Schlagworte

Einleitung

Im Sommer 2016 machte die Generali-Versicherung in Deutschland mit einem neuen Bonusprogramm von sich reden, bei dem Versicherungsnehmer:innen mithilfe eines Schrittzählers (Handy, Smartwatch) Punkte sammeln konnten, welche sich direkt auf ihre Prämienrückerstattung auswirkten (Wanner & Fromme, 2016). Mittlerweile hat Generali sein „Vitality“-Angebot überarbeitet und bietet statt Prämienrückerstattung als „active rewards“ v. a. Amazon-, Expedia- und Adidas-Gutscheine an.

Dennoch werden an diesem Beispiel einige der möglichen Auswirkungen sichtbar, die Fitness-, Gesundheits- und Wohlbefindens-Apps auf Krankenversicherungsmodelle, aber auch das betriebliche Gesundheitsmanagement und das Gesundheitswesen im Allgemeinen haben. Darüber hinaus sind sie als Lifestyle-Produkte oftmals mit großen Sportartikelherstellern (bspw. „Nike +“ als eine der ersten Fitness-Apps) verknüpft und werden als Marketing-Instrument eingesetzt. Schließlich wecken sie gerade in der medizinischen Forschung Begehrlichkeiten: So hatten die drei größten Fitness-/Gesundheits-Apps (Fitbit, MyFitnessPal, S Health) im Jahr 2018 zusammen knapp über 60 Mio. monatlich aktive Nutzer:innen (Clement, 2019). Diese generieren über die ubiquitäre Sensorik der Apps (Erschütterungs- und Lagesensoren, GPS, Pulsmesser, Kamera, Mikrophon, Hautleitwertsensor usw.) sowie regelmäßige Selbsteinschätzungen und -auskünfte eine riesige Menge an medizinischen bzw. medizinisch relevanten Daten. Mithilfe dieses Datenpools ließen sich – so die Hoffnung – eine Vielzahl medizinischer Fragestellungen untersuchen.

Mit der Verschmelzung von „Lifelogging“Footnote 1 und Big Data gehen jedoch auch eine Vielzahl von Problemen einher, nicht zuletzt ethische Fragen nach Privatheit und Datenautonomie sowie Datensicherheit (Loh, 2018b; Nissenbaum, 2010; Rössler, 2001). Nicht nur bleibt bei vielen Apps unklar, wer die Nutzer:innendaten wie verwendet, an wen sie möglicherweise weitergegeben oder verkauft werden und welche Nachteile den Nutzer:innen daraus entstehen könnten. Darüber hinaus steht die Sicherheit dieser Daten auf dem Spiel. So wurden bspw. 2018 bei MyFitnessPal 150 Mio. Kund:innendaten gestohlen (Holland, 2018).

Jenseits datenethischer Fragestellungen besteht eine grundsätzliche Problematik mit Blick auf die Quantifizierung von Gesundheitszuständen (Lupton, 2016b; Mau, 2017; Swan, 2012). Diese Problematik hängt einerseits damit zusammen, dass in vielen Fällen eine Diskrepanz zwischen dem subjektiv erlebten Wohlbefinden und der „Objektivität“ von Vitalparametern besteht. Dies kann sowohl zu Formen von „epistemic injustice“ (Fricker, 2007) führen, wenn den Selbsteinschätzungen der Nutzer:innen keine Beachtung mehr geschenkt wird, als auch zu einem „overtrust“ (Hardré, 2015) in Bezug auf „Gesundheitsscores“, wenn die Nutzer:innen dem eigenen subjektiven Empfinden selbst nicht mehr trauen.

Auf der anderen Seite ergeben sich ethische Problematiken hinsichtlich der Wirkung, die solche Scores auf das Wohlbefinden der Nutzer:innen haben können:

„Während einem Krankheitsbefund die binäre Codierung von krank/gesund zugrunde liegt, verwenden Gesundheitsscores Skalen oder Punktwerte. Motivational sind sie dabei so angelegt, dass es um Steigerung geht und nicht lediglich darum, ‚nur‘ gesund zu sein. Gesundheit, nun in einer Assoziationskette mit Aktivität und Fitness stehend, wird zu einem Gut, von dem man nie genug bekommen kann.“ (Mau, 2017, S. 116)

In dem vorliegenden Text soll es jedoch um ein anderes, oftmals am Rande aufscheinendes, Phänomen gehen: die in diesen Apps häufig verwendeten Gamifizierungsstrategien. Im Allgemeinen wird die Nutzung bestimmter Involvierungsstrategien, die aus Spielen – besonders Computerspielen – bekannt sind, um die Motivation und Leistungsbereitschaft der Nutzer:innen zu steigern bzw. aufrecht zu erhalten, als „Gamification/Gamifizierung“ bzw. „Gameful Design“ bezeichnet, d. h. als „the use of game design elements in non-game contexts” (Deterding et al., 2011, S. 1). Die Problematik von GamifizierungenFootnote 2 liegt darin begründet, dass derartige Involvierungsstrategien die Spieler:innen quasi unbemerkt an die jeweilige Anwendung binden und auf diese Weise zu fortgesetzter oder erhöhter Interaktion verleiten könnten. Damit könnte die individuelle Autonomie der Nutzenden, so ein erster Verdacht, untergraben werden, gleichzeitig die Nutzer:innen zu für sie unvorteilhaftem Verhalten wie bspw. In-App-Käufen, Datenpreisgabe etc. gebracht werden.

Im ersten Abschnitt werde ich Gamifizierungen sowohl von Serious Games, als auch von Nudges abgrenzen und medientheoretisch auf die verschiedenen Involvierungsmechanismen, die hinter Gamifizierungen stehen, eingehen. Der zweite Abschnitt beschäftigt sich dann mit der Möglichkeit, dass Gamifizierungen ethisch problematische Formen von Einflussnahme darstellen könnten. Hier wird der Begriff der Manipulation in aller Kürze vorgestellt und auf das Feld der Gamifizierungen angewandt. Als Ergebnis kristallisieren sich vier Aspekte heraus, die für die ethische Bewertung von Gamifizierungsstrategien entscheidend sind:

  1. 1.

    Die Intensität der psychischen (i. d. Regel motivationalen) Effekte, die sie zeitigen;

  2. 2.

    der Grad der Erkennbarkeit dieser Effekte für die Nutzenden;

  3. 3.

    die Übereinstimmung der Ziele von App-Hersteller:innen/-betreiber:innen und Nutzenden, die in der Frage kulminiert, ob es sich hier u. U. um eine wohlwollende Manipulation – und damit letztlich eine ethisch zulässige Form von PaternalismusFootnote 3 – handelt;

  4. 4.

    sowie die Möglichkeit von unintendierten Nebenfolgen, die sich aufgrund der Beeinflussung mittels Gamifizierungsstrategien einstellen könnten.

Diese vier Aspekte werde ich in den jeweiligen Abschnitten diskutieren und mit Beispielen aus dem Bereich der Gesundheits-/Fitness-Apps abgleichen. Dabei wird sich zeigen, dass es eine Reihe von Anwendungen und Anwendungskontexten gibt, in denen Gamifizierungen durchaus manipulativ wirken können. Letztlich steht und fällt aber die ethische Evaluation mit dem jeweiligen Einzelfall – eine prinzipielle ethische Unangemessenheit von Gamifizierungen lässt sich nicht argumentieren.

Bevor ich in die Untersuchung einsteige, möchte ich noch ein Wort zum Untersuchungsgegenstand verlieren. Es ist nahezu unmöglich, eine klare Differenzierung zwischen Fitness-, Wohlbefindens- und Gesundheits-Apps zu finden. Vielmehr handelt es sich hierbei um „Typenbegriffe“ (Pawlowski & Grzyb, 1980, S. 106–112), die je einen unterschiedlichen begrifflichen Kerngehalt haben, aber an den Rändern kaum trennscharf voneinander abzugrenzen sind. In diesem Sinne handelt es sich bei Fitness-Apps typischerweise um eine Form von Software, die die Nutzer:innen bei ihrem Trainingsprogramm unterstützen soll – am bekanntesten sind hier Lauf-, Krafttrainings- und Mobility-Apps. Dagegen loggen Wohlbefindens-Apps täglichen Schlaf, Bewegung, das subjektive Wohlbefinden (sog. „Moodtracker“), aber auch Flüssigkeits- und Nahrungsaufnahme, Kaffee-, Nikotin- und Alkoholkonsum, Puls, Blutdruck, Menstruationszyklus etc. Hier zeigt sich schon der fließende Übergang zu Gesundheits-Apps, die die körperliche und psychische Gesundheit fördern sollen. Dies kann z. T. auch durch das Tracken der Lifestyle-Parameter geschehen, z. T. aber auch durch Achtsamkeits-Übungen, Yoga, autogenes Training, bis hin zu Apps, die explizit für den Einsatz bei chronischen Krankheiten, wie Diabetes und Herzinsuffizienz, konstruiert wurden.

Interessant werden die Hilfsangebote nun durch die oben schon angesprochene ubiquitäre Sensorik, die sich mit der Verbreitung mobiler Endgeräte und Wearables ergeben. Erst hierdurch erhielt die gesamte Bandbreite der Self-Tracking-Apps einen enormen Auftrieb und machte das zeitaufwändige und langwierige „Lifelogging“ einfacher, verlässlicher und umfassender. Es ist eben eine Sache, den eigenen Schlaf am nächsten Morgen auf einer Skala von 1–5 zu bewerten, und eine andere, ihn mittels Puls- und Bewegungsmessung durch die Smartwatch aufzeichnen und analysieren zu lassen. Nur Enthusiast:innen werden nach jedem Lauf die gelaufene Strecke, die genaue Zeit und den mit Pulsgurt gemessenen Pulsverlauf in eine App eintragen. Wenn dies aber Smartwatch/Handy für einen erledigen, sieht auch hier die Sache schon anders aus. Ähnliches gilt für die absolvierten Übungen im Fitnessstudio, die sich bequem per Bewegungssensor des Handys mittracken lassen – die Handykamera nimmt dabei die Bewegung auf, sodass die App sogar noch Tipps zur korrekten Übungsausführung geben kann.

Gerade mit Blick auf die Zielgruppe der älteren Menschen ist eine Zunahme der Fitness-, Wohlbefindens- und Gesundheits-Apps festzustellen, vor allem zur Aktivitäts-, Vitalparameter- und Therapiebegleitung bzw. -überwachung (BMFSFJ, 2020, S. 21). Diese weisen in vielen Fällen mindestens eine rudimentäre Gamifizierung auf, bspw. in Form eines einfachen Feedback-Systems („Gut gemacht!“, „Weiter so!“, Smileys etc.). Weiterführende Gamifizierungsstrategien sind aber auch hier auf dem Vormarsch (Martinho et al., 2020).

Gamifizierung

Einige der in diesem Abschnitt angestellten Überlegungen sind entnommen aus (Loh, 2018a).

Gamifizierungsstrategien orientieren sich, wie oben schon angeklungen, v. a. an bestimmten Design-Elementen von Spielen – zumeist Computerspielen. Diese Design-Elemente werden in nicht-spielerische Kontexte integriert, um „die Motivation der Zielgruppe zu erhöhen“ (Rackwitz, 2018), die Nutzer:innen länger an die jeweilige Aufgabe zu binden, sie tiefer in das Geschehen eintauchen zu lassen. Kurz gesagt: „The game turns what would otherwise feel like an ordinary, mundane effort to do a bit of good into an extraordinary effort“ (McGonigal, 2011, S. 263). Die Nutzer:innen werden vor Herausforderungen gestellt, mit Punkten, Ranglisten, Abzeichen, Level-ups usw. belohnt oder durch Handlungsoptionen interaktiv in das Spielgeschehen einbezogen. Letztlich beruhen die, im Bereich der Gamifizierung zur Anwendung kommenden, Involvierungsstrategien also primär auf dem ludischen Aspekt von Spielen, weniger dem narrativen.

Dies ist eines der Hauptunterscheidungsmerkmale zwischen Formen von Gamifizierung auf der einen, und Serious Games auf der anderen Seite (Dörner et al., 2016; Strahringer & Leyh, 2017). Letztere werden zumeist als „full games dedicated to serious or real world objectives“ (Tondello, 2015) definiert, in denen, durch Informationsbereitstellung sowie das Erlernen bzw. Einüben neuer Verhaltensweisen in einer Simulationsumgebung, Wissen und Fähigkeiten über realweltliche Problemlagen vermittelt werden. Gleichzeitig soll aber auch in vielen Serious Games konkret Einfluss auf diese Problemlagen genommen werden. Um dies zu erreichen, sind Serious Games daher zumeist in komplexe Narrative eingewoben, wie bspw. das interaktive Online-Spiel „World Without Oil“, in dem ein Peak-Oil-Szenario spielerisch sehr plastisch dargestellt wird. Über dieses Hintergrundnarrativ werden die Mitspieler:innen angehalten, in ihrem täglichen Leben Öl einzusparen und im Spiel darüber zu berichten.

Anders als bei den klassischen Gamifizierungsmechanismen im Bereich des Self-Tracking, der Ernährungs- und Gesundheits-Apps oder sogar der Raucherentwöhnung, geschieht die Involvierung bei Serious Games also zunächst einmal über die narrativen Elemente. Zwar werden die Spieler:innen auch vor Herausforderungen gestellt („Spare in deinem realen Leben möglichst viel Energie ein!“), aber diese sind für die initiale Involvierung nicht entscheidend. Dies ist für den Kontext dieser Untersuchung deshalb wichtig, da bei Serious Games die Problematik eines versteckten, manipulativen Paternalismus sehr viel geringer ist. Durch die offensichtliche äußere Gestaltung als Spiel (und nicht bspw. als Fitness-App), sowie die Involvierung durch ein zumeist deutlich erkennbares Hintergrundnarrativ ist den Spieler:innen von vornherein einigermaßen klar, dass es sich hier um ein Spiel handelt. Mit diesem Wissen können sie eine wohlinformierte Entscheidung treffen, an diesem Spiel teilzunehmen und ist sich auch – mindestens implizit – der Involvierungsmechanismen bewusst, die Spielen zu eigen sind.

Während das klassische Computerspiel – und damit auch Serious Games – neun verschiedene „Involvierungen“ (aktionale, ökonomische, temporale, sensomotorische, visuelle, räumliche, emotionale, soziale und narrative; Neitzel, 2012, S. 85) beinhaltet, nutzen Gamifizierungsmechanismen häufig nur einige davon. Besonders die sensomotorischen, visuellen und räumlichen Involvierungen, über die ein „Gefühl der körperlichen Anbindung ans Spiel“ (Neitzel, 2012, S. 101) hergestellt wird, fehlt den meisten Gamifizierungen notgedrungen, da diese als Zusatz zu bestehenden Anwendungen konzipiert sind. Dies könnte sich aber mit der Verbreitung weiterer Geräte, wie Smartglasses etc., die Augmented Reality Umgebungen ermöglichen, schnell ändern. Schon jetzt existieren augmentierte Realitätskonstruktionen per Handykamera, ähnlich dem bekannten AR-Game „Pokemon Go“, wie bspw. „Amikasa“ (mit der man testweise die eigene Wohnung mit Möbeln einrichten kann) oder „BBC Civilisations AR“ (mit der Kunstobjekte und archäologische Artefakte auf Oberflächen projiziert und so erkundet werden können).

Auch narrative Involvierungen scheinen auf den ersten Blick nur rudimentär angelegt, bilden die Gamifizierungen doch zumeist nur einen Zusatz zur jeweiligen App. Im Gegenteil werden speziell bei Marken-Apps die Nutzenden oftmals dazu angehalten, „bewusst kreierte Leerstellen in der Narration mit eigenen Bedeutungen (und Bedeutungen der Marke für das eigene Leben) zu füllen“ (Schollas, 2016, S. 95). Doch dieser Anschein trügt: Apps wie „7 min Superhero Workout“ oder „Zombies, Run“ integrieren die einzelnen Workouts in ein computerspielähnliches Narrativ.Footnote 4 So werden die Nutzer:innen bei „7 min Superhero Workout“ bspw. in die Rolle von Pilot:innen eines „AEGIS One battlesuit“ versetzt, die die Welt mittels von der Handykamera getrackten Kniebeugen, Liegestützen, Hampelmännern etc. vor einer Alien Invasion retten müssen. In „Zombies, Run“ schlüpft man dagegen in die Rolle von „Runner 5“, und übernimmt nach einer Zombie Apokalypse Nachschubmissionen für eine kleine Gruppe von Überlebenden. Die App schickt die Nutzer:innen nicht nur auf verschiedene Missionen, sondern erzählt während des Laufs zwischendurch auch die Hintergrundgeschichte, warnt die Läufer:innen vor anrückenden Zombies und belohnt sie mit Gegenständen, die dann zum Ausbau der eigenen Festung genutzt werden können.

Dagegen können ökonomische Involvierungen, bei denen über die Belohnung der Nutzer:innen für die Erfüllung bestimmter Aufgaben im Spiel eine Bindung an das Spiel erzeugt wird, als paradigmatische Form von Gamifizierung gelten. Eine solche „reward-based gamification“ (Nicholson, 2013) belohnt die Nutzer:innen mittels Punkten, Highscores, Spielgeld, Gegenständen, Abzeichen, die Verbesserung des Spielercharakters, das Freispielen neuer Bereiche oder Level im Spiel, usw. So errechnet bspw. die App „Dacadoo“ aus den Vitalparametern und Selbstauskünften der Nutzer:innen einen „Gesundheitsindex“ zwischen 1 und 1000, der „wie Ihr eigener persönlicher Aktienkurs Ihrer Gesundheit und Ihres Wohlbefindens in Echtzeit“ (zitiert nach: Mau, 2017, S. 116) funktioniere.

Aber auch aktionale Involvierungsstrategien werden häufig verwendet. Sie zielen darauf ab, die Nutzer:innen durch die Erfahrung der eigenen Selbstwirksamkeit an die gamifizierte Anwendung zu binden. Theoretisch ist jede Form von Feedback der Anwendung geeignet, die Selbstwirksamkeit aufzuzeigen und auf diese Weise aktionale Involvierungen auszulösen. Als spezifische Gamifizierungsstrategie sind hier jedoch primär Möglichkeiten zur kreativen Selbstentfaltung oder auch die Personalisierung eines eigenen Bereichs (Aussehen und Bekleidungsgegenstände des eigenen Avatars, die Einrichtung des eigenen Fitnessstudios), gemeint.

Kombiniert werden ökonomische und aktionale Involvierungsstrategien in Zielvereinbarungen, die die Nutzer:innen in bzw. mit der App treffen. So beinhaltet bspw. schon die „Nike +“-App die Möglichkeit, eigene Ziele in Aushandlung mit der App festzulegen, deren Erfüllungsstand und -entwicklung in der App angezeigt und deren jeweilige Fortschritte von der App motivierend begleitet werden (Schollas, 2016, S. 92). Damit wird aus einem selbstgewählten Ziel mithilfe einer Gamifizierung eine konstante „Handlungsaufforderung zur Selbstverbesserung“ (Mau, 2017, S. 117).

Zusätzlich zu diesen beiden Involvierungsstrategien, die oft primär mit dem Begriff der Gamifizierung verbunden werden, lassen sich auch temporale Involvierungsangebote in Form von (zeitlich begrenzten) Zielen in Gamification-Strategien finden. Dabei werden ökonomische bzw. aktionale Involvierungen häufig durch eine künstliche Verknappung der zeitlichen Komponente mit einem besonderen „sense of urgency“ (McGonigal, 2011, S. 263) versehen: Herausforderungen müssen in einer vorgegebenen (Real- oder Spiel-)Zeit gemeistert werden, wie bspw. bei den ubiquitären Schrittzählern, die die Nutzer:innen dazu anhalten sollen, täglich eine bestimmte Anzahl an Schritten zu absolvieren. Diese Herausforderung stellt sich jeden Tag aufs Neue, die Nutzenden werden über den Tag hinweg daran erinnert, und bei Nicht-Erreichen des Schrittziels am Ende des Tages wird dies kommuniziert. Hierdurch entsteht eine Dringlichkeit und Unaufschiebbarkeit der Herausforderung (Schrittziel), die zusätzlich motivieren soll.

Ebenfalls nur rudimentär kommen emotionale Involvierungen in Gamifizierungen vor. Hierbei werden Empathie und Identifikation mit Akteuren und narrativen Gehalten zu großen Teilen durch das – eben typischerweise kaum vorhandene – Narrativ geweckt. Allerdings können emotionale Involvierungen bspw. schon durch traurige/glückliche Smileys, oder auch das Mitleid mit der Pflanze im virtuellen Fitnessstudio, die – wenn nicht regelmäßig per Klick gegossen – unweigerlich vertrocknet, ausgelöst werden.

Während diese Formen der Involvierung die Nutzungsschwelle senken und Nutzer:innen kurzfristig an die Anwendung binden können, zeigt die motivationspsychologische Forschung zu Gamifizierung, dass v. a. Formen sozialer Involvierung die Nutzer:innen langfristig bei der Stange halten (Hamari et al., 2014; Schmidt et al., 2017). Dabei geht es nicht nur um den Wettbewerb mit anderen Nutzer:innen und den damit einhergehenden sozialen Status, oder auch die Selbstdarstellung der eigenen Erfolge mittels Punkten, Rängen, Personalisierungen etc. Vielmehr erzeugen insbesondere die Notwendigkeit der Koordination oder sogar Kooperation, die Möglichkeit, anderen Nutzer:innen zu helfen oder auch schlicht die soziale Interaktion mit anderen in Bezug auf ein gemeinsames Thema, eine hohe Bindungswirkung. Um eine solche Involvierung jedoch als Gamification-Strategie verstehen zu können, muss sie vom Design der Anwendung angelegt und gewünscht sein.

Auch im Bereich der Fitness-/Gesundheits-/Wohlbefindens-Apps, die spezifisch für ältere Menschen konzipiert sind, finden sich diese unterschiedlichen Involvierungen. Dabei sind diese zumeist zielgruppenspezifisch aufbereitet und von ihren emotionalen und motivationalen Effekten eher zurückhaltend. Besonders verbreitet sind folgende Gamifizierungselemente: „Provide feedback regarding user performance; indicate progression and improvement while the user is using the system through levels and increased difficulty; reward player while performing correct actions with badges, trophies and prizes; enhance and promote social interactions between participants and even between virtual or robotic entities” (Martinho et al., 2020, S. 4885).

Gamifizierungsmechanismen zielen also immer darauf ab, unter Ausnutzung einer der angesprochenen Involvierungen, Nutzer:innen von Anwendungen motivationspsychologisch dahingehend zu beeinflussen, dass sie

a) die ihnen gestellten (oder selbstgestellten) Aufgaben konsistenter und effektiver erledigen (Compliance);

b) sich neuen bzw. erweiterten Aufgaben stellen (Fortschritt);

c) oder sich länger in der Anwendung aufhalten (Anbindung).

Dabei ist es für die Belange dieser Untersuchung unerheblich, ob die Involvierungen letztlich auf der motivierenden Verkürzung von Handlungsketten, der sogenannten „instant gratification“ (Sailer, 2016, Kap. 4), beruhen, oder auf sozialem Wettbewerb, Status bzw. dem Wunsch nach Interaktion oder Kooperation. Wichtig ist, dass es sich hierbei um motivationspsychologische Effekte handelt, die die Nutzenden dazu bringen sollen, eine für sie schwierige Aufgabe anzugehen.

Dies unterscheidet Gamifizierungen denn auch von Nudges (Thaler & Sunstein, 2009). Während bei Gamifizierungen die Zielpersonen motiviert werden, eine schwierige Aufgabe zu erledigen, wird bei Nudges die Schwierigkeit der Aufgabe selbst herabgesetzt (Rackwitz, 2018). Letzteres lässt sich sehr gut am Beispiel der Diskussion um die Änderung der Organspendebestimmungen von einem Opt-In (d. h. die Zustimmung zur Organspende muss eingeholt werden) zu einem Opt-Out Mechanismus (d. h. das Nichteinverständnis zur Organspende muss explizit erklärt werden) zeigen. Ein solcher Nudge erleichtert die Aufgabe („Besorge dir einen Organspendeausweis!“), anstatt die Zielpersonen dazu zu motivieren, eine schwierige Aufgabe anzugehen. Diese Unterscheidung ist wichtig, da zwar auch beim Nudge Entscheidungen verändert werden. Allerdings beziehen sich diese Veränderungen auf Entscheidungsbedingungen, die unabhängig von den Zielpersonen sind, und nicht auf deren interne motivationale Dispositionen. Auch wenn das Nudging oftmals als „libertärer Paternalismus“ (Dworkin, 2017) bezeichnet wird, sind hier die dem Paternalismus inhärenten Bedingungen von Zwang bzw. Manipulation ganz anderer Natur als bei Gamifizierungen.

Manipulation, Verdeckung und Täuschung

Nach dem oben Gesagten ist es naheliegend zu überlegen, ob das Ausnutzen der motivationspsychologischen Effekte, die den gerade beschriebenen Involvierungsstrategien zugrunde liegen, als Form von Manipulation – und damit als ethisch unzulässig – zu klassifizieren ist. Dies scheint besonders deswegen plausibel, weil mit „Manipulation“ zumeist eine Form der Beeinflussung gemeint ist, die sich von Zwang und rationaler Überzeugung dadurch unterscheidet, dass sie über eine „aktive Veränderung der affektiven Anziehungskraft von bestimmten Zwecken oder die Modifikation eines Handlungskontextes, der so Zwecke in einem affektiven Sinne angenehmer/unangenehmer erscheinen lässt“ (Fischer, 2017, S. 31), funktioniert. Bei der Manipulation werden also affektive Mechanismen, wie bspw. Herausforderungen und Belohnungen, aber auch Gruppenzwang, das Erzeugen von Schuldgefühlen, emotionale Erpressung, erotische Anziehung etc. (Noggle, 2018), verwendet, um die manipulierte Person (Mt) aktiv dazu zu bringen, eine bestimmte Überzeugung auszubilden oder eine bestimmte Handlung auszuführen.

Häufig geht Manipulation auch mit Verdeckung und Täuschung einher (Rudinow, 1978), diese stellen jedoch keine notwendige Bedingung dar (Gorin, 2014; Wood, 2014). Während sich „Täuschung“ hierbei auf das aktive Verbreiten von Falschinformationen als Teil einer Manipulationsstrategie bezieht, ist mit „Verdeckung“ das Verbergen des Manipulationsversuchs selbst gemeint. Wie sich an den oben genannten Beispielen von Gruppenzwang und emotionaler Erpressung leicht ersehen lässt, beruht nicht jede Manipulation zwangsläufig auf Täuschungen, im Gegenteil: Viele der Manipulationsstrategien kommen völlig ohne Lügen oder dem Verleiten zu fehlerhaften Annahmen aus.

Dies gilt insbesondere für Gamifizierungsstrategien, deren Zweck typischerweise ja gerade darin besteht, zu motivieren und nicht zu täuschen. Um sich in dem hier gemeinten Sinn der Täuschung schuldig zu machen, müssten Fitness-/Gesundheits-Apps gezielt falsche Angaben über bestimmte Vital- bzw. Fitnessparameter (Gewicht, BMI, gelaufene Kilometer, verbrannte Kalorien) oder die Leistungen der relevanten Vergleichsgruppe machen. Ein solches Vorgehen in Fitness-/Gesundheits-Apps wäre kontraintuitiv bis potenziell gesundheitsgefährdend und wird daher meines Wissens nirgends absichtlich eingesetzt. Dagegen ist diese Praxis im Bereich der Buchungsplattformen (Flüge, Hotels) regelmäßig zu beobachten. Der auch als eine Form von „Dark Pattern“ (Brignull, 2013) bekannte Versuch, über eine künstliche Verknappung und die Herstellung eines „sense of urgency“ (McGonigal, 2011, S. 263) Nutzende zur Buchung zu drängen („Nur noch zwei Plätze/Hotelzimmer in dieser Preisklasse verfügbar!“), macht sich nicht nur temporale Involvierungen zunutze, er tut dies häufig auch mittels falscher Angaben (Mathur et al., 2019; Wettbewerbszentrale, 2015).

Schwieriger ist – gerade auch für die Evaluation von Gamifizierungen – der Aspekt der Verdeckung, also das Verbergen der Tatsache, dass es sich hier um eine Manipulation handelt. Einige Autor:innen argumentieren, dass Manipulationen notwendigerweise verdeckt sein müssen, um überhaupt als Manipulation gelten zu können:

„It is the attempted covertness that is central to manipulation, rather than the particular strategy, because once one learns that they are the target of another person’s influence that knowledge becomes a regular part of their decision-making process. We are all constantly subject to myriad influences; the reason we do not feel constantly manipulated is that we can usually reflect on, understand, and account for those influences in the process of reaching our own decisions about how to act […]. When the influence is hidden, however, that process is undermined.“ (Susser et al., 2019, S. 5)

Den Vertreter:innen dieser Position zufolge ist also das Manipulative an bestimmten Beeinflussungen nicht die Art der Einflussnahme, sondern ihre Verdeckung. Dies scheint jedoch nicht nur mit Blick auf die oben angesprochenen Beispiele von Schuldgefühlen oder emotionaler Erpressung kontraintuitiv. Wenn wir uns in diesen Fällen nicht manipulieren lassen, liegt dies nicht daran, dass kein Manipulationsversuch stattgefunden hat, sondern, dass wir diesem Versuch nicht erlegen sind. Ähnliches gilt für die psychomotivationalen Effekte von Werbung oder Gamifizierungsstrategien. Auch hier ist es möglich – und in vielen Fällen sogar wahrscheinlich –, dass wir uns einiger dieser Effekte bewusst sind.Footnote 5 Dennoch unterliegen wir ihnen in bestimmten Situationen, speziell wenn unser „cognitive load“ (Plass et al., 2010; Sweller, 1988) sowieso schon sehr hoch oder unser „limited ‘reservoir’ of self-control“ (Veltri & Ivchenko, 2017, S. 240) erschöpft ist. Und selbst, wenn wir ihnen widerstehen, heißt das gerade nicht, dass hier kein Manipulationsversuch vorlag – er war nur eben nicht erfolgreich.

Aus dieser kurzen Diskussion wird deutlich, dass Manipulationen nicht unbedingt verdeckt sein müssen, noch müssen sie immer Täuschungen enthalten. Entscheidend ist, dass hier eine affektive Einflussnahme stattfindet, d. h. via emotionaler und motivationaler Effekte. Heißt das nun, dass jeder emotionale Beeinflussungsversuch eine Manipulation darstellt? Einige Autor:innen bejahen dies mit dem Hinweis, dass „Manipulation“ einfach die neutrale Beschreibung einer bestimmten Form der Beeinflussung darstelle. Ob Manipulationen ethisch zulässig oder unzulässig seien, hänge dann von anderen Faktoren ab (Fischer, 2017).

Doch auch diese Einordnung erscheint nicht phänomenadäquat. Blickt man auf den allgemeinen Sprachgebrauch, scheint es sich bei „Manipulation“ um ein „thick concept“ (Williams, 1985, S. 141) zu handeln, also um einen ethisch dichten Begriff, der über seine phänomenal-beschreibenden Anteile auch immer evaluative Aspekte enthält: Manipuliert zu werden, ist immer schlecht. Ich schlage daher vor, die Frage, ob es sich um eine (unzulässige) Manipulation oder um eine (zulässige) Form affektiver Beeinflussung handelt, entlang zweier Kriterien zu entscheiden: zum einen der Schwere und Persistenz der affektiven Beeinflussung, zum anderen dem Grad der Verdeckung und Täuschung.

„Manipulation“ ist demnach kontextabhängig einerseits daran gebunden, wie stark die affektiven Effekte ausfallen und wie schwer sich die Nutzenden ihnen typischerweise entziehen können. Nicht umsonst werden bestimmte Designstrategien als „addictive designs“ (Eyal & Hoover, 2014; Fogg, 2002) bezeichnet, die ihre suchterzeugende Wirkung auch dann entfalten, wenn die Nutzer:innen um diese wissen. Im Bereich der Gamifizierungen spielen v. a. die aus Computerspielen bekannten Involvierungsstrategien eine Rolle, die ich weiter oben vorgestellt habe. Diese Involvierungen sind hochwirksam bis zur Computerspielsucht,Footnote 6 und dies, obwohl sich die Spieler:innen „sehenden Auges“ diesen Involvierungen aussetzen.

Andererseits hängt die Einordnung einer emotionalen bzw. motivationalen Beeinflussung als Manipulation auch am Umfang ihrer Verdeckung und der Täuschungen, deren sie sich bedient. Mit Falschinformationen jemanden dazu zu bringen, das zu tun, was man möchte, ist offensichtlich hochmanipulativ und typischerweise schon als Täuschung ethisch äußerst fragwürdig. Aber auch den Umstand zu verdecken, dass man eine Person strategisch dazu bringen möchte, etwas zu tun, das sie von sich aus nicht ohne Weiteres tun würde, lässt sich ethisch nur unter bestimmten Bedingungen rechtfertigen.

Im Ergebnis lässt sich festhalten, dass eine Manipulation als ethisch prima facie nicht wünschenswerte Beeinflussung jedenfalls dann vorliegt, wenn der Beeinflussungsversuch verdeckt wird. Darüber hinaus ist auch bei offenen, affektiven Beeinflussungen zu prüfen, ob die emotionalen und motivationalen Effekte ein Maß überschreiten, das mit der wechselseitigen Anerkennung als autonome Person – bspw. in Form Honneths „rechtlicher Anerkennung“ (Honneth, 1992, Kaps. 5 und 6) – unvereinbar ist. Allein der Versuch der Manipulation missachtet in eklatanter Weise die Autonomie der manipulierten Person und untergräbt auf diese Weise deren „positives Selbstverhältnis“ (Honneth, 1992, S. 308). Wichtiger also als die Frage, ob hier noch eine selbstbestimmte Entscheidung möglich wäre oder nicht, ist die Missachtung dieser Selbstbestimmung der manipulierten Person.Footnote 7

Für die Frage nach der ethischen Zulässigkeit von Gamifizierungsstrategien spielen jedoch noch zwei andere Aspekte eine Rolle: Zum einen die möglichen Konsequenzen, die sich aus der Nutzung der App ergeben können – speziell, wenn diese Konsequenzen direkte Folge der Involvierungen sind, die die Gamifizierungselemente hervorrufen. Zum anderen die Ziele der manipulierenden Instanz. Sollte es sich erweisen, dass die App-Betreiber:innen und -Hersteller:innen nur das „Beste“ für die App-Nutzenden wollen, bspw. ihnen ein aktiveres, gesünderes und längeres Leben zu ermöglichen, handelt es sich hier u. U. um eine Form von Paternalismus, die sich je nach Ausprägung ethisch rechtfertigen lässt (Dworkin, 2017). Dann würden die Nutzer:innen u. U. zwar manipuliert, aber auf eine mit ihren eigenen Zielen übereinstimmende, möglicherweise also „wohlwollende“ Art und Weise.

Aus diesen Überlegungen ergibt sich für die ethische Zulässigkeit von Gamifizierungen in Fitness-/Gesundheits-Apps eine Matrix mit vier Variablen:

  1. 1.

    Die Schwere und Persistenz des psychosozialen Effekts,

  2. 2.

    die Erkennbarkeit des Manipulationsversuchs,

  3. 3.

    die Ziele der App-Hrsteller:innen bzw. -Betreiber:innen, sowie

  4. 4.

    die Möglichkeit von unintendierten schwerwiegenden Nebenfolgen.

Diese vier Aspekte werde ich im Folgenden kurz anreißen und mit einigen Beispielen aus dem großen Fundus der Fitness-/Gesundheits-Apps anreichern.

Emotionale und motivationale Effekte

Den meisten Apps liegt ein globaler Fitness-/Gesundheits-/Wohlbefindens-/Glücks-Punktestand etc. zugrunde, den es zu verbessern gilt, der sich in Ranglisten, Abzeichen, Orden, Personalisierungen niederschlägt und den die Nutzenden mindestens innerhalb der Community-Plattformen der App selbst, häufig jedoch auch über Social-Media-Kanäle teilen können. Als Gamifizierung sind diese globalen Scores mit vielfältigen Involvierungen verknüpft. Zum einen werden hier klassische ökonomische Involvierungsstrategien mit einer Objektivierung von Gesundheit/Fitness/Wohlbefinden kombiniert. Zum anderen wird Vergleichbarkeit mit einer Peer Group hergestellt, die über soziale Involvierungen wie dem Liken/Kommentieren der Leistungen der Freunde (bspw. bei „Runtastic“) und dem sozialen Status von Ranglisten im Allgemeinen Bindungswirkungen an die App erzielt. Darüber hinaus lassen sich in vielen Apps Freund:innen herausfordern, mitunter gibt es Wettkämpfe mit verschiedenem Inhalt, bei denen man gegeneinander antreten kann (bspw. „Seven“).

Diese Kombination aus verschiedenen Involvierungen ist aus App-Hersteller:innen-/-Betreiber:innensicht sinnvoll, da ökonomische Involvierungsstrategien Nutzende nur relativ kurz motivieren und an die App zu binden vermögen, während langfristige Involvierungen v. a. über soziale, narrative und emotionale Strategien zu erreichen sind (Hamari et al., 2014; Schmidt et al., 2017). Für die Frage, ob diese Beeinflussungen u. U. die Grenze zur Manipulation überschreiten, ist diese Kombination insofern indikativ, als sie deutlich macht, dass eine einzelne Gamifizierungsstrategie typischerweise nur wenig wirksam ist. Dies gilt besonders für die klassischen ökonomischen Strategien wie Punkte, Abzeichen, Ranglisten etc. Aber auch die sozialen und emotionalen Involvierungen überschreiten nicht das typische Maß unserer alltäglichen Interaktion. Sofern jedoch Wettkämpfe, Herausforderungen und Gruppenaufgaben so gestaltet sind, dass sie erheblichen Gruppenzwang und emotionalen Druck aufbauen, kann hier u. U. die Grenze zur Manipulation erreicht bzw. auch überschritten werden.

Etwas anders gelagert sind Fälle wie die Achtsamkeits-App „Happify“, die in besonderer Weise emotionale und soziale Involvierungen verbindet: Neben Tipps zur Angst- und Stressreduktion und einem „Glückspunktestand“ sollen v. a. die „Glücksfähigkeiten“ der Nutzenden mittels verschiedener Kompetenzen gefördert werden, die das Wohlbefinden steigern. Eine dieser Kompetenzen ist „Zeige Empathie“. Hierfür stellt die App u. a. eine Plattform bereit, mittels derer sich die Nutzenden wechselseitig Zuspruch geben und empathisch unterstützen können (Happify, 2020). Dabei wird die soziale Involvierung einer Gemeinschaft von Gleichgesinnten, der Austausch und die Bindungswirkung von Sozialkontakten mit der emotionalen Involvierung des Anteilnehmens am Schicksal anderer kombiniert.

Während die Involvierungen hier sehr starker und dauerhafter Natur sein können, stellt sich die Frage, ob es sich dabei noch um eine Gamifizierung im strengen Sinne handelt, da der Involvierungsmechanismus gleichzeitig das Ziel der Involvierung darstellt. Die App versucht die Nutzenden schließlich dazu zu motivieren, ein empathischeres Leben mit engeren und häufigeren Sozialkontakten zu führen. Die Gamifizierung markiert also gleichzeitig das Ziel, nicht lediglich das Mittel. Allerdings werden die Involvierungen nicht nur dazu benutzt, ein empathischeres und sozialer eingebundenes Leben zu führen, sondern auch, häufiger und länger die App zu benutzen. In diesem Sinn verfolgen die App-Betreiber:innen/-Hersteller:innen mit den Involvierungsstrategien mindestens ein doppeltes Ziel. Aus diesem Grund lassen sie sich (auch) als Gamifizierungen beschreiben.

Mit Blick auf die manipulative Wirkung der motivationalen Effekte ergibt sich aus diesen kurzen Überlegungen ein differenzierteres Bild: Während die ökonomischen und sozialen Involvierungen, die klassischerweise von Gamifizierungen verwendet werden, im Allgemeinen unter der Schwelle zur Manipulation bleiben werden, ist dies bei häufig verwendeten Kombinationen nicht mehr ohne Weiteres gegeben. Besonders problematisch sind Fälle, in denen starke psychosoziale und emotive Effekte zum Einsatz kommen, wie bspw. Gruppenzwang, emotionaler Druck/Erpressung, die künstliche Förderung von Empathie etc. Hier wird die Grenze zur Manipulation sicherlich überschritten, das heißt aber nicht unbedingt, dass sich die Gamifizierungen nicht u. U. ethisch rechtfertigen ließen. Dies hängt v. a. davon ab, inwiefern es sich hierbei um ethisch zulässige Formen von Paternalismus handelt (s. Abschn. 5).

Erkennbarkeit

Wie im Vorherigen deutlich geworden ist, sind schon aufgrund der mit ihnen verbundenen psychosozialen Effekte einige Gamifizierungen an der Grenze zur Manipulation oder sogar darüber anzusiedeln. Doch selbst für diejenigen, die diesbezüglich noch unterhalb der Schwelle verbleiben, stellt sich wie in Abschn. 2 dargelegt die Frage, ob sie aufgrund der Verdeckung dieser (nicht-manipulativen) Effekte dennoch als Manipulation zu klassifizieren sind. Dabei besteht grundsätzlich das Problem, dass Gamifizierungen aller Art – je nach Medienkompetenz – u. U. von den Nutzenden nicht als solche erkannt werden. Dies gilt besonders für ökonomische Involvierungsstrategien, während die Nutzenden typischerweise soziale, emotionale und narrative Involvierungen aus ihrem täglichen Leben kennen, mindestens in Form nicht-digitaler Medien wie Bücher und Filme. Aber auch der vielzitierte „Sozialstress“ beruht in großen Teilen auf psychosozialen Manipulationsversuchen.

Je stärker Gamifizierungen zukünftig in das allgemeine Bewusstsein der User einsickern, desto weniger wird deren Verdeckung eine Rolle spielen. Gerade aber die im vorherigen Abschnitt angesprochene Kombination aus verschiedenen Involvierungen stellt hinsichtlich der Medienkompetenz eine besondere Herausforderung dar, weil hier nicht nur die jeweiligen Gamifizierungen erkannt werden müssen, sondern auch deren wechselseitig verstärkende Wirkung angemessen eingeschätzt werden muss. Ähnliches gilt für die oben schon angesprochenen globalen Fitness-/Wohlbefindens-/Gesundheits-Scores, da diese eine zweifache Funktion erfüllen: Zum einen dienen sie der Selbstkontrolle und -steuerung über die Quantifizierung und (vermeintliche) Objektivierung der eigenen Gesundheit. Zum anderen aber stellen sie nicht zu unterschätzende Gamifizierungen dar, sofern diese Punktestände zu Vergleichen mit anderen (bspw. in Form von Ranglisten, Abzeichen, Level), und Herausforderungen (Tages-/Wochen-Ziele, Wettkämpfe) genutzt werden.

Besonders problematisch sind Produktplatzierungen wie bspw. bei „Nike +“, bei der die Nutzer:innen die Möglichkeit haben, nach jedem Lauf den jeweils benutzten (Nike-)Schuh anzuklicken, was nicht nur die Produktbindung erhöht, sondern darüber hinaus den Nutzer:innen „suggeriert […], dass Nike-Produkte für eine gute Performance unerlässlich sind“ (Schollas, 2016, S. 95). Die App „Runtastic“ zeigt den Nutzenden an, wann sie einen neuen Schuh kaufen sollten. Speziell in einem solchen Fall ist nicht mehr klar, ob hier Nutzer:innen bei ihrem Training und der Gesunderhaltung ihres Bewegungsapparates unterstützt werden sollen oder der Absatz für Partnerfirmen erhöht werden soll.

Auch wenn also die Medienkompetenz der Nutzer:innen beständig steigt, ist im Ergebnis festzuhalten, dass sich viele der verwendeten Gamifizierungsstrategien nach wie vor kaum oder nur wenig bewusst sind. Prima facie scheint sich ein Ausgleich zwischen der Schwere der motivationalen Effekte und dem Grad der Verdeckung abzuzeichnen: Die v. a. kurzfristig motivierenden ökonomischen Involvierungen sind schlechter für die Nutzer:innen zu erkennen, während gerade die langfristigen motivierenden Involvierungen, die primär im sozialen Bereich angesiedelt sind (virtuelle Lauftreffs, Gruppenzwang über das Posten von Ergebnissen), den Nutzenden aus der Offline-Welt hinlänglich bekannt sein dürften.

Auch wenn durch diese Kombination die meisten Gamifizierungen keine schweren Fälle von Manipulation darstellen, handelt es sich doch mindestens um Manipulationsversuche leichterer Natur. Als solche sind sie nur dann gerechtfertigt, wenn sie zum Wohl der Nutzer:innen geschehen, also zulässige Formen von Paternalismus darstellen. Dies soll der nächste Abschnitt klären.

Zielkonvergenz und Paternalismus

Einige der hier angestellten Überlegungen habe ich aus (Loh, 2018a, 2019) entnommen.

Das ethisch Problematische der Manipulation liegt letztlich darin, die manipulierte Person dazu zu verleiten, ihre eigenen Handlungsgründe oder „Ideale“ zu missachten.

„There are certain norms or ideals that govern beliefs, desires, and emotions. Manipulative action is the attempt to get someone’s beliefs, desires, or emotions to violate these norms, to fall short of these ideals.“ (Noggle, 1996, S. 44)

Dies scheint jedoch für Gamifizierungen nicht zu gelten, im Gegenteil. Zumindest im Bereich der Fitness-/Gesundheits-Apps sieht es zunächst einmal so aus, als wollten die App-Hersteller:innen und -Betreiber:innen die Nutzenden dazu motivieren, „besser“ (effektiver, konsistenter) nach den eigenen Idealen zu handeln. Gerade auch im Bereich von Gesundheits-/Fitness-Apps speziell für ältere Menschen finden sich diese Begründungen sowohl bei den App-Hersteller:innen/Betreiber:innen selbst, als auch in den wissenschaftlichen Evaluationen. Gamifizierungsstrategien werden laut Literatur primär eingesetzt, „in order to reinforce the elderly people to stay active and improve their well-being“ (Kostopoulos et al., 2018, S. 967). Dabei wird die therapeutische Wirkung von sozialer Interaktion, spielerischen Herausforderungen und dem Meistern von Aufgaben auf kognitive Funktionen sowie psychische und physische Gesundheit herausgestellt (Malwade et al., 2018; van Santen et al., 2018).

Sollte es sich bewahrheiten, dass Betreiber:innen/Hersteller:innen primär im besten Interesse der Nutzenden handeln, könnten sich Gamifizierungen als Paternalismus rechtfertigen lassen, auch wenn sie Manipulationen darstellen. Unter „Paternalismus“ versteht man zumeist eine handlungswirksame Einmischung in die Präferenzstruktur und Handlungen einer Person mittels Manipulation oder Zwang, „defended or motivated by a claim that the person interfered with will be better off or protected from harm“ (Dworkin, 2017). Paternalistisch handelt also, wer einerseits durch Manipulation oder Zwang in die Handlungsfreiheit einer anderen Person dergestalt eingreift, dass diese ihre Präferenzen ändert, eine bestimmte Handlung nicht oder eine andere als die eigentlich intendierte ausführt. Andererseits muss dieses Eingreifen auch im perzipierten Interesse der anderen Person liegen, also nach Auffassung der paternalisierenden Person (Pa) „das Beste“ für die paternalisierte Person (Pt) sein.

Das Problematische am Paternalismus kann also einerseits darin liegen, dass Pa sich darin irrt, was tatsächlich das Beste für Pt ist. So argumentiert bspw. Mill, dass wir selbst typischerweise am besten wissen, was gut für uns ist, und wir aus diesem Grund der individuellen Freiheit den Vorrang vor Bevormundung und Zwang geben sollten (Mill, 1859).

Doch selbst wenn Pa absolut sicher sein könnte, dass es für Pt besser wäre, Handlung φ auszuführen (bspw. mehr Sport zu treiben, auf Ernährung und Schlaf zu achten), weil dies zu einem aktiveren, gesünderen, längeren (und damit per Implikation besseren) Leben führte, erscheint es uns falsch, wenn Pa sie bspw. zwänge, eine Gesundheits-App zu verwenden und sich an die dortigen Empfehlungen zu halten. Dies liegt daran, dass ein solches Vorgehen die Autonomie von Pt untergrübe. Ein solches Leben wäre vielleicht ein „besseres“ (im Sinne von aktiver, gesünder, länger), aber es wäre eben nicht mehr ihr Leben.

„Autonomie hat Bedeutung für uns, weil wir für unser Leben und für einzelne Handlungen nur Verantwortung übernehmen können, wenn wir sie – zumeist – selbst bestimmt haben und es tatsächlich in einem emphatischen Sinn die eigenen Handlungen sind, die wir vollziehen, die eigenen Pläne, die wir verfolgen, und Vorhaben, die wir umzusetzen trachten.“ (Rössler, 2019, S. 29–30)

Ein solcher starker Paternalismus, d. h. die Ausrichtung der Präferenzstruktur bzw. der Handlungen von Pt an Gründen, die nach Meinung von Pa für Pt gelten müssten, ist also deshalb unzulässig, weil in diesem Fall Pt nicht aus Gründen handelt, die sie „wholeheartedly“ (Frankfurt, 1971, 1987) für sich selbst als ihre eigenen angenommen hat. Gerade das Abwägen zwischen Plänen, Zielen und Gründen und der damit verbundene Selbstverständigungsprozess ist jedoch auch ein wichtiger Bestandteil der Konstitution der eigenen Person – und damit auch der Ausbildung der eigenen Präferenzstruktur (Pippin, 2005).

Was aber, wenn Pt Pa erzählt hat, dass sie gern ein aktiveres, gesünderes und längeres Leben führen würde und sogar davon gesprochen hat, eine Fitness-App zu verwenden, um dieses Ziel zu erreichen? Ein solcher schwacher Paternalismus, bei dem Pa sicher weiß, dass die Gründe, die sie für ihre Manipulationen oder ihren Zwang anlegt, von Pt geteilt werden, verhindert nicht mehr die Reflexion und Aneignung der eigenen Pläne und Ziele als eigene Handlungsgründe. Und er steht auch nicht dem Selbstverständigungsprozess im Weg, da Pt ja über ihre Gründe reflektiert hat, bevor Pa sie paternalisiert. Letztlich leidet sie lediglich an mangelnder Selbstwirksamkeit, d. h. sie ist einfach nur willensschwach (Davidson, 1985).

Aber auch wenn Formen von schwachem Paternalismus nicht mehr die Autonomie von Pt untergraben, eigene Gründe zu entwickeln und nach ihnen zu handeln, wäre jede Art von Zwang unangemessen – zumindest dann, wenn Pt wirklich im Vollbesitz ihrer geistigen Fähigkeiten ihre Wahl trifft, doch keine Fitness-App zu benutzen, und ihren Wunsch, ein gesünderes und aktiveres Leben zu führen, immer wieder aufschiebt. Es mag Notsituationen geben, in denen ein solcher paternalistischer Zwang rechtfertigbar ist, in den hier verhandelten Fällen steht er unserem Selbstwertgefühl als autonome Person, dem „self-respect we invest in our own willed actions, flawed and misguided though they often are“ (Waldron, 2014), entgegen.

Gamifizierungen arbeiten jedoch nicht mit Zwang, sondern mit motivationalen und psychosozialen Effekten, die wie im Vorherigen gesehen zumeist unter den Begriff der Manipulation fallen. Sofern also die App-Betreiber:innen und -Hersteller:innen sicher sein können, dass die Nutzenden das Ziel haben, je nach App ein aktiveres, gesünderes, längeres Leben zu führen, fit zu werden, abzunehmen usw., ließe sich die Gamifizierung als schwacher Paternalismus ethisch rechtfertigen. Und hier sieht es erst einmal nicht schlecht aus: Immerhin haben die Nutzenden durch das Herunterladen der App, der Anmeldung und der expliziten wiederholten Verwendung konkludent zu verstehen gegeben, dass sie diese App nutzen wollen – bspw., um ein gesünderes und aktiveres Leben zu führen. Die Hersteller:innen und Betreiber:innen haben zu diesem Zweck die App entwickelt und bestimmte Gamifizierungselemente eingebaut. Sie paternalisieren also die Nutzenden – wenn überhaupt – nur in Übereinstimmung mit deren eigenen, explizit formulierten bzw. konkludent aus ihren Handlungen ableitbaren Zielen.

Gleichzeitig verfolgen Hersteller:innen und Betreiber:innen mit der App jedoch zumeist noch ein ökonomisches Ziel. Zum einen wollen sie die App verkaufen, oder aber medizinisch relevante Daten generieren, um diese datenökonomisch zu nutzen.Footnote 8 Zum anderen werden gerade Fitness-Apps von den großen Sportausrüstern zu Marktforschungs-, Marketing- und Kundenbindungszwecken verwendet (Lupton, 2016a; Schollas, 2016). Besonders, wenn Gamifizierungselemente auch dazu beitragen, mehr Umsatz zu generieren, bspw. über das Upgrade auf einen „Premium“-Status, In-App-Käufe, erhöhte Datenpreisgabe etc., steht in Zweifel, inwieweit die hinter diesen Gamifizierungen stehende Manipulation noch durch einen schwachen Paternalismus gedeckt ist. Je nach Ausmaß besteht sogar die Möglichkeit, dass das ethische Problem nicht mehr die Manipulation qua Gamifizierung betrifft, sondern die Täuschung über Zweck und Ziel der App selbst.

So wird bspw. die Berechnung der bei der Nike + App sammelbaren „Nike Fuel“-Punkte nirgends erklärt, sodass eine plattformübergreifende Vergleichbarkeit unmöglich ist und die Nutzer:innen auf diese Weise an die App gebunden werden. Über die Möglichkeit, nach jedem Lauf den jeweils benutzten (Nike-)Schuh zu taggen, habe ich weiter oben schon gesprochen. Hier verschwimmen die Ziele der Gamifizierungen zwischen Nutzer:innenmotivation und Product Placement. Damit gerät der Eindruck einer wohlwollenden, paternalisierenden Manipulation der Nutzenden in Zweifel.

Letztlich besteht aufseiten der App-Hersteller:innen bzw. -Betreiber:innen so gut wie immer ein Pluralismus von Zielen. Das Ziel, eine funktionale, nutzerfreundliche und die Nutzenden motivierende App anzubieten, ist untrennbar mit ökonomischen Zielen (Verkauf der App, Kundenbindung, Marketing, Kundengesundheit etc.) verknüpft. Für die Belange dieser Untersuchung stehen hierbei allein die Gamifizierungsstrategien selbst im Fokus. Die Evaluation der mit ihnen verbundenen Manipulationen als schwach paternalistisch – und damit zulässig – hängt also davon ab, ob die Hersteller:innen bzw. Betreiber:innen die Gamifizierungen selbst v. a. mit dem Ziel der Nutzer:innenmotivation einsetzen, also um Funktionalität und Usability zu erhöhen, oder doch eher dafür, die Nutzenden zu weiteren ökonomischen Transaktionen (Produktmarketing, In-App-Käufe, Datenpreisgabe) zu verleiten. Kurz gesagt: Sind die Gamifizierungen Motivation oder Werbung?

Diese Frage kann nur nach sorgfältiger Prüfung des jeweiligen Einzelfalls beantwortet werden. Ökonomische Zielsetzungen sind nicht per se ethisch problematisch, ihre Vermischung mit Zielen der Nutzer:innenmotivation hinterlässt jedoch immer den Zweifel der ethisch angemessenen Hierarchisierung von Zielsetzungen bis hin zur Täuschung der Nutzenden. Aus diesem Grund sind Apps zu bevorzugen, die kein Marketing bzw. Product Placement betreiben, und sich weder über In-App-Käufe noch über den Weiterverkauf der Daten finanzieren. Dagegen ist eine transparente einmalige oder monatliche Nutzungsgebühr ethisch unbedenklich, da sie nicht unmittelbar mit den Gamifizierungen verknüpft ist.Footnote 9

Unintendierte Nebenfolgen

Eigentlich sollten sich in den gängigen Apps keine grob gesundheitsschädlichen oder fahrlässig verkürzten Gesundheitstipps oder Fitnessprogramme finden lassen. Allerdings besteht die Möglichkeit, dass die Involvierungen, die mit der Gamifizierung einhergehen, selbst unintendierte Nebenfolgen auslösen. Denkbar ist bspw. ein erhöhtes Anorexie-Risiko durch Gamifizierungen bei Abnehm-Apps, ein größeres Verletzungsrisiko durch zu hohe Gewichte oder generelles „Overtraining“ (Stone et al., 1991), sowie schwerwiegende Gesundheitsschäden bei Training in erkältetem Zustand.

Einige Studien legen nahe, dass es hier Zusammenhänge geben könnte. Bspw. kommt eine Studie zu App-Nutzung mit Blick auf Kalorienzähler zu folgendem Schluss: „Individuals who reported using calorie trackers manifested higher levels of eating concern and dietary restraint“ (Simpson & Mazzeo, 2017, S. 89). In Übereinstimmung damit berichten viele Aussteiger:innen aus der „Pro-Ana-Szene“Footnote 10, dass Apps spezifisch zur Gewichtsreduktion und zum Intervallfasten („Vora“, „Eating Thin“, „CalorieKind“, „WeightWatcher“), aber auch klassische Fitness-Apps wie „MyFitnessPal“ in der Community zum Abnehmen und zur Vernetzung verwendet werden (Sharkey, 2018). Dabei kann durch das Teilen der erreichten Punktzahlen und Abnehmziele nicht nur der soziale Druck auf die Magersüchtigen erhöht werden, sondern diese auch zu einem virtuellen Wettkampf mit den anderen magersüchtigen Nutzer:innen angestachelt werden.

Bislang sieht es nach Studienlage so aus, als könnten die in Gesundheits-/Fitness-Apps verwendeten Gamifizierungen u. U. eine schon bestehende Essstörung verstärken, diese jedoch nicht hervorrufen. Damit handelte es sich zwar um eine Form von schwachem Paternalismus, da das Ziel des anorektischen Abnehmens, hinsichtlich dessen die Gamifizierungen manipulativ wirken, schon zuvor explizit bestand. In diesem Zusammenhang mag es strittig sein, ob ein Eingriff in die Selbstbestimmung der Betroffenen zugunsten ihrer Gesundheit (im Sinne eines starken Paternalismus) ethisch angemessen ist. Mit Sicherheit aber lässt sich ein schwacher Paternalismus nicht rechtfertigen, der das gesundheitsschädliche Ziel extremen Abnehmens auch noch durch manipulative Strategien unterstützt.

In der Praxis betrifft dies nur einen sehr kleinen Teil der Nutzenden, es ist also keine unintendierte Nebenfolge von Gamifizierungen per se. Dennoch sollten Apps darauf ausgelegt sein, diese besonders vulnerable Gruppe entsprechend einzubeziehen, angefangen bei der sensiblen Nutzung von Gamifizierungen im Bereich Aussehen/Gewicht/Körperschema, aber auch bspw. durch die Sicherstellung realistischer Abnehmziele, einem Feedbacksystem, das die Nutzenden bei auffälligem Verhalten warnt und sie auf Informationsangebote aufmerksam macht, bis hin zur aktiven App-Sperrung bei extremem Verhalten.

Konklusion

Gamifizierungen stellen, wie sich im Verlauf der Diskussion herausgestellt hat, Manipulationen dar – entweder aufgrund der Schwere der motivationalen und emotionalen Effekte, die in den von ihnen eingesetzten Involvierungsstrategien, oder aber aufgrund des verdeckten Charakters dieser Strategien. Diese Manipulationen können jedoch ethisch unbedenklich sein, sofern es sich hierbei um eine Form von schwachem Paternalismus handelt. In diesem Fall manipulieren die App-Hersteller:innen/-Betreiber:innen die Nutzenden, damit diese besser ihre eigenen Ziele (gesünder/fitter sein, ein aktiveres Leben führen, abnehmen etc.) erreichen können. Prima facie haben die Nutzenden durch das Herunterladen und Verwenden der App konkludent zum Ausdruck gebracht, dass es sich hierbei tatsächlich um ihre eigenen Ziele handelt.

Für eine solche Einschätzung spricht auch, dass Gamifizierungen zumeist leichte Formen von Manipulation darstellen, die zumindest im Gesundheits-/Fitness-Bereich so gut wie ohne explizite Täuschungen auskommen. Es wurde deutlich, dass in diesem Bereich Gamifizierungen typischerweise entweder relativ starke motivationale und emotionale Effekte mit einem geringem Verdeckungspotenzial kombinieren, oder umgekehrt bei hoher Verdeckungswahrscheinlichkeit nur leichte Effekte im Spiel sind.

Spätestens dann jedoch, wenn die Gamifizierungen die Nutzenden dazu bringen sollen, andere als die eigenen Gesundheitsziele zu erreichen – v. a. die ökonomischen Ziele der Hersteller:innen bzw. Betreiber:innen – lässt sich diese ethische Rechtfertigung nicht aufrechterhalten. Während ökonomische Interessen der Betreiber:innen nicht per se ethisch unangemessen sind, gilt dies jedoch für den Versuch, diese Interessen über die Manipulation der Nutzer:innen qua Gamifizierungen zu verfolgen.

In ähnlicher Weise trifft dies auch für mögliche unintendierte Nebenfolgen zu. Im Bereich der Gesundheits-/Fitness-Apps steht pathologisches Verhalten in Bezug auf die eigene Gesundheit bzw. das eigene Aussehen im Vordergrund. Die verfügbaren Studien zu Anorexie und Overtraining mit Blick auf Gesundheits-Apps legen nahe, dass besonders die ökonomischen Involvierungen in Form von Vergleichs- und Wettkampfmöglichkeiten schon bestehendes gesundheitsschädliches Verhalten noch verstärken können (Honary et al., 2019; Simpson & Mazzeo, 2017), wohingegen die sozialen Involvierungen der Apps lediglich Alternativen zu schon bestehenden Foren, WhatsApp- und Facebook-Gruppen darstellen (Whelan & Clohessy, 2020). Hier sind die App-Betreiber:innen ethisch verpflichtet, besondere Sorgfalt an den Tag zu legen, um zu diesen Risikogruppen zählende Nutzer:innen möglichst frühzeitig zu identifizieren und bei auffälligem Verhalten geeignete Maßnahmen zu ergreifen. Wenn dies geschieht, überwiegt der potenzielle Nutzen der Gamifizierungen, speziell mit Blick auf ihre motivierende Wirkung für, durch Übergewicht und Bewegungsmangel wiederum in anderer Hinsicht gesundheitsgefährdete, Risikogruppen.

Im Ergebnis bleibt festzuhalten, dass, auch wenn die manipulativen Wirkungen der typischen Gamifizierungsstrategien auf gesunde Nutzer:innen als gering eingeschätzt werden können, sie dennoch vorhanden sind und als solche im jeweiligen Einzelfall gerechtfertigt werden müssen – und das heißt: gegen die möglichen Risiken und Autonomieeinschränkungen abgewogen werden müssen. Sofern auf diese Weise schwere Manipulationsversuche unterbleiben, sowie Nutzer:innen mit psychologischen Vorerkrankungen oder einer Neigung zu extremem Gesundheitsverhalten mit in die Überlegungen einbezogen werden, kann eine moderate Verwendung von Gamifizierungen durchaus als ethisch zulässig – und u. U. sogar sinnvoll – angesehen werden.

Mit Blick auf die besonderen Bedürfnisse älterer Menschen ist hier nicht nur auf die veränderten Anforderungen in Bezug auf Erkennbarkeit und Medienkompetenz hinzuweisen. Darüber hinaus fehlt vielen Gesundheits-/Fitness-/Wohlbefindens-Apps der nutzer:innenspezifische Fokus auf ältere Menschen und deren Umwelten:

„Many traditional healthcare services will require further improvements and integration of gamification techniques […] since they do not consider ageing as a fundamental factor and often ignore the human variable which interacts and lives under different environments as it grows older and becomes more fragile with increasingly more individual necessities, capabilities, interests and backgrounds and instead ignore environment constraints and only provide the same features to every single user. (Martinho et al., 2020, S. 4888)

Mit einer solchen Ausrichtung steht und fällt nicht nur die Funktionalität und der Mehrwert solcher Apps für ältere Menschen, sondern letztlich auch die Bewertung der Gamifizierungsstrategien.