Die didaktische Gestaltung und die organisationale Struktur von Unterricht in Volksschulen bildeten im letzten Jahrhundert überwiegend eine Monokultur: Eine Lehrperson unterrichtete eine altershomogene Lerngruppe zur selben Zeit im selben Raum in einem eng geführten Klassenunterricht. In den letzten Jahrzehnten war jedoch ein teils umfassender Gestaltwandel zu beobachten: Zum Beispiel setzen Lehrpersonen vielfältige Lehr- und Lernformen ein, passen ihr Unterstützungsverhalten adaptiv an und entwickeln ihre Aufgabenkultur weiter, sodass die Schülerinnen und Schüler kognitiv anregende, motivierende Lernaufgaben zumindest teilweise selbstständig bearbeiten können. Zudem lassen sich in einigen Schulen umfassende Veränderungen in den organisationalen Unterrichtsstrukturen beobachten. Lerngruppen werden alters- und/oder leistungsdurchmischt zusammengesetzt und zum Teil von mehreren Lehrpersonen gleichzeitig unterrichtet; Ausstattung und Funktionen von Lernräumen werden erweitert und der 45-Minuten-Takt wird für einige Unterrichtsstunden aufgeweicht (Reusser, 2019). Dieser Wandel wird nachfolgend nachgezeichnet und mit Fokus auf die Entwicklungen in der Schweiz charakterisiert.

1.1 Zunehmender Gestaltwandel des Unterrichts hin zur Personalisierung von Lehr- und Lernprozessen

Erste Ansätze einer breiteren Methodenvielfalt in der Volksschule lassen sich in der Schweiz in den 1980er-Jahren finden. Lehrpersonen begannen in ihrem Unterricht sogenannte „erweiterte Lernformen“ einzuführen: zum Beispiel Werkstattunterricht, Wochenplan oder Projektunterricht (u. a. Landwehr, 1996). In Deutschland ist dies unter dem Begriff des offenen Unterrichts (u. a. Peschel, 2003) bekannt. Ziel war es nicht nur, Lehr- und Lernformen variabler zu gestalten, sondern auch, das Kind in einem reformpädagogischen Sinne als lernendes Subjekt ins Zentrum didaktischen Handelns zu setzen. Die Schülerinnen und Schüler wurden durch die bewusste Förderung der Reflexion und Selbststeuerung des Lernens, etwa durch Lernvorträge oder das Führen von Lerntagebüchern, zu selbstständigem Lernen angeleitet (Pauli, Reusser, Waldis & Grob, 2003).

Die Initiative einzelner Lehrpersonen, mit erweiterten Lernformen zu arbeiten, nahm die Nordwestschweizerische Erziehungsdirektion (NW EDK) zum Anlass, im Zeitraum zwischen 1990 und 1995 ein Schulentwicklungsprojekt zu lancieren: „Im Sinne der Schulentwicklung sollen Lernformen entwickelt und erprobt werden, welche unterschiedliche [Schülerinnen und] Schüler je spezifisch fordern und fördern, Selbsttätigkeit und Selbständigkeit besser ermöglichen, gleichzeitig aber auf Teamfähigkeit hin angelegt sind“ (NW EDK, 1989, zitiert nach Croci, Imgrüth, Landwehr & Spring, 1995, S. 10). Die Projektanlage ist aus Schulentwicklungsperspektive höchst aufschlussreich, weil sie zum einen im Kern darauf abzielte, tradierte Unterrichtsstrukturen und didaktisches Handeln aufzubrechen, und individuellen Lernprozessen in der Unterrichtsgestaltung mehr Bedeutung beimaß. Zum anderen wurde die Einführung erweiterter Lehr- und Lernformen in der Schulentwicklung kontextualisiert: Unterrichtsentwicklung sollte gemeinsam im Kollegium vorangetrieben werden, indem Formen der kollegialen Zusammenarbeit zwischen den Lehrpersonen gefördert sowie schulinterne Weiterbildungen durchgeführt werden sollten, was durch schulische Rahmenbedingungen zu unterstützen war (Croci et al., 1995).

Seit dem vermehrten Einsatz erweiterter Lehr- und Lernformen in der Volksschule und insbesondere seit der Veröffentlichung der Ergebnisse internationaler Vergleichsstudien seit den 2000er-Jahren (large-scale studies: TIMSS, PISA etc.) ist ein stärkerer Gestaltwandel von Unterricht zu beobachten (Reusser, 2019), der sich dadurch charakterisieren lässt, dass Veränderungen nicht nur auf der sichtbaren didaktischen Handlungsstrukturebene vorgenommen werden, sondern auf der tiefenpsychologischen Mikroebene auch auf die Prozessqualitäten schulischen Lernens abzielen (Reusser, 2011). Adaptive, an die individuellen Lernvoraussetzungen und Lernstände anschlussfähige Lernumgebungen, in denen alle Schülerinnen und Schüler aktiv am Lehr- und Lerngeschehen teilhaben und dieses nutzen können, gewinnen zunehmend an Bedeutung. Ein Herausforderung die sich daraus ergeben kann, besteht darin, dass curriculare Grundanforderungen, die für die meisten Schülerinnen und Schüler dieselben sind, trotz individueller Förderung erreicht werden müssen (Stebler, Pauli & Reusser, 2018). Diese Herausforderung wird kontinuierlich anspruchsvoller, weil zum einen die Voraussetzungen der Schülerinnen und Schüler infolge gesellschaftlicher Veränderungen (u. a. Globalisierung, Migration), internationaler Konventionen (u. a. Übereinkommen zum Schutz der Rechte von Menschen mit Behinderungen) und bildungspolitischer Weichenstellungen (u. a. Inklusion, Gemeinschaftsschule) heterogener wird. Zum anderen steigen die Möglichkeiten individueller Förderungen, beispielsweise durch die vielfältigen Einsatzmöglichkeiten digitaler Medien. So können adaptive Lernprogramme anhand vorgängig gesammelter Daten zu richtigen und falschen Aufgabenlösungen individuell an den Lernstand angepasste neue Lernaufgaben bereitstellen (u. a. Petko, Schmid, Pauli, Stebler & Reusser, 2017). Gleichzeitig bleiben curriculare Grundanforderungen bestehen, die in kompetenzorientierten Bildungsplänen festgehalten sind und durch die stärkere Gewichtung überfachlicher Kompetenzen, zum Beispiel Reflexion und Selbststeuerung von Lernprozessen, zusätzliche Anforderungen an die Unterrichtsgestaltung stellen (u. a. Oelkers & Reusser, 2008).

Um diese Herausforderungen zu bewältigen und verstehensbezogene Lernprozesse auszulösen, ist eine Lernarchitektur vielversprechend, in der sich frontale Inputs, kooperative und individuelle Lehr- und Lernformen abwechseln, Schülerinnen und Schüler ihre Lernprozesse vermehrt organisieren und steuern können, Fehler toleriert werden und das Lernen von einer adaptiven Lernunterstützung begleitet wird (u. a. Reusser, Stebler, Mandel & Eckstein, 2013). Die didaktische Gestaltung solcher Architekturen kann sich u. a. an den das Lernen personalisierenden Konzepten der inneren Differenzierung (u. a. Klafki & Stöcker, 1976), der Individualisierung (u. a. Bräu, 2005) oder der Öffnung des Unterrichts (u. a. Peschel, 2003) orientieren, die im Folgenden kurz kontextualisiert und inhaltlich umrissen werden.

Personalisierung in der Gesellschaft

Die Personalisierung von Lehr- und Lernprozessen kann als Manifestation eines gesellschaftlichen Trends beschrieben werden, der aus anderen Lebensbereichen in das Bildungswesen übernommen wurde. Formen der Personalisierung lassen sich beispielsweise in der Werbebranche, in der Herstellung von Konsumgütern, bei der Programmierung von Computersoftwares oder in der Produktion von Medikamenten finden. Das Angebot personalisierter Produkte und Dienstleistungen zielt darauf ab, anstelle von Einheitsprodukten und Massenware auf Individualität und persönliche Lösungen einzugehen (u. a. Stebler, Pauli & Reusser, 2017). So können Konsumentinnen und Konsumenten beispielsweise Farbe, Muster und Materialien von Turnschuhen oder die Namen und das Aussehen von Figuren in Kinderbüchern selbst bestimmen. Des Weiteren werden Werbebanner im Internet an die letzten Suchanfragen angepasst und es lassen sich mit dem eigenen Vornamen beschriftete Trinkflaschen eines Süßgetränkeherstellers erwerben. Der Trend lässt sich nicht nur in der Schweiz, sondern auch in vielen anderen Ländern feststellen. In der Medizin werden beispielsweise in Finnland, England und China Daten zu Krankheitsverläufen auf zentralen Datenbanken gespeichert und Gewebeproben oder Körperflüssigkeiten in Biobanken ausgewertet und gelagert. Ärztinnen und Ärzte können während der Behandlung auf die Datenbanken zugreifen und mittels eines Algorithmus Indikatoren für eine individuelle, auf die körperlichen Voraussetzungen angepasste Behandlungsmethode erhalten (u. a. Jones, 2017).

Personalisiertes Lernen

Wie bereits erwähnt, ist auch im Bildungswesen ein Trend hin zu Personalisierungen festzustellen. Ein eher neuer, in diesem Zusammenhang zunehmend Bekanntheit erlangender Ansatz ist personalisiertes Lernen (u. a. Bray & McClaskey, 2015; Murphy, Redding & Twyman, 2016). Besonders im angloamerikanischen Sprachraum wird viel zu personalized learning publiziert. Dies zeigt sich etwa in der Auflistung der beliebtesten Unterrichtstrends von Teachthought, in der personalized learning den fünften von zwanzig Rängen erreicht hat.Footnote 1 Die Autorinnen und Autoren haben die Suchhäufigkeit verschiedener Unterrichtskonzepte wie etwa growth mindset, blended learning oder gamification in Suchmaschinen (Google, Bing etc.), in der Datenbank von Teachthought und auf Bildungswebsites sowie Daten aus sozialen Medien ausgewertet und die Unterrichtskonzepte in Kombination mit dem quantifizierten subjektiven Eindruck der Redaktion von Teachthought in eine Rangreihe gebracht. Obwohl die Themenbereiche und die Generierung der Werte diskussionswürdig sind, unterstreicht diese Auflistung die Präsenz von personalized learning im Bildungsdiskurs.

Eine personalisierte Gestaltung von Lehr- und Lernprozessen ist als Entwicklung vom „Modell der seriell-industriellen Bildungsproduktion [hin zu] vermehrt individuelle[r] Verantwortung, Selbststeuerung und Kooperation“ (Brühlmann, 2012, S. 12) einzuordnen. Im angloamerikanischen Bildungsraum werden unter dem Terminus personalized learning an den Schülerinnen und Schülern ausgerichtete (student-centred) Unterrichtskonzepte entwickelt, in denen sie über Autonomie- und Wahlmöglichkeiten verfügen, um eigene Lernprozesse selbst zu gestalten (u. a. Bray & McClaskey, 2015; Miliband, 2006; Prain et al., 2015b). Diese Beschreibungsmerkmale lassen sich in zahlreichen Publikationen finden. Sie sind allerdings wenig spezifisch und können eine trennscharfe Abgrenzung von anderen Konzepten kaum leisten. So wird personalisiertes Lernen auch als „Container-Begriff“ (Stebler et al., 2017, S. 5) oder „umbrella term“ (Kallick & Zmuda, 2017, S. 2) bezeichnet. Entsprechend werden unter personalized learning verschiedene weitere didaktische Ansätze und Konzepte wie Individualisierung, adaptiver Unterricht, Binnendifferenzierung oder offener Unterricht gefasst (Stebler et al., 2017). Zudem wird ein globaler Diskurs geführt, bei dem unterschiedliche kulturelle Verständnisse von Lehren und Lernen in die Begriffsbildung einfließen (u. a. Ferrer, 2012). Diesbezüglich lassen sich Beiträge aus Großbritannien (Miliband, 2006), den USA (Bray & McClaskey, 2015), Deutschland (Zylka, 2017), der Schweiz (Müller, 2014, 2015) sowie China (Liu & He, 2012), Rumänien (Horga, 2012) und Japan (Courcier & Nasu, 2012) finden. Ebenso zu nennen sind die Arbeiten von Hoz (1982, 1987), die in Spanien sowie in Mittel- und Südamerika verbreitet sind (Kennedy, Freidhoff & DeBruler, 2014; UNESCO, 2012).

Unterrichtszentrierte Schulentwicklung in Richtung personalisierten Lernens (uSpL)

Das Verständnis von personalisiertem Lernen in dieser Arbeit orientiert sich an der Begriffsbestimmung von Reusser (2015). Personalisierung von Lehr- und Lernprozessen ist gemäß dieser Bestimmung wie bereits festgehalten kein klares und einheitliches Konzept. Orientiert man sich bei der Betrachtung einerseits an konkreten Schulen, die ihren Unterricht umgestaltet haben, und andererseits an aus dem reformpädagogischen Denken bekannten Postulaten eines stärker „kindorientierten Lernens“, so lassen sich fünf Dimensionen beschreiben (u. a. Stebler et al., 2017; Stebler et al., 2018): Lehrpersonen

  • passen das Lernangebot partizipativ an die personalen Voraussetzungen der Schülerinnen und Schüler an,

  • bauen bei den Schülerinnen und Schülern personale und soziale Kompetenzen auf und fördern sie ganzheitlich,

  • ermöglichen selbstgesteuertes Lernen auf eigenen Wegen,

  • machen kompetenzorientiertes Lernen zur persönlichen Sache der Schülerinnen und Schüler und

  • wirken, wie auch die Lerngemeinschaft, bildend und unterstützend.

Ein Blick in das Schulfeld zeigt schnell, dass Schulleitende und Lehrpersonen sich je nach Rahmenbedingungen und Lehr- sowie Lernverständnis eigene Unterrichtskonzepte erarbeiten, in denen sie Lehr- und Lernprozesse entlang von ihnen als bedeutsam erscheinenden Dimensionen personalisiert zu gestalten versuchen. Bei aller Verschiedenheit in der Schwerpunktsetzung, beispielsweise bezüglich der fokussierten Dimensionen, ist den Konzepten jedoch gemeinsam, dass sie sich von jahrelang etablierten Formen der Lehr- und Lernorganisation (u. a. Jahrgangsklassen, Lektionstakt, Klassenzimmer) sowie Formen der Unterrichtsgestaltung (u. a. Lernen im Gleichschritt, bloße Stoffvermittlung, engmaschiges lehrpersonengelenktes Lernen) lösen und ihren Unterricht zu individualisierten und kooperativen Lernarrangements weiterentwickeln, in denen zum Beispiel offenes und selbstgesteuertes Lernen sowie Persönlichkeitsentwicklung stärker gewichtet werden. Konkret gestalten sie Lernräume neu, flexibilisieren Lernzeiten und unterscheiden zwischen geführten und offenen Unterrichtsphasen, die in einem zeitlichen Verhältnis von ca. 2:1 stehen. Die geführten Unterrichtsphasen sind oftmals sogenannte „Input-Lektionen“ in Lerngruppen und Fachunterricht (z. B. Sport oder Musik). Offene Unterrichtsphasen hingegen finden häufig in Lernlandschaften statt und charakterisieren sich durch vielfältige Kooperations- und Unterstützungsformen sowie dadurch, dass die Schülerinnen und Schüler über Autonomie- und Wahlmöglichkeiten in Bezug auf das eigene Lernen verfügen (Pauli, Stebler & Reusser, 2017; Petko et al., 2017; Stebler et al., 2017, 2018).

Entschließen sich Schulleitende und Lehrpersonen, Lehr- und Lernprozesse vermehrt „personalisiert“, das heißt nach Maßgabe einzelner oder mehrerer der obgenannten Dimensionen zu gestalten, ist dazu ein entwicklungsbezogenes Handeln notwendig, das sich als unterrichtszentrierte Schulentwicklung beschreiben lässt. Entwicklung wird in diesem Zusammenhang verstanden als gezielte und systematische Bearbeitung der Divergenz zwischen praktiziertem Unterrichtshandeln (Ist-Zustand) und angestrebtem Unterrichtshandeln (Soll-Zustand). Die in dieser Arbeit dargestellte unterrichtszentrierte Schulentwicklung in Richtung personalisierten Lernens (uSpL) fokussiert vor diesem Hintergrund Entwicklungstätigkeiten in Einzelschulen, die als pädagogische Handlungseinheiten (Fend, 2008b) aufgefasst werden. Schulleitende und Lehrpersonen nutzen Gestaltungs- und Autonomiespielräume, indem sie beispielsweise ein erweitertes Spektrum von Lehr- und Lernformen erarbeiten, die Aufgabenkultur verbessern oder vielfältigere Formen der pädagogischen Lernunterstützung einsetzen. Hierfür arbeiten die Lehrpersonen in Teams zusammen und bilden professionelle Lerngemeinschaften (Bonsen & Rolff, 2006), in denen darüber hinaus organisationale Strukturen angepasst werden, Weiterbildungen stattfinden und ein gemeinschaftliches Schulleben geformt wird.

1.2 Verortung der Arbeit im perLen-Forschungsprojekt

Schulen in der Deutschschweiz, in denen der Unterricht in Richtung einer vermehrt personalisierten Gestaltung von Lehr- und Lernprozessen weiterentwickelt wird, werden im Forschungsprojekt perLen (personalisierte Lernkonzepte in heterogenen Lerngruppen; gefördert von der Stiftung Mercator Schweiz) untersucht. Es handelt sich um ein multiperspektivisches, multimethodisches und längsschnittliches Forschungsprojekt der Universität Zürich und der Universität Freiburg (Schweiz) in Kooperation mit der Pädagogischen Hochschule Schwyz (u. a. Stebler et al., 2017). Das Projekt zielt darauf ab, die vielfältigen Unterrichtskonzepte in 65 Primar- und Sekundarschulen zu erheben und zu systematisieren. Folgende vier Hauptforschungsfragen sind leitend:

  • Wie präsentieren sich die didaktischen Konzepte, die Unterrichtspraxis und die Lernbegleitung sowie die Lernaktivitäten der Schülerinnen und Schüler in Schulen mit Konzepten personalisierten Lernens?

  • Wie entwickeln sich Unterrichtspraxis, Lernaktivitäten und Lernbegleitung im Projektzeitraum (drei Jahre) weiter?

  • Welche Konsequenzen hat die Orientierung an Konzepten personalisierten Lernens für die Rolle der Lehrpersonen, ihr Berufs- und Selbstverständnis sowie die Zusammenarbeit im Kollegium und mit den Eltern?

  • Wie entwickeln sich die fachlichen und insbesondere auch die überfachlichen (personalen, methodischen, sozialen) Kompetenzen der Schülerinnen und Schüler im Verlauf von drei Jahren?

Die vorliegende Arbeit verortet sich in der zweiten Fragestellung. Allerdings wird zusätzlich zur Entwicklung der Unterrichtspraxis, der Lernaktivitäten und der Lernbegleitung, die sich mit dem Begriff der Unterrichtsentwicklung fassen lässt, auch die Entwicklung der gesamten Schule untersucht. Der Grund dafür besteht darin, dass neben Veränderungen des Lehr- und Lerngeschehens auch bedeutsame Tätigkeiten auf der Schulebene stattfinden und die beiden Ebenen sich gegenseitig bedingen (D. Hargreaves, 2006a; Prain et al., 2015a). Mit dem erweiterten Fokus auf Prozesse von Schulentwicklung werden auch Themen der dritten Forschungsfrage des perLen-Projekts bearbeitet: die Zusammenarbeit im Kollegium und mit den Eltern.

Die der vorliegenden Untersuchung zugrunde liegenden Daten (45 teilstrukturierte Leitfadeninterviews und Daten aus einer schriftlichen Befragung) – erhoben und aufbereitet durch Mitarbeitende des perLen-Projekts – standen bereits zur Verfügung. Die Eigenleistung des Autors besteht zum einen in der eigenständig durchgeführten Analyse dieser Daten, in der – wie oben ausgeführt – zentrale Forschungsfragen des perLen-Projekts (z. B. Tätigkeiten zur Entwicklung des Unterrichts in Richtung personalisierten Lernens) und ergänzend dazu weitere Themen bearbeitet werden (z. B. Entwicklung organisationaler Strukturen der Schulen, Professionalisierung von Lehrpersonen). Zum anderen wird für die Analyse ein Modell konzipiert (uSpL-Modell; siehe Abschnitt 4.2) mit dem Entwicklungstätigkeiten sowohl auf Unterrichts- als auch auf Schulebene systematisch ausgewertet werden können.

In zwei Studien werden von Schulleitenden und Lehrpersonen berichtete Handlungen respektive Entwicklungstätigkeiten, diesbezügliche Beschreibungen der Erarbeitung und der Umsetzung des jeweiligen Konzepts personalisierten Lernens sowie Reflexionen des Entwicklungsprozesses analysiert. Untersucht werden elf Schulen des perLen-Projekts. In Studie 1 stehen deren Entwicklungsprozesse, das heißt der gesamthafte Verlauf hin zu einer stärker personalisierten Gestaltung von Lehr- und Lernprozessen, im und vor dem Erhebungszeitraum im Forschungsfokus. Es werden zuerst die Entwicklungsprozesse einer jeden Schule beschrieben und anschließend Gemeinsamkeiten aller Schulen in ihren Entwicklungstätigkeiten extrahiert. Studie 2 weist einen stärker explorativen Charakter auf: Die berichteten Entwicklungstätigkeiten zur Unterrichtsentwicklung werden hinsichtlich pädagogisch-psychologischer Qualitätsmerkmale guten Unterrichts genau analysiert. Anschließend wir der Versuch unternommen, die Schulen zu gruppieren (Clusterbildung). Die zwei Studien mit ihren Teilstudien und Forschungsfragen werden nachfolgend vorgestellt.

1.3 Studie 1: Analyse des gesamten Entwicklungsprozesses: Entwicklungstätigkeiten auf Schul- und Unterrichtsebene in elf Schulen des perLen-Projekts

Wenn Schulleitende und Lehrpersonen leistungs- und/oder altersdurchmischten Lerngruppen bilden und Lernlandschaften einführen, in denen die Schülerinnen und Schüler in offenen Unterrichtsphasen vermehrt selbst entscheiden können, welche Lernaufgaben sie wann, wo und mit wem lösen, dann gehen damit umfangreiche Veränderungen einher. Diese beziehen sich beispielsweise auf ein erweitertes Repertoire von Lehr- und Lernformen, vielfältigere Formen der Lernunterstützung und eine verbesserten Aufgabenkultur, wodurch tradierte Unterrichtsstrukturen und Überzeugungen zu pädagogischem und didaktischem Handeln teils radikal verändert werden (u. a. Stebler et al., 2018).

Herausfordernd sind dabei nicht nur die vielfältigen Tätigkeitsfelder, die in einer solchen unterrichtszentrierten Schulentwicklung in Richtung personalisierten Lernens bearbeitet und miteinander koordiniert werden, sondern auch die verschiedenen Mitwirkenden auf Unterrichts-, Schul- und Systemebene mit unterschiedlichen Intentionen, pädagogischen und didaktischen Grundüberzeugungen, Professionen etc., die den Entwicklungsprozess direkt oder indirekt beeinflussen (D. Hargreaves, 2006a, 2006b). Zentrale Akteurinnen und Akteure sind Schulleitende und Lehrpersonen in Steuergremien, die den Prozess initiieren, überblicken und lenken. Teams von Lehrpersonen rekontextualisieren die Entwicklungsvorgaben in ihrem unterrichtlichen Handeln. Schülerinnen und Schüler als zentrale Bezugsgruppe des Entwicklungsprozesses sind Nutzerinnen und Nutzer der Lernangebote und können auch in partizipativen Freiräumen ihre Lernprozesse selbst gestalten. Darüber hinaus können außerschulische Akteursgruppen den Entwicklungsprozess beeinflussen: Schulbehörden, Eltern, Beratende oder auch Mitglieder schulischer Netzwerke (u. a. Fend, 2008b).

Zusammengefasst zeigt sich ein vielfältiges Zusammenspiel verschiedener individueller, institutioneller, inhaltlicher, sozialer und kultureller Aspekte (Haenisch, 2016; Meyer, 2015; Rolff, 2013). Ein solches wird in exemplarischen Beschreibungen der Unterrichts- und Schulentwicklung an einzelnen Schulen ersichtlich, wie etwa der Alemannenschule in Wutöschingen (Zylka, 2017), der Bielefelder Laborschule (Demmer-Dieckmann, 2005) und dem Institut Beatenberg (Müller, 2014), oder an Schulen des Schulnetzwerks „Verband der mosaik-Sekundarschulen“ (André & Halbheer, 2017; Maag Merki, 2018). Eine längsschnittliche empirische Analyse mehrerer Schulen hinsichtlich der Frage, wie Entwicklungstätigkeiten auf Schul- und Unterrichtsebene systematisch gestaltet werden und miteinander verknüpft sind, um Lehr- und Lernprozesse verstärkt zu personalisieren, liegt derzeit hingegen mit einer Ausnahme nicht vor. Einzig in der Begleitforschung der Gemeinschaftsschulen in Baden-Württemberg (WissGem) wird dieses Forschungsdesiderat teilweise bearbeitet (Bohl & Wacker, 2016).

In Anbetracht dieses Forschungsdefizits wird in Studie 1 die unterrichtszentrierte Schulentwicklung in Richtung personalisierten Lernens in elf Schulen des perLen-Projekts anhand folgender Forschungsfrage untersucht:

1. Forschungsfrage: Wie, aus welchem Anlass, mit welchen Mitteln, mit welchem Ziel und unter Bearbeitung welcher Themen und Gegenstände gestalten Schulleitende und Lehrpersonen ihre unterrichtszentrierte Schulentwicklung in Richtung personalisierten Lernens?

Das Forschungsziel besteht darin, nachzuzeichnen, wie Schulleitende und Lehrpersonen den Entwicklungsprozess an ihrer Schule gestalten. Datengrundlage bilden insgesamt 45 teilstrukturierte Leitfadeninterviews, die elf Einzel- und Gruppeninterviews mit Schulleitenden aus dem ersten Erhebungszeitpunkt und 34 Gruppeninterviews mit Lehrpersonen aus dem ersten, zweiten und dritten Erhebungszeitpunkt umfassen.

Im ersten Teil von Studie 1 werden die Interviewdaten mittels strukturierender Inhaltsanalyse (Kuckartz, 2018) ausgewertet. Ziel ist es, den Entwicklungsprozess einer jeden Schule im dreijährigen Erhebungszeitraum (2012–2015) anhand aller im uSpL-Modell dargestellten Aspekte einer unterrichtszentrierten Schulentwicklung in Richtung personalisierten Lernens zu beschreiben: Rahmenbedingungen (Teilfrage 1.1), Auslöser und Beginn des Entwicklungsprozesses (Teilfrage 1.2), organisationale Struktur der personalisierten Lernumgebung (Teilfrage 1.3), Entwicklungstätigkeiten, das heißt, wer, was mit wem bearbeitet hat (Teilfrage 1.4), sowie Metaziele (Teilfrage 1.5). Zeitlich liegt der Fokus auf den Entwicklungstätigkeiten im Erhebungszeitraum. Einzig bei der Teilfrage 1.2, die sich darauf bezieht, wann das Unterrichtskonzept eingeführt wurde, wird der Zeitraum vor dem ersten Erhebungsjahr miteinbezogen.

Studie 1/Teil 1: Beschreibung des Entwicklungsprozesses einer jeden Schule

  • Teilfrage 1.1: Welche Rahmenbedingungen weisen die elf Schulen auf?

  • Teilfrage 1.2: Wann wurde in den Schulen damit begonnen, das jeweilige Konzept personalisierten Lernens zu entwickeln und einzuführen?

  • Teilfrage 1.3: Wie sind Lernräume, Lerngruppen, Lernzeiten und weitere organisatorische Merkmale der Konzepte personalisierten Lernens strukturiert?

  • Teilfrage 1.4: Wie entwickeln Schulleitende und Lehrpersonen innerhalb des dreijährigen Erhebungszeitraums ihr jeweiliges personalisiertes Unterrichtskonzept weiter?

  • Teilfrage 1.5: Welche langfristigen Ziele (Metaziele) der unterrichtszentrierten Schulentwicklung in Richtung personalisierten Lernens werden genannt?

Im zweiten Teil von Studie 1 werden die elf Schulen miteinander verglichen, um untersuchen zu können, welche Entwicklungsgegenstände in allen Schulen beschrieben werden. Die Entwicklungsgegenstände umfassen inhaltlich ähnliche Entwicklungstätigkeiten und sind auf einem Abstraktionsniveau formuliert, das einen Schulvergleich ermöglicht, zum Beispiel die Erarbeitung von Stoffplänen, in denen die Lerninhalte für alters- und/oder leistungsdurchmischte Lerngruppen neu angeordnet werden. In methodischer Hinsicht werden zur Bestimmung der Entwicklungsgegenstände die Kategorien des Kategoriensystems aus Teil 1 beigezogen, mit denen die Interviewaussagen zu den Entwicklungstätigkeiten codiert wurden. Der Zeithorizont wird auf Aussagen erweitert, die sich auf den Zeitraum vor dem ersten Erhebungsjahr beziehen. In einem ersten Schritt interessiert, welche Entwicklungsgegenstände überhaupt beschrieben werden (Teilfrage 1.6), während anschließend untersucht werden soll, welche davon in allen Schulen erläutert werden (Teilfrage 1.7).

Studie 1/Teil 2: Gemeinsame Entwicklungsgegenstände in den untersuchten Schulen vor und im Erhebungszeitraum

  • Teilfrage 1.6: Welche Entwicklungsgegenstände lassen sich aufbauend auf dem Kategoriensystem der inhaltsanalytischen Datenanalyse (Studie 1/Teil 1) extrahieren?

  • Teilfrage 1.7: Welche Entwicklungsgegenstände werden von Lehrpersonen und Schulleitenden aller Schulen für die Zeit vor oder/und für die Zeit während des Erhebungszeitraums beschrieben?

1.4 Studie 2: Entwicklungstätigkeiten ausgerichtet auf pädagogisch-psychologische Qualitätsmerkmale guten Unterrichts

Während in Studie 1 der gesamte Entwicklungsprozess analysiert wird, geht Studie 2 vertieft auf Tätigkeiten der Unterrichtsentwicklung ein. Im Schulentwicklungsdiskurs besteht Einigkeit darüber, dass Entwicklungstätigkeiten auf die Unterrichtsebene und insbesondere auf die Lernebene abzielen sollen, um die Lernergebnisse der Schülerinnen und Schüler zu verbessern (u. a. Bastian, 2007; Daschner & Rolff, 2011; Kiper, 2013; Klafki, 1985/2007; Maag Merki, 2016, 2018; Oelkers & Reusser, 2008; Reusser, 2011; Rolff, 2014). Jedoch stellt sich die Frage, wie sich solche Entwicklungstätigkeiten konstituieren, damit sie die Lernprozesse positiv beeinflussen. Ausgehend von einem kognitiv- und soziokonstruktivistischen Lernverständnis wird die These vertreten, dass diejenigen Entwicklungstätigkeiten das Lernen in personalisierten Lernumgebungen positiv beeinflussen, die auf die pädagogisch-psychologischen Mikroprozesse des Lehr- und Lerngeschehens abzielen, sodass vertiefte, verstehensbezogene und kognitiv aktivierende Auseinandersetzungen mit Lerninhalten sowie motivational-emotionale und soziale Lerndynamiken gefördert werden (u. a. Reusser, 2011). Entsprechend wird in Studie 2 untersucht, inwiefern die Entwicklung solcher Aspekte der Tiefenstruktur des Unterrichts in den Interviews erläutert wird und wie sich allfällige Varianzen zwischen den Schulen erklären lassen. Hierzu werden drei Forschungsfragen bearbeitet:

2. Forschungsfrage (Studie 2/Teil 1): Welchen Dimensionen und Merkmalen auf zwei Qualitätsebenen des Unterrichts (Oberflächen- und Tiefenstrukturebene) personalisierten Lernens lassen sich die identifizierten Entwicklungstätigkeiten zuordnen?

3. Forschungsfrage (Studie 2/Teil 2): Gibt es eine Beziehung zwischen der Selbsteinschätzung des Entwicklungsstandes der Schulen und dem von ihnen verfolgten Verständnis von Lehr- und Lernqualität?

4. Forschungsfrage (Studie 2/Teil 3): Zeigen sich dabei Muster, nach denen sich die Schulen gruppieren lassen?

Datengrundlage sind die Interviewaussagen zur Unterrichtsentwicklung aus Studie 1, die sich auf die Gestaltung der drei Teilkulturen des didaktischen Dreiecks von Reusser (2008) beziehen: auf die bildungsinhaltliche Ziel- und Stoffkultur, auf die auf den Lehr- und Lernprozess bezogene Lehr- und Lernkultur und auf die kommunikativ-unterstützende Interaktions- und Unterstützungskultur. Zudem werden Antworten der Schulleitenden und Lehrpersonen zu einer Frage zum Stand der Schulentwicklung aus dem Online-Fragebogen (3. Erhebungszeitpunkt) hinzugenommen.

Im ersten Teil von Studie 2 interessiert, inwiefern die Entwicklungstätigkeiten auf die Ermöglichung personalisierten Lernens abzielen. Hierfür werden dieselben Interviewaussagen in fünf Dimensionen personalisierten Lernens (u. a. Stebler et al., 2018), die ebenfalls auf einem kognitiv- und soziokonstruktivistischen Lernverständnis gründen, mit einer strukturierenden Inhaltsanalyse (Kuckartz, 2018) ein zweites Mal codiert (Teilfrage 2.1). Dies ist einer der ersten Versuche, die Dimensionen personalisierten Lernens in einer empirischen Analyse einzusetzen. Deswegen gilt es zu klären, inwiefern die Dimensionen durch das empirische Material erweitert und konkretisiert werden können (Teilfrage 2.2).

Studie 2/Teil 1: Dimensionen personalisierten Lernens in berichteten Entwicklungstätigkeiten der Unterrichtsentwicklung

  • Teilfrage 2.1: Welche Dimensionen personalisierten Lernens (siehe Abschnitt 3.2) lassen sich in den Interviewaussagen zur Unterrichtsentwicklung wiederfinden?

  • Teilfrage 2.2: Wie lassen sich die Dimensionen personalisierten Lernens anhand der Interviewaussagen beschreiben und konkretisieren?

Für die Gestaltung eines nachhaltigen Entwicklungsprozesses in Richtung personalisierten Lernens dürfte die Weiterentwicklung der pädagogisch-psychologischen Mikroprozesse des Lehr- und Lerngeschehens vielversprechend sein. Um diese Annahme anhand der Interviewaussagen zu untersuchen, wird im zweiten Teil von Studie 2 zwischen der Oberflächen- und der Tiefenstruktur von Unterricht unterschieden. Diese Differenzierung geht zurück auf Arbeiten von Reusser (1999), der sich an Aeblis (1983/2006) psychologischer Didaktik orientiert. Aspekte der Oberflächenstruktur des Unterrichts sind sichtbare lernorganisatorische und didaktische Strukturen und Handlungen, wie etwa die Organisation der Lehr- und Lernformen, der Lernunterstützung und der Lernaufgaben etc. Die Tiefenstruktur bezieht sich demgegenüber auf die pädagogisch-psychologischen Mikroprozesse des Lehr- und Lerngeschehens, wie beispielsweise Klassenführung, kognitive Aktivierung oder adaptive Lernunterstützung (Klieme, Lipowsky, Rakoczy & Ratzka, 2006; Kunter & Ewald, 2016; Kunter & Trautwein, 2013; Reusser, 2005, 2006, 2008). Insbesondere die Aspekte der Tiefenstruktur gelten als höchst relevant für den Lernerfolg von Schülerinnen und Schülern (Fullan, Quinn & McEachen, 2018; Hattie, 2009, 2012; Helmke, 2015; Klieme, Pauli & Reusser, 2009; Klieme & Rakoczy, 2008; Meissner, Merk, Pietsch & Bohl, 2016; Meyer, 2015; Pauli, Drollinger-Vetter, Hugener & Lipowsky, 2008; Reusser & Pauli, 2013; Reusser, Pauli & Waldis, 2010).

Für die Datenauswertung werden inhaltlich ähnliche Textstellen pro Dimension personalisierten Lernens und pro Interview zusammengefasst. Die daraus entstehenden Summaries werden danach den Merkmalen der Oberflächen- und der Tiefenstruktur zugeordnet (Teilfrage 2.3) und ausgezählt. Abschließend wird pro Schule das prozentuale Mengenverhältnis berechnet (Teilfrage 2.4).

Ein sehr ähnliches methodisches Vorgehen wählten Meissner, Merk, Pietsch und Bohl (2016) in einer Teilstudie der Begleitforschung zu WissGem (Bohl & Wacker, 2016). Allerdings erfolgten hier die Zuordnung und die Auszählungen auf der Ebene der Textstellen. In der vorliegenden Forschungsarbeit wurde im Gegensatz dazu die Ebene der Summaries gewählt, um mögliche Verzerrungen der Quantifizierung zu reduzieren. Diese entstehen aufgrund der – bei dieser Auswertungsstrategie unerwünschten – Auswirkungen von unterschiedlicher Interviewführung der Mitarbeitenden und Studierenden sowie von einzigartigen und wenig standardisierbaren sozialen Interaktionen in jedem Interview (Vasarik Staub, Galle, Stebler & Reusser, 2019).

Studie 2/Teil 2: Merkmale der Tiefen- und Oberflächenstruktur von Unterricht in der Entwicklung einer personalisierten Gestaltung von Lehr- und Lernprozessen

  • Teilfrage 2.3: Welche Aspekte der Oberflächen- und der Tiefenstruktur von Unterricht werden in den Interviewaussagen zur Unterrichtsentwicklung thematisiert?

  • Teilfrage 2.4: In welchem prozentualen Verhältnis stehen die Anteile der Interviewaussagen, die der Qualitätsebene der Oberflächenstruktur des Unterrichts zugeordnet werden können, zu den Anteilen der Interviewaussagen, die der Qualitätsebene der Tiefenstruktur von Unterricht zugeordnet werden können in jeder der elf Schulen?

Es wird erwartet, dass sich die Schulen in den prozentualen Mengenverhältnissen voneinander unterscheiden, weil Schulleitende und Lehrpersonen in ihrer unterrichtszentrierten Schulentwicklung in Richtung personalisierten Lernens verschiedene Gegenstände unterschiedlich bearbeiten. Einzelschule werden als pädagogische Handlungseinheiten (Fend, 1986) aufgefasst, in denen Entwicklungsimpulse und -vorhaben rekontextualisiert werden. Das heißt, diese werden im Kontext gegebener Schul- und Unterrichtsbedingungen adaptiert. Mögliche Bedingungen sind beispielsweise verfügbare berufliche Kompetenzen, finanzielle Ressourcen, Heterogenität der Schülerinnen und Schüler, Kooperationsqualität im Team etc.

Ein Faktor, der den Erfolg des Adaptionsprozesses von Entwicklungsimpulsen zu einem gewissen Grad misst, ist der selbst eingeschätzte Stand der Schulentwicklung. Im dritten Erhebungsjahr wurden Schulleitende und Lehrpersonen deshalb gefragt, wie sie den Entwicklungsstand ihrer Schule zwischen „gar nicht gut unterwegs“ bis „hervorragend unterwegs“ einschätzen würden. Im dritten Teil von Studie 2 wird erwartet, dass der Entwicklungsstand mit den prozentualen Mengenverhältnissen der Tiefenstruktur positiv zusammenhängt. Die zugrunde liegende These lautet, dass Lehrpersonen mit ihren Entwicklungstätigkeiten zufrieden sein können, wenn sie es schaffen, mit ihren Konzepten personalisierten Lernens kognitive, motivational-emotionale und soziale Dynamiken des Lernens positiv zu beeinflussen. Durch das Bewusstwerden und das Erfassen sowie die kompetente Gestaltung dieser Tiefenstrukturebene des Lehrens und Lernens können Lehrpersonen an die psychologischen Tiefenschichten des Lernens ihrer Schülerinnen und Schüler herankommen und verstehensbezogenes Lernen auslösen (Teilfrage 2.5). Zudem wird untersucht, inwiefern sich die Schulen anhand der zwei Merkmale – prozentualer Anteil an Summaries und Einschätzung des Entwicklungsstands – gruppieren lassen (Teilfrage 2.6). Theoretisch lassen sich vier Gruppen ableiten: Gruppe 1, bei der die Werte in beiden Merkmalen hoch sind, Gruppe 2 mit niedrigeren Werten in den Summary-Anteilen der Tiefenstruktur und höheren Werten in der Einschätzung des Entwicklungsstands, Gruppe 3 mit umgekehrten Ausprägungen, das heißt hohe Werte bezüglich der Tiefenstruktur und niedrige Werte beim Entwicklungsstand, und Gruppe 4 mit niedrigeren Werten bei beiden Merkmalen. In Anbetracht des oben beschriebenen zu erwartenden positiven Zusammenhangs wäre zu erwarten, dass sich Gruppe 1 und Gruppe 4 finden lassen. Zu diesem Zweck wird eine Clusteranalyse durchgeführt, auf deren Grundlage mögliche Cluster unter Beizug der qualitativen Ergebnisse aus Studie 1 und Studie 2 beschrieben werden (Teilfrage 2.7).

Studie 2/Teil 3: Gruppenbildung (Cluster) von Schulen hinsichtlich der Gestaltung unterrichtszentrierter Schulentwicklung in Richtung personalisierten Lernens

  • Teilfrage 2.5: Zeigt sich ein Zusammenhang zwischen Summary-Anteilen, die der Qualitätsebene der Tiefenstruktur des Unterrichts zugeordnet werden können, und der Einschätzung des Entwicklungsstands einer jeden Schule?

  • Teilfrage 2.6: Lassen sich die Schulen anhand ihrer jeweiligen Anteile an Summaries, die der Qualitätsebene der Tiefenstruktur des Unterrichts zugeordnet werden können, und ihrer Einschätzung des Entwicklungsstands gruppieren?

  • Teilfrage 2.7: Wie lassen sich mögliche Entwicklungsgruppen (Cluster) charakterisieren?

1.5 Aufbau der Arbeit

Nachfolgend wird zuerst der historische Diskurs zu den Themen der Schulentwicklung als Entwicklung von Einzelschule, der Unterrichtsentwicklung und des personalisierten Lernens (Kapitel 2) nachgezeichnet. Anschließend folgen Beschreibungen, Charakterisierungen und Definitionen des personalisierten Lernens (Kapitel 1) und die ausführliche Erläuterung des uSpL-Modells (Kapitel 4). Das Modell dient einerseits der theoretischen Beschreibung der komplexen unterrichtszentrierten Schulentwicklung in Richtung personalisierten Lernens und bildet andererseits die Grundlage für die Datenanalyse. Nach der Zusammenfassung des theoretischen Teils (Kapitel 5) und der Beschreibung des methodischen Vorgehens (Kapitel 6) folgt die Darstellung der Ergebnisse (Kapitel 7). Nach deren Diskussion wird die Methodik der Arbeit diskutiert und es werden weitere Forschungsdesiderate genannt (Kapitel 8).