Einleitung

Aktiv werden, endlich das neue Fitnessstudio besuchen, oder die vom Physiotherapeuten verschriebenen Übungen zu Hause machen – oft gehegte Wünsche, nicht nur im Alter. Jedoch bewegt sich laut WHO global einer von vier Erwachsenen nicht ausreichendFootnote 1 Die oftmals genannten Barrieren wie zu wenig Zeit, hohe Kosten oder ein zu geringes Bewusstsein von verfügbaren Angeboten hindern Menschen daran zu trainieren (Mendoza-Vasconez et al., 2016; Vseteckova et al., 2018; Withall et al., 2011). Dabei ist die positive Auswirkung von Fitnesstraining auf unser Altern bereits mehrfach bewiesen worden (Bherer, 2017; Desjardins-Crepeau et al., 2016; Nouchi & Kawashima, 2017).

Im Kontext des „aktiven und gesundes Alterns“ hat sich in Österreich und international der Forschungsbereich „digitales Altern“ entwickelt, der in der Forschungsinitiative „Active and Assisted Living“ (AAL) zusammengefasst wird.

Das Ziel von AAL ist die Erhöhung der Lebensqualität von Menschen jeden Alters durch Assistenzsysteme – dazu zählt vor allem im Alter der Erhalt sowie die Verbesserung der Fähigkeiten um alltagsrelevante Aufgaben bewältigen zu können. Projekte im AAL-Bereich erforschen die Einflüsse von technologischen Lösungen auf unser tägliches Leben. Die Zielgruppe von AAL umfasst viele Gruppen, die als Nutzer*innen der Assistenztechnologien einen Mehrwert in ihrem Alltag erfahren sollen. Dies können pflegeabhängige Personen, aber auch pflegeunabhängige, selbstständige Personen sein, die Wert auf aktives und gesundes Altern legen. Hierbei gilt es die Barrieren der Nutzung von Assistenztechnologien zu berücksichtigen. Dabei seien Bedenken zu Privatsphäre, Mehrwert, Kosten, Benutzerfreundlichkeit und Gebrauchstauglichkeit sowie Stigmatisierung durch „Gerontotechnologien“ und Angst vor Abhängigkeit zu nennen (Yusif et al., 2016).

Dieser Beitrag gibt einen Überblick über Technologie-gestütztes Training, sowie die Formen der digitalen Unterstützung und Technologien. Ein Einblick in die dafür benötigte Bewegungsdatenanalyse zeigt, wie mit Bewegungsdaten qualitative Aussagen getroffen werden können. Außerdem wird dessen Einsatz und Erfahrungen im AAL-Kontext mit dem Fokus auf funktionelles Training in österreichischen Forschungsprojekten beschrieben. Nach der Vorstellung eines komplex Digitaltechnologie-gestützten funktionellen Trainingssystems der AAL-Pilotregion fit4AAL basierend auf einem 3D-Kamerasystem, schließt dieses Kapitel mit einem Fazit und einem Ausblick für Technologie-gestütztes Training zu Hause.

Was ist und kann Technologie-gestütztes Training?

Technologie-gestützt bedeutet, dass etwas oder jemand durch Geräte oder Verfahren unterstützt wird, die durch wissenschaftliche Forschung gewonnene Erkenntnisse für den Menschen anwendbar machenFootnote 2 Im Alltag eingesetzte Technologien reichen von Geräten wie Kameras und Tablets, über Verfahren wie E-Mail-Dienstleistungen oder Videostreaming-Diensten bis hin zur technischen Infrastruktur wie Mobilfunksystemen.

Aus den Wortzusammensetzungen Technologie und Training (Haag et al., 2012, S. 281) kann Technologie-gestütztes Training wie folgt zusammengefasst werden:

Technologie-gestütztes Training ist ein durch wissenschaftlich evaluierte Geräte und Verfahren unterstütztes Programm aus vielfältigen Übungen zur Stärkung und Steigerung der physischen Leistungsfähigkeit.

Die Ziele des Funktionellen Fitnesstrainings sind die Erhaltung oder Verbesserung der Fähigkeiten, die es ermöglichen „alltagsrelevante Aufgaben erledigen zu können, ohne dass dadurch extreme Ermüdung hervorgerufen wird“ (Jungreitmayr, 2018, S. 162). Die assoziierten Übungen bestehen aus komplexen Bewegungsabläufen, die mehrere Muskelgruppen und Gelenke gleichzeitig beanspruchen (Boyle, 2016; Wikipedia-Autoren, 2020). Um ein funktionelles Trainingsprogramm erstellen zu können, ist es notwendig, leistungsbestimmende und begrenzende Faktoren zu analysieren und vor allem Ziel(e) zu definieren um Verletzungen vorzubeugen, Leistung zu erhalten oder zu optimieren (Ganderton et al., 2014).

Im Sinne von Erhalten und Optimieren lassen sich Assistenztechnologien mit dem Zweck des funktionellen Trainings verbinden. Laut dem Technology-Related Assistance Act of 1988 werden unter Assistenztechnologien jene Systeme und Services verstanden, die die funktionellen Fähigkeiten von Menschen mit Beeinträchtigungen erhöhen, erhalten oder verbessern. Wenn das Hauptaugenmerk von Technologie-gestützten funktionellem Fitnesstraining somit auf der Unterstützung und Bewältigung von Alltagstätigkeiten liegt, können wir für eine Unterteilung der Technologie-Unterstützung vom bestehenden Kontinuum der Assistenztechnologien ausgehen (siehe Abb. 1).

Abb. 1
figure 1

(Eigene Darstellung)

Kontinuum des Unterstützungslevels von keiner digitalen Technologie über Standard- und spezialisierter digitalen Technologie hin zu Komplexer digitaler Technologie mit Beispielen der funktionellen Fitness

Das funktionelle Fitnesstraining kann mit dem Ziel des Erhalts und der Verbesserung der eigenen körperlichen Fähigkeiten durch viele verschiedene technologische Maßnahmen unterstützt werden. Trainingseinheiten auf einem Smartphone oder Tablet in Form von Trainingsplänen und -videos zur Verfügung zu stellen ist eine Bereitstellung von Trainingsinhalten auf einem Endgerät (Standard-Digitaltechnologische Unterstützung). Um auf das spezialisierte Unterstützungslevel zu gelangen, bedarf es bereits an technologisch offensichtlicheren Interventionen wie mechanische Trainingshilfsmittel wie ein Ergometer.

Zur komplex-digital technologischen Unterstützung zählen bereits ausgeklügelte Systeme an Sensorik und Algorithmen bis hin zu personalisierten künstlichen Intelligenzsystemen. Je nach Anwendung und Anspruch kann aus den Unterstützungslevel gewählt werden. Beispielsweise können komplexe Digitaltechnologie-gestützte Systeme wegen Barrieren wie Kosten und persönliche Gebrauchstauglichkeit weniger stark angenommen werden (Withall et al., 2011).

Für eine erfolgreiche Adaption der Technologie sind daher durchdachte Methoden der Einschulung und Einführung des Systems sowie Unterstützung während der Systemnutzung erforderlich (AlHogail, 2018; Maringer et al., 2020).

Die vier Unterstützungskategorien, die das Level der technologischen Unterstützung darstellen, reichen von „No Tech“ bis „High-Tech“Footnote 3 Obwohl digitale und elektronische Geräte generell bereits den „High-Tech“ Assistenztechnologien zugeordnet werden (Bouck et al., 2018), leiten wir mit dem Fokus auf Technologie-gestütztes funktionelles Training für digitale Dienste die folgenden vier Unterarten der digitalen Unterstützung ab:

  1. 1.

    Keine digitale Technologie (No Digital Tech): Diese Kategorie umfasst alle Technologien, die nicht digital sind und so nicht klassisch zu den High-Tech Assistenztechnologien zählen. Dies können einfache Modifikationen sein, die leistbar, ohne umfangreiche Einschulungen und Einstellung einsatzbereit sind und nicht unbedingt eine Einschätzung von Experten benötigen. Das wären beim Training unterstützende Trainingsmittel wie beispielsweise Kurzhanteln oder auch Übungskarten (Henwood & Taaffe, 2006).

  2. 2.

    Standard-Digitaltechnologie (Low Digital oder Light-Digital Tech): Dazu zählen für die Nutzer*innen anspruchslose, leicht zu erlernende, einsatzbereite und leistbare digitale Unterstützungssysteme. Ein Beispiel dafür wären Trainingsvideos, die digital auf einer Web-Plattform oder via App auf einem Tablet oder einem Smartphone bereitgestellt werden. Überblicksarbeiten empfehlen verstärkt empirische Evaluierungen von Apps in diesem Bereich durchzuführen: So sollte in Zukunft zusätzlich zur wahrgenommenen Wirkung der Benutzer*innen die Validität und Reliabilität von diesen Apps überprüft werden (McCallum et al., 2018; Muntaner-Mas et al., 2019).

  3. 3.

    Spezialisierte Digitaltechnologie (Medium oder Mid Digital Tech): Im Fall von Technologie-gestütztem funktionellem Training zählen dazu meist höherpreisige und relativ kompliziert zu bedienende mechanische Geräte, die eine Einschulung erfordern, bevor sie von den Nutzer*innen verwendet werden können. Beispielsweise ist hier eine Unterstützung von Experten, z. B. bei den Einstellungen eines Fahrrad-Ergometers, gewünscht.

  4. 4.

    Komplexe Digitaltechnologie (High Digital Tech): Dazu gehören elektronische und digitale Geräte, die spezielle Einschulungen und Experteneinschätzung benötigen um einsatzbereit zu sein. Experten können im Kontext von funktionellem Fitnesstraining beispielsweise die körperlichen Fähigkeiten der Trainierenden einschätzen und auf Basis dessen, Trainingsprogramme mittels der Technologie personalisieren (Jungreitmayr, 2021). Somit könnte auf einem digitalen Endgerät wie einem Tablet ein KI-basierter virtueller Trainer durch das Trainingsprogramm am Ergometer führen und zur Ausführung Feedback geben. Dieses Szenario für Technologie-gestütztes funktionelles Training könnte mit im Trainingsgerät integrierte und/oder am Körper getragenen Sensoren für Herzratenmessung oder Gelenkswinkelbestimmungen erweitert werden, um Übungsausführungen zu überprüfen und nachzuverfolgen. Die Möglichkeit zur Auswertung und Ermittlung von qualitativen Aussagen über das Aktivitäts- und Bewegungsverhalten bietet einen Mehrwert in der Gebrauchstauglichkeit und Nutzererfahrung für die Nutzer*innen des Technologie-gestützten funktionellen Trainings auf einem komplexen Unterstützungslevel (Trukeschitz et al., 2020). Dies erfordert die Bewegungsdatenanalyse.

Die Bewegungsdatenanalyse: Von Daten zu Algorithmen für das Technologie-gestützte Training

Die Bewegungsdatenanalyse setzt sich aus zwei Teilbereichen zusammen: der Datengewinnung mit Hilfe von Datenquellen und der eigentlichen Analyse basierend auf der Entwicklung von Algorithmen.

Datenquellen und Messmethoden

Zur Erfassung von Bewegungsdaten werden Datenquellen wie Sensorplattformen eingesetztFootnote 4 Eine Sensorplattform integriert oft mehrere Mikrosensoren zusammen mit einer Central Processing Unit (CPU) und einer Stromversorgung. Je nach Anwendungsfall werden die Sensordaten von der Plattform gesammelt, verarbeitet oder weiterverschickt. Mobile Sensorplattformen wie Smartphones oder Wearables eignen sich besonders für den Einsatz im Alltag, während stationäre Systeme wie 3D-Kameras eher in Laboren Anwendung finden. Die Art der Daten reicht dabei von Zeitreihen von Bewegungsdaten im globalen Referenzrahmen (z. B. Aufnahme einer Wanderroute) bis hin zu lokalen Referenzrahmen (z. B. Aufnahme einer Handbewegung). Diese sogenannten „Human Motion Tracking“-Messmethoden lassen sich in vier Kategorien unterteilen (Zhou & Hu, 2008) – siehe Abb. 2 nachfolgend.

Abb. 2
figure 2

(Eigene Darstellung)

Einteilung von Messmethoden für das Tracking von menschlichen Bewegungen

  1. 1.

    Multimodales Tracking beschreibt die Kombination von Trackingmethoden, um die Bewegungsdatenaufzeichnung zu optimieren. So kann beispielsweise ein visuelles (3D-Kamerasystem, z. B. Microsoft Kinect) mit einem nicht-visuellem Tracking (Trägheit erfassende Sensoren, z. B. Inertial Measurement Units-) verbunden werden, um die Vorteile beider Systeme auszunutzen bzw. deren Schwächen auszugleichen. Häufig wird diese Kombination von Trackingsystemen zur Durchführung von Ganganalysen eingesetzt (P. Yang et al., 2019), um Stürze zu detektieren (Kwolek & Kepski, 2016) oder Oberkörperbewegungen zu beobachten (Tian et al., 2015).

  2. 2.

    Roboterunterstütztes Tracking kommt zum Beispiel bei Exoskeletten zum Einsatz. Diese können die Bewegungsintention, wie das Gehen oder Stehen, abschätzen und bei Bedarf durch eine Verstärkung der Bewegung unterstützen (Nomura et al., 2019).

  3. 3.

    Nicht-visuelles Tracking umfasst Sensorik, die nicht auf Bild- bzw. Videodaten basiert. Dazu zählen beispielsweise Inertialsensoren, die bewegungsrelevante Kenngrößen, wie Beschleunigung und Winkelgeschwindigkeit, aufzeichnen. Die Bestimmung der Beschleunigung in Fitnesstrackern kann beispielsweise Aufschlüsse über das Bewegungsverhalten von Personen durch Aktivitätserkennung im Alltag liefern (C. C. Yang & Hsu, 2010). Außerdem ermöglichen nicht-visuelle Trackingmethoden die Detektion und Bewertung von Bewegungsmustern (Martínez et al., 2019) und Sporttechniken (Ahmadi et al., 2015; Neuwirth et al., 2020).

  4. 4.

    Visuelle Trackingmethoden dagegen basieren auf Bild- bzw. Videodateien. Sie unterteilen sich in drei weitere Systemgruppen (Zhou & Hu, 2008): (i) Marker-basierte und (ii) Marker-freie Systeme, sowie (iii) deren Kombination. Marker-basierte Systeme setzen ein hohes Maß an Expertenwissen voraus, da die Bewegungsmessqualität stark von der Ausrichtung der Kameras sowie von der Positionierung der Marker abhängt. Hauptsächlich finden Marker-basierte Systeme Anwendung in biomechanischen Laboren zur Ganganalyse (Singh et al., 2018; Vicon Motion Systems, 2010) oder in der Filmbranche für die Entwicklung von Animationen (Sharma et al., 2019). Marker-freie Systeme umfassen Bewegungsaufnahmeverfahren, die auf Bild- oder Videodaten bauen, dabei aber ohne Marker zur Bestimmung von relevanten Körperpositionen auskommen. Beispiele hierfür sind die Tiefenbildkameras oder 3D-Kameras, die mittels zusätzlicher Tiefensensorik Informationen über die Entfernungen und Strukturierung der Körpersegmente geben. Anwendung finden diese Systeme zum Beispiel in der Erkennung von Aktionen bei Sportaktivitäten oder von alltagsrelevanten Bewegungsmustern wie „eine Kiste heben“ (Wang et al., 2020). Die Kombination beider Systeme wird für Anwendungen und Fragestellungen verwendet, bei denen die Vorteile beider Systeme benötigt werden (Zhou & Hu, 2008).

Um aus dieser Vielzahl an Bewegungsdatenquellen auszuwählen, gilt es diese nach bestimmten Kriterien und auf die jeweilige Fragestellung oder den Anwendungsfall abzustimmen. Auf Basis von Evaluierungsstudien von Datenquellen (Jun et al., 2011; Willner et al., 2017) können vier grundlegende Auswahlfaktoren genannt werden:

  1. 1.

    Verfügbarkeit: Nach Fokussierung auf einen bestimmten Anwendungsfall kann ausgehend von der Prämisse, dass bereits bestehende und am Markt verfügbare Bewegungsdatenquellen verwendet werden sollen, eine Marktanalyse vorgenommen werden. Das zu verwendende System sollte zum Beispiel für eine 6-monatige Feldstudie mit 100 Testpersonen in angemessener Stückzahl verfügbar sein. Außerdem sollte der Support der Technologie für den Zeitraum gewährleistet sein. Im Jahr 2017 ist dieser Faktor entscheidend geworden, da durch den Produktionsstopp der Microsoft Kinect, einem 3D-Kamerasystems, einige Forscher*innen und auch Unternehmen vor der Frage standen, welche alternative Datenquelle die Kinect ersetzen könnte (Calin & Coroiu, 2018).

  2. 2.

    Genauigkeit: Auf die Datenqualität sollte bei einem Bewegungsdatenanalysevorhaben immer geachtet werden. Diese kann durch Machbarkeitsstudien oder bereits publizierte Evaluierungsstudien ermittelt werden. Um beim Beispiel des Vergleichs Kinect mit anderen Tiefenbildkamerasystemen zu bleiben, galt es die Datenqualität zu bewerten und Potenziale wie Herausforderungen der Alternativen zu beschreiben (Rodríguez-Gonzálvez & Guidi, 2019).

  3. 3.

    Recheneffizienz: Die Recheneffizienz hängt von den integrierten Algorithmen und dem damit einhergehenden Rechenaufwand ab. Je genauer Bewegung aufgezeichnet werden soll, desto höher ist der Rechenaufwand und somit auch die benötigte Speicherkapazität oder der Datenverkehr. Es macht einen Unterschied ob mit einer Aufzeichnungsfrequenz von 50 Hz oder von 1000 Hz aufgezeichnet wird, und wie viele Algorithmen in Echtzeit auf die Rohdaten oder erst nach Speicherung und eventueller Vorverarbeitung der Daten angewendet werden.

  4. 4.

    Kosten: Dieser Punkt geht einher mit dem ersten, ist aber vor allem für Forschungsvorhaben im AAL-Bereich ein sehr wichtiger. Denn ein Ziel von AAL ist es, darauf zu achten, dass das entwickelte System, wie beispielsweise ein Technologie-gestütztes Training, leistbar gemacht wird. Dies lässt sich wiederum anhand eines überspitzten Beispiels illustrieren: Kaum jemand wird sich ein € 10.000-teures Marker-basiertes System mit zehn Kameras und 26 Markern nach Hause liefern und aufstellen lassen, um das Ausmaß seiner/ihrer Aktivitäten aufzeichnen zu können. Dagegen sind Fitnesstracker für zirka € 300 eine annehmbare Alternative um das Bewegungsausmaß aufzuzeichnen und zu beurteilen. Dennoch sei hier erwähnt, dass auf wissenschaftliche Evaluierung und damit einhergehende Datenqualität geachtet werden sollte.

Wie bereits erwähnt, hängt die Auswahl der Bewegungsdatenquelle stark vom Anwendungsfall ab. Es ist zudem ratsam, bei der Auswahl auf bestehende Akzeptanz- und Gebrauchstauglichkeitsstudien aufzubauen und vor allem die Zielgruppe mit einzubinden.

Algorithmenentwicklung auf Basis der Bewegungsdatenanalyse

Sobald die Bewegungsdatenquellen für die Technologieunterstützung anhand des Anwendungsfalls ausgewählt sind, müssen die aufgezeichneten Daten verarbeitet werden um einen Nutzen zu schaffen. Dieser Nutzen hängt wieder von der Fragestellung ab. Im Bereich des komplexen Technologie-gestützten Trainings ist dieser als Feedback an die Nutzer*innen oder an die Trainer*innen zu verstehen. Die Art und Frequenz dieses Feedbacks sollte auf wissenschaftlichen Erkenntnissen der Motivationstheorie, Trainingswissenschaften und Feedbacktheorien beruhen oder ausgehend von diesen entwickelt werden.

Um demnach Fragestellungen in der Bewegungsdatenanalyse beantworten zu können, werden meistens multivariate Zeitreihensignale benötigt. Das bedeutet, dass zum Beispiel für die Frage „Welche Strecke war die intensivste der heutigen Radtour?“ biomechanische (Erkennung von Radfahren), physiologische (Pulsmessung zur Intensitätsabschätzung) und georeferenzierte Daten (GPS-Trajektorie der Radstrecke) gleichzeitig aufgenommen und synchronisiert analysiert werden müssen, um den Nutzer*innen oder Trainer*innen die Antwort zu übermitteln. Die Art der Übermittlung der Information gehört in die Forschung der Interaktion zwischen Mensch und Geräten sowie der Feedbackforschung und wird hier nicht weiter betrachtet.

Um nun genau dies, also Information aus den Bewegungsdaten gewinnen zu können, wird die Bewegungsdatenanalyse angewandt. Das Feld der Datenanalyse liefert für die Auswahl der Verwertung aus Daten eine Vielzahl an Modellen und Prozessketten mit ähnlichen Vorgehensweisen (Azevedo & Santos, 2008; Brunauer et al., 2019; Wirth & Hipp, 2000). Eine von ihnen wird mit Bezug auf Technologie-gestütztem Training im Folgenden kurz vorgestellt: die Data-Value Chain nach Lim et al. (2018).

Diese Prozesskette umfasst den Weg von der Datenquelle über die Datengenerierung und der Informationserstellung zur Wertgenerierung bzw. ideellen Wertschöpfung (Abb. 3). Adaptiert auf das Technologie-gestützte Training werden über die Bewegungsdatenquelle Bewegungsdaten aufgezeichnet (Datengenerierung), die dann analysiert werden um eine Information zu liefern (Informationserstellung), die den Trainierenden dann zur Verfügung gestellt wird (Wertschöpfung).

Abb. 3
figure 3

Data-Value Chain adaptiert nach (Lim et al., 2018) mit Fokus auf dem Data-Value Spektrum und der Charakterisierung der datenbasierten Wertschöpfung für Systeme und Services des Technologiegestützten Trainings

Abb. 4
figure 4

(Eigene Darstellung)

AAL-Projekte auf europäischer und österreichischer Ebene, die Prototypen Technologie-gestützter Trainingskomponenten entwickelt und teilweise deren Wirksamkeit überprüft haben

Am Beispiel eines komplex Digitaltechnologie-gestützten funktionellen Trainings kann ein entwickelter Algorithmus dann wie folgt beschrieben werden: Über ein ausgewähltes visuelles Trackingverfahren, wie ein Tiefenbildkamerasystem, werden Gelenkspositionen des Körpers aufgezeichnet, deren Bewegungsverlauf analysiert um die Anzahl der Übungswiederholungen zu ermitteln, und schlussendlich den Trainierenden über eine mitzählende Zahl am Monitor angezeigt. In Echtzeit und dem eigenen Trainingstempo entsprechend, wird der trainierende Person die Anzahl der Übungswiederholungen angezeigt und erlaubt ein personalisiertes Trainingserlebnis.

Es gilt auch hier wie bei den Datenquellen aus einer Vielzahl an Ansätzen und Analyseverfahren auszuwählen, um bestmöglich die Forschungsfrage bzw. den Anwendungsfall mittels Algorithmen zu unterstützen.

Ziel der Bewegungsdatenanalyse ist und bleibt die Extraktion von Information(en) und den daraus entstehenden Nutzen für die Nutzer*innen – eine nutzerzentrierte Bewegungsdatenanalyse.

Technologie-gestütztes funktionelles Training in österreichischen AAL-Pilotregionen

Die „eine“ technologische Unterstützung gibt es genauso wenig wie das „eine“ funktionelle Übungsprogramm (Ganderton et al., 2014). Betrachtet man eine Auswahl von europäisch geförderten Projekten im AAL-Bereich der letzten Jahre (2014–2020), fällt auf, dass Training mehrfach ein Teil der entwickelten Lösung war.

Das von 2014 bis 2017 durchgeführte Projekt Fit4Work unterstützte das Selbstmanagement der physischen wie mentalen Fähigkeiten von älteren Arbeitnehmer*innen durch das Tracken von körperlicher Aktivität über Smartphone und Aktivitätstracker. Im Projektverlauf wurde die Möglichkeit der Implementierung eines komplex Digitaltechnologie-gestützten funktionellen Trainings mit 3D-Tiefenbildkamerasystemen zur Überprüfung der korrekten Durchführung von Übungen erprobt. Auf Empfehlung der Zwischenevaluierung im Projektverlauf wurde dieses Modul für den finalen Prototyp nicht weiterverfolgt, als zukünftige Ergänzung des funktionellen Trainings auf dem Smartphone jedoch nicht ausgeschlossenFootnote 5

Das Projekt Active@Home (2016–2019) wagte diesen Schritt und entwickelte ein komplex Technologie-gestütztes Training für zu Hause auf Basis von Tanzbewegungen und Tai Chi Übungen zur Bewegungsförderung und Sturzprävention von älteren Menschen. Mit vier an den Extremitäten getragenen, mit Inertial-Sensorik ausgestatteten Bändern konnten die Übungen am Fernseher mitverfolgt und über eine Bewegungsdatenanalyse ausgewertet und rückgemeldet werden. Vier Monate lang trainierten ca. 20 Teilnehmer*innen jeweils aus der Schweiz, den Niederlanden und Portugal dreimal die Woche mit dem Active@Home System zu Hause und trugen so zur Feststellung von positiven Effekten beiFootnote 6

Das Projekt StayFitLonger (2018–2020), kofinanziert von der Europäischen Kommission, AAL Joint Programmen und den damit verbundenen nationalen Förderagenturen in der Schweiz, Belgien und Kanada, enthält eine Standard-Digitaltechnologie-gestützte Trainingslösung, die Training mit Motivationskomponenten in Form von virtuellem Coach und Gamification auf einem Tablet zur Verfügung stellt. Die Wirkung dieser Technologie wird in einem Feldtest mit 128 Personen (60 Jahre und älter) derzeit evaluiert. Auf europäischer Ebene sind Standard und komplexe Digitaltechnologie-gestützte Trainingskomponenten zu finden, wobei vor allem die komplex unterstützenden Systeme in ihrer Validierung durch kleine Teilnehmer*innenanzahl und reduzierter Dauer von Feldstudien charakterisiert sind (siehe Abb. 4).

Auf österreichischer Ebene sind bisher zehn sogenannte AAL-Pilotregionen ermöglicht worden (benefit/AAL Opportunity through Demographic Change, 2017). Diese sind dreijährige Projekte, in denen explorativ AAL-Lösungen und Dienstleistungen von einem multidisziplinären Projektkonsortium aus Wissenschaft und Wirtschaft entwickelt und/oder in großangelegten Longitudinalstudien evaluiert werden. Die AAL-Pilotregionen ZentrAAL (2015–2017) und fit4AAL (2018–2020)spezialisierten sich auf die Bewegungsförderung von älteren Menschen ohne Pflegebedarf und legten den Fokus auf Technologie-gestütztes Training mit dem Ziel das Bewegungsausmaß und die funktionelle Fitness von Personen höheren Alters zu erhalten oder zu verbessern.

Standard-Digitaltechnologie-gestütztes funktionelles Training in ZentrAAL

In der AAL-Pilotregion ZentrAAL wurde das System meinZentrAAL zur Unterstützung des selbstbestimmten Alterns entwickelt und über 15 Monate in rund 60 Haushalten im Bundesland Salzburg getestet. Die Feldtestteilnehmer*innen waren jüngere aktive Senior*innen im Alter von 60 bis 79 Jahren, die im Betreuten Wohnen lebten.

Die Teilnehmer*innen erhielten den Zugang über das meinZentrAAL-Tablet zu sechs Funktionsbereichen. Einer davon war der Fitness- und Bewegungsbereich, der grob in drei Unterbereiche unterteilt wurde. Die mit dem Tablet gekoppelte Smartwatch lieferte Daten für die 1) Vitaldatenübersicht, sowie die 2) Bewegungsübersicht, wobei diese auch ein manuelles Eintragen von Alltagsaktivitäten wie Einkaufen, Radfahren oder sogar Bügeln erlaubte. Außerdem unterstützte das 3) Übungsprogramm „Meine Übungen“ die Teilnehmer*innen durch die digitale Bereitstellung von Trainingseinheiten (siehe Abb. 5). Sportwissenschaftler*innen ordneten die Trainingsprogramme den Teilnehmer*innen entsprechend ihren in Fitnesstests ermittelten funktionellen Fitnesslevel zu.

Abb. 5
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(Eigene Darstellung)

Das durch Standard-Technologie-gestützte funktionelle Trainingsprogramm der AAL-Pilotregion ZentrAAL: links der Einstiegsbereich mit den drei Unterbereichen (1) Vitaldatenübersicht – Meine Vitalwerte, (2) Bewegungsübersicht – Meine Bewegungsübersicht und Aktiver Alltag – und (3) Übungsprogramm – Meine Übungen und Selbsttest; Unter „Meine Übungen“ erreicht man die Übungsansicht am meinZentrAAl-Tablet (rechts)

Diese Standard-technologische Unterstützung sammelte Bewegungsdaten von der Smartwatch kommend zur Visualisierung von aufgezeichneten Routen sowie der Vitaldaten. Im Übungsprogramm selbst wurde die Dauer und die Anzahl der Übungen geloggt und den Nutzer*innen nach jeder Trainingseinheit angezeigt.

Von der AAL-Pilotregion ZentrAAL konnten drei wesentliche Empfehlungen für die Entwicklung von Technologie-gestützten funktionellen Training für weitere AAL-Pilotprojekte abgeleitet werden:

  1. 1.

    Mehr Abwechslung beim Trainingsprogramm: Das Trainingsprogramm in dieser AAL-Testregion war ein wöchentlich wiederkehrendes Programm, von dem sich die Nutzer*innen mehr Abwechslung über den Zeitraum von 15 Monaten gewünscht hätten (Trukeschitz et al., 2018a). Eine Möglichkeit dies zu verbessern wären täglich wechselnde Trainingseinheiten. Ebenso könnte eine KI-basierte Auswahl an Übungsprogrammen etabliert werden, die von Trainierenden definierte Ziele und/oder beschränkende Faktoren wie Verletzungen oder andere gesundheitliche Einschränkungen berücksichtigt. Dabei würde sich das System an den Bedürfnissen der Nutzer*innen orientieren.

  2. 2.

    Fokussierte statt vielfältige Funktionsbereiche: Das entwickelte System „meinZentrAAL“ bestand aus einer Vielzahl an Hardware-Komponenten (Tablet, Smartwatch, Smart Home Sensorik und digitale Waage) und den Teilnehmer*innen standen sieben Hauptanwendungsbereiche zur Verfügung. Einer davon war der funktionelle Trainingsbereich, der zusätzlich mit Vitaldaten- und Bewegungsübersicht weitere Funktionen bereitstellte. Das komplette System war sehr komplex und einige Funktionen oder Endgeräte fielen geringem Interesse, technischen oder gar baulichen Problemen sowie mangelnder Akzeptanz zum Opfer (Trukeschitz et al., 2018b). Für den funktionellen Fitnessbereich kann daraus geschlossen werden, dass eine fokussierte Implementierung und Testung der systemrelevanten Hardware- und Software-Komponenten unumgänglich ist, um Wirkungen assoziieren und ermitteln zu können. Außerdem wurde empfohlen zukünftig verstärkt auf Plug & Play Systeme zu setzen, um die Akzeptanz zu erhöhen sowie Installation und Nutzung der Systeme für die Zielgruppe zu erleichtern (Trukeschitz et al., 2018b). Dabei gilt es das Spektrum des multidisziplinären Forschungsbereichs AAL nicht zu vernachlässigen, der nicht nur eigenständige (stand-alone), anwendungsspezifische Systemlösungen hervor bringen sollte, sondern auch Gesamtkonzepte und -lösungen für menschliche Ökosysteme (O’Grady et al., 2010). Dieser Grat von „zu viel“ und „zu wenig“ technologischer Unterstützung ist herausfordernd. Bei jeder Überlegung zur Größe der Systeme sollte der Mehrwert und möglicher Einsatz von fortschrittlichen Technologien mit ihren Vor- und Nachteilen erhoben werden (Hofmann, 2015). Dabei ist der Fokus auf die Zielgruppe nicht unwesentlich. Je höher der Schulungsbedarf für ein System, desto mehr Zeit muss auch für die Kommunikation des Nutzens aufgewendet werden, um die Adhärenz der Benutzer*innen vor allem in Langzeitstudien und auch dann zum Produkt zu erhalten.

  3. 3.

    Nachvollziehbare Erhebung von Bewegungsdaten: Wenn die Teilnehmer*innen das Übungsprogramm durchführten, konnten sie bei den einzelnen Übungen jeder Trainingseinheit diese überspringen oder die Übungsdurchführung bestätigen (siehe rechtes Bild in Abb. 5). Dadurch wurden qualitativ subjektive Bewegungsdaten erhoben, wie die Dauer und Anzahl von bestätigten Übungen, und darauf vertraut, dass die Teilnehmer*innen nur die Übungen bestätigten, die sie tatsächlich ausgeführt hatten. Um diese für die Wirkungsstudien nachvollziehen zu können, wäre ein komplexes Unterstützungslevel mit Anwendung von Sensorik hilfreich. Ein erster Schritt in diese Richtung konnte bereits mit der integrierten Smartwatch geschaffen werden, die Bewegungsdaten wie Anzahl von Schritten und Ruhepulsdaten der Teilnehmer*innen lieferte.

Aus diesen Überlegungen entstand die Idee für die AAL-Pilotregion fit4AAL, wo zusätzlich zur Standard-Technologie ein komplex Technologie-gestütztes funktionelles Training umgesetzt wurde. Die Erkenntnisse und Erfahrungen aus ZentrAAL flossen in die Konzipierung und die Weiterentwicklungen ein. Vor allem der Spagat zwischen fokussierten Funktionsbereichen und nachvollziehbarer Erhebung war herausfordernd. Statt Senior*innen im Alter von 60 bis 79 Jahren ansprechen zu wollen, entwickelte fit4AAL mit und für aktive Personen ab 55 Jahren in ihren gesunden Lebensjahren, die einen aktiveren Lebensstil beim Pensionsübertritt anstreben wollen.

Komplex Technologie-gestütztes funktionelles Training in fit4AAL

In der AAL-Pilotregion fit4AAL wurde ein Plug & Play System entwickelt, das technikvertrautere Menschen ab 55 Jahren unterstützen sollte, um einerseits fit und aktiv durch Bewegungsförderung zu werden, und andererseits den Nutzen von Technologie zu erfahren. Das dabei entstandene Technologie-gestützte Bewegungsprogramm Fit-mit-ILSE umfasste die sogenannte ILSE-App mit den drei Funktionsbereichen „Fit zu Hause“ mit funktionellen Trainingsübungen, „Fit unterwegs“ mit Aktivitätsübersicht und „Fit durch Wissen“ mit eLearning-Inhalten zu den Themen Bewegung und Gesundheit. Die App konnte auf Andorid Galaxy A Tablets installiert werden. Das Standard-technologische Unterstützungslevel wurde somit wie bereits bei ZentrAAL durch die digitale Bereitstellung von Trainingsinhalten auf einem Tablet realisiert.

Außerdem hatten Teilnehmer*innen dieser Feldteststudie neben der ILSE-App für Tablets die Möglichkeit durch das 3D-Kamerasystem, das an Fernsehgeräte angeschlossen wurde, komplex Technologie-gestütztes funktionelles Training zu erleben. Auf dem 3D-Kamerasystem, der sogenannten Orbbec Persee mit integrierter Recheneinheit, wurden Inhalte von „Fit zu Hause“ erweitert angeboten.

Zusammenfassend ist die ILSE-App-Funktion „Fit zu Hause“ am Tablet der Standard-Digitaltechnologischen Unterstützung zuzuschreiben, wobei die Inhalte daraus auf der Orbbec Persee, dem 3D-Kamerasystem, den komplexen Digitaltechnologien zuzuordnen sind. Die digitale Bereitstellung der Trainingsinhalte ist ähnlich zum meinZentrAAL-Übungsprogramm, wobei hier Wert auf eine höhere Abwechslung im Trainingsprogramm gelegt wurde. Im Folgenden wollen wir uns der komplex Technologie-gestützten Trainingsoption auf der Orbbec Persee widmen.

Beispiel einer komplex Digitaltechnologie-gestützten funktionellen Trainingssystemkomponente

Das hier beschriebene komplex Technologie-gestützte funktionelle Trainingssystem auf Basis eines 3D-Kamerasystems und einer adaptierten ILSE-App, die Inhalte der am Tablet befindlichen ILSE-App Funktion „Fit zu Hause“ um Unterstützungsmöglichkeiten zur Durchführung einer funktionellen Trainingseinheit erweitert.

Abb. 6
figure 6

(Eigene Darstellung)

Konzeptueller Ablauf einer funktionellen Trainingseinheit im „Fit zu Hause“-Funktionsbereich der ILSE-App unabhängig vom Endgerät

Unabhängig vom verwendeten Endgerät, also Tablet oder 3D-Kamerasystem, starten die Benutzer*innen im Funktionsbereich „Fit zu Hause“ mit der Auswahl von 10-, 20- oder 30-minütigen Trainingseinheiten. Auch der Ablauf eines Trainings ist grundsätzlich gleich, allerding mit einigen Unterschieden vor allem während der Durchführung der Übungen (Abb. 6).

Nach der Trainingsauswahl wird den Benutzer*innen im nächsten Schritt eine Beschreibung der Übungen angeboten. Die Auswahl umfasst eine Videovorschau, Textbeschreibung und Vorlesen desselbigen, sowie eine Orientierung in welchem Abschnittsteil der Trainingseinheit sich die Benutzer*innen derzeit befinden (z. B. bei der dritten Übung im Trainingsblock zum Aufwärmen). Danach müssen die Benutzer*innen die Übung starten, indem sie auf „Start“ wählen. Während sie nun die Übung ausführen, läuft das Übungsvideo mit. Nach Beendigung einer Übung wird zur nächsten Übung gewechselt. Am Ende jeder Trainingseinheit gibt es eine Übersicht über die Anzahl der absolvierten Übungen und die geschätzte Trainingsdauer.

Es gibt jedoch auch Unterschiede durch die Verwendung des 3D-Kamerasystem im Vergleich zum Tablet, vor allem in der Interaktion und im Trainingserlebnis. Dies wird verdeutlicht durch Abb. 7 (Tablet) und Abb. 8 (3D-Kamerasystem). Während die durchzuführenden Aktivitäten für Benutzer*innen (in beiden Abbildungen durch weiße Blöcke symbolisiert) in beiden Abläufen grundsätzlich gleich sind, unterscheiden sich die vom jeweiligen System durchgeführten Aktionen und damit die mögliche Unterstützung (grauen Blöcke).

Da die Interaktion über den Fernseher erfolgt, und damit kein Touchscreen wie am Tablet zur Verfügung steht, ist eine andere Art der Steuerung notwendig. Für diesen Zweck steht wie am Fernseher gewohnt eine Fernbedienung zur Verfügung, zusätzlich kann die Interaktion auch über Armgesten durchgeführt werden. Dies ist vor allem relevant während der Übungsbeschreibung. Während der Übungsdurchführung ist die Gestensteuerung allerdings deaktiviert, da die 3D-Kameratechnologie hier vor allem auf unterschiedliche Arten unterstützend verwendet wird.

So ist die Anzeige am Fernseher zweigeteilt: Links am TV-Bildschirm bleibt das Übungsbeschreibungsvideo aktiv und läuft in einer Schleife ab. Rechts davon können die Trainierenden sich selbst im Kamerabild sehen. Dies führt wie in Fitnessstudios mit Spiegeln dazu, dass allein durch den Vergleich mit dem Übungsvideo, grobe Fehler selbstständig erkannt und auch behoben werden können.

Eine direktere Unterstützung bei ausgewählten Übungen bietet das 3D-Kamerasystem bei der Einnahme der für die Übung erforderlichen Startposition. Erst nach Erreichen dieser beginnt die Aufzeichnung der Übung. Dies kann beispielsweise die Beinposition für die Durchführung für Kniebeugen sein. Dafür wird der/die Trainierende vom System durch die Anweisung „Bitte steh aufrecht mit mindestens hüftbreitem Stand“ gebeten, eine aufrecht stehende Position mit leicht breitbeinigem Stand einzunehmen. Sobald diese Position eingenommen und vom System erkannt wird, kann die Übung fortgesetzt werden.

Bei vielen Übungen ist es nach Erkennen der Startposition möglich, das System mitzählen zu lassen. Dafür erscheint rechts am Bildschirmrand die zu erzielende und die aktuelle Wiederholungsanzahl. Sobald diese erreicht ist, wird die Übung beendet und die nächste startet. Falls es nicht möglich ist, die Anzahl der Wiederholungen zu zählen, läuft wie am Tablet ein Countdown mit der auf die Übung abgestimmten Zeit ab.

Hinweise auf eine eventuell fehlerhafte Körperhaltung zu geben ist eine weitere Option bei einigen Übungen. Umgesetzt wurde die Erkennung von instabiler Beinachse, also ein einwärts Drehen der Knie bei Übungen wie beispielsweise Kniebeugen oder ähnlichen Übungen, die Knieflexion im Bewegungsmuster enthalten. Außerdem erkennt das System Balanceprobleme im Rückenbereich, beispielsweise ein Schwanken und Ausweichen des Oberkörpers bei Übungen im Einbeinstand. Dazu werden im Bereich zwischen dem Übungsvideo und dem Live-Stream der Kamera dementsprechende Icons angezeigt. Diese weisen am Start der Übung darauf hin, dass bei dieser Übung auf einen geraden Rücken und eine stabile Beinachse geachtet werden sollte. Im Verlauf der Übungsdurchführung werden die Icons orange hervorgehoben, wenn sie eine Abweichung erkennen.

Die Trainingsübersicht am Ende jeder Trainingseinheit beinhaltet zusätzlich die Information, bei welchen Übungen es zu Schwierigkeiten in der Körperhaltung gekommen ist.

Um mit der Technologie, also Gestensteuerung und Trainingsunterstützung, vertraut zu werden, wurden Tutorials und Spiele entwickelt. Dazu zählten jeweils ein Tutorial zur Gestensteuerung und zur Erklärung, wie das 3D-Kamerasystem während des Trainings unterstützt. Über ein Labyrinth-Spiel für bis zu zwei Spieler kann die Gesten-Interaktion geübt werden. Eine weitere Funktion dient der Überprüfung der Trainingsumgebung. Dabei machen die Spieler*innen die Bewegungen nach, die vorgegeben wurden. Werden alle einwandfrei erkannt, so ist die Umgebung und somit der Platz vor dem Bildschirm sowie die Beleuchtung ausreichend um eine technologisch erweiterte Trainingseinheit zu starten.

Abb. 7
figure 7

(Eigene Darstellung)

Übungsdurchführung mit Unterstützung durch die „Fit zu Hause“-Funktion der ILSE-App am Tablet

Abb. 8
figure 8

(Eigene Darstellung)

Übungsdurchführung mit Unterstützung durch die „Fit zu Hause“-Funktion der ILSE-App am 3D-Kamerasystem

Durch die Komplexität des zusätzlichen Systems ergeben sich allerdings auch einige Limitationen. Dazu zählen räumliche und technologische Einflüsse. Räumlich gesehen ist es bei AAL-Pilotregionen immer herausfordernd, da die AAL-Lösung in die bestehenden Wohnumgebungen in Form von Geräten aufgebaut werden musste. Die Installation des 3D-Kamerasystems erforderte neben einem Anschluss zum eigenen TV-Gerät eine Stromversorgung und eine gewisse Höhe, um die Trainingsumgebung zu erfassen. Das bedeutete für viele Feldtestteilnehmer*innen eine Steckdose weniger bzw. mehr und weitere zwei Kabel im Wohnzimmer.

Ein Faktor auf der Grenze zwischen räumlich und technologischen Einflüssen stellt die direkte Sonneneinstrahlung dar. Es musste darauf geachtet werden, die Kameralinse vor irritierenden Lichteinflüssen, wie Blitzlicht oder direkter Sonneneinstrahlung, zu schützen. Diese führten zu Problemen in der Erkennung der Personen vor dem Fernseher.

Außerdem konnte es zu Schädigungen und Störungen der Funktionen, sogenannten Hardwareausfällen, kommen. Diese können verursacht werden (z. B. durch Herunterfallen) oder spontan auftreten (z. B. Kamerabild bleibt schwarz durch eine Störung der Kameralinse).

Ausgewählte Übungen wie Übungen in Bauchlage konnten weder erkannt noch gezählt werden, da die verwendete Positionserkennung, basierend auf dem Tiefenbild, nur bei Personen in aufrechter oder sitzender Position möglich war.

Fazit und Ausblick

Die Herausforderungen des Einsatzes von Technologie-gestütztem funktionellem Training zu Hause liegen eindeutig darin, welche Art von Unterstützungslevel implementiert wird. Je komplexer, desto technikaffinere Anwender*innen sind von Vorteil. Damit können aufwendige Einschulungen zur Nutzung und zum Aufbau sowie der Supportaufwand minimiert werden.

Außerdem sollte zukünftig verstärkt auf die Evaluierung von Trainingssystemen Wert gelegt werden. Dies umfasst nicht nur die Validität und Reliabilität, sondern auch die Akzeptanz und Gebrauchstauglichkeit. Durch die Schnelllebigkeit von AAL-Pilotregionen von drei Projektjahren inklusive explorativer Entwicklung und Feldstudie empfiehlt es sich, auf bestehende Systeme aufzubauen und eventuell weiterzuentwickeln, diese wissenschaftlich zu evaluieren und in Feldtests auf ihre Akzeptanz, Alltagsgebrauchstauglichkeit und Wirkung zu erproben.

Durch den Einzug von künstlicher Intelligenz (KI) in unsere Wohnzimmer durch Sprachassistenzsysteme und Smart Home ist die Frage berechtigt, wie KI in Technologie-gestütztem funktionellem Training zukünftig eingesetzt werden könnte. Hier stellt sich vor allem die Frage, in wie weit sich Trainingsprogramme auf die Trainingsvorlieben und Fähigkeiten durch KI zukünftig personalisieren lassen.

Zum Abschluss ist noch zu erwähnen, dass sich auch die Bewegungsdatenquellen stetig weiterentwickeln und so die Digitalisierung von Sportdisziplinen vorantreiben. Sensorsysteme wie Notch oder Xsens (Al-Amri et al., 2018; Blair et al., 2018), die Bewegungsdaten mittels Inertialsensornetzwerk vom gesamten Körper aufzeichnen und tracken, sind dabei auch wissenschaftlich evaluiert (Lenzi et al., 2018) und bilden eine Chance für nachvollziehbare Erhebung von Aktivitäten hin zu qualitativen Aussagen über die Ausführung und Bewegung. Dabei gilt es bei diesen Entwicklungen die Bedenken von Nutzer*innen zu berücksichtigen, wie beispielsweise die Privatsphäre und der Mehrwert (Yusif et al., 2016). Vor allem den Punkt des Nutzens für die Anwender*innen sollte ebenso nachvollziehbar wie erfahrbar sein.

Der Einsatz von Technologie-gestützten funktionellen Trainingsprogrammen in den eigenen vier Wänden kann somit einen Beitrag zur Unterstützung der Nutzer*innen in ihrer funktionellen Fitness leisten, ihnen helfen Trainingsroutinen zu etablieren und daher die Inaktivität und die damit verbundenen gesundheitlichen Risiken zu reduzieren. Mittels bekannten und neuen Technologien kann so der Zugang zu funktionellen Trainingseinheiten geschaffen werden, sowie ein aktiver Lebensstil bis ins hohe Alter gefördert und erhalten werden.