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Einleitung

Bei der kritischen Auseinandersetzung mit dem komplexen Prozess des Alterns rückten verschiedene Thematiken bzw. Entwicklungen, wie z. B. „[…] die niedrigen Geburtenraten, die drohenden Innovationsblockaden, die Rentnerdemokratie und Demenzgesellschaft, der geistige Stillstand, die Last der Pflege für die Jungen“ (van Dyk, 2015, S. 5), in den Blickpunkt des (wissenschaftlichen) Interesses. Erst in den letzten Dekaden wurden aufgrund des gesellschaftlichen Strukturwandels Bezeichnungen, wie „50plus“ bzw. „60plus“, „Silver Generation“, „Golden Agers“, „Best Agers“ oder „Master Consumers“ verwendet, um ältere Menschen zu charakterisieren. Die hier implizierte neue Lebensphase der Menschen wird gemäß den oben genannten Konstrukten mit Begriffen wie Vitalität, Kapitalkraft und Konsumfreude etikettiert. Parallel dazu sind mit der „Sozialfigur“ der „jungen Alten“, diejenigen gemeint, die zwar bereits im Rentenalter bzw. Ruhestand sind, aber dennoch körperlich und geistig fit sind (van Dyk & Lessenich, 2009). Diese in die Mode gekommenen „Positivattribuierungen des höheren Lebensalters“ (van Dyk, 2015, S. 5) zeigen, dass in der postindustriellen, kapitalistischen Gegenwartsgesellschaft neoliberale Dynamiken eine erhebliche Rolle bei der Identitätszuschreibung dieser Altersgruppe spielen. Denn obengenannte von Marketing übernommenen Topoi sind offensichtlich eng mit leistungs- und konsumorientierten Assoziationen verbunden und tragen zweifelsohne dazu bei, diese Zielgruppe konkret als Konsument*innen anzusprechen.

In einer Gesellschaft des langen Lebens wird dem System Gesundheit naturgemäß eine zentrale Bedeutung zugeschrieben. In diesem Zusammenhang initiierte die Weltgesundheitsorganisation (WHO) das Konzept Aktives Altern (active ageing), mit dem Ziel „[…] the process of optimizing opportunities for health, participation and security in order to enhance quality of life as people age“ (WHO, 2002, S. 12). Dabei avanciert das aktive Altern zu einem produktiven Prozess, der die Optimierung von Zugängen und Möglichkeiten zur Gesundheit, Teilhabe und Sicherheit forciert, um die Lebensqualität im Alter zu verbessern (Bowling, 2009). Konkreter suggeriert das erwähnte Konzept, dass Gesundheit und Aktivität bis zur Hochaltrigkeit – in dieser Phase wird Alter als defizitärer Zustand beschrieben – möglich sein können, wenn man sich nur gesund ernährt, körperlich aktiv bleibt und am gesellschaftlichen Leben teilnimmt (Gilleard & Higgs, 2000, S. 199). Diese gesundheitspolitische Argumentationslinie schafft günstige Rahmenbedingungen nicht nur zur substanziellen Veränderung der öffentlichen Wahrnehmung des Erscheinungsbildes des alternden Menschen, sondern auch zur Neuverortung des höheren Lebensalters.

Somit gilt auch für ältere Menschen, körperliche Veränderungen infolge des biologischen Alterns nicht mehr als natürlicher Prozess anzunehmen, sondern vielmehr als eine „Art pathologische Abweichung von einem quasi alterslosen Funktions- und Leistungsideal“ (Backes, 2008, S. 193) zu begreifen. Die daraus entstehenden veränderten gesellschaftlichen Leitbilder, die den immer lauter werdenden Aufruf zum gesellschaftlichen „Verbergen des Alters“ (Richter, 2020, S. 103) verstärken, nehmen bekanntlich Einfluss auf individuelle Handlungsfelder, wie aus der in der Postmoderne verbreiteten Kultur des Anti-Aging sichtbar wird.

Vor dem Hintergrund des sozialen Wandels, der durch Pluralisierung, Individualisierung, Fragmentierung und Medialität gekennzeichnet ist, avanciert auch der (alternde) Körper zum genuinen Bereich für Authentizität, Flexibilität und Offenheit, was die in den letzten Dekaden fortschreitende Tendenz zur gesellschaftlichen „Juvenilisierung“ (Reckwitz, 2017) verstärkt. Letztgenannter Topos bezieht sich auf eine Orientierung aller Altersgruppen an Selbstbildern und Verhaltensweisen, die dem Jungsein zugeschrieben werden. Die hier angestrebte ‚Verjüngung des Alters‘ schließt nicht nur körperästhetische Aspekte ein, sondern erfasst auch leistungsbezogene Indikatoren (z. B. Vitalität, Fitness) sowie einen performativen Kommunikationsstil. Unter dem leistungsorientierten Begriff Fitness wird eine sogenannte Gleichzeitigkeit von Fit-Sein und Fit-Bleiben im Sinne einer permanenten Arbeit, um den Körper fit zu halten, impliziert: „Der fitte Körper symbolisiert daher nicht nur einen physischen Zustand, sondern immer auch den Willen, an sich zu arbeiten, um fit zu bleiben“ (Graf, 2013, S. 140).

Die Kehrseite dieser Entwicklung ist zum einen der Zwang zur (körperlichen) Aktivität im Alter, zum anderen die Ausblendung der ungleichen Lebens- und Arbeitsbedingungen in den vorherigen Lebensphasen (Pfaller & Schweda, 2019). Außerdem kontrastiert das Ideal der jungen Alten mit dem vorherrschenden Klischee vieler Senior*innen, die oft in der Vergangenheit als Personen mit Gesundheitsproblemen, Leistungsdefiziten, erhöhtem Betreuungsbedarf und sozialem Desinteresse abgestempelt werden. In diesem Zusammenhang ist auch vom vierten Alter bzw. von Hochaltrigkeit (ab dem 80. Lebensjahr) die Rede, wobei diese Zeit „von der erhöhten Wahrscheinlichkeit körperlicher Gebrechlichkeit sowie zunehmender Hilfe und Pflegebedürftigkeit“ (Auth & Leitner, 2019, S. 1186) geprägt wird.

Im Rahmen eines fortschreitenden digitalen Wandels leisten diverse digitale Technologien (Apps, Trackinggeräte, Körpersensoren etc.) einen erheblichen Beitrag, nicht nur zur Verbesserung von Prozessen wie der Selbstvermessung und Selbstbeobachtung, sondern auch bei der Etablierung einer so genannten metrischen Lebensführung (Nachtwey, 2019). In diesem Zusammenhang wird der (alternde) Körper mithilfe objektiver Messverfahren operationalisiert und vermehrt nach einer (neuen) gesundheitsorientierten Logik der Funktionalität behandelt (Katz & Marshall, 2004). Außerdem wird mit dem rapiden Aufkommen von tragbaren, digitalen Technologien und mobilen Applikationen neuen Modellen der Gesundheitsfürsorge Rechnung getragen, wie z. B. mHealth, eHealth und Health 2.0, die sich alle auf Web-Tools, elektronische Kommunikationsformen, soziale Netzwerke, mobile Geräte sowie datengesteuerte und nutzerzentrierte Technologien stützen, um die Gesundheitsversorgung zu verbessern (s. dazu Schneider et al., Ring-Dimitriou & Pühringer in diesem Band). Vor diesem Hintergrund entsteht eine (neue) Subjektform, in der der Mensch nicht mehr passiver Nutzer (user), sondern als produser, Hybrid von Nutzer ‚user‘ und Produzenten ‚producer‘ (Bruns, 2007) betrachtet werden kann.

In der letzten Zeit kommt es zum vermehrten Einsatz von sogenannten Ambient Assisted Living (AAL) Technologien bei älteren Menschen, um dadurch ein längeres selbstständiges Leben im häuslichen Umfeld zu gewährleisten und zur Steigerung der Lebensqualität beizutragen. Solche digitalgestützten Konzepte weisen auf den konstitutiven Beitrag der Eigenverantwortung und Eigeninitiative zur erfolgreichen Gesundheitsvorsorge sowie auf die Relevanz von Big Data hin, die durch die persönliche Nutzung von Trackinggeräten entstehen (Kolland et al., 2019). Dies rekurriert zwar auf neoliberale Ideale bezüglich Selbstbestimmung, Selbstoptimierung und Handlungsfreiheit des Individuums, markiert jedoch gleichzeitig gesundheitspolitische Vorgaben im Hinblick auf ideale Lebensentwürfe. Dabei „bleiben die Übergänge zwischen freier Selbstentfaltung und zwanghafter gesellschaftlicher Konformität fließend“ (Richter, 2020, S. 116).

In den Diskursen der digitalisierten Gesundheitsförderung werden Gesundheitsrisiken zunehmend individualisiert und vermehrt als beherrschbar und kontrollierbar betrachtet, solange Senior*innen die entsprechenden Technologien (im Sinne von nichtmenschlichen Agenten) zur Selbstkontrolle und Selbstvorsorge anwenden (Lupton, 2013). Ferner stellt der Einsatz digitaler Technologien für ältere Menschen eine Art Versprechen dar, den Prozess eines angestrebten erfolgreichen Alterns (Rowe & Kahn, 1997) zu optimieren.

Mit dem vorliegenden Beitrag soll der semantische Wandel des Fitnessbegriffes in Relation zur präventivmedizinischen Bewegung in der Postmoderne aufgezeigt werden. Außerdem will diese Arbeit den Zusammenhängen zwischen den Artikulationslinien des fitten Körpers im Altern und den gesundheitspolitischen gesellschaftlichen Anforderungen, entlang der kontrastierenden Deutungen der Digitalisierung (von illusorisch übertrieben bis kategorisch negativ), nachgehen.

Konkreter untersucht die folgende Arbeit zwei Thesen: Erstens beginnt sich im Rahmen eines postmodernen Körperverständnisses im Alter, der Übergang von einem gesellschaftlichen Gesundheitsdispositiv zu einem Fitnessdispositiv durchzusetzen. Zweitens wird argumentiert, dass der erwähnte Übergang durch den intensiven Einsatz digitaler Technologien beschleunigt wird, wobei eine längst etablierte postmoderne Subjektordnung den Körper nicht nur als rationale, instrumentelle Sozialinstanz, sondern auch als leibliche Erlebnisbühne (Reckwitz, 2020) hervorhebt.

Fitness, Wellness im Gesundheitsdispositiv

Bereits seit den 1940er Jahren lassen sich operative Schnittstellen zwischen Fitness, Wellness und Gesundheit insbesondere auf einer institutionellen Ebene erkennen, wobei der Körper eine zentrale Rolle bei der semantischen Verortung spielt. So wird dem Körper bei der von der Weltgesundheitsorganisation (WHO, 1946) formulierten Definition zur Gesundheit (physical well-being), als unverzichtbarer Bestandteil eines holistischen Kontinuums (Gesundheit als Zustand vollkommenen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlbefindens) eine zentrale Bedeutung zugeschrieben. Ebenso avanciert der Körper bei der Deklaration der Ottawa-Charter for Health Promotion (1986) zur Ressource (physical capacity) einer gesunden Lebensführung.

Abgesehen von den erwähnten normativen Ansätzen hob das von Dunn (1961) entworfene und in den USA verbreitete Konzept Wellness das Prinzip der Selbstverantwortung für die individuelle körperliche und seelische Gesundheit hervor. Auf der gleichen Linie übertrug auch der aus den USA aufkommende so genannte Healthismus (als „verinnerlichte Gesundheitsmoral“ Kühn, 1993, S. 26) jedem einzelnen die Verantwortung für seine Krankheit, ohne die soziale Bedingtheit von Gesundheit und Krankheit zu berücksichtigen. Auf der anderen Seite spricht Lupton (2013) von der schrittweisen Durchsetzung eines ‘healthist’ Diskurses, der die gute Gesundheit gegenüber anderen Prioritäten im Leben bevorzugt. Mit dem Übergang zur Gesundheitsgesellschaft (Kickbusch, 2006) in den 1970er und 1980er Jahren, vollzog sich die Aufwertung der Prävention nicht nur als zentrales medizinisches, sondern auch als relevantes gesellschaftliches Prinzip. Somit wurde der Lebensstil vermehrt aus einer präventionspolitischen Perspektive bestimmt bzw. „diktiert“ (Kühn, 1993, S. 17).

Parallel dazu stellten Healthismus und die daraus hervorgebrachten präventionsmedizinischen Diskurse günstige Rahmenbedingungen für Vermengungen und Interdependenzen zwischen Gesundheit und Fitness dar (Dimitriou, 2019a). So wurde Fitness als operative Instanz zur Verwirklichung gesundheitsnormativer Zielsetzungen präzisiert, zumal „Fitness als eine Verdinglichung von Gesundheit“ (Kühn, 1993, S. 27) verstanden wurde. Auf der anderen Seite wurde der Topos Fitness „im Sinne des funktionalistischen Gesundheitsbegriffes“ (Kühn, 1993, S. 414) verwendet. In diesem Kontext beschreibt King (2006) die gesellschaftliche Aufwertung des fitten Körpers in den 1980er Jahren wie folgt: „[…] the fit body became at once a status symbol and an emblem of an individual’s purchasing power, moral health, self-control, and personal discipline“ (King, 2006, S. 48). So ist es nicht verwunderlich, dass Fitness immer häufiger aus naturwissenschaftlicher Sicht – als „a set of attributes that people have or achieve“ – und u. a. durch gesundheitsrelevante Faktoren, wie „cardiorespiratory endurance, muscular endurance, muscular strength, body composition, and flexibility“ (Caspersen et al., 1985, S. 128) beschrieben wurde. Fitness avanciert in diesem Kontext zum Abbild sowohl eines mess- und quantifizierbaren „Zustand(s) der Gesundheit [als auch] der körperlichen Leistungsfähigkeit“ (Duttweiler, 2016, S. 223).

Unter Berücksichtigung psychischer Aspekte wird Fitness als „ein Maß der ausgewogenen optimalen, nicht maximalen, Leistungsbereitschaft, des physisch-psychischen, geistigen und sozialen Wohlbefindens, das dem Menschen bewusst ist und ihn zu Leistungen befähigt, die seinen individuellen Möglichkeiten entsprechen“ (Traeder, 1988, S. 18) bezeichnet.

Vor dem Hintergrund der fortschreitenden Durchsetzung einer neoliberalen Gesellschaftsstruktur rückte Fitness als Ausdruckmittel in der gegenwärtigen Codierung von Gesundheit in den Mittelpunkt, indem der Mensch in der Postmoderne – im Rahmen der Selbstsorge – den Körper „in Aufnahme- und Reizbereitschaft“ halten sollte (Bauman, 1997, S. 188). Die in diesem Kontext von Bauman (1997) implizierte beständige Bereitschaftshaltung des Körpers bezieht sich nicht nur auf vorhandene Lebensanstrengungen, sondern auch auf neue Herausforderungen. Den Körper in Bereitschaft zu halten bedeutet auch den eigenen Körper kontrollieren zu können. Das Ergebnis allerdings der Daueraufmerksamkeit auf den Körper zeigt sich vermehrt in der gesundheitsorientierten und vor allem ästhetisch motivierten Arbeit am eigenen Körper.

Auch im produktiven Prozess des aktiven Alterns lässt sich die oben geschilderte Interpretation der Fitness erkennen. Da Fitness „als Scharnier zwischen Lebensführung und Gesundheit fungiert“ (Martschukat, 2019, S. 20), zählt sie zu den wichtigen Körperstrategien, der eine zunehmende Bedeutung zur Visualisierung von gesundheitsnormativen Ideale der postmodernen und neoliberalen Gesellschaft zukommt (Schroeter, 2007). Außerdem stellt Fitness – zusammen mit gesunder Lebensführung und Ernährung – ein relevantes Feld von autoproduktiven Aktivitäten dar, die mit der Prämisse „des erfolgreichen und kompetenten Alterns“ (van Dyk, 2015, S. 99) in Verbindung steht. Denn bei der Betrachtung des „Körpers als Baustelle“ (Selke, 2014, S. 198), bildet Fitness als „Bestandteil erfolgreichen Selbstmanagements“ (Fleig, 2008, S. 90) die Kernthese neoliberalen Denkens ab: der Körper als unvollkommenes Projekt, „in dem seine Ernährung, seine sportliche Bewegung, seine sichtbaren Formen, aber auch die Form einzelner Körperteile zu Gegenständen kontingenter Entscheidung und bewusster Strategiebildung werden“ (Reckwitz, 2020, S. 569). In diesem Zusammenhang zeigt sich einerseits die Flüchtigkeit des Körpers als flexibles System und andererseits wird im Sinne einer permanenten Dauerbeobachtung des Körpers „Körperlichkeit in Fitness transformiert“ (Junge, 2006, S. 111). Zutreffend beschreibt Bauman diesen Prozess mit einer Metapher: „[…] das Streben nach Fitness gleicht der Jagd nach einer Beute, die man erst beschreiben kann, wenn sie erlegt ist. Aber man weiß nie, ob das was man erlegt hat, wirklich die gejagte Beute ist. Ein Leben im Geist der Fitness verspricht viele gewonnene Schlachten, aber nie den endgültigen Triumph.“ (Bauman, 2003, S. 95). Somit verliert der Topos Fitness seine eher „statische“ Dimension als Zustandsbeschreibung und bekommt in der Postmoderne einen prozessbezogenen Charakter (Dimitriou, 2019b).

Der oben beschriebene Bedeutungswandel des Begriffes Fitness korreliert mit der gesellschaftlichen Prämisse des Unruhestandes für den Alterungsprozess. Dabei rückt im Rahmen einer individuellen Gesundheitspflege der Erhalt „der körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit durch sinnstiftende (Freizeit-)Aktivitäten und gesunde Lebensführung“ (Richter, 2020, S. 111) in den Vordergrund. Somit wird ein erfolgreiches Altern zunehmend zum Gegenstand individuellen Bemühens und speziell zur Frage der Aktivierung und Ausschöpfung persönlicher Potenziale. In dieser Perspektive erscheint Fitness als wichtiger Bestandteil einer Anti-Ageing-Strategie mit dem Ziel, „[…] die aktive Lebenserwartung zu steigern, Einschränkungen und Funktionsverluste so lange wie möglich hinauszuzögern und sie im Fall ihres Eintretens so zu bewältigen, dass die Lebensführung optimiert wird“ (van Dyk, 2015, S. 44).

Fitness leistet nicht nur einen wesentlichen Beitrag im Dienste eines gesunden und leistungsfähigen Lebens, sondern spielt auch bei der Formierung eines übermächtigen Gesundheitsdispositivs eine wichtige Rolle. Während das erwähnte Dispositiv (Schroeter, 2012) diverse gesellschaftlich hervorgebrachte Gesundheitsdiskurse und Gesundheitspraktiken – die von einer raumzeitlichen situierten Routiniertheit gekennzeichnet werden – umfasst, bietet Fitness Handlungsorientierung zur Erreichung des Ideals einer gesunden Lebensführung. Dies hat zur Folge, dass Fitness in der letzten Dekade als probate Körperstrategie zur Verbesserung des individuellen Gesundheitszustandes, an Bedeutung gewinnt. Im Rückgriff auf den Ansatz des conceptual engineering – der die Analyse des semantischen Bedeutungswandels von Begrifflichkeiten zum Inhalt hat, wobei die Wirkung der Begriffe als Hauptkriterium für die Nutzungsänderung untersucht wird (Cappelen, 2018) – kann in diesem Kontext festgestellt werden, dass der Topos Fitness durch die Intensivierung der erwähnten Gesundheitsdiskurse und -praktiken eine deutliche Bedeutungsverlagerung erfahren hat. Dabei hat der Begriff Fitness viel von der körperzentrierten und praxisrelevanten Dimension zu Gunsten einer zielorientierten und gesundheitsorientierten Perspektive eingebüßt.

Diese Entwicklung zeigt sich auch in den vergleichenden Ergebnissen der 2014 und 2018 von der Europäischen Kommission veröffentlichten Studie ‚Sport and physical activity‘“ für die Alterskohorte 55+ (Tab. 1). Während 2014 als Hauptmotivationen für sportliche Partizipation die Verbesserung sowohl des eigenen Gesundheitszustandes (65 %, to improve your health), als auch des körperlichen Wohlbefindens (38 %, to improve fitness) angegeben wurden, konnten in den Ergebnissen von 2018 eindeutige Verschiebungen festgestellt werden. Denn 2018 erreicht die Variable ‚to improve your health‘ 57 %, ein Rückgang um acht Prozent im Vergleich zu 2014, währenddessen verzeichnet die Variable ‚to improve fitness‘ mit 44 % einen erheblichen Zuwachs von sechs Prozent. Die geschlechtsspezifische Analyse dieses Datenmaterials zeigt, dass die Sportmotivation zur Gesundheitsverbesserung bei den Männern stärker abgenommen hat (2018: 55 %, −9 % im Vergleich zu 2014), als bei den Frauen (2018: 59 %, −7 % im Vergleich zu 2014). Bezüglich der Sportmotivation zur Fitnessverbesserung wird sowohl bei Männern (2018: 43 %, + 5 % im Vergleich zu 2014), als auch bei Frauen (2018: 45 %, + 7 % im Vergleich zu 2014) die positive Trendentwicklung bestätigt.

Tab. 1 Sportmotivation für die Alterskohorte 55+ (2014 vs. 2018).

Abgesehen davon ergeben sich aus der Betrachtung weiterer Motivationsangaben (2018: Alterskohorte 55+) normative und quantifizierbare Aspekte zur Nutzung körperlicher Aktivität: Unter den ersten neun Angaben beziehen sich sechs Angaben auf numerisch-kategorisierbaren Größen (1. to improve your health: 57 %; 2. To improve fitness: 44 %; 4. to counteract the effects of ageing: 25 %; 5. to improve physical performance: 24 %; 7. to control your weight: 19 %; 9. to improve physical appearance: 12 %) und nur drei Angaben (3. to relax: 34 %; 6. to have fun: 23 %; 8. To be with friends: 15 %) auf qualitativ-subjektive Aspekte.

Dabei wird aus phänomenologischer Perspektive ersichtlich, dass die Menschen in der Postmoderne sich eher ein entfremdetes Körperverhältnis (eine von außen gesteuert und durch medizinische Bewertung generierte Sicht), als ein bedürfnisorientiertes Leibverhältnis (eine von innen generierte Sicht) aneignen (Gleissner & Markwardt, 2018).

Die erwähnten Untersuchungsergebnisse bestätigen eine in der letzten Dekade etablierte Tendenz, die mit dem von Deleuze und Guattari (2000) entworfenen Ansatz der Territorialisierung korrespondiert, die allgemein als eine Art Zuweisung eines Inhaltes an eine Form interpretiert werden kann. Konkreter bietet der Topos Territorialisierung einen Erklärungsrahmen dafür, wie soziale Prämissen auf Individuen oder Kulturen einwirken, wobei in diesem Kontext die Orientierung von alltäglichen Einstellungen und Praktiken des Menschen an sozialpropagierten Anti-Aging und Selbstvorsorge-Strategien gemeint ist. Diese Entwicklung basiert auf seit den 1990er Jahren sichtbaren erheblichen sozialpolitischen Umwälzungen, die dazu führten, dass westeuropäische Sozialstaaten vom versorgenden zu einem vermehrt aktivierenden Staatsgebilde mit dem Ziel umgewandelt wurden, die Eigen- und Sozialverantwortung der Bürgerinnen und Bürger zu forcieren (Suden, 2020) und „Rahmenbedingungen für die vermehrte Selbstsorge“ (Aner et al., 2007, S. 19) zu schaffen.

Der gesellschaftliche Imperativ des gesunden und fitten Körpers korreliert zunehmend mit dem Ideal des erfolgreichen Alterns. Fit-Sein im Alter bedeutet „den Anforderungen der Gesellschaft ohne negative Komplikationen entsprechen und für sich die Möglichkeiten der Gesellschaft problemlos nutzen zu können“ (Beuker, 1993, S. 6). Außerdem wird das Konzept des aktiven Alterns durch den Kampf gegen den „passiven Körper“ (Sennett, 1997, S. 22) gekennzeichnet. In diesem Kontext betont auch Bauman, dass der „Zustand mangelnder Fitness“ für Trägheit, Apathie, Teilnahmslosigkeit, Depression und Nachlässigkeit; für ein reduziertes, „unterdurchschnittliches“ Interesse an neuen Erregungen und Erfahrungen [steht] und der damit einhergehenden fehlenden Fähigkeit, auf Stimuli dieser Art zu reagieren“ (Bauman, 1995, S. 19). Parallel dazu führt die Orientierung an gesundheitsrelevanten Leistungsprämissen zu normativen Körpervorgaben, wie ‚normal/anormal‘, ‚geeignet/ungeeignet‘, ‚brauchbar/unbrauchbar‘ oder ‚fit/unfit‘, die die individuelle Lebensführung mitbestimmen. Diese Klassifizierungen dienen der Identifikation von devianten, „d. h. von den Norm- und Idealbildern abweichenden Körpern“ (Thiel et al., 2013, S. 96), die in der letzten Dekade häufig Gegenstand sozialer Stereotypisierungen und Stigmatisierungen wurden. In der gesamten Lebensspanne gelten Menschen mit Fettleibigkeit in der öffentlichen Diskussion über Gesundheit und Lebensstil als leistungsunfähige, disziplinlose (Kreisky, 2007), unangepasste und faule Individuen (Deuschle & Sonnberger, 2011) und stellen ein Exempel für eine gesellschaftlich inszenierte Ausgrenzung dar. Charakterisieren körperliche Gebrechlichkeit und Krankheit oft eingetretene Erscheinungen und Pathologien des Alterns, so avanciert der (alte und kranke) Körper zum Gegenstand für soziale Kritik. Denn „der kranke Körper [ist] einer, in den nicht genug investiert, an dem nicht genug gearbeitet wurde und dessen Besitzer nicht genug Willensstärke oder Gesundheitsbewusstsein bewiesen hat“ (Schoer & Wilde, 2016, S. 261).

Während Fitness als sportbezogene Aktivität mit konsequenter Arbeit am eigenen Körper assoziiert wird, rückt mit Wellness ein Konzept „des hohen menschlichen Wohlbefindens“ (Heise, 2015, S. 356) in den Vordergrund des postmodernen Lebensstils. Zur übergeordneten Zielsetzung von Wellness zählt die Steigerung des Wohlbefindens, wobei die (Wieder-)Herstellung und Erhaltung des Gleichgewichts zwischen Körper, Geist und Seele in den Praktiken und Techniken des Konzeptes impliziert sind. Dabei wird einer Strategie Rechnung getragen, die „an der Fähigkeit des Leibes ansetzt, sich mittels Entspannung und Selbststimulation von Gefährdungen der Außen- und Innenwelt selbstverantwortlich abzuschirmen, ohne dabei starr und unflexibel zu sein.“ (Gugutzer & Duttweiler, 2012, S. 10). In Verbindung mit gesellschaftlichen Imperativen, wie glücklich und gesund bis ins hohe Alter zu sein (Mazumdar, 2008), erfährt Wellness eine qualitative Aufwertung und erreicht häufig unter der Prämisse der Biomoralität (Cederström & Spicer, 2016, S. 12) radikale Züge. Gesundheitsfördernde Maßnahmen, wie regelmäßige körperliche Bewegung, ausgewogene Ernährung und mentales Training, spielen eine entscheidende Rolle bzw. stellen gar eine moralische Verpflichtung dar, damit der Mensch den gesellschaftlichen Anforderungen entsprechen kann. Dabei werden präventive Strategien, Wellness und Fitness-Training eingesetzt, um „gegen einen immer drohenden somatischen Leistungsabfall“ vorzubeugen und um die im Alter auftretenden „Phasen der Inaktivität […] unbedingt zu vermeiden“ (Opitz, 2010, S. 143). Treffend skizzieren Schroer und Wilde den Beitrag von Fitness und Wellness zur Präventionsarbeit wie folgt: „Fitness wird in diesem Zusammenhang zur ultimativen Prophylaxe gegen Krankheit, da der durchtrainierte, hin und wieder mit Wellness-Entspannungskuren versorgte Körper besser in der Lage ist, Belastungen auszuhalten.“ (Schroer & Wilde, 2016, S. 262). Allerdings beschränkt sich die Verantwortung fit (und gesund) zu sein, nicht nur auf die einzelne Person, sondern wird im Rahmen von Anti-Ageing Strategien als Pflicht für alle Menschen forciert (Duttweiler, 2003). Dies bedeutet, dass eine „Form intergenerationeller Solidarität“ umgesetzt werden soll, „[…] die gerechter sei als die solidarisch finanzierte wohlfahrtsstaatliche Sorge für pflegebedürftige Alte“ (Spindler & Pfaller, 2019, S. 21).

Zusammenfassend lässt sich erkennen, dass der alternde Körper unter der Perspektive eines immer wieder angestrebten Ideals zur Steigerung des Wohlbefindens, der gesellschaftlichen Maxime der Fitness und Wellness unterliegt. Somit wird deutlich, dass in den letzten Dekaden das gesellschaftliche Gesundheitsdispositiv in weiteren Dispositive, Fitness und Wellness, transformiert wird. Fitness- und Wellnessdispositive generieren günstige Voraussetzungen, um der Sozialfigur der Gesundheitspolitik, des „präventiven Selbst“ (Lengwiler & Madarasz, 2010, S. 16), eine konkrete Handlungsperspektive zu verleihen. Im Rahmen der Aufwertung von Fitness und Wellness werden der „Körper als Instrument und [die] Körperarbeit als Techniken der Selbstdisziplinierung (Fitness) und Selbstsorge (Wellness)“ (Schroeter, 2012, S. 210) rekonstruiert, um den Menschen bis ins hohe Alter zu mobilisieren, sich den Erfordernissen der (post-)modernen Gesellschaft anzupassen.

Tracking-Technologien im Konzept des aktiven Alterns

Mit dem Satz „Quantifizierung des Sozialen“ beschreibt Mau (2017, S. 16) die Entwicklung zur zunehmenden Digitalisierung, die in den letzten Dekaden in der zahlenbasierten Darstellung sozialer Praktiken in allen Bereichen des Lebens deutlich wird. Dies wird in Form von omnipräsenten metrischen Repräsentationen wie „genetic sequences, social media interactions, health records, phone logs, government records, and other digital traces left by people“ (Boyd & Crawford, 2012, S. 663) ersichtlich, wobei der digitalen Selbstbeobachtung eine zentrale Bedeutung zukommt. Parallel dazu führt die mittels digitaler Selbstvermessung wachsende Quantifizierung des Körpers im Alltag zur Durchsetzung einer Logik des Vergleichs und ferner der narrativen Selbstthematisierung (vgl. Duttweiler & Passoth, 2016). Auf diese Weise tragen Normwerte, Indizes, Kalkulationen und Visualisierungen dem „Messregime“ (Manhart, 2008, S. 217) für körperliche Charakteristika Rechnung, und „legen so Orientierungsgrößen für soziale Praktiken fest“ (Zillien et al., 2015, S. 81). Gerade mit der in Kap. 2 (Fitness, Wellness im Gesundheitsdispositiv) angesprochenen Betonung der Selbstbestimmung über die Gesundheit, gewinnen die Selbstvermessungspraxen immens an Bedeutung.

Mit der fortschreitenden Digitalisierung – die hier nicht nur als technischer Topos, sondern auch im Sinne der Digitalität als relationale kulturelle Praxis, die zur Veränderung des Raums der Möglichkeiten vieler Materialien und Akteure beiträgt (Stalder, 2016), betrachtet werden soll – kommen verschiedene Technologien (z. B. Apps für Fitnessübungen und Wearbles) vermehrt auch bei älteren Menschen zum Einsatz. In diesem Zusammenhang dient die Anwendung digitaler Technologien (z. B. Activity Tracker, Fitnesstracker) sowohl der Dokumentation des eigenen Bewegungsverhaltens, als auch der Ausschöpfung individueller (Körper-)Potenziale im Konzept des aktiven Alterns. Letztere Blickrichtung bezieht sich auf eine zahlenbasierte Generierung von Körperwissen durch die Nutzung technischer Innovationen, aber auch im Sinne eines Subjektivierungsprozesses auf die Aktivierung individueller Ermächtigungsmechanismen zum Erkennen (Objektivierung des körperlichen Zustandes) und Handeln (Mobilisierung innerer Antriebe). In diesem Zusammenhang ist bei Reckwitz (2017) von einem Imperativ der Selbstentgrenzung die Rede, in dem die Menschen in den Sphären des Neuen, des Anderen und des Möglichen Befriedigung suchen. Dabei rücken die Absichten des postmodernen Subjekts in den Vordergrund, „möglichst alle Potenziale, die in einem schlummern, zu mobilisieren und ihnen zur Entfaltung zu verhelfen.“ (Reckwitz, 2017, S. 343).

Diverse Studien zeigen, dass sich der Einsatz von Tracking-Technologien und -Anwendungen positiv auf das Gesundheitsverhalten und das Wohlbefinden älterer Menschen auswirkt (vgl. z. B. Helbostad et al., 2017). Konkreter leisten web-basierte Bewegungsprogramme (elektronisch: e-Health-Programme, Computer oder Internet-TV-Gerät und mobil: m-Health-Programme, Mobiltelefon oder Tablet einen erheblichen Beitrag zur Steigerung des Bewegungsausmaßes (z. B. Gomez Quiñonez et al., 2016), zur Unterbrechung der Inaktivität (z. B. Shcherbina et al., 2019) und zur Aufrechterhaltung der Motivation um gesund zu bleiben (Seifert et al., 2017). So z. B. können Senior*innen durch die Nutzung von Fitnesstracker im Hinblick auf Körperwissen profitieren, wie folgendes Statement von einer 72-jährigen Studienteilnehmerin zeigt:

„I think it just helps you keep track of things a little bit better and easier. Before you had all these apps and things, you never knew how many steps you’d walked or never knew whether your heartbeat was fine or not unless you went to the doctor’s or the hospital. So this way it’s given you a little bit more control of what your body is telling you. Or knowledge I should say, not so much control, more knowledge about what your body is doing. [Pearl]“ (Lupton & Maslen, 2019).

In diesem Kontext wird der Körper als Objekt des Wissens (Duttweiler, 2011) betrachtet, zumal die angewendete digitale Applikation Informationen über körperliche Outputs („how many steps you’d walked“, „more knowledge about what your body is doing“) sowie über physiologische Funktionsindikatoren („your heartbeat was fine or not“) liefert. Abgesehen davon kann hier gezeigt werden, dass die Logik der Selbstkontrolle („not so much control“) nicht eine Monopolstellung besitzt und mit anderen Logiken, wie z. B. hier die sogenannte Logik des Körperwissens („more knowledge about what your body is doing“), synchron existieren. Betrachtet man diese Aussage aus den Blickwinkeln des praxistheoretischen Konzepts „Doing Age“ (Schroeter 2012) – welches das Altern „[…] nicht mehr als ein bio-physisches Kontinuum, [sondern] als soziale Praxis begreift“ (Schroeter 2012, S. 159) – dann lassen sich hier Subjektivierungstendenzen erkennen: Einerseits wird durch den praktischen Vollzug wie der Nutzung eines Geräts das Subjekt-Wissen („local knowledge“, Reckwitz, 2008, S. 118) generiert und andererseits wird subjektives Wissen („how many steps you’d walked […] whether your heartbeat was fine or not“) zum Ausdruck gebracht. Durch das hergestellte und kommunizierte Wissen über den Körper werden im Rahmen des alltäglichen und wiederholten Umganges mit den Tracking-Technologien praktische Handlungsentwürfe hervorgebracht, die aber auch einen subjektspezifischen Sinn haben.

Eine andere Studienteilnehmerin berichtet über die Nützlichkeit der digitalen Applikation und über die Vorzüge des generierten Datenmaterials, wie folgt:

„The Fitbit is easy. I don’t have to do anything, I’ll just wear it and set goals and that’s it. It’s easy and very measurable. It’s quantifiable, there’s no point in having goals if you can’t quantify it and you can’t measure it, well Fitbit makes both of those very easy. I wish I’d had it a lot further back. Even 10 years ago, this was a dream. [Robyn, 64 years]“ (Lupton & Maslen, 2019).

Dabei trägt die Anwendung des Fitnesstracker durch die hier angesprochene Quantifizierung körperlicher Leistungen zur Konkretisierung individueller Zielsetzungen bei. Parallel dazu scheint die unkomplizierte Handhabung des Geräts eine wichtige Rolle bei der „[…] Gestaltung […] de(r) inkorporierten Motiv- und Deutungsstrukturen […]“ (Rode, 2019, S. 167) mit Bezug auf die Motivation zur Fortsetzung des Trainings zu spielen. Die handelnde Person agiert in diesem Kontext auch als „experimentelles Subjekt“ (Reckwitz, 2020, S. 555), das durch Sinneswahrnehmungen das Gerät in konkreten Situationen erlebt und bewertet. Das hier implizierte Tun „[…] sozialisiert den Körper des Handelnden und dessen Hexis [Habitus, MD] zeigt, was er schon länger getan hat.“ (Hirschauer, 2017, S. 94.).

Dass Tracking-Technologien zusätzliche Impulse zur Steigerung des Bewegungsausmaßes geben können, wird auch in einer 2020 von Brickwood et al. veröffentlichten Interviewstudie dokumentiert. Ein 82-jähriger Studienteilnehmer betont:

„[…] it’s just as I said, as a reminder all the time, yes. You’re aware of it because it’s there, but it encourages you to do a little bit more than you probably would have before“ Brickwood et al., 2020, S. 6).

Aus dieser Aussage lässt eine wichtige Funktion von Tracking-Technologien erkennen. Es handelt sich um Feedback und Reminder-Optionen, die die Verinnerlichung des Programms der Selbstoptimierung (Richter, 2020, S. 121) bei älteren Menschen zum Ziel haben. Im Rückgriff auf den Ansatz des new materialism – in dem Arrangements der Materialität, wie z. B. Tracking-Technologien, als Handelnde begriffen werden und sich auf die Hervorbringung des Subjekts wirken – lässt hier der zunehmende Einfluss von sogenannten Non-human Actors (Technologien) auf die Handlungen von Human Actors (Individuen) feststellen (Latour, 2005). Die oben angesprochene technische Steuerung ermöglicht die Aktualisierung des angestrebten Ziels – Fitness zu erlangen – und definiert „[…] einen subjektiven Zustand, der den Körper und damit auch den Geist in Bewegung hält […]“ (Reckwitz, 2020, S. 569).

Die digitale Selbstvermessung, die durch die Nutzung von Trackinggeräten in den Alltag integriert werden, leistet einen erheblichen Beitrag zu mehr Selbstbestimmung, wie exemplarisch folgender Fall aus einer 2019 von D. Lupton veröffentlichten Studie verdeutlicht. Die 57-jährige Probandin Glenda, die ihre Ernährungsgewohnheiten, ihr Körpergewicht, ihren emotionalen Zustand sowie ihren Blutdruck durch den Einsatz eines Trackinggerätes kontrolliert, betonte:

„I guess I just wanted to be more independent and less reliant on people to support me. So that’s medical people and health work. And gradually through tracking, it doesn’t do away with the need for professionals, but it’s helped me to become more independent and more balanced. My physical and mental health began to stabilise … I actually ended up stopping the need for counselling all together, and I don’t see myself having to go to the GP as much as in the past because my health has improved.“ (Lupton, 2019, S. 74).

Die oben suggerierte Autonomiesteigerung erfolgt „durch die Verfügbarkeit und Nutzung von Körperdaten“ (Mau, 2017, S. 169). Bezüglich der Selbstvermessung entwickelt Ruckenstein (2014) den Ansatz von Datadoubles, um die dynamische Beziehung zwischen den Nutzer*innen und dem generierten Datenmaterial zu beschreiben. Unter Datadoubles wird „[…] the conversion of human bodies and minds into data flows that can be figuratively reassembled for the purposes of personal reflection and interaction“ (Ruckenstein, 2014, S. 68) verstanden. Die erwähnte Praxis beinhaltet fortlaufende und flexible Neujustierung des Datenmaterials, zwecks „permanenter Adaptation und Überschreitung erreichter Zielmarken“ (Röcke, 2021, S. 201). Aus der Perspektive des New Materialism-Ansatzes kann hier betont werden, dass die digitalen Informationen, die durch die Interaktion zwischen Menschen und Tracking-Apps entstehen, sich selbst verändern können und auf die Aktivitäten der Individuen in Zeit und Raum reagieren. „This is a synergistic relational connection of change and response that repeats itself, so that people make data and data make people“ (Lupton, 2020, S. 13). Diese Entwicklung führt den Menschen „in die paradoxe Situation zugleich Subjekt und Objekt der Kontrolle und Überwachung zu sein“ (Schroer, 2005, S. 19). Somit agiert der (ältere) Mensch wie ein Wesen, „das sich immer über Ziele, den Grad ihrer Erfüllung und das Potenzial der Verbesserung Rechenschaft ablegen sollte“ (Liessmann, 2016, S. 10). Ähnlich argumentiert auch die Rechtsphilosophin Antoinette Rouvroy mit folgender Aussage: „Unsere digitalen Spuren sagen nicht, wer wir sind, sondern wozu wir potenziell in der Lage sind“ (Portevin, 2019, S. 59).

Während das technologische Regime detaillierter Selbstbeobachtung bzw. –Vermessung Wissen über sich selbst generiert, wird „der Mensch selbst zum Netzwerk und verkörpert Netzwerknormen und Netzwerkeigenschaften“ (Bellinger & Krieger, 2015, S. 397). Dieser Sachverhalt korrespondiert mit den von Foucault formulierten Praktiken zu Technologien des Selbst „mit denen Menschen nicht nur die Regeln ihres Verhaltens festlegen, sondern sich selber zu transformieren, sich in ihrem besonderen Sein zu modifizieren und aus ihrem Leben ein Werk zu machen suchen, das gewissen ästhetischen Werten und gewissen Stilkriterien entspricht“ (Foucault, 1989, S. 18). So wählen Individuen unter der Prämisse „Sorge um sich selbst“ (Foucault, 2004, S. 32) immer häufiger „selbsttechnologische Subjektivierungspraktiken“ (Strüver, 2012, S. 21) zur Kontrolle des eigenen Körpers aus, um ihn zu formen, zu verändern und einzigartig zu gestalten (Reckwitz, 2017).

Tracking-Technologien ermöglichen im Rahmen der Subjektivierung diverse Verschiebungen „[…] von der Selbsterkenntnis zur Selbstoptimierung, von der Selbstfindung zur Selbstschöpfung, vom Psychischen zum Vitalen“ und beschleunigen damit den Übergang von der Gesundheit zu Fitness (Gertenbach & Mönkeberg, 2016, S. 36–37). Diese Entwicklung äußert sich auch in der zunehmenden Berücksichtigung und Anwendung digitaler Tracking-Apps in den Konzepten des aktiven Alterns. Aus diese Weise ermöglicht Technologie auch Menschen in höheren Alter Selbsterkenntnis durch Zahlen und sie können damit messbare bzw. objektive Ziele formulieren, welches das Konzept des aktiven Alterns von einer anderen Perspektive, nämlich „von unten nach oben“ konturiert. Somit wird Gesundheit als übergeordneter allgemeiner Topos neu konfiguriert bzw. durch Körperstrategien, wie Fitness und Wellness, in bestimmten Settings sogar ersetzt. Denn Fitness und Wellness bieten eine konkrete, fortlaufende und individuelle Handlungsperspektive und adressieren das Altern als soziale Praxis im Sinne alltäglichen Tuns.

Fazit

Der Beitrag setzte sich zum einen mit dem semantischen Wandel des Fitnessbegriffes in Relation zur präventivmedizinischen Bedeutung der sportlichen Bewegung in der Postmoderne auseinander. Außerdem wurde der Beitrag digitaler Technologien im Alter zur Schaffung flexibler Interpretationsrahmen für die Untersuchung der Wechselbeziehung zwischen Gesundheit und Fitness bzw. Wellness in den Blick genommen.

Im Zuge der Etablierung einer sogenannten „health society“ (Wiedemann, 2016, S. 71) lässt sich eine Neudimensionierung des Verhältnisses zwischen Fitness bzw. Wellness und Gesundheit erkennen. Dabei kommt es zunehmend zur Bedeutungserweiterung des Topos Gesundheit und gleichzeitig zur Bedeutungsverengung des Wortes Fitness. Während Gesundheit zu einem gesellschaftlichen Imperativ hochstilisiert wird und als Mega-Trend die Handlung im Alter (mit-)bestimmt, häufig auch sogar diktiert, lassen sich Fitness und Wellness vermehrt zu einem Mittel zur Erreichung gesundheitsspezifischer Ziele verdichten.

Parallel dazu führt der Einsatz von Tracking-Technologien im Konzept des aktiven Alterns zur Formierung einer neuen Subjektordnung, die wirkmächtige ästhetische, gesundheits- und leistungsbezogene Normen neutralisiert und Einfluss auf den Wirkungszusammenhang zwischen Gesundheit, Fitness und Wellness nimmt. Dabei wird Fitness nicht mehr als ‚Zustand‘ oder ‚Status‘ der Gesundheit, sondern als lebenslanger, offener und dynamischer Prozess (Bauman, 2005) verstanden, wobei Wellness den Anforderungen zur Maximierung des Wohlbefindens entspricht.