Zusammenfassung
Die Sozialisten sind mit einem radikalen Modernisierungsanspruch angetreten, nämlich die menschliche Emanzipation voranzubringen und eine neue Gesellschaft zu schaffen. Dabei weicht das sozialistische Modernisierungsprojekt in wesentlichen Aspekten vom liberalen Projekt ab. Letzteres ist ein ergebnisoffener Prozess, ersteres hat ein klar formuliertes historisches Ziel: die Einführung des Kommunismus. Es ist zu unterscheiden: Modernisierung als Prozess und Modernität als institutionelle Gestaltung der Gesellschaft mit dem Ziel der Modernisierung. Die multidimensionalen evolutorischen Prozesse setzen bestimmte strukturelle Merkmale voraus. Sind diese defizitär, wird man von Modernisierungsbarrieren sprechen. Während Demokratie und Rechtsstaat z. B. eigenständige Werte der liberalen Modernität verkörpern, sind nach marxistisch-leninistischer Auffassung Diktatur des Proletariats (bzw. der Partei) und der Primat der Politik transitorische Notwendigkeiten, die die eigentliche Modernisierung sicherstellen sollen. Hier liegt offensichtlich ein fundamentales Dilemma vor, das in eine Sackgasse geführt hat.
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Notes
- 1.
Der Gegensatz von Pluralismus und Universalismus wird allerdings im Kontext der Modernisierung auch noch auf einer anderen Ebene reflektiert, die nicht mit dem Diskurs-Unterschied liberal – kollektivistisch zusammenfällt, nämlich die kulturalistisch-pluralistische Interpretation und die universalistisch-strukturelle Interpretation der Moderne. Die aus letzterer hervorgehenden Modernisierungsmerkmale (Industrialisierung, Urbanisierung, Massenbildung und -konsum) sind in beiden Diskursen anzutreffen.
- 2.
Es war üblich, die historischen sozialistische Gesellschaftssysteme der Sowjetunion und Osteuropas als real existierender Sozialismus oder Staatssozialismus zu bezeichnen, wobei letzterer Begriff angesichts der Marxschen Utopie ein Paradox ist.
- 3.
Allerdings deutete die radikale Abwendung von der Moderne seit Mitte der 1920er Jahre auf ein ambivalentes Verhältnis der Sowjetführung zur Modernisierung hin. 1928 folgte der Schachty-Schauprozess, der sich gegen die Heroen der sozialistischen Moderne, die Ingenieure, richtete. Schließlich wurde die fortschrittliche sowjetische Ökonomie der 1920er Jahre abgewürgt, was für viele ihrer Vertreter mit der Ermordung endete. Man propagierte enthusiastisch die Modernisierungsziele (Industrialisierung, Urbanisierung, Bildung der Massen), aber die diese Entwicklung tragenden technischen, wissenschaftlichen und kulturellen Eliten blieben Stalin und der Partei suspekt.
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Wagener, HJ., Tymiński, M., Koryś, P. (2021). Einleitung: Im Spannungsfeld der Modernisierung. In: Sozialistische Ökonomie im Spannungsfeld der Modernisierung. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-35045-1_1
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