Zusammenfassung
Das kollektivistische Modernisierungsprojekt prägte das kurze 20. Jahrhundert. In der staatssozialistischen Ausprägung des ‚real existierenden Sozialismus‘ ist es am Ende gescheitert, was sich im Sowjetimperium im spektakulären Zusammenbruch dieses Systems 1989–91 manifestierte. Die Erwartungen, die an das Projekt gestellt worden waren, wurden nicht erfüllt. Die Gründe dafür sind in den einzelnen Ländern unterschiedlicher Natur. Gemeinsam ist aber allen, dass das sowjetische Modell des Staatssozialismus mit seiner dahinterliegenden Ideologie die Beginnphase der Entwicklung in der Sowjetunion möglicherweise gefördert hat, danach aber weder in der Sowjetunion noch in Mitteleuropa eine dynamische Wirtschaftsentwicklung aufrechterhalten konnte. Es lassen sich eine Reihe von Modernisierungsbarrieren identifizieren, die das verhindert haben. Der Primat der Politik, d.h. die Missachtung der Eigengesetzlichkeit der Wirtschaft, war einer der zentralen Faktoren. Rechts-, Staats- und Wirtschafts- und Sozialwissenschaften bildeten in diesen Ländern ein eigenes Paradigma heraus und isolierten sich so von der universalen Entwicklung. In der DDR war diese Tendenz ausgeprägter als in Polen. Das führte dazu, dass nach dem Zusammenbruch der Elitenaustausch in Ostdeutschland in diesen Wissenschaften sehr viel ausgeprägter war als in Polen, wo die akademischen Akteure bereits in den 1980er Jahren begonnen hatten, sich vom kollektivistischen Modernisierungsprojekt abzuwenden und liberale Einflüsse zuzulassen.
Eine Regierung, die auf dem Prinzip des Wohlwollens gegen das Volk als eines Vaters gegen seine Kinder errichtet wäre, d. i. eine väterliche Regierung (imperium paternale), wo also die Untertanen als unmündige Kinder, die nicht unterscheiden können, was ihnen wahrhaftig nützlich oder schädlich ist, sich bloß passiv zu verhalten genötigt sind, um, wie sie glücklich sein sollen, bloß von dem Urteile des Staatsoberhaupts, und, daß dieser es auch wolle, bloß von seiner Gütigkeit zu erwarten: ist der größte denkbare Despotismus. Kant 1968 [1793], S. 145–146.
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Notes
- 1.
Neben dem KOR sind die Bewegung zur Verteidigung der Menschen- und Bürgerrechte (ROPCiO) zu nennen, die freien Gewerkschaften und unabhängige politische Parteien wie die Konföderation des Unabhängigen Polens (KPN).
- 2.
Das 1989 publizierte Ökonomenlexikon (Krause et al. 1989) stellte die fünf Genannten neben anderen ‚bürgerlichen‘ Theoretikern mit ihren Kernthesen vor. Es wäre aber keinem ostdeutschen Ökonomen je eingefallen, diese Theorien als relevant für die sozialistische Wirtschaft zu betrachten. Das war eine ‚Ökonomie ohne Perspektive‘ (Meißner 1976).
- 3.
Lange war wie alle Kommunisten überzeugt, dass dies grundsätzlich möglich sei. Damit befand er sich wieder im Gegensatz zu seinem alten Kontrahenten aus den 1930er Jahren Hayek, der das für eine Illusion hielt.
- 4.
Die oberste Parteiführung pflegte jedoch einen Anti-Intellektualismus, was keine Besonderheit sozialistischer Politiker ist (man erinnere sich nur an Ludwig Erhards „Pinscher“). Schon Lenin meinte zur „Frage des wissenschaftlich ausgebildeten Personals, der Ingenieure, Agronomen u. a.: Diese Herrschaften arbeiten heute und fügen sich den Kapitalisten, sie werden morgen noch besser arbeiten und sich den bewaffneten Arbeitern fügen“ (Lenin 1974 [1918], S. 487).
- 5.
Ostdeutsche Ökonomen setzten sich nicht einmal mit wichtigen Beiträgen zur sozialistischen Wirtschaftstheorie aus den ‚Bruderländern‘, mit Ausnahme der Sowjetunion, auseinander. Wir haben gesehen, dass beispielsweise Brus‘ (1971 [1961]) Idee der Dezentralisierung und Kaleckis (1982d [1963]) Wachstumstheorie in der DDR unübersetzt und damit unbekannt blieben – zu einer Zeit, als man sich mit Reformgedanken trug.
- 6.
In Staat und Revolution war Lenins Haltung zur Organisationsfrage ambivalent. Einerseits polemisierte er gegen staatliche Bürokratie und favorisierte Rätedemokratie und Arbeiterselbstverwaltung. Andererseits spricht er von der „Staatsmaschine“: „Alle Bürger werden Angestellte und Arbeiter eines das gesamte Volk umfassenden Staats„syndikats"“ (Lenin 1974 [1918], S. 488). Diese Ambivalenz drückt sich in den von Lenin entwickelten Prinzipien des demokratischen Zentralismus und der strikten Einzelleitung in der Wirtschaft aus, die am Ende auf den Primat der Politik, d. h. der Partei hinausliefen. (Ausführlich zu Lenins Organisationtheorie Gvišiani 1974, S. 88–124).
- 7.
Michael Wyrwich (2021) hat gezeigt, dass die nach der Wiedervereinigung höhere Arbeitsmarktpartizipation der Frauen in Ostdeutschland nicht auf ein im Sozialismus mit seiner extrem hohen Frauenbeschäftigung erworbenes Verhalten zurückzuführen ist, sondern einen vor-sozialistischen Trend fortsetzt.
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Wagener, HJ., Tymiński, M., Koryś, P. (2021). Abschluss: Die verpasste Modernisierung. In: Sozialistische Ökonomie im Spannungsfeld der Modernisierung. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-35045-1_5
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