Unterricht zugeordneten Summaries

In den Interviews werden sowohl Merkmale der Oberflächenstruktur als auch Merkmale der Tiefenstruktur beschrieben. Zudem ist die Anzahl der Summaries, die den Merkmalen der Oberflächenstruktur zugeordnet werden konnten (n = 613), ungefähr doppelt so hoch, wie die Summary-Anzahl der Merkmale der Tiefenstruktur (n = 286). Es werden vielfältige Merkmale beschrieben. Auf Ebene der Oberflächenstruktur sind es beispielsweise die Organisation von Lehr- und Lernformen, von Lernaufgaben/Aufgabensammlungen oder auch der Lernunterstützung. Bezüglich der Tiefenstruktur konnten fünf Merkmale gefunden werden, wie beispielsweise kognitiv aktivierende Lernumgebung, lernförderliches Unterrichtsklima oder Feedback von den Schülerinnen und Schülern für die Weiterentwicklung des Unterrichts. Auf dieser Grundlage wird nachfolgend aufgezeigt, zu welchen Anteilen die Anzahl der Summaries den Oberflächen respektive den Tiefenstrukturmerkmalen zugeordnet werden kann. Hierzu wurden die Summaries der Oberflächen- und der Tiefenstruktur aller Interviews einer Schule ausgezählt. Anhand dieser absoluten Häufigkeiten können die Schulen jedoch nur bedingt verglichen werden, weil in einer Schule fünf Interviews durchgeführt wurdenFootnote 13 und in den anderen Schulen vier. Für einen valideren Vergleich wurde deshalb das prozentuale Verhältnis berechnet. Das Ergebnis ist in Tabelle 7.7 dargestellt:

Tabelle 7.7 Absolute und relative Häufigkeiten der Summaries, die den Merkmalen der Oberflächen (OS) und der Tiefenstruktur (TS) von Unterricht zugeordnet werden konnten

In den absoluten Werten ergeben sich größere Varianzen. Die Anzahl der Summaries, die den Merkmalen der Oberflächenstruktur zugeordnet werden konnten, schwankt zwischen 40 (Schule B) und 75 (Schulen L und M). In der Zuordnung der Summaries zu Merkmalen der Tiefenstruktur weist Schule B mit 11 Summaries die geringste Anzahl auf, Schule M mit 48 die meisten Summaries. Auch bei den prozentualen Anteilen ergeben sich größere Varianzen. Schule M hat mit 39 Prozent den höchsten Anteil von Summaries, die den Merkmalen der Tiefenstruktur zugeordnet werden konnten, und Schule K mit 17.6 Prozent den geringsten Anteil. In Abbildung 7.1 sind die Schulen nach ihren prozentualen Anteilen sortiert.

Abbildung 7.1
figure 1

Summary-Anteile, die den Merkmalen der Oberflächen- und der Tiefenstruktur von Unterricht zugeordnet werden konnten

In Abbildung 7.1 ist zu erkennen, dass die Prozentwerte von Schule M bis Schule K unterschiedlich stark sinken. Während die Differenz der Prozentwerte von Schule M bis Schule A zwischen 0.4 Prozent (von Schule J zu Schule D) und 1.9 Prozent (von Schule M zu Schule G) liegt, ist dieser Wert von Schule A bis Schule K deutlich höher und beträgt zwischen 2.8 Prozent (von Schule F zu Schule B) und 4.4 Prozent (von Schule D zu Schule F). Dies ist ein Hinweis darauf, dass sich die Schulen M, G, E, L, H, J und A von den Schulen D, F, B und K systematisch unterscheiden, was im Hinblick auf die spätere Gruppierung der Schulen erste Aufschlüsse gibt (siehe Abschnitt 7.5).

Mittels des in Abschnitt 7.4 eingesetzten Analysezugangs war es möglich, Interviewaussagen aus allen Erhebungszeitpunkten zusammenzuführen und diese miteinander zu analysieren. Eine separate Analyse jedes einzelnen Erhebungszeitpunktes, so wie es im ersten Teil von Studie 1 (siehe Abschnitt 7.1) vorgenommen wurde, wurde in diesem Zusammenhang nicht angestrebt. Ziel war es, Aussagen so auf einem Level zu quantifizieren, dass sie mit dem Daten zur Einschätzung des Entwicklungsstands kombiniert werden können (siehe Abschnitt 7.5). Da sich diese Daten ebenfalls auf ein eher globaleres Maß beziehen, war für die Anteile an Summaries ein ebensolches Maß erforderlich.

7.4.3 Zusammenfassung der Ergebnisse

Im zweiten Teil von Studie 2 wurden die Fundstellen der Unterrichtsentwicklung zu Summaries zusammengefasst, diese den Merkmalen der Oberflächen- und der Tiefenstruktur zugeordnet sowie deren prozentualen Anteile berechnet. Merkmale der Oberflächenstruktur sind beispielsweise die Organisation von Lehr- und Lernformen, von Lernaufgaben/Aufgabensammlungen oder auch der Lernunterstützung. Im Fokus der Datenanalyse steht jedoch insbesondere die Qualitätsebene der Tiefenstruktur, die auf die Prozessqualitäten des Lernens abzielt und höchst relevant für Lernerfolg ist (siehe Abschnitt 4.5.1.3). So sind Lehrpersonen dafür verantwortlich, anregende und motivierende Lernumgebungen mit kognitiv aktivierenden Lernaufgaben und mit einer förderlichen Lernatmosphäre zu gestalten. Lehrprozesse sind ausgerichtet auf den fachlichen und den überfachlichen Kompetenzerwerb, der die Schülerinnen und Schüler u. a. dazu befähigt, in offenen Unterrichtsphasen selbstständig und eigenverantwortlich zu lernen. Teil des didaktischen Handelns ist die lehr- und lernbezogene Kommunikation, bei der die Lehrperson die Schülerinnen und Schüler durch ko-konstruktive Dialoge zu verstehensorientierten Lernprozessen anregt und motiviert. Die individuellen Voraussetzungen und Bedürfnisse werden vermehrt gewichtet und das Lernangebot wird differenziert und teils individualisiert. Die Schülerinnen und Schüler können Feedbacks zum individuellen Lernen, zum Lernen in der Lerngruppe sowie zum didaktischen Handeln der Lehrperson geben, die wiederum zu einer Anpassung der Lernangebots führen können.

Sowohl Merkmale der Oberflächen als auch Merkmale der Tiefenstruktur sind für eine nachhaltige Schul- und Unterrichtsentwicklung in Richtung personalisierten Lernens zentral. Wegen der Bezüge zur psychologischen Lernebene der Schülerinnen und Schüler sind die Merkmale der Tiefenstruktur besonders bedeutsam. Diese wurden durch die Auszählungen und die Bestimmung der prozentualen Anteile gegenüber den Merkmalen der Oberflächenstruktur quantifiziert. Die Werte schwanken zwischen 39 Prozent (Schule M) und 17.6 Prozent (Schule K).

7.5 Studie 2/Teil 3: Gruppenbildung (Cluster) von Schulen hinsichtlich der Gestaltung unterrichtszentrierter Schulentwicklung in Richtung personalisierten Lernens

Es zeigt sich, dass sich die Schulen im prozentualen Summary-Anteil unterscheiden. Dies korrespondiert mit dem Verständnis von Einzelschule als „pädagogischer Handlungseinheit“ (Fend, 1986), weil Entwicklungsimpulse rekontextualisiert werden, das heißt, an die gegebenen Rahmenbedingungen, die verfügbaren beruflichen Kompetenzen, die finanziellen Ressourcen, die Heterogenität der Schülerinnen und Schüler etc. angepasst werden. Die unterschiedlichen Rahmenbedingungen der Schulen (siehe Abschnitt 7.1) können somit zwar ein Grund für die Differenzen sein. Jedoch stellt sich die Frage, ob dies auch mit dem Entwicklungsprozess selbst im Zusammenhang steht und inwiefern die elf Schulen gruppiert werden können. Als Grundlage für die Klärung dieser Frage wurden die 3. Forschungsfrage (Gibt es eine Beziehung zwischen der Selbsteinschätzung des Entwicklungsstandes der Schulen und dem von ihnen verfolgten Verständnis von Lehr- und Lernqualität?) und die 4. Forschungsfrage (Zeigen sich Muster, nach denen sich die Schulen gruppieren lassen) formuliert (siehe Abschnitt 1.4).

Ein Item einer Befragung innerhalb des perLen-Projekts, das den Erfolg der Adaption von Entwicklungsimpulsen zu einem gewissen Grad misst, ist der selbst eingeschätzte Stand der Schulentwicklung. Im dritten Erhebungsjahr wurden Lehrpersonen sowie Schulleitende mit und ohne Unterrichtsverantwortung gefragt, wie sie den Entwicklungsstand ihrer Schule zwischen „gar nicht gut unterwegs“ bis „hervorragend unterwegs“ einschätzen (siehe Abschnitt 6.3.2). Im Kontext der vorliegenden Arbeit wird angenommen, dass der eingeschätzte Entwicklungsstand mit dem prozentualen Anteil der Tiefenstrukturmerkmale von Unterricht positiv zusammenhängt (siehe Abschnitt 4.5.1.3). Diese Annahme gründet auf der Überlegung, dass Lehrpersonen durch das Bewusstwerden und das Erfassen sowie die kompetente Gestaltung der Tiefenstrukturebene des Lehrens und Lernens die psychologischen Tiefenschichten des Lernens der Schülerinnen und Schüler erreichen und verstehensbezogenes Lernen auslösen können. Dadurch werden kognitive, motivational-emotionale und soziale Dynamiken des Lernens vermehrt positiv beeinflusst und nachhaltige Lernprozesse, die ein zentrales Ziel unterrichtszentrierter Schulentwicklung in Richtung personalisierten Lernens darstellen (siehe Abschnitt 4.10), vermehrt gefördert (siehe Abschnitt 4.5.1). Vor diesem Hintergrund lässt sich davon ausgehen, dass Lehrpersonen und Schulleitende ihren Entwicklungsprozess eher als erfolgreich einschätzen, wenn es ihnen gelingt, durch ihre Entwicklungstätigkeiten auf die psychologischen Lernebene einzuwirken.

Zuerst werden die Ergebnisse der Zusammenhangsberechnung zwischen erstens den Summary-Anteilen, die der Qualitätsebene der Tiefenstruktur des Unterrichts zugeordnet werden können, und zweitens der Einschätzung des Entwicklungsstands einer jeden Schule vorgestellt (Abschnitt 7.5.1; Teilfrage 2.5). Anschließend folgen die Ergebnisse der Clusteranalyse, in der die Schulen hinsichtlich der zwei Variablen gruppiert werden (Abschnitt 7.5.2; Teilfrage 2.6). Nachfolgend werden die Cluster unter Rekurs auf die Ergebnisse von Studie 1 und Studie 2 näher beschrieben (Abschnitt 7.5.3; Teilfrage 2.7). Am Ende werden die Ergebnisse von Studie 2/Teil 3 zusammengefasst (Abschnitt 7.5.4).

7.5.1 Zusammenhang zwischen Summary-Anteilen von Unterrichtsmerkmalen der Tiefenstruktur und dem selbst eingeschätzten Stand der Schulentwicklung

Um die Teilfrage 2.5 zu klären, wurde der prozentuale Summary-Anteil von Merkmalen der Tiefenstruktur mit den auf Schulebene aggregierten Individualwerten des Entwicklungsstands (siehe Abschnitt 6.3.2) korreliert. Bei beiden Werten wurden die Daten von Lehrpersonen sowie Schulleitenden mit und ohne Unterrichtsverantwortung zusammengenommen.

Bevor das Korrelationsmaß berechnet wird, wird mittels zweier Kennwerte der Intraklassenkorrelation (ICC[1] und ICC[2]) geprüft, inwiefern sich die Daten des Entwicklungsstands für eine Aggregation auf Schulebene eignen.Footnote 14 Der ICC(1)-Wert beträgt 0.188 (Mplus; type = twolevel). Das heißt, dass 18.8 % der Gesamtvarianz durch die Schulzugehörigkeit erklärt werden können. Somit ist es für weiterführende Berechnungen relevant, welche Person an welcher Schule tätig ist. Der ICC(2)-Wert wiederum beträgt 0.72.Footnote 15 Dies ist je nach Referenz als moderater (Koo & Li, 2016) oder guter Reliabilitätswert zu interpretieren (Cicchetti & Sparrow, 1981; Fleiss, 1981). Beide Kennwerte sprechen dafür, den Individualwerte des Entwicklungsstands auf Schulebene zu aggregieren. Tabelle 7.8 zeigt die Werte beider Variablen pro Schule.

Tabelle 7.8 Prozentualer Summary-Anteil von Merkmalen der Tiefenstruktur (Interviews) und auf Schulebene aggregierte Individualwerte des selbst eingeschätzten Entwicklungsstands (Online-Fragebogen)

Die Werte der prozentualen Summary-Anteile in den Schulen wurden bereits erläutert (siehe Abschnitt 7.4.2). Bei der Einschätzung des Entwicklungsstands schätzen sich Schulleitende und Lehrpersonen im Durchschnitt gut bis sehr gut ein. Einzig Schule K fällt mit einem Wert von 5.91 etwas ab, ist aber noch in der positiven Hälfte der Antwortskala und weist auch die größte Streuung von 2.07 auf. Schule B hat einen hohen Mittelwert von 8.0 und ist in Tabelle 7.8 mit einem Trennstrich von den anderen Schulen separiert, weil der Entwicklungsprozess in Richtung personalisierten Lernens in dieser Schule abgebrochen wurde und die Entwicklungsgruppe zum dritten Erhebungszeitpunkt nicht mehr an der Schule tätig war (siehe Abschnitt 7.1.2.2). Es ist daher davon auszugehen, dass sich die Antworten der zwei alternativ dazu befragten Personen eher nicht auf einen solchen Entwicklungsprozess beziehen, sondern auf andere Entwicklungsvorhaben. Schule B wird dennoch in die weiterführenden Analysen einbezogen, weil mit dem Abbruch der Entwicklungstätigkeiten in Richtung personalisierten Lernens ein für die Untersuchung der Entwicklungsdynamiken bedeutsamer Datensatz vorliegt (siehe Abschnitt 7.1.2.2). Durch den Einbezug von Schule B kann ein großer inhaltlicher Mehrwert erwartet werden, insbesondere bei der angestrebten Clusterbildung (siehe Abschnitt 7.5.2), bei der Gruppen von Schulen kontrastiert werden.

Anzumerken gilt es des Weiteren, dass bei einem Rücklauf von unter 50 % in den Schulen J, M, A, F, E und B (Tabelle 7.9) eine vergleichsweise geringe Repräsentativität der Daten vorliegt. Gerade in Schulen F, E und B, in denen weniger als ein Drittel der eingeladenen Personen den Fragebogen beantworteten, ist zu erwägen, ob diese Daten in den weiterführenden Analysen aufgenommen werden sollten. Schule B wird angesichts des inhaltlich relevanten Entwicklungsprozesses (Entwicklungsstopp) und des Umstands, dass sich die weiterführenden Ergebnisse mit und ohne Schule B nicht grundlegend verändern, beibehalten.Footnote 16 In Schule F werden herausfordernde Aspekte in der kooperativen Gestaltung des Entwicklungsprozesses während des Erhebungszeitraums beschrieben, die für eine vergleichende Analyse als bedeutsam erachtet werden können (siehe Abschnitt 7.1.2.5). Obwohl in Schule E im Gegensatz dazu weniger Herausforderungen beschrieben werden, wird Schule E dennoch beibehalten, weil während des Erhebungszeitraums weniger Veränderungen auf der Unterrichtsebene erläutert, sondern Veränderungen auf der Schulebene deutlich stärker gewichtet wurden, so zum Beispiel Veränderungen in den Teamstrukturen und in der Kooperation zwischen Lehrpersonen (siehe Abschnitt 7.1.2.4).

Tabelle 7.9 Rücklauf der Fragebogenerhebung t3 pro Schule

Damit die Kennwerte zum Entwicklungsstand besser eingeordnet werden können, wird in Tabelle 7.10 aufgeführt, ob sich Unterschiede in den Kennwerten zwischen Lehrpersonen sowie Schulleitenden mit und ohne Unterrichtsverantwortung ergeben.

Tabelle 7.10 Auf Schulebene aggregierte Individualwerte und Standardabweichungen mit Differenzierung zwischen Lehrpersonen sowie Schulleitenden mit und ohne Unterrichtsverantwortung

In Tabelle 7.10 zeigt sich, dass in Schule B und Schule M nur Lehrpersonen, in den Schulen A, D, H, J und L Lehrpersonen und Schulleitende mit Unterrichtsverantwortung und in den Schule E, F, G und K alle befragten Personengruppen das Item beantworteten. Zwar können aufgrund des geringen Umfangs der Stichprobe keine Unterschiede in der zentralen Tendenz pro Schule berechnet werden, jedoch weist ein deskriptiver Vergleich auf größtenteils eher geringe Unterschiede zwischen den Einschätzungen der Personengruppen hin. Wenn Unterschiede auftreten, dann schwanken diese zwischen 0.5 (Schule D) und 1.75 (Schule G) Einheiten. Eine Ausnahme bildet Schule K. Hier schätzte die Schulleitung ohne Unterrichtsverantwortung den Stand der Schulentwicklung deutlich besser ein als die Lehrpersonen (Unterschied = 2.22 Einheiten) und als die Schulleitung mit Unterrichtsverantwortung (Unterschied = 3.0 Einheiten).

In Abbildung 7.2 aufgeführten Streudiagramm sind die Schulen anhand der zwei Variablen positioniert. An der Verteilung der Schulen entlang des eingezeichneten Korrelationsgrafen ist ein möglicher Zusammenhang erkennbar, dieser lässt sich aber mittels Spearmans Rho nicht nachweisen (r = .464; p = .151; n = 11).Footnote 17

Diese Korrelation bleibt nicht signifikant (r = .479; p = .162; n = 10), wenn Schule B weggelassen wird. Dies kann als ein Argument dafür interpretiert werden, Schule B in den weiterführenden Analysen beizubehalten, obwohl es wahrscheinlich ist, dass sich deren Einschätzung des Entwicklungsstands nicht auf das personalisierte Lernkonzept bezieht, weil es im dritten Erhebungszeitpunkt abgeschafft wurde. Ein korrelativer Zusammenhang mit Daten, die ausschließlich von Lehrpersonen und Schulleitenden stammen, die interviewt wurden, kann nicht berechnet werden, weil die Stichprobe pro Schule zu klein wird. Beispielsweise hat in Schule A von den fünf interviewten Lehrpersonen nur eine Person die Fragen zum Entwicklungsstand beantwortet.

Abbildung 7.2
figure 2

Streudiagramm mit prozentualem Summary-Anteil von Merkmalen der Tiefenstruktur und eingeschätztem Entwicklungsstand (auf Schulebene aggregierte Werte; SL = Schulleitende; LP = Lehrpersonen)

Im Streudiagramm ist zu erkennen, dass Schulen A, D, E, G, H, J, L, M in der oberen rechten Ecke nahe beieinanderliegen. Die Schulen im Bereich links unten (Schulen B, F, K) sind von dieser Gruppe etwas entfernt. Dieser Befund ist insbesondere mit Blick auf die im nachfolgenden Kapitel dargestellte Clusterbildung aufschlussreich, weil sich hier bereits zwei mögliche Cluster herauskristallisieren. Schulen B, F und K wurden bereits bei der Auswertung der prozentualen Summary-Anteile von Merkmalen der Tiefenstruktur zu einer möglichen Gruppe zusammengefügt (siehe Abschnitt 7.4.2). Allerdings wurde dieser Gruppe auch Schule D zugeordnet, während diese Schule in Anbetracht des Streudiagramms doch eher zur anderen Gruppe zu gehören scheint. Des Weiteren lässt sich festhalten, dass Schulen A, E und H sowie Schulen G, L und M sehr nah beieinanderliegen und von anderen Schulen weiter entfernt sind. Dies könnte darauf hinweisen, dass sich differenzierte Clusterungen ergeben könnten. Inwiefern sich die beschriebenen Strukturen empirisch belegen lassen, wird in der im nachfolgenden Kapitel vorgestellten Clusteranalyse eruiert.

7.5.2 Clusterbildung mit hierarchischer Clusteranalyse (Ward-Methode)

Die im Streudiagramm sichtbaren Gruppierungen geben erste Hinweise zu möglichen Clustern von Schulen. Nachfolgend wird mithilfe des Verfahrens der hierarchischen Clusteranalyse mit der Ward-Methode und der quadrierten euklidischen Distanz als Intervall-Maß (Bortz & Schuster, 2010; Hirsig, 2007b) explorativ erkundet, welche Clusterstruktur am geeignetsten ist. Zuerst wird eine sogenannte „Näherungsmatrix“ (Tabelle 7.11) ermittelt. Diese zeigt die quadrierten euklidischen Distanzen zwischen den einzelnen Schulen an, das heißt, sie gibt an, wie weit diese voneinander entfernt sind. Zum Beispiel liegen Schule L und Schule H mit einem Wert von 1.25 am nächsten beieinander, während Schule M und Schule K mit einem Wert von 465.20 am weitesten voneinander entfernt sind.

Tabelle 7.11 Näherungsmatrix der Clusteranalyse

In der nächsten Tabelle 7.12, der „Zuordnungsübersicht“, wird dargestellt, wie die Cluster Schritt für Schritt miteinander kombiniert werden. In Schritt 0 bildet jede Schule für sich ein Cluster. In Schritt 1 werden die zwei Schulen zusammengefügt, welche sich aufgrund der quadrierten euklidischen Distanz am nächsten liegen. Im darauffolgenden Schritt werden wiederum die quadrierten euklidischen Distanzmasse ermittelt und die Schulen oder Cluster zusammengeführt, die am nächsten beieinander liegen.

Die Nummern in der Spalte „Zusammengeführte Cluster“ beziehen sich bei der ersten Nennung auf die Schulen selbst (Schule A = 1 bis Schule M = 11). Bei einer zweiten Nennung steht die Nummer für das Cluster respektive für die zusammengefassten Schulen. Zum Beispiel wird in Schritt 2 Schule A (1) mit Schule J (8) zusammengeführt. In Schritt 7 kommt wieder die Zahl „1“ vor, die in diesem Fall Schule A und Schule J umfasst und mit Schule D (3) zusammengefasst wird.

Tabelle 7.12 Zuordnungsübersicht der Cluster

Der Koeffizient (ΔSAQ) in Tabelle 7.12 gibt den Heterogenitätsgrad innerhalb der Clusterlösung an. Dieser beträgt vor dem ersten Schritt 0 und steigt mit jedem weiteren Schritt. Im letzten Schritt ist die Heterogenität am größten, weil hier alle Schulen in einem Cluster zusammengefasst sind. ΔSAQ ist das Entscheidungskriterium, auf dessen Grundlage bestimmt wird, wann die Clusteranalyse abgebrochen wird, da der Schritt vor dem größten Anstieg ein Indiz für die beste Clusterlösung darstellt (Bortz & Schuster, 2010; Hirsig, 2007b). Anhand eines Struktogramms (Abbildung 7.3) lässt sich gut erkennen, dass der größte Anstieg von Schritt 9 zu 10 erfolgt. Somit ist eine Entscheidung für Schritt 9 naheliegend und damit eine Zwei-Clusterlösung anzustreben.

Abbildung 7.3
figure 3

Struktogramm

Somit lassen sich Cluster 1 die folgenden acht Schulen zuordnen: Schulen A, D, E, G, H, J, L und M. Zu Cluster 2 gehören demgegenüber die drei Schulen B, F und K. Diese Clusterlösung ergibt sich auch dann, wenn Schule B ausgeschlossen wird. Dieses Ergebnis spricht dafür, Schule B in der Analyse beizubehalten, damit in der anschließenden Beschreibung der Cluster durch die Mitberücksichtigung von Interviewdaten aus dieser Schule wichtige Erkenntnisse in die Kontrastierung der Cluster einfließen können.

Die deskriptive Statistik für beide Cluster für den prozentualen Summary-Anteil von Merkmalen der Tiefenstruktur und den eingeschätzten Entwicklungsstand ist in Tabelle 7.13 zusammengefasst.

Tabelle 7.13 Deskriptive Statistik der zwei Cluster

Die Schulen von Cluster 1 weisen im Mittel einen höheren Anteil an Summaries, die der Qualitätsebene der Tiefenstruktur des Unterrichts zugeordnet werden können (MCluster_1 = 34.52, SDCluster_1 = 3.15, nCluster_1 = 8; MCluster_2 = 21.20, SDCluster_2 = 3.42, nCluster_2 = 3), sowie einen höheren Mittelwert in der Einschätzung des Entwicklungsstands (MCluster_1 = 8.05, SDCluster_1 = .57, nCluster_1 = 8; MCluster_2 = 6.91, SDCluster_2 = 1.05, nCluster_2 = 3) auf.

Um die Güte der Clusterlösung zu überprüfen wird eine Silhouetten-Analyse (Rousseeuw, 1987) durchgeführt. Die ermittelten Kennwerte geben an, wie gut die Clusterstruktur, das heißt die Gruppierung der Schulen zu einem Cluster, ist: Eine schwache Struktur ist zwischen .25 und .5, eine mittelstarke Struktur zwischen .51 und .75 und eine starke Struktur ab .751 erkennbar (König, 2018). Die Silhouetten-Koeffizient ist für Cluster 1 (.55) und für Cluster 2 (.55) sowie für die Gesamtclusterung (.55) als knapp gut einzuschätzen. Auch auf der Ebene der einzelnen Schulen zeigen sich größtenteils zufriedenstellende Wert (Abbildung 7.4).

Abbildung 7.4
figure 4

Silhouetten-Maß pro Schule

Bei der Betrachtung von Abbildung 7.4 werden zwei Ausnahmen deutlich sichtbar: Schule F und Schule D. Bei Schule F ist der Wert mit .39 zwar noch vertretbar, liegt jedoch deutlich tiefer als die Werte von Schule B und Schule K. Mit der mittleren Distanz zwischen den Schulen innerhalb von Cluster 2 ist dies nicht zu klären, da Schule F mit 28.15 nur den zweithöchsten Wert aufweist. Schule B ist mit 33.72 im Mittel am weitesten und Schule K mit 14.79 am wenigsten weit entfernt. Erklärbar lässt sich der Wert wohl eher mit der im Vergleich zu Schule K (176.00) und Schule B (299.97) geringen Distanz von Schule F zu den Schulen von Cluster 1 (112.94). Mögliche Gründe für die geringe Distanz von Schule F liefern Ergebnisse der Interviewanalyse. Diese werden im nachfolgenden Abschnitt 7.5.3 ausführlicher erläutert. An dieser Stelle soll lediglich darauf hingewiesen werden, dass sich nur Schule B und Schule K in zwei Merkmalen von den anderen Schulen unterscheiden, und zwar durch mehr reaktives als proaktives Entwicklungshandeln und fehlende Kohärenz zwischen Aussagen der Schulleitenden und der Lehrpersonen.

Bei Schule D, der zweiten Ausnahme, weist das Silhouetten-Maß mit .16 eine nicht akzeptable Struktur auf. Es wäre daher denkbar, mit Schule D ein neues Cluster zu bilden, was angesichts der geringen Stichprobe jedoch kaum sinnvoll wäre. Schule D wurde in Abschnitt 7.4.2 und Abschnitt 7.5.1 hinsichtlich der Zuordnung bereits wiederholt thematisiert. Die Schule ist eine Pionierschule, die Lehr- und Lernprozesse schon seit vielen Jahren vermehrt personalisiert gestaltet. Daher war zu erwarten, dass eine Zuordnung von Schule D zu Cluster 1 naheliegen würde oder diese Schule zusammen mit weiteren Pionierschulen, z. B. Schule G und Schule M, eine eigene Gruppe bildet. Für eine Gruppierung in Cluster 1 spricht, dass Schulleitende und Lehrpersonen ihren Entwicklungsstand – neben Schule J und M – am höchsten einschätzen. Allerdings ist der Gesprächsanteil zu Unterrichtsmerkmalen, die der Tiefenstruktur von Unterricht zugeordnet werden konnten, in Schule D im Vergleich zu den anderen Schulen von Cluster 1 am geringsten. Dies hat u. a. damit zu tun, dass in den Interviews insbesondere mit der Schulleitung, aber auch mit den Lehrpersonen ausführlich über die entwickelte Datenbank gesprochen worden war. Mithilfe der Datenbank werden Lehr- und Lernprozesse organisiert und verwaltet. Diesbezügliche Aussagen wurden größtenteils den Merkmalen der Oberflächenstruktur zugeordnet. Da die Ausführungen zur Datenbank im Interview viel Raum in Anspruch nahmen, blieb weniger Zeit übrig, um auf die Qualitätsebene der Tiefenstruktur von Unterricht einzugehen, weshalb entsprechend weniger Aussagen dazu codiert werden konnten und die Anteile an Summaries infolgedessen geringer ausfallen. Für die am Ende von Abschnitt 7.5.1 genannte Gruppierung von Schulen A, E und H sowie Schulen G, L und M ließen sich in den Berechnungen der Clusteranalyse keine Indizien finden.

Zusammenfassend zeigt sich, dass innerhalb der Cluster gewisse Varianzen vorliegen, die darauf hindeuten, dass weitere Differenzierungen möglich sind. Aufgrund des geringen Umfangs der Stichprobe, des deutlichen Werts des Entscheidungskriteriums ΔSAQ und der nachfolgend aufgeführten Ergebnisse der Interviewanalyse, die bedeutsame Unterschiede zwischen Cluster 1 und Cluster 2 hinsichtlich der Gestaltung des Entwicklungsprozesses aufzeigen, wird an der Zwei-Clusterlösung festgehalten.

7.5.3 Beschreibung der zwei Cluster

Die im vorhergehenden Kapitel dargestellte Clusteranalyse legt die Bildung von zwei Clustern nahe. Diese werden nachfolgend auf der Grundlage von Ergebnissen aus Studie 1 und Studie 2 beschrieben, und zwar mit dem Ziel, Unterschiede zwischen den Clustern aufzuzeigen. Konkret wird nach Merkmalen gesucht, in denen sich die Schulen innerhalb ihres Clusters kaum, im Vergleich mit dem anderen Cluster jedoch umso stärker unterscheiden. Zu diesem Zweck werden die elf Schulen hinsichtlich folgender sechs Charakteristika verglichen:

  • Entwicklungsstand,

  • Anteile von Merkmalen der Tiefenstruktur,

  • Kooperation zwischen Lehrpersonen,

  • kaum bis nicht beschriebene proaktive Entwicklungstätigkeiten,

  • fehlende Kohärenz zwischen vielen Ausführungen von Schulleitenden und Lehrpersonen sowie

  • vermehrt individuelle Entwicklungstätigkeiten.

Mit Blick auf die letzten drei Charakteristika lässt sich in Cluster 2 feststellen, dass Schule F keine Gemeinsamkeiten mit den Schulen B und F aufweist und daher tendenziell eher einen neuen Cluster bilden würde, was aber aufgrund des geringen Stichprobenumfangs nicht umgesetzt werden kann.

Entwicklungsstand (Online-Fragebogen t 3 : Ist Ihre Schule gut unterwegs?)

Schulleitende und Lehrpersonen von Cluster 2 (Schulen B, F, K) schätzten den Entwicklungsstand ihrer Schule im Mittel tiefer ein als die Befragten von Cluster 1. Aufschlussreich ist der relativ hohe Wert von Schule B (siehe Tabelle 7.8 in Abschnitt 7.5.1), der sogar höher ausfällt als die Werte der Schulen A, E und H. Allerdings wird aus den Fallbeschreibungen wie bereits wiederholt festgehalten ersichtlich (siehe Abschnitt 7.1.2.2), dass der Entwicklungsprozess in Richtung personalisierten Lernens im zweiten Erhebungsjahr abgebrochen wurde und die Entwicklungsgruppe, zu der auch die Interviewten gehört hatten, die Schule mittlerweile verlassen hatte. Es ist deshalb wahrscheinlich, dass sich die zwei Personen aus Schule B, die im dritten Erhebungsjahr den Online-Fragebogen ausfüllten, nicht auf den in der vorliegenden Arbeit fokussierten Entwicklungsprozess bezogen, sondern auf Entwicklungstätigkeiten, die im dritten Erhebungsjahr stattfanden, aber wenig bis keinen Bezug zu personalisiertem Lernen aufweisen. Im betreffenden Interview wird beispielsweise über ein Sprachprojekt berichtet, bei dem an einem Tag alle Lehrpersonen Französisch sprechen sollten und das positiv verlaufen sei. Diese Fokusverschiebung könnte somit eine plausible Erklärung für die hohen Werte darstellen.

Entwicklung von Tiefenmerkmalen des Unterrichts am Beispiel der Lernunterstützung

In den vorhergehenden Analyseschritten zu prozentualen Summary-Anteilen von Merkmalen der Tiefenstruktur (siehe Abschnitt 7.4.2) wurde die Annahme getroffen, dass die Schulen B, F, K und D eine Gruppe bilden könnten. Die Clusteranalyse (siehe Abschnitt 7.5.2) konnte dies jedoch nur für die ersten drei Schulen bestätigen. Schule D wurde dem zweiten Cluster zugeteilt, u. a. aufgrund der hohen Einschätzung des Entwicklungsstands. Dass Schule D bei den Summary-Anteilen einen vergleichsweise geringen Wert aufweist, ist in Anbetracht der vielen in der Fallbeschreibung zusammengefassten Entwicklungstätigkeiten auf Unterrichtsebene (siehe Abschnitt 7.1.2.3), die auch auf die Qualitätsebene des schulischen Lernens abzielen, nicht erwartungskonform. Ein möglicher Grund dafür dürfte in der Interviewführung und -situation liegen. In der Schule kommt eine Datenbank zum Einsatz, deren vielfältige Funktionen in der Schule breit genutzt werden (z. B. Dokumentation personalisierter Lernprozesse, Austauschen von Unterrichtsvorbereitung, Terminabsprachen etc.). Wie bereits festgehalten wurde diese Datenbank insbesondere im Interview mit der Schulleitung und auch im Gespräch mit den Lehrpersonen im ersten Erhebungsjahr teils umfangreich beschrieben und vorgeführt. Deswegen blieb weniger Zeit, um die anderen Aspekte der Lernumgebung in Schule D umfassend zu schildern. Zudem wurden die meisten Aussagen zur Datenbank den Merkmalen der Oberflächenstruktur zugeordnet. Abgesehen davon zeigen sich jedoch stark ausgeprägte Gemeinsamkeiten mit den anderen Schulen von Cluster 1, sodass diese Zuordnung gut begründet werden kann.

So zeigen sich Unterschiede zwischen Cluster 1 und Cluster 2 beispielsweise in den Ausführungen zur Lernunterstützung. In den Schulen von Cluster 1 wird die Lernunterstützung im Unterschied zu Schulen von Cluster 2 bezüglich fachlicher und überfachlicher Kompetenzen in offenen und geführten Unterrichtsphasen thematisiert. Diesbezüglich wird u. a. über die Unterstützung bei Schwierigkeiten mit dem Verstehen von Lerninhalten und Lernaufgaben und die motivierende und strukturierende Lernbegleitung im offenen Unterricht berichtet. So beschreiben Lehrpersonen und Schulleitende die Lernunterstützung bei der Organisation des selbstständigen und eigenverantwortlichen Lernens in Schule J wie folgt: „Wir schauen, dass man ihnen eine Struktur gibt, auch eine Aufteilung von der Arbeit über […] drei Wochen hinweg, damit sie einen Viereinhalber erreichen“ (LP_Schule-J_t1). Des Weiteren zeichnen sich die Schulen von Cluster 1 darin aus, dass die Lehrpersonen zu mehreren Zeitpunkten beschreiben, wie sie versuchen, ihr Lernangebot dahingehend zu verändern, dass Schülerinnen und Schüler nicht nur die Lernaufgaben abarbeiten, sondern sich tiefgehender mit den Lerninhalten auseinandersetzen. Beispielsweise beschreiben die Interviewten der Schulen A, G und M, wie sie gemeinsam (Problemlöse-)Lernaufgaben sammeln und entwickeln. Anhand dieser Aufgaben sollen sich die Schülerinnen allein oder mit anderen Schülerinnen und Schülern zusammen tiefgehend mit einem fachlichen Problem beschäftigen:

Wenn es jetzt wirklich um diese großen Aufgaben geht, die die Kinder über eine längere Zeit zum Denken zwingen. [Zum Beispiel eine] Aufgabe zum freien Fall. […] Die können wirklich eine Versuchsanordnung, also Hypothesen bilden und dann gehen wir das messen. Dann steigen die da auf einen Turm hoch und wir messen das. […] Und nachher bilden die Reihen, können Graphen dazu zeichnen und […] Die ganz Guten kriegen dann die Formel raus. Die können dann wirklich formal-operatorisch mit zwölf super denken. (SL_Schule-M_t1)

Kooperation zwischen Lehrpersonen

Die schulinterne Kooperation in den Schulen B und K scheint sehr herausfordernd zu sein. In Schule K wird diese allein schon durch die Raumarchitektur erschwert. Während zwei Lehrpersonen durch eine Zusammenlegung von zwei Lernräumen in fast allen Stunden gemeinsam unterrichten, ist dies bei zwei weiteren Lehrpersonen nur in begrenztem Umfang möglich, weil sich eine Trennwand zwischen den zwei Lernräumen befindet, die jedoch zumindest mit einer Tür verbunden sind. Ein weiteres Team unterrichtet sehr selten zusammen, weil die Lernräume nicht nebeneinander liegen. Weitere Datenanalysen von Kooperationsformen und -inhalten zeigen zudem,Footnote 18 dass in den Interviews von Schule K und Schule B im Vergleich zu den Schulen in Cluster 1 deutlich seltener über eine intensivere Form der Kooperation, die ko-konstruktive Kooperation, berichtet wird, in der durch das Aufeinanderbeziehen von Wissen- und Erfahrungsbeständen Probleme gemeinsam gelöst werden.

Auch zu Schule F liegen Hinweise darauf vor, dass die Kooperation zwischen Lehrpersonen konfliktreich verläuft, was erklären könnte, warum die Einschätzung des Entwicklungsprozesses relativ tief ist. Laut der Aussage der Schulleitung im Interview des ersten Erhebungsjahrs gibt es unter den Lehrpersonen eine große Spannweite in Bezug darauf, wie sie das Unterrichtskonzept personalisierten Lernens umsetzen: „Bei den [Lehrpersonen] gibt es ja auch diese Spannweite. Die eine steht schon hier und die andere steht erst am Anfang von diesem Unterricht“ (SL_Schule-F_t1). Während das Zusammenarbeiten im Mittelstufenteam relativ gut funktioniert und die Lehrpersonen zum Beispiel den Unterricht gemeinsam vorbereiten, scheint dies in den Teams der Unterstufe und des Kindergartens problematisch zu sein, weil größere Disparitäten vorliegen und es unterschiedliche Vorstellungen dazu gibt, wie das Unterrichtskonzept umgesetzt und weiterentwickelt werden soll. Ein weiteres Beispiel für die herausfordernde Zusammenarbeit im Unterstufenteam schildern die Lehrpersonen im dritten Erhebungsjahr. Eine Lehrperson, die schon etwas länger an der Schule gearbeitet habe, sei mit dem Schulmodell und mit ihrer arbeitsintensiven Lerngruppe überfordert gewesen. Sie habe jedoch wenig Unterstützung und Hilfe von den Lehrpersonen im selben Team erhalten oder eingefordert. Konfliktpotenzial ergibt sich in Schule F jedoch nicht nur in der Zusammenarbeit zwischen Lehrpersonen derselben Stufe, sondern auch in der Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Stufenteams. Weil zu wenig stufenspezifisches Wissen ausgetauscht wird, wird die stufenübergreifende Zusammenarbeit als nur wenig ertragreich empfunden. So wird u. a. über die Schwierigkeiten einer gemeinsamen Konsensfindung aufgrund der großen Altersspanne zwischen Kindergarten-, Unter- und Mittelstufe berichtet. Die Mittelstufenlehrpersonen interessieren sich beispielsweise nicht dafür, ob die Lernenden Schuhe und Jacke bereits allein anziehen können. Doch auch unabhängig von der Stufe nehmen die Lehrpersonen die Stimmung im gesamten Schulteam als sehr empfindlich wahr. Sie trauen sich nicht mehr, direkte Kritik zu äußern, weil sich einige Lehrpersonen schnell persönlich angegriffen fühlen: „Die latente Überlastung im Team ist schon so. Es ist so viel. Es braucht einfach nichts mehr Neues. […] Darum […] leichte Schlagseite überall, leicht auf dem weinerlichen Dings. […] Ist wie mit Vorsicht zu genießen. Ich glaube, es ist wirklich mehr als genug im Moment“ (LP_Schule-F_t3).

Weitere Merkmale (nur in den Schulen B und K ohne Schule F)

Darüber hinaus lassen sich in den Schulen B und K drei Charakteristika des Entwicklungsprozesses finden, die sich nicht in Schule F wiederfinden lassen. Dies deutet auf eine weitere Differenzierung des Clusters hin, die aber aufgrund der geringen Fallzahl wie bereits ausgeführt nicht vorgenommen werden kann.

Erstens handelt es sich um kaum oder gar nicht beschriebene proaktive Entwicklungstätigkeiten. Die Schulleitenden wie auch die Lehrpersonen der Schulen von Cluster 2 erläutern einige Herausforderungen in ihrem Entwicklungsprozess, die grösser sind als diejenigen, die von den Schulen von Cluster 1 beschrieben werden. In Schule B kam es zu einem Konflikt zwischen der Entwicklungsgruppe, einigen Lehrpersonen und Eltern sowie der lokalen Schulbehörde. Die Entwicklungsgruppe verließ daraufhin die Schule und das neu eingeführte Unterrichtskonzept wurde nicht fortgeführt (siehe Abschnitt 7.1.2.2). In Schule K lassen sich subtile Anzeichen auf Herausforderungen finden, die den Entwicklungsprozess stören könnten. So beschreiben die Lehrpersonen keine Entwicklungstätigkeiten, die auf zukünftige Herausforderungen ausgerichtet sind, um diesen Störungen zuvorzukommen. Solche proaktiven Entwicklungstätigkeiten lassen sich in den Ausführungen der Schulen von Cluster 1 sowie von Schule F finden.

Zweitens lässt sich die fehlende Kohärenz zwischen vielen Ausführungen von Schulleitenden und Lehrpersonen feststellen. Während die Schulleitenden wie auch die Lehrpersonen in Cluster 1 weitgehend über dieselben Entwicklungsvorhaben berichten, ist dies in den Interviews mit den Schulen K und B eher weniger der Fall. In Schule B ist dieser Befund mehrheitlich damit erklärbar, dass es in der Schule auf der einen Seite eine Entwicklungsgruppe und auf der anderen Seite eine Gruppe, die gegen das Unterrichtskonzept war, gab. Zudem wurde die Einführung des neuen Unterrichtskonzepts abgebrochen. In Schule K lässt sich die Inkohärenz zwischen den Interviews an den disziplinarischen Maßnahmen aufzeigen. So erklärt die Schulleitung diese recht ausführlich, während sie in den Interviews mit den Lehrpersonen nicht thematisiert werden.

Des Weiteren ist in Schule K der Unterschied in der Einschätzung des Entwicklungsstands zwischen den Schulleitenden ohne Unterrichtsverantwortung und den Lehrpersonen sowie den Schulleitenden mit Unterrichtsverantwortung im Vergleich zu den anderen Schulen deutlich höher. Dies deutet auf unterschiedliche Wahrnehmungen und Einschätzungen der Prozessgestaltung von Schul- und Unterrichtsentwicklung hin.

Drittens werden vermehrt individuell vollzogene Entwicklungstätigkeiten beschrieben. Die Interviewten der Schulen von Cluster 1 sowie von Schule F beschreiben Entwicklungsprojekte, die von Lehrpersonengruppen gemeinsam weiterentwickelt und erprobt werden. In Schule K hingegen werden die Entwicklungsvorhaben zumeist von einzelnen Lehrpersonen bearbeitet. So probiert zum Beispiel eine Lehrperson die Idee aus, Lerninhalte nach dem Spiralprinzip anzuordnen, um auf diese Weise ein Lernen am gemeinsamen Gegenstand zu ermöglichen. Die interviewten Lehrpersonen haben diese Idee jedoch nicht übernommen. In Schule B ist das Team zweigeteilt: Eine Gruppe setzt sich für das neue Unterrichtskonzept ein und entwickelt es weiter (Entwicklungsgruppe), während eine Gruppe nicht in die Entwicklungstätigkeiten involviert ist oder nicht involviert sein möchte. Solche Teamkonstellationen im Kollegium ließen sich in den anderen Schulen nicht finden.

7.5.4 Zusammenfassung der Ergebnisse

Es lässt sich kein korrelativer Zusammenhang zwischen dem von Lehrpersonen und Schulleitenden eingeschätzten Entwicklungsstand und dem Anteil an Summaries, die der Qualitätsebene der Tiefenstruktur des Unterrichts zugeordnet werden können, feststellen. Dennoch ergab die Clusteranalyse zwei Gruppen: Schulen A, D, E, G, H, J, L, M (Cluster 1) und Schulen B, F und K (Cluster 2). Schulleitende und Lehrpersonen von Cluster 1 berichten in den Interviews häufiger, vielfältiger und differenzierter über Tiefenmerkmale von Unterricht. Die mittels des Fragebogens befragten Lehrpersonen und Schulleitenden sind auch mit dem Stand ihrer Schulentwicklung zufriedener als die Befragten von Cluster 2. Zudem wird die Kooperationsqualität im Lehrpersonenteam in den Interviews vermehrt als ko-konstruktive beschrieben.

Allerdings lassen sich innerhalb der Cluster auch Unterschiede feststellen. Dies deutet auf weitere Differenzierungen hin. Varianz zeigt sich beispielsweise in Cluster 2 (Schule B, F und K). Zwar liegen alle drei Schulen im Streudiagramm sichtbar weiter von Schulen von Cluster 1 entfernt, aber das Gütemaß für die Clusterstruktur (Silhouetten-Maß) deutet an, dass Schule F dem Cluster nur teilweise zuzuordnen ist. Dies zeigt sich auch in den Interviewanalysen: In Schule B und K werden im Vergleich zu den anderen Schulen vermehrt reaktive und seltener proaktive Entwicklungstätigkeiten beschrieben. Herausforderungen werden hier eher ad hoc bearbeitet und weniger vorausschauend angepackt. Zudem lässt sich zwischen den Interviewaussagen der Schulleitenden und der Lehrpersonen häufig keine Kohärenz feststellen und es werden im Vergleich zu den anderen neun Schulen häufiger individuelle Entwicklungstätigkeiten beschrieben.

Auch Cluster 1 (Schulen A, D, E, G, H, J, L und M) könnte jedoch weiter differenziert werden. Erstens geben die Ergebnisse der Interviewanalysen Hinweise auf weitere Unterteilungen hinsichtlich der Qualitätsentwicklung von Lernaufgaben. Während in allen Schulen Lernaufgaben für die offenen Unterrichtsphasen gesammelt werden, werden in Schulen A, G und M zusätzlich Problemlöseaufgaben entwickelt, anhand deren die Schülerinnen und Schüler über einen längeren Zeitraum hinweg selbstständig und eigenverantwortlich fachlich anspruchsvolle Probleme bearbeiten. Zweitens legt es das unbefriedigende Gütemaß (Silhouetten-Maß) bei Schule D nahe, mit Schule D ein eigenes Cluster zu bilden. Erklärbar ist dies mit dem geringen Gesprächsanteil von Merkmalen, die der Tiefenstruktur von Unterricht zugeordnet wurden. Zu erwarten gewesen wäre demgegenüber ein hoher Anteil, weil die Schule eine Pionierschule ist und ihr Unterrichtskonzept bereits vor vielen Jahren umgestellt hat. In den Interviewanalysen ließ sich feststellen, dass viel über die Datenbank gesprochen worden war, die für die Organisation und die Verwaltung personalisierter Lehr- und Lernprozesse eingesetzt wird. Diese Aussagen wurden Merkmalen der Oberflächenstruktur zugeordnet. Zudem führte dieser thematische Fokus dazu, dass im Interview weniger Zeit blieb, um über Mikroprozesse schulischen Lehrens und Lernens zu sprechen, weshalb weniger Codierungen bezüglich der Tiefenmerkmale von Unterricht vorgenommen werden konnten und entsprechend geringere Prozentanteile resultierten.

Abschließend lässt sich somit festhalten, dass weitere Differenzierungen der Cluster angesichts der Varianz innerhalb der beiden Cluster möglich wären, die aber wegen der kleinen Stichprobe von elf Schulen nicht sinnvoll erscheinen, weil einige Cluster dann aus lediglich einer Schule bestehen würden (z. B. Schule D). Für die Beibehaltung der Zwei-Clusterlösung spricht überdies, dass erstens das Entscheidungskriterium ΔSAQ deutlich darauf hinweist, dass zweitens die Güte der Clusterlösung (Silhouetten-Koeffizient) gut ist und dass drittens auf der Grundlage der Interviews bedeutsame Unterschiede hinsichtlich der unterrichtszentrierten Schulentwicklung in Richtung personalisierten Lernens ermittelt werden konnten.